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Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Die junge Witwe Margret Paulus ist froh, daß sie sich auf die freundliche und wohl auch sehr vermögende Annabel Lorenzo verlassen kann. Die früh verwaiste Zwanzigjährige kümmert sich unentgeltlich um Margrets kleine Kinder, spricht aber niemals über ihr eigenes Leben. Eines Tages liest Annabel eine Zeitungsnotiz, in der vom tödlichen Autounfall einer gewissen Angélique berichtet wird. Mit einem schweren Schock bricht das Kindermädchen zusammen, so daß Dr. Norden gerufen werden muß. »Was liegt noch vor, Loni?« fragte Dr. Norden, als er seine Sprechstunde am Freitagnachmittag beendet hatte. Es war schon wieder ziemlich spät geworden, und anstrengend war der Tag auch gewesen. So hoffte er, daß nicht mehr allzu viele Krankenbesuche anstanden. »Zum Glück nicht viel, Chef«, erwiderte Loni, erleichtert aufatmend. »Der übliche Besuch bei den Driers, und dann hat Frau Paulus angerufen, ob Sie mal vorbeischauen könnten. Michi hat mal wieder ihre Allergie.« »Das arme Kind ist wirklich geplagt«, sagte Dr. Norden. »Wenn wir doch nur mal dahinterkommen würden, woher sie diese Allergien bekommt. Allmählich wird es mir richtig unheimlich. Ja, Loni dann wünsche ich Ihnen ein geruhsames Wochenende.
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Seitenzahl: 154
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Die junge Witwe Margret Paulus ist froh, daß sie sich auf die freundliche und wohl auch sehr vermögende Annabel Lorenzo verlassen kann. Die früh verwaiste Zwanzigjährige kümmert sich unentgeltlich um Margrets kleine Kinder, spricht aber niemals über ihr eigenes Leben. Eines Tages liest Annabel eine Zeitungsnotiz, in der vom tödlichen Autounfall einer gewissen Angélique berichtet wird. Mit einem schweren Schock bricht das Kindermädchen zusammen, so daß Dr. Norden gerufen werden muß. Die Beziehung zwischen Annabel und Angélique bleibt lange Zeit rätselhaft, und das Geheimnis lüftet sich erst, als Jenny Behnisch einen Einfall hat: Vielleicht ist die Tote gar nicht Angélique…
»Was liegt noch vor, Loni?« fragte Dr. Norden, als er seine Sprechstunde am Freitagnachmittag beendet hatte. Es war schon wieder ziemlich spät geworden, und anstrengend war der Tag auch gewesen. So hoffte er, daß nicht mehr allzu viele Krankenbesuche anstanden.
»Zum Glück nicht viel, Chef«, erwiderte Loni, erleichtert aufatmend. »Der übliche Besuch bei den Driers, und dann hat Frau Paulus angerufen, ob Sie mal vorbeischauen könnten. Michi hat mal wieder ihre Allergie.«
»Das arme Kind ist wirklich geplagt«, sagte Dr. Norden. »Wenn wir doch nur mal dahinterkommen würden, woher sie diese Allergien bekommt. Allmählich wird es mir richtig unheimlich. Ja, Loni dann wünsche ich Ihnen ein geruhsames Wochenende. Sie müssen Ihre Erkältung auch noch auskurieren.«
»Ist schon fast vorbei«, erwiderte Loni lächelnd. »Ihnen auch alles Gute und Ihrer Familie, und hoffentlich besseres Wetter.«
Dr. Norden fuhr los. Zuerst zu den Driers, bei denen immer einer der siebenköpfigen Familie krank war. Ein Wunder war das nicht, da die Wohnung feucht und zugig war, in der sie lebten. Aber sie warteten schon so lange auf eine bessere, daß man es dem Elternpaar auch kaum verdenken konnte, daß sie resignierten. Fleißige, anständige Leute waren das. Der Vater war von Beruf Monteur, die Mutter arbeitete stundenweise, aber täglich, als Putzfrau. Leni, die Älteste, war Verkäuferin in einem Lebensmittelgeschäft, Peppi, der Sechzehnjährige hatte seine Lehre als Mechaniker begonnen. Bis zu neunhundert Mark würden sie Miete bezahlen können, das hatten sie ausgerechnet, aber niemand wollte ein Ehepaar mit fünf Kindern nehmen. Dr. Norden und seine Frau Fee hatten sich auch schon vergeblich bemüht. Diesmal war die kleine Reni krank. Sie hatte es mit den Bronchien, und gerade für sie war es höchste Zeit, daß sie in eine andere Umgebung kam.
Frau Drier war den Tränen nahe. »Wir können doch nichts dafür, Herr Doktor. Wir rennen von Pontius zu Pilatus, aber niemand will uns haben. Und nun will der Schneidering auch noch mehr Miete für dieses Loch haben.«
»Darauf gehen Sie nicht ein, Frau Drier«, sagte Dr. Norden. »Ich spreche noch mal mit dem Gesundheitsamt.«
Ihn wurmte es, daß dieser Familie nicht geholfen wurde. Wenn er nur mehr Zeit gehabt hätte, sich diesbezüglich mehr einsetzen zu können, aber seiner Frau wollte er das auch nicht zumuten, und außerdem riß Fee in solchen Fällen bisweilen die Geduld und sie ging zu weit.
Als er dann zu Frau Paulus fuhr, kam ihm blitzartig eine Idee. Margret Paulus war zwar auch eine geplagte Frau, denn ihr Mann war vor einem Jahr ganz überraschend im Alter von erst dreiundvierzig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben, aber inzwischen hatte sie das Schlimmste überwunden und man würde wohl schon mal mit ihr über andere Schicksale sprechen können.
Aber erst mal sehen, in welcher seelischen Verfassung sie war, sagte sich Daniel Norden, als er vor dem hübschen modernen Bungalow hielt.
Erst vor drei Jahren war er gebaut worden. Bis zu diesem Tag, da die Familie Paulus endlich einziehen konnte, hatte sie in einer Altbauwohnung gelebt, die aber recht geräumig gesesen war. Auch damals war Dr. Norden schon ihr Hausarzt gewesen. Und er war auch gerufen worden, als Karl Paulus zusammenbrach. Er hatte nichts mehr für ihn tun können, als den Totenschein ausschreiben. Es war ein schrecklicher Augenblick für ihn gewesen.
Er sah Margret Paulus vor sich, gerade erst dreißig Jahre, groß, schlank, hübsch und so wahnsinnig verzweifelt.
»Es kann doch nicht wahr sein, Herr Doktor«, hatte sie gestammelt. »Karli wollte sich gerade für eine Geschäftsreise fertig machen. Er kann doch nicht einfach umfallen und tot sein. Können Sie denn gar nichts mehr für ihn tun?«
Er konnte nichts für ihn tun, für diesen netten, freundlichen Mann, der für jeden anderen Makler ein Vorbild sein konnte in seiner Korrektheit, der nur für seine Frau und seine Kinder gelebt hatte. In Sekundenschnelle war ein wertvolles Menschenleben ausgelöscht worden, und Dr. Norden hatte es nicht begreifen können, daß manch einer sagte, welch einen schönen Tod Karl Paulsen gehabt hätte, denn er dachte dabei immer an die junge Frau und ihre beiden kleinen Kinder.
Für ihre Kinder hatte sich Margret zusammengerissen und das Geschäft ihres Mannes weitergeführt. Und bald hatte sie glücklicherweise ein junges Au-pair-Mädchen gefunden, das Götz und Michaele fürsorglich betreute.
Dr. Norden kannte Annabel Lorenzo, das junge Mädchen aus der Schweiz schon recht gut, das ihm auch an diesem Tage die Tür des hübschen Hauses öffnete.
Er blickte in das madonnenhafte Gesicht, in große, dunkle, feuchte Augen.
»Wie gut, daß Sie kommen, Herr Dr. Norden«, sagte sie mit melodischer Stimme und einem ganz leichten Akzent. »Wir machen uns große Sorgen um Michi. Diesmal ist es ganz besonders schlimm.«
Man konnte es ihr ansehen, daß sie aufrichtig besorgt war. Es war keine Heuchelei.
Margret Paulus saß am Bett ihrer kleinen, sechsjährigen Tochter. Das Kind sah erschreckend aus. Das Gesichtchen war aufgedunsen und von scharlachroten Flecken bedeckt. Die Augen tränten, sie konnte wirklich kaum noch sprechen. Doch Dr. Norden wollte endlich ergründen, worauf das Kind so besonders allergisch reagierte.
Die Röteln hatte das Mädchen schon gehabt. Da war ihr Zustand sogar sehr bedenklich gewesen. Scharlach konnte es nicht sein, wie er festgestellt hatte, als er das zierliche Körperchen genau betrachtete.
»Nun erzähle mal, was du heute gemacht hast, Michi«, sagte er sanft und väterlich. »Aber möglichst genau.«
»Ich habe keine Blumen und Sträucher angefaßt«, erwiderte die Kleine. »Bestimmt nicht, Onkel Doktor. Und Obst habe ich auch nicht gegessen. Ich habe nur mit Götz im Garten gespielt, und plötzlich ist das süße Kätzchen von nebenan durch den Zaun gekrochen und in unser Bassin gefallen. Da habe ich es rausgeholt. Götz hat es dann rübergebracht. Ich hatte nur Angst, daß es ertrinkt, aber es geht Muschi ganz gut. Götz hat es gesagt, und ich rege mich auch nicht mehr auf. Muschi ist so süß und mag mich so gern.«
Eine Katze, eine nasse Katze! Dr. Nordens Gedanken arbeiteten blitzschnell.
»Und die Muschi kommt öfter zu euch«, sagte er, »habe ich recht?«
»Freilich. Sie hat mich doch so lieb. Am liebsten würde ich sie behalten, weil sie doch soviel allein ist, aber Mami mag nicht.« Das klang trotzig und auch eine Spur vorwurfsvoll.
»Das wird auch gut sein«, sagte Dr. Norden. »Du reagierst nämlich allergisch auf Katzenhaare, Michi.«
»Sie ist schön, lieb und süß«, sagte die Kleine noch bockiger.
»Und jedesmal, wenn du sie in den Arm nimmst, bekommst du den Ausschlag. Es tut mir leid, Michi, aber ich muß es dir verbieten, sie in die Arme zu nehmen und mit ihr zu schmusen.«
Michaele begann zu schluchzen. »Was kann denn das arme Kätzchen dafür, daß ich Ausschlag bekomme?«
»Es kann auch nichts dafür«, sagte Daniel, »aber leider ist es nun mal so, daß du allergisch auf Katzen reagierst und besonders dann, wenn sie naß sind. Wir wollen froh sein, daß wir das nun endlich herausgefunden haben, Michi.«
»Ich bin aber nicht froh«, jammerte das Kind. »Überhaupt nicht froh, weil die Möllers doch fast nie da sind und das Kätzchen immer allein ist. Die arme Muschi! Ich bin lieber krank.«
»Das macht aber deine Mami traurig, Michi«, sagte Dr. Norden. »Und du willst doch nicht, daß sie traurig ist.«
»Götz wird nicht krank, wenn er Muschi anfaßt«, sagte die Kleine. »Dann soll er auf sie aufpassen, und ich nehme sie nicht mehr in den Arm.«
Dr. Norden gab ihr eine Injektion, die die Allergie dämpfen sollte.
»Nun schläfst du erst mal schön, Michi, und morgen sehen wir weiter«, sagte er tröstend.
»Aber Muschi hat keine Schuld. Versprich mir, Onkel Doktor, daß Mami nichts zu Möllers sagt«, flehte das Mädchen.
»Ich sage ja nichts, mein Liebling«, flüsterte Margret Paulus. »Wir wissen doch, daß Muschi nichts dafür kann.«
Sie begleitete Dr. Norden hinaus. »Möllers ziehen sowieso aus«, sagte sie. »Meinen Sie wirklich, daß es von der Katze kommt? Michi hatte doch schon Allergien, bevor die Katze da war.«
»Vielleicht hat sie da schon mit anderen gespielt, ohne daß Sie es wußten. Daß sie Erdbeeren und Pfirsiche nicht verträgt, wissen wir auch schon, Frau Paulus. Aber so schlimm war es noch nie.«
»Daß sie auch so geplagt sein muß«, seufzte Margret.»Ich bin nur froh, daß man sich auf Annabel verlassen kann. Zur Zeit habe ich allerhand zu tun mit dem Neubau. Aber das muß ich auch noch durchstehen. Schließlich wollte mein Mann damit die Zukunft der Kinder sichern. Aber man muß ja so aufpassen. Als Frau wird man doch schnell übers Ohr gehauen. Es gibt selten jemanden, auf den man sich ganz verlassen kann.«
»Ich wüßte jemanden, wenn Sie eine Wohnung zur Verfügung stellen könnten«, sagte Dr. Norden geistesgegenwärtig. »Eine größere Wohnung.« Und dann erzählte er schnell von den Driers.
»Sie meinen, diese Leute würden den Hausmeisterposten in dem Neubau übernehmen? Auch den Garten pflegen?« fragte Margret Paulus skeptisch.
Ihn beruhigte es schon, daß sie nicht gleich wegen der Kinder abwehrend die Hände hob.
»Ich kenne die Leute sehr gut. Sauber, anständig und ehrlich, Frau Paulus. Von ihnen würden Sie nicht enttäuscht werden.«
Margret überlegte. »Da wäre noch das kleine Haus, es hat aber nur drei Räume. Man könnte allerdings das Dachgeschoß ausbauen. Renoviert werden müßte es auch. Geben Sie mir die Adresse von den Leuten. Ich werde mich mit ihnen in Verbindung setzen. Wenn Sie die Empfehlung geben, wage ich es.«
Er war zufrieden. Für Frau Drier würde es besser sein, wenn sie nur ein Haus sauberzuhalten brauchte und das würde sie bestimmt tun, und ihr Mann konnte anfallende Reparaturen ausführen. So viel Zeit blieb ihm abends und am Wochenende allemal noch. Frau Paulus war auch geholfen, und er brauchte sich nicht schon wieder mit dem Gesundheitsamt anzulegen. Da wurden zwar große Töne gespuckt, aber geholfen wurde nicht. »Tut uns leid, aber wir haben keine Möglichkeit«, wie oft hatte er das schon zu hören bekommen, und wie oft hatte ihn die Wut gepackt, wenn man sich von Amts wegen in Dinge einmischte, die nur den Arzt angingen. Nun hoffte er, daß der Familie Drier ohne Mitwirken der Behörde geholfen werden konnte, daß die kleine Reni dann endlich auch ein gesundes Kind werden würde. Nun konnte er sich richtig auf das Wochenende freuen.
*
Fee freute sich auch, als er heimkam. Danny hatte eine Schramme auf der Wange, das sah Daniel sofort.
»Was hast du denn gemacht, Sohnemann?« fragte er kopfschüttelnd.
»Die Mieskatze hat mich gekratzt«, erklärte Danny empört, und weil er »Mieskatze« sagte und nicht Miezekatze, wußte Daniel, daß sein Sohn von dem Tier erst einmal genug hatte.
»Heute ist anscheinend Katzentag«, sagte Daniel.
»Wieso denn?« fragte Danny.
»Weil die kleine Michi Paulus eine schwere Allergie durch eine Katze bekommen hat.«
»So was wie ich?« wollte der Kleine wissen.
»Nein, eine Allergie ist ein Ausschlag. Ungefähr so, wie ihr bei den Röteln ausgeschaut habt«, erklärte Daniel ausführlich.
»Meine Güte, blöd«, meinte Danny darauf.
»Wer hat hier dann neuerdings eine Katze?« fragte Daniel.
»Keine Ahnung«, erwiderte Fee. »Sie kam in den Garten. Ein ganz hübsches Tier. Ich bin nicht sehr angetan davon, wenn sie überall herumstreunen.«
»Man darf zu keinem Tier zu zutraulich sein«, sagte Daniel.
»War nicht zutraulich«, erklärte Danny. »Ist einfach auf meine Schulter gesprungen, und ich habe mich erschrocken. Da hat sie mich gehauen.«
»Und gefaucht«, schloß Felix sich an. »War groß wie ein Tiger.«
»Du lieber Himmel«, staunte Daniel lächlend, »so groß wohl doch nicht.«
»Wie ein kleiner Tiger«, räumte Danny ein. »War kein liebes Kätzchen. Hat ganz schön weh getan. Mami hat desiert.«
»Desinfiziert«, berichtigte Fee lächelnd.
»Ist ein schweres Wort«, sagte Danny. »Kann nicht alles gleich wissen.«
»Man alles lernen muß«, unterstützte Felix seinen Bruder.
Anneka schmuste unterdessen mit ihrem Papi. Mit dem Reden konnte sie ohnehin noch nicht mithalten, wenngleich sich ihr Wortschatz von Tag zu Tag vergrößerte. Damisch und blöd gehörten auch schon dazu. Aber sie hatten nachsichtige Eltern. Wenn sie erst noch mehr mit anderen Kindern zusammenkamen, würden sie noch ganz andere Kraftausdrücke mit nach Hause bringen. Und so manches Mal rutschte auch Daniel einer heraus, das dann ein begeistertes Echo fand, denn was Papi sagte, wurde voll anerkannt.
*
Bei der Familie Paulus ging es recht dezent zu, seit Annabel Lorenzo die Kinder betreute. Götz, der schon zur Schule ging, hatte bisweilen sehr drastische Reden geführt, und Michi hatte diese natürlich auch übernommen. Aber Annabel schien eine ausgezeichnete Erziehung genossen zu haben, wie Margret immer wieder feststellen konnte, und oft genug hatte sie sich schon gewundert, daß die immerhin schon Zwanzigjährige mit ihrem Wissen und ihren Kenntnissen, sich keine andere Stellung gesucht hatte. Aber sie war so froh, daß sie Annabel hatte, daß sie das Mädchen nicht dazu animierte, fortzugehen. Verwundert hatte sie es auch, daß Annabel eine Bezahlung strikt ablehnte. Sie versicherte immer wieder, daß sie glücklich sei bei ihnen und sich sehr wohl fühle. Anscheinend verfügte sie auch über genügend Geldmittel, doch danach wollte Margret auch nicht fragen. Sie hatte ein Sparbuch für Annabel angelegt, das sie ihr geben wollte, wenn sie doch eines Tages fortgehen wollte. Insgeheim wünschten sie aber alle, daß Annabel noch recht lange bei ihnen bleiben möge.
Von sich und ihrem Elternhaus sprach Annabel überhaupt nicht, aber Margret wußte nur zu gut, daß man an manche Dinge einfach nicht rühren durfte. Sie schenkte Annabel vollstes Vertrauen. Ja, sie empfand eine tiefe Zuneigung zu diesem stillen Mädchen mit den dunklen, melancholischen Augen, die einen so starken Kontrast zu dem wunderschönen blonden Haar bildeten.
Während Margret an diesem Abend noch über ihren Geschäftsbüchern saß, erzählte Annabel der kleinen Michi Geschichten zum Einschlafen.
Zwischendurch fragte sie immer wieder: »Geht es dir gut, ma petite?«
Michi hatte es gern, wenn Annabel sie so nannte. Sie lauschte auch gern dieser weichen, zärtlichen Stimme.
»Kannst du nicht immer bei uns bleiben – als unsere große Schwester, Annabel?« fragte Michi mit einem zärtlichen Blick.
»Ich würde sehr gern bei euch bleiben«, erwiderte das Mädchen.
»Mami würde sich sehr darüber freuen. Wir haben dich doch so lieb.«
Es war gut, daß das Zimmer dunkel war und Michi nicht sehen konnte, daß dicke Tränen über Annabels Wangen rannen. Michi konnte auch nicht wissen, wie tief diese Worte an das Herz des jungen Mädchens rührten.
»Ich liebe euch auch so sehr, ma petite«, sagte Annabel leise mit ihrem zauberhaften Akzent.
»Wenn du sonst niemanden hast, kannst du doch bei uns bleiben, Belchen«, sagte Michi, »und wenn Götz groß ist, heiratet er dich. Das hat er schon gesagt. Mami kann er nicht heiraten, und sonst gefällst nur du ihm. Eine andere Frau mag er nicht, und wenn ich ein Mann wäre, würde ich dich auch heiraten.«
Annabel schluchzte trocken auf. »Hast du Husten?« fragte Michi.
»Ein bißchen, ma petite, gar nicht viel. Schlaf jetzt, mein Liebling. Träume etwas Schönes.« Sie deckte die Kleine fürsorglich zu, strich ihr über das Haar.
»Ich träume, daß du immer bei uns bleibst, mein Belchen«, sagte Michi.
Als Annabel später Margret ein Glas Tee brachte, sah die Ältere, daß das Mädchen geweint hatte.
»Sie sollen mich nicht auch noch verwöhnen, Liebes«, sagte sie weich.
»Ich tue es sehr gern für alle die Güte und das Vertrauen, Madame«, erwiderte Annabel.
»Du sollst nicht Madame sagen. Sag einfach Margret, Annabel. Soviel älter als du bin ich doch gar nicht. Es wäre schön, dich einfach nur als Freundin betrachten zu können. Willst du das?«
»Es wäre schön«, erwiderte Annabel leise. »Ich müßte nur vorher viel sagen, und das kann ich nicht.«
»Du brauchst mir gar nichts zu sagen. Paß auf, jetzt trinken wir ein Flascherl Sekt und sagen du zueinander. Und alles andere ergibt sich von selbst. Schau, Annabel, ich habe ja auch nur die Kinder und dich, und ich habe jeden Tag mit Menschen zu tun, die keine Toleranz kennen. Wenn du nicht müde bist, setz dich noch ein bissel zu mir, Annabel.«
So ganz konnte Margret ihre österreichische Abstammung noch immer nicht verleugnen. Ihr Charme war nicht mehr so heiter wie zu der Zeit, als ihr Mann noch lebte, aber er hatte immer noch eine besondere Ausstrahlung. Sie sah müde aus. Annabel sah es mit Besorgnis.
»Ich würde Ihnen auch sehr gerne bei den Schreibarbeiten helfen. Ich kann das. Sie sollen nicht immer bis in die Nacht hinein arbeiten, Madame.«
»Margret«, wurde sie mit einem weichen Lächeln berichtigt.
»Margret«, wiederholte Annabel.
Margret füllte schnell zwei Sektkelche. »Auf recht gute, beständige Freundschaft, Annabel«, sagte sie.
Wieder füllten sich Annabels Augen mit Tränen. »Vielen, vielen Dank«, flüsterte sie.
»Du könntest mir manchmal auch ein bißchen helfen, Annabel«, sagte Margret, »aber das geht nur, wenn du mir endlich gestattest, dir dein Taschengeld auszuzahlen.«
»Ich brauche kein Geld. Ich brauche wirklich nur ein Heim, und das habe ich gefunden. Ich habe Geld, Margret. Erklären kann ich das nicht, jetzt noch nicht. Es ist schön bei euch. Ich liebe die Kinder und bin glücklich, daß sie mich liebhaben. Mehr brauche ich wirklich nicht.«
»Du bist jung, Annabel, jung und schön.«
»Sie – du auch, Margret«, flüsterte das Mädchen.
»Ich hatte einen ganz wundervollen Mann, und wir durften dann wenigstens ein paar Jahre glücklich sein. Ich vemissse ihn. Annabel, jeden Tag muß ich an ihn
denken, und immer wieder frage ich mich, warum er mir genommen werden mußte, da es doch so viel unglückliche Ehen gibt, die durch Zorn und Haß getrennt werden.«
»Das frage ich mich auch«, sagte Annabel leise. »Meine Mutter ist gestorben und mein Vater hat eine andere Frau geheiratet, die keinen guten Charakter hat. Mein Vater ist auch gestorben. Mehr möchte ich nicht sagen, verzeihst du?«
»Du brauchst mir nicht zu sagen, was du nicht sagen willst. Aber wenn du einmal doch nicht allein mit allem fertig wirst, vertraue dich mir an. Ich werde nichts tun, was dir schaden könnte. Ich habe dich genauso lieb, wie die Kinder dich liebhaben.«
»Danke, Margret«, sagte Annabel gerührt. »Was kann ich noch für dich tun, heute?«
»Gar nichts. Wir trinken das Flascherl aus und dann gehen wir schlafen. Und morgen schläfst du dich auch mal aus. Götz hat schulfrei.«
*