Dr. Norden Bestseller 171 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 171 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Die Schreckensmeldung kam mit den Abendnachrichten. Der D-Zug nach Wien war entgleist. Fee und Daniel Norden hatten den Atem angehalten. Fassungslos blickten sie sich an. »Dreiundzwanzig Tote«, stammelte Fee, »und Lutz Leonhard ist mit diesem Zug gefahren!« Daniel Norden erhob sich und ging zum Telefon. »Ich werde mich gleich erkundigen«, sagte er heiser. »Weißt du es bestimmt, daß er mit diesem Zug gefahren ist, Fee?« Sie nickte. »Er hat mich vom Bahnhof aus angerufen. Er hat mich gebeten, doch ab und zu mal nach Zenzi zu schauen, und daß sie den Hund richtig füttert. Gut, daß Zenzi schwerhörig ist. Sie wird nicht Radio hören.« Und sie hörte nicht zu, als Daniel telefonierte. Sie ging zu den Kindern, die verschüchtert das Zimmer verlassen hatten, als diese Schreckensmeldung kam, die die Eltern so erregte. »Warum passiert so etwas, Mami?« fragte Danny ängstlich. »Warum kann auch ein großer Zug aus den Schienen springen wie eine Spielzeugeisenbahn?« »Ich weiß nicht, wie das passiert ist. Es gibt mancherlei Gründe«, erwiderte Fee tonlos. »Warum muß der Lutz auch ausgerechnet mit dem Zug fahren«, jammerte Felix. »Hat er keinen Schutzengel, Mami?« fragte Anneka. »Ich hoffe es, daß er einen hatte«, sagte Fee leise. Nur mühsam konnte sie die aufsteigenden Tränen zurückhalten. Erst vor ein paar Monaten hatten sie Lutz Leonhard kennengelernt, als er ein Haus in der Nachbarschaft bezogen hatte, aber mit diesem hochbegabten jungen Bildhauer waren sie schnell vertraut geworden. Freundschaft hatten zuerst die Hunde geschlossen. Nordens Bärle und Lutz Leonhards Bazi, ein pfiffiger Spaniel, der sich dann als genauso kinderlieb zeigte wie Lutz. Es verging kaum ein Tag,

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Dr. Norden Bestseller – 171 –

Gemeinsam in ein neues Leben

Patricia Vandenberg

Die Schreckensmeldung kam mit den Abendnachrichten. Der D-Zug nach Wien war entgleist.

Fee und Daniel Norden hatten den Atem angehalten. Fassungslos blickten sie sich an.

»Dreiundzwanzig Tote«, stammelte Fee, »und Lutz Leonhard ist mit diesem Zug gefahren!«

Daniel Norden erhob sich und ging zum Telefon. »Ich werde mich gleich erkundigen«, sagte er heiser. »Weißt du es bestimmt, daß er mit diesem Zug gefahren ist, Fee?«

Sie nickte. »Er hat mich vom Bahnhof aus angerufen. Er hat mich gebeten, doch ab und zu mal nach Zenzi zu schauen, und daß sie den Hund richtig füttert. Gut, daß Zenzi schwerhörig ist. Sie wird nicht Radio hören.«

Und sie hörte nicht zu, als Daniel telefonierte. Sie ging zu den Kindern, die verschüchtert das Zimmer verlassen hatten, als diese Schreckensmeldung kam, die die Eltern so erregte.

»Warum passiert so etwas, Mami?« fragte Danny ängstlich. »Warum kann auch ein großer Zug aus den Schienen springen wie eine Spielzeugeisenbahn?«

»Ich weiß nicht, wie das passiert ist. Es gibt mancherlei Gründe«, erwiderte Fee tonlos.

»Warum muß der Lutz auch ausgerechnet mit dem Zug fahren«, jammerte Felix.

»Hat er keinen Schutzengel, Mami?« fragte Anneka.

»Ich hoffe es, daß er einen hatte«, sagte Fee leise. Nur mühsam konnte sie die aufsteigenden Tränen zurückhalten.

Erst vor ein paar Monaten hatten sie Lutz Leonhard kennengelernt, als er ein Haus in der Nachbarschaft bezogen hatte, aber mit diesem hochbegabten jungen Bildhauer waren sie schnell vertraut geworden.

Freundschaft hatten zuerst die Hunde geschlossen. Nordens Bärle und Lutz Leonhards Bazi, ein pfiffiger Spaniel, der sich dann als genauso kinderlieb zeigte wie Lutz.

Es verging kaum ein Tag, an dem die Kinder nicht eine Stunde bei ihm saßen und ihm zuschauten, aber dann war Fee auch schnell dahintergekommen, daß er die Kinder modellierte, die das gar nicht merkten, weil sie selbst Ton kneten und formen konnten.

So war es nicht verwunderlich, daß sich auch freundschaftliche Bande zwischen Lutz und dem Ehepaar Norden knüpften, obgleich Lutz Erwachsenen gegenüber bei weitern nicht so aufgeschlossen war wie Kindern. Er war ein verinnerlichter Mensch und sprach nicht über sich, aber Fee und Daniel ahnten, daß er Schweres durchlebt haben mußte, da er mit seinen gerade erst achtundzwanzig Jahren eine Reife hatte, wie man sie bei so jungen Menschen selten fand.

Und jetzt ängstigten sich die Kinder mit ihren Eltern um Lutz, denn Daniel hatte noch nicht viel erfahren können. Außer den Toten hatte es viele Schwerverletzte gegeben, und bisher waren noch nicht alle Namen bekannt.

Aber Dr. Daniel Norden hatte die allerbesten Beziehungen. »Sie werden mich sofort informieren, wenn etwas aber Lutz bekannt wird, Fee«, sagte er leise.

»Was ist mit Onkel Lutz?« fragte Anneka weinerlich.

»Er kommt schon wieder, Schätzchen, er kommt bestimmt wieder«, sagte Daniel tröstend.

Sie klammerten sich an die Hoffnung, und sie wußten auch, daß viele andere jetzt auch voller Hangen und Bangen warten mußten.

Zu diesen gehörte auch die junge Fernsehmoderatorin Annabel Roda, die vor ein paar Stunden ihren Vater zu diesem Zug gebracht hatte.

Da hatte dieses aparte Mädchen mit dem wunderschönen blonden Haar viele Blicke auf sich gezogen.

Vier Stunden war es her, daß sich Annabel von ihrem Vater verabschiedet hatte.

In dem Erster-Klasse-Abteil hatte sie ihn umarmt. »Mach es gut, Beppo«, hatte sie lachend gesagt. Sie selbst hatte ihm diesen Namen gegeben. Als Baby hatte sie Pepo statt Papa gesagt, das kam ihr dann aber später doch ein bißchen komisch vor, und es war Beppo daraus geworden, da zwischen Vater und Tochter dann ein eher freundschaftliches Verhältnis herrschte.

Daß ihr Vater den sehr beliebten Vornamen Michael besaß, war fast vergessen. Er wurde immer Beppo genannt, und er ließ es sich gefallen. Mit seinen fünfzig Jahren war er ein sehr gut aussehender Mann, und Annabel amüsierte es, wenn man ihn für ihren Freund hielt.

Und das tat auch Lutz Leonhard, der dann kurz vor der Abfahrt das Abteil betrat. Er betrachtete Frauen allerdings nur mit seinem künstlerischen Auge. Er hatte, wie auch Michael Roda, eine Platzreservierung.

Annabel betrachtete den Mitreisenden ihres Vaters mit den Augen einer Frau. Das war endlich mal ein Mann, der ihr gefallen konnte. Nicht so ein Snob, der mit einem Siegerlächeln eintrat, als würde ihm die Welt gehören und auch das Abteil.

»Du mußt jetzt aussteigen, Kleines«, lächelte Michael Roda. »Sonst mußt du mitfahren.«

»Ich würde gern mitfahren, Beppo«, sagte sie. »Denk bitte nicht nur an die Arbeit, gönn dir auch Zeit fürs Vergnügen!«

Dafür hatte sie einen erstaunten Blick von Lutz Leonhard geerntet. Sie konnte diesen nicht deuten, aber er ging ihr unter die Haut. Noch nie hatte sie so ausdrucksvolle Männeraugen gesehen, wollte sie von den Augen ihres Vaters absehen.

Es war ein Staunen in diesem Blick gewesen, ein Suchen, Verwunderung und eine Frage.

Wie hätte sie auch ahnen sollen, was Lutz Leonhard bewegte! Er war kein gesprächiger Mensch und schloß nicht schnell Bekanntschaften. Die Freundschaft mit den Nordens war für ihn selbst überraschend gewesen, obgleich es diese jetzt als ein Geschenk betrachtete.

Aber Lutz Leonhard war ein Künstler, und er studierte Gesichter. Unauffällig studierte er auch das von Mi-chael Roda, als dieser sich in ein Buch vertiefte. Ein schmales kluges Gesicht war es. Volles graues Haar lag flach über einer hohen Stirn, die von drei tiefen Falten durchzogen war. Doch Lutz Leonhards Blick wanderte auch zu den Händen, und selten hatte er bei einem Mann so schöne, so sensible Hände gesehen. Sein Interesse war geweckt. Sein Gegenüber mußte wohl ein musischer Mensch sein. Ein Musiker vielleicht?

Den Titel des Buches, in dem Mi-chael Roda las, konnte er nicht herausfinden, denn es war in einer ledernen Hülle.

Lutz hätte gern eine Unterhaltung begonnen, aber er war zu scheu, zu vorsichtig. Der Mann interessierte ihn, wie ihn die junge Frau fasziniert hatte, und das aus einem ganz besonderen Grund, der ihn sogar in Spannung versetzt hatte.

Sie blieben auch nach dem ersten Halt allein im Abteil. Und es herrschte weiterhin Schweigen. Dann kam die Grenze, und wieder setzte sich niemand zu ihnen.

Die Paßkontrolle ging schnell vonstatten. Michael Roda warf jetzt Lutz einen nachdenklichen Blick zu.

»Sie rauchen nicht?« fragte er.

»Nein«, erwiderte Lutz.

»Es ist interessant zu beobachten, wie Nichtraucher sich in ein Raucherabteil setzen«, sagte er lächelnd.

»Manchmal rauche ich Pfeife«, sagte Lutz.

»Ich auch«, erwiderte Michael. »Meine Tochter mag es, sonst hätte ich mir wohl auch das abgewöhnt.«

»Die junge Dame war Ihre Tochter?« fragte Lutz stockend.

»Sie ist meine Tochter«, wurde er berichtigt. »Entschuldigen Sie bitte die Korrektur, aber ich bin Literat, und Annabel ist sehr lebendige Gegenwart.«

Sie heißt Annabel, dachte Lutz und sagte: »Ihre Tochter erinnerte mich an jemanden.« Doch bevor Michael eine Antwort geben konnte, begann es zu krachen, und dann überstürzten sich die Ereignisse. Sie wurden gegeneinander geschleudert, und dann wurde es Nacht um sie beide.

*

Annabel hatte die Nachricht von dem Unglück gehört, als sie ins Studio kam. Auf ihrem Plan stand an diesem Abend ein Interview mit einigen Eiskunstläufern. Annabel hatte in diesem Sport in jungen Jahren schon einige Lorbeeren geerntet, war dann aber durch eine Verletzung gehandicapt gewesen, und außerdem hatte sie dann auch schon Angebote von Film und Fernsehen gehabt. Sie hatte sich für das Fernsehen entschieden, denn schauspielerische Ambitionen lagen ihr fern. Sie war sehr fotogen, das wußte sie, war intelligent, charmant und sehr vielseitig interessiert. Sie hatte schnell Karriere gemacht, und noch nicht einmal dreiundzwanzig Jahre alt, räumte man ihr schon große Freiheiten ein.

Sie war noch keinen Tag krank gewesen, hatte keine Launen und hatte noch nie versagt. Selbst die härtesten Kritiker fanden nichts an ihr auszusetzen.

Als sie an diesem Abend nun kreidebleich auf einem Stuhl hockte und die Tränen über ihre Wangen rannen, waren alle, die es sahen, bestürzt und voller Mitgefühl.

»Was hast du denn, Annabel, bist du krank? Ist etwas passiert?«

»Mein Vater ist in dem Zug«, stammelte sie.

Schweigen herrschte. »Du mußt nicht gleich das Schlimmste fürchten«, sagte jemand.

»Von uns ist schon ein Team unterwegs«, vernahm Annabel eine andere Stimme. »Wir werden uns sofort erkundigen, Annabel.«

»Die Sendung beginnt gleich, du mußt dich zusammenreißen«, sagte die Regie.

Sie wußte, wie es hier zuging. Man durfte sich keine Schwäche gestatten, wenn eine Sendung angesetzt war. So rasch konnte kein Ersatz für sie beschafft werden.

Sie nahm alle Kraft zusammen und trank erst einen Schluck Wasser. »Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich keinen guten Eindruck mache heute abend«, begann sie leise, »aber ich habe soeben erfahren, daß der D-Zug nach Wien verunglückt ist, und mein Vater ist unter den Reisenden. Man möge mir verzeihen, wenn ich hier in eigener Sache spreche, aber sollte er in eine Klinik eingeliefert worden sein, bitte ich um baldige Nachricht.«

Es war ihr gleichgültig, welche Folgen das haben würde. Und wie sie es dann schaffte, die Sendung über die Runden zu bringen, wußte sie später auch nicht mehr, aber sie hatte es viel diesen vier jungen Leuten zu verdanken, die ihr voller Mitempfinden über die Klippen halfen und bewiesen, daß diese so sportlichen jungen Leute Herz hatten.

*

Als Lutz Leonhard zum Bewußtsein kam, lag unter ihm ein blutender Mann. Obgleich Lutz sich nicht bewegen konnte, konnte er sofort denken.

Er preßte sein Ohr auf die Brust des anderen und lauschte auf den Herzschlag. Das war nicht einfach, da draußen gehämmert wurde.

»Hilfe! So helft doch!« rief Lutz schwach.

Wieviel Zeit dann verging, bis tatsächlich Hilfe kam, wußte er nicht. Er konnte in dieser Finsternis nichts erkennen. Er begriff nur langsam, was geschehen war, er lag mit Michael Roda eingeklemmt zwischen Trümmern und hätte nicht mit Sicherheit sagen können, ob der andere noch atmete.

Sein ganzes Leben rollte wie ein Film vor seinen Augen ab. Seine glückliche Kindheit in den Bayerischen Bergen, als einziger Sohn des bekannten Holzschnitzers Lukas Leonhard. Wie er von sich aus Ton formte, was der Vater aus dem Holz schnitzte, ihm zuerst alles nachahmend, bis der Vater dann erkannte, daß er Größeres, Unvergänglicheres schaffen könnte und ihn auf die Kunstakademie schickte.

Zwanzig Jahre war er gewesen, als die Eltern auf grausame Weise ums Leben kamen. In einer Silvesternacht hatte ein Feuerwerkskörper ihr Haus in Brand gesetzt, und sie hatten sich nicht retten konnen. Es war das erste Mal, daß Lutz nicht mit ihnen den Jahreswechsel verbrachte. Er war verliebt gewesen. Er tanzte mit einem Mädchen in das neue Jahr hinein, während die Eltern schlafen gegangen waren, sicher traurig, weil der Sohn nicht bei ihnen weilte. Und während sie schliefen, hatte der Tod sie überrascht. Für Lutz war es schrecklich. Er quälte sich mit Vorwürfen, und auch die erste Liebe war schnell dahin, weil das Mädchen diesen nachhaltigen Schmerz nicht begreifen wollte.

Dann war eine Frau in sein Leben getreten, die doppelt so alt war wie er, eine Künstlerin von Rang, die auf ihn aufmerksam geworden war. Michelle Leuven! Sie hatte ihn nach Paris geholt und war ihm eine mütterliche Freundin geworden. Ihr hatte er zu verdanken, daß sein Leid seine künstlerische Entwicklung beflügelte.

Michelle hatte eine Professur in Wien angenommen. Er hatte sie besuchen wollen. Und nun lag er hier und wußte nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde, als die Retter kamen, die ihn und Michael Roda aus dem Chaos befreiten. Lutz hatte das Bewußtsein verloren, als sie ihn auf die Trage legten. Plötzlich waren die Schmerzen gekommen, diese wahnsinnigen Schmerzen in den Armen und Beinen.

*

Es war Mitternacht, als bei Dr. Norden das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab. Fee beobachtete ihn aus umschatteten Augen.

»Ja, es ist gut, ich danke lhnen«, sagte Daniel. »Ich werde mich mit dem Krankenhaus in Verbindung setzen.«

Er legte den Hörer zurück. »Lutz lebt, aber er ist schwer verletzt«, sagte er leise.

»Wir müssen ihn herholen«, sagte Fee. »Dieter kann ihn bestens betreuen.«

»Ich werde es veranlassen, wenn die Möglichkeit besteht, Fee. Du wirst es Zenzi morgen schonend beibringen müssen.«

Sie nickte. »Warum wollte er eigentlich nach Wien fahren?« fragte Daniel.

»Ich habe ihn nicht gefragt, Daniel. Du kennst ihn doch. Er redet nicht über sich und seine Angelegenheiten. Vielleicht hat er eine Ausstellung. Auch darüber würde er nichts sagen. Er spielt sich nie in den Vordergrund. Ihm ist es ja sogar peinlich, wenn in den Zeitungen über ihn geschrieben wird. Vielleicht sind wir die einzigen, die sich um ihn sorgen.«

So war es auch, denn Michelle Leuven hatte keine Ahnung, daß Lutz sie besuchen wollte. Er hatte sie überraschen wollen. Sie wußte auch nichts von dem schrecklichen Zugunglück, da sie ganz plötzlich einer Einladung nach Verona gefolgt war, womit wiederum Lutz nicht gerechnet hatte, denn Michelle hatte an diesem Tag Geburtstag, und sie hatte ihm gesagt, daß sie diesen im engsten Freundeskreis feiern würde. Es gehörte zu Michelles Eigenheiten, daß sie nie jemanden extra einlud. Gerade das schätzte man an ihr, daß sie niemandem einen Zwang auferlegte. Und auch Lutz hatte sie alle Freiheiten gelassen, wie es eine gute Mutter tat, die nur das Beste für ihre Kinder wollte.

Es war für Michelle gut, daß sie nichts von dem Unglück wußte und davon, daß Lutz so schwer verletzt war, denn sie fühlte für ihn so viel Liebe, als wäre er ihr eigener Sohn.

Aber Michelle, wenigstens sie, konnte an diesem Abend glücklich sein, denn sie wurde mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet und Conte Peruggio, den sie als guten Freund schätzengelernt hatte, zeigte sich

hocherfreut, sie als seinen Gast in seinem Palazzo begrüßen zu können.

*

Annabel hatte inzwischen auch die Nachricht bekommen, daß ihr Vater schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Sie hatte keinen Vorwurf zu hören bekommen, daß sie eine so persönliche Erklärung abgegeben hatte. Man hatte ihr Anerkennung gezollt, daß die Sendung dennoch glatt über die Runden ging, und man zeigte auch Verständnis dafür, daß sie die nächsten Termine absagte.

Sie setzte sich gleich in ihren Wagen und fuhr in die Nacht hinein. Sie war jetzt so konzentriert, wie sie es auch bei der Arbeit sein mußte.

Sie wollte nicht an das Schlimmste denken. Du mußt leben, Beppo, sagte sie immer wieder vor sich hin. Ich brauche dich. Ich habe doch nur dich.

Ja, sie hatte immer nur ihn gehabt, denn ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben Es war eine Frühgeburt gewesen, die die zarte Frau nicht überlebt hatte. Und als sie es dann später erfuhr, war sie ihrem Vater dankbar gewesen, daß er sie dennoch geliebt hatte.

»Du mußt leben, Beppo, ich brauche dich«, wie oft hatte sie es gesagt, sie hätte es nicht zählen können, bis sie dann im Morgengrauen das Krankenhaus erreichte.

Eine Ordensschwester empfing sie. »Sie sind ja ganz erschöpft«, sagte sie, als Annabel nun vor innerer Erregung kaum ein klares Wort über die Lippen brachte.

»Mein Vater, Michael Roda, man hat mir gesagt, daß er hierher gebracht wurde«, stammelte sie.

»Ja, viele sind hier«, erwiderte die Schwester. »Und wir haben so wenig Platz. Sie dürfen nicht erschrecken. Wir mußten die Betten in den Gang stellen.«

»Ich will, daß er am Leben bleibt«, flüsterte Annabel. »Ich will ihn sehen. Und was ist mit dem Mann, der bei ihm im Abteil war?«

Die alte Ordensschwester war sichtlich erstaunt, eine solche Frage gestellt zu bekommen.

»Wie ist der Name?« fragte sie.

»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er bei meinem Vater im Abteil saß.« Die Schwester war noch mehr verwirrt. Sie zuckte die Schultern. »Ich kann nichts sagen«, murmelte sie. »Für uns sind das Patienten, Namen, die wir nicht kennen. Es ist ein schreckliches Unglück für unser Land. Ich kann auch nicht sagen, wo Ihr Vater liegt. Wir werden ihn finden.«

Annabels Augen brannten, als sie an den Betten vorbeiging, und dann sah sie zuerst das Gesicht, das ihr im Gedächtnis haftengeblieben war.

»Das ist der Mann, der mit meinem Vater im Abteil war«, murmelte sie und blieb stehen.

»Lutz Leonhard«, stand auf einer Karte, die an das Bett gehängt worden war.

»Von manchen wissen wir nicht mal die Namen, weil wir keine Papiere gefunden haben«, murmelte Schwester Ludovica. Den Namen hatte sie Annabel schon genannt.

»Ist er schwer verletzt?« fragte Annabel tonlos.

»Alle, die hier liegen, sind schwer verletzt«, erwiderte Schwester Ludovica. »Die anderen sind weitertransportiert worden. Wir konnten ja nicht alle aufnehmen. Es ist schlimm. Man will helfen, aber der Platz fehlt.«

Annabel ging weiter, und endlich entdeckte sie auch den Namen Roda. Sie hätte ihren Vater nicht erkannt, denn sein Kopf war von Verbänden umhüllt.

Mit einem trockenen Aufschluchzen sank sie neben dem Bett in die Knie.

»Mein liebster Beppo«, flüsterte sie, »verlaß deine Püppi nicht.«

Püppi hatte er sie immer genannt, als sie ein kleines Mädchen war und später auch, wenn er seine Liebe ganz besonders ausdrücken wollte.

Annabels Tränen tropften auf die Bettdecke. Dann legte sich eine feste Hand auf ihre Schulter. Sie blickte auf und in das Gesicht eines älteren Arztes.

»Er hat gute Chancen, gnädiges Fräulein«, sagte Dr. Rommeis.

Den Namen merkte sich Annabel auch sofort, als er sich vorgestellt hatte.

»Ich möchte, daß mein Vater bes-tens versorgt wird«, sagte Annabel leise.

»Wir bemühen uns, aber wir sind dem nicht gewachsen«, erwiderte der Arzt. »Sie leben in München?«

Annabel nickte. »Ein Kollege aus München hat uns angerufen wegen Herrn Leonhard. Er will veranlassen, daß der Patient nach München gebracht wird. Es gäbe die Möglichkeit, daß Ihr Vater auch mit dem Hubschrauber dorthin gebracht wird. Es würden allerdings beträchtliche Kosten anfallen. Ich weiß nicht, ob ei-

ne Versicherung dafür aufkommen wird.«