Dr. Norden Bestseller 169 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 169 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Ängstlich blickte der Patient Dr. Norden an. »Ist denn eine Operation wirklich nicht zu vermeiden, Herr Doktor?« fragte er. »Wie kann man nur so bange sein!« meinte Dr. Norden nachsichtig. »Ein Leistenbruch ist doch wirklich keine Affäre, Herr Kübler. Und Sie werden sehen, wie wohl Sie sich dann fühlen.« »Wenn Sie es sagen! Aber ich werde doch nicht zu lange in der Werkstatt fehlen? Diese jungen Leute nehmen alles nicht mehr so genau, und meine Kunden sind verwöhnt.« »Und sie sind treu, Herr Kübler«, sagte Dr. Norden aufmunternd. »Und warten Sie erst mal ab, wie Ihre jungen Leute sich benehmen, wenn Sie mal nicht da sind. Mir ist da nämlich gar nicht bange.« »Ich werde jedenfalls sagen, daß sie nicht bummeln dürfen, wenn etwas mit Ihrem Wagen ist, Herr Doktor«, sagte Wilhelm Kübler. »Wissen Sie, mein Röschen hat eben auch so Angst vor dem Krankenhaus.« »Sie kommen in eine schöne Klinik und werden von Dr. Behnisch bestens operiert werden. Und ich besuche Sie.« »Für mich sind Sie eben der beste Arzt, Herr Doktor«, sagte der brave Mechanikermeister Kübler. »Aber ich bin kein Chirurg. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ein Bett frei wird in der Klinik.« »Aber bitte nicht mit solchen Quatschköpfen zusammen in ein Zimmer«, murmelte Herr Kübler. »Das vertrag ich nicht.« Mit gesenktem Haupt, als ginge es zum Schafott, trottete er davon. Und dann kam Loni. Sie machte kein fröhliches Gesicht. »Da will Sie eine Frau Golditz sprechen«, sagte sie. »Und sie tut, als wären Sie mal mit ihr liiert gewesen.« Höchste Mißbilligung war herauszuhören. »Du liebe Güte, dann

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Dr. Norden Bestseller – 169 –

Warum lügt Cornelia?

Patricia Vandenberg

Ängstlich blickte der Patient Dr. Norden an. »Ist denn eine Operation wirklich nicht zu vermeiden, Herr Doktor?« fragte er.

»Wie kann man nur so bange sein!« meinte Dr. Norden nachsichtig. »Ein Leistenbruch ist doch wirklich keine Affäre, Herr Kübler. Und Sie werden sehen, wie wohl Sie sich dann fühlen.«

»Wenn Sie es sagen! Aber ich werde doch nicht zu lange in der Werkstatt fehlen? Diese jungen Leute nehmen alles nicht mehr so genau, und meine Kunden sind verwöhnt.«

»Und sie sind treu, Herr Kübler«, sagte Dr. Norden aufmunternd. »Und warten Sie erst mal ab, wie Ihre jungen Leute sich benehmen, wenn Sie mal nicht da sind. Mir ist da nämlich gar nicht bange.«

»Ich werde jedenfalls sagen, daß sie nicht bummeln dürfen, wenn etwas mit Ihrem Wagen ist, Herr Doktor«, sagte Wilhelm Kübler. »Wissen Sie, mein Röschen hat eben auch so Angst vor dem Krankenhaus.«

»Sie kommen in eine schöne Klinik und werden von Dr. Behnisch bestens operiert werden. Und ich besuche Sie.«

»Für mich sind Sie eben der beste Arzt, Herr Doktor«, sagte der brave Mechanikermeister Kübler.

»Aber ich bin kein Chirurg. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ein Bett frei wird in der Klinik.«

»Aber bitte nicht mit solchen Quatschköpfen zusammen in ein Zimmer«, murmelte Herr Kübler. »Das vertrag ich nicht.«

Mit gesenktem Haupt, als ginge es zum Schafott, trottete er davon. Und dann kam Loni. Sie machte kein fröhliches Gesicht. »Da will Sie eine Frau Golditz sprechen«, sagte sie. »Und sie tut, als wären Sie mal mit ihr liiert gewesen.« Höchste Mißbilligung war herauszuhören.

»Du liebe Güte, dann mal herein mit ihr«, lachte Dr. Norden amüsiert. »Was trauen Sie mir eigentlich alles zu, Loni?«

»So etwas nicht«, erwiderte Loni und entschwand. Hereingeflattert kam ein weibliches Wesen, das in Dr. Nordens Alter sein mochte, aber zehn Jahre jünger sein wollte und dadurch etwas lächerlich wirkte.

»Daniel, erkennst du mich wirklich nicht mehr?« girrte sie. »Muß ich dir tatsächlich erst auf die Sprünge helfen, oder habe ich mich doch verändert?«

Daniel Norden erkannte sie nicht und hörte dann, daß es sich um Cornelia Golditz, geborene Mueller, handelte.

»An eine Lotte Mueller kann ich mich erinnern«, sagte er.

»Na, siehst du, die bin ich, aber Cornelia klingt besser. Leider haben meine Eltern mir den nur als zweiten Namen gegeben. Blendend siehst du aus. Ich habe ja immer gewußt, daß du mal ein ganz flotter Mann werden wirst. Weißt du noch, wie wir zusammen die Schulbank gedrückt haben?«

Die flotte Lotte, ging es ihm durch den Sinn, und nun war die Erinnerung wach. Flott war das Stichwort gewesen!

»Die flotte Lotte«, entfuhr es ihm da auch, und sie kicherte. »Du brauchst ja nicht jedem zu erzählen, daß ich ein Jährchen älter bin als du, und warum ich vor dem Abitur abgegangen bin, wirst du dir ja denken können.«

Er konnte es sich beim besten Willen nicht denken. Nein, das hätte er sogar der flotten Lotte nicht zugetraut, daß sie ein Kind erwartete. Jetzt erfuhr er es, und nun machte sie auf melancholisch.

»Ja, weißt du, Daniel, da war der Golditz, erinnerst du dich an die Firma Golditz und Sohn? Der Armin,

der Sohn, war verrückt nach mir, und mein Papa war doch Buchhalter bei ihm. Schön war er nicht und flott schon gar nicht, und zwanzig Jahre älter als ich war er obendrein, aber meine Eltern meinten eben, daß er doch eine gute Partie sei, und dann hat er sich auch ganz schon ins Zeug gelegt. Ehe ich mich versah, war ich schwanger. Na ja, er hatte erreicht, was er wollte, und es wurde geheiratet. Und dann kam meine Sabine.«

Sie suchte in ihrer Tasche herum und zog endlich ein zerknülltes Taschentuch heraus.

»Neunzehn ist sie«, murmelte sie, »und hübsch ist sie, und alles könnte sie haben, aber sie hängt ihr Herz an so einen Habenichts, und nun bekommt sie auch noch ein Kind. Du mußt mir helfen, als alter Freund mußt du mir helfen, Daniel.«

»Inwiefern?«

»Sie darf das Kind nicht bekommen. Ich habe andere Pläne mit ihr. Es kann kosten, was es will, umsonst will ich es nicht, aber ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann.«

Sie riskierte einen seelenvollen Augenaufschlag, der allerdings auf Dr. Norden seine Wirkung verfehlte. Und plötzlich mußte er sogar einen heftigen Zorn hinunterschlucken. Er beherrschte sich.

»Du warst doch auch in so einer Situation, Lotte«, sagte er verweisend.

»Na ja, aber ich hatte doch einen Mann, der mir alles bieten konnte«, sagte sie. »Gott hab’ ihn selig, aber er hat für unsere Zukunft gesorgt.«

»Dein Mann lebt nicht mehr?« fragte Daniel.

»Vor einem Jahr hat ihn der Schlag getroffen, der gute Armin«, seufzte sie. »Hat ja nichts gegen seinen hohen Blutdruck getan und sich über jeden Käse aufgeregt. Leicht habe ich es nicht immer mit ihm gehabt, aber Binni soll sich ihre Zukunft nicht so verbauen. Sie könnte so eine Karriere machen«, sie breitete die Arme aus, als wolle sie den ganzen Raum umschließen.

»Was für eine?« fragte Daniel Norden gedankenlos, weil ihm vage Erinnerungen an Lottes bewegte Vergangenheit kamen.

»Als Filmstar, beim Theater, wo immer sie will. Sie hatte Ballettunterricht, sie war schon eine ganz bekannte Eiskunstläuferin, und das Abi hat sie trotzdem mit Glanz und Gloria gemacht. Und nun ein Kind! Es darf nicht sein!«

Daniel Norden runzelte die Stirn. Plötzlich erinnerte er sich, daß man sie nicht nur die flotte Lotte, sondern auch die Lügenlotte genannt hatte, weil sie die tollsten Geschichten erfunden hatte, um sich interessant zu machen. War ihre Tochter auch so?

»Lern doch Binni wenigstens mal kennen, dann wirst du sehen, daß man ihr helfen muß. Sie setzt sich nicht so durch wie ich. Sie ist von diesem Habenichts aufs Kreuz gelegt worden, weil er auf ihr Geld aus ist. Binni wird ja eine Masse kriegen, wenn sie heiratet.«

Sie ist ordinär, dachte Daniel, aber Geld scheint sie zu haben. Er blickte auf ihre ringgeschmückten Hände. Es waren kostbare Dinge, auch das Armband und die Armbanduhr hatten ihren Wert. So an die zwanzigtausend Euro mochte sie da mit sich herumschleppen. Ein bißchen kannte er sich ja auch aus.

Und dann der Nerz, er war von bester Qualität. Und alles war ein bißchen protzig.

»Ja, dann schick mir deine Tochter mal her«, sagte er gedankenlos, um sie endlich loszuwerden. »Ich werde mal mit ihr reden.«

Ihre getuschten Wimpern flatterten leicht. »Ich würde euch ja gern mal einladen, deine Frau natürlich auch. Wir wohnen jetzt wieder in München. In dem Kaff konnte man es ja nicht aushalten. Aber Binnis wegen wäre ich wohl doch lieber dort geblieben. Ich konnte ja nicht ahnen, daß sie gleich in die falsche Gesellschaft kommt.«

»Sei mir bitte nicht böse, wenn ich jetzt gehen muß. Ich muß noch dringende Hausbesuche machen. Wir sehen uns ja bestimmt bald wieder. Also sag deiner Tochter, daß sie zu mir kommen kann.«

»Du bist sehr nett, Daniel. Ich mache das ganz diplomatisch. Wenn ich nämlich sage, daß du das Kind wegbringst, kommt sie bestimmt nicht.«

Oh, du lieber Gott, dachte er, was habe ich mir da wieder eingebrockt, aber wie hätte er sie sonst loswerden können? Zu Hause wartete Fee, denn sie wollten seit langer Zeit mal wieder ein Sinfoniekonzert besuchen, und umkleiden mußte er sich auch noch.

Es war höchste Zeit. Fee Norden saß tatsächlich schon wie auf heißen Kohlen. Wer ihn so aufgehalten hatte, wollte Daniel seiner Frau jetzt lieber nicht erzählen. Damit wollte er bis nach dem Konzert warten.

*

Es war ein sehr schönes Konzert, das ihn in bessere Stimmung brachte.

»Eigentlich könnten wir noch ein bißchen bummeln gehen, Fee«, schlug er gutgelaunt vor.

»Nichts dagegen«, lachte sie, »aber schimpf nicht, wenn ich Schaufenster betrachte.«

»Eigentlich dachte ich mehr an Tonios Bar«, sagte er. »Er würde sich mächtig freuen, wenn wir ihn mal besuchen würden.«

»Schön, dann gehen wir zu Tonio«, sagte Fee. »Wann führst du mich sonst schon mal in eine Bar?«

Dr. Norden hatte Tonio Rezzi das Leben gerettet, als dieser in seiner Bar von einem Betrunkenen mit einem Messer angegriffen wurde. Das war lange her. Daniel war damals ein ganz junger Arzt gewesen und noch nicht mit Fee verheiratet. Ja, damals war er öfter mal in eine Bar gegangen.

Aber der gute, nun schon behäbig gewordene Tonio hatte ihn nie vergessen, und obgleich er mit seiner Familie am entgegengesetzten Ende der Stadt wohnte, kam er immer zu seinem »Dottore«, wenn ihm oder einem seiner Kinder etwas fehlte.

Er war jetzt ein gemachter Mann. Seine Bar war immer gut besucht, und jetzt kam nicht mehr jeder hinein. Man mußte »in« sein, wenn man zu Tonios Gästen zählen wollte.

Aber ein Dr. Norden mit seiner Frau bekam natürlich den Tisch, den Tonio immer für sich freihielt, um einen ruhigen Plausch mit besonders lieben Gästen machen zu können.

Er strahlte über das ganze Gesicht, daß Daniel und Fee ihm die Ehre gaben. Und er sagte dem jungen Pianisten, daß er nur spielen dürfe, was der Dottore wünsche.

Eine halbe Stunde erzählte Tonio dann von seiner Lucia und seinen lieben Kinderchen, die alle wohlgeraten waren, dann mußte er sich wieder um andere Gäste kümmem. Aber es war eine wirklich nette Atmosphäre, und Daniel konnte nun endlich von der flotten Lotte erzählen. Das mußte Fee schließlich erfahren.

»Da redet man immer von Generationsproblemen«, meinte sie lächelnd. »Vor zwanzig Jahren war es auch nicht viel anders als heute.«

»Die Lotte war schon eine Marke für sich«, sagte Daniel. »Jetzt kommt es mir erst wieder so richtig in die Erinnerung. Jungfrau war sie sicher nicht mehr, als sie diesen Golditz dann mit dem Kind festnageln konnte. Ich glaube, daß sie es darauf angelegt hatte. Sie war ein richtiges Früchtchen.«

»Hast du auch genascht?« fragte Fee schelmisch.

»Mein Schatz, dann würde ich schweigen«, erwiderte er schmunzelnd.

»Was stimmt dich dennoch nachdenklich?« fragte Fee.

»Sie war ein Mädchen aus bürgerlicher Familie. Spießige Eltern, möchte ich sagen, und dumm war sie nicht. Sie hat einen reichen Mann geheiratet, aber irgendwie ist sie einfach ordinär. Loni hat mir auch strafende Blicke zugeworfen.«

»Die Tochter braucht nicht so zu sein. Da der Mutter der Umgang nicht paßt, scheint das Mädchen ihre eigenen Vorstellungen zu haben, und ein Habenichts kann einer etwas ordinären Mutter ein Dorn im Auge sein, wenn er ihrem Lebensstil nicht entspricht«, sagte Fee nachdenklich. »Vielleicht braucht diese Binni andere Hilfe als solche, die ihre Mutter verlangt.«

Er drückte ihre Fingerspitzen an seine Lippen und sagte: »Meine Frau hat gesprochen und meinen Kopf freigemacht. Hoffentlich findet Binni den Weg zu mir.«

*

Sabine Golditz hatte allerdings nicht viel mit ihrer Mutter gemein, abgesehen davon, daß sie ihr blondes Haar geerbt hatte und einen winzigen Leberfleck neben dem linken Auge, der ihr als Beweis galt, daß sie tatsächlich die Tochter von Cornelia Golditz war, denn den Namen Lotte gebrauchte ihre Mutter schon lange nicht mehr. Als Charlotte Cornelia Mueller war sie im Geburtsregister eingetragen, aber von ihren Eltern war sie nur Lotti genannt worden.

Als Sabine Alexandra Golditz lebte Binni seit neunzehn Jahren auf dem Papier. Warum ihre Mutter als Zweitnamen Alexandra gewählt hatte, war ihr von dieser nie erklärt worden. Sie hätte diesen Namen eben hübsch gefunden, aber der Vater hätte auf Sabine bestanden, erfuhr Binni, sonst nichts. Und sie selbst hatte sich als Kleinkind den Namen Binni gegeben, und der wurde von Mutter Cornelia akzeptiert.

Binni war von ihrem Vater buchstäblich vergöttert worden und hatte alles bekommen, was sie sich wünschte oder auch gar nicht wünschte. Als Kind war sie kritiklos gewesen, aber später war es ihr lästig geworden, wie eine Prinzessin aufzuwachsen. Sie wollte nichts Besonderes sein, sie wollte wie alle anderen Kinder aufwachsen. Sie wollte nicht mit dem Chauffeur zur Schule gebracht werden und auf dem Präsentierteller herumgereicht werden, wie es ihren Eltern gefiel. Der Tod ihres Vaters hatte ihr Leben zwar nicht einschneidend verändert, aber er hatte sie auch nicht tief erschüttert.

Binni war sich oft selbst nicht im klaren darüber, warum sie eigentlich nicht das für ihre Eltern empfand, was Kinder instinktiv empfinden sollten. Sie war ein eigenartiges Mädchen und empfand sich selbst als Außenseiterin.

Oft war sie zu etwas gedrängt worden, was sie gar nicht tun wollte, um dann zu staunen, daß sie auch dabei Ehrgeiz entwickelte. Sie war ein apartes Mädchen, und schon in der Schule wären ihr die Buben nachgestiegen. Aber sie hatte sich für keinen interessiert, bis dann Björn Steinbrück in ihr Leben trat.

Es war mehr als eine Sommerliebe. Es war kein Fehltritt, wie ihre Mutter es nannte. Immerhin mußte man es Cornelia zugute halten, daß sie Binni keine Szenen machte, sondern sogar recht vernünftig mit ihr über die unerwünschten Folgen sprach.

Binni hatte kein Geheimnis daraus gemacht, daß sie schwanger war. Cornelia hatte sofort erklärt daß es heutzutage ja kein Problem sei, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Darauf hatte Binni ein klares, kühles Nein entgegengesetzt

Nach ihrem Besuch bei Daniel Norden versuchte es Cornelia auf andere Weise. Sie fiel auch nicht gleich mit der Tür ins Haus. Sie hatte Delikatessen und Leckereien mitgebracht, alles was Binni mochte.

Sie gab sich heiter, als sie sich an den Tisch setzte. »Du bist gutgelaunt, Mama«, stellte Binni nachdenklich fest.

»Ja, stell dir vor, ich habe heute einen ehemaligen Schulfreund getroffen. Daniel Norden. Ich habe doch schon mal von ihm erzählt. Er war der bestaussehendste Junge in unserer Klasse, und ich muß sagen, daß er ein toller Mann geworden ist.«

Für tolle Männer hatte Cornelia immer etwas übrig gehabt. Daß aus der flotten Lotte eine Cornelia geworden war, änderte daran nichts.

»Verheiratet?« fragte Binni gelassen.

Cornelia war leicht irritiert. »Ja, gewiß, drei Kinder hat er auch.«

»Laß die Finger davon, Mama.« Ja, so direkt war Binni immer.

»Liebe Güte, ich habe doch keine Absichten. Es ist doch nett, wenn man sich mal trifft. Ich habe natürlich auch von dir erzählt. Er ist Arzt.«

»Ach so«, sagte Binni trocken. »Hast du ihn eingeseift?«

»Binni, rede nicht so daher. Wenn du das Kind unbedingt haben willst, soll es mir recht sein, aber ich möchte, daß du dann auch ärztlich betreut wirst. Ich will doch nicht, daß dir etwas passiert. Der reizende Vater scheint sich ja nicht um dich zu kümmern.«

Binnis Lider senkten sich. »Er weiß es noch nicht, und derzeit hat er andere Sorgen«, erklärte sie ruhig. »Und ich habe dir schon einmal gesagt, daß es meine Angelegenheit ist und ich darüber nicht sprechen möchte.«

Irgendwie fühlte sich Cornelia von ihrer konsequenten Tochter eingeschüchtert. Sie selbst war nie konsequent gewesen. Und sie hätte auch nie den Mut gehabt, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen. Auf wieviel mußte man da verzichten, nein, das wäre nichts für sie gewesen.

»Ich mische mich gar nicht ein«, sagte sie. »Ich will nur dein Bestes und werde dich nie im Stich lassen, Kleines. Aber du solltest dich wirklich einmal mit Daniel Norden unterhalten. Er ist ein netter Mensch und so erfährst du auch mal, daß man sich gern an deine Mutter erinnert.«

Von Cornelias Jugend hatte Binni wenig erfahren. So redselig und mitteilsam ihre Mutter sonst war, über die Vergangenheit berichtete sie kaum etwas. Ihre Bemerkung machte Binni ein wenig neugierig.

»Wenn du es willst, such ich diesen Dr. Norden mal auf«, sagte sie gleichmütig. »Hat er Papa auch gekannt?«

»Aber Liebes, dein Vater war doch fast eine andere Generation«, sagte Cornelia leichthin. »Und wir lebten dann ja auch in diesem Kaff. Was meinst du, wie eifersüchtig der gute Armin geworden wäre, wenn ich alte Freundschaften gepflegt hätte. Ich war sein ein und alles. Er hat mich keinem anderen gegönnt.«

Binni wollte mehr sagen, aber sie hielt sich zurück. Jetzt wollte sie es nicht zu einem Streit kommen lassen.

»Wo hat Dr. Norden seine Praxis?« fragte sie.

Insgeheim atmete Cornelia schon auf. Sie gab ihr die Karte. »Du brauchst nur anzurufen, dann bekommst du einen Termin. Er wird dir gefallen.« Sie verdrehte die Augen.

Binni dachte an ihren kleinen dicklichen Vater. Gutmütig war er gewesen, aber eben nicht so ein Vater, in dem eine Tochter das Ideal sah, nicht so, daß sie sich einen Mann wünschte, der ihm ähnlich sein sollte. Nein, so war Armin Golditz gewiß nicht gewesen.

Und Binni wußte auch recht genau, daß ihre Mutter es mit der Treue nie genau genommen hatte.

»Schau doch mal, was das Fernsehen bringt«, lenkte Cornelia nach dem Essen ab.

»Du schaust dir doch sowieso jeden Käse an«, meinte Binni.

»Wir sollten wieder mal ausgehen. Im Kino war ich schon lange nicht mehr.«

»Was ist denn eigentlich mit deinem Freund Benno?« fragte Binni ironisch.

»Ach, dieser alte Geizkragen«, erwiderte Cornelia wegwerfend. »Aber ohne Mann kann man abends schlecht ausgehen.« Sie stand auf und schaltete den Fernsehapparat an. »Ich bin noch keine Vierzig. Binni, du mußt verstehen, daß man da auch noch ein bißchen was vom Leben haben will.«

»Verstehe ich ja«, meinte Binni gleichmütig. »Die Nachrichten höre ich mir noch an, dann lese ich lieber.«

»Es kommt aber ein Film«, sagte Cornelia. »Leiste mir doch ein bißchen Gesellschaft.«

Doch da läutete das Telefon, und sie eilte rasch in die Diele. Binni sollte doppelt froh sein, daß das Gespräch wieder mal lange dauerte, denn eine Meldung ließ sie zusammenschrecken, so sehr daß ihr fast der Herzschlag aussetzte.

»Der Bankier Steinbrück, der im Verdacht stand, Kundengelder verspekuliert zu haben, hat sich seiner Verhaftung durch Selbstmord entzogen.« Knapp und klar war diese Meldung. Eine Tragödie stand dahinter.

Binni schlug die Hände vor ihr erblaßtes Gesicht. »Björn, mein armer Björn«, flüsterte sie, und dann raffte sie sich auf und ging in ihr Zimmer.

Wenig später kam ihre Mutter. Binni stand am Fenster und drehte ihr den Rücken zu. »Ich gehe noch aus, Binni«, sagte sie.

»Viel Vergnügen«, sagte Binni heiser.

»Du bist mir doch nicht etwa böse?«

»Aber nein, ich habe nur plötzlich Kopfschmerzen.«