Dr. Norden Bestseller 156 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 156 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Erst vor drei Monaten hatte die junge Kinderärztin Dr. Katja Höller ihre Praxis eröffnet, aber schon jetzt konnte sie sich über Zulauf nicht beklagen. Zum Glück hatte sie bald eine tüchtige Sprechstundenhilfe in der jungen Abiturientin Anke Braun gefunden, die Medizin studieren wollte und auf einen Studienplatz warten mußte. Anke hatte die Gelegenheit beim Schopfe gefaßt und sich bei Katja vorgestellt, um die Zeit zu nutzen und erst einmal praktische Kenntnisse zu erwerben. Anke war knapp neunzehn und die älteste von fünf Geschwistern, ein sehr vernünftiges Mädchen, das ein Ziel hatte. So war Katja auch gewesen, und deshalb verstanden sie sich auf Anhieb. Es gab viel zu tun in diesen Tagen. Die Windpocken gingen um, und auch einige Keuchhustenfälle traten auf. Dr. Katja Höller gewann wieder einmal die Erkenntnis, daß auch Impfungen nicht der Weisheit letzter Schluß waren. Ein turbulenter Vormittag sollte einen aufregenden Abschluß bringen. Noch ahnte Katja nichts davon, denn Rosmarie Ebling war mit ihrem kleinen Sohn gekommen, und der war genauso temperamentvoll wie seine hübsche Mutter. Man mußte ihn ständig beschäftigen, um ihn untersuchen zu können. »Gott sei Dank habe ich gute Nerven«, sagte die junge Mutter, »aber wenn unser zweites Kind da ist, werde ich Maxi wohl anbinden müssen.« Der kleine, knapp zwei Jahre junge Maximilian Ebling schien das nicht lustig zu finden, er begann zu schreien. Katja beruhigte ihn mit einem Keks und der Spieluhr, die auf ihrem Schreibtisch stand. »Was ich Sie schon immer mal fragen wollte, Frau Doktor«, sagte Rosmarie Ebling, als Maxi sich beruhigt hatte, »sind Sie eigentlich

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Dr. Norden Bestseller – 156 –

Ihr Gewissen ließ es nicht zu

Patricia Vandenberg

Erst vor drei Monaten hatte die junge Kinderärztin Dr. Katja Höller ihre Praxis eröffnet, aber schon jetzt konnte sie sich über Zulauf nicht beklagen. Zum Glück hatte sie bald eine tüchtige Sprechstundenhilfe in der jungen Abiturientin Anke Braun gefunden, die Medizin studieren wollte und auf einen Studienplatz warten mußte.

Anke hatte die Gelegenheit beim Schopfe gefaßt und sich bei Katja vorgestellt, um die Zeit zu nutzen und erst einmal praktische Kenntnisse zu erwerben. Anke war knapp neunzehn und die älteste von fünf Geschwistern, ein sehr vernünftiges Mädchen, das ein Ziel hatte. So war Katja auch gewesen, und deshalb verstanden sie sich auf Anhieb.

Es gab viel zu tun in diesen Tagen. Die Windpocken gingen um, und auch einige Keuchhustenfälle traten auf. Dr. Katja Höller gewann wieder einmal die Erkenntnis, daß auch Impfungen nicht der Weisheit letzter Schluß waren.

Ein turbulenter Vormittag sollte einen aufregenden Abschluß bringen. Noch ahnte Katja nichts davon, denn Rosmarie Ebling war mit ihrem kleinen Sohn gekommen, und der war genauso temperamentvoll wie seine hübsche Mutter. Man mußte ihn ständig beschäftigen, um ihn untersuchen zu können.

»Gott sei Dank habe ich gute Nerven«, sagte die junge Mutter, »aber wenn unser zweites Kind da ist, werde ich Maxi wohl anbinden müssen.«

Der kleine, knapp zwei Jahre junge Maximilian Ebling schien das nicht lustig zu finden, er begann zu schreien. Katja beruhigte ihn mit einem Keks und der Spieluhr, die auf ihrem Schreibtisch stand.

»Was ich Sie schon immer mal fragen wollte, Frau Doktor«, sagte Rosmarie Ebling, als Maxi sich beruhigt hatte, »sind Sie eigentlich mit Marian Höller verwandt?«

Diese Frage war Katja schon einmal gestellt worden. Sie verneinte diese lächelnd.

»Scheint ein bekannter Mann zu sein«, erwiderte sie. »Ich bin schon mal danach gefragt worden.«

»Ein sehr bekannter Architekt, und er wohnt ja auch nicht weit entfernt. Deshalb bin ich darauf gekommen. Mein Mann hat jetzt geschäftlich mit ihm zu tun.«

»Nur eine Namensgleichheit«, sagte Katja, ohne die leiseste Ahnung zu haben, in welche Schwierigkeiten sie dadurch noch geraten sollte – und dies schon bald.

Anke war ins Wartezimmer gegangen. Dort hatte noch eine junge Frau mit einem Baby gewartet. Aber als sie nun die Tür geöffnet hatte, wurden Ankes Augen starr. Die Frau war verschwunden, die Tragetasche mit dem Baby jedoch stand am Boden.

Auch Anke hatte gute Nerven, aber jetzt begann sie doch zu zittern. Man ließ doch ein Baby nicht allein und sagte doch wenigstens Bescheid, wenn man schnell noch etwas erledigen mußte. Und das schlimmste war, daß sie in all dem Trubel, der an diesem Morgen herrschte, die Personalien der Mutter noch gar nicht aufgenommen hatte.

Das Kind schlummerte friedlich. Es mochte wohl drei oder vier Monate alt sein. Anke betrachtete es und überlegte. Sie wartete, bis Frau Ebling mit ihrem protestierenden Sohn ging, denn Maxi wollte jetzt noch nicht gehen. Ihn hatte die Spieldose fasziniert.

Sie war allerdings auch ganz besonders hübsch. Katja hatte sie zu ihrem dritten Geburtstag geschenkt bekommen und hütete sie als eine kostbare Erinnerung an ihre geliebte Mutter, die vor einem Jahr nach langer, schwerer Krankheit gestorben war.

Sie lauschte noch den letzten Klängen des Schlafliedchens »Guten Abend, gute Nacht« nach, als Anke mit der Tragetasche ins Sprechzimmer trat.

»Die Mutter ist nicht da«, stammelte Anke. »Es stand allein im Wartezimmer.«

»Du liebe Güte«, staunte Katja, »aber vielleicht hat sie nur schnell noch eine Besorgung gemacht, bevor die Geschäfte schließen. Es ist Mittwoch, Anke«, beruhigte sich Katja selbst, obgleich sie schon eine bange Ahnung hatte, daß es sich anders verhielt, als sie den Zipfel eines weißen Kuverts unter dem Deckchen hervorlugen sah.

Sie nahm das Baby heraus. Es war gut genährt und auch gut gekleidet. Es schlug die Augen auf und verzog den Mund zu einem Lächeln.

»Süß«, sagte Anke. »So was läßt man doch nicht im Stich.«

»Krank sieht es nicht aus«, sagte Katja und blickte auf den Umschlag. »Nehmen Sie den Kleinen mal, Anke.«

»Vielleicht ist es ein Mädchen«, meinte Anke.

»Das werden wir feststellen, aber ich glaube, daß es ein Bub ist«, sagte Katja.

»Dr. Höller«, stand auf dem Umschlag. Also war er an sie gerichtet. Hastig riß sie ihn auf, während Anke mit dem Baby scherzte, das jetzt richtig lachte.

Riesengroß wurden Katjas Augen, als sie die wenigen Zeilen las. Der Vater heißt Marian Höller. Er hat Geld genug, ich habe keines. Er soll sich an Anita erinnern.

Das war alles. »Ein starkes Stück«, sagte Katja tonlos, »anscheinend hat sie mich für Marian Höllers Frau gehalten!«

Anke schüttelte den Kopf. »Sie meinen den Architekten gleichen Namens? Das ist doch so ein Playboy.«

»Sie kennen ihn?« fragte Katja.

»Wie man so manchen kennt. Schicker Mann, flotter Wagen, dufte Bienen umschwirrren ihn.«

Anke war bei aller Ernsthaftigkeit ein Kind ihrer Zeit. Katja mußte jetzt, trotz des Ernstes der Situation, lä-cheln.

»Nun, das erklärt manches«, sagte sie. »Ich bin gespannt, was er sagt, wenn ich ihm das Kind bringe.«

»Sie wollen es ihm bringen?« staunte Anke.

»Zuerst werden wir ihn untersuchen, und dann werde ich mit Dr. Norden telefonieren. In Zweifelsfragen, Norden fragen. Er ist der netteste Kollege, den man sich wünschen kann, Anke.«

Anke nickte. »Er ist unser Hausarzt. Er war es ja auch, der mir Mut gemacht hat, mich bei Ihnen vorzustellen. Ich habe Ihnen das nur nicht gesagt, weil Ärzte untereinander ja manchmal distanziert sind.«

»Er war auch der einzige, der mir herzlich einen guten Beginn wünschte, auch seine Frau. Sie hat übrigens eine Schwester, die auch Katja heißt. Zweimal Katja, zweimal Höller, aber die beiden Namen sind ja noch öfter vertreten, ohne daß es Beziehungen gibt.«

Sie war jetzt ganz bei der Sache. Sie untersuchte das Baby. Es war sehr wund, weil es wohl lange in nassen Windeln gelegen hatte. Aber es war ein geduldiges Baby, das allerhand gewöhnt zu sein schien. Es schien sich unter diesen behutsamen Händen sehr wohl zu fühlen und gab lustige kleine Laute von sich.

»Können Sie solche Mütter verstehen?« fragte Anke leise.

»Nein, Anke. Manche Frauen wünschen sich sehnlichst Kinder und bekommen keine, manche verlieren das Kind, das sie sich ersehnt haben und kommen darüber nicht hinweg. Und dann gibt es solche, die sich eines hübschen, gesunden Kindes einfach entledigen.«

»Warum hat sie es nicht dem angeblichen Vater vor die Tür gestellt?« sagte Anke nachdenklich.

»Es muß wohl der Name Höller sein, der mich in diese Situation brachte, aber deshalb kann ich mich doch nicht umtaufen lassen.«

Anke blickte auf das Baby. »Vielleicht wäre er jetzt froh, nicht Höller zu heißen«, sagte sie. »Muß ein schöner Schock sein für einen lebenslustigen Junggesellen, plötzlich Vater zu werden.«

Das Baby verzog sein Mündchen jetzt weinerlich. »Er wird Hunger haben«, sagte Katja. »Holen Sie doch bitte Kindernahrung und ein Fläschchen aus der Apotheke. Sie werden zwar schon geschlossen haben, aber Frau Sternberg wird noch da sein. Sagen Sie aber nicht, worum es geht.«

*

Eine Stunde später läutete in Dr. Nordens Privatwohnung das Telefon. Man war gerade mit dem Mittagessen fertig, das an diesem Tag erst ziemlich spät eingenommen werden konnte. Fee Norden nahm den Hörer ab.

»Katja? Ach, Katja Höller«, sagte sie erstaunt. Und dann lauschte sie. »Natürlich können Sie zu uns kommen. Das ist ja ein Ding. Was man so alles erlebt.«

»Was ist ein Ding?« fragte Daniel.

»Jemand hat bei Katja Höller ein Baby ausgesetzt.«

»Das ist wirklich ein Ding«, sagte Daniel.

»Sie wollte sich einen Rat holen. Sie weiß nicht, wie sie sich verhalten soll.«

»Dann werden wir mal gemeinsam überlegen«, sagte Dr. Norden. Lange brauchten sie nicht zu warten. Katja kam und trug behutsam die Babytasche.

»Er schläft gerade«, sagte sie leise. »So ein liebes Kerlchen.«

Fee betrachtete das schlafende Kind.

»Und so ein süßes Kind wird ausgesetzt?« staunte sie empört.

»Es war ein Brief dabei mit dem Namen des Vaters, der zufällig auch Höller heißt«, sagte Katja.

»Jemine, doch nicht Marian Höller?« fragte Dr. Norden.

»Sie kennen ihn auch? Ich bin schon ein paarmal darauf angesprochen worden, ob ich mit ihm verwandt bin.«

»So selten ist der Name ja nicht«, warf Fee ein. »Es verwirrt vielleicht nur ein bißchen, weil er in der gleichen Gegend wohnt.«

Katja reichte Dr. Norden den Brief. Der runzelte die Stirn. »Sagt nicht viel aus. Könnte auch ein Racheakt sein«, meinte er.

»Wie meinen Sie das?« fragte Katja bestürzt.

»Nun, Marian Höller ist ein gefragter Mann, sehr beliebt bei Frauen. Vielleicht hat er eine mal nicht so gewürdigt, wie sie es sich vorstellte, und dann bekam sie ein Kind von einem anderen, der sie sitzenließ. Immerhin hat sie das Kind etwa drei Monate behalten, bevor sie auf den Gedanken kam, Marian Höller als Vater zu ­nennen und ihm das Kind zuzuspielen.«

»Sie denken logisch«, sagte Katja, »aber vielleicht mußte sie diesen Marian Höller erst suchen. Es ist doch öfter so, daß Männer nach einem Abenteuer ohne Adressenangabe verschwinden.«

»Das ist auch logisch gedacht«, sagte Fee. »Nun, man wird hören, was Marian Höller dazu sagt.«

»Sie meinen, daß ich ihm das Kind einfach bringen sollte?«

»Es wäre der einfachste Weg, die Wahrheit herauszubringen.«

»Die Wahrheit kann man auch leugnen«, meinte Katja. »Und was dann?«

»Dann kommt das Kind in ein Heim, und bald werden sich kinderlose Elternpaare darum reißen, es zu adoptieren«, sagte Daniel Norden.

»Zuerst wird man nach der Mutter suchen«, warf Fee ein.

»Wie es aussieht, hat sie sich klammheimlich aus dem Staube gemacht«, meinte Daniel. »Es handelt sich um ein namenloses Kind. Wer weiß, ob der Name Anita stimmt.« Er schob die Augenbrauen zusammen. »Jedenfalls wird es für Frau Höller ein schöner Schock sein.«

»Ich denke, er ist nicht verheiratet«, sagte Katja.

»Ich spreche von seiner Mutter. Eine sehr vornehme Frau«, erwiderte Daniel.

»Aber sie würde ihrem Sohn ins Gewissen reden, wenn es sich um sein Kind handelt«, meinte Fee dazu. »Jedenfalls muß Klarheit geschaffen werden.«

»Warum muß ich ausgerechnet Höller heißen!« sagte Katja seufzend. »Dann werde ich mal mein Heil versuchen.«

»Soll ich Hilfestellung leisten?« fragte Fee spontan.

»Das ist liebgemeint, aber es sähe komisch aus«, erwiderte Katja. Sie blickte auf das schlafende Baby. »Ich würde ihn am liebsten behalten, aber ich kann es mir nicht leisten. Sie verstehen ja sicher, wie es ist, wenn man eine Praxis gerade erst eingerichtet hat und allein zurechtkommen muß. Wenn Anke bald einen Studienplatz bekommen sollte, was ich ihr wünschen muß, weiß ich nicht, was ich dann für eine Hilfe bekommen werde.«

»Mit Anke kommen Sie gut aus?« fragte Daniel.

»Bestens. Sie wird mal eine sehr gute Ärztin werden. Ja, eine ständige Hilfe von dieser Qualität wäre schon der absolute Glücksfall. Jedenfalls war es mit ihr ein sehr guter Beginn.«

Aber Probleme werden nicht ausbleiben, dachte Dr. Norden. Er kannte das ja. Als engagierter Arzt wurde man mit allen möglichen Schicksalen konfrontiert.

Katja Höller bekam jetzt eine Kostprobe davon. Sie mußte erst suchen, bis sie das Haus von Marian Höller fand.

Es lag als Flachbau versteckt hinter hohen Hecken. Dann war es ein seltsames Gefühl, den eigenen Namen zu lesen. Auf ihr Läuten kam eine Stimme durch die Sprechanlage. »Was wünschen Sie bitte?«

Lieber Gott, dachte Katja, wie wird man es nur verstehen, wenn ich meinen Namen nenne.

»Ich möchte Herrn Marian Höller sprechen. Mein Name ist Katja Höller.«

Nichts folgte als ein schnelles Atmen, dann surrte der automatische Türöffner. Als Katja den Weg zum Haus ging, drückte sie die Tragetasche mit dem Baby unwillkürlich an sich. Das Haus lag vor ihr, großzügig, ge­nial geschnitten, mit vielen Fenstern und warmen Holzverschalungen. Man spürte sofort, daß der Architekt ungewöhnliche Ideen hatte.

In der Tür stand eine schlanke, mittelgroße Frau mit silberweißem Haar. Ihr Anblick nahm Katja ein wenig von der beklemmenden Angst. Und dann sah sie auch etwas wie Angst in den warmen grauen Augen der Älteren.

»Sie sagten, daß Sie Katja Höller heißen?« fragte Ulrike Höller heiser.

»Dr. Katja Höller, Kinderärztin«, stellte sich Katja vor. »Eine zufällige Namensgleichheit, die mich allem Anschein nach in eine recht fatale Situation gebracht hat.«

»In welche? Ich bin die Mutter von Marian Höller. Mein Sohn ist zur Zeit noch nicht anwesend.«

»Dann werde ich besser später vorsprechen, oder…«

Doch in diesem Augenblick begann das Baby zu weinen. Ulrike Höller trat ein paar Schritte näher und warf einen verwunderten Blick in die Tragetasche. »Das ist ja ein Baby«, murmelte sie.

»Ja, es wurde heute in meiner Praxis zurückgelassen«, erwiderte Katja.

»Und warum kommen Sie hierher?« fragte Ulrike Höller erregt.

»Es lag ein Schreiben dabei, daß Marian Höller der Vater des Kindes sei.« Nun war es heraus, und Ulrike Höllers Augen weiteten sich. »Kommen Sie bitte herein«, sagte sie leise. »Das muß ich erst verdauen.«

Aber ihre Miene war keineswegs zornig oder abweisend. Katja folgte ihr. Nie zuvor hatte sie ein solches Haus gesehen, auch in der Innenausstattung nicht. Sie war fasziniert.

»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Ulrike Höller. »Ich benachrichtige meinen Sohn, daß er kommt.«

Katja hatte zu einem Widerspruch keine Zeit, die Dame des Hauses war schon hinausgeeilt. Sie nahm das Kind in den Arm, und schon lachte der Kleine wieder.

*

Marian Höller hatte gerade eine geschäftliche Besprechung mit Hans Ebling, dem Ehemann der netten Rosmarie, der ebenfalls ein heiteres Naturell besaß. Marian mochte es, wenn man auch wichtige Dinge nicht so tierisch ernst behandelte. Er war in seiner Art lässig und doch irgendwie imponierend. Man sah ihm an, daß er viel Sport trieb, und er war auch sportlich gekleidet. Groß und breitschultrig war er, hatte dunkelbraunes Haar, dunkle Augen, eine schmale Nase und einen gutgeschnittenen Mund, der einen spöttischen Zug hatte.

Hans Ebling hatte einen guten Kontakt zu ihm gefunden, was nicht jeder von sich sagen konnte, mit dem Ma­rian Höller zu tun hatte.

»Darf ich Sie bei dieser Gelegenheit mal fragen, ob Sie mit Frau Dr. Höller verwandt sind?« fragte Hans.

»Wer ist denn das?« fragte Marian erstaunt.

»Unsere Kinderärztin. Sie hat sich vor ein paar Monaten hier niedergelassen. Eine reizende Frau. Katja Höller. Sie hat ihre Praxis in der Veilchenstraße.«

»Mir völlig unbekannt, aber ich habe ja keine Kinder.«

In diesem Augenblick klingelte das Telefon.

Hans verabschiedete sich schnell, als Marian ungeduldig sagte: »Ist es denn wirklich so dringend, Mama? Ich habe noch viel zu tun.«

Doch er vernahm, daß es außerordentlich dringend sei, und daß sie es ihm am Telefon nicht sagen könne. Es sei eine sehr private Angelegenheit.

Vielleicht wieder die liebe Verwandtschaft, die wegen Onkel Herberts Grundstück mauscheln wollen, dachte er, und an diesem Grundstück war ihm sehr viel gelegen.

»Erschrecken Sie bitte nicht, wenn mein Sohn explodiert«, sagte Ulrike Höller indessen zu Katja. »Er beruhigt sich auch sehr schnell wieder und läßt vernünftig mit sich reden.«

Aber Marian explodierte nicht. Er war starr vor Staunen, als er Katja mit dem Baby im Arm sah.

»Frau Dr. Höller«, stellte seine Mutter vor. »Leider nicht verwandt mit uns.«

»Gerade wurde ich gefragt, ob ich mit Ihnen verwandt sei«, brachte Marian etwas mühsam über die Lippen. »Komischer Zufall, daß Sie hier sind. Wollen Sie bauen?«

Ulrike konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, und Marian sah sie deshalb irritiert an.

»Das liegt doch nahe. Ich bin ja schließlich Architekt«, sagte er.

»Ich komme wegen des Kindes«, sagte Katja verlegen.

»Wieso?« fragte er konsterniert.

»Jemand behauptet, daß Sie der Vater sind«, erklärte sie.

»Ich?« Dann schwieg er und starrte sie sprachlos an. »Ich habe ja Humor«, brummte er, »aber der darf nicht zu weit gehen.«

»Dieses Baby wurde bei mir im Wartezimmer zurückgelassen. Die Mutter, oder sagen wir besser die Frau, die es gebracht hatte, war verschwunden. Aber es war dieser Brief in der Tasche, wenn Sie den bitte lesen wollen.«

Er sah seine Mutter an, fragend, verwirrt, irgendwie sehr jungenhaft wirkend.

»Ja, lies ihn nur«, sagte Ulrike ruhig. »Ich habe schon damit gerechnet, daß mal so was daherkommt.«

Er las den Brief. Plötzlich verfinsterte sich seine Miene.

»Na, was ist mit der Anita?« fragte seine Mutter ironisch.

»Ich möchte dies jetzt nicht erörtern. Ich will wissen, was man wegen des Kindes unternehmen kann. Man kann es mir doch nicht einfach ins Haus bringen.«

»Ich habe die Pflicht, Anzeige zu erstatten«, erklärte Katja. »Selbstverständlich müßte ich dann auch den Brief den Behörden übergeben. Deshalb dachte ich nach Rücksprache mit Herrn Dr. Norden, besser erst mit Ihnen selbst zu sprechen. Es ist ein reizender, gesunder Junge.«

»Ich kann nicht mit Kindern umgehen, mit einem Baby schon gar nicht«, sagte Marian heftig. »Ich bin nicht verheiratet und habe auch nicht die Absicht, mich in solches Joch zu begeben. Ich bin beruflich sehr viel unterwegs…«

»Aber du hast eine Mutter«, fiel ihm Ulrike ins Wort, »und die wird nicht gestatten, daß das Kind herumgestoßen wird.«

Jetzt sah Marian seine Mutter nahezu entsetzt an.

»Aber Mama, was fällt dir ein! Ich bin ja bereit, für das Kind zu zahlen, wenn es wirklich meines ist, was erst einmal festgestellt werden müßte.« Sein Blick wanderte zu Katja. »Das ist doch möglich nach den Erkenntnissen der modernen Medizin. Jedenfalls war die Anita, die ich im vorigen Urlaub in Griechenland mal flüchtig kennenlernte, kein Kind der Traurigkeit. Ich bin doch nicht blöd, ihr einfach ein Kind abzunehmen, weil sie keinen Dümmeren findet. Das Datum der Geburt müßte sich ja aus der Geburtsurkunde ergeben, und danach könnte man feststellen, ob ich als Vater überhaupt in Frage komme.« Seine Stimme klang jetzt eisig.