Dr. Norden Bestseller 129 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 129 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Das Telefon klingelte, als Dr. Norden seine Praxis betrat. Er wunderte sich, dass Loni noch nicht da war, und ausnahmsweise warteten auch keine Patienten vor der Tür. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Eine aufgeregte Männerstimme tönte an sein Ohr. »Schnell, Herr Doktor, meine Frau, die Wehen …« »Ihr Name?«, fragte Dr. Norden überstürzt, da er die Stimme nicht kannte. »Lämmert, Birkenstraße sieben.« »Ich komme«, sagte Dr. Norden, und glücklicherweise kam da auch Loni angekeucht. »Die S-Bahn hatte zwanzig Minuten Verspätung«, sagte sie atemlos. »Es ist gut, dass Sie jetzt da sind, Loni, ich muss gleich wieder weg.« Er rief ihr noch die Adresse zu, damit sie ihn erreichen konnte, wenn es wieder einen Notfall gab. Lämmert? Den Namen kannte er nicht. Die Birkenstraße lag in der Kolonie, in der noch die kleinen Villen standen, die so anheimelnd waren.

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Dr. Norden Bestseller – 129 –

Ein heikler Fall

Patricia Vandenberg

Das Telefon klingelte, als Dr. Norden seine Praxis betrat. Er wunderte sich, dass Loni noch nicht da war, und ausnahmsweise warteten auch keine Patienten vor der Tür. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Eine aufgeregte Männerstimme tönte an sein Ohr. »Schnell, Herr Doktor, meine Frau, die Wehen …«

»Ihr Name?«, fragte Dr. Norden überstürzt, da er die Stimme nicht kannte.

»Lämmert, Birkenstraße sieben.«

»Ich komme«, sagte Dr. Norden, und glücklicherweise kam da auch Loni angekeucht.

»Die S-Bahn hatte zwanzig Minuten Verspätung«, sagte sie atemlos.

»Es ist gut, dass Sie jetzt da sind, Loni, ich muss gleich wieder weg.« Er rief ihr noch die Adresse zu, damit sie ihn erreichen konnte, wenn es wieder einen Notfall gab.

Lämmert? Den Namen kannte er nicht. Die Birkenstraße lag in der Kolonie, in der noch die kleinen Villen standen, die so anheimelnd waren. Er war schnell dort. Frisch getüncht war das Haus, und ein neuer Zaun umgab den Garten.

Ein kleines Mädchen stand an der Haustür. Sechs Jahre mochte es etwa sein.

»Sind Sie der Doktor?«, fragte es ängstlich.

»Ja, Dr. Norden.«

Da kam auch schon, aufgeregt, mit wirren Haaren und schweißbedecktem Gesicht, ein Mann.

»Es dürfte noch nicht so weit sein«, murmelte er. Dr. Norden eilte zu dem Zimmer, auf das Herr Lämmert deutete. Stöhnend lag die werdende Mutter im Bett.

Dr. Norden stellte jetzt keine Fragen, sondern untersuchte sie.

»Wir müssen Ihre Frau in die Klinik bringen«, sagte er.

»Nein, nein«, stöhnte Frau Lämmert.

Dr. Norden griff zum Telefon. Er wusste, dass er keine Zeit verstreichen lassen durfte. Er rief den Notarztwagen herbei.

»Es ist eine gute Klinik«, sagte er beruhigend. »Es muss sein.«

*

Für Dr. Hans-Georg Leitner hatte der Klinikalltag noch früher begonnen. Schon um sechs Uhr hatte er eine Entbindung gehabt. Da war alles glattgegangen. Im Fall von Frau Lämmert sah es ziemlich bedenklich aus. Die Herztöne des Kindes waren kaum noch zu vernehmen. Es lag Sauerstoffmangel vor.

Eine operative Entbindung war unvermeidbar. »Das Baby muss leben«, stammelte die junge Frau. »Ich darf Vreni nicht enttäuschen.«

Das war das Letzte, was sie sagen konnte, dann begann die Vollnarkose schon zu wirken, und gleich darauf lag sie auf dem Operationstisch.

»Übernimmst du die Anästhesie, Daniel?«, fragte Dr. Leitner. »Wir müssen ganz mäßig dosieren.« Schwester Dora bekam nur einen kurzen Blick zugeworfen. »Inkubator bereithalten.«

Er hoffte, dass sie ihn brauchen würden, obgleich die Chancen für das Kind gering schienen. Und für die junge Mutter waren sie auch nicht gerade gut.

Aber Dr. Leitner gab die Hoffnung nie auf. Als er dann das winzige Baby in den Händen hielt, ganz blau war es und gab kaum noch Lebenszeichen von sich, überließ er es Dr. Norden und bemühte sich um Frau Lämmert.

Für Dr. Norden war ein Baby, das in größter Lebensgefahr schwebte, auch nicht erstmalig, und er kämpfte, um das kleine Herz zum Schlagen zu bringen. Glücklicherweise war die Leitner-Klinik mittlerweile auf das Modernste ausgestattet, sodass man das Neugeborene, es war ein Junge, nicht erst noch transportieren musste, sonst hätte es wohl kaum eine Überlebenschance gehabt. Aber dann gab es quäkende Laute von sich, begann sich zaghaft zu rühren, konnte in den Inkubator gelegt und mit ausreichendem Sauerstoff versorgt werden.

Auch die junge Mutter brauchte Sauerstoff, und Blutkonserven mussten herbeigeschafft werden. Dr. Norden war froh, dass Herr Lämmert wenigstens fähig gewesen war, ihm die Blutgruppe seiner Frau zu nennen.

Aber dann war er schon selbst mit der kleinen Vreni an der Hand erschienen. Schwester Herta sagte Dr. Norden, dass Herr Lämmert ihn sprechen wolle.

Er hatte gerade an seine Patienten gedacht, die sich nun doch in seiner Praxis sammeln würden. Aber sie hatten nicht mal Zeit gehabt, die genauen Personalien aufzunehmen, und auch für Dr. Norden waren die Lämmerts völlig unbekannt. Ein paar Minuten musste sich Dr. Norden nun auch noch Zeit nehmen.

»Ich möchte Sie gern allein sprechen, Herr Doktor«, sagte Franz Lämmert, mit einem Blick auf das Kind.

»Geh doch mal ins Wartezimmer, da liegen Bilderbücher, Vreni«, sagte Dr. Norden. »Deine Mutti darfst du noch nicht besuchen.«

»Sie ist erst meine Mutti, wenn ich ein Brüderchen habe«, sagte Vreni.

»Das wollte ich Ihnen sagen, Herr Doktor«, murmelte Franz Lämmert. »Wir sind nicht verheiratet.«

»Weil meine richtige Mutti gestorben ist«, sagte Vreni. »Aber ich habe Tini lieb, wenn ich ein Brüderchen bekomme.«

Dr. Norden sah sich einmal vor einer unbekannten Situation, denn er mochte Vreni nicht sagen, dass sie bereits ein Brüderchen hatte. Er konnte es nicht sagen, weil er nicht wusste, ob das Kind überleben würde. Aber nun war ihm nichts wichtiger, als mit Franz Lämmert zu sprechen.

»Sehen Sie, die Dinge liegen so, Herr Doktor«, begann Franz Lämmert stockend, »Vrenis Mutter starb bei der Geburt unseres zweiten Kindes. Das ist jetzt drei Jahre her. Tini, sie heißt genau Martina Eggert, kam dann zu uns als Betreuerin für Vreni. Ich lernte sie lieben, weil sie so gut zu dem Kind war, aber heiraten wollte sie mich nicht, bevor sie nicht ein gesundes Kind zur Welt bringen würde. Vreni gab den Ausschlag. Sie wollte unbedingt ein Brüderchen.«

»Es ist ein Junge, Herr Lämmert, und vielleicht bringen wir ihn durch. Aber allzu viel Hoffnungen möchte ich Ihnen nicht machen. Deshalb habe ich auch nichts gesagt«, erklärte Dr. Norden.

»Und was ist mit Tini? Bitte, verstehen Sie mich, Herr Doktor, ich liebe Tini. Für mich ist sie kein Mutterersatz für Vreni. Das Haus in der Birkenstraße hat sie von ihren Eltern geerbt. Sie hätte sehr gut ohne uns leben können. Ich bin doch nur ein mittlerer Beamter, und sie hätte eine ganz andere Partie machen können. Ein Haus hätte ich ihr sobald nicht hinstellen können.«

»Nun beruhigen Sie sich, Herr Lämmert«, sagte Dr. Norden. »Es war gut, dass Sie mich so rasch gerufen haben. Ich verstehe nur nicht, warum Sie Ihre Frau nicht gleich in die Klinik brachten.«

»Weil sie eben nicht meine Frau ist. Tini wollte es nicht, weil es dann gleich jeder gewusst hätte. Sie wollte das Kind auf dem Land zur Welt bringen, und dort hätten wir dann auch geheiratet. Aber weil Hanna bei der Geburt des zweiten Kindes starb, wollte sie nicht vorher heiraten. Sie hat ihre eigenen Ansichten, auch wegen Vreni.«

»Ist das Kind so eigensinnig?«, fragte Dr. Norden.

»Sie will keine Mami, wenn sie kein Brüderchen bekommt. Sie hat wahrscheinlich die Vorstellung, dass Tini auch sterben könnte. Es ist alles schrecklich für mich.«

Da hat man mal wieder Fehler gemacht, dachte Dr. Norden. Fehler aus übergroßer Liebe.

»Ich werde mit Vreni sprechen«, sagte er.

»Ach, sie hängt sehr an Tini«, sagte Franz Lämmert. »Sie dürfen nicht denken, dass Vreni gegen sie ist. Aber leider haben meine Schwiegereltern, die Eltern meiner ersten Frau, da schwere Konflikte hineingebracht. Deshalb habe ich mich dann auch versetzen lassen und eingewilligt, in Tinis Haus zu ziehen.«

Das waren Probleme, die man nicht in ein paar Minuten erörtern konnte, und Dr. Norden musste auf die Uhr schauen. »Wir sprechen noch darüber, Herr Lämmert«, sagte er. »Ich habe jetzt leider keine Zeit mehr. Sagen Sie Vreni, dass sie ein Brüderchen hat, aber dass sie für das kleine Kerlchen beten müsse. Ich weiß nicht, ob sie beten gelernt hat.«

»O ja, Tini hat immer mit ihr gebetet.«

*

Dr. Leitner konnte dann Franz Lämmert einigermaßen beruhigen. Die erste Krise hatte Martina überstanden. Auch Dr. Leitner hatte gehört, dass sie nicht verheiratet waren. Aber Franz Lämmert wollte auch amtlich als Vater des kleinen Kindes gelten, das auf den Namen Martin getauft werden sollte.

Und nachdem Franz Lämmert ein paar Minuten am Bett seiner Frau geweilt hatte, hatte er auch den Mut, mit Vreni zu sprechen.

»Du hast ein Brüderchen, Vreni, aber es ist zu früh geboren, und du darfst es jetzt noch nicht sehen«, sagte er.

»Und warum darf ich nicht zu Tini?«, fragte Vreni. »Sie hat gesagt, dass sie zu Hause bleibt, damit ich mein Brüderchen gleich sehen darf und auch bei ihr sein darf.«

»Es kommt manchmal eben anders, als man plant«, sagte Franz Lämmert. »Tini hatte sich das alles so ausgedacht.«

»Aber die Großeltern wollten nicht, dass ich ein Brüderchen bekomme«, sagte Vreni, »und sie wollten nicht, dass Tini meine Mutti ist. Jetzt sind wir doch allein, Vati, und wir haben viel Platz in Tinis Haus. Aber das wollten sie auch nicht, dass wir ein Haus haben und nicht bloß eine Wohnung. Ich denke mir das schon. So klein bin ich auch nicht mehr.«

»Wir müssen beten für Tini und das Brüderchen, Vreni«, sagte Franz Lämmert heiser …

»Ich bete doch schon dauernd«, sagte Vreni. »Schau doch, dass ich die Hände gefaltet habe. Tini ist doch meine Mutti. Ich will keine andere. Aber die Großeltern sollen es auch wissen, dass sie meine Mutti ist. Warum sagst du es ihnen nicht?«

Warum habe ich es nicht gesagt und nicht getan, dachte er. Wir hätten vorher heiraten sollen, aber Tini wollte ja nicht. Und nun hatte er nur noch Angst um sie.

»Es ist gut, dass Mutti in der schönen Klinik ist«, sagte da Vreni. »Was hätten wir denn zu Hause gemacht?«

»Ja, was hätten wir gemacht«, sagte er rau.

»Frau Danner hat doch gesagt zu Mutti, dass sie zu dem Dr. Norden gehen soll. Er ist sehr lieb, finde ich«, sagte Vreni.

Sie sagte jetzt »Mutti«, und das begriff Franz Lämmert nun endlich auch. Und sie hatte auch nichts mehr dagegen, dass Tini in der Klinik war.

»Da draußen ist Frau Danner«, sagte Vreni, als sie ans Fenster trat. »Ich gehe mal zu ihr.«

»Ja, tu das, Kleines. Ich gehe zu Tini«, sagte er.

*

Und auch Dr. Leitner stand am Fenster und sah die junge Frau im beigen Trenchcoat. Was macht sie hier, jeden Tag, fragte er sich. Warum sehe ich sie immer wieder, und sie kommt doch nicht herein? Und dann sah er, wie Vreni auf diese Frau zulief, wie sie ihre Arme ausbreitete und das Kind auffing.

»Wir haben ein Brüderchen, aber ich muss noch beten für das Baby und für Mutti«, sagte Vreni atemlos, und das konnte Dr. Leitner nicht hören. Er sah nur, wie die blonde Frau das Kind umfangen hielt und an sich drückte.

»Dann beten wir für das Baby und für deine Mutti«, sagte Alexandra Danner mit erstickter Stimme. »Wo ist dein Vati?«

»Bei der Mutti«, erwiderte Vreni. »Ich will, dass sie meine Mutti ist, jetzt will ich es.«

Alexandra Danner kannte die Zusammenhänge nicht. Sie hatte gemeint, dass die Lämmerts ein Ehepaar wären, aber sie begriff schnell, weil sie selbst eine Frau war, die einen großen Schmerz mit sich trug.

Sie war viel zu feinfühlig, um dem Kind neugierige Fragen zu stellen. Zuerst, als die Lämmerts das Haus bezogen hatten, war es ja auch ein Schmerz für sie gewesen, Kinderlachen zu vernehmen auf dem Nachbargrundstück, denn sie sehnte sich in einer bereits sechsjährigen Ehe vergeblich nach einem Kind. Als sie das Haus gebaut hatten, hatten sie lange nach einem Grundstück gesucht, das in einer Gegend lag, in dem meist alte Ehepaare wohnten. Jedenfalls war es Alexandra gewesen, die danach gesucht hatte, und Jürgen Danner hatte seiner Frau freie Hand gelassen. Er hätte eine bequeme Stadtwohnung vorgezogen, aber er erfüllte ihr jeden Wunsch.

Gesellig waren sie ohnehin schon lange nicht mehr. Und wenn er aus beruflichen Gründen eine Einladung geben musste, fand diese in irgendeinem exklusiven Restaurant statt.

Die Ehe der Danners war auf einem toten Punkt angelangt, um es deutlich zu sagen, obgleich niemand es ahnte und sie als ein ideales Ehepaar betrachtete.

Von alldem wusste Dr. Leitner an diesem Tage noch nichts, aber bald sollte er es erfahren. Er machte sich nur Gedanken über diese schöne, geheimnisvolle Frau, die er so oft schon in der Nähe der Klinik gesehen hatte.

Tini ging es bald schon wieder besser, und auch das Baby bewies ein zähes Leben.

Am nächsten Tag strampelte es schon ganz munter in dem Inkubator herum, und es wurde sogar Vreni ein Blick auf das Brüderchen gestattet.

»Es ist kleiner als meine Tini-Puppe«, sagte Vreni.

»Es wird bald wachsen«, sagte Dr. Leitner.

Vreni sah ihn nachdenklich an. »Du bist auch lieb, Onkel Doktor. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt hier wohnen. Unser Doktor war nicht so nett. Er war auch schon alt und hat immer so geredet wie die Großeltern. Darf ich Mutti jetzt auch besuchen?«

Da kam Dr. Norden, der sich auch nach Martinas Befinden erkundigen wollte.

»Ich bringe dich zu Mutti«, sagte Franz Lämmert. »Dann möchte ich gern noch mit Dr. Norden sprechen.«

»Das kannst du, Vati«, sagte Vreni. »Ich bin auch ganz brav bei Mutti.«

»Ehe ohne Trauschein«, sagte Dr. Leitner, als sie sich entfernten. »Aber da gibt es noch mehr Probleme.«

»Inwiefern?«, fragte Daniel. »Was beschäftigt dich? Das ist doch kein Einzelfall.«

»Schau mal zum Fenster hinaus. Kennst du diese Frau zufällig?«

Daniel Norden trat ans Fenster. »Frau Danner?«, sagte er fragend. »Was macht sie hier?«

»Ich weiß es nicht, Daniel. Früher war sie hier, wenn die Mütter mit ihren Kindern entlassen wurden. Immer um diese Zeit, so gegen zehn Uhr. Ich habe sie schon oft gesehen. Jetzt kommt sie anscheinend wegen der Lämmerts. Aber du weißt ihren Namen, das beruhigt mich.«

»Sie wohnt Zaun an Zaun mit den Lämmerts. Das kommt mir aber auch erst gerade jetzt in den Sinn«, erwiderte Daniel.

»Du behandelst sie?«, fragte Dr. Leitner.

»Von Zeit zu Zeit werde ich gerufen. Sie ist oft erkältet. Sie leidet unter Migräne und auch unter Depressionen. Vor vier Jahren hatte sie eine Fehlgeburt. Das hat mir ihr Mann gesagt. Jürgen Danner, er ist einer von den großen Industriemanagern. Vielleicht hat er zu wenig Zeit für sein Privatleben. Er ist ein ziemlich harter Mann. Das ist mein Eindruck. Man wird aus ihm nicht so recht klug. Sie ist jedenfalls sehr sensibel. Vielleicht will sie dich konsultieren und findet nicht den Mut dazu?«

»Warum redest du ihr dann nicht zu?«

»Das kann ich doch nicht, Schorsch. Sie hat mich noch nie nach einem Frauenarzt gefragt. Ihr Mann sagte mir außerdem eindringlich, dass ich das Thema ›Kind‹ nicht berühren solle.«

»Ist er gegen Kinder?«

»Ich weiß es nicht. So genau kenne ich ihn nicht.«

»Du kannst doch mit jedem reden, Daniel. Warum hast du nie ein Gespräch mit ihr gesucht?«

»Weil sie nicht ansprechbar auf intime Dinge ist. Sie gehört nicht zu jenen Frauen, die einem alles gleich mitteilen.«

»Sie sieht immer so verloren aus. Sie braucht Hilfe, Daniel.«

»Du meinst, ich solle sie einfach fragen, was sie hier macht?«

»Tu es«, sagte Dr. Leitner bittend.

»Gut, aber Herr Lämmert will mit uns sprechen.«

»Ich werde mit ihm reden.«

Dr. Norden eilte hinaus. Doch als Alexandra Danner ihn kommen sah, eilte sie zu ihrem Wagen, und bevor er diesen noch erreichen konnte, fuhr sie schon davon.

Sie hat mich erkannt, dachte er. Sie ist vor mir geflohen, also wollte sie nicht gesehen werden.

In Gedanken versunken ging er zurück. Und da kam Franz Lämmert.

*

Still saß indessen Vreni an Tinis Bett. »Bist du wach, Mutti?«, fragte sie dann mit kindlicher Ungeduld, als Martinas Augenlider sich bewegten.

Sie sagt Mutti, dachte Martina, und da schlug sie die Augen voll auf.

»Ja, jetzt bin ich wach, Vreni«, erwiderte sie.

»Endlich«, sagte das Kind und griff nach ihrer Hand. »Ich vermisse dich so, Mutti. Eigentlich ist das Brüderchen gar nicht so wichtig. Hauptsache, du kommst bald heim. Der Martin kann dann ruhig noch hierbleiben, wenn der Doktor das meint. Du bist meine Mutti, auf jeden Fall.«

Es rührte Martina tief, wie sie es sagte. »Und du bist meine Vreni«, sagte sie zärtlich, »meine liebe kleine Vreni.«

»Ich will nur nicht, dass die Leute sagen, dass du nicht meine Mutti bist«, flüsterte die Kleine. »Die Großeltern haben es immer gesagt, aber jetzt dürfen sie es nicht mehr sagen.« Sie legte die Wange auf Martinas Hand. »Es ist schön, dass wir jetzt weit weg wohnen, gell, Mutti?«

»Sie haben dich doch auch lieb, Vreni«, sagte Martina leise.

»Aber nicht so lieb wie du«, erwiderte das Kind. »Und hier ist es viel schöner. Und ich bete jetzt immerzu für dich und das Baby, und Frau Danner ist auch lieb und hat mit mir gebetet.«

»Frau Danner?«, fragte Martina.

»Sie kommt immerzu her und schaut, ob sie dich sieht. Meine ich wenigstens. Aber ich bin jetzt so froh, dass ich mit dir reden kann. Weißt du, dass Martin kleiner ist als meine Tini-Puppe? Was ziehen wir ihm denn bloß an?«

»Er wird schon sehr schnell wachsen«, sagte Martina, und unwillkürlich schickte sie auch ein Stoßgebet zum Himmel, dass es so sein würde.

Währenddessen erfuhren Dr. Norden und Dr. Leitner von Franz Lämmert, dass seine erste Frau durch den Sturz auf einer Rolltreppe eine Frühgeburt bekommen hatte. Im sechsten Monat war das gewesen.

»Jeden Tag fuhr sie in die Stadt, zum Einkaufen, ins Kino, manchmal nur zum Bummeln«, erzählte er. »Es war eine regelrechte Psychose, dass sie dauernd unterwegs sein wollte. Vreni war bei den Großeltern. Und als das dann passiert war und beide nicht zu retten waren, gaben sie mir die Schuld. Sie wollten Vreni behalten, aber ich wusste, wie das enden musste. Martinas Bruder ist mein Freund. Er hat es dann vermittelt, dass Martina sich um Vreni kümmerte. Er hat sein Erbteil von den Eltern an die Danners verkauft und uns zugeredet, das Haus zu nehmen, und dann hat es auch mit meiner Versetzung geklappt. Ja, das wäre es. Jetzt will ich nur, dass Tini endlich meine Frau wird, und das Kind nicht als unehelich erklärt wird.«

»Es wird Ihren Namen sofort bekommen, wenn Sie heiraten«, sagte Dr. Norden. »Nach dem neuen Gesetz werden Sie da keine Schwierigkeiten haben, Herr Lämmert«, sagte Dr. Norden.

»Das ist gut, aber wird der Kleine am Leben bleiben?«

»Wir hoffen es, und wie es jetzt aussieht, macht er sich ganz gut«, warf Dr. Leitner ein.

»Mein Gott, bin ich froh, dass ich mir Dr. Nordens Namen gemerkt habe«, sagte Franz Lämmert. »Das habe ich Frau Danner zu verdanken. Schade, dass solche Frauen keine Kinder haben, aber vielleicht will der Mann keine. Mit ihm habe ich ja gerade Grüß Gott über den Zaun gesagt, aber sie ist wirklich sehr nett. Sie passt auch auf Vreni auf, wenn ich im Büro bin. Das ist eine große Hilfe, mit der ich nicht gerechnet habe, und Tini auch nicht. Aber sie hat es angeboten. So was erfährt man selten. Sie will nur nicht, dass ihr Mann das weiß. Es gibt komische Männer.«