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Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Was wäre das Leben ohne Hoffnung«, sagte Lenni, als sie die Kaffeekanne auf den Frühstückstisch stellte. Dr. Daniel Norden blickte bestürzt auf, und Fee schüttelte leicht den Kopf, als sie Lenni anblickte. »Was ist denn, Lenni? Haben Sie schlecht geträumt?« fragte sie. »Heute ist der dreiundzwanzigste Januar«, erwiderte Lenni leise. »Oh«, entfuhr es Fee Norden, und Daniel preßte die Lippen aufeinander. Zu überlegen brauchten sie nun nicht mehr, denn dieser Tag vor zwei Jahren hatte in ihrem Leben eine besondere dramatische Bedeutung gehabt, und Lenni konnte ihn auch nicht aus dem Gedächtnis streichen, so wenig wie alle, die sich in diesem Raum nun stumm anblickten, Katja Linden vergessen konnten. Katja Linden, selbst im Luxus aufgewachsen, bildhübsch, verwöhnt und dennoch bezaubernd natürlich, hatte gewiß sein können, daß die Nordens ihr alles erdenkliche Glück wünschten. Am dreiundzwanzigsten Januar vor zwei Jahren herrschte dann aber in den Familien Linden und Collande blankes Entsetzen, denn Katja kam von einem Einkaufsbummel nicht zurück. Sie war entführt worden. Die Entführer forderten drei Millionen Franken Lösegeld. Es wurde bezahlt, und die Angehörigen erhielten die Nachricht, daß sie Katja in einem Haus am Genfer See finden würden. Aber dort wurde Katja nicht gefunden, und bis zum heutigen Tag gab es noch immer keine Spur von ihr. Gab es eine Gedankenübertragung zwischen den Nordens und den Lindens? Als das Telefon läutete und Fee Norden sich meldete, erschrak sie, denn es war Paul Linden, der sich mit heiserer Stimme zu erkennen gab.
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Seitenzahl: 149
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»Was wäre das Leben ohne Hoffnung«, sagte Lenni, als sie die Kaffeekanne auf den Frühstückstisch stellte.
Dr. Daniel Norden blickte bestürzt auf, und Fee schüttelte leicht den Kopf, als sie Lenni anblickte.
»Was ist denn, Lenni? Haben Sie schlecht geträumt?« fragte sie.
»Heute ist der dreiundzwanzigste Januar«, erwiderte Lenni leise.
»Oh«, entfuhr es Fee Norden, und Daniel preßte die Lippen aufeinander. Zu überlegen brauchten sie nun nicht mehr, denn dieser Tag vor zwei Jahren hatte in ihrem Leben eine besondere dramatische Bedeutung gehabt, und Lenni konnte ihn auch nicht aus dem Gedächtnis streichen, so wenig wie alle, die sich in diesem Raum nun stumm anblickten, Katja Linden vergessen konnten.
Vier Tage vorher hatte sie sich von den Nordens verabschiedet, um nach Interlaken zu fahren, denn dort sollte ihre Hochzeit mit dem Industriellensohn Jean-Claude Collande am achtundzwanzigsten Januar gefeiert werden
Katja Linden, selbst im Luxus aufgewachsen, bildhübsch, verwöhnt und dennoch bezaubernd natürlich, hatte gewiß sein können, daß die Nordens ihr alles erdenkliche Glück wünschten.
Am dreiundzwanzigsten Januar vor zwei Jahren herrschte dann aber in den Familien Linden und Collande blankes Entsetzen, denn Katja kam von einem Einkaufsbummel nicht zurück. Sie war entführt worden.
Die Entführer forderten drei Millionen Franken Lösegeld. Es wurde bezahlt, und die Angehörigen erhielten die Nachricht, daß sie Katja in einem Haus am Genfer See finden würden. Aber dort wurde Katja nicht gefunden, und bis zum heutigen Tag gab es noch immer keine Spur von ihr.
Gab es eine Gedankenübertragung zwischen den Nordens und den Lindens? Als das Telefon läutete und Fee Norden sich meldete, erschrak sie, denn es war Paul Linden, der sich mit heiserer Stimme zu erkennen gab.
»Könnte Ihr Mann sofort kommen, Fee«, bat er erregt, »meine Frau ist wieder zusammengebrochen.«
»Ja, er kommt sofort, Paul«, erwiderte Fee.
»Linden?« fragte Daniel überrascht. »Wie eigenartig.«
»Biggi ist hier. Es geht ihr schlecht«, flüsterte Fee. »Sie überwindet es nicht, Daniel.«
Aber welche Mutter, die ihr Kind so heiß geliebt hatte wie Biggi Linden ihre Tochter Katja, konnte solchen Verlust verwinden?
Was wäre das Leben ohne Hoffnung, hatte Lenni gesagt, aber in diesem Fall gab es wohl keine Hoffnung mehr.
Daniel Norden fuhr zum Hause Linden. Man kannte sich gut, man nannte sich beim Vornamen. Oft genug wurde Dr. Nordens ärztlicher Beistand während der letzten zwei Jahre in diesem Haus gebraucht. Nie wieder seit jenen Tagen hatte Biggi Linden ihre Schweizer Heimat besucht.
Die damals noch so reizvolle, charmante und geistreiche Frau des Konzernchefs Paul Linden war nur ein Schatten ihrer selbst. Und Paul Linden, der einst so kraftvolle, vitale Mann, jetzt um Jahre gealtert, mit schmalgewordenem, schmerzgezeichnetem Gesicht, zuckte nur die Schultern, als er Daniel begrüßte.
»Alles würde ich geben, wenn wenigstens Biggi endlich ins Leben zurückfinden würde«, murmelte er. »Aber sie lebt ja nur noch in der panischen Angst, daß uns Marcus auch noch genommen werden könnte.«
Dr. Norden konnte diese Sorge verstehen, wenn auch alles unternommen worden war, um den jetzt fünfundzwanzigjährigen Sohn und Erben zu schützen. Er hatte unter falschem Namen in England studiert, er war bewacht worden wie ein Staatsmann, wenn er seine Eltern an geheimgehaltenen Orten traf. Daniel Norden wagte nicht, daran zu denken, wie sich das auf sein psychisches Befinden auswirken mochte.
»Marcus kommt heute«, erklärte Paul Linden, »und nun zittert Biggi wieder vor Angst.« Leise fuhr er fort: »Wir haben unsere Katja verloren, soll uns unser Sohn fremd werden? Ich halte diesen Zustand auch nicht mehr aus, Daniel. Warum haben diese Gangster uns unsere Katja nicht zurückgegeben?«
Darauf wußte Daniel freilich auch keine Antwort. Nicht die kleinste Spur hatte man von den Verbrechern oder von Katja gefunden. Alles, was man gefunden hatte, war ihr Wagen mit allen Papieren. Drüben in Frankreich, nahe der Schweizer Grenze.
»Ich muß jetzt zum Flughafen fahren, um Marcus abzuholen«, sagte Paul Linden. »Geben Sie Biggi bitte ein Beruhigungsmittel, Daniel. Nur gut, daß unsere Tilla wenigstens die Ruhe behält.«
»Was haben Sie sich jetzt zum Schutz von Marcus ausgedacht?« fragte Daniel nachdenklich.
»Er kommt mit einem Freund, mit Nicolas Fauré. Ein untadeliger junger Mann. Sie haben die Namen getauscht. Nicolas weiß, welche Sorgen wir haben. Er ist bereit, jedes Risiko einzugehen, um Marcus zu schützen. Da sie eine gewisse Ähnlichkeit miteinander haben, wird uns die Täuschung wohl gelingen, da Marcus hier öffentlich kaum in Erscheinung getreten ist. Aber auch er ist willens, ein Risiko einzugehen, um seiner Mutter neuen Lebensmut zu geben. Ihnen gegenüber brauche ich wohl nicht zu betonen, daß wir gelernt haben, mit der Angst zu leben. Aber die Ungewißheit über Katjas Schicksal ist das Schlimmste, was uns widerfahren konnte.«
Von den drei Millionen, die er für nichts und wieder nichts bezahlt hatte, sprach er nicht. Und in diesem Augenblick fragte sich Daniel Norden, wie es den Gangstern möglich gewesen sein konnte, mit dieser Summe, mit Geldscheinen, deren Nummern notiert waren, spurlos zu verschwinden. Immerhin hätte doch innerhalb von zwei Jahren dieser oder jene Schein auftauchen müssen, hätte man wenigstens einen Hinweis bekommen müssen, da so hohe Belohnungen ausgesetzt worden waren.
Er setzte sich zu Biggi Linden ans Bett, nachdem Paul das Haus verlassen hatte. Er war informiert, daß Biggi noch nichts von der Heimkehr ihres Sohnes wußte.
»Sie dürfen nicht so verzweifelt sein, Biggi«, sagte
er.
»Heute vor zwei Jahren«, murmelte sie, »es verfolgt mich. Wie konnte ich es vergessen, Daniel?«
»Paul braucht Sie, und Marus braucht Sie auch.«
»Marcus ist wie mein Vater, hart im Nehmen. Er kann sich wehren und ist gewarnt, Daniel.«
»Dann brauchen Sie doch um ihn nicht solche Angst zu haben, Biggi«, sagte Dr. Norden.
»Es ist die Unsicherheit, die mich quält. Warum haben sie uns Katja nicht zurückgegeben? Wir haben doch bezahlt. Wir hätten auch nochmals bezahlt.« Sie schluckte die aufsteigenden Tränen herunter. Sie wollte tapfer sein. »Es ist so schrecklich, daß die Collandes sagen, Katja sei durchgebrannt.«
»Aber das können sie doch nicht sagen«, fiel ihr Daniel erschrocken ins Wort.
»Sie haben es gesagt. Claude hat Caroline d’Aubert geheiratet, schon vor einem Jahr. Wußten Sie das nicht, Daniel?«
»Nein.«
»Er hat Katja schnell vergessen, aber vielleicht hat ihn das Gerede seiner Eltern entnervt.«
»Sagen Sie mir doch genau, was seine Eltern sagten.«
»Katja wäre öfter mit so einem Gammler gesehen worden, er ist jedoch kein richtiger Gammler, sondern ein Junge aus guter Familie. Charly soll er heißen. Und sie behaupten, daß die ganze Entführung von ihm und Katja inszeniert worden sei, um zu Geld zu kommen. Aber Katja hätte uns das nicht angetan. Sie hätte wenigstens mit mir gesprochen, wenn sie sich nicht sicher gewesen wäre, daß Claude der richtige Mann für sie ist.«
»Das hätte sie bestimmt getan, Biggi«, sagte Daniel. »Sie war sicher, daß Claude der Richtige ist. Sie strahlte, als sie sich von uns verabschiedete. Sie sagte auch…«, er unterbrach sich.
»Was sagte sie?« fragte Biggi erregt. »Bitte, erinnern sie sich, Daniel.«
»Genau weiß ich es nicht mehr. Sinngemäß etwa so: Claude hat seine Mucken, und ein bißchen ist er auch ein Muttersöhnchen, aber ich liebe ihn, und er wird schon noch ein richtiger Mann werden…«
Biggi blickte an ihm vorbei. »Vielleicht war Caroline für ihn die richtige Frau. Sie hat Ehrgeiz. Aber für mich ist es schlimm, daß die Collandes sich so unfair verhalten haben.«
»Leiden Sie deshalb, Biggi?« fragte Dr. Norden.
»Ich leide, weil ich nicht weiß, was mit Katja geschehen ist. Mein Gott, wir haben doch alles versucht, um dieses unheilvolle Geschehen aufzuklären. Wenn ich wenigstens an ihr Grab gehen könnte, wenn ich wüßte, wo es ist. Warum hat man sie entführt, nicht mich? Für mich hätte die Familie doch auch gezahlt. Und wenn man die Entführungsfälle der letzten Jahre betrachtet, ganz gleich in welchem Land, die meisten Opfer kamen doch zu ihren Familien zurück. Katja war nicht schwach, nicht ängstlich, sie war klug.«
Dr. Norden hielt ihre Hände. »Sie wissen, wie gern wir Katja hatten, Biggi, aber Sie müssen jetzt auch an Ihren Mann und Ihren Sohn denken.«
Er wußte wirklich nicht, was er sonst sagen sollte. Jeder Trost schien ihm so billig, wenn er diese verzweifelte, gebrochene Frau betrachtete.
»Möchten Sie nicht doch mal einige Wochen auf der Insel der Hoffnung verbringen, Biggi?« fragte er, als
er ihr die Spritze gab. »Anne würde sich so sehr freuen.«
Biggi schloß die Augen. »Vielleicht«, flüsterte sie. »Paul zuliebe. Er redet mir immer zu.«
»Er liebt Sie sehr, Biggi."
»Ja, er liebt mich. Claude kann Katja nicht so geliebt haben.«
Es tat ihr weh. Daniel fühlte es. Es schmerzte sie tief, daß der Mann, den Katja geliebt hatte und den sie hatte heiraten wollen, so bald eine andere geheiratet hatte.
»Er ist ein Schwächling«, flüsterte sie. »Ich hätte es Katja sagen müssen, daß ich ihr einen anderen Mann wünschte, aber für mein Kind war mir ja keiner gut genug.«
Dann begann die Spritze schon zu wirken. – Biggi schlief ein.
Draußen wartete Tilla, schon an die Siebzig, klein und hager.
»Dieser Tag, dieser verfluchte Tag«, murmelte sie, als Dr. Norden aus dem Zimmer kam. »Aber ich glaube nicht, daß Katja tot ist. Ich will es nicht glauben. Aber die Lügen hat Caroline aufgebracht.«
»Was meinen Sie, Tilla?« fragte Dr. Norden.
»Es geht mir nicht aus dem Sinn«, murmelte sie. »Sie hat Katja schlecht gemacht, damit sie den Collande bekommt. Aber auf eine alte Frau hört man doch nicht.«
»Sie meinen, daß Caroline schon früher auf Claude Collande aus war?« fragte Daniel nachdenklich.
»Sie war doch mit Katja befreundet, wenn man das Freundschaft nennen will. Na, sie hat ja erreicht, was sie wollte. Sie trauert unserer Katja bestimmt nicht nach«, sagte Tilla bitter.
*
Als Daniel Norden mittags heimkam, waren seine Gedanken noch immer bei den Lindens, und Tillas Worte wollten ihm nicht aus dem Sinn.
»Du bist aber schweigsam, Daniel«, sagte Fee. »Geht es Biggi so schlecht?«
»Marcus kommt heute mit einem Freund«, erwiderte er.
»Da wird es wieder neue Aufregungen geben.« Fee seufzte.
»Paul hatte Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Marcus hat mit dem Freund die Namen getauscht.«
»Ob das was nutzen wird? Da sieht man wieder mal, welche Geißel so viel Geld sein kann«, meinte Fee.
»Könntest du dir vorstellen, daß Katja ausbrechen wollte?«
»Ausbrechen? Wie meinst du das?«
»Vielleicht war sie in einen andern verliebt. In einen armen Mann, den ihre Eltern nicht akzeptiert hätten.«
»Sie hätte ihre Eltern niemals solchen Qualen ausgesetzt. Sie hätte es gesagt. Aber sie wollte doch Claude.«
»Eine andere scheint auch scharf auf ihn gewesen zu sein, wenn man Tillas Worten Glauben schenken kann. Claude Collande ist mit Caroline d’Aubert verheiratet.«
»Es mag sein, daß er Trost gesucht hat. Er ist jung.«
»Die Collandes haben das Gerücht aufgebracht, daß Katja mit einem imaginären Charly die Entführung inszeniert haben könnte.«
»Niemals«, brauste Fee auf. »Sie hing viel zu sehr an ihrer Familie. Das ist nahezu eine Unverschämtheit, wenn es stimmt.«
»Es kann sein, daß man es zu kraß sieht«, sagte Daniel. »Biggi leidet unter solchen Gerüchten, und Tilla macht sich eigene Gedanken.«
»Und Paul?«
»Über so etwas spricht er nicht. Er will jetzt nicht, daß sein Sohn sich ihm entfremdet.«
»Das kann ich verstehen, aber vielleicht tut man zuviei, um den Ängsten Herr zu werden.«
»Ich habe Biggi geraten, ein paar Wochen auf der Insel zu verbringen. Vielleicht entschließt sie sich dazu.«
»Das wäre gut. Apropos Insel, Anne hat angerufen. Heute stellt sich eine Sekretärin vor. Hoffentlich klappt das. Anne muß entlastet werden.«
»Hoffentlich ist es nicht eine, die sich dann gleich wieder einen vermögenden Kurgast angelt, wie es bei den letzten der Fall gewesen ist«, sagte Daniel
Aber wollte man es diesen meist schon älteren Mädchen übelnehmen, wenn sich ihnen die Gelegenheit bot, etwas persönliches Glück zu finden? Es kamen viele einsame Menschen auf die Insel der Hoffnung, Frauen, aber auch Männer, und so manch einer von ihnen hatte doch ein beständiges Glück gefunden, mit Leidensgenossen oder auch mit Angestellten.
Vielleicht gehörte auch jene Margit Waldau zu ihnen, die sich um die Stellung auf der Insel der Hoffnung beworben hatte.
Aber eigentlich hatte dies nicht sie getan, sondern Juliette Mallot, die jetzt am Steuer eines alten, unansehnlichen Autos saß und ganz plötzlich auf die Bremse trat, als sie rechts an der Straße einen Gasthof gewahrte.
»Wir werden noch eine kleine Rast machen, Margit«, sagte sie freundlich. »Wir werden uns vielleicht lange nicht sehen.«
»Das will ich doch nicht hoffen, Julie«, sagte das junge Mädchen. »Ich habe doch nur dich. Und wenn sie nicht zufrieden sind mit mir, was soll ich dann tun?«
»Du hast deinen Sekretärinnenkursus mit Auszeichnung bestanden, Margit. Du hast deine Krankheit überwunden, und dort kommst du in eine Umgebung, die dir bestimmt zusagen wird, meine Kleine. Der Name ›Insel der Hoffnung‹ hat dir doch gefallen.«
»Ja, er hat mir sehr gefallen, Julie. Aber es gefällt mir nicht, wenn du von einer langen Trennung sprichst.«
»Liebes, ich muß jetzt nach Griechenland fahren zu meiner Schwester. Sie ist krank. Sie braucht Pflege. Ich bin erleichtert, wenn ich dich gut untergebracht weiß. Komm, wir trinken noch eine Tasse Kaffee. Sei doch ein bißchen zuversichtlich. Sie bieten ein gutes Gehalt, und Frau Cornelius hat sehr nett geschrieben. Du mußt etwas selbständiger werden, Margit. Ich werde nicht ewig leben.«
»Sag das nicht!« rief das Mädchen erschrocken aus.
»Man lebt nicht ewig, Margit. Es ist der Lauf der Zeit, und mein Leben war nicht gerade das leichteste. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Es kommt alles, wie es einem bestimmt ist. Du hast dein Leben noch vor dir, mein Kleines, und das ist gut.« Sie streichelte Margits Wange. »Ich habe meinen Sohn verloren und dich gewonnen. Der Herrgott war gnädig mit mir. Er wird es auch mit dir sein. Du bist jung und hübsch. Du wirst einen guten Mann finden, weil du selber gut bist.«
»Ich bin eine Waise, die nicht weiß, woher sie kommt, und wenn du nicht gewesen wärest, würde ich nicht mehr leben.«
»Sprich nicht so, Kleines«, sagte Juliette. »Vielleicht hätten dich andere aufgenommen, die dir mehr hätten bieten können. Aber davon wollen wir nicht reden. Du hast meinem Leben einen Sinn gegeben, und nun erwarte ich von dir, daß du dich in deinem Leben behauptest.«
»Ich will dich nicht enttäuschen, Julie, liebste Julie«, sagte Margit.
Das herbe, müde Gesicht der Älteren hellte sich auf. Sie blickte auf ihre Armbanduhr.
»Noch eine Stunde, dann beginnt ein neues Leben
für dich, Margit. Mein Gefühl sagt mir, daß es ein gutes Leben sein wird. Meine Wünsche sind immer mit dir.«
*
Margit hatte sie gebeten, mit Dr. Cornelius zu sprechen, aber das hatte Julie abgelehnt.
»Sie sollen nicht denken, daß du ein Kind bist, das man führen muß. Du bist ein selbständiger Mensch, Margit. Du bist zwanzig Jahre.«
»Ich hatte aber noch nie eine Stellung«, sagte das Mädchen leise.
»Anfangen muß jeder mal«, sagte Julie. Und dann nahm sie das zarte Gesicht des Mädchens zwischen ihre Hände. Sie küßte die weichen Lippen.
»Ich werde dir schreiben, und vielleicht werden wir uns bald wiedersehen. Kopf hoch, Margit. Geh jetzt, Kind. Ich weiß, daß du es schaffst.«
Margit ging. Sie drehte sich noch einmal um und sah, wie Julie in ihrem alten Wagen davonfuhr. Sie hörte das Geräusch noch dann, als sie vor dem Eingang stand, über dem in kupfernen Lettern Insel der Hoffnung stand.
Und dann kam ihr ein Junge entgegengelaufen. Schwarzes Haar kräuselte sich über einer hohen Stirn. Nachtdunkle Augen blickten sie an.
»Mein Name ist Mario Cornelius«, sagte er. »Sind Sie Fräulein Waldau?«
»Ja, die bin ich. Margit Waldau« erwiderte sie.
»Sie sind nicht mit dem Bus gekommen«, sagte Mario.
»Nein, mit einer Bekannten«, erwiderte sie zögernd.
»Warum ist sie nicht mitgekommen?« fragte der Junge.
»Sie muß weiter. Sie muß nach Griechenland. Ihre Schwester ist krank«, erwiderte Margit tonlos.
»Da kommt meine Mami«, sagte Mario. »Sie brauchen nicht traurig zu sein, Fräulein Waldau. Oder haben Sie Angst?« fragte er wachsam. »Bei uns brauchen Sie keine Angst zu haben.«
Anne Cornelius ergriff eine zitternde kalte Hand. Sie erinnerte sich der Worte, die Juliette Mallot an sie geschrieben hatte.
Es ist Margits erste Stellung. Sie ist Waise und hat viel durchgemacht. Der Name »Insel der Hoffnung« weckte auch in mir Hoffnung, daß Margit einen Platz finden könnte, an dem sie sich entfalten kann. Ich bitte Sie herzlich, dem Mädchen eine Chance zu geben.
Das war für Anne entscheidend gewesen, und nun, da sie Margit vor sich sah, wußte sie, daß sie richtig gehandelt hatte.
»Es wird Ihnen bei uns gefallen, Margit«, sagte sie. »Schauen Sie sich erst mal um. Mario wird Ihnen die Insel zeigen. Aber jetzt werden wir erst essen.«
Margit glaubte zu träumen. Eine warme Stimme, eine schöne, mütterliche Frau, die ihre Hand nahm, ein Junge, der dann die andere Hand ergriff. Dann kam Dr. Cornelius. Er lächelte.
»Wir erwarten nicht, daß Sie sich gleich in die Arbeit stürzen, Margit«, sagte er, »und viel falsch machen kann man bei uns auch nicht.«
*
In einem sonnigen Zimmer konnte sich Margit nach dem Essen ausruhen.
Anne hatte ihr ein Glas Wasser gebracht. »Trinken Sie es, Margit«, hatte sie gesagt. »Es beruhigt.«
Margit hatte es getrunken. Es schmeckte ganz anders als alles Wasser, was sie vorher in ihrem Leben getrunken hatte. Anne hatte ihr aber nicht gesagt, daß es Wasser aus der Quelle war, die auf der Insel sprudelte und schon so vielen geholfen hatte. Anne hatte nur gleich gemerkt, daß diesem Mädchen irgendwie geholfen werden mußte.
Margit schlief. Sie schlief nicht nur ein paar Stunden. Sie schlief auch am Abend noch, als Anne nun doch recht besorgt nach ihr sah.
Sie rief dann ihren Mann, weil sie sich einen solchen tiefen Schlaf nicht erklären konnte.
»Das Mädchen muß zu Tode erschöpft gewesen sein«, sagte er, »oder es schläft zum ersten Mal seit langer Zeit tief und ruhig. Aber es ist nichts zu befürchten, Anne. Lassen wir sie schlafen.«
»Und wenn sie in finsterer Nacht aufwacht?« fragte Anne. »Wenn sie dann nicht weiß, wo sie sich befindet und sich fürchtet? Ich werde bei ihr wachen.«