Dr. Norden Bestseller 188 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 188 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Julia Raider war die letzte Patientin, die in Dr. Nordens Wartezimmer saß. Sie war spät gekommen. Sie nahm die flauschige Mütze, die nur wenig von ihrem Gesicht freigab, auch in dem warmen Wartezimmer nicht ab und ignorierte die erstaunten Blicke der Anwesenden. Erst, nachdem sie sich hinter einer Zeitung verschanzt hatte, nahm sie die Mütze ab. Sie hatte guten Grund, sich zu verstecken, denn eine lange Narbe zog sich über ihre linke Wange bis zum Kinn, und ihr Haar begann gerade wieder erst zu sprießen. Vor nun zehn Wochen hatte Julia einen schrecklichen Unfall überlebt. Sie war mit ihrem Chef in dessen Privatflugzeug von einer Konferenz in Wien zurückgeflogen. Wegen eines Unwetters hatte das Flugzeug notlanden müssen und war auseinandergebrochen. Sie war herausgeschleudert worden, bevor das Flugzeug in Flammen aufging. Ihr Chef und der Pilot waren auf schreckliche Weise ums Leben gekommen, und diese grauenhafte Vorstellung belastete Julia noch zusätzlich, als sie selbst, nach zehn Tagen, außer Lebensgefahr war. Sie lebte, ihre Wunden vernarbten, würden heilen, wie die Ärzte ihr immer wieder versichert hatten. Eine kosmetische Operation sollte in absehbarer Zeit ihrem Gesicht die frühere Schönheit zurückgeben. Ja, Julia Raider war eine äußerst aparte Erscheinung gewesen, bevor dieses Unglück geschah. Sie war verlobt mit dem Exportleiter Dieter Hanke, den der Umstand, daß er noch in Wien zu tun hatte, davor bewahrte, auch ein Opfer dieses Unglücks zu werden. Er hatte sie nicht im Stich gelassen, das war ihr ein Trost gewesen und sie wurde finanziell auf das großzügigste entschädigt für die Schmerzen, die sie erleiden

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Dr. Norden Bestseller – 188 –

Soll nun alles vorbei sein?

Patricia Vandenberg

Julia Raider war die letzte Patientin, die in Dr. Nordens Wartezimmer saß. Sie war spät gekommen. Sie nahm die flauschige Mütze, die nur wenig von ihrem Gesicht freigab, auch in dem warmen Wartezimmer nicht ab und ignorierte die erstaunten Blicke der Anwesenden. Erst, nachdem sie sich hinter einer Zeitung verschanzt hatte, nahm sie die Mütze ab.

Sie hatte guten Grund, sich zu verstecken, denn eine lange Narbe zog sich über ihre linke Wange bis zum Kinn, und ihr Haar begann gerade wieder erst zu sprießen.

Vor nun zehn Wochen hatte Julia einen schrecklichen Unfall überlebt. Sie war mit ihrem Chef in dessen Privatflugzeug von einer Konferenz in Wien zurückgeflogen. Wegen eines Unwetters hatte das Flugzeug notlanden müssen und war auseinandergebrochen. Sie war herausgeschleudert worden, bevor das Flugzeug in Flammen aufging. Ihr Chef und der Pilot waren auf schreckliche Weise ums Leben gekommen, und diese grauenhafte Vorstellung belastete Julia noch zusätzlich, als sie selbst, nach zehn Tagen, außer Lebensgefahr war.

Sie lebte, ihre Wunden vernarbten, würden heilen, wie die Ärzte ihr immer wieder versichert hatten. Eine kosmetische Operation sollte in absehbarer Zeit ihrem Gesicht die frühere Schönheit zurückgeben.

Ja, Julia Raider war eine äußerst aparte Erscheinung gewesen, bevor dieses Unglück geschah. Sie war verlobt mit dem Exportleiter Dieter Hanke, den der Umstand, daß er noch in Wien zu tun hatte, davor bewahrte, auch ein Opfer dieses Unglücks zu werden.

Er hatte sie nicht im Stich gelassen, das war ihr ein Trost gewesen und sie wurde finanziell auf das großzügigste entschädigt für die Schmerzen, die sie erleiden mußte. Verwinden konnte sie den Schock jedoch noch immer nicht.

Und eine seltsame Folge dieses Schocks war es, daß sie immer Todesanzeigen las.

Wie alt manche Menschen doch wurden, manchmal fast hundert Jahre, und wenn junge Menschen betrauert wurden, waren sie meist Opfer eines Unfalls.

Während Julia jetzt wartete, fiel ihr Blick jedoch auf eine Todesanzeige, die sie frösteln ließ. Madeleine Harrer, 31 Jahre und Manuel Harrer, 7 Tage, waren gestorben.

Julia stieg es heiß in die Augen. Sie hatte diese Frau flüchtig gekannt. Sie war ihr in der Leitner-Klinik begegnet. Dort hatte Julia die Krebsvorsorgeuntersuchung vornehmen lassen und war mit Madeleine Harrer, die ihr drittes Kind erwartete, ins Gespräch gekommen.

Daß sie diese Schwangerschaft nicht leicht ertrug, konnte man ihr ansehen. Durchsichtig zart wirkte sie.

Ein zweites Mal war sie dieser Frau begegnet, als sie für Dieter ein Geburtstagsgeschenk gekauft hatte. Madeleine kaufte einige Hemden, Krawatten und Socken für ihren Mann.

Und jetzt ist sie tot, dachte Julia, und sie war wie versteinert. Mann und zwei Kinder, kleine Kinder, blieben zurück.

»Frau Raider«, sagte Loni schon zum zweiten Mal, da schrak sie empor. Verwirrt blickte sie Loni an.

»Jetzt sind Sie an der Reihe«, sagte Loni.

»Ist Ihnen nicht gut?« fragte Dr. Norden, als er in Julias kreidebleiches Gesicht blickte.

Sie schluckte aufsteigende Tränen herunter.

»Ich habe gerade gelesen, daß Madeleine Harrer gestorben ist«, stammelte sie.

»Sie kannten Frau Harrer?« fragte er. »Ein sehr tragischer Fall.«

»Starb sie bei der Geburt?« fragte Julia tonlos.

»Es war eine Frühgeburt«, erwiderte Dr. Norden stockend. »Sie war bei ihren Eltern und konnte nicht schnell genug in die Leitner-Klinik gebracht werden.«

»Es ist schrecklich. Die anderen Kinder sind doch erst drei und fünf Jahre alt. Sie sagte es mir.« Ihre Hand fuhr zu der Narbe auf ihrer Wange. »Was ist das dagegen«, murmelte sie. »Ich schäme mich meiner törichten Eitelkeit.«

»Nun, Sie haben auch genug durchgemacht«, sagte Dr. Norden.

Sie sah ihn offen an. »Ich habe mich früher nicht viel um das Leid anderer Menschen gekümmert, Herr Dr. Norden. Und anfangs dachte ich auch, warum gerade ich überleben mußte. Dr. Asberg hat Frau und Kinder hinterlassen.«

»Die Kinder sind erwachsen«, sagte Dr. Norden. »Gewiß ist es tragisch, aber gewiß ist es noch tragischer, wenn ein Mann mit zwei kleinen Kindern zurückbleibt. Es war eine sehr glückliche Ehe, was man von der Ehe Dr. Asbergs nicht sagen kann.«

Julia zuckte zusammen. »Sie glauben doch nicht das Gerücht, daß zwischen uns etwas gewesen wäre«, sagte sie leise.

»Nein, das glaube ich nicht, aber ich weiß, daß Frau Asberg bereits an eine neue Ehe denkt. Sie sollten nicht zuviel Mitgefühl verschwenden, deshalb sage ich Ihnen dies. Ich gebe keinen Klatsch weiter, es ist bereits offiziell.«

»Es handelt sich um Dr. Gardoni?« fragte Julia stockend.

»Richtig«, sagte er kurz.

»Das hätte ich nicht gedacht. Danke, daß Sie es mir gesagt haben, daß ich vorbereitet bin. Simone will mich heute besuchen. Ich habe mich mit Dr. Asbergs Tochter immer gut verstanden.«

»Sie ist sehr sensibel. Sie wird eine Freundin brauchen«, sagte Dr. Norden. »Aber nun lassen Sie sich mal anschauen, Frau Raider. Ich denke, daß die Hauttransplantation in etwa vierzehn Tagen vorgenommen werden kann.«

Ihre Lippen zuckten. »Es ist mir nicht mehr so wichtig und auch nicht so eilig. Mein Verlobter wird für einige Monate nach Tokio gehen. Es hat sich gestern entschieden.«

Und deshalb ist sie zusätzlich deprimiert, dachte Dr. Norden. Er hatte viel Mitgefühl mit Julia. Sie war eine so vitale und creative Frau gewesen, eine Karrierefrau, von vielen Kolleginnen beneidet, denn sie war jetzt erst vierundzwanzig Jahre alt, Chefsekretärin und die sogenannte rechte Hand bei Dr. Asberg gewesen. Sie hatte ein Topgehalt bezogen. Nein, finanzielle Sorgen hatte sie auch jetzt nicht, und ihr Gehalt bekam sie weiter.

Dr. Norden hatte sie in Phasen tiefster Verzweiflung erlebt, doch an diesem Tag gewann er den Eindruck, daß anderes Leid ihr wichtiger war, als ihr eigenes.

Als sie ging, zog sie die Mütze nicht mehr so tief ins Gesicht, und sie hatte sich auch kein neues Rezept mehr für Schlafmittel geben lassen.

Julia konnte die Gedanken an Madeleine Harrer nicht verbannen; ständig sah sie das zarte Gesicht mit den großen dunklen Augen vor sich. Sie war von der madonnenhaften Anmut dieser werdenden Mutter fasziniert gewesen.

Die Beisetzung fand in aller Stille statt, hatte bei der Anzeige gestanden.

*

Michael Harrer stand am Grab seiner Frau, wie jeden Tag. Falten des Schmerzes und der Bitternis hatten sich in seinem schmalen Gesicht eingeprägt.

Er merkte nicht, daß Schritte nahten. »Michael«, sagte eine leise Stimme. Er zuckte zusammen und drehte sich um. Er blickte in die flehenden Augen seiner Schwiegermutter. Rosemarie Brandel wich zwei Schritte zurück, als er abwehrend die Hände hob.

»Bitte, sprich doch wenigstens mit mir«, sagte sie gequält. »Ich leide doch auch. Mir kannst du doch nicht die Schuld geben.«

»Aber du hast geduldet, daß dein Mann diesen Bluthund frei herumlaufen läßt, obgleich Madeleine euch besuchte. Wie kann man ein solches Tier nur um sich haben.«

»Wir wohnen so abgelegen«, flüsterte sie.

»Es gibt auch andere Wachhunde. Reden wir nicht mehr davon. Ich will mit euch nicht mehr darüber sprechen.«

»Aber was soll mit den Kindern werden? Du kannst dich doch nicht ständig um sie kümmern.«

»Sollen sie etwa auch von diesem Hund angefallen werden?« fragte er hart.

»Leo hat ihn weggegeben«, sagte sie leise.

»Damit ist nichts aus der Welt geschafft. Madeleine ist tot, und die Kinder sind alles, was mir geblieben ist. Ihr bekommt sie nicht, nicht einen Tag.«

»Ich verstehe dich ja«, weinte Rosemarie.

»Und Leo leidet auch. Wir sind doch auch gestraft, Michael.«

»Die Kinder gehören mir. Die lasse ich mir nicht auch noch wegnehmen. Ich kenne euch doch. Ihr habt mich nie akzeptiert. Madeleine hätte ja eine ganz andere Partie machen können.«

»Aber ich bitte dich, du hast es doch weit gebracht«, sagte sie nun gereizt. »Ich will nicht mit dir streiten, gewiß nicht. Mir liegt nur das Wohl meiner Enkelkinder am Herzen.«

»Es geht ihnen gut. Sie sind ja noch klein und können schneller verwinden. Ihr werdet keinen Einfluß auf ihre Erziehung nehmen. Das ist mein letztes Wort.«

»Wir werden aber auch nicht hinnehmen, daß sie eine Stiefmutter bekommen«, sagte Rosemarie Brandel heftig.

»Danach steht mir der Sinn überhaupt nicht!« stieß Michael hervor. »Tante Resi sorgt sehr gut für die Kinder.«

»Sie ist über siebzig.«

»Soviel jünger seid ihr auch nicht mehr«, sagte Michael sarkastisch. »Und eins noch: Ich möchte wenigstens am Grab meiner Frau nicht gestört werden. Guten Abend.«

Schnellen Schrittes entfernte er sich. Rosemarie war nun doch betroffen. Sie fuhr nach Hause.

Leo Brandel saß an seinem Schreibtisch über seinen Büchern und rechnete, obgleich er sich wahrhaftig keine Sorgen zu machen brauchte, daß er in die roten Zahlen kommen könnte. Aber es war die Beschäftigung, die ihn voll befriedigte.

»Hast du ihn gesprochen?« fragte er.

»Er war abweisend. Er gibt die Kinder nicht heraus«, erwiderte sie.

»Wenn er es so will, dann wird er das Haus räumen«, knurrte Leo Brandel.

»Es sollte wohl so kommen, daß ich es nicht Madeleine überschreiben ließ.«

Rosemarie sah ihren Mann entsetzt an. Ihm zu widersprechen hatte sie nie gewagt, doch bei diesen Worten, packte sie doch schmerzlicher Zorn.

»Wir haben unser einziges Kind verloren«, flüsterte sie. »Und auch durch deine Schuld!«

»Durch meine Schuld?« fuhr er sie an. »Wenn sie nicht solche Furcht gezeigt hätte, hätte der Hund sie nicht angefallen.«

»Mein Gott«, stöhnte sie, »was bist du für ein Mensch? Wie kannst du so reden!«

»Ich lasse mir das doch von diesem Habenichts nicht in die Schuhe schieben«, empörte er sich. »Und verloren hatten wir Madeleine längst an ihn. Aber ich wollte mich wieder einmal großzügig erweisen. Ich wollte ihr das Haus zur Geburt des dritten Kindes schenken.«

»Und nun freut es dich, daß es soweit nicht gekommen ist«, schluchzte Rosemarie.

»Er soll doch sehen, wie er mit den Kindern über die Runden kommt. Wir laufen ihm nicht nach. Und wenn du etwas an mir auszusetzen hast, kannst du auch gehen. Dein Geheule fällt mir auf die Nerven.«

*

»Brandelweg« hieß die Straße, in die Michael Harrer einbog, und die zehn Häuser, die hier standen, gehörten alle Leo Brandel.

Ständig an seinen Schwiegervater erinnert zu werden, war Michael schon lange eine Last gewesen. Made­leine zuliebe hatte er immer wieder nachgegehen, doch hier wohnen zu bleiben, und in der Woche, die seit ihrem Tod vergangen war, hatte er keinen Entschluß fassen können. Doch an diesem Tag hatte er ihn gefaßt, nachdem er seine Schwiegermutter auf dem Friedhof getroffen hatte.

Seine Tante Resi, obgleich sie die Siebzig bereits hinter sich hatte, immer noch rüstig, kam ihm gleich entgegen.

»Psst, die Kinder schlafen schon«, sagte sie. »Und das Essen ist fertig.«

»Noch ein paar Minuten, Tante Resi. Ich muß noch telefonieren«, sagte er.

Er ging in sein Zimmer, griff zum Telefon und wählte eine Nummer. Der Teilnehmer meldete sich.

»Hallo, ich bin’s, Michael«, sagte er, »hast du Zeit für ein kurzes Gespräch, Anton?«

Anton Roßhach hatte Zeit. Er war ein Schulfreund von Michael, Immobilienmakler von Beruf.

»Du hast doch kürzlich mal gesagt, daß du ein Haus für mich wüßtest, und daß ein Kauf sich steuerlich günstig auswirken könnte«, sagte Michael. »Ist das Haus noch zu haben?« Die Antwort war ein kurzes, erstauntes Ja.

»Gut, dann setzen wir uns morgen zusammen und rechnen es durch. Ja, soweit bin ich in Ordnung, Anton, aber ich will mit Brandel nichts mehr zu schaffen haben. Morgen mehr.«

Tante Resi hatte den Tisch gedeckt, brachte das Essen und wollte wieder in die Küche gehen.

»Gib jetzt mal Ruhe, Tante Resi, und setz dich zu mir«, sagte er. »Wir müssen etwas besprechen.«

»Bringst du die Kinder doch zu ihnen?«

»Nein, das ganz bestimmt nicht. Ich will ein Haus kaufen.«

»Ein Haus kaufen, jetzt?« fragte sie bestürzt.

»Ja, jetzt, damit ich nicht mehr am Brandelweg leben muß. Er wird sich jetzt schon was ausdenken, um mich zu erpressen. Ich habe seine Frau am Friedhof getroffen. Sie hat mich abgepaßt. Zuerst hat sie es auf die sentimentale Tour versucht, aber das zieht bei mir nicht.«

Jedenfalls ist er wieder halbwegs normal, dachte Tante Resi. Er sieht klarer.

»Und wie willst du das Haus finanzieren?« fragte sie.

»Viel traust du mir wohl auch nicht zu?« fragte er. »Immerhin habe ich es doch wenigstens bis zum Diplom­ingenieur gebracht.«

»Ich weiß ja, daß du tüchtig bist, aber ein Haus kostet viel Geld. Ich lese ja ab und zu die Zeitung.«

»Und ich habe schon einiges auf der hohen Kante. Es war immer mein Ziel, ein Haus zu kaufen, um endlich unabhängig zu sein. Mein Leben bekommt ein anderes Gesicht, da Madeleine nicht mehr bei mir ist«, erklärte er tonlos. »Vater hat hunderttausend Euro hinterlassen. Das habe ich gut angelegt.«

»In Brandels Augen war er ein Hinterwäldler«, sagte Resi bitter.

»Das war er ja auch, aber ich habe das nie negativ gesehen. Er war gescheiter als mancher Akademiker. Er hat seinen kleinen Hof bestellt und Forellen gefischt und hatte nichts dagegen, daß ich studieren wollte.«

»Wenn der Bub studieren will, soll er es, hat er gesagt«, bestätigte Resi. »Der Herrgott wird es so gewollt haben.« Aber den Brandel, diesen alten Geizkragen hat er nie gemocht, dachte sie weiter, und daß sie die Tochter Madeleine genannt hatten, das hatte er auch nicht verstanden.

Dafür konnte sie ja nichts, dachte Resi weiter. Ein liebes Menschenkind war sie gewesen, da konnte niemand etwas sagen, und zum Michael hatte sie auch immer gehalten, allem Widerstand ihres Vaters trotzend.

Resi wollte nun nicht mehr denken, welch harter Schlag Madeleines Tod gewesen war für Michael. Sie atmete auf, weil er die Lethargie abgeschüttelt hatte.

»Fünfzigtausend kannst du von mir haben, Michael. Kriegst ja sowieso mal alles, was ich auf der Kante habe.«

»Kommt gar nicht in Frage, Tante Resi.«

»Wenn ich doch das Wohnrecht bei euch habe«, meinte sie.

»Und wenn es dir mit den Kindern zuviel wird?« fragte er.

»Da habe ich schon meine eigenen Gedanken, Michael. Für die Kinder suchen wir extra jemanden. Immer mit einer alten Frau, das ist doch nichts. Ich habe nur noch nicht darüber geredet, weil ich dachte, die Brandels würden dich doch weichklopfen.«

»Das hast du doch nicht denken können, daß ich Dirk und Maja hergebe«, meinte er.

»Jetzt denke ich es nicht mehr, aber wie du beieinand’ warst, da mußte ich mir ja allerhand Sorgen machen.«

Er blickte vor sich hin. »Schau, Tante Resi«, sagte er leise, »Made­leine und ich, wir kannten uns doch fast unser ganzes Leben. Wir haben zusammen die Schule besucht, zuerst auf dem Dorf, dann auch das Gymnasium in der Stadt. Jeden Tag waren wir beisammen und nie hat es Streit gegeben. Sie hätte dann wirklich den Granzow heiraten können, den Millionenerben, aber sie hat zu mir gehalten. Und sie war zufrieden mit unserem Leben.«

Hat sie ja auch sein können, dachte Resi, es ist ihr nichts abgegangen. Sie hat immer genug bekommen von ihrer Mutter. Aber sie hat auch nichts auf Michael kommen lassen, das muß man ihr hoch anrechnen.

»Du nimmst das Geld von mir«, sagte sie. »Wenn du aus den Schulden raus bist, und ich muß doch mal ins Altersheim, dann kannst du was dazuzahlen, und wenn ich das nicht erlebe, gehört es dir sowieso.«

»Du sollst nicht so reden, Tante Resi«, sagte er heiser.

»Guter Gott, Junge, ich bin eine alte Frau und habe nur dich, und wenn ich noch ein bißchen für euch sorgen darf, ist es für mich gut.« Und dann kam ein pfiffiger Ausdruck in ihre Augen. »Wir haben immer noch das Stückerl Grund, das sie für die Umgehungsstraße haben wollen, aber dafür sollen sie dann auch zahlen, da bin ich schon hinterher. Ich habe lange genug in der Gemeinde geschafft, daß ich weiß, was manch einer da Geld gemacht hat, auch der Brandel, und der hätt’ es dir schon abgeluchst, wenn es dir allein gehört hätte. Nichts für ungut, Michael, aber mal muß auch das gesagt werden. Brauchst dich nicht genieren, daß du hier mietfrei gewohnt hast. Dafür hat er den Wald bekommen, und ich weiß nicht, was er da herausgeschlagen hat, der alte Fuchs. Wegen Madeleine habe ich immer geschwiegen, aber ein offenes Wort sollten wir jetzt doch reden. Ich frage mich auch, warum er Madeleine so dringend allein sprechen wollte, daß sie dann hingefahren ist.«

»Das frage ich mich auch. Ihrer Mutter gehe es nicht gut, hat sie mir gesagt, aber die hat nicht so ausgeschaut, als wäre sie krank gewesen.«

»Wir müssen jetzt zusammenhalten, Bub, schon der Kinder wegen. Und morgen machst du den Kauf perfekt, wenn das Haus etwas taugt.«

»Ich habe es mir schon mal angesehen. Es ist nicht groß, aber hübsch, Tante Resi. Aber du kannst es auch begutachten.«

»Das werde ich auch tun«, sagte sie energisch.

»In deinem Beruf magst du ja deinen Mann stehen, aber sonst kann man dich doch recht leicht beeinflussen.«

»Jetzt nicht mehr«, sagte er ruhig. »Ich brauche keine Rücksicht mehr zu nehmen.«

*