Dr. Norden Bestseller 198 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 198 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Um Gottes willen, da hat es aber gekracht!«, rief Loni aus, als Dr. Daniel Norden aus seinem Sprechzimmer kam. »Wo?«, fragte er. »Auf der Landsberger. Alle verfügbaren Ärzte werden um Hilfe gebeten.« »Und ich habe gedacht, dass wir heute mal früh fertig werden«, sagte er. »Sie könnten ja nicht erreichbar sein«, sagte Loni. »Ich bin schon unterwegs. Sagen Sie meiner Frau Bescheid, dass es doch später wird, Loni.« »Stadtauswärts!«, rief Loni ihm nach. Dr. Norden hatte die Unglücksstelle erreicht. Sie bot einen grauenvollen Anblick. Mindestens zehn Wagen waren aufeinandergeprallt. »Schuld war der Lastwagen«, schrie ein Mann aufgeregt. »Der muss ja besoffen gewesen sein.« An einem Baum lag ein Sportwagen. Dort standen zwei Polizisten. »Schnell hierher, Dr. Norden!«, rief einer, der den Arzt gleich erkannt hat. »Der Mann verblutet.« Dr. Norden lief, ohne sich umzuschauen. Dass der Mann schwer verletzt war, sah er auf den ersten Blick, aber ein kleiner Trost war es ihm, dass er angeschnallt war. »Die Tür haben wir schon aufgebracht«, sagte der junge Polizist. »Gut gemacht, Toni«, sagte Dr. Norden. Er kannte den jungen Mann. »Schnell den Notarztwagen.« »Ist schon verständigt«, erwiderte Toni Breuer. »Der Lkw muss ihm glatt reingeknallt sein.« Dr. Norden leistete Erste Hilfe, mehr konnte er jetzt nicht tun. Der Notarztwagen war eingetroffen. »Schnellstens zur Behnisch-Klinik«, sagte Dr. Norden, »höchste Lebensgefahr.« Behutsam wurde der Schwerverletzte auf die Trage gebettet. »Sagen Sie Dr. Behnisch, dass ich nachkomme, sobald es möglich ist«, stieß Dr. Norden hervor. »Mein Name ist Norden, Kollege.« »Weiß ich doch«, erwiderte der blutjunge Arzt. »Okay, weiter«, sagte Dr. Norden und eilte zum nächsten Wagen. Da lag eine hochschwangere junge Frau, und ein

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Dr. Norden Bestseller – 198 –

Er kannte nicht mal ihren Namen

Patricia Vandenberg

»Um Gottes willen, da hat es aber gekracht!«, rief Loni aus, als Dr. Daniel Norden aus seinem Sprechzimmer kam.

»Wo?«, fragte er.

»Auf der Landsberger. Alle verfügbaren Ärzte werden um Hilfe gebeten.«

»Und ich habe gedacht, dass wir heute mal früh fertig werden«, sagte er.

»Sie könnten ja nicht erreichbar sein«, sagte Loni.

»Ich bin schon unterwegs. Sagen Sie meiner Frau Bescheid, dass es doch später wird, Loni.«

»Stadtauswärts!«, rief Loni ihm nach.

Dr. Norden hatte die Unglücksstelle erreicht. Sie bot einen grauenvollen Anblick. Mindestens zehn Wagen waren aufeinandergeprallt.

»Schuld war der Lastwagen«, schrie ein Mann aufgeregt. »Der muss ja besoffen gewesen sein.«

An einem Baum lag ein Sportwagen. Dort standen zwei Polizisten.

»Schnell hierher, Dr. Norden!«, rief einer, der den Arzt gleich erkannt hat. »Der Mann verblutet.«

Dr. Norden lief, ohne sich umzuschauen. Dass der Mann schwer verletzt war, sah er auf den ersten Blick, aber ein kleiner Trost war es ihm, dass er angeschnallt war.

»Die Tür haben wir schon aufgebracht«, sagte der junge Polizist.

»Gut gemacht, Toni«, sagte Dr. Norden. Er kannte den jungen Mann. »Schnell den Notarztwagen.«

»Ist schon verständigt«, erwiderte Toni Breuer. »Der Lkw muss ihm glatt reingeknallt sein.«

Dr. Norden leistete Erste Hilfe, mehr konnte er jetzt nicht tun. Der Notarztwagen war eingetroffen.

»Schnellstens zur Behnisch-Klinik«, sagte Dr. Norden, »höchste Lebensgefahr.«

Behutsam wurde der Schwerverletzte auf die Trage gebettet. »Sagen Sie Dr. Behnisch, dass ich nachkomme, sobald es möglich ist«, stieß Dr. Norden hervor. »Mein Name ist Norden, Kollege.«

»Weiß ich doch«, erwiderte der blutjunge Arzt.

»Okay, weiter«, sagte Dr. Norden und eilte zum nächsten Wagen.

Da lag eine hochschwangere junge Frau, und ein händeringender Mann stand vor Dr. Norden.

»Ich wollte meine Frau gerade zur Leitner-Klinik bringen«, brachte der mühsam über die Lippen. »Helfen Sie doch.«

»Bin ja schon dabei«, murmelte Dr. Norden. »Raus aus dem Chaos. Helfen Sie mir, wir bringen Ihre Frau zu meinem Wagen.«

Toni Breuer war wieder zur Stelle. »Platz machen, Toni, eine Geburt ist im Gange«, sagte Dr. Norden.

»Hasi, bleib bei mir«, schluchzte die werdende Mutter.

»Bin ja da, Mümmelchen«, flüsterte der Mann. »Ist ja auch ein Arzt da.«

Viel Hilfe hatte Dr. Norden von jenem Hasi allerdings nicht. Er trug die junge Frau allein zu seinem Wagen. Aber inzwischen waren schon mehr Ärzte zur Stelle. Und genug zu tun hatten sie alle.

Dr. Norden fuhr zur Leitner-Klinik. Dort war sein Freund Schorsch der Chefarzt. Und der war auch gleich zur Stelle.

»Guter Gott, Frau Trautmann!«, rief er aus. »Ihr Mann hatte schon angerufen.«

»Bin ja auch da«, sagte Günther Trautmann, »ein Unfall.«

»Später mehr«, sagte Dr. Norden.

Das junge Ehepaar war mit dem Schrecken davongekommen und zehn Minuten später Eltern eines kräftig brüllenden Sohnes.

Aber das war auch das einzig Erfreuliche, was aus diesem Massenunfall zu Buche stand an diesem Abend, an dem Fee Norden wieder mal sehr lange auf ihren Mann warten musste.

*

Von den sieben Schwerverletzten waren noch zwei in die Behnisch-Klinik gebracht worden. Mehr konnte man nicht aufnehmen. Sie hatten ohnehin alle Hände voll zu tun, und Dr. Behnisch war dankbar, dass Daniel Norden kam und half.

Bei dem Verletzten, den Dr. Norden zuerst versorgt hatte, bestand Lebensgefahr. Schädelbruch, mehrere Knochenbrüche waren schon diagnostiziert. Aber es waren auch innere Verletzungen zu befürchten.

Seine Personalien waren festgestellt worden. Es war Felix Vandelar, 30 Jahre, Diplomkaufmann, und eine Geschäftskarte wies ihn als Inhaber einer Großhandelsgesellschaft aus, seine Fotografie im Pass als einen interessanten, männlichen Typ. In seiner Brieftasche befand sich noch die Fotografie einer sehr aparten jungen Frau, doch kein Hinweis darauf, ob er verheiratet war.

»Die Benachrichtigung der Angehörigen übernimmt die Polizei«, erklärte Dr. Behnisch.

Bei den beiden anderen Verletzten handelte es sich um eine Frau und einen Mann, beide etwa Mitte dreißig, die aus einem Mittelklassewagen geborgen worden waren. Der Mann hatte einen englischen Pass bei sich, der auf den Namen Ronald Baxter ausgestellt war, die Fotografie wies jedoch nur eine geringe Ähnlichkeit mit dem Verletzten auf.

»Danach kann man nicht gehen«, stellte Daniel Norden fest. »Passfotos sind meist nicht besonders gut. Wer ist die Frau?«

Dr. Behnisch zuckte die Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Teure Kleidung, kostbarer Schmuck, sehr attraktiv, du kannst dich überzeugen. Das Gesicht hat nicht viel abbekommen. Wirbelverletzung und Schocktrauma, und sie ist schwanger. Dritter Monat, schätze ich.«

»Kein Abortus?«, fragte Dr. Norden.

»Bisher kein Anzeichen.«

Viel Zeit für Gespräche hatten sie nicht. Die Patienten mussten versorgt und beobachtet werden.

Als Dr. Norden heimfuhr, war es fast Mitternacht. Die Unfallstelle war geräumt. Nichts erinnerte mehr an dieses Drama, das wieder einige Menschenleben grundlegend verändern sollte.

»Es war wohl sehr schlimm«, sagte Fee beklommen, als Daniel müde in einen Sessel sank. Für sein leibliches Wohl hatte sie schon vorgesorgt, aber er aß ohne Appetit.

»Schuld war der Bierfahrer. Mit mehr als zwei Promille am Steuer, das ist kriminell.«

»Aber ihm ist sonst nichts passiert«, sagte Fee, »ich habe es im Radio gehört.«

»Ihm wird noch allerhand passieren«, meinte Daniel. »Ein Trost, dass Frau Trautmann nichts weiter geschehen ist. Das Baby ist gesund.«

»Eine Patientin von dir?«, fragte Fee.

»Von Schorsch. Ich konnte sie zum Glück noch in die Klinik bringen. Sie war mit ihrem Mann dahin unterwegs. Grauenhaft, was diese Betrunkenen alles anrichten und nicht mal daran denken, dass sie auch die eigene Existenz vernichten.«

Darüber musste der Bierfahrer Tewes jetzt allerdings schon nachdenken.

Auch auf ihn hatte eine Frau gewartet, wenn auch mit sehr gemischten Gefühlen, denn am Morgen war Gustav Tewes nach einem Riesenkrach zur Arbeit gefahren, weil die achtzehnjährige Tochter Tina wieder mal nicht nach Hause gekommen war. Marta Tewes hatte noch mehr Sorgen, und als sie dann erfahren hatte, was geschehen war, verließ sie auch noch das letzte bisschen Lebensmut. Sie zog den Mantel an und verließ die Wohnung. Ziellos irrte sie durch die nächtlichen Straßen, dann durch den Wald, dann auf die Landstraße. Einmal muss Schluss sein, dachte sie, und als die Scheinwerfer eines Autos auftauchten, ließ sie sich auf die Straße fallen.

*

Der Bauer Gottfried Thalhammer und sein Sohn Peter kamen von einer Geburtstagsfeier. »Fahr bloß vorsichtig, Junge«, sagte der Ältere.

»Ich hab’ ja kaum was getrunken, Vater. Ich weiß schon, was ich tu, wenn ich noch fahren muss.«

»Du, da ist was auf die Straße gefallen«, rief Gottfried aus, aber Peters Fuß war schon auf dem Bremspedal. Zwei Meter vor Marta Tewes blieb der Wagen stehen, und Peter sprang hinaus.

»Eine Frau, Vater, hilf mir mal. Sie ist bewusstlos.«

»Jesses, Jesses«, stöhnte Gottfried, »und wohin mit ihr?«

»Nach Hause. Ich ruf’ dann den Doktor.«

»Mitten in der Nacht«, brummte der Ältere, aber er half seinem Sohn, die Frau in den Wagen zu heben.

»Der Doktor kommt auch in der Nacht«, sagte Peter.

»Und was macht eine Frau nachts allein auf der Landstraße?«

»Vielleicht hat sie den Zug oder den Bus verpasst.« Peter hatte ja keine Ahnung, was Marta Tewes in die Nacht hinausgetrieben hatte.

Einen Arzt brauchten sie allerdings nicht zu rufen, denn Marta Tewes kam zu sich, als sie dann in einem warmen Zimmer auf ein weiches Sofa gebettet wurde.

Sie riss die Augen angstvoll auf. »Nein, ich will nicht, lasst mich liegen, ich kann nicht mehr!«

»Immer mit der Ruhe, junge Frau«, sagte Gottfried Thalhammer unwillig, »hätt’ mein Bub Sie totfahren sollen? Denken Sie doch mal, was ihm das hätt’ einbringen können.«

»Sei ruhig, Vater«, sagte Peter. »Sie ist doch völlig erschöpft und noch gar nicht da. Schenk mal einen Schnaps ein.«

Marta hob abwehrend die Hände. »Ach was, der tut gut«, sagte Peter, »und dann legen Sie sich in ein warmes Bett und schlafen sich aus. Sie sind doch müde.«

»Müde«, murmelte sie.

»Sagen Sie uns, wie Sie heißen?«, fragte Gottfried.

»Nein, nein, die Schand’, die ertrag ich nicht«, flüsterte sie.

Aber eine Viertelstunde später lag sie bereits in einem warmen, sauberen Bett, in einem Zimmer, in dem es nach Harz roch. Und das Gläschen Schnaps wirkte bereits. Sie schlief ganz fest, als Peter nochmals nach ihr schaute.

»Wenn’s da nur keinen Ärger gibt, Bub«, brummte sein Vater, der sich jetzt ein paar Obstler zu Gemüte geführt hatte.

»Sie ist doch eine arme Person, Vater«, sagte Peter. »Da schau mal, was auf deinem Türstock steht!«

»Edel sei der Mensch, hilfreich und gut«, brummte Gottfried. »Na ja, vielleicht braucht sie Arbeit. Zu tun gäb’ es hier genug in unserer Männerwirtschaft. Unser Mutterl geht uns schon arg ab.«

Peter wandte sich ab. Den Tod der Mutter vor zwei Jahren hatte er noch nicht verwunden. Nie hatte sie über Schmerzen geklagt, von früh bis spät war sie auf den Beinen gewesen, und eines Tages war sie dann tot auf dem Feld zusammengebrochen. Kreislaufversagen, hatte der Arzt gesagt. Und er wie auch sein Vater hatten sich die bittersten Vorwürfe gemacht. Aber das nützte dann auch nichts mehr.

Peter war ein fleißiger, kräftiger Bursch, mit einem butterweichen Herzen und immer hilfsbereit. Sonst konnte er schlafen wie ein Murmeltier, doch in dieser Nacht lauschte er immer wieder und schaute nach der Fremden, und trotzdem war er dann wieder früh auf den Beinen.

Er stellte das Radio an. Es wurde über den Massenunfall berichtet. Peter hörte, dass der Fahrer Gustav Tewes sich in Untersuchungshaft befände. Seine Frau sei indessen von der Tochter als vermisst gemeldet worden. Und dann folgte die Personenbeschreibung, die genau auf die Frau passte, die droben im Zimmer schlief.

Die Schande könne sie nicht ertragen, hatte sie gesagt. Umbringen hatte sie sich wollen.

Peter überlegte. Sollte er die Polizei benachrichtigen? Nein, damit würde sie noch mehr verschreckt werden. Die Tochter müsste man verständigen können, ging es ihm durch den Sinn. Peter überlegte. Dumm war er ja nicht. Die Lehrer hatten sogar befürwortet, dass er auf eine höhere Schule geschickt würde, aber das hatte er selbst nicht gewollt. Er hätte nicht mehr daheim bleiben können, und das wäre ihm zu arg gewesen. Und ein Bauer brauchte keine höhere Schule. Peter wollte, genau wie sein Vater, Bauer sein.

Peter holte das Telefonbuch von München. Er fand auch die Nummer von Gustav Tewes. Es gab nur einen Gustav, und er hoffte, dass er die richtige Nummer wählen würde, als er nun nach dem Telefon griff.

Eine leise, heisere Stimme meldete sich mit »Tina Tewes«.

»Peter Thalhammer«, sagte er. »Es könnte möglich sein, dass wir Frau Tewes gefunden haben. Ich bin doch richtig?«

»O ja, bitte, sagen Sie, was mit Mama ist«, schluchzte Tina.

»Sind Sie motorisiert?«, fragte er.

»Ist doch egal. Wenn Sie mir sagen, wo Mama ist, komme ich schon hin.«

Er beschrieb ihr den Weg. »Den kenne ich«, sagte Tina. »In der Nähe war Mama zu Hause. Ich komme gleich. Bitte, passen Sie auf, dass sie sich nichts antut. Ich erkläre Ihnen alles.«

Sie fragte nicht, von wem er ihre Nummer hatte, sie war viel zu aufgeregt.

Tina Tewes war ein schmales, jungenhaft wirkendes Mädchen. Kurz geschnittenes Haar, naturgelockt, kräuselte sich um ein blasses, herzförmiges Gesicht.

Als sie versuchte, ihr altes Mofa in Gang zu bringen, kam ein älterer Mann aus dem Nachbarhaus.

»Wohin willst du, Tina?«, fragte er väterlich-freundlich.

»Mama suchen«, erwiderte sie kurz.

»Hast du was erfahren?«, fragte Franz Meiler.

»Ich will nicht, dass darüber geredet wird«, erwiderte sie abweisend.

»Dem Gustav geschieht es recht, wenn ihm endlich der Hahn zugedreht wird, aber ihr könnt doch nichts dafür. Wohin willst du? Ich bring’ dich hin. Mit dem Auto geht es schneller.«

»Richtung Ammersee«, sagte Tina leise. »Das Benzin würde ich schon zahlen. Mit der alten Karre komme ich eh nicht weit.«

Neu war Franz Meilers Wagen auch nicht mehr, aber immerhin kamen sie damit doch schneller voran. Tina kannte ihn von Kindheit an. Er hatte eine Tochter, die zwei Jahre älter war als Tina und gerade geheiratet hatte.

»Womit verdienst du eigentlich nachts Geld?«, fragte er ohne Umschweife.

»Nicht, was ihr und Vater denkt«, erwiderte sie. »Ich mag nicht darüber reden, aber es ist nichts Anrüchiges, und bei einem Mann bin ich schon gar nicht.« Trotzig klang es und abweisend.

»Wir meinen es doch gut, Tina«, sagte Franz Meiler.

»Jetzt sind wir schon da!«, rief Tina nach ein paar Minuten aus. »Weiter brauchst du mich nicht bringen, Onkel Franz.«

Er war nicht ihr richtiger Onkel, aber sie nannte ihn schon von Kindheit an so, und er war ein gutmütiger Mensch.

»Ich kann doch mit nach Marta suchen«, schlug er vor, da er nicht wusste, dass Tina schon ein bestimmtes Ziel ansteuerte.

»Es wäre Mama peinlich«, redete sie sich heraus.

»Sag ihr, dass wir euch gerne helfen, Tina.«

»Ihr habt doch selbst genug Sorgen«, erwiderte das Mädchen. »Da hast du zwanzig Euro für das Benzin.«

»Das fehlte noch! Ist doch gern geschehen. Sag uns Bescheid, Tina.«

*

»Jetzt ist die Frau von dem Tewes verschwunden«, sagte Lenni, als sie im Hause Norden das Frühstück servierte. »Hab’ es gerade im Radio gehört. Da wird wieder eine Familie ins Unglück gestürzt.«

Wahrscheinlich mehrere Familien, dachte Daniel. Aber dass Lenni kein Pardon für Tewes kannte, konnte man verstehen, denn auch ihre Mutter und ihr Mann waren durch einen betrunkenen Autofahrer ums Leben gebracht worden. Und auch sie war restlos verzweifelt gewesen. Wenn auch Tewes schuldig war, mit der Frau und Tochter hatte Lenni Mitleid.

Und das verdienten Marta und Tina Tewes wahrhaftig. Es war ja nicht das erste Mal, dass Gustav Tewes vor Gericht kommen würde. Vor fünf Jahren war das schon mal der Fall gewesen. Da hatte er noch als Taxiunternehmer ganz gut verdient, aber auch schon mal einen schweren Unfall verursacht. Allerdings war da dem anderen Fahrer dann eine Mitschuld nachzuweisen gewesen. Seine Lizenz war Gustav Tewes dennoch losgeworden, und das hatte er nicht verkraftet. Dauernd hatte es auch wegen Nichtigkeiten Krach gegeben. Und noch schlimmer war es geworden, als er dann den Job als Bierfahrer angenommen hatte, obgleich der ganz gut bezahlt wurde. Das Bier bekam er umsonst, und das war zu verlockend für ihn.

Während man in der Behnisch-Klinik weiterhin um das Leben der Schwerverletzten kämpfte, war Tina Tewes schon bei dem Bauernhof angelangt. »Thalhammer-Hof« stand da auch deutlich über dem Tor, schmuck war das Bauernhaus anzusehen.

Beklommen war es Tina zumute, als sie läutete. Und das wurde noch schlimmer, als ihr der recht wuchtige Gottfried Thalhammer entgegenkam.

»Ich bin Tina Tewes«, sagte sie schüchtern. »Sie haben mich angerufen.«

»Das war mein Sohn«, brummte Gottfried. »Reden Sie lieber mit dem. Ich muss mich jetzt um die Viecherl kümmern.«

»Darf ich mich bedanken, dass Sie meine Mutter aufgenommen haben?«, sagte Tina leise.

Seine Augenbrauen ruckten empor. »War doch wohl Menschenpflicht«, sagte er verlegen. »Aber erst müssen S’ ja mal schauen, ob es die Mutter ist.«

»Sie hat ihren Namen nicht gesagt?«, fragte Tina bestürzt.

»Nein, sie schläft immer noch. Aber da kommt der Peter. Wird sich schon alles wieder einrenken.«

Tina wurde es ein bisschen leichter ums Herz, als Peter ihr die Hand entgegenstreckte. »Sie sind aber schnell da«, sagte er.

»Ein Nachbar hat mich bis zum Dorf gebracht. Ich hab’ ja nur ein Mofa. Ist es auch wirklich meine Mama?«

»Der Beschreibung nach schon, aber Sie können sich gleich selbst überzeugen.«

Er führte Tina ins Haus, hinauf zu dem Zimmer. Marta Tewes schlief noch immer.

»Ich habe vorsichtshalber doch den Doktor kommen lassen«, sagte Peter, »aber er meint, dass sie nur sehr erschöpft ist.«

»Wenn sie den ganzen Weg gelaufen ist«, murmelte Tina, »lieber Gott …« Sie schluchzte trocken auf.

»Kommen Sie«, sagte Peter mitleidvoll, »essen und trinken Sie erst mal was. Sie sehen ja richtig verhungert aus.«

»Ich sehe nie anders aus«, erwiderte sie.

Aber als sie dann Kaffee getrunken und zwei Brote mit frischer Landbutter, Schinken und Käse gegessen hatte, sah sie doch ein bisschen frischer aus.

»Ich finde es sehr, sehr nett von Ihnen, dass Sie Mama aufgenommen haben«, sagte sie leise. »Ich habe aus dem Radio erfahren, was mein Vater für einen schrecklichen Unfall verursacht hat. Ich bin heimgefahren, man hat mich gehen lassen.«

»Wer hat Sie gehen lassen?«, fragte Peter.

»Ich arbeite manchmal nachts in einer Bar.«

»In einer Bar?«, wiederholte Peter bestürzt.

»In der Küche, nicht als Animiermädchen«, erwiderte sie mit einem Anflug von Ironie. »Da würde man mich ja wohl nicht beachten. Aber wenn ich jemandem gesagt hätte, dass ich in einer Bar arbeite, hätte man doch wohl so was gedacht. Mama hat es gewusst, aber sie hat es Vater natürlich auch nicht gesagt. Er tobt ja immer gleich los. Meistens hat er es ja gar nicht gemerkt, wenn ich weg war, aber wenn er es gemerkt hat, dann war wieder ein Krach fällig.«

»Und warum machen Sie das?«, fragte Peter.

»Um Geld zu verdienen.«

»Können Sie das nicht tagsüber?«

»Da arbeite ich halbtags in einem Kindergarten. Es ist nicht so einfach, fest angestellt zu werden, und soviel verdient man da auch nicht. Ich wollte mir auch mal was anschaffen, verstehen Sie das nicht?«

»Freilich verstehe ich das«, sagte Peter. »Aber Sie sind doch eh so dünn. Wie schaffen Sie denn das auch nachts noch?«