Dr. Norden Bestseller 146 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 146 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Dr. Norden verband einer Patientin die Hand, als Loni angeflitzt kam. »Schnell, Herr Doktor, da ist eine junge Frau, die krümmt sich vor Schmerzen. Es ist anscheinend eine Vergiftung«, stieß sie hervor. »Sie spricht aber kein Wort deutsch.« »Die Ausländer«, sagte die Patientin, der Dr. Norden gerade seine Hilfe zuteil werden ließ, weil sie sich mit dem Brotmesser geschnitten hatte. »Es sind Menschen wie wir«, sagte er ruhig. »Sie sind versorgt, kommen Sie in zwei Tagen bitte wieder.« »War ja nicht so gemeint, Herr Doktor«, sagte sie noch, bevor sie ging, »aber deutsch könnten sie wenigstens lernen, wenn sie bei uns ihr Geld verdienen.« Gina Retho, so hieß die junge Ita­lienerin, hatte dazu noch keine Zeit gehabt. Sie war erst seit zwei Tagen in München, und an diesem Tag war sie von ihrem Mann in ein Spezialitätenrestaurant geführt worden, weil sie Scampis essen wollte. Das erzählte Mario Retho aufgeregt, denn er hatte seine Frau hergebracht. Dr. Norden kannte ihn schon. Er hatte ihn auch wegen einer Verletzung behandelt.

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Dr. Norden Bestseller – 146 –

Dr. Norden und die Lügnerin

Patricia Vandenberg

Dr. Norden verband einer Patientin die Hand, als Loni angeflitzt kam.

»Schnell, Herr Doktor, da ist eine junge Frau, die krümmt sich vor Schmerzen. Es ist anscheinend eine Vergiftung«, stieß sie hervor. »Sie spricht aber kein Wort deutsch.«

»Die Ausländer«, sagte die Patientin, der Dr. Norden gerade seine Hilfe zuteil werden ließ, weil sie sich mit dem Brotmesser geschnitten hatte.

»Es sind Menschen wie wir«, sagte er ruhig. »Sie sind versorgt, kommen Sie in zwei Tagen bitte wieder.«

»War ja nicht so gemeint, Herr Doktor«, sagte sie noch, bevor sie ging, »aber deutsch könnten sie wenigstens lernen, wenn sie bei uns ihr Geld verdienen.«

Gina Retho, so hieß die junge Ita­lienerin, hatte dazu noch keine Zeit gehabt. Sie war erst seit zwei Tagen in München, und an diesem Tag war sie von ihrem Mann in ein Spezialitätenrestaurant geführt worden, weil sie Scampis essen wollte.

Das erzählte Mario Retho aufgeregt, denn er hatte seine Frau hergebracht. Dr. Norden kannte ihn schon. Er hatte ihn auch wegen einer Verletzung behandelt. Ihm war vor acht Wochen auf dem Bau eine Betonplatte auf den Fuß gefallen. Zum Glück war diese nicht groß gewesen, und Mario Retho hatte anscheinend einen Schutzengel gehabt. Schon nach vierzehn Tagen konnte er wieder richtig gehen und arbeiten. Für ihn war Daniel Norden seither ein Wunderdoktor. Allerdings hatte er um seine junge, sehr hübsche Frau jetzt trotzdem höllische Angst, und die war auch angebracht.

Als Dr. Norden schnell erfahren hatte, daß Mario Retho keine Scampis gegessen hatte, sondern nur Spaghetti, ahnte er das Unglück. Fischvergiftung. Er pumpte der hübschen Gina den Magen aus hier in seiner Praxis, um nur keine Minuten verstreichen zu lassen.

Dann aber ließ er sie vorsichtshalber doch in die Leitner-Klinik bringen, denn ihm schien es so, als bestünde da eine Schwangerschaft.

Er hatte richtig gedacht, obgleich er keine Untersuchung vorgenommen hatte. Ein Abortus folgte, aber Gina Rethos Leben war gerettet, und das war ihm am wichtigsten. Mario Retho kam ein paar Tage später, um sich bei ihm zu bedanken.

Kinder könnten sie noch viele haben, meinte er, aber es wäre schrecklich gewesen, wenn ihm seine Gina genommen worden wäre, da sie nun gerade erst wieder beisammen sein konnten.

Mario Retho war ein fleißiger, geschickter und auch intelligenter Mann. Wenn man ihm schon früher die Chance gegeben hätte, wäre er sicher schon weiter gewesen als jetzt, vielleicht sogar schon Ingenieur, wie er es sich erträumt hatte. Aber hier hatte ihm der Bauunternehmer Lattmann auch eine Chance gegeben, und Mario war glücklich, als er seine Gina in eine hübsche Wohnung holen konnte.

»Wein nicht um das Baby, Gina«, sagte er zärtlich. »Wir werden ein anderes haben. Wir wollen dankbar sein, daß du lebst, daß Dr. Norden dich gerettet hat.«

»Sie waren alle sehr nett«, sagte Gina in ihrer melodischen Muttersprache. »Sie haben mich sogar verstanden, wenn ich etwas sagte. Ich will schnell deutsch lernen, damit ich mich bedanken kann. Ich habe gedacht, die Deutschen sind alle so wie Isa.«

Marios Gesicht überschattete sich. »Enrico hat es nicht leicht mit ihr«, sagte er leise.

»Er tut auch nicht so viel für Mama wie du«, flüsterte Gina. »Sie braucht wohl zuviel Geld für sich.«

Marios älterer Bruder Enrico war schon sieben Jahre in Deutschland, und er hatte eine sehr gute Stellung als Automechaniker. Er hatte eine Deutsche geheiratet, die er an der Adria kennengelernt hatte. Lisa, die sich lieber Isa nannte, entsprach nicht so ganz der Vorstellung der Familie Retho, aber hier, fern der Heimat, hatte Mario doch einen engen Kontakt zu seinem Bruder und dessen Frau gepflegt, deren Tochter Nina, die der eigentliche Grund zu einer überstürzten Heirat gewesen war, mittlerweile fast sieben Jahre war.

Man feierte auch gemeinsam Ginas glückliche Genesung. Allerdings war Enrico mit der kleinen Nina allein gekommen.

»Isa leidet mal wieder unter Kopfschmerzen«, erklärte er seufzend.

»Sie wollte bloß nicht mitkommen«, platzte das Kind heraus.

Enrico wurde verlegen, aber da Nina es in deutsch gesagt hatte, verstand es Gina noch nicht, und Mario nickte nur auf Enricos bedeutungsvollen Blick.

Gina befaßte sich dann mit ihrer kleinen Nichte, und die Brüder führten ein ernstes Gespräch, von dem die junge Frau nichts erfuhr.

*

So ganz nebenbei erfuhr Fee Norden ein paar Tage später von ihrem Sohn Danny, daß Nina Retho dieselbe Schulklasse besuchte wie er. In der kurzen Zeit, die er nun zur Schule ging, hatte Fee erst die Mitschüler kennengelernt, die in ihrer Nähe wohnten.

Als sie Danny von der Schule abholte, sah sie das hübsche, schwarzhaarige kleine Mädchen, das ganz allein und sichtlich traurig den Heimweg antrat.

»Wer ist das?« fragte Fee.

»Die Nina, das Italienerkind«, erwiderte Danny. »Aber sie spricht richtig deutsch, Mami.«

»Und warum geht niemand mit ihr?«

Danny zuckte verlegen die Schultern. »Sind doch Ausländer.«

»Mir gefällt es nicht, wenn du so etwas sagst, Danny«, sagte Fee ernst.

»Kann doch nichts dafür. Die anderen Kinder sagen es, und wenn ich mit ihr rede, reden sie mit mir auch nicht.«

»Das finde ich sehr traurig.«

»Ich würde ja mit ihr reden, aber dann darf Nicki bestimmt nicht mehr mit mir spielen. Frag doch mal seine Mami, was Ninas Mutter für eine ist.«

Fee kannte Nickis Mutter recht gut. Sibylle Detloff war die junge Frau eines bekannten Opernsängers und gewiß keine engstirnige Frau. Da sie mit ihrem Mann viel gereist war, sollte man auch annehmen, daß sie keine Aversion gegen Ausländer hegte. Fee nahm sich vor, sehr bald mit ihr zu sprechen, da ihr das traurige Kindergesicht nicht aus dem Sinn ging. Sie wußte nur zu gut, wie schnell ein Kind einen seelischen Knacks wegbekommen konnte, wenn es ins Abseits gedrängt wurde.

»Bist du jetzt böse mit mir, Mami?« fragte Danny betreten.

»Nein, böse bin ich nicht, aber ich finde es nicht gerecht, wenn man ein Kind meidet.«

»Wir wohnen doch weit weg, wir haben nicht denselben Weg«, erklärte Danny mit kindlicher Naivität. »Und außerdem haben wir selbst drei Kinder. Manchmal mag ich überhaupt nicht mit andern spielen, weil sie so dumm reden. Wenn du das erst hörst, wärest du wirklich böse, Mami.«

Mit der Schule beginnen die Probleme, Fee, hatte Daniel zu seiner Frau gesagt, du wirst es auch nicht verhindern können. Es ist nicht zu verhindern, daß die Kinder dann auch mal in Gesellschaft geraten, die uns nicht gefällt.

Würde es ihm auch nicht passen, wenn Danny mit einem »Ausländerkind« spielte? Sie fragte ihn am Abend danach.

»Wie kommst du denn auf so absurde Gedanken, Fee?« staunte er.

Sie erzählte von der kleinen Nina, und er horchte auf. »Sagtest du Retho? Wenn das Verwandte von Mario Retho sind, hätte ich überhaupt keine Bedenken, die Kleine zu uns einzuladen. Ich habe dir doch von der jungen Frau mit der Fischvergiftung erzählt. Das war die Frau von Mario Retho. Aber sie hat noch kein Kind. Sie hatte durch die Vergiftung eine Fehlgeburt. In diesem Fall muß man so gar richtig froh sein. Bevor du mit Frau Detloff sprichst, solltest du dich lieber mit der Lehrerin unterhalten. Wie heißt sie doch gleich noch mal?«

»Klingeldei.«

»Lieber Gott, für eine Lehrerin auch nicht gerade der passende Name, da werden diese Rangen bald ihre Reimchen darauf machen.«

»Sie scheint recht energisch zu sein und wird die Kinder schon an der Kandare halten. Man kann sich ja nicht umtaufen lassen, um sich gewisse Anzüglichkeiten zu ersparen.«

»Als Frau kann man höchstens heiraten, um einen andern Namen zu bekommen.«

»Ich hätte dich auch geheiratet, wenn du Klingeldei heißen würdest«, sagte Fee schelmisch. »Ich werde morgen zu ihr gehen.«

*

Enrico Retho kam spät von der Arbeit nach Hause. Mit mürrischer Miene wurde er grußlos von seiner Frau empfangen.

»Wie lange soll ich das Essen noch warm halten?« fragte sie gereizt.

Enrico war ein ruhiger Mann, kein temperamentvoller Südländer. Sonst hätte es bei ihnen wohl schon Mord und Totschlag gegeben, wie er neulich seinem Bruder Mario eingestanden hatte.

»Ich muß arbeiten, um gut zu verdienen, Isa«, sagte er ruhig. »Wir brauchen viel Geld.«

Ihr hübsches, aber ordinäres Gesicht verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. »Was hast du mir für goldene Berge versprochen?« fuhr sie ihn an. »Immer hältst du mir vor, daß ich zuviel Geld brauche.«

»Ich habe viel geschaffen«, sagte er. »Wir haben eine schöne Wohnung, aber du gibst viel Geld aus, wovon ich nichts sehe.«

Da sie von Anfang an darauf bestanden hatte, deutsch mit ihm zu sprechen, hatte er es gut gelernt. Es kam ihm zugute, und er war anfangs auch sehr froh gewesen, daß sie ihn anspornte. Aber mehr leisten konnte er einfach nicht. Ihm fehlte die Vorbildung. Er verdiente viel besser als die meisten seiner italienischen Kollegen, bedeutend mehr auch als sein Bruder Mario. Aber seit er sah, wie Gina wirtschaften konnte, stieg es ihm doch bitter auf, daß Isa nie auskam.

Wie sie sich verändert hatte! Vor sieben Jahren, als er sie kennenlernte, war sie ein hübsches, flottes Mädchen gewesen. Eine Blondine, der man am Strand der Adria nachschaute. Er hatte sich in sie verliebt. Er war hingerissen gewesen, und er hatte sie Hals über Kopf geheiratet, als die Sommerliebe Folgen hatte.

Er liebte seine Nina abgöttisch, und des Kindes wegen sah er seiner Frau so manches nach.

Was er aber an diesem Abend zu hören bekam, brachte ihn doch auf die Palme.

»Ich kriege wieder ein Kind, ich will es nicht«, sagte sie. »Ich lasse es wegbringen, dazu brauche ich Geld.«

Augenblicklich sah er rot, aber er konnte sich beherrschen. »Das gibt es in unserer Familie nicht«, sagte er zornbebend, das nicht!«

»Eure Familie«, höhnte sie, »was ist denn da schon dran! Die Mama, die immer was braucht, die Schwester, die ihre Aussteuer braucht. Deine Schwägerin kommt doch auch aus einem Stall.«

»Und woher kommst du?« fragte er. »Was hast du mir alles erzählt, wie fein es bei euch zugegangen ist? Reden wir einmal darüber.«

Isa kniff die Augen zusammen. Wenn er so aufbrauste, wenn seine Augen so funkelten, schraubte sie lieber zurück.

»Ich fühle mich nicht wohl«, sagte sie. »Mach dir das Essen selber warm.«

Nina kam aus ihrem Zimmer geschlichen. Wie stolz war er gewesen, daß es in dieser schönen Wohnung auch ein eigenes Zimmer für sein Kind gab, und das war groß genug für ein zweites. Ja, sie hatten eng gewohnt, sie hatten sehr sparsam leben müssen, aber sie waren doch gut und anständig geblieben. Gut und anständig, das hatte ihnen die Mama immer wieder eingebläut. Natürlich mußte man für die Mama sorgen, da sie nun alt geworden war. Aber er konnte nicht soviel dazu beitragen, weil Isa alles an sich riß. Er hatte sich geschämt vor seinem Bruder Mario, der regelmäßig Geld heimschickte nach Neapel.

»Sie schimpft den ganzen Tag«, sagte das Kind leise. »Sie schimpft jetzt auch immer auf Tante Gina.«

»Hast du schon was gegessen, Nina?« fragte er. Das Kind schüttelte verneinend den Kopf.

»Dann essen wir jetzt.«

»Es schmeckt ja doch nicht. Können wir nicht zu Tante Gina gehen?«

»Heute nicht mehr. Es ist schon spät. Wie geht es in der Schule, Nina?«

»Die Kinder reden nicht mit mir«, erwiderte sie.

»Warum nicht?«

»Weil Mama gemein zu Frau Detloff war.«

»Wer ist das?«

»Die Mami von Nicki. Zuerst war er nett, und ich durfte zu ihm gehen. Ich habe auch ein gutes Essen bekommen. Aber dann hat Mama mit ihr gestritten.«

»Worüber, Nina?«

»Ich verstehe es doch nicht, Papa. Mama hat etwas gelesen über Nickis Mutter. Ich will am liebsten nicht mehr in die Schule gehen, und am allerliebsten ­würde ich bei Tante Gina sein. Die versteht wenigstens kein Deutsch.«

»Sie wird es lernen.«

»Und dann wird sie auch traurig sein, wenn sie Itaker geschimpft wird.«

»Mama mia, mich beschimpft doch keiner. Zu mir ist jeder freundlich«, sagte Enrico heiser. »Und Mama ist eine Deutsche.«

»Aber sie redet ordinär, sagte Nicki, und deshalb darf er nicht mehr mit mir reden.«

Enrico raufte sich das dichte dunk­le Haar, das schon manche weiße Strähne aufwies.

»Vielleicht sind sie wieder nett, wenn du mich auch mal mit dem Auto zur Schule bringst, Papa«, sagte die Kleine. »Die meisten Kinder werden gebracht und auch abgeholt. Sie sind eben alle reich, sagt Mama, deshalb wollen sie mit mir nicht reden.«

Enrico war der Appetit vergangen. Er saß am Tisch und stützte den Kopf in die verarbeiteten Hände. Ich hätte zu Hause bleiben und Antonia heiraten sollen, dachte er. Dann wäre alles gut gewesen. Aber es mußte ja die blonde Deutsche sein. Und dann blickte er in Ninas nachtdunkle traurige Augen.

»Es kommt bestimmt alles in Ordnung, mein Liebling«, sagte er leise. »Schlaf jetzt. Mama ist sicher krank.«

»Sie ist immer krank«, sagte Nina, »sie ist nur dann gesund, wenn ich in der Schule bin, das hat Nickis Mutter gesagt.« Sie seufzte. »Und manchmal ist sie auch den ganzen Nachmittag gesund, weil sie nicht da ist, bis du kommst.«

»Und was machst du dann?« fragte er.

»Ich warte auf dich, Papa. Aber vorher kommt sie immer.«

»Warum hast du mir das noch nicht gesagt?«

»Weil sie mich dann schlägt, und das tut weh. Sag ihr nichts, Papa, sonst schlägt sie mich wieder«, flehte das Kind.

An diesem Abend brach für Enrico Retho alles zusammen, aber dennoch wollte er retten, was noch zu retten sein konnte.

Er ging zu seiner Frau. Sie lag im Bett. »Laß mich in Ruhe«, stieß sie hervor.

»Wir müssen miteinander reden, Isa«, sagte er.

»Was denn noch? Ich will kein Kind mehr! Das eine langt.«

»Wir können zurückgehen nach Italien«, sagte er.

Sie richtete sich auf und sah ihn mit zornigen Augen an. »Zu Mama in die Hütte. Das könnte dir so passen. Ich habe genug falsch gemacht, das nicht. Ich will frei sein. Ich will noch was vom Leben haben.«

»Ach, so ist es«, sagte er leise. »Aber wenn es so ist, das Kind bekommst du nicht.«

»Behalt es doch«, schrie sie ihn an. »Meinst du, mir gefällt es, schief angesehen zu werden? Bring es doch zu der lieben Gina, die wenigstens nicht versteht, was die Leute hinter unseren Rücken reden. Du hast es noch immer nicht begriffen, Enrico. Ihr könnt nur die Dreckarbeiten machen.«

Er schüttelte den Kopf. »Deutsche machen die Arbeit auch«, sagte er rauh. »Jemand muß sie machen. Du wolltest nur alles auf einmal, Isa, den Fernseher, die Waschmaschine, den Pelzmantel letztes Jahr.«

»Das billige Ding für achthundert Mark. Die andern tragen welche, die Tausende kosten«, zischte sie.

»Es gibt immer Unterschiede. Was hast du gehabt, als wir geheiratet haben?«

»Du hast mir das Kind angehängt«, schluchzte sie hysterisch. »Was sollte ich denn tun?«

Er drehte sich um und verließ das Zimmer.

Isa ballte die Hände zu Fäusten. Der Neid war es, der sie auffraß. Was hatten diese Leute hier für herrliche Häuser und immer die modernsten Autos. Wie schick waren die Frauen gekleidet, und jede Woche gingen sie zum Friseur.

Wäre sie doch nur nicht von zu Hause ausgerissen. Ihr Vater war zwar nur Metzger gewesen, aber sie hatte gehört, daß er ein dickes Bankkonto hatte. Sie war auch nach Hause gefahren, um sich wieder mit den Eltern zu versöhnen, aber als die gehört hatten, daß sie einen Italiener geheiratet hatte, war sie schnell wieder draußen gewesen. Alles steckten sie in ihre jüngere Schwester hinein, die Krankengymnastin geworden war. Dieses unscheinbare Ding würde auch eine fette Mitgift kriegen und sich einen Akademiker angeln. Und sie ging nun auf die Dreißig zu, und kaum ein Mann drehte sich nach ihr noch um wie früher.

Sie lag da und starrte zur Decke. Noch mal ein Kind, noch mehr Pfunde, das alles noch mal durchmachen. Aber immerhin brachte Enrico doch ganz schönes Geld ins Haus. Es war besser als gar nichts. Aber das Kind wollte sie nicht, nein, das nicht.

Was hatte Enrico doch von Gina erzählt? Sie hatte eine Fischvergiftung und hatte ihr Baby dadurch verloren. Dr. Norden hätte ihr geholfen.

Norden? Hieß nicht der kleine Junge auch Norden, von dem Nina gesagt hatte, daß er immer sehr nett zu ihr gewesen sei?

Isa überlegte. Dann stand sie auf und ging ins Wohnzimmer. Enrico saß vor dem Fernseher und schaute sich ein Fußballspiel an.

»Sei nicht böse, Rico«, sagte sie leise. »Es muß am Wetter liegen, daß ich so gereizt war.«

»Das ist die einzige Ausrede, die du kennst«, sagte er rauh.

*

Am nächsten Morgen brachte Isa die kleine Nina zur Schule. Sie tat es nicht etwa aus mütterlicher Fürsorge, und außerdem stand sie ungern so früh auf, aber sie war neugierig, ob die anderen Kinder Nina tatsächlich immer noch mieden. Außerdem hatte sie sich noch einiges vorgenommen für diesen Vormittag.

Sie gab sich Mühe, besonders freundlich zu Nina zu sein, und tatsächlich ließ sich die Kleine mit einigen Süßigkeiten bestechen. Wer wollte es ihr verdenken. Sie bekam ja so selten etwas von ihrer Mutter zugesteckt, und nun dachte Nina, daß der Papi, den sie innig liebte, da wohl ein Machtwort gesprochen hätte.

Auch Fee Norden brachte Danny zur Schule. Sie kamen allerdings mit dem Auto. Fee wollte ja mit Frau Klingeldei sprechen.

»Das ist der Danny Norden«, wisperte Nina, »und seine Mami. Die ist schön.«

Isa gefiel es gar nicht, wenn ihr so was in den Ohren tönte. Schöne Frauen erregten nur ihren Zorn. Wenn sie auch noch so damenhaft waren wie Fee Norden, dann auch grenzenlosen Neid. Sie war immer unzufrieden mit ihrem Schicksal gewesen. Und dabei hatte sie sich selbst doch stets für eine Schönheit gehalten. Allerdings war sie zu töricht, um sich Gedanken zu machen, daß wirkliche Schönheit erst durch Charakter und Gefühl geprägt wurde.

»Das ist die Mama von Nina«, flüsterte auch Danny, aber Fee wollte sich diese Frau nicht zu intensiv anschauen.