Dr. Norden Bestseller 151 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 151 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Wenn Lady Clarissa Thornhill auf der Insel der Hoffnung erwartet wurde, bereitete man stets einen besonders festlichen Empfang vor. Seit Bestehen der Insel kam Lady Clarissa jedes Jahr für sechs Wochen hierher. Mit Dr. Johannes Cornelius und seiner Frau Anne hatte sie längst Freundschaft geschlossen. Seit vierzehn Jahren war sie mit Robert Thornhill in zweiter Ehe verheiratet. Über ihre erste Ehe sprach sie nie. Wozu auch, meinte Anne Cornelius, denn sie wußten ja, wie glücklich Clarissa mit ihrem Mann und dessen Sohn Tim war, dessen Mutter sehr früh gestorben war. Robert Thornhill trug seine Frau auf Händen, und Tim betete seine Mummy an. Er war jetzt zweiundzwanzig Jahre und studierte in München. An diesem Vormittag war er jedoch nicht zur Vorlesung gegangen. Ungeduldig wartete er auf dem Flugplatz auf die Ankunft des Flugzeuges aus London, mit dem Clarissa kommen sollte. Zwei Tage wollte sie in München verbringen und Einkäufe tätigen, bevor sie zur Insel der Hoffnung weiterfuhr. Und selbstverständlich wollte sie sich auch Zeit nehmen für einen Besuch bei Dr. Daniel Norden und seiner Frau Fee, um sich zu überzeugen, wie die Kinder gediehen, die sie ja von kleinauf kannte. Tim Thornhill war ein hochgewachsener junger Mann mit rostbraunem Haar, hellwachen grauen Augen und jenem Charme, den man »englisch« nannte, der einfach vorhanden war, ohne betont zu werden. Viele wohlgefällige Blicke galten ihm, doch er nahm diese nicht zur Kenntnis. Sonst die Ruhe selbst, wurde er nervös, als für die Maschine Verspätung angesagt wurde. Aber dann kam sie endlich, und Tim sah seine Mummy schon von weitem. Zweiundvierzig

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Dr. Norden Bestseller – 151 –

Das geheimnisvolle Muttermal

Patricia Vandenberg

Wenn Lady Clarissa Thornhill auf der Insel der Hoffnung erwartet wurde, bereitete man stets einen besonders festlichen Empfang vor.

Seit Bestehen der Insel kam Lady Clarissa jedes Jahr für sechs Wochen hierher. Mit Dr. Johannes Cornelius und seiner Frau Anne hatte sie längst Freundschaft geschlossen.

Seit vierzehn Jahren war sie mit Robert Thornhill in zweiter Ehe verheiratet. Über ihre erste Ehe sprach sie nie. Wozu auch, meinte Anne Cornelius, denn sie wußten ja, wie glücklich Clarissa mit ihrem Mann und dessen Sohn Tim war, dessen Mutter sehr früh gestorben war.

Robert Thornhill trug seine Frau auf Händen, und Tim betete seine Mummy an.

Er war jetzt zweiundzwanzig Jahre und studierte in München. An diesem Vormittag war er jedoch nicht zur Vorlesung gegangen. Ungeduldig wartete er auf dem Flugplatz auf die Ankunft des Flugzeuges aus London, mit dem Clarissa kommen sollte.

Zwei Tage wollte sie in München verbringen und Einkäufe tätigen, bevor sie zur Insel der Hoffnung weiterfuhr. Und selbstverständlich wollte sie sich auch Zeit nehmen für einen Besuch bei Dr. Daniel Norden und seiner Frau Fee, um sich zu überzeugen, wie die Kinder gediehen, die sie ja von kleinauf kannte.

Tim Thornhill war ein hochgewachsener junger Mann mit rostbraunem Haar, hellwachen grauen Augen und jenem Charme, den man »englisch« nannte, der einfach vorhanden war, ohne betont zu werden.

Viele wohlgefällige Blicke galten ihm, doch er nahm diese nicht zur Kenntnis. Sonst die Ruhe selbst, wurde er nervös, als für die Maschine Verspätung angesagt wurde.

Aber dann kam sie endlich, und Tim sah seine Mummy schon von weitem. Zweiundvierzig Jahre war Clarissa Thornhill alt, eine schöne blonde Frau, ladylike vom Scheitel bis zur Sohle, von bestechender Anmut und wie immer mit dezenter Eleganz gekleidet.

Stürmisch wurde sie von Tim umarmt und geküßt. Zärtlich fuhr sie ihm durch das dichte Haar. »Erdrück mich nicht, Timmy«, sagte sie mit einem weichen Lachen.

»Ich bin so froh, dich zu sehen«, sagte er. »Warum hatte die Maschine Verspätung?«

»Der Start hatte sich verzögert. Wir müssen Daddy gleich anrufen, damit er sich keine Sorgen macht. Er kommt schon in vierzehn Tagen nach.«

Arm in Arm gingen sie zu Tims Wagen. »Laß uns erst zum Essen gehen«, sagte Clarissa. »Auf den Lunch im Flugzeug konnte ich verzichten. Nein, halt erst bei der Post an. Von dort bekomme ich am schnellsten Verbindung, wenn es mit der Durchwahl nicht klappen sollte.«

Aber es klappte mit der Durchwahl, und Clarissa konnte ihren Mann beruhigen, daß sie gut gelandet sei.

Tim hörte dann noch Ermahnungen seines Vaters, ja gut auf Clarissa aufzupassen, und Clarissa lachte dazu. »Ich habe schon zwei verrückte Männer«, sagte sie, aber man konnte es ihr ansehen, wie glücklich sie dar­über war.

»Nun erzähl mal, Tim«, bat Clarissa, als sie in einem ruhigen, stilvollen Restaurant beim Essen saßen. »Lerne ich diesmal eine Freundin kennen?« Ein schelmisches Lächeln umspielte dabei ihre Lippen.

»Fehlanzeige, Mummy. Es gibt keine, die dir gleichkommt. Die Frau muß erst noch gebacken werden, sagt man hier.«

»Kannst dir ja auch Zeit lassen«, meinte sie. »Und was macht das Studium?«

»Ich kann es mir leisten, ein paar Vorlesungen zu schwänzen und dich zu beschützen.«

Sie konnte sicher sein, daß er nicht von ihrer Seite weichen würde. Und welche Angst hatte sie einmal gehabt, daß Roberts Sohn sie ablehnen würde! Schließlich war Tim bereits acht Jahre gewesen, als sie Lady Thornhill geworden war, dem Schicksal dankbar, von einem großartigen, verständnisvollen Mann geliebt zu werden, der sie nach leidvollen Jahren einer glückverheißenden Zukunft entgegenführte. Aber Tim hatte sie sofort akzeptiert.

»Was brauchen wir fürs Abendessen, Tim?« fragte sie, als sie dann durch die Fußgängerzone zum Parkplatz gingen.

»Alles eingekauft, Mummy«, erwiderte er. »Ich weiß ja, was dir schmeckt.«

Die hübsche Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Englischen Gartens war blitzblank. Blumen standen zum Empfang bereit, und Clarissa konnte sich wieder einmal über ihren großen Sohn freuen, der ihnen tatsächlich niemals Sorgen bereitet hatte. Ja, sie hatte allen Grund dankbar zu sein, entschädigt dafür, was sie einmal am Leben verzweifeln ließ.

Es freute sie immer wieder, wie sorgsam Tim mit seinen Sachen umging und auch mit dem Geld, das ihm zwar reichlich zur Verfügung stand, das er aber doch nicht vergeudete.

Immer hatte er für Clarissa eine hübsche Überraschung bereit, wenn sie ihn besuchte, und diesmal war es ihm gelungen, zwei sehr gute Karten für »La Traviata« zu ergattern.

»Das ist ja wunderbar, Tim, wie hast du das angestellt?«

Er zwinkerte ihr verschmitzt zu. »Wir haben ja eine gute Fee in München. Sie hat ein bißchen nachgeholfen.«

»Fee Norden? Die Liebe! Ich werde sie gleich anrufen.«

»Brauchst du nicht, Mummy, wir treffen sie heute abend in der Oper, und wenn alles klappt, kommt Daniel auch mit.«

»Wie schön, ich freue mich! Du bist ein echter Schatz, Tim.«

»Das Prädikat billigen wir lieber Fee zu«, lachte er.

»Dir aber auch. Wenn dich die Nordens nicht so gern hätten, blieben sie auf Distanz.«

»Sie mögen vor allem dich, Mummy. Aber ich kann sagen, daß wir uns auch sehr gut verstehen. Es ist schön, wenn man immer mal mit so lieben Menschen beisammen sein kann. Es gibt so wenig Frauen, die so sind wie du und Fee.«

Er war sehr kritisch und sehr vorsichtig. Clarissa wußte es. Sie freute sich auf den Abend.

*

Fee Norden freute sich auch. Sie freute sich doppelt, weil Daniel sie begleiten konnte. Es lag endlich einmal kein dringender Fall vor, der sein Gewissen geplagt hätte, wenn er bei einem Anruf nicht gleich zur Stelle hätte sein können.

Fee hatte sich für das zartblaue Chiffonkleid entschieden und wurde von ihren Kindern wortreich bewundert. Für sie war die Mami die schönste Frau der Welt, und die liebste dazu. Für Daniel war sie auch noch die begehrenswerteste, aber er mußte ehrlich zugeben, daß auch Clarissa mit Superlativen bedacht werden konnte.

Sie trug ein Kleid aus lindgrüner Wildseide, das allein durch einen raffinierten Schnitt wirkte, und dazu eine rosaschimmernde Perlenkette.

Fee hatte sie gleich entdeckt. »Umwerfend wie immer«, raunte sie ihrem Mann zu.

»Du aber auch«, gab er zurück. »Und Tim kann sich auch sehen lassen. Er ist ein richtiger Mann geworden.«

»Die Mädchen sind ja auch genug hinter ihm her«, lächelte Fee. »Aber er schwärmt nur für seine schöne Mutter.«

»Immerhin ist sie seine Stiefmutter, und manchmal gibt mir das doch zu denken«, sagte Daniel leise.

»Laß das bloß Clarissa nicht hören! Von wegen Stiefmutter! Ein eigenes Kind könnte sie bestimmt nicht mehr lieben.«

Nun kam Clarissa auf sie zugeeilt, und eine sehr herzliche Begrüßung folgte. Zwei schöne blonde Frauen, zwei attraktive Männer, das blieb natürlich nicht unbeachtet.

»Schau mal, Michi, da ist Tim Thornhill«, sagte ein junges Mädchen zu ihrer Begleiterin. »Welche von den Blondinen mag wohl zu ihm ge­hören?«

»Keine Ahnung, unsere Altersklasse sind sie nicht, Nanni. Und damit können wir nicht konkurrieren«, erwiderte Michi seufzend. »Aber er ist ja auch eine Klasse für sich.«

Dann gingen sie aber Arm in Arm so dicht vorbei, daß Tim sie nicht übersehen konnte. »Hello«, sagte er, aber mehr nicht, und sie riefen auch nur »Hello« zurück.

Clarissa lächelte. »Nette Mädchen«, sagte sie, »willst du uns nicht bekannt machen, Tim?«

»Wozu? Man sieht sich mal auf der Uni oder zufällig woanders.«

Und nicht eine Spur von Interesse war aus der Bemerkung zu hören.

Sie konnten eine herrliche Aufführung erleben und saßen dann noch gemütlich in einer Weinstube zusammen. Clarissa versprach Fee, am nächsten Tag zu kommen, um den Kindern selbst die Mitbringsel zu geben.

»Es geht nicht um die Mitbringsel, sie wollen dich sehen«, sagte Fee. »Sie sprechen oft von dir.«

»Lieb, daß sie sich an mich erinnern«, sagte Clarissa, und plötzlich war ein Hauch von Wehmut in ihrer Stimme, was Fee nachdenklich stimmte. Aber schnell lenkte Clarissa ab.

»Ich hoffe, daß ihr mal auf die Insel kommt, solange ich dort bin«, sagte sie.

»Wir werden es möglich machen«, versprach Fee.

Dann gelang es Clarissa, Daniel ganz kurz allein zu sprechen, aber Fee entging es nicht, daß sie mit ihm flüsterte.

*

»Was wollte Clarissa von dir?« fragte sie.

»Dir entgeht wirklich nichts«, erwiderte er mit einem flüchtigen Lächeln, aber sein Gesicht war auch nachdenklich.

»Sie will morgen mal in die Praxis kommen, aber sie muß erst Tim irgendwie abwimmeln, weil er sie ja keinen Schritt allein gehen läßt.«

»Und was will sie in der Praxis?« fragte Fee sinnend.

»Ich weiß es noch nicht, aber du wirst es mir bestimmt entlocken, mein Schatz.«

»Sie ist so offen«, sagte Fee gedankenvoll, »aber über ihre erste Ehe hat sie noch nie ein Wort verloren.«

»Vielleicht lohnt es sich nicht, ein Wort darüber zu verlieren, mein Liebes. Jetzt hat sie jedenfalls einen Ehemann und einen Sohn, von denen sie angebetet wird.«

»Sie verdient es«, sagte Fee. »Sie ist klug, schön und liebenswert dazu.«

»Genau wie du. Der Schöpfer hatte eine Sternstunde, als er seinen Segen über eure Mütter ergoß.«

»Ich will nicht, daß du spottest, Daniel.«

»Das meine ich wirklich ernst, Geliebte, auch wenn es theatralisch klingt«, sagte er und küßte sie auf die Nasenspitze.

Am nächsten Vormittag machte Clarissa Einkäufe. Natürlich war Tim immer an ihrer Seite. Er fuhr sie auch zu den Nordens. Aber da kam ihr dann doch eine Idee. Einen Ort gab es, wohin er sie nicht begleitete, den Friseur, und sie konnte sich da Fee Nordens Hilfe sicher sein, denn sie hatte einen ausgezeichneten Friseur. Und eine zweite Idee hatte sie auch noch.

Von den Kindern wurden sie jubelnd begrüßt. Tim war ja öfter bei den Nordens und wurde besonders von Anneka heiß geliebt, die ihm schon jetzt versicherte: »Heirate dich mal, Tim.«

Natürlich lachte man darüber, aber Clarissa dachte sich dabei mehr. Tim liebte Kinder, und sie konnte sehen, wie reizend er sich mit ihnen beschäftigte. Sie konnte wirklich nur hoffen, daß er einmal eine Frau fand, die ihn ganz verstand, die nicht nur sein anziehendes Äußere begehrenswert fand, sondern auf seine Gedanken und Gefühle eingehen konnte, die er nicht jedem offenbarte.

Und ihr fiel es schwer, ihn zu beschwindeln, aber was sie mit Daniel Norden besprechen wollte, lag ihr sehr am Herzen.

»Ich habe eben beschlossen, daß ich zu Fees Friseur gehe und mir einen neuen Schnitt verpassen lasse, Tim«, sagte sie, »und du könntest mir inzwischen ein paar Bücher besorgen, die ich mit auf die Insel nehmen möchte. Fee hat sie mir empfohlen. Es gibt in der Nähe eine sehr gute Buchhandlung.«

»Ich bringe dich selbstverständlich zum Friseur und hole dich auch wieder ab«, sagte er.

»Abholen brauchst du mich nicht«, erwiderte Clarissa. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Wir treffen uns dann wieder hier. Fee möchte, daß wir zum Abendessen bleiben.«

»Ja, ihr sollt bleiben!« riefen die Kinder.

Was Clarissa nur von Daniel will, überlegte Fee. Wenn es um einen ärztlichen Rat geht, könnte sie doch auch Paps fragen.

Aber sie hatte ihren Friseur schon angerufen. Clarissa wurde schnellstens bedient, und als sie das Geschäft verließ, blickte sie sich erst vorsichtig um, ob Tim nicht doch irgendwo warten würde.

Doch Tim hatte indessen etwas ganz anderes zu tun, was Clarissa nicht im entferntesten ahnen konnte.

Er hatte die Buchhandlung kaum betreten, als er auch schon wie festgenagelt stehenblieb und ein junges Mädchen anstarrte, das auf einer Leiter stand und herunterblickte, als der Türgong anschlug. Nur zwei Kunden waren im Laden.

Das Mädchen hatte braunes Haar, aber das bemerkte Tim gar nicht. Was er bemerkte, raubte ihm den Atem, denn dieses Mädchen sah Clarissa so ähnlich, daß ihm der Herzschlag stockte. Immer hatte er sich gewünscht, einmal einem Mädchen zu begegnen, das Clarissa auch nur entfernt ähnlich sehen möge, aber nun blickte er in violette Augen, umgeben von einem dichten schwarzen Wimpernkranz, er sah ein ovales Gesicht, eine feine, kurze Nase, einen weichen Mund, der nicht oft zu lächeln

schien.

Das Mädchen stieg die Leiter herab. Lange, schlanke, wohlgeformte Beine sah Tim auch, aber das Gesicht war ihm viel wichtiger.

»Sie wünschen?« fragte das Mädchen leise und verlegen errötend, weil er sie so durchdringend anblickte.

Reiß dich zusammen, Tim, mahnte er sich und brachte es dann tatsächlich fertig, den Zettel aus seiner Jackentasche zu nehmen, den Clarissa ihm gegeben hatte.

»Haben Sie diese Bücher?« fragte er.

»Ich muß nachschauen. Ich bin erst drei Wochen hier«, erwiderte das Mädchen.

»Sie können sich ruhig Zeit lassen«, sagte Tim. »Ich schaue mich um.«

Sein Deutsch war perfekt, aber der Akzent gab ihm eine aparte Note.

»Sie sind Engländer?« fragte das Mädchen.

»Wie kommen Sie so schnell darauf?« fragte er überrascht.

»Ich war vier Wochen in England im Schüleraustausch.« Sie lächelte. Es war ein bezauberndes Lächeln. »Ich höre den Akzent sofort heraus. Und ich freue mich, wenn ich Englisch sprechen darf, damit ich in der Übung bleibe.«

»Dann sprechen wir doch Englisch«, sagte er, mit einem unbegreiflichen Glücksgefühl, wie er es noch niemals empfunden hatte.

*

Clarissa ließ sich mit einem Taxi zu Dr. Norden bringen. Genau fünfzig Minuten hatte sie bei dem Friseur verbracht. Mehr als zehn Minuten würde sie nicht brauchen, um sich von Dr. Norden die Frage beantworten zu lassen, die ihr so am Herzen lag, und sollte Tim tatsächlich noch zu dem Friseur fahren, um sie abzuholen, denn zuzutrauen war ihm das schon, konnte sie immer noch sagen, daß sie sich noch ein paar Schaufenster angeschaut hatte.

Auf keinen Fall sollte Tim erfahren, was ihr doch einige Sorgen bereitete, und schon gar nicht sein Vater.

Daniel war vorbereitet. Loni hatte Clarissa ins Labor geführt. Sie brauchte nur zwei Minuten zu warten. Sie hatte ihre Bluse schon aufgeknöpft. »Ich möchte, daß du dir das mal anschaust, Daniel«, sagte sie ohne lange Vorrede. »Ich habe neulich im Fernsehen einen Bericht gesehen über Melanome, die man beachten soll, und möchte jetzt wissen, was es mit diesem dunklen Punkt an meiner Schulter auf sich hat.«

»Na, du jagst mir vielleicht einen Schrecken ein, Clarissa«, sagte Daniel, »das ist doch kein Melanom.«

»Es wurde aber gesagt, daß ein Muttermal bösartig werden kann und daß man es beachten soll. Ich gerate nicht in Panik, aber ich würde es sofort operieren lassen, wenn nur der geringste Verdacht bestehen würde.«

»Es ist ein hübsches, kleines rundes Muttermälchen«, scherzte er, »aber wenn du willst, schaue ich es mir ganz genau an. Und wenn du mir nicht traust, läßt du es von Paps nochmals untersuchen. Er versteht sich darauf.«

»Ich wollte es vorher wissen. Ich würde in München bleiben, wenn es operiert werden müßte. Ich will nur nicht, daß Bob und Tim in Panik versetzt werden. Ich darf ja nicht mal husten, dann werden schon Kapazitäten beschäftigt.«

»Du siehst, wieviel du ihnen wert bist, Clarissa. Wieviel oder wie wenig Frauen können das schon sagen?« Er betrachtete das Muttermal ganz genau durch einen Apparat und lachte leise. »Früher haben sich das die Damen angeklebt, um ihre zarte Haut noch reizvoller erscheinen zu lassen«, sagte er. »Nun, manche haben auch mit einem dunklen Pflästerchen einen Pickel überdeckt, aber was dir die Natur da mitgegeben hat, ist wirklich nur ein hübsches Pünktchen, das man als Muttermal bezeichnen könnte, sofern es sich tatsächlich vererbt hat.«

»Meine Mutter sagte, daß es von der Natur gewollt sei, damit ich unverwechselbar wäre.« Sie lachte leise auf. »Ich brauche mir also keine Gedanken zu machen?«

»Keinen«, erwiderte er.

»Wenn du es sagst, glaube ich es. Dann werde ich wieder zu Fee eilen, damit mein besorgter Sohn sich nicht schon auf die Suche nach mir begibt.«

Aber zu ihrem Erstaunen war Tim noch nicht da, als sie im Hause Norden ankam.

»Es wird ihm doch nichts passiert sein«, sagte sie ängstlich.

»Ihr seid mir so welche«, lächelte Fee, »einer kann ohne den andern nicht sein. Mich wundert es, daß Tim es in München so lange aushält. Manchmal plagt ihn das Heimweh schon arg.«

Clarissa blickte zum Fenster hinaus. »Bob will es, daß er hier studiert. Er ist eifersüchtig auf Tim. Dir kann ich es sagen. Aber was soll ich tun, Fee? Ich war so froh, daß Tim mich gleich akzeptiert hat. Ich wollte ihm doch eine gute Mutter sein.«

»Du bist ihm die beste Mutter geworden, und daß er für dich schwärmt, kann ihm nur zugute kommen und ihn vor Abenteuern bewahren.«

*

Tim merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Das Mädchen hatte ihm gesagt, daß zwei Bücher erst bestellt werden müßten.

»Gut, dann bestellen Sie diese. Wann kann ich sie haben?«

»Am Montag vielleicht«, erwiderte das Mädchen.

»Fräulein Clement, würden Sie bitte mal kommen, es geht um eine Reklamation«, rief der Chef.

»Würden Sie mich bitte entschuldigen?« sagte das Mädchen verwirrt zu Tim.

»Ich warte«, sagte er.

Es dauerte zehn Minuten, bis das Mädchen zurückkam. »Haben Sie Ärger bekommen?« fragte Tim, als er merkte, wie verwirrt sie war.

»Nicht direkt. Manche Kunden sind ziemlich komisch. Sie kaufen ein Buch, lesen es und wollen es dann umtauschen. Aber mein Chef glaubt mir.«

»Das wird sein Glück sein«, sagte Tim. »Mit mir bekommen Sie keinen Ärger. Aber ich möchte Sie wiedersehen.«

Sie warf ihm einen scheuen Blick zu. »Ich soll die Bücher bestellen?« fragte sie.

»Und immer wieder welche«, erwiderte Tim, »bis ich Sie mal zum Essen einladen darf.«