Dr. Norden Bestseller 155 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 155 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Daniela Alberti zitterte am ganzen Körper, als sie Dr. Norden die Haus­tür öffnete. »Flori hat hohes Fieber«, flüsterte sie, »sonst hätte ich Sie nicht so spät noch gerufen, Herr Doktor.« Es war fast elf Uhr abends, aber Dr. Norden wußte, daß Daniela ihn nicht wegen einer Bagatelle aufgescheucht hätte. Sie war eine rücksichtsvolle, fast scheue Frau. Dr. Norden wußte allerdings auch, daß Rolf Alberti ein tyrannischer Mann war. Der war allerdings wieder einmal nicht zu Hause, und als Dr. Norden den Jungen untersucht hatte, wußte er, daß er der ohnehin schon erregten Mutter einen neuen Schrecken einjagen mußte. »Es ist der Blinddarm, Frau Alberti. Florian muß sofort in die Klinik.« Daniela preßte die geballte Hand an die trockenen Lippen, aber das Aufstöhnen war dennoch zu vernehmen. »Helfen Sie ihm, bitte, helfen Sie ihm«, flüsterte sie tonlos. »Er ist doch alles, was ich habe.« Natürlich war sie erregt und völlig fertig mit den Nerven, aber diese Worte erschreckten Dr. Norden doch, denn tiefste Verzweiflung tönte da mit. Er rief den Krankenwagen herbei. »Wollen Sie mitfahren, Frau Alberti?« fragte er. Sie nickte und wischte schnell die Tränen fort, die über ihre Wangen rollten. »Ich fahre voraus. Flori wird in die Behnisch-Klinik gebracht und dort auch operiert. Sie dürfen sich jetzt nicht so aufregen.« »Sie wissen ja nicht, wie es bei uns zugeht«, murmelte sie tonlos. Aber da kam schon der Krankenwagen. Florian wurde auf die Trage gebettet. Daniela bot ein Bild, das den Arzt erschütterte. »Wenn ich Sie nicht hätte«, flüsterte sie, dann stieg sie in den Krankenwagen. Er fuhr voraus. Die Klinik war

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Dr. Norden Bestseller – 155 –

Auf des Messers Schneide

Patricia Vandenberg

Daniela Alberti zitterte am ganzen Körper, als sie Dr. Norden die Haus­tür öffnete.

»Flori hat hohes Fieber«, flüsterte sie, »sonst hätte ich Sie nicht so spät noch gerufen, Herr Doktor.«

Es war fast elf Uhr abends, aber Dr. Norden wußte, daß Daniela ihn nicht wegen einer Bagatelle aufgescheucht hätte. Sie war eine rücksichtsvolle, fast scheue Frau. Dr. Norden wußte allerdings auch, daß Rolf Alberti ein tyrannischer Mann war.

Der war allerdings wieder einmal nicht zu Hause, und als Dr. Norden den Jungen untersucht hatte, wußte er, daß er der ohnehin schon erregten Mutter einen neuen Schrecken einjagen mußte.

»Es ist der Blinddarm, Frau Alberti. Florian muß sofort in die Klinik.«

Daniela preßte die geballte Hand an die trockenen Lippen, aber das Aufstöhnen war dennoch zu vernehmen.

»Helfen Sie ihm, bitte, helfen Sie ihm«, flüsterte sie tonlos. »Er ist doch alles, was ich habe.«

Natürlich war sie erregt und völlig fertig mit den Nerven, aber diese Worte erschreckten Dr. Norden doch, denn tiefste Verzweiflung tönte da mit.

Er rief den Krankenwagen herbei. »Wollen Sie mitfahren, Frau Alberti?« fragte er.

Sie nickte und wischte schnell die Tränen fort, die über ihre Wangen rollten.

»Ich fahre voraus. Flori wird in die Behnisch-Klinik gebracht und dort auch operiert. Sie dürfen sich jetzt nicht so aufregen.«

»Sie wissen ja nicht, wie es bei uns zugeht«, murmelte sie tonlos. Aber da kam schon der Krankenwagen. Florian wurde auf die Trage gebettet. Daniela bot ein Bild, das den Arzt erschütterte. »Wenn ich Sie nicht hätte«, flüsterte sie, dann stieg sie in den Krankenwagen.

Er fuhr voraus. Die Klinik war durch Sprechfunk verständigt worden. Dr. Dieter Behnisch und seine Frau Jenny waren zur Stelle. Ein Notruf ihres Freundes Daniel machte sie hellwach. Und es ging um das Leben eines Kindes, das an einem hauchdünnen Faden hing.

Florian Alberti war ein zartes Kind, das Dr. Norden schon manche Sorgen bereitet hatte. Aber glücklicherweise konnte er über die Blutgruppe genaue Angaben machen, über die Unverträglichkeit mancher Medikamente, und er übernahm auch die Anästhesie, damit Dieter und Jenny Behnisch zu dieser nächtlichen Stunde sofort mit der Opera­tion beginnen konnten, denn trotz des Fiebers mußten sie das Risiko eingehen. Nur allein diese Schnelligkeit konnte Florians Leben retten, denn der Blinddarm war kurz vor dem Durchbruch.

Mit der gerade noch geglückten Operation war jedoch die Gefahr für das Kind noch nicht gebannt. Jetzt kam es darauf an, wie der Kreislauf die Belastung bewältigte.

Daniela Alberti lehnte an der kalten Wand, aber sie spürte die Kälte nicht mehr. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Mein Kind muß leben, dachte sie nur unentwegt, und kein anderer Gedanke hatte Platz in ihrem schmerzenden Kopf.

Dann trat Dr. Norden aus der Tür, auf die sie ihren Blick gerichtet hatte. Bleich und abgespannt sah er aus. Daniela taumelte auf ihn zu.

»Sie dürfen hoffen, Frau Alberti«, sagte er leise. »Die Operation ist geglückt. Warum haben Sie mich diesmal nicht früher gerufen?«

»Florian hat doch nichts gesagt«, schluchzte sie auf. »Morgen wollten wir zu meiner Mutter fahren, darauf hat er sich so gefreut. Er wollte wohl nicht, daß etwas dazwischenkommt. Und außerdem ist er sehr früh in sein Zimmer gegangen, weil mein Mann ihn mal wieder angefaucht und eine Memme gescholten hat. Ich wollte mit dem Jungen gehen, für immer, Herr Doktor. Es ist wohl nicht die Zeit, das zu sagen, aber ich halte dieses Leben nicht mehr aus, und Flori sollte doch wenigstens eine kummerfreie Schulzeit haben. Er ist nun mal ein Spätentwickler, aber mein Mann… Ach, was soll es. Ich will nur, daß er gesund wird.«

»Ich bringe Sie jetzt heim, Frau Alberti. Sie können sich ja kaum noch auf den Füßen halten. Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel, und wenn Sie sich ausgeschlafen haben, sprechen wir mal über Ihre Sorgen.«

»Ich kann doch nicht schlafen. Ich möchte bei Flori bleiben«, flüsterte sie.

»Er wird jetzt schlafen, und Sie können ihm nicht helfen. Das besorgen sehr gute Ärzte. Diese Gewißheit kann ich Ihnen geben.«

Danielas Gedanken irrten ab. Sie dachte an die Koffer, die bereits ­gepackt waren, die Rolf sehen ­würde, wenn er heimkam. Sie hatte den Trennungsstrich ziehen wollen, aber nicht so. Jetzt mußte sie bleiben, um des Kindes willen. Sie mußte bleiben, bis Florian wieder gesund war.

Dr. Norden brachte sie nach Hause. Still und dunkel lag das kleine Einfamilienhaus in dem großen Garten. Daniela sah, daß die Garage noch leer war. Sie atmete insgeheim auf.

Dr. Norden begleitete sie zum Haus. »Ich danke Ihnen«, sagte sie leise. »Ich brauche kein Beruhigungsmittel, Herr Doktor. Ich werde mich zusammenreißen.«

Tabletten hätte er ihr auch nicht gegeben. Ihre Worte »ich wollte mit dem Jungen gehen, für immer«, klangen noch in seinen Ohren, aber sie schienen doch nicht die schreckliche Bedeutung gehabt zu haben, die er vermutete.

Als ahne sie seine Gedanken, sagte sie: »Ich muß morgen früh meine Mutter anrufen, daß wir nicht kommen können. Aber wenn Flori gesund ist, gehen wir. Meine Ehe ist kaputt, restlos.«

»Darüber können wir auch sprechen, wenn Sie wollen, Frau Alberti.«

»Alberti«, wiederholte sie bitter. »Ich hasse diesen Namen!«

*

Fee Norden saß im Wohnzimmer, als ihr Mann heimkam. Ein Glas Milch stand auf dem Tisch.

»Das ist bereits das zweite«, sagte sie. »Du warst lange weg, Daniel. Was war los?«

Er erzählte es ihr. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie hatten ja auch drei Kinder, und Fee wußte, wie einer Mutter in solchen Situationen zumute war.

»Wird er durchkommen?« fragte sie bebend.

»Ich kann es nicht sagen, Fee. Trink deine Milch und geh zu Bett.«

»Und sie liegt allein da, während sich der Ehemann amüsiert«, sagte Fee bitter.

»Woher weißt du, daß er sich amüsiert?« fragte Daniel erstaunt.

»Es steht in der Zeitung, mein Schatz. Rolf Alberti wird als der beste Gesellschaftsfotograf geehrt. Der Galerist Tonio Erben und seine Frau Marisa geben für ihn eine Party. Morgen werden wir darüber mehr in den Boulevardzeitungen lesen können.«

»Kauf sie alle«, sagte Daniel.

»Dafür soll ich Geld ausgeben?« staunte Fee.

»Ich möchte wissen, was man über Alberti schreibt.«

»Ob man alles glauben kann, ist eine andere Frage«, sagte Fee wegwerfend.

»Sie ist verzweifelt. Ihre Ehe ist kaputt.«

»Ob sie nicht nur eifersüchtig ist und jetzt durch die Erkrankung des Jungen überreizt?« fragte Fee vernünftig.

»Nein, das sitzt tiefer. Sie ist auch keine hysterische Frau.«

»Nein, das ist sie gewiß nicht, eher eine unterjochte«, sagte Fee. »Gehen wir schlafen. Du mußt wieder früh in der Praxis sein. Ich hoffe nur, daß der Junge am Leben bleibt.«

In dieser Nacht sah es noch nicht so aus, obgleich Florian kurz zu Bewußtsein kam. »Will zu Omi«, flüsterte er, »will nicht krank werden.« Aber man konnte es kaum verstehen, doch Jenny Behnisch, die an seinem Bett saß, fühlte, was dieses Kind bewegte.

*

Rolf Alberti amüsierte sich, wie es Fee Norden gesagt hatte. Er dachte nicht an seinen Sohn, schon gar nicht an seine Frau. Er tanzte mit einer aufregenden Blondine. Es war Marisa Erben, die Frau seines Mäzens und Freundes.

»Gut, daß du Daniela nicht mitgebracht hast«, sagte sie. »Sie hätte uns die Stimmung verdorben mit ihrer Trauermiene. War sie eigentlich schon immer so?«

»Sie war einmal sehr hübsch und charmant, sonst hätte ich sie ja nicht geheiratet, aber du weißt genau, daß es für mich jetzt nur eine Frau gibt, und das bist du.«

Sie lachte leise auf. »Aber das sollte unser lieber, trotteliger Tonio nicht merken, sonst entzieht er dir sein Wohlwollen, und mich wirft er hinaus. Er hat nämlich sehr moralische Ansichten.«

»Er schaut nicht mal zu uns her­über«, sagte Rolf dicht an ihrem wohlgeformten Ohr. Alles an ihr war wohlgeformt und mit den Aufnahmen von ihr hatte er auch die größten Erfolge erzielt.

Nein, Tonio Erben schaute nicht zur Tanzfläche. Er unterhielt sich mit einer sehr gewichtigen Dame, die dennoch außerordentlich imponierend wirkte, denn sie hatte trotz fortgeschrittener Jahre noch ein bildhübsches, glattes Gesicht. Allerdings hatte sie auch eine spitze Zunge, diese Donna Regulin. Sie war eine gefürchtete Klatschkolumnistin. Für jene aber, die sie länger besser kannten, konnte sie auch eine sehr gute Freundin sein, und zu den wenigen gehörte Tonio Erben.

»Ich sage es dir noch einmal, Tonio, daß du eine Schlange an deinem Busen nährst und den Partner dazu«, sagte Donna. »Komm mir nur nicht mal daher und jammere, daß es doch besser gewesen wäre, auf mich zu hören.«

»Ich werde nicht jammern, Donna. Ich weiß Bescheid«, erwiderte Tonio. »Im Augenblick ist Rolf noch ein gu­tes Geschäft für mich.«

»Und deine Ehe?« fragte sie sarkastisch.

»Eine Farce«, erwiderte er. »Überlaß es ruhig mir, diese Angelegenheit zu regeln. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«

»Du hast also etwas ausgeheckt. Nun, an Phantasie hat es dir noch nie gefehlt. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, weißt du, wo du mich finden kannst.«

»Ich verkaufe keine Story«, sagte er lässig.

In ihren Augen blitzte es auf.

»Für Dramen habe ich noch nie etwas übriggehabt, mein Lieber. Aber laß dir eins gesagt sein, wenn man Raubtiere schlecht füttert, beginnen sie auch den Pfleger zu beißen.«

»Du hast einen sonnigen Humor«, sagte Tonio.

»Es ist ein guter Rat«, erwiderte sie ernst. »Würde ich dich gern mal mit einer jungen hochtalentierten Malerin bekannt machen, bei der sich ein wenig Mäzenatentum gut auszahlen würde.«

»Immer bereit, ein Talent zu fördern, Donna, noch dazu, wenn es von dir offeriert wird.«

»Dann besuch mich mal am Wochenende. Das junge Talent wohnt bei mir, aber es würde sofort ausziehen, wenn es wüßte, daß ich die Weichen stelle.«

»Du kannst dich auf meine Diskretion verlassen.«

»Fein, dann sage ich für heute ade. Diese Party ist nicht ergiebig. Und was die Bilder betrifft, es ist zu oft das gleiche Modell. Es langweilt.«

Sie drückte ihm warm die Hand und entschwebte. Trotz ihrer Fülle ging sie mit einer Leichtigkeit, die Tonio nur bestaunen konnte.

*

Daniela wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Immer wieder blickte sie auf den Radiowecker, aber sie sah die roten Zahlen nur verschwommen, so sehr brannten ihre Augen. Doch schlafen konnte sie nicht. Oder hatte sie doch kurz geschlafen? Sie hörte den Wagen kommen. Es konnte nur Rolf sein. Niemals kam in dieser Straße jemand erst im Morgengrauen nach Hause, und jetzt sprang die Zahl Fünf auf die Sechs um.

Zorn, Trotz und Angst hatten sie in dieser Nacht bewegt und in vielen zuvor. Jetzt wollte sie es hinter sich bringen, was sie ihm zu sagen hatte, wozu sie bisher nicht den Mut gefunden hatte.

Sie zog ihren Bademantel über und ging in die Diele, und gerade da öffnete er die Tür. In diesem Augenblick verstand sie schon gar nicht mehr, daß sie sich einmal in diesen Mann verliebt, daß sie ihn sogar geheiratet hatte. Rolf Alberti sah mies aus, und er war betrunken.

»Werde ich jetzt schon mit dem Kochlöffel erwartet?« fragte er lallend. »Mach dich doch nicht noch mehr zur Witzfigur, Daniela.«

»Schau du lieber in den Spiegel«, sagte sie mit klirrender Stimme. »Mir ist nur nicht zum Lachen zumute. Florian ist in der Klinik.«

»Was hast du denn mit ihm gemacht?« fragte er.

Sie war in einer Verfassung, daß sie ihm am liebsten in das gemein grinsende Gesicht geschlagen hätte, aber sie beherrschte sich.

»Er mußte am Blinddarm operiert werden«, sagte sie.

»Na und, was ist das schon? Für dich vielleicht ein Grund, Theater zu machen, mir vorwerfen zu können, daß ich nicht zu Hause hocke. Aber das Leben kostet eben Geld, meine Liebe, und ich muß es verdienen.«

Sie blickte ihn wortlos an. Ihre Lippen preßten sich aufeinander.

»Was starrst du mich so an«, schrie er sie an. »Scher dich ins Bett und laß mich in Ruhe!«

Seine Augen flackerten, und seine Lippen zuckten nervös. Er ist nicht nur betrunken, es ist auch noch etwas anderes, ging es Daniela durch den Sinn Sie drehte sich um und ging zur Küche. Er schlug die Tür seines Zimmers mit lautem Knall zu. Gut, daß wir nicht in einer Mietwohnung wohnen, dachte Daniela, wie peinlich dies alles wäre.

Zu lange schon hatte sie gewartet, den Entschluß zu fassen, mit Florian wegzugehen, die Scheidung einzureichen, ein selbständiges Leben zu beginnen. Sie hatte sich geschämt, ihrer Mutter einzugestehen, daß diese Ehe gescheitert war, mit der ihre Eltern von Anfang an nicht einverstanden gewesen waren.

In unserer Familie hat es noch keine Scheidung gegeben, hatte ihr Vater gesagt, als sie schon einmal zu den Eltern geflüchtet war. Vor einem Jahr war er gestorben, und die hohe Lebensversicherung gestattete ihrer Mutter zusätzlich zu der guten Pen­sion ein sorgenfreies Leben. Und sie hatte mehr Verständnis für ihre Tochter gezeigt, da sie selbst in einer nicht immer glücklichen Ehe ausgeharrt hatte.

Daniela blickte auf die Uhr. Es schien ihr noch zu früh, ihre Mutter anzurufen. Sie würde sicher noch schlafen und erschrecken. Aber in der Klinik hatte der Betrieb bestimmt schon begonnen. Daniela griff nach dem Hörer. Sie war nicht angerufen worden, also war keine Verschlechterung in Florians Befinden eingetreten. Mit diesem Gedanken beruhigte sie sich, als sie die Nummer wählte.

*

In der Behnisch-Klinik hatte die Arbeit schon sehr früh und sehr rasant begonnen. Ein Unfallopfer war eingeliefert worden. Glücklicherweise stellten sich die Verletzungen als nicht schwerwiegend heraus. Die Unfallursache war jedoch noch nicht geklärt.

Es handelte sich tun den Rechtsanwalt Dr. Henrik Thomsen, der mit seiner achtjährigen Tochter Henrike eine Urlaubsreise antreten wollte. Weit war er nicht gekommen.

Die kleine Henrike saß angstbebend bei Dr. Jenny Behnisch im Zimmer, während ihr Vater ärztlich versorgt wurde.

»Mein Papi darf nicht sterben«, stammelte sie weinend.

»Beruhige dich, Kleines, er wird nicht sterben«, sagte Jenny tröstend. »Kannst du uns jetzt sagen, wie es passiert ist? Die Polizei will es wissen, und ich denke, du wirst es lieber mir sagen als den Männern.«

»Es ging doch alles so schnell«, flüsterte Henrike. »Ich habe hinten gesessen, wie immer. Wir sind doch gerade erst weggefahren, da kam der Wagen aus dem Waldweg direkt auf uns zu. Es hat gekracht. Es ging alles ganz schnell, und mein Papi hat gar nichts mehr gesagt.«

»Was war das für ein Wagen, Henrike?« fragte Jenny sanft.

»Es war doch noch dunkel«, flüsterte das Kind, »und dann ist er ja auch weggefahren.«

Also wieder mal Fahrerflucht, dachte Jenny Behnisch erbittert, und der Unschuldige muß leiden.

Das Kind war unverletzt, aber es stand wohl noch unter dem Schock, und es hatte maßlose Angst um den Vater.

Jenny legte den Arm um Henrikes Schultern. »Wo ist deine Mutter, Kleines?« fragte sie.

Das Kind zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Sie ist schon lange weg. Wir wollten zu Opa fahren, und die Ferien über soll ich bei ihm bleiben. Macht meinen Papi wieder gesund, bitte, bitte.«

»Er wird wieder gesund, Henrike«, sagte Jenny. »Du legst dich jetzt dort auf das Sofa und schläfst ein bißchen, und in ein paar Stunden kannst du mit deinem Papi sprechen. Kannst du dich vielleicht erinnern, wie der Wagen aussah?«

»So ähnlich wie unserer, bloß heller, weißlich oder silbern vielleicht.«

»Und es war ein Mann?« fragte Jenny.

»Ich glaube, es waren zwei, vielleicht auch noch eine Frau. Aber Männer haben auch manchmal lange Haare.«

»Und die Haarfarbe hast du nicht erkannt?«

»Hell waren die wohl, blond, so wie meine. Aber es war ja dunkel«, flüsterte Henrike.

»Vielleicht fällt dir noch etwas ein, Kleines«, sagte Jenny mütterlich. »Jetzt beruhige dich erst mal.«

»Aber Opa wird doch warten. Mittags wollten wir bei ihm sein.«

»Wo wohnt der Opa?« fragte Jenny.

»Am Comer See. Im Sommer ist er immer dort.«

»Hat er Telefon?«

»Ja, freilich.«

»Und die Nummer weißt du nicht?«

»Sie ist doch so schrecklich lang. Papi hat sie auch nicht im Kopf. Aber sie steht in seinem Notizbuch. Opa heißt Toto Thomsen.«

»Toto?« staunte Jenny.

»Eigentlich Otto, aber Papi sagt Toto.« Jetzt erhellte sogar ein kleines Lächeln das verweinte Kindergesicht. »Klingt lustig, gell? Opa ist auch lustig, aber jetzt ist er bestimmt auch traurig.«

*

Traurig und zutiefst erschrocken war auch Hannelore Porth, Danielas Mutter, als sie nun von ihrer Tochter über die neuesten Ereignisse informiert wurde.

»Ich komme, Nelchen«, sagte sie. »Wir treffen uns in der Klinik und besprechen dann alles. Du bleibst nicht mit ihm unter einem Dach. Geh einer weiteren Auseinandersetzung aus dem Wege, bevor du nicht mit einem Anwalt gesprochen hast.«

Er war tröstlich für Daniela, daß ihre Mutter Ruhe bewahrte. Sie zog sich nun fertig an. Als sie an Rolfs Zimmer vorbeiging, vernahm sie ein Stöhnen. Jetzt hat er einen Kater, dachte sie, dann ging sie hinaus.

Ihr Wagen stand in der Parkbucht der Seitenstraße. Die Garage beanspruchte Rolf für seinen Wagen. Zu ihrer Überraschung bemerkte Daniela, daß diese verschlossen war, was eigentlich nie der Fall war, wenn er erst morgens heimkam.

Sie hatte ihren Wagen von ihrer Mutter geschenkt bekommen. Er war nicht der Neueste, aber er tat seine Dienste. Sie wohnten doch ziemlich abgelegen.