Dr. Norden – mein Lebensretter - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden – mein Lebensretter E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Daniel Norden machte zu nächtlicher Stunde Krankenbesuche. Der Wetterumschwung hatte den Kreislauf- und Herzkranken wieder schwer zu schaffen gemacht, und er ließ keinen Patienten im Stich, auch wenn es nun schon nach zehn Uhr war. Selten jedoch geschah es, daß Fee Norden ihren Mann dann auch noch bei einem Patienten suchen mußte wegen eines anderen Notfalls. So aber an diesem Abend im Mai. Er war bei Martha Schneiders, die erst kürzlich operiert worden war, und sie hatte postoperative Schmerzen. Grad hatte er gesagt, daß sie eben doch besser noch ein paar Tage in der Klinik hätte bleiben sollen, als das Telefon läutete. Fritz, der Sohn von Frau Schneiders, sah Dr. Norden richtig mitleidig an. »Ihre Frau, dringend«, sagte er. Da dachte Daniel Norden erschrocken, daß eines der Kinder krank geworden sein könnte, aber dem war nicht so. Es handelte sich um Frau Gillbrecht, die nicht weit von den Schneiders' entfernt wohnte. Da Fee sagte, daß die Patientin kaum noch sprechen konnte und voller Angst sei, griff Daniel Norden gleich nach seinem Koffer. Frau Schneiders hatte ihre Spritze schon bekommen, und wenn sie auch gern noch mit ihm geredet hätte, er stürmte schon hinaus. »Du mußt Verständnis haben, Mama«, sagte Fritz Schneiders, »der arme Dr. Norden ist geplagt genug. Ich möchte nicht Arzt sein.« »Soweit hättest du es auch gar nicht gebracht mit deinem miesen Abitur«, sagte sie vorwurfsvoll. »Immerhin schon zum Abteilungsleiter, während die Geisteslichter zum großen Teil noch eine Stellung suchen«, konterte er. »Und du hättest dich in der Klinik noch pflegen lassen

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Dr. Norden Bestseller – 255–

Dr. Norden – mein Lebensretter

Wer spielte Michelle so übel mit?

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden machte zu nächtlicher Stunde Krankenbesuche. Der Wetterumschwung hatte den Kreislauf- und Herzkranken wieder schwer zu schaffen gemacht, und er ließ keinen Patienten im Stich, auch wenn es nun schon nach zehn Uhr war. Selten jedoch geschah es, daß Fee Norden ihren Mann dann auch noch bei einem Patienten suchen mußte wegen eines anderen Notfalls. So aber an diesem Abend im Mai.

Er war bei Martha Schneiders, die erst kürzlich operiert worden war, und sie hatte postoperative Schmerzen. Grad hatte er gesagt, daß sie eben doch besser noch ein paar Tage in der Klinik hätte bleiben sollen, als das Telefon läutete. Fritz, der Sohn von Frau Schneiders, sah Dr. Norden richtig mitleidig an. »Ihre Frau, dringend«, sagte er.

Da dachte Daniel Norden erschrocken, daß eines der Kinder krank geworden sein könnte, aber dem war nicht so. Es handelte sich um Frau Gillbrecht, die nicht weit von den Schneiders’ entfernt wohnte. Da Fee sagte, daß die Patientin kaum noch sprechen konnte und voller Angst sei, griff Daniel Norden gleich nach seinem Koffer. Frau Schneiders hatte ihre Spritze schon bekommen, und wenn sie auch gern noch mit ihm geredet hätte, er stürmte schon hinaus.

»Du mußt Verständnis haben, Mama«, sagte Fritz Schneiders, »der arme Dr. Norden ist geplagt genug. Ich möchte nicht Arzt sein.«

»Soweit hättest du es auch gar nicht gebracht mit deinem miesen Abitur«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Immerhin schon zum Abteilungsleiter, während die Geisteslichter zum großen Teil noch eine Stellung suchen«, konterte er. »Und du hättest dich in der Klinik noch pflegen lassen können, anstatt darauf bedacht zu sein, mich wieder zu kontrollieren.«

»Das finde ich nicht fair von dir, Fritz«, sagte sie. »Ich will nur, daß du gut versorgt bist.«

»Da ich erwachsen bin, kann ich mich auch allein versorgen, Mama. Nichts gegen dich, aber ich verhungere nicht, wenn du mal besser an dich denken solltest.«

Dr. Norden war indessen zwei Straßenzüge weiter vor einem Haus gelandet, das er bestens kannte. Es war ein Zweifamilienhaus, recht stilvoll, und es gehörte Frau Gillbrecht, einer reichen alten Dame.

Da stand ein Auto, und das kam Dr. Norden ungewöhnlich vor, denn die junge Malerin Michelle Ramos fuhr einen französischen Wagen.

Persönlich war ihr Dr. Norden noch nicht begegnet, obgleich sie schon drei Monate in diesem Hause wohnte, aber Frau Gillbrecht hatte schon genug von ihr geschwärmt, wie begabt sie sei, und was für ein wunderschönes und intelligentes Geschöpf.

Dr. Norden war noch nicht ausgestiegen, als ein Mann aus dem Haus gerannt kam und mit diesem Wagen davonfuhr, bevor der Arzt begriffen hatte, daß dies mehr als ungewöhnlich war. Und dann vernahm er einen schrillen Schrei. Er lief ins Haus, die Türen standen ja offen. Und Frau Gillbrecht, die zerbrechliche alte Dame stand im Hausmantel im Treppenhaus und schluchzte: »Michelle, mein Gott, das arme Kind, Dr. Norden, helfen Sie, so helfen Sie doch bitte!«

Er lief die Treppe empor, zwischen Tür und Angel lag ein blutendes Wesen.

»Ich hatte ja solche Angst«, jammerte Frau Gillbrecht, während er neben der jungen Frau niederkniete, Herzschlag und Puls fühlte und dann versuchte, die stark blutende Kopfwunde zu versorgen.

»Rufen Sie in der Behnisch-Klinik an, Frau Gillbrecht, sie sollen den Krankenwagen schicken«, sagte er hastig und nannte ihr die Nummer.

Er mußte sie später loben, denn trotz der Aufregung war es wohl ihr zu verdanken, daß Michelle Ramos das Leben gerettet werden konnte. Wäre er nicht so rasch zur Stelle gewesen, wäre sie verblutet.

Frau Gillbrecht hatte darüber ihre eigenen Gebrechen vergessen, das Rheuma, die Rückenschmerzen, das Schwindelgefühl. Und trotz ihrer fast achtzig Jahre funktionierte ihr Verstand ganz ausgezeichnet.

»Das war ein Überfall«, sagte sie, »aber ich dachte, Sie kommen schneller als die Polizei.«

Aber die Polizei kam dann auch. Dr. Norden durfte aber Michelle Ramos zur Behnisch-Klinik begleiten.

Es hatte den Anschein, als wäre sie gefoltert worden mit einem Messer, vielleicht auch mit einer Zigarette, aber ganz sicher war sie mit einem scharfen Gegenstand dann zu Boden geschlagen worden. Warum? Diese Frage blieb offen. Michelle konnte sie nicht beantworten, und Dr. Behnisch bezweifelte, daß sie dazu bald in der Lage sein würde.

»Wir wollen froh sein, wenn sie überhaupt am Leben bleibt«, sagte Dr. Behnisch zu seinem Freund Daniel Norden. »Was kannst du dazu sagen?«

»Nicht viel. Ich habe sie zum ersten Mal gesehen und so, wie sie daliegt. Sie wohnt bei Frau Gillbrecht, und es war ein Glück, daß ich gerade in der Nähe war bei Frau Schneiders. Du hättest übrigens darauf bestehen sollen, daß sie noch in der Klinik bleibt.«

»Leg du dich doch mal mit ihr an. Sie meint ja, ihr Bübchen müsse verhungern, wenn sie nicht für ihn sorgt, dabei ist der Bursche fünfunddreißig.«

»Und gar nicht so glücklich über soviel mütterliche Fürsorge«, sagte Daniel. »Aber lassen wir das, dieser Fall ist jetzt wichtiger, und es ist ein Fall für die Kriminalpolizei.«

»Von Zeit zu Zeit fehlt dir so was anscheinend, Daniel«, sagte Dieter Behnisch anzüglich.

»Es läuft mir nach«, seufzte Daniel Norden, »vielleicht deshalb, weil ich so gern zur Polizei wollte, als ich noch ein Bub war.«

»Aber wie man immer wieder sieht, kann man auch als Arzt gefährlich leben.«

»Wenn ich mir bloß die Autonummer gleich richtig gemerkt hätte. Es war eine italienische, Roma, das weiß ich.«

»Wovon redest du?« fragte Dr. Behnisch bestürzt.

»Von dem Wagen, mit dem der Kerl weggefahren ist, der Kerl, der dieses Mädchen so traktiert hat.«

»Guter Gott, bist du sicher, daß du ihn gesehen hast?« fragte Dr. Behnisch atemlos.

»Schattenhaft, ich könnte ihn nicht beschreiben. Auf so etwas war ich ja nicht vorbereitet.«

»Sag lieber gar nichts, Daniel, sonst kommst du auch noch in Schwierigkeiten«, murmelte Dieter Behnisch. »Jetzt wird die Kleine soweit sein, daß ich mit der Untersuchung beginnen kann. Ich informiere dich morgen. Laß dir die Nachtruhe nicht nehmen. Fee wird schon warten.«

Und wie sie wartete, während Dieter Behnisch mit seiner Frau Jenny die neue Patientin so gut versorgte, wie es möglich war. Sie war schlimm zugerichtet.

»So scheint die Mafia umzugehen«, bemerkte Jenny beiläufig.

»Mach mich nicht schwach, Jenny, das würde uns noch fehlen, daß wir es mit der Bande auch noch zu tun kriegen.«

*

Die alte Dame Gillbrecht zeigte keine Müdigkeit. Da sie nun den ersten Schrecken überwunden hatte, bewies sie, wie wach und gescheit sie immer noch war.

»Also, es war so«, begann sie, »Michelle bekam abends nie Besuch bisher, und deshalb wunderte ich mich, als es bei ihr läutete. Ich höre das, wenn das Radio oder der Fernseher nicht läuft, und ich wollte gerade zu Bett gehen. Und dann hörte ich auch Michelles erregte Stimme. Sie sagte: ›Sie sind das, was wollen Sie? Es ist spät, ich will meine Ruhe haben.‹

Aber dieser Mann sagte etwas in italienischer Sprache, was ich nicht verstand, aber ich weiß, daß es italienisch war. Und dann herrschte erst mal Stille. Ich war trotzdem ziemlich aufgeregt. Bei dem Wetter geht es mir nicht besonders gut, und außerdem war noch Vollmond. Dann kamen von oben Geräusche, die mir Angst machten. Ich habe Dr. Norden angerufen. Seine Frau war am Apparat und sagte mir, daß sie ihren Mann verständigen würde. Ja, und dann hörte ich Schreie und Stöhnen und hatte fürchterliche Angst, und dann kam auch noch ein dumpfer Fall, und Schritte liefen die Treppe hinab. Ein Auto fuhr weg, und dann kam auch schon Dr. Norden, und inzwischen hatte ich Michelle da gefunden, da, wo die Blutlache ist.« Frau Gillbrechts Stimme zitterte, und sie fuhr sich über die Augen. »Sie ist doch so ein liebes Geschöpf, wer könnte ihr denn weh tun?«

Der Polizeiinspektor hatte sich Notizen gemacht. »Hatte sie einen Freund?« fragte er. »Männerbekanntschaften?«

»Aber nein, sie war sehr solide. Man braucht doch nicht zu denken, daß sie ein loses Leben führte, weil sie Malerin ist. Sie ist eine Klasse für sich. Ja, sie hat einen Freund, aber er restauriert gerade eine alte Kirche.«

»Wie heißt er?« fragte der Beamte.

»Mattis, André Mattis. Ein sehr netter, sympathischer Mann. Und sonst war bisher niemand hier. Michelle hatte auch großes Vertrauen zu mir.«

Sie hatte es noch nicht ausgesprochen, als es läutete. Frau Gillbrecht schrak zusammen und sah den Beamten ängstlich an.

»Ruhe bewahren«, sagte er und öffnete die Tür. Ein junger Mann stand davor. »Herr Mattis«, rief Frau Gillbrecht überrascht aus.

»Ich konnte nicht früher kommen, entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau, ich wollte Sie gewiß nicht stören.« Er geriet ins Stocken. »Was ist? Michelle hat mich doch gebeten, so schnell wie möglich zu kommen. Wo ist sie?«

»In der Klinik«, erwiderte Frau Gillbrecht stockend.

»In der Klinik?« wiederholte er tonlos. »Sie ist krank? Warum hat sie das nicht gesagt?«

»Sie ist nicht krank, sie wurde überfallen«, erwiderte der Beamte.

»Überfallen?« wiederholte André Mattis fassungslos. »Oh, mein Gott, ich muß zu ihr.«

»Würden Sie mir bitte erst einige Fragen beantworten«, sagte Inspektor Keller. »Ihre Personalien brauchen wir auch.«

»André Mattis, Jahrgang fünfundfünfzig, Kunsthistoriker, Wohnsitz München…«

»Er ist Professor«, warf Frau Gillbrecht ein, »Sie können das nachprüfen, Herr Inspektor, Mißtrauen ist nicht angebracht.«

»Dozent, um es genauer zu sagen«, erklärte nun André, »aber ich will wissen, was mit Michelle ist.«

»Sie sind befreundet?«

»Ja, sehr, ich möchte sie heiraten.«

»Haben Sie italienische Bekannte?« fragte Inspektor Keller.

»Bekannte? Natürlich kennen wir Italiener. Michelle ist Schweizerin. Sie hatte eine Vernissage in Lugano, und sie hat Bekannte in Rom. Ich ebenfalls. Aber warum fragen Sie denn?«

»Weil vermutlich ein Italiener den Überfall verübt hat.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte André heiser.

»Könnte es eine Eifersuchtstat sein?« fragte Keller.

»Aber nein, Michelle war nicht so, wie Sie vielleicht vermuten, weil sie Künstlerin ist, und seit sie in München lebt, hat sie, haben wir nur einen kleinen Freundeskreis. Keine Italiener dabei.«

»Nennen Sie mir Namen«, sagte der Inspektor freundlich, aber bestimmt.

»Kann das nicht später geschehen? Ich will Michelle sehen«, drängte André.

»Es ist sehr spät, Herr Mattis«, sagte Inspektor Keller, »und in der Behnisch-Klinik wird man sich sehr um Michelle Ramos bemühen. Sie schwebt in Lebensgefahr. Sie werden nicht mit ihr sprechen können.«

Kreidebleich wich André zur Wand zurück. »Nein«, stöhnte er, »nicht Michelle, warum sie, warum nicht ich?«

»Was wollen Sie damit sagen?« hakte der Inspektor sofort ein.

»Was soll ich sagen? Ich frage mich nur, was man ihr antun wollte und warum? Sie hat doch niemandem etwas getan. Sie rief mich an und sagte: ›Bitte komm, ich weiß nicht, was sie von mir wollen. Du mußt mir raten, André. Ich könnte viel Geld verdienen, aber ich habe ein ungutes Gefühl.‹ Genau das hat sie gesagt, aber keinen Namen genannt.«

»Sie haben sie nicht gefragt?«

»Nein, ich habe gesagt, daß ich gleich losfahre. Wir wollten dann darüber reden.«

»Und deshalb hat sie aufgemacht, als es geläutet hat«, warf Frau Gillbrecht ein. »Sie hat gedacht, Herr Mattis kommt, sonst hätte sie die Tür nicht geöffnet.«

»War Herr Mattis öfter zu so später Stunde hier, Frau Gillbrecht?« fragte der Beamte.

»Geht Sie das etwas an?« fragte Frau Gillbrecht unwillig. »Ich wußte, daß Michelle sehr anständig ist, und Herr Mattis hätte Michelle niemals kompromittiert. Aber altmodisch und verkalkt bin ich immer noch nicht.«

Sie war wirklich eine Schau, wie Inspektor Keller für sich feststellte. Er wäre dankbar gewesen, wenn alle Zeugen so präzise Antworten geben könnten, wie es diese alte Dame getan hatte, die auch jetzt noch eine bewundernswerte Haltung zeigte.

»Sie kennen die Wohnung von Frau Ramos?« fragte er dann André.

»Nicht ganz genau«, erwiderte André.

»Können Sie feststellen, ob etwas fehlt?«

»Gegenstände von immensem Wert besaß Michelle nicht. Allerdings werden ihre Gemälde mal sehr wertvoll werden, aber deshalb wird man sie doch nicht jetzt schon umbringen wollen. Verstehen Sie überhaupt etwas von Malerei?«

Inspektor Kellers Blick schweifte in die Ferne. »Es ist schon etwa zehn Jahre her, aber da hatte ich mal mit einem Bilderfälscher zu tun«, sagte er sinnend. »Ein genialer Mann. Leider geriet er auf die falsche Bahn.«

»Michelle würde niemals Bilder fälschen«, sagte André gereizt. »Und sie würde nie mit Gangstern zusammenarbeiten, wenn Sie darauf hinauswollen, Herr Inspektor.«

»Nun, es könnte ja sein, daß sie deshalb leiden mußte«, sagte Keller gedankenverloren. »Es ist nur so ein Gedanke, der mir plötzlich kam. Schauen wir uns doch mal um.«

Es war eine Atelierwohnung. Frau Gillbrecht hatte nicht ohne Stolz gesagt, daß ihr Mann gern gemalt und modelliert hatte, wenngleich es auch nur sein Hobby gewesen wäre, aber dafür hatte er sich die Etage eingerichtet.

Frau Gillbrecht hatte dann schon öfter werdenden jungen Künstlern unter die Arme gegriffen, aber meistens hatte sich das nicht positiv entwickelt. Michelle war die erste, von der die alte Dame nicht enttäuscht worden war.

»Hätte ich diesen Kerl doch nur richtig gesehen«, sagte sie voller Zorn, »aber ich habe ja nur seine Stimme gehört. Es war eine sehr hohe Stimme. Ich mag hohe Stimmen nicht.«

Sie hätte wahrscheinlich noch die ganze Nacht reden können, auch von ihrem Mann, der ein bekannter Opernsänger gewesen war, ein Bariton, und bei den Sängerinnen schätzte sie nur Alt und Mezzosopran, aber Musiker oder gar Sänger wollte sie nicht im Hause haben, und Michelle wäre doch eine so angenehme Mieterin.

»Hoffentlich wird sie bald wieder gesund«, sagte sie dann auch noch, aber dem Inspektor lag nun wirklich daran, sich mit André Mattis allein zu unterhalten.

Frau Gillbrecht war das nicht ganz recht, und sie mußte noch einmal energisch feststellen, daß Herr Mattis wohl über jeden Verdacht erhaben sei, aber dann zog sie sich doch zurück, und Inspektor Keller war nun allein mit André in Michelles Wohnung.

Der Blutfleck am Boden war eingetrocknet, aber nicht zu übersehen, und André stöhnte schmerzlich auf.

»Michelle bedeutet mir sehr viel, Herr Inspektor, verstehen Sie das bitte, und nichts ist für mich jetzt wichtiger als ihr Leben.«

»Aber je eher wir einen Hinweis auf den Täter finden, desto schneller bekommen wir ihn zu fassen, und daran wird ihnen doch auch liegen, Herr Mattis.«

»Natürlich liegt mir daran, aber Michelle hat mir nicht die leiseste Andeutung gemacht, worum es sich handeln könnte.«

»Und Sie können keinen Hinweis auf einen Italiener geben, mit dem Frau Ramos in letzter Zeit beisammen war?«

»Hier doch gar nicht, soviel ich weiß. Vor vier Wochen war sie in Rom.«

»Allein?«

»Ja, allein, ich hatte zu tun. Ich war allerdings einen Tag unten. Conte Canzaro und seine Frau gaben einen festlichen Empfang für Michelle. Er ist ein großer Mäzen und Kunstkenner. Er hat Michelles Talent sofort zu schätzen gewußt. Es war eine illustre Gesellschaft, keine Gangster, Herr Inspektor.«

Der lächelte säuerlich. »Sie ahnen wahrscheinlich gar nicht, in welch illustren Kreisen sich die großen Gangster bewegen, die dann ihre Handlanger ausschicken, die die Schmutzarbeit für sie erledigen. Das gibt es bei uns auch.«

»Aber Michelle war reserviert. Sie blieb es auch auf diesem Fest. Ich schätze mich glücklich, daß sie mir ihre Zuneigung schenkte. Bitte, lassen Sie mich jetzt doch gehen, und wenn Sie mir nicht trauen, begleiten Sie mich zur Behnisch-Klinik, aber ich muß wissen, wie es Michelle geht.«

»Schauen Sie sich doch wenigstens um. Entdecken Sie etwas, was Ihnen befremdlich erscheint?«

Minutenlang ging André durch die Räume, dann schüttelte er den Kopf. »Es scheint nichts gesucht worden zu sein. Michelle war nicht gerade penibel, aber doch recht ordentlich, und es scheint nichts verändert zu sein.«

»Und was bedeutet dieses Gemälde, das doppelt vorhanden ist?« fragte der Inspektor.

»Doppelt vorhanden?« wiederholte André. »Ach, Sie meinen Madame Gollin. Ja, das hat eine Bewandtnis. Das Original stammt von Matisse, mit dem die Gollins befreundet waren. Nach Madame Gollins Tod stritten sich die beiden Töchter um das Gemälde, und nun hatten sie sich geeinigt, daß Michelle eine Reproduktion herstellt. Aber als eine Fälschung dürfen Sie das nicht ansehen. Es ist ein Auftrag.«

Inspektor Kellers Augenbrauen schoben sich zusammen. »Könnte man ihr nicht auch andere Aufträge erteilt haben, von sehr wertvollen Gemälden Reproduktionen herzustellen, die man dann kaum vom Original unterscheiden könnte und so auch teuer, unter der Hand, an den Käufer bringen könnte?«