Dr. Norden Bestseller 203 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 203 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Der letzte Kunde hatte die Bank verlassen. Der Banklehrling Günter Gross war ihm gefolgt und wollte die Tür abschließen. Es war Januar und schon dunkel. Da stürzten zwei vermummte Männer auf die Tür zu und drückten sie auf. Einer umklammerte den achtzehnjährigen schmächtigen Günter mit eisernem Griff. »Hände hoch, das ist ein Überfall!«, schrie der andere. Nur noch die Kassiererin und der Zweigstellenleiter Manfred Schreiber befanden sich in dem Kassenraum. »Nicht schon wieder!«, stöhnte die Kassiererin Gretl Böhm. Diesmal nicht!, dachte Manfred Schreiber und drückte den Alarmknopf. »Geld her! Aber rasch!«, zischte der Mann und fuchtelte mit dem Revolver. »Es gibt kein Geld«, sagte Manfred und drängte sich vor Gretl Böhm. »Ich knall den Günter ab, wenn du kein Geld rausrückst.« Manfred nahm ein Bündel Hunderter aus der Kasse und hoffte, dass die Polizei kommen würde. Da ertönte auch schon das Martinshorn. »Du Hund, da hast du dein Fett!«, schrie der Gangster und schoß wild auf Manfred Schreiber los. Günter stieß einen schrillen Schrei aus, als der zweite Mann ihn mit zur Tür schleppen wollte. Da stürmten die Polizisten schon herein, aber der Mann mit der Waffe schoß wild um sich, traf Günter, aber auch seinen Komplicen. Dann wurde er überwältigt. Gretl Böhm zitterte, aber sie griff schon nach dem Telefon und wählte Dr. Nordens Nummer. Er war ihr Hausarzt, sie hatte seine Nummer im Kopf, und selbst in den Minuten der Angst ließ sie ihr Gedächtnis nicht im Stich. Dr. Norden kam und auch der Notarztwagen. Draußen sammelten sich schon die Sensationslüsternen, während Dr. Norden sich um den schwer verletzten

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Dr. Norden Bestseller – 203 –

Das Mädchen von nebenan

Patricia Vandenberg

Der letzte Kunde hatte die Bank verlassen. Der Banklehrling Günter Gross war ihm gefolgt und wollte die Tür abschließen. Es war Januar und schon dunkel. Da stürzten zwei vermummte Männer auf die Tür zu und drückten sie auf. Einer umklammerte den achtzehnjährigen schmächtigen Günter mit eisernem Griff.

»Hände hoch, das ist ein Überfall!«, schrie der andere. Nur noch die Kassiererin und der Zweigstellenleiter Manfred Schreiber befanden sich in dem Kassenraum.

»Nicht schon wieder!«, stöhnte die Kassiererin Gretl Böhm.

Diesmal nicht!, dachte Manfred Schreiber und drückte den Alarmknopf.

»Geld her! Aber rasch!«, zischte der Mann und fuchtelte mit dem Revolver.

»Es gibt kein Geld«, sagte Manfred und drängte sich vor Gretl Böhm.

»Ich knall den Günter ab, wenn du kein Geld rausrückst.«

Manfred nahm ein Bündel Hunderter aus der Kasse und hoffte, dass die Polizei kommen würde. Da ertönte auch schon das Martinshorn.

»Du Hund, da hast du dein Fett!«, schrie der Gangster und schoß wild auf Manfred Schreiber los.

Günter stieß einen schrillen Schrei aus, als der zweite Mann ihn mit zur Tür schleppen wollte. Da stürmten die Polizisten schon herein, aber der Mann mit der Waffe schoß wild um sich, traf Günter, aber auch seinen Komplicen. Dann wurde er überwältigt.

Gretl Böhm zitterte, aber sie griff schon nach dem Telefon und wählte Dr. Nordens Nummer. Er war ihr Hausarzt, sie hatte seine Nummer im Kopf, und selbst in den Minuten der Angst ließ sie ihr Gedächtnis nicht im Stich.

Dr. Norden kam und auch der Notarztwagen. Draußen sammelten sich schon die Sensationslüsternen, während Dr. Norden sich um den schwer verletzten Manfred Schreiber bemühte.

»Sofort in die Behnisch-Klinik«, sagte er leise. »Höchste Lebensgefahr.«

Gretl Böhm begann zu weinen. Günter, der einen Streifschuss abbekommen hatte, schluchzte jammervoll, und als dem Gangster dann die Strumpfmaske vom Gesicht gezogen wurde, schrie er gellend auf und verlor das Bewusstsein.

Der zweite Mann, der Günter festgehalten hatte, lag schon leblos am Boden, und als Dr. Norden nun auch da Erste Hilfe leisten wollte, konnte er nur feststellen, dass er tödlich getroffen war. Diesen Burschen kannte er.

Sein Gesicht wirkte wie versteinert, als er sich aufrichtete. »Die armen Eltern«, sagte er leise. »Es ist Heiner Raabe.«

»Allmächtiger«, murmelte Gretl Böhm. Dann sank sie in einen Sessel und schlug die Hände vor ihr Gesicht.

Auch Günter Gross wurde in die Behnisch-Klinik gebracht, und Dr. Norden nahm dann Gretl Böhm auch mit dorthin, denn es konnte durchaus möglich sein, dass sich der schwere Schock noch auswirkte.

»Diesmal warst du wenigstens nicht dabei«, empfing ihn Dr. Jenny Behnisch.

»Mir langt’s auch so«, erwiderte er heiser. »Wie geht es Manfred?«

Er kannte den jungen Mann, der in seinem Leben schon viel Schmerzliches durchmachen musste. Den Vater hatte er verloren, als er fünfzehn war, die Mutter hatte sich hart getan, um ihm eine gute Ausbildung zuteilwerden zu lassen, und als er es geschafft hatte, verlor er seine Verlobte durch einen tragischen Unfall. Nun schwebte er selbst zwischen Leben und Tod, und Dr. Norden wusste nicht, wie er es Paula Schreiber beibringen sollte.

Doch da kam sie schon, eine schlanke, ja, zierliche Frau von fünfzig Jahren mit schon schneeweißem Haar.

Man hatte es ihr berichtet, dass die Bank überfallen worden sei. Sie war geisterhaft bleich und ihrer Stimme kaum mächtig.

Dr. Norden griff gleich beruhigend nach ihren Händen, obwohl er nicht wusste, wie hier zu trösten sein konnte.

»Er darf nicht sterben«, flüsterte sie. »Mein Junge, er hat doch niemandem etwas getan. Er war immer so ein guter Junge.«

»Es wird alles für Manfred getan werden, was menschenmöglich ist«, sagte Dr. Norden. »Alles, das kann ich Ihnen versprechen, Frau Schreiber.«

»Menschenmöglich«, wiederholte sie leise. »Gott hat uns verlassen. Was haben wir denn getan, dass er uns solche Prüfungen auferlegt? Was soll ich beten, wenn es doch nichts nützt.« Ihre Stimme erstickte in einem trockenen Schluchzen, und in ihrem Blick stand nur noch unendliche Verzweiflung.

Er führte sie ins Ärztezimmer, wo auch Gretl Böhm saß. Die sprang sofort auf und umarmte Paula Schreiber. »Es tut mir ja so leid, Frau Schreiber«, stammelte sie. »Manfred war so mutig. Aber es wird ihm geholfen. Dr. Norden war schnell da.«

»Er muss leben, mein Junge muss leben«, flüsterte Paula Schreiber wieder.

Dr. Norden war inzwischen einem Wink von Schwester Martha gefolgt. »Der Chef braucht Sie«, sagte sie leise. »Lungendurchschuss. Er muss sofort operieren. Alles hängt davon ab, dass die Anästhesie genau dosiert wird.«

»Wer kümmert sich um den Jungen?«, fragte Dr. Norden, während ihm die Operationskleidung angelegt wurde.

»Dr. Neubert. Der Junge hat nur einen Streifschuss abbekommen.«

Bei Manfred war ein Schuss dicht an der Schlagader vorbeigegangen, ein zweiter in den Arm, der dritte war der Lungendurchschuss. Beim Sturz hatte er noch Schnittwunden durch Glassplitter im Gesicht davongetragen.

Jetzt war keine Zeit für lange Besprechungen. Dr. Norden führte die Anästhesie gewissenhaft durch. Jenny assistierte ihrem Mann, und sie atmete erleichtert auf, als Dieter ihr einen ermunternden Blick zuwarf, den sie dann an Daniel weitergab. Sie waren Freunde und ein eingespieltes Team, das sich durch Blicke verständigen konnte.

Es herrschte absolute Stille im OP. Währenddessen kümmerte sich Dr. Neubert um Günter Gross. Der Junge war wieder bei Bewusstsein, aber völlig verstört.

»Es war der Rudi«, murmelte er.

»Welcher Rudi?«, fragte Dr. Neubert.

»Der Maurer, der, der geschossen hat. Ich hab’ aber damit nichts zu tun, das müssen Sie mir glauben.«

»Das sagt doch niemand, Junge.«

»Was ist mit Herrn Schreiber?«

»Er wird operiert.«

»Ist es schlimm?«

»Jetzt denk nicht daran. Deine Eltern sind gekommen.«

»Mama hat immer gesagt, dass sie nicht will, dass ich in eine Bank gehe, weil da soviel passiert. Aber im Rechnen war ich doch immer gut, sonst nicht.«

Das Ehepaar Gross konnte seinen Sohn in die Arme schließen und mit nach Hause nehmen. Dr. Neubert wollte nun nach Frau Böhm sehen, aber Gretl meinte, er solle sich lieber um Frau Schreiber kümmern.

»Ich hab’ das schon mal mitgemacht, aber da haben sie das Geld genommen und nicht geschossen.«

»Aber Sie sind doch als Geisel mitgenommen worden«, murmelte Frau Schreiber.

»Ich habe es überstanden«, erklärte Gretl. »Ob da der Raabe auch schon dabeigewesen ist?«

»Raabe? Meinen Sie Heiner Raabe?«, fragte Paula Schreiber erregt. »Das sind doch unsere Nachbarn!«

Gretl nickte. »Und nun ist der Heiner tot. Von seinem Komplicen erschossen. Und für seine Eltern ist das wohl besser so.«

»Es sind doch so anständige Leute«, sagte Paula erschüttert. »Herr Raabe kann doch nichts dafür, dass er vorzeitig in die Rente geschickt wurde wegen seiner Krankheit. Sie haben auch schon soviel durchgemacht.«

Nun dachte sie nicht mehr nur an ihr eigenes Leid. Ihr Mitleid galt auch den Eltern eines ungeratenen Sohnes, von dem ihnen schon genug Kummer bereitet worden war.

»Was ist mit dem Günter?«, fragte Gretl Böhm.

»Seine Eltern haben ihn gerade abgeholt«, erwiderte Dr. Neubert.

»Jetzt wollen wir Sie mal durchchecken, Frau Böhm.«

»Ach was, ich komm schon wieder von selbst auf die Beine, wenn es Manfred bessergeht. Wenn er Blut braucht, wir haben die gleiche Blutgruppe, Herr Doktor.«

»Das fehlte noch, dass wir Ihnen jetzt auch noch Blut abzapfen«, sagte Dr. Neubert. »Wir haben Konserven zur Verfügung.«

»Mir ist es aber lieber, wenn der Manfred mein Blut kriegt«, sagte Gretl. »Da kann ich wenigstens auch was für ihn tun, nachdem er sich so schützend vor mich gestellt hat. Ich bin gesund, das kann Ihnen Dr. Norden bestätigen.«

Sie war Mitte Dreißig und eine sehr ansehnliche Frau. Dr. Neubert überlegte, ob sie Manfred Schreiber persönlich verbunden sei.

»Wenn Sie das für meinen Jungen tun würden, Frau Böhm, ich würde es Ihnen immer danken«, sagte Paula Schreiber.

»Na, dann kommen Sie mal mit«, sagte Dr. Neubert so forsch, wie auch Gretl geredet hatte.

Und forsch ging es auch weiter. »Jetzt denken Sie bloß nicht, dass ich was mit Manni habe«, sagte Gretl. »Ich bin ja fünf Jahre älter als er. Aber er ist so ein feiner Mensch. Ich verstehe nicht, warum es immer solche erwischen muss, nur weil sie sich nicht feige verkriechen. Und er ist doch der Lebensinhalt seiner Mutter. Da kann ich doch nicht schlappmachen!«

Und sie machte nicht schlapp. Dr. Behnisch willigte in eine Direkttransfusion ein, weil eine solche tatsächlich die Beste sein konnte.

Manfred merkte nichts davon, dass nun Gretls Blut in seine Adern floss, und sie fühlte sich dann doch ein bisschen schlapp, wenn sie es auch nicht zugeben wollte.

Sie wurde von Dr. Neubert betreut. Sie musste ruhen. »Sollten wir nicht auch Ihre Angehörigen verständigen, Frau Böhm?«, fragte er.

»Ich hab’ doch niemand, außer meinem Jungen, und der ist im Internat«, sagte sie. »Den soll man nicht verschrecken, er ist so sensibel. Aber ich wollte nicht, dass er mal in solche Gesellschaft kommt wie der Heiner Raabe.«

»Und Ihr Mann?«, fragte der Arzt.

»Ich hab’ keinen. Er hat mich sitzenlassen mit dem Kind.« Ihre Augen begannen zu funkeln. »Erinnern Sie mich bloß nicht an diesen Kerl.«

»Gott bewahre, ich bitte um Verzeihung.«

»Haben Sie Kinder?«, fragte Gretl.

»Nein, ich bin auch nicht verheiratet.«

»Auch Pech gehabt?«, fragte sie blinzelnd.

»So könnte man es nennen.«

»So was werd ich nie verstehen«, murmelte sie, »dass so oft die Falschen zusammenkommen und anständige Eltern ungeratene Kinder haben.«

»Wie alt ist Ihr Sohn?«, fragte Dr. Neubert.

»Zwölf. Ich würde ihn ja auch gern bei mir haben, aber ich muss arbeiten. Hoffentlich bringen sie nicht gleich was im Radio von dem Überfall, damit es Tommi nicht hört.« Sie richtete sich auf.

»Ich muss nach Hause, falls er anruft.«

»Das kann ich nicht verantworten, Frau Böhm, wirklich nicht«, sagte Dr. Neubert.

»Dann rufen Sie doch bitte im Internat an und sagen Sie, dass mir nichts passiert ist. Darf ich darum bitten?«

»Selbstverständlich.«

Sie gab ihm die Nummer, dann schloss sie die Augen.

Dr. Norden konnte Frau Schreiber inzwischen sagen, dass es Manfred den Umständen entsprechend zufriedenstellend gehe. Sie wollte in der Klinik bleiben. Dafür hatte man Verständnis, und man war in der Behnisch-Klinik auch darauf vorbereitet.

*

Inzwischen waren auch Heiner Raabes Eltern von dem Geschehen unterrichtet worden und wussten, dass ihr Sohn tot war. Der einzige Sohn, der auch einmal ein normales Kind gewesen war, in ordentlichen Verhältnissen aufgewachsen, um dann aber in schlechte Gesellschaft zu geraten, als sich die finanzielle Situation seiner Eltern verschlechtert hatte, und er nicht mehr alles bekam, was er sich wünschte, vor allem nicht das ersehnte Auto, das die meisten seiner Freunde bereits besaßen. Sein Verderb war es gewesen, dass er Rudi Maurer kennengelernt hatte. Da hatte es damit angefangen, dass sie Spritztouren mit Autos machten, die zur Reparatur gebracht worden waren. Das war noch das Harmloseste gewesen, da diese Autos immer unbeschädigt den Besitzern zurückgegeben wurden. Worauf Heiner sich dann allerdings noch eingelassen hatte, musste erst noch recherchiert werden. Jetzt war er tot, und er konnte für nichts mehr zur Rechenschaft gezogen werden.

»Gut, dass wir schon einen Käufer für das Haus haben«, sagte Herr Raabe zu seiner Frau. »Hier ist unseres Bleibens nicht mehr. Wie sollten wir Frau Schreiber noch in die Augen schauen können?«

»Wie sollen wir denn weiterleben?«, fragte sie tonlos.

»Wie es uns bestimmt ist. Wir müssen das Kreuz tragen, das uns aufgebürdet ist.«

»Unser Sohn ist tot«, sagte sie bebend.

»Für mich ist er schon lange tot«, sagte er hart. »Dass ausgerechnet Manfred Schreiber, dieser anständige Mann, so leiden muss, ich kann auch für Heiner keine Entschuldigung mehr finden.«

Eine menschliche Tragödie! Ihnen konnte es auch keinen Trost geben, dass Paula Schreiber am nächsten Morgen bei ihnen anrief und ihnen sagte, dass dieses Geschehen ihr gutnachbarschaftliches Verhältnis nicht beeinträchtigen solle.

Tränen rannen über Paulas Gesicht, als sie den Hörer auflegte. »Sie gehen weg«, sagte sie zu Jenny Behnisch. »Alte Bäume soll man nicht verpflanzen, sie wurzeln doch nicht mehr ein, Frau Dr. Behnisch.«

Sie sterben schneller, dachte Jenny. Und für diese Eltern ist wohl auch das Leben nicht mehr lebenswert. Aber wenigstens Paula Schreiber konnte getröstet werden. Es war schon eine leichte Besserung in Manfreds Befinden eingetreten, und wenn er die Krise überstand, würde er weiterleben.

*

Gretl Böhm hatte von der Direktion einen Sonderurlaub bewilligt bekommen und dazu auch die Zusicherung, dass sie fortan in der Verwaltung eine angemessene Stellung bekommen würde.

Sie war am Morgen wieder in der Behnisch-Klinik und fragte, ob Manfred nochmals eine Bluttransfusion brauchte. Man bewunderte sie. Sie war eine Frau, die mit beiden Füßen fest im Leben stand und sich nicht so leicht umwerfen ließ.

Überraschend war für sie, was Dr. Neubert ihr dann sagte: »Sie haben doch gesagt, dass Sie Ihren Sohn gern bei sich haben würden, aber es ist niemand da, der ihn beaufsichtigen könnte, Frau Böhm.«

»Ja, das ist nun mal so«, erwiderte sie. »Die liebe Großmutter gibt es nicht.«

»Und wie wäre es mit einer Er­satz­oma?«, fragte er.

»Dazu hab’ ich kein Vertrauen.«

»Und wenn es meine Mutter wäre? Sie würde gern eine Aufgabe haben. Wir haben auch genug Platz, und meine Mutter ist noch sehr fit. Wir haben gestern abend über Ihren Tommy gesprochen. Meine Mutter ist Bankkundin bei Ihnen und kennt Sie auch.«

»Liebe Güte, die nette Frau Neubert ist Ihre Mutter? So einen erwachsenen Sohn hat sie schon, der bereits graue Haare hat?«

Er lachte. »Das liegt bei uns in der Familie, und meine Eltern haben jung geheiratet. Leider ist mein Vater vor einem Jahr gestorben. Deshalb habe ich jetzt auch hier diese Stellung angenommen, um in Mutters Nähe zu sein. Überlegen Sie es sich mal, Frau Böhm. Sprechen Sie mit Ihrem Tommy darüber. Das Gymnasium ist in der Nähe, und um einiges billiger würde es für Sie auch werden.«

Sie sah ihn staunend an. »Und so was von Mann ist von einer Frau enttäuscht worden?«, sagte sie verwirrt.

»Manche Frauen erwarten mehr, als man zu bieten hat«, erwiderte er ruhig. »Und man zieht eben auch Vergleiche, wenn man eine gute Mutter hat.«

»Das nennt man denn die ausgleichende Gerechtigkeit«, sagte Gretl. »Mein Gott, wäre das schön, wenn ich den Buben jeden Tag sehen könnte.« Ihre Augen wurden feucht. »Dass Sie darauf gekommen sind, Sie kennen mich doch gar nicht.«

»Jetzt schon sehr gut«, erwiderte er. »Eine so mutige Frau, die nach einem solchen Schock auch noch Blut spendet, das gibt es nur einmal.«

Gretl stieg das Blut in die Wangen. »Jetzt loben Sie mich nur nicht empor, schließlich hätte ich die Schüsse abbekommen, wenn Herr Schreiber mich nicht zurückgedrängt hätte. Ich fahre jetzt zu Tommy. Vielen Dank auch, dass Sie das Internat angerufen haben.« Sie machte eine kleine Pause. »Ich werde mich ja wohl dann öfter bei Ihnen bedanken können.«

»Das sollen Sie aber nicht. Meine Mutter hat sich mächtig aufgeregt, dass Ihnen auch was passiert sein könnte. Und deshalb sind wir auf Ihren Tommy zu sprechen gekommen. Was meinen Sie, wie Muttchen sich freut, wenn sie wieder etwas zu bemuttern hätte, da ihr Sohn ja nun schon graue Haare hat.«

»So habe ich das aber nicht gemeint, Herr Doktor«, sagte Gretl. »Ich dachte ja nur, dass Frau Neubert noch so jung ausschaut. Und in Zusammenhang habe ich Sie auch nicht bringen können, weil wir drei Neuberts in der Filiale haben.«

»Ist aber keine Verwandtschaft, das nur als Hinweis«, sagte er schmunzelnd. Er fand Gretl herzerfrischend und schaute ihr gedankenverloren nach, als sie ging.

»Eine nette Frau«, sagte Schwester Martha. »Die hat Rückgrat.«

»Sie haben es gesagt, Schwester Martha.«

»Und flott ist sie auch«, sagte Martha.

Und dann lächelte sie breit, als er schnell davoneilte.

*

Gretl fuhr schon in ihrem kleinen klapprigen Wagen zum Internat.

Dann konnte sie ihren Jungen in den Armen halten, der auch so ein schmächtiges Bürscherl war wie Günter Gross.

»Mamichen, ich hatte solche Angst«, stammelte er.

»Brauchst du doch nicht, Tommy, ich bin ja da und gesund.«

»Aber der Manni, was ist denn mit ihm? Das haben sie mir nicht gesagt.«

»Er wird bestens versorgt. Reg dich nicht auf, Tommy. Wir haben viel zu besprechen. Du weißt ja nun, auf was für schiefe Bahnen Kinder geraten können, und das wollte ich vermeiden, deshalb hab’ ich dich in das Internat gegeben. Verstehst du mich jetzt?«