Dr. Norden Bestseller 96 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 96 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Heidi Jacobs, die junge Assistentin bei Dr. Behnisch, führt eine sehr unglückliche Ehe mit ihrem Mann Kurt. Dessen furchtbares Doppelleben entdeckt Heidi erst, als er eines Tages spurlos verschwindet. Anwalt Dr. An einem naßkalten, stürmischen Novembermorgen verließ der Abteilungsleiter Kurt Jacobs, pünktlich wie immer, sein Haus. »Mit dieser Erkältung solltest du besser zu Hause bleiben, Heidi«, sagte er zu seiner jungen Frau. »Es sind eh' schon einige krank«, erwiderte sie. »Ich kann Dr. Behnisch nicht sitzenlassen.« Er betrachtete sie mit einem langen Blick. »Nächstes Jahr wirst du nicht mehr arbeiten«, sagte er. »Bereite Dr. Behnisch lieber schon jetzt darauf vor.« »Aber was soll ich denn den ganzen Tag anfangen?« widersprach sie.

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Dr. Norden Bestseller – 96 –

Der Tag, an dem er von ihr ging

Patricia Vandenberg

Heidi Jacobs, die junge Assistentin bei Dr. Behnisch, führt eine sehr unglückliche Ehe mit ihrem Mann Kurt. Dessen furchtbares Doppelleben entdeckt Heidi erst, als er eines Tages spurlos verschwindet. Anwalt Dr. Eggers warnt Heidi vor der großen Gefahr, in der sie jetzt schwebt, denn irgend jemand schmiedet offensichtlich einen grausamen Plan…

*

An einem naßkalten, stürmischen Novembermorgen verließ der Abteilungsleiter Kurt Jacobs, pünktlich wie immer, sein Haus.

»Mit dieser Erkältung solltest du besser zu Hause bleiben, Heidi«, sagte er zu seiner jungen Frau.

»Es sind eh’ schon einige krank«, erwiderte sie. »Ich kann Dr. Behnisch nicht sitzenlassen.«

Er betrachtete sie mit einem langen Blick. »Nächstes Jahr wirst du nicht mehr arbeiten«, sagte er. »Bereite Dr. Behnisch lieber schon jetzt darauf vor.«

»Aber was soll ich denn den ganzen Tag anfangen?« widersprach sie. »Ich möchte doch auch dazu beitragen, daß die Wohnung schnell abbezahlt wird.«

»Ich will es nicht«, sagte er. »Unsere Ehe leidet darunter.« Mehr sagte er nicht, und Heidi hatte den Eindruck, daß er in gereizter Stimmung war.

Kurt Jacobs holte seinen Wagen aus der Tiefgarage. Es war ein roter Mittelklassewagen älteren Baujahrs. Zu Heidis Überraschung stieg er wieder aus und kam zurück. Sie sah es vom Fenster aus und lief zur Tür.

»Ist etwas mit dem Wagen?« fragte sie.

»Nein, du kannst ihn haben. Ich fahre heute mit dem Taxi, weil ich nachher lieber den Geschäftswagen nehme. Es ist mir gerade eingefallen. Du mußt dann nicht mit der S-Bahn fahren und dich noch mehr erkälten.«

»Das ist aber nett von dir«, sagte Heidi, momentan ziemlich verblüfft, denn ein Kavalier war ihr Mann sonst nicht gerade. Er eilte nun davon, auf den Taxistand an der Ecke zu. Heidi trank noch eine Tasse Kaffee.

Seit sechs Jahren war sie verheiratet, und vor drei Tagen hatte sie ihren sechsundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Nun ja, gefeiert konnte man eigentlich nicht sagen, denn Kurt hatte sich erst am Abend daran erinnert, als er den großen Blumenstrauß sah, den sie von Dr. Behnisch und seiner Frau Jenny bekommen hatte.

Es war ihm sichtlich peinlich gewesen, und als Ausgleich hatte er sie zum Essen in ein französisches Restaurant geführt. Mit Geschenken war Heidi von ihm nie überschüttet worden. Er verstand nicht zu schenken, denn er war in einem sehr nüchternen Elternhaus aufgewachsen. Als Heidi sich in den gutaussehenden Mann verliebt hatte, ahnte sie nicht, daß auch ihre Ehe sehr nüchtern verlaufen würde. Sie hatte gemeint, daß es sich ändern würde, wenn sie Kinder bekämen, aber sie bekam keines. Er zeigte sich darüber erfreut, während sie deprimiert war.

Sie war zu Dr. Leitner gegangen, dem Gynäkologen, der ihr von Dr. Daniel Norden empfohlen worden war, und da hatte sie erfahren, daß es nicht an ihr lag. Das hatte sie ihrem Mann diplomatisch beigebracht, aber er hatte abweisend darauf reagiert und erklärt, daß er an Kindersegen überhaupt nicht interessiert sei. Er wolle im Beruf vorwärtskommen, schöne Urlaubsreisen machen, und sich Vermögen schaffen.

Heidi hatte von ihrem Vater, der in Kanada in zweiter Ehe verheiratet war, zur Hochzeit dreißigtausend Mark bekommen. Diese waren dann das Grundkapital zu dieser wunderschönen Maisonettewohnung geworden, die eigentlich viel zu luxuriös für ihre Verhältnisse war. Aber diesbezüglich hatte Kurt Jacobs Ambitionen. Heidi gefiel diese Wohnung dann so sehr, daß sie schnell bereit war, wieder eine Stellung anzunehmen, um die doch recht gewaltige finanzielle Belastung schneller zu verringern. Sie hatte noch im ersten Jahr ihrer Ehe ihre Ausbildung als medizinisch technische Assitentin, MTA, wie es gekürzt hieß, abgeschlossen, und während der ersten beiden Ehejahre auch als solche gearbeitet. Dann hatten sie Kurts Mutter, die durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt war, zu sich genommen, und Heidi hatte sie aufopfernd gepflegt. Es war ihr von der Kranken liebevoll gedankt worden. Heidi hatte erfahren, daß ihre Schwiegermutter sie mehr liebte als den eigenen Sohn. Es war eine schwere Leidenszeit gewesen, doch für Heidi eigentlich die beste Zeit ihrer Ehe, denn während dieser drei Jahre hatte sich Kurt sehr viel Mühe gegeben, als fürsorglicher Ehemann zu erscheinen.

Seine Mutter hatte ihnen dann auch noch einige Vermögenswerte hinterlassen, und dann war die Maisonettewohnung gekauft worden. Kurt hatte Heidi gar nicht gefragt und sie vor die vollendete Tatsache gestellt. Er hatte ihr erklärt, daß es eine Überraschung für sie sein solle und zugleich ein Dank dafür, daß sie seine Mutter so rührend gepflegt hätte.

Dann erst war er damit herausgerückt, welche monatliche Belastung auf ihnen ruhte. Heidi war es gleich ganz schlecht geworden, aber dann hatte ihr Dr. Norden, dem sie ihr Herz ausgeschüttet hatte, ihr die Stellung in der Behnisch-Klinik vermittelt. Sie wurde gut bezahlt, wurde geschätzt, und sie fühlte sich wohl, weil sie Kontakt zu Menschen hatte, denn mit ihrem Mann kam sie selten ins Gespräch. Er kam nach Hause, aß und setzte sich dann vor den Fernsehapparat. Manchmal kam er erst spät heim, manchmal war er auch tagelang auf Geschäftsreisen. Und längst war Heidi sich klar darüber, daß sie mehr nebeneinander als miteinander lebten. Liebe? Solchen Illusionen gab sie sich längst nicht mehr hin, aber es gab keinen Krach, keine Konflikte. Alles ging seinen Gang. Eifersüchtige Gedanken hegte Heidi nicht. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ihr Mann an Frauen interessiert war. Er war korrekt, sehr auf sein Image bedacht.

Dies alles ging ihr durch den Sinn, als sie zur Klinik fuhr. Punkt neun Uhr war sie an ihrem Arbeitsplatz, und dann mußte sie sich so konzentrieren, daß sie nicht über Kurt und ihre versandete Ehe nachdenken konnte. Und sie dachte schon gar nicht daran, Dr. Behnisch zu sagen, daß ihr Mann ihr gesagt hatte, daß sie im neuen Jahr ihre Stellung kündigen solle. Das kam ihr erst am Ende dieses Tages wieder in den Sinn.

Gewissenhaft widmete sie sich ihrer Tätigkeit. Am Nachmittag kam Dr. Norden, um einen Patienten zu besuchen, der an der Galle operiert war. Heidi freute sich immer, wenn sie mit Dr. Norden sprechen konnte. Er war der Traummann schlechthin, wenngleich Heidi weit davon entfernt war, irgendwelche persönlichen Wünsche mit dieser Bezeichnung zu verknüpfen. Sie kannte Fee Norden und die Kinder dieses idealen Ehepaares. Sie wußte, wie glücklich sie waren, und insgeheim wünschte sie doch, auch so glücklich zu sein. Doch längst war sie zu der Erkenntnis gekommen, daß Kurt nicht der passende Mann dazu war.

Sie wünschte sich Kinder, aber sie dachte nicht daran, sich von ihrem Mann zu trennen, um sich mit einem andern diesen Wunsch zu erfüllen. Sie hatte ja gesagt zu dieser Ehe, und dabei blieb es, wenn auch so mancher Wunsch offen blieb, so manche Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen war.

Dr. Norden hatte sich seine Gedanken über diese hübsche und tüchtige junge Frau gemacht, diese aber für sich behalten. Heidi beschwerte sich ja nicht über ihren Mann, sie hatte Dr. Norden nur einmal ihr Herz ausgeschüttet, als sie wegen der teuren Wohnung in Panik geraten war.

Als sie sich an diesem Tage trafen, konnte Dr. Norden nur feststellen, daß Heidi besser aussah denn je. Sie bekam eine ganz persönliche Note. Sie war nicht einfach hübsch, ihr Gesicht hatte sich geprägt. Ein blaues Stirnband hielt ihr ziemlich langes blondes Haar aus dem schmalen Gesicht zurück. Die blauen Augen waren nicht kühl, sondern leuchteten warm und heiter.

»Alles in Ordnung, Frau Jacobs?« fragte Dr. Norden.

»Bestens«, erwiderte sie, »nur ein bißchen erkältet.«

»Ein bißcher sehr«, erwiderte er lächelnd.

»Es wird bald vorbei sein. Dr. Behnisch hat mich ärztlich versorgt. Nur die Stimme klingt noch verschnupft.«

»Ansehen kann man Ihnen ja nie etwas«, sagte er bedeutungsvoll.

»Was wollen Sie mir denn ansehen?« fragte sie schelmisch.

»Die drückenden Sorgen«, erwiderte er leichthin.

»Sind nicht mehr so schlimm«, erwiderte Heidi. »Wir sind ja Doppelverdiener, und kostspielige Hobbys haben wir nicht. Mein Mann ist ein kühler Rechner. Er geht kein Risiko ein.«

Ein kühler Rechner! So hatte Dr. Norden Kurt Jacobs auch immer eingeschätzt. Man sagte zwar im Volksmund, daß sich zu jedem Topf ein Deckelchen fände, aber bei Heidi schien das doch nicht ganz zu passen. Dr. Norden wußte, wie gern sie Kinder haben wollte. Und ganz bestimmt wäre sie eine zärtliche Mutter. Ihm tat es immer leid, wenn gerade solche Frauen auf Mutterglück verzichten mußten.

*

Heidi hatte viel zu tun an diesem Tag. Sie blieb länger als sonst, aber da sie den Wagen zur Verfügung hatte, kam sie doch recht pünktlich nach Hause. Sie wusch sich schnell und bereitete dann das Essen vor.

Punkt sechs Uhr, wie gewohnt, war der Tisch gedeckt. Kurt kam nicht. Heidi machte sich keine Gedanken, weil sie ja wußte, daß er nicht mit seinem Wagen unterwegs war. Aber sie war es gewöhnt, daß er anrief, wenn er länger aufgehalten wurde. Doch an diesem Tag blieb der Anruf aus. Es wurde sieben Uhr. Kurt kam nicht.

Vielleicht ist er in einer geschäftlichen Besprechung und kann nicht anrufen, dachte sie. Sie aß das Schnitzel, weil sie Hunger hatte. Dann stellte sie den Fernseher an. Zur Tagesschau war Kurt noch immer nicht da. Und noch immer rief er nicht an.

Angst hatte Heidi nicht. Sie war nur völlig aus sechsjähriger Gewohnheit gerissen und irritiert. Es wird ihm doch nichts passiert sein, dachte sie dann doch, und sie stellte das Radio an. Aber es kam keine Durchsage über einen Unfall oder eine Verkehrsbehinderung. Sie wußte allerdings auch gar nicht, wohin Kurt an diesem Tage gefahren sein könnte. Er hatte es ihr vorher nie gesagt, wenn er außerhalb sein mußte. Hinterher hatte er es dann erzählt.

Sie wartete bis Mitternacht, dann legte sie sich zu Bett, müde, aber auch beunruhigt.

Ob es eine andere Frau gibt, ging es ihr durch den Sinn. Es schien ihr kaum denkbar bei Kurt. Sie ging nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt. Nebenfrauen stellten meistens Forderungen, aber Kurt war zu kleinlich, um solche zu erfüllen. Ihre Gedanken nahm sie mit in die Träume, und mitten in der Nacht schreckte sie auf, weil ein Traum so deutlich gewesen war.

Geistesabwesend, noch ganz im Traum gefangen, ging sie in das Wohnzimmer, und erst dort wurde sie hellwach Sie hatte vergessen, das Radio auszuschalten. Im Nachtprogramm wurde Musik gebracht, schmeichelnde Musik, die sie als junges Mädchen geliebt hatte.

Aber es trieb sie in Kurts Arbeitszimmer, zu seinem Schreibtisch, denn sie hatte geträumt, daß dort Kurt saß und lachte. Aber er saß nicht dort. Sie setzte sich in den Sessel und starrte auf diesen so ordentlichen Schreibtisch, an dem sie sich nicht vergreifen durfte. Kurt hatte seine Eigenheiten, und sie respektierte diese. Wenn es schon keine Liebe zwischen ihnen gab, so sollte doch Toleranz die einmal geschlossene Ehe zusammenhalten. Das war Heidis Prinzip gewesen.

Nun aber versuchte sie, die Schublade zu öffnen. Sie war verschlossen, wie auch die Seitentüren. Wie eine Festung erschien ihr dieses Möbel, an das sie sich nie zuvor herangewagt hatte. Neugierig war sie nicht. Und sie war auch immer überzeugt gewesen, daß Kurt nie in ihren persönlichen Bereichen herumstöberte. Sie hatte allerdings auch nichts unter Verschluß, denn sie hatte nichts zu verbergen. Hatte er etwas zu verbergen? Dieser Gedanke bewegte sie jetzt.

Sie ging wieder ins Schlafzimmer zurück. Sechs Jahre hatten sie Seite an Seite in diesem breiten Bett geschlafen, erst in der kleinen Wohnung, dann hier. Sechs lange Jahre, in denen es selten zu jenen intimen Begegnungen kam, die doch eigentlich eine Ehe rechtfertigten.

Sehnsucht, Hingabe – wann hatte sie das eigentlich empfunden? Wann hatte es Kurt danach verlangt? Heidi überlegte. Sollten es sechs verlorene Jahre sein? War er jetzt bei einer anderen Frau, die ihm das gab, was er bei ihr vermißte? Aber hatte sie ihm nicht alles gegeben, als sie seine Frau geworden war?

Und wenn er nie mehr zu mir zurückkommt, was werde ich dann empfinden, dachte Heidi, und sie erschrak, weil nicht der leiseste Schmerz sie ergriff. Sie war nur völlig nüchterner Gedanken fähig. Wie soll ich diese Unkosten bezahlen, ging es ihr durch den Sinn. Wie soll ich diese Wohnung halten, wenn er mich verlassen hat, wortlos, grundlos?

Dann vermeinte sie, seine Stimme zu hören. Nächstes Jahr wirst du nicht mehr arbeiten. Bereite Dr. Behnisch schon darauf vor. Und dann: Unsere Ehe leidet darunter. Ich will es nicht.

War sie schuld? Behagte es ihm etwa nicht, daß sie fast so viel verdiente wie er? Es kam ihr in den Sinn, wie überrascht er gewesen war, als sie ihm sagte, wie hoch ihr Gehalt sei.

»Das muß ja ein Mangelberuf sein«, hatte er gesagt. »Wenn ich mir vorstelle, welche Verantwortung ich trage, und dafür bekomme ich nur dreihundert Mark mehr.«

»Ich trage auch Verantwortung«, hatte sie erwidert, »und es ist doch gleich, welcher Partner mehr verdient.«

»Mir ist das nicht egal«, hatte Kurt gesagt. »Jedenfalls möchte ich in meinem Heim nichts vermissen, wenn du jetzt schon von diesem Ehrgeiz besessen bist.«

Er brauchte nichts zu vermissen. Heidi wurde allem gerecht. Wirklich? fragte sie sich jetzt. Hat er sich nicht doch vernachlässigt gefühlt? Aber was hatte sie denn schon verbunden?

In dieser Nacht wurde es ihr zum ersten Mal völlig klar, wie leer ihre Ehe gewesen war, obgleich sie nie aufbegehrt hatte. Sie konnte nicht mehr einschlafen. Sie lauschte auf jedes Geräusch und dachte dann wieder an den verschlossenen Schreibtisch.

Sie dachte auch an ihre Schwiegermutter. »Du bist eigentlich zu schade für Kurt«, hatte sie einmal gesagt. »Er weiß dich nicht zu schätzen. Er liebt seine Bequemlichkeit, aber sie war immer selbstverständlich für ihn. Ich habe auch Fehler gemacht.«

Welche Fehler habe ich gemacht, dachte Heidi, als der Morgen graute. Den Fehler, daß ich mir Kinder wünschte?

Was weiß ich eigentlich von ihm, dachte sie weiter, als sie ins Bad ging. Vermisse ich ihn überhaupt?

Sie erschrak vor solchen Gedanken. Sie ging in die Küche und setzte die Kaffeemaschine in Gang. Sie deckte den Tisch für zwei, wie sie es gewöhnt war. Sie aß nichts und starrte immer wieder auf die Uhr, dann aufs Telefon. Als es fast halb neun war, läutete es.

Sie riß den Hörer ans Ohr, meldete sich mit heiserer Stimme. Kurts Chef, Herr Langner, meldete sich.

»Entschuldigen Sie die frühe Störung, Frau Jacobs«, sagte er, »aber ich wollte mich erkundigen, ob etwas mit Ihrem Mann ist. Wir haben doch eine Konferenz anberaumt, und er ist immer noch nicht da.«

Heidi hielt den Atem an. »Er ist gar nicht heimgekommen«, sagte sie stockend. »Er sagte, daß er geschäftlich auswärts wäre – gestern meine ich.«

»Gestern hat er gegen fünf Uhr das Büro verlassen«, sagte Herr Langner. »Er sagte mir, daß Sie Geburtstag hätten und wollte noch ein Geschenk für Sie besorgen.«

»Oh, mein Gott«, flüsterte Heidi, »es muß etwas passiert sein.«

»Bitte, regen Sie sich nicht auf«, sagte Herr Langner. »Ich werde nachforschen lassen. Er ist ja immer sehr zuverlässig gewesen. Sie sind ja sicher zu Hause, Frau Jacobs. Ich komme zu Ihnen, wenn ich Näheres weiß.«

»Danke«, brachte sie mühsam über die Lippen.

Sie brauchte Minuten, um sich einigermaßen zu beruhigen, dann rief sie Dr. Behnisch an. Er war im OP, Jenny Behnisch meldete sich. Heidi erklärte ihr mit bebender Stimme, warum sie nicht kommen könne.

»Es wird sich schon aufklären, Heidi«, sagte Jenny Behnisch beruhigend. »Regen Sie sich jetzt bloß nicht auf. Vielleicht sitzt er irgendwo fest.«

Obgleich es Jenny hart traf, daß nun auch Heidi nicht zur Verfügung stand, war sie doch mehr besorgt um die junge Frau. Sie rief Dr. Norden an.

*

»Was liegt alles vor, Loni?« fragte Dr. Norden seine rechte Hand.

»Acht Besuche. Ich habe alles aufgeschrieben«, erwiderte sie.

»Dringende Fälle?«

»Nur der kleine Eggers«, erwiderte Loni. »Jedenfalls macht es sein Vater dringend, aber er ist ja auch immer sehr besorgt.«

»Okay, ich fahre zuerst zu ihm. Dann schaue ich bei Frau Jacobs vorbei, und auf dem Rückweg mache ich die anderen Besuche.«

»Was ist denn mit Frau Jacobs?« fragte Loni.

»Ihr Mann ist verschwunden. Jedenfalls scheint es so.«

»Um den braucht sie doch nicht zu trauern«, sagte Loni drastisch.

Dr. Norden sah sie bestürzt an. »Das sind aber harte Töne«, brummte er.

Loni legte den Kopf zurück. »Ich habe ihn neulich mit einer Rothaarigen gesehen. Vielleicht ist er mit ihr durchgebrannt.«

»Loni, Loni«, sagte Dr. Norden mahnend.

»Vor Rothaarigen muß man sich immer in acht nehmen«, sagte sie.

Sollte da tatsächlich eine andere Frau im Spiele sein, dachte Dr. Norden. Aber man geht doch nicht einfach so, man verschwindet doch nicht wortlos. Aber vielleicht hatte es zwischen den Ehepartnern doch Auseinandersetzungen gegeben, über die Heidi nicht sprechen wollte.

Er fuhr zu Dr. Eggers, Holger Eggers, vierunddreißig, und ein schon sehr bekannter Rechtsanwalt, war auch ein Sorgenkind von Dr. Norden, wenn man diesen hochgewachsenen Mann als solches bezeichnen mochte. Er war von seiner Frau verlassen worden, als der kleine Patrick gerade zwei Jahre war, und das lag ebenfalls zwei Jahre zurück.

Ilona Eggers war Schauspielerin gewesen, bevor sie den jungen Anwalt heiratete. Ein Starlet, wie man so sagte, sehr attraktiv, aber auch ziemlich geistlos. Aber sie war ehrgeizig. Sie hatte einen italienischen Filmregisseur kennengelernt, und seinetwegen hatte sie dann kurzerhand die Scheidung eingereicht. Das Kind hatte sie Holger Eggers widerspruchslos überlassen.

Mit abgöttischer Liebe hing Dr. Eggers an dem Kleinen, und wenn er nur einen Schnupfen hatte, wurde das für den besorgten Vater zu einem Drama. Doch diesmal hatte der kleine Patrick eine recht ernsthafte Mandelentzündung eingefangen und hatte hohes Fieber. Auch Holgers Mutter, eine sehr patente und stets vernünftige Frau, war in großer Sorge.

Dr. Norden ließ gleich die Medikamente da. »Ich komme am Abend noch mal vorbei«, versprach er.

»Dann schauen Sie sich bitte auch mal meinen Sohn an«, sagte Frau Eggers nachdrücklich. »Er hat schon ein paar Tage keinen Appetit mehr. Ich hoffe, daß er pünktlich heimkommt. Da es Patrick nicht gutgeht, wird er sich beeilen.«

»Patrick wird es bald bessergehen«, sagte Dr. Norden. »Ich komme gegen halb sieben Uhr. Sollte etwas sein, rufen Sie mich an, Frau Eggers.«

»Pat ist Papis Sohn«, sagte sie. »Ich habe das mit meinem Jungen auch alles durchgemacht. Ich bin froh, daß er nichts von Ilona hat. Hoffentlich keuzt sie nicht wieder auf. Ihr Film war nämlich ein Reinfall und ihr Gspusi hat einen neuen Schwarm.«

Sie stand mitten im Leben, diese Hella Eggers. Eine Frau, der man nichts vormachen konnte, und die sich selbst nichts vormachte. Sie war sechzig, aber zehn Jahre hätte man ihr geschenkt. Dr. Norden war froh, daß Holger Eggers seine Mutter hatte, die auch rührend für den kleinen Patrick sorgte. Und der sympathische Holger tat ihm ebenso leid wie eine Viertelstunde später Heidi Jacobs, denn beiden war blinde Verliebtheit zum Verhängnis geworden.

Heidi wirkte ziemlich gefaßt. Herr Langner war bei ihr gewesen und hatte ihr erklärt, daß Kurt mit dem Firmenwagen zu einer Besprechung gefahren sei, der Wagen dann allerdings in der Garage gefunden worden wäre. Mehr hatte er ihr nicht sagen können.

Heidi war überrascht, als Dr. Norden vor ihr stand. Er griff nach ihrer Hand. »Jenny macht sich Sorgen um Sie«, sagte er. »Sie hat mich angerufen. Was ist denn geschehen, Frau Jacobs?«