Dr. Norden Bestseller 170 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 170 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. »Tut es noch weh?« fragte Dr. Norden das junge Mädchen, dem er gerade die Hand verbunden hatte. »Ein bißchen«, antwortete Susan Thomae, »aber es geschieht mir ja ganz recht, wenn ich mich so dumm anstelle und nicht mal ein Brötchen richtig aufschneiden kann.« Dabei hatte sie sich eine tiefe Schnittwunde zugefügt, die Dr. Norden klammern mußte. »Gut, daß die Proben erst in einer Woche beginnen«, fuhr Susan mit einem bezaubernden Lächeln fort, »und schlimmer wäre es ja, wenn ich mir etwas an den Beinen tun würde.« »Das wäre ein Jammer«, sagte Dr. Norden schmunzelnd, und diese Worte galten nicht nur den wahrhaft bildschönen Beinen. Susan war eine begabte junge Tänzerin, der man eine große Karriere voraussagte. »Nelly hat mich halt zu sehr verwöhnt«, seufzte Susan. »Kaum ist sie mal ein paar Tage verreist, stelle ich wieder etwas an. Ich fühle mich schrecklich einsam, wenn sie nicht da ist.« Nun war Dr. Norden doch erstaunt. »Aber Sie werden doch Freunde haben, Susan«, sagte er. »Ach was, wenn man ehrgeizig ist, hat man keine Freunde. Für Männer ist keine Zeit da, und Frauen sind sehr leicht neidisch, wenn man Erfolg hat«, erwiderte sie munter. »So jung und schon so weise?« meinte er lächelnd. »Nelly war immer eine gute Ratgeberin«, sagte Susan. »Ihr habe ich doch alles zu verdanken, Dr. Norden. Wäre es nicht schändlich, wenn ich gleich mit dem erstbesten Mann auf und davon gehen würde? Und eine bessere Freundin als Nelly kann ich sowieso nicht finden.« Dem konnte Dr. Norden allerdings nur beipflichten. Nelly Unger hatte Susan die Eltern, die bei

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Dr. Norden Bestseller – 170 –

Ich kann die Sonne wieder sehen

Patricia Vandenberg

»Tut es noch weh?« fragte Dr. Norden das junge Mädchen, dem er gerade die Hand verbunden hatte.

»Ein bißchen«, antwortete Susan Thomae, »aber es geschieht mir ja ganz recht, wenn ich mich so dumm anstelle und nicht mal ein Brötchen richtig aufschneiden kann.«

Dabei hatte sie sich eine tiefe Schnittwunde zugefügt, die Dr. Norden klammern mußte.

»Gut, daß die Proben erst in einer Woche beginnen«, fuhr Susan mit einem bezaubernden Lächeln fort, »und schlimmer wäre es ja, wenn ich mir etwas an den Beinen tun würde.«

»Das wäre ein Jammer«, sagte Dr. Norden schmunzelnd, und diese Worte galten nicht nur den wahrhaft bildschönen Beinen. Susan war eine begabte junge Tänzerin, der man eine große Karriere voraussagte.

»Nelly hat mich halt zu sehr verwöhnt«, seufzte Susan. »Kaum ist sie mal ein paar Tage verreist, stelle ich wieder etwas an. Ich fühle mich schrecklich einsam, wenn sie nicht da ist.«

Nun war Dr. Norden doch erstaunt. »Aber Sie werden doch Freunde haben, Susan«, sagte er.

»Ach was, wenn man ehrgeizig ist, hat man keine Freunde. Für Männer ist keine Zeit da, und Frauen sind sehr leicht neidisch, wenn man Erfolg hat«, erwiderte sie munter.

»So jung und schon so weise?« meinte er lächelnd.

»Nelly war immer eine gute Ratgeberin«, sagte Susan. »Ihr habe ich doch alles zu verdanken, Dr. Norden. Wäre es nicht schändlich, wenn ich gleich mit dem erstbesten Mann auf und davon gehen würde? Und eine bessere Freundin als Nelly kann ich sowieso nicht finden.«

Dem konnte Dr. Norden allerdings nur beipflichten. Nelly Unger hatte Susan die Eltern, die bei einem Unglück ums Leben gekommen waren, als Susan erst drei Jahre alt war, liebevoll zu ersetzen versucht, und das Mädchen hatte nichts entbehren müssen.

Sie war eine Patin, wie man sie jedem Kind nur wünschen konnte. Sie hatte diese Verpflichtung sehr ernst genommen. Dr. Norden wußte das sehr gut, denn er kannte Nelly Unger und Susan seit Jahren.

»Vielen Dank, daß Sie mich gleich drangenommen haben, Dr. Norden«, sagte Susan, »aber jetzt werde ich verschwinden.«

»Es war ja ein Notfall«, sagte er lächelnd, »in zwei Tagen zum Nachschauen kommen, Susan, nicht vergessen.«

»Bestimmt nicht.«

So jung, so schön und so liebenswert war diese Susan Thomae, daß ihr nur Sympathie entgegengebracht werden müßte, aber Dr. Norden wußte sehr gut, daß so viele Vorzüge Neid und Eifersucht erregen konnten. Es war schon richtig, daß Nelly Unger solche Warnungen bei aller Fürsorge für Susan nicht außer acht gelassen hatte.

Loni, Dr. Nordens Sekretärin, blickte diesem bezaubernden Wesen wohlgefällig nach. »Bis übermorgen, Loni!« rief Susan ihr zu.

»Gute Besserung, Susan«, rief Loni ihr nach.

»Gelobe ich in jeder Beziehung«, lachte das Mädchen und hob die verbundene Hand.

*

Als Susan zur S-Bahn ging, folgten ihr wohlgefällige, aber auch neidische Blicke. So anmutig und selbstsicher wünschte wohl manch eine junge Frau zu sein. Bei Susan stimmte eben alles.

Als sie dann die Straße überqueren wollte, die zum Bahnhof führte, schaltete die Ampel auf Rot. Der Autoverkehr hatte den Vorrang und Susan ahnte, daß ihr die Bahn davonfahren würde. Doch da fuhr ein schnittiger Sportwagen vorbei. Er kam ihr bekannt vor, und tatsächlich hatte auch der Fahrer sie erkannt. Er hielt an.

»Hallo, Susan, kann ich Sie mitnehmen?« rief er.

Warum eigentlich nicht, dachte Susan und setzte sich schnell zu ihm, als schon ein Hupkonzert begann.

Kai Vanlohe startete. »So ein Zufall«, sagte er. »Was machen Sie denn hier, Susan?«

»Ich war bei Dr. Norden.« Sie hielt die verbundene Hand hoch.

»Jemine, was ist passiert?«

»Geschnitten habe ich mich. Und was machen Sie in dieser Gegend?«

»Ich habe meine Mutter besucht. Sie liegt ihm Krankenhaus. Sie hat sich ein Bein gebrochen.«

»Das dürfte mir nicht passieren«, sagte Susan. »Ist es sehr schlimm?«

»Es geht schon wieder aufwärts, aber langweilig ist es halt für sie. Und ich habe jetzt leider so wenig Zeit. Die Proben haben bei uns schon begonnen.«

Kai war Regisseur, und auch ihm sagte man eine große Karriere voraus. Susan war ihm bisher immer nur flüchtig begegnet, und selten hatten sie ein paar Worte gewechselt. Er war kein Charmeur und wahrte immer eine gewisse Distanz zu weiblichen Wesen.

»Wohin darf ich Sie bringen?« fragte er

»Ich wollte nur in die Stadt fahren, ein paar Einkäufe machen und essen gehen«, erwiderte sie.

»Ich würde Sie gern zum Essen einladen, aber ich bin mit Ramona verabredet. Wir müssen noch besprechen, wer für Judith einspringen kann.«

»Was ist mit Judith?« fragte Susan überrascht.

»Sie wissen es noch nicht? Sie bekommt ein Baby.«

»Liebe Güte, vor der Ballettwoche«, entfuhr es Susan.

Er lachte amüsiert auf. »So schnell geht es nun auch wieder nicht, aber man sieht es. Es läßt sich wirklich nicht mehr verheimlichen. Aber das Kind hat wenigstens einen Vater.«

»Jedes Kind hat einen Vater«, sagte Susan mit einem schelmischen Lächeln. »Manche wollen sich nur drücken.«

»Eine Frage, Susan«, lenkte er ab, »würden Sie sich zutrauen, Judiths Rolle zu übernehmen?«

»Warum nicht?« meinte sie unbekümmert. »Es fragt sich nur, ob Ramona damit einverstanden wäre.«

Ramona Consalves war die Solotänzerin. Susan wußte, daß sie Talente nur insoweit förderte, als sie keine Konkurrenz zu fürchten hatte, und sie wußte außerdem, daß Ramona auch Kai Vanlohe für sich haben wollte. Jäh war ihr das bewußt geworden, aber Kai sagte unbefangen: »Warum sollte sie nicht einverstanden sein? Sie hat doch Interesse daran, daß es keine Panne gibt.« Er fuhr jetzt langsam und blickte zu ihr hinüber. »Sie sind zwar noch sehr jung, Susan, aber bei weitem die Talentierteste.«

»Ich glaube nicht, daß Ramona diese Meinung teilt«, erklärte Susan zurückhaltend.

»Das wird sich herausstellen«, sagte er. »Ich werde das gleich mit ihr besprechen.«

»Dann sollten Sie aber sehr diplomatisch sein«, sagte Susan mit leiser Ironie.

»Und vielleicht ist es auch besser, wenn Sie dabei nicht erwähnen, daß Sie mich mitgenommen haben.«

Nun war Kai konsterniert. »Das verstehe ich nicht«, sagte er, »dichtet man mir etwa ein Verhältnis mit Ramona an?«

Nun war es Susan, die irritiert war, da sein Erstaunen so echt schien.

»Es bleibt nicht verborgen, daß Sie oft zusammen gesehen werden«, erwiderte sie.

»Und man macht gleich einen Roman daraus? Du liebe Güte, jetzt komme ich mir doch ziemlich dämlich vor.«

»Ich möchte nichts gesagt haben«, erklärte Susan verlegen. »Und jetzt würde ich gern aussteigen, Herr Vanlohe. Vielen Dank, daß Sie mich mitgenommen haben.«

»Wir werden noch über die Besetzung reden, Susan«, sagte er. »Hören Sie mir nicht auf das Getratsche. Sie müßten doch schon wissen, wie das beim Theater ist.«

»Bei mir geht es ja auch zu einem Ohr rein und zum anderen raus«, erwiderte sie leichthin, »und außerdem werde ich sowieso von hier weggehen, wenn ich ein gutes Angebot bekomme.«

Das aber sagte sie nur aus einer Trotzreaktion heraus. Sie hatte solchen Gedanken noch nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Und als Kai Vanlohe dann davonfuhr, fragte sie sich, warum sie das gesagt hatte.

*

»Du hast dich verspätet«, empfing Ramona Kai.

»Entschuldige, ich habe meine Mutter im Krankenhaus besucht«, erwiderte er, aber er sagte nicht, daß er Susan getroffen hatte. Er war jetzt vorsichtig und sollte darüber froh sein, als sie dann auf die Besetzung zu sprechen kamen.

»Ich denke, Susan könnte Judiths Part tanzen«, bemerkte er ganz bei-läufig.

Ramona kniff die Augen zusammen. »Wieso Susan?« fragte sie mit einem gehässigen Unterton. »Wie kommst du ausgerechnet auf sie?«

»Sie fällt auf«, erwiderte er nun sehr bestimmt. »Sie fällt sehr angenehm auf. Ich habe vernommen, daß man sie sogar zu dem Wettbewerb nach London schicken will. Und wenn wir Pech haben, wird sie gleich wegengagiert. Was hast du gegen sie?« fragte er dann ganz direkt und sehr kühl.

»Sie ist noch nicht reif«, erwiderte Ramona. »Aber sehr von sich überzeugt.«

»Warst du das in so jungen Jahren nicht auch?« fragte Kai anzüglich.

Und das gefiel ihr nun gar nicht. Auf ihr Alter anzuspielen, gestattete sie niemandem, erst recht Kai nicht.

»Willst du mich zum alten Eisen rechnen?« zischte sie.

»Sei doch nicht gleich eingeschnappt, Ramona. Ich wollte damit doch nur sagen, daß eine gehörige Portion Selbstbewußtsein dazu gehört, sich an die Spitze zu spielen und zu tanzen. Deine Stellung hier wird doch von niemandem angetastet.«

Er betrachtete sie mit aufmerksamen Augen. Sie war eine interessante, rassige Frau und unbestreitbar eine großartige Tänzerin. Aber zum ersten Mal sah er auch die Falten, die sich bereits um die Augen herum bildeten, und er bemerkte jetzt auch einen häßlichen Zug um den Mund. Aber er wollte sie nicht reizen.

»Sag du mir, wer Judiths Part übernehmen könnte.«

»Ich werde das ja wohl nicht allein zu entscheiden haben«, erwiderte sie spitz, »und du auch nicht. Aber vielleicht hat dieses raffinierte, kleine Biest schon Verbindungen zur Intendanz geknüpft. Lassen wir dieses Thema. Ich habe für das Wochenende eine Einladung nach Salzburg und hoffe, daß du mich begleitest.«

»Das geht nicht, Ramona. Ich muß mich um meine Mutter kümmern. Sie wird am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen.«

»Du und deine Mutter«, sagte sie gereizt. »Ich kann dich mit sehr einflußreichen Leuten bekannt machen. Du kannst doch deiner Mutter eine Pflegerin engagieren. Denk doch auch mal an deine Karriere.«

»Oh, ich bin ganz zufrieden mit dem, was ich bisher erreicht habe, und auf Protektion lege ich keinen Wert, Ramona.«

Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Ein verführerisches Lächeln legte sich um ihren Mund.

»Aber doch wohl auf meine Zuneigung, Kai«, sagte sie. »Ich bin so glücklich, daß wir endlich einmal wieder allein sind. Ich habe keine Lust, Verstecken zu spielen.«

»Wieso Verstecken?« fragte er. »Ich bewundere dich. Ich finde dich großartig, Ramona, und daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Ich dachte auch, daß wir gute Freunde geworden sind.«

Sie wandte sich ab. »Damit bin ich aber nicht zufrieden, Kai. Ich verstehe deine Hemmungen nicht, deine ewige Rücksichtnahme auf deine Mutter. Mach dich doch nicht lächerlich.«

»Ich finde es nicht lächerlich, wenn man sich um seine Mutter kümmert, und Talent zum Liebhaber habe ich schon gar nicht. Tut mir leid, wenn ich das so deutlich sagen muß, aber mit Anselm oder Barbato kann ich nicht konkurrieren.«

»Dieser Unsinn!« stieß sie hervor, »das ist doch eine ganz dumme Eifersucht.«

»Ich bin keineswegs eifersüchtig. Ich würde es sehr bedauern, wenn unser bisheriges gutes kollegiales Verhältnis durch unterschiedliche Einstellung getrübt werden sollte, Ramona. Es wird Zeit, daß wir zum Theater fahren.«

»Wie du willst. Verdirb es nicht mit mir«, sagte sie gereizt. »Es könnte sein, daß du dir dann auch ein anderes Engagement suchen mußt. Auf mich kann man hier nicht verzichten.«

»Ich will nicht ewig hierbleiben«, sagte er sarkastisch.

»Und deine Mutter?« fragte sie anzüglich.

»Die nehme ich natürlich immer mit«, erwiderte er im gleichen Ton.

Nun lenkte sie doch wieder ein. »Wir wollen uns nicht streiten, Kai. Ich bin gereizt, weil diese blöde Judith ein Kind in die Welt setzen muß. Wie kann man nur so dämlich sein!«

Und wie dämlich war ich, dachte er. Wie konnte ich mich so in Ramona täuschen. Ein kleines Mädchen mußte mir erst einen Hinweis geben, Augen und Ohren richtig aufzumachen.

Bei der Besprechung zeigte sich Ramona dann wieder ganz souverän. Ohne daß Kai ein Wort gesagt hatte, wurde einstimmig beschlossen, daß Susan für Judith einspringen sollte.

Ramona wagte nur den kleinen Einwand, daß sie soweit vielleicht doch noch nicht sein könnte, aber da mußte sie eine weitere Niederlage einstecken.

»Sie ist die einzige, der ich auch zutrauen würde, für dich einzuspringen, Ramona«, sagte der Intendant gelassen. »Sie ist hochtalentiert. Schließlich müssen wir daran denken, daß du auch mal ausfallen könntest.«

Alles wurde ohne Hintergedanken gesagt, aber Ramona bekam doch alles in die falsche Kehle, aber sie beherrschte sich. Am meisten hatte es sie an diesem Tage getroffen, daß Kai ihr nicht zu Füßen gefallen war. Sie war es gewohnt, jeden Mann zu bekommen, der ihr gefiel. Und dieser Kai Vanlohe gefiel ihr besser als jeder andere. Er sah blendend aus, er hatte eine künstlerische Zukunft, und außerdem war er von zu Hause aus vermögend. Die Familie Vanlohe spielte gesellschaftlich eine Rolle. Er brauchte keine Protektion, und das störte sie. Und noch mehr ärgerte es sie, daß die Gerüchte, die sie selbst in die Welt gesetzt hatte, von ihm jetzt unterminiert werden könnten.

Sie zeigte sich von ihrer sanftesten Seite, als die Unterredung beendet war.

»Jetzt hast du hoffentlich nichts mehr an mir auszusetzen, Kai«, sagte sie mit einem betörenden Lächeln. »Die kleine Susan bekommt ihre Chance, und wir könnten unsere kleine Unstimmigkeit bei einem netten Essen begraben.«

»Du mußt auf deine Figur achten, Ramona«, sagte er spöttisch, »und ich bin bei Bekannten eingeladen.«

»Bei was für Bekannten?« fragte sie unbeherrscht.

»Du kennst sie nicht«, erwiderte er.

*

Es war keine Ausrede gewesen. Kai fuhr nach Tutzing, wo Verwandte von ihm lebten, und er war froh gewesen, nicht nach einer Ausrede suchen zu müssen.

Die wenigen, die von der Familie Vanlohe noch lebten, hielten zusammen. Außerdem war Kai froh, wenn er der Stadt entfliehen konnte, aber als er unterwegs war, kam es ihm in den Sinn, Susan anzurufen und nun sie zur Vorsicht zu mahnen, was den Umgang mit Ramona betraf.

Doch als er bei einer Telefonzelle hielt, und im Telefonbuch endlich ihre Nummer gefunden hatte, war diese besetzt. Er versuchte es zehn Minuten lang, aber es kam immer wieder nur das Besetztzeichen. Mit wem mochte sie wohl telefonieren?

Plötzlich hatte dieses Mädchen eine weitaus größere Bedeutung in seinem Leben gewonnen, als er es ihr vor diesem Tag zugebilligt hatte.

Ja, sie war ehrgeizig, vor allem aber wirklich hochbegabt, voller Anmut und auch intelligent, und sie hatte Niveau, wie er hatte feststellen können.

Aber natürlich hatte so ein Mädchen auch Verehrer. Vielleicht war sie von einem Mann hochgelobt worden, auf den Ramona ein Auge geworfen hatte, und deshalb war diese so aggressiv geworden.

Blödsinn, was ich mir jetzt alles einrede, dachte Kai. Diese Weiber sollen sich doch zusammen- oder auseinanderraufen. Er hing den Hörer ein. Und im gleichen Augenblick legte Susan den Hörer auf. Nelly hatte angerufen von Bad Wiessee, wo sie jedes Jahr um die gleiche Zeit eine Woche verbrachte, um sich aufmöbeln zu lassen, wie sie sagte.

Aber Nelly wollte natürlich alles ganz genau wissen, und deshalb dauerten die Telefonate auch immer lange. Aber kaum hatte Susan aufgelegt, da läutete das Telefon schon wieder, und da sie daneben stand, meldete sich Susan rasch.

Ramonas Stimme tönte an ihr Ohr. »Hallo, Susan«, sagte sie im liebenswürdigsten Ton, »hat Kai Ihnen schon erzählt, daß Sie Judiths Part übernehmen sollen?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Susan geistesgegenwärtig. »Was ist denn los?«

»Ist Kai nicht bei Ihnen?« fragte Ramona.

»Nein. Wieso denn das? Ist es denn so wichtig?«

»Nun, ich dachte, daß er Sie vielleicht persönlich informieren wollte. Oder hat er angerufen? Bei Ihnen war lange besetzt.«

Susan dachte allerlei, aber sie bewahrte Fassung. »Ich habe mit meiner Tante telefoniert, und ich könnte mir nicht vorstellen, warum Herr Vanlohe mir irgend etwas verklickern könnte, Ramona. Und wieso soll ich Judiths Part übernehmen?«

»Sie bekommt doch ein Baby, wissen Sie das auch noch nicht?«

»Das ist mir ganz neu«, erwiderte Susan.

»Dann besprechen wir morgen alles und beginnen gleich mit den Proben«, sagte Ramona, und ihre Stimme hatte nun einen ruhigeren Klang. »Aber wenn es Ihnen recht wäre, würde ich Sie heute noch aufsuchen.«

Das brachte Susan doch ein bißchen aus der Fassung. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte sie stockend. »Wir wohnen ziemlich weit draußen.«

»Sie könnten auch zu mir kommen. Ich würde mich freuen, wenn wir mal ganz gemütlich miteinander reden könnten.«

»Ich habe Zeit, wie es Ihnen lieber ist, Ramona«, sagte Susan.

»Dann kommen Sie doch zu mir. Wie lange werden Sie brauchen, Susan?«

»Eine knappe Stunde. Ich muß mich noch umziehen.«

»Fein, ich freue mich.«

»Danke für den Anruf«, sagte Susan leise. Und dann überlegte sie, was das bedeuten könnte. Hatte Kai Vanlohe doch geplaudert? Wollte Ramona sie aufs Glatteis führen? Sie war neugierig geworden, aber keineswegs ängstlich. Angst kannte Susan überhaupt nicht.

Sie begann sich umzukleiden, aber da läutete das Telefon schon wieder. Vielleicht hat sie es sich doch anders überlegt und Vanlohe ist bei ihr, dachte Susan.

Aber nun tönte seine Stimme an ihr Ohr.

»Gut, daß ich Sie endlich erreiche, Susan«, sagte er. »lch habe es schon ein paarmal probiert, es war dauernd besetzt.«

»Zuerst hat mich meine Tante angerufen, dann Ramona«, erwiderte Susan mechanisch.

»Wieso Ramona?«

»Wegen der Besetzung. Sie dachte anscheinend, Sie wären bei mir. Sie hat mich eingeladen. Ich fahre jetzt zu ihr.«

»Sie haben mir zur Vorsicht geraten, jetzt gebe ich ihnen den gleichen Rat, Susan«, sagte er. »Sie weiß nicht, daß wir uns getroffen haben.«

»Das ist beruhigend«, sagte Susan erleichtert. »Sie ist wahnsinnig freundlich. Habe ich das Ihnen zu verdanken?«

»Bestimmt nicht. Sie gehen Ihren Weg auch allein, Susan, denken Sie daran.«