Dr. Umwerfend - Jessa James - E-Book

Dr. Umwerfend E-Book

Jessa James

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Beschreibung

Ich glaube nicht an Romantik. Ich bin ganz sicher nicht der Typ Frau, der sich betrinkt, einen Kerl kennenlernt und dann später in der Nacht zum verfluchten Reno fährt, um dort zu heiraten.Aber Dr. Umwerfend, AKA Jack Stratton, hat all das verändert. Auch wenn alles nur eine Lüge war.Okay, also unsere Beziehung ist so fake wie schlechter Bräunungsspray. Sie dient nur dazu, unseren Exen eins auszuwischen und ihnen vor Augen zu führen, wie sehr sie uns vermissen. Kann ich etwas dafür, dass Jack so wahnsinnig gut aussieht, dass mir allein seine Anwesenheit die Röte in die Wangen treibt? Und wenn er mich anlächeltVielleicht hätte ich ihm besser den Spitznamen Dr. Lass-dein-Höschen-fallen verpassen sollen.Und ich gebe es zu, ein Teil von mir ist bis über beide Ohre in ihn verliebt. Wie kann ich das auch nicht sein, wenn er mir ständig erzählt, dass wir Zeit miteinander verbringen müssen? Wir müssen die Scharade aufrechterhalten. Wir müssen uns unter vier Augen küssen, damit es gut aussieht, wenn wir es zu Show-Zwecken machen.Als mein Ex einen Monat nach unserer Hochzeit endlich die Botschaft kapiert, bleiben mir zwei Optionen. Zu dem Mann zurückzukehren, von dem die ganze Stadt behauptet, er wäre der Richtige für mich oder all meinen Mut zusammenzunehmen und eine neue Richtung einzuschlagen. Eine Richtung, die eine neue Zukunft beinhaltet, die Jack und ich gestalten, gemeinsam.

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Dr. Umwerfend

Jessa James

Dr. Umwerfend: Copyright © 2020 von Jessa James

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch, digital oder mechanisch, reproduziert oder übertragen werden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Fotokopieren, Aufzeichnen, Scannen oder durch irgendeine Art von Datenspeicherungs- und Datenabfragesystem ohne ausdrückliche, schriftliche Genehmigung des Autors.

Veröffentlich von Jessa James

James, Jessa

Cover design copyright 2020 by Jessa James, Author

Images/Photo Credit: Deposit Photos: alanpoulson

Hinweis des Herausgebers:

Dieses Buch wurde für ein erwachsenes Publikum geschrieben. Das Buch kann explizite sexuelle Inhalte enthalten. Sexuelle Aktivitäten, die in diesem Buch enthalten sind, sind reine Fantasien, die für Erwachsene gedacht sind, und jegliche Aktivitäten oder Risiken, die von fiktiven Personen innerhalb der Geschichte übernommen werden, werden vom Autor oder Herausgeber weder befürwortet noch gefördert.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Teil II

Teil III

Bücher von Jessa James

Also by Jessa James (English)

Über die Autorin

1

Wenn Addison Fuller ihre Erfahrung im Tequila-Trinken zusammenfassen sollte, würde sie vermutlich in etwa so klingen: Tequila verschafft dir Teppichflechten in deinem Gesicht und einen Ring an deinem Finger.

Aber um die Geschichte korrekt zu erzählen, würde sie am Anfang beginnen müssen, bevor sie Dr. Jack Stratton jemals begegnet war. Die Geschichte würde folgendermaßen lauten…

Addy gab einen frustrierten Laut von sich und spürte einen kleinen Brocken ihrer Sorgen davongleiten. Als sie die eingebauten Bücherregale im Wohnzimmer abwischte, fühlte sie, wie das Gewicht der vergangenen zehn Tage schmolz. Selbst der Streit mit Jeremy schien nur noch eine entfernte Erinnerung zu sein.

Wen interessiert’s, ob das erst letzte Woche war?, dachte sie.

„Additup“, sang ihr Dad in seinem La-Z-Boy Sessel, der dauerhaft vor dem Fernseher geparkt war. „Mach mal eine Pause! Allein dir zuzuschauen macht mich völlig fertig.“

„Dann ist es ja gut, dass du in einem Sessel sitzt“, erwiderte sie mit einem Lachen.

„Es ist Feiertag! Es ist dein freier Tag, entspann dich mal“, sagte er.

„Und wer räumt dann hinter dir und Kenzie her?“, wollte sie wissen, während sie mit einem Staubwedel hinter ihn trat und seine Schulter drückte.

Er schüttelte den Kopf und griff nach einem Bier. Es war sein drittes an diesem Tag, wie Addy bemerkte. Biertrinken, den Fernseher anbrüllen und Einladungen zu gesellschaftlichen Events finster anfunkeln war der Hattrick seines Lebens. Er redete mit kaum jemand anderem als ihr und Kenzie.

„Wo ist Kenzie?“, wollte sie wissen, weil sie sich fragte, wohin ihre Schwester verschwunden war.

Ihr Dad grunzte nur und starrte auf den Fernseher vor sich. Es juckte sie in den Fingern, die Bierdose aus seiner Hand zu reißen, bevor er einnickte und alles auf dem Wohnzimmerteppich verschüttete. Sie widerstand dem Drang jedoch.

Ich werde einfach warten, bis er eingeschlafen ist. Es ist ja nicht so, als würde er irgendwohin gehen.

Addy hatte sein drastischer Hang zur Einsiedelei, nachdem ihre Mom gestorben war, große Sorgen bereitet, aber mittlerweile war das drei Jahre her.

Das ist das neue Normal, dachte sie bei sich. Sie konnte nicht fassen, dass es einmal eine Zeit gegeben hatte, in der ihr Dad achtzig Stunden Wochen gearbeitet hatte, um sein Restaurant auf die Beine zu stellen.

„Was hältst du davon, dieses Jahr die Feuerwerke anzuschauen?“, fragte sie, obwohl sie wusste, dass es keinen Zweck hatte. „Dad?“

Sie drehte sich um, aber er hatte bereits zu schnarchen begonnen. Sachte entwand sie seinen Fingern das Bier und stellte es auf den Tisch.

Nur für den Fall, dass sie ihn mit ihrer Putzerei aufweckte, verlagerte sie ihre Pflichten in die Garage. Dort befand sich ein Riesenprojekt, für das sie keine Zeit gehabt hatte. Eines, das schon seit über einem Jahr auf ihrer To-do-Liste stand. Das Innere des Hauses sauber zu halten war ihre Priorität gewesen. Als Addy anfing, die vollgestopften Regale durchzusehen, verschob sich eine Schachtel mit Ordnern und traf sie beinahe am Kopf.

Vorsichtig zog sie die Schachtel heraus. Ihre eigene Handschrift versetzte sie zurück in die schwärzesten Tage ihres Lebens, als sie dreizehn Jahre alt gewesen war. Damals hatte ihre Mom ihre erste Diagnose erhalten und sie hatte angefangen, die Anzeichen und Symptome haargenau zu notieren.

Addison schnalzte mit der Zunge, während sie durch hunderte Seiten ihrer ordentlichen Handschrift blätterte. Das gesamte Leben ihrer Mom, von dem Tag ihrer Diagnose bis zu dem Tag, an dem sie gestorben war, befand sich genau hier in knalliger pinker und türkiser Tinte.

„Rote und geschwollene Lymphknoten heute“, stand dort in ihrer dreizehnjährigen Schrägschrift. „Der Arzt sagt, das ist normalerweise kein Anzeichen für Krebs.“

Ja, nun, manchmal können sich Ärzte irren.

Tränen ziepten in ihren Augenwinkeln, während sie sich in die Ordner vertiefte.

„Was machst du da eigentlich?“, fragte sie sich. Sie schaute zum Mülleimer und verspürte für einen Augenblick einen Anflug von Kraft.

Wofür hebe ich die überhaupt auf? Aber sie konnte sie einfach nicht wegwerfen. Addy stellte die Schachtel wieder ins Regal. Eines Tages würde sie es tun, aber heute war nicht dieser Tag.

Wieder einmal wurde die Arbeit in der Garage auf einen anderen Tag verschoben. Im Waschraum sortierte sie die Klamotten und startete eine neue Maschine. Addy ging zum Kühlschrank und begann alte Flaschen abgelaufener Soßen auszuspülen und Take-out-Essen aus dem Restaurant wegzuwerfen, während die Waschmaschine vor sich hin rumpelte.

Zufrieden mit dem sauberen Kühlschrank, den abgewischten Regalen und damit, dass nur noch gesunde, nicht abgelaufene Nahrungsoptionen verfügbar waren, setzte sie sich an die Kücheninsel und machte sich daran, die Rechnungen durchzugehen.

Gerade als sie einen Check für die Hypothek ausstellte, summte ihr Handy in ihrer hinteren Tasche. Es war ihre Schwester.

„Kenzie, was gibt’s?“, fragte sie.

„Hey! Was machst du gerade?“

„Die Hypothek bezahlen.“

„Bäh.“

„Bäh? Wenn ich nicht bezahle, sind wir alle obdachlos.“

„Egal. Jedenfalls rufe ich nur an, um dir zu sagen, dass heute Nacht alle ins Dusty’s gehen, um sich die Feuerwerke anzuschauen! Du solltest auch kommen.“

„Alle? Wer ist alle?“

„Du weißt schon, alle, die noch sämtliche Zähne haben, aber schon legal trinken dürfen. Komm schon, du gehst nie aus!“

„Du meinst, ich gehe nie ins Dusty’s. Das ist ein Unterschied.“

„Nein, ich meine, du gehst nie aus! Du bleibst immer zu Hause, machst die Rechnungen oder was auch immer. Und was ist am Dusty’s verkehrt? Kneipen sind spitze.“

Addy seufzte. Ihre großen Pläne für den vierten Juli bestanden darin, zu Hause zu bleiben und früh ins Bett zu gehen, aber Kenzies Enthusiasmus war ansteckend. Außerdem hatte ihre kleine Schwester recht. Sie ging nicht mehr aus.

„Okay, okay“, lenkte Addy ein. „Ich werde kommen. Um wie viel Uhr?“

„Treffen wir uns dort, sagen wir… dreißig Minuten nach meiner Schicht.“

„Dreißig Minuten? Lässt dir das genug Zeit, um die Kaution auf deinem Weg bei der Bank abzugeben?“

„Oh mein Gott! Du hörst nie auf! Ja, Frau Chefin, ich werde die Kaution bezahlen.“

„Sei nett oder ich komme nicht.“

„Okay, okay! Bye Frau Chefin, bis heute Abend.“

Als Addy das Handy weglegte, wurde sie von einem monströsen Schnarcher ihres Vaters erschreckt. Er hatte ihn perfekt getimt, sodass er direkt mit dem Ding der Waschmaschine zusammenfiel. Sie räumte die nasse Wäsche in den Trockner und begann, Gemüse für das Abendessen ihres Vaters zu kochen.

Der Schmortopf voller Rindfleisch hatte angefangen, das gesamte Haus mit seinem Duft zu erfüllen. Während sie einen kalten Salat vorbereitete und ein Auge auf das Gemüse hatte, durchströmte sie Freude, als ihr klar wurde, dass alles gleichzeitig fertig sein würde – das Rindfleisch, das Gemüse, der Salat und die Kleider im Trockner.

Addison richtete ihrem Vater einen Teller und stellte ihn zum Abkühlen zur Seite. Alles andere verstaute sie in Tupperdosen, die sie ordentlich im Kühlschrank stapelte. Addy warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Noch eine Stunde, um sich fertig zu machen. Das reichte dicke.

„Das Abendessen steht auf dem Tisch“, sagte sie laut zu ihrem Vater.

„Danke, Jan. Liebe dich.“ Es war die übliche Antwort ihres Vaters in seinem biertrunkenen Schlummer, aber der Name ihrer Mutter ließ sie stets zusammenzucken.

Sie ging ihren Schrank sorgfältig durch und erwog jede Option. Jeremy würde vermutlich dort sein – mit Shannon. Alle gingen ins Dusty’s.

Was genau zieht man an, um seinem Workaholic-Ex zu zeigen, was ihm entgeht?

Sie seufzte, als sie nichts anderes als Arbeitsclogs, Jeans und T-Shirts fand. Addy tapste durch den Flur zu Kenzies Zimmer und stoppte abrupt, als sie sah, dass die Schlafzimmertür ihrer Eltern offenstand und das Licht an war.

Ihr Dad saß auf dem Bett und strich geistesabwesend mit seiner Hand über das Betttuch. Seit ihre Mom gestorben war, hatte er im Gästezimmer auf einem schmalen Einzelbett geschlafen.

Addy klopfte sanft an die Tür. Ihr Dad lächelte zu ihr hoch.

„Deine Mom hat den vierten Juli geliebt“, sagte er nur.

Ihre Augen füllten sich sofort mit Tränen. Er sprach fast nie über ihre Mom.

„Gehst du aus?“, erkundigte er sich.

„Ich – ich wollte mich mit Kenzie in Downtown treffen, aber ich kann hierbleiben und dir Gesellschaft leisten, wenn du möchtest. Das Dusty’s ist ohnehin nicht meins.“

Er schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster.

„In der Küche steht ein Teller für dich, falls du Hunger hast“, informierte sie ihn.

Er antwortete nicht und sie schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Es fühlte sich wie ein Eindringen ihrerseits an, als wäre sie in etwas Geheiligtes gestolpert.

In Kenzies Schrank besah sie sich die Designerjeans, die sorgsam auf hölzernen Kleiderbügeln hingen und nach Tönung sortiert waren. Sie ging sie durch und wählte schließlich einen verwaschenen, hautengen Jeansrock. Diesen paarte sie mit einem engen Strick Tank Top, auf dessen Vorderseite in Gold eine amerikanische Flagge gedruckt war.

Niemand wird mich an diesem vierten Juli beschuldigen, nicht patriotisch zu sein, dachte sie.

Sie schlüpfte in Kenzies dunkelblaue, flachen Ballerinas. Irgendetwas fehlte noch. Sie sah sich in Kenzies Spiegel in die Augen und befreite ihre aschblonden Haare aus dem hohen Pferdeschwanz, ließ sie über ihren Rücken fallen. Das war besser.

Während sie zum Dusty’s fuhr, bekam sie das Bild ihres Dads einfach nicht aus ihrem Kopf. Er hatte so verloren, so klein in diesem Zimmer ausgesehen. Dennoch verstand sie, dass er sich nicht als Märtyrer gab oder stur war. Er wollte heute Abend wirklich allein sein. Das machte sie allerdings traurig.

Sie musste drei Blocks von der Kneipe entfernt am Straßenrand parken. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie die Musik hören, die laut in die Nacht schallte.

Der Türsteher, ein ruhiger Kerl, mit dem sie in die Schule gegangen war, nickte ihr zu und sie begann, sich durch die dicht gedrängte Masse an Leuten zu schlängeln. Der Großteil waren einheimische Arbeiter und ihre Familien, vage bekannte Gesichter, die sie im Verlauf ihres Lebens bei Target gesehen hatte.

Das Dusty’s war proppenvoll, aber Kenzie war leicht zu finden. Ihre Schwester hatte einen Tisch ergattert, natürlich nur einen Katzensprung von der Bar entfernt. Zwei Bierkrüge schwitzten auf dem Tisch und Kenzie war von Leuten umringt, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.

„Du hast es geschafft!“, kreischte Kenzie, als sich Addy näherte. Sie sprang auf und umarmte sie fest. „Warte, ich besorg dir einen Drink. Stella! Mach meiner großen Schwester einen Drink. So, ich werde dich vorstellen –“

Kenzie stellte ein paar Leute, die sie kannte, mit Namen vor, aber zwei kannte sie nicht – Jack und Philip.

„Und diese zwei sind die neuen Ärzte in der Stadt. Und sie sehen beide aus, als wären sie direkt vom Set von General Hospital hergekommen“, sagte Kenzie mit einem Grinsen. Sie war bereits leicht beschwipst. „Sehen sie nicht unfassbar jung aus!“

Sie sahen wirklich beide wie Filmstars aus, Jack mit seinen dunklen Haaren und passenden dunklen Augen, Philip mit blonden Haaren und einem einnehmenden Lächeln, das den ganzen Raum erleuchtete. Sie waren beide groß und breit, wodurch sie Addy geradezu winzig erscheinen ließen, als sie über ihr aufragten und ihr die Hand gaben.

„Ich bin neunundzwanzig“, sagte Philip lachend. „Das ist wohl kaum alt.“

„Das ist schon ziemlich nah an der Dreißig dran“, merkte Kenzie an. „Aber am wichtigsten, sie sind single. Schweig still, mein Herz.“

Philip schenkte ihr ein warmes Lächeln und ein Nicken, doch Kenzie stürzte sich sogleich auf ihn. Er hatte Erfahrung in dieser ganzen Sache und wusste genau, was er mit einer viel jüngeren Bewunderin tun musste, das merkte Addison. Aber es war Jack, der Grüblerische des Paares, der sie dazu veranlasste, näher heranzurücken.

Addy war noch nie gut in solchen Sachen gewesen. Sie klammerte sich an ihr Bier, als sei es ein Rettungsring, und setzte sich auf einen der gerade freigewordenen Barhocker. Er war noch warm vom vorherigen Gast.

Sie nippte an dem zu warmen Bier und sah sich an dem Tisch um. Als ihr Blick zurück zu Jack schweifte, musterte er sie unverhohlen. Sie lächelten beide und lachten stumm über die Peinlichkeit des Moments.

„Oh, ich liebe diesen Song!“, verkündete Kenzie, als Halsey aus den Lautsprechern zu dröhnen begann. „Kommt, lasst uns tanzen!“

Philip sprang sofort auf und erlaubte Kenzie, seinen Arm zu packen. Ihre Entourage folgte ihrem Beispiel. Innerhalb von Sekunden war der Tisch so gut wie leer, bis auf Addy und Jack.

„Sieht so aus, als wären es jetzt nur noch wir beide“, stellte er fest.

Der Akzent. Oh guter Gott, der Akzent. Er war australisch und ließ ihr Herz beinahe einen Schlag aussetzen.

„Wird wirklich von uns erwartet, hier bis Mitternacht herumzusitzen und nichts zu tun?“, fragte sie.

Er lachte. „Ich weiß nicht. Das ist ein amerikanischer Feiertag, also hast du das Sagen. Aber ich denke, wenn wir zusammenhalten, werden wir es schon überstehen.“

Sie errötete.

„Ich denke, du hast dir den falschen amerikanischen Partyführer ausgesucht“, sagte sie.

„Tja. Es könnte auch helfen, wenn wir uns die Kante geben.“

„Einverstanden. Magst du Tequila?“

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe und selbst sie war überrascht von ihrer eigenen Forschheit. Aber jetzt war es zu spät. Sie packte seinen Arm und schleifte ihn zur Bar. Sowie sie aufstand, entfaltete das Bier, das sie getrunken hatte, seine volle Wirkung. Sie war angeheitert und kühn.

„Vier Shots Cuervo“, sagte sie zur Barkeeperin, einem Mädchen, das sie von der Highschool kannte. Die Barkeeperin bedachte sie mit einem knappen Nicken, wie es hier in der Stadt üblich war und das besagte, „Ich hab dich, denn wir stecken zusammen in dieser Sache.“

„Ich nehme das Gleiche“, rief er. Addy lachte.

Sie kicherte. Auf keinen Fall könnte sie das alles trinken und danach noch stehen, aber sie würde mitmachen. Wenn auch nur, damit Jack sie weiterhin so ansah…

2

„Cheers“, sagte sie. „Aber worauf?“

„Nun zuerst einmal musst du Augenkontakt herstellen, wenn du anstößt“, erklärte er. „Ansonsten bringt das Pech. Und zweitens lass uns jedes Mal auf etwas anderes anstoßen.“

„Du zuerst“, sagte sie.

„Cheers“, sagte er, als er sein Glas an ihres klingen ließ und ihren Blick hielt. „Auf amerikanische Feiertage. Auf die unerschrockene Liebe deines Landes, Sachen in die Luft zu jagen, und Pies, die mit Crisco gebacken wurden.“

„Niemand benutzt mehr Crisco“, wandte sie ein.

„Okay, dann eben… Cheers, denn… ehrlich gesagt, heißt es entweder das hier oder ich werde mir von Philip die ganze Nacht lang irgendwelche Partnerinnen aufs Auge drücken lassen müssen.“

Sie spürte ein leichtes Brennen von Eifersucht gemeinsam mit der gelben Flüssigkeit ihre Kehle hinabrinnen.

„Cheers, weil ich so verdammt unbeholfen bin“, sagte sie, während sie ihr Glas hob.

„Hört, hört“, entgegnete er. Er ließ es aussehen, als wäre es Sprite, das er einfach so abkippte. „Cheers, weil ich einen Vertrag unterschrieben habe, mindestens ein Jahr in dieser Stadt zu bleiben. Gott möge mir beistehen.“

„Hey!“, protestierte sie. „So schlimm ist es hier nicht.“

Der zweite Shot brannte beim Schlucken irgendwie sogar noch mehr als der erste und sie verzog das Gesicht, während sie in die Limette biss, um das Brennen zu ersticken. Über Jacks Schulter hinweg erhaschte sie einen Blick auf Jeremy und Shannon, die langsam miteinander tanzten, als Paradise City mit seinen ersten Akkorden loslegte.

„Was, zu stark für dich?“, fragte er lächelnd. „Ich dachte, hübsche amerikanische Mädchen wären gut im Trinken.“

Sie errötete. Er hat mich hübsch genannt.

„Ja, nun, ich trinke normalerweise keinen Tequila.“

„Du hast ihn bestellt.“

„Ich habe vier bestellt.“

„Ich weiß, ich auch.“

Sie bedachte ihn mit einem Blick und er grinste. Dieses Lächeln haute sie beinahe im wahrsten Sinne des Wortes vom Hocker, weshalb sie noch ein Shotglas hochhob.

„Richtig. Okay, dann Nummer drei. Bist du bereit?“

„Bist du es?“, fragte er.

„Cheers, weil mein Ex hier ist und es besser aussieht, mit dir zu reden, als ganz allein dazusitzen.“

„Wow, danke“, sagte er. „Aber ich nehme es.“

Er trank den Shot mühelos in einem Zug. „Warum ist dein Ex ein Ex?“

Ein Lachen blubberte in meiner Brust hoch.

„Ähhh… das ist eine lange Geschichte. Im Grunde genommen arbeitet er die ganze Zeit und behauptet, er hätte keine Zeit für eine anhängliche Freundin. Allerdings ist er jetzt mit Shannon zusammen und ich sehe ihn überall, die ganze Zeit. Wie er all die Dinge tut, von denen er mir erzählt hatte, er hätte keine Zeit dafür. Also…“

Sie strich mit ihrem Finger den Rand eines der leeren Shotgläser entlang und spürte eine akute Woge von Eifersucht durch ihren Körper schwappen. Oder ist das nur der Tequila?

„Ich bin dran“, sagte er. „Cheers, denn was habe ich sonst zu tun, als einem Mädchen dabei zu helfen, ihren Ex zurückzubekommen.“

„Ich versuche gar nicht, ihn zurückzubekommen“, widersprach sie, ein wenig zu schnell. Der Geschmack des Tequilas auf ihrer Zunge brachte sie dazu, ihre Schutzwälle zu senken.

„Cheers, weil Tequila alles besser macht“, sagte sie.

Es stimmte. Als sie noch einen Shot trank, fühlte sie, wie sich das warme Glühen von ihrer Brust nach außen ausbreitete.

„Wie recht du doch hast“, stimmte Jack zu. „Du hast einen Lauf. Du bist nochmal dran.“

„Cheers, weil… es besser ist, zu trinken, als das Leben aller anderen zu organisieren“, verkündete sie.

Er bedachte sie mit einem neugierigen Blick. „Bist du die Bürgermeisterin oder so was?“

„Wohl kaum“, sagte sie mit einem Lachen. „Ich arbeite in einem Restaurant. Ich bin quasi die Managerin, aber ohne den Titel oder die Bezahlung.“

„Ah“, sagte er. „Dann bist du also die Königin deines Bienenstocks.“

Kurz fragte sie sich, was er damit meinte, aber der Tequila hatte begonnen, ihr Gehirn in Brei zu verwandeln. Sie knallten ihre Gläser einheitlich auf den Tisch.

„Du bist also ein Arzt. Liebst du es?“

Er zog seinen Kopf ein. „Das tue ich. Ich arbeite in der Notfallmedizin und es geht nichts über den Adrenalinrausch, der damit einhergeht, jemandem zu helfen, der ein Trauma erlitten hat.“

„Also machst du den Job, weil du ein Adrenalinjunkie bist?“

Er grinste. „Zum Teil. Der andere Teil ist, weil mein Vater ein Arzt war und sein Vater vor ihm und dessen Vater vor ihm… also hat man irgendwie von mir erwartet, dass ich in ihre Fußstapfen trete.“

„Alles klar. Du erfüllst familiäre Verpflichtungen.“

„Das hat mich vielleicht zum Medizinstudium getrieben, aber ich musste die Kurse bestehen und die verrückten dreißig Stunden Schichten arbeiten.“

„Ich wollte damit nicht andeuten, dass du dir das Recht, dich Arzt zu nennen, nicht verdient hättest.“

Er nickte und hob noch ein Shotglas.

„Shot Nummer vier“, verkündete er. „Bereit?“

„So bereit, wie ich es je sein werde.“

„Cheers, weil… weil… Scheiße, ich weiß es nicht.“ Sie brachen beide in Gelächter aus. Der Tequila wirkte seine Magie. „Wie wäre es, wenn wir wieder auf Bier umsteigen?“

„Oh, wow. Habe ich wirklich einen Australier unter den Tisch getrunken?“, fragte sie.

„Ich bin beeindruckt. Ich nahm an, du würdest mich für einen Briten halten.“

„Warum?“, hakte sie nach. Sie spürte seinen Arm um ihre Taille, während er sie zurück zum Tisch führte.

„Die meisten schönen Mädchen hoffen, dass ich britisch bin“, erklärte er achselzuckend. „Hat irgendwas mit dem Akzent zu tun.“

Oh mein Gott, er hat mich schön genannt. Entweder bin ich wirklich betrunken oder er hat Interesse an mir.

„Ich mag Hugh Grant nicht“, sagte sie, während sie sich auf den Barhocker schob.

„Gut zu wissen“, erwiderte er lachend. „Also, erzähl mir deine Jammergeschichte.“

„Was?“

„Es ist der vierte Juli und du sitzt mit einem praktisch Fremden an einem Tisch. Du musst eine Jammergeschichte haben. Warum bist du hier?“

„Im Dusty’s?“

„In dieser Stadt.“

„Oh. Ich wurde hier geboren.“

„Das tut mir leid.“

„Hey!“

„Es tut mir leid, dass ich es so gesagt habe! Ich bin gerade erst angekommen, ich sollte mir noch kein Urteil erlauben.“

„Ist schon okay“, lenkte sie ein. Sie registrierte, dass ihre Köpfe nur Zentimeter voneinander entfernt waren, aber das war die einzige Möglichkeit, bei der lauten Musik und der Menschenmenge ein Gespräch zu führen. Irgendwie fühlte es sich an, als wären sie die einzigen zwei Menschen im Raum. „Tatsächlich bin ich nach Santa Fe gezogen, um dort aufs College zu gehen, sobald ich konnte. Ich konnte es nicht erwarten, aus dieser Stadt rauszukommen.“

„Warum bist du zurückgekommen?“

„Ich habe erfahren, dass meine Mom tot war.“

„Warte, was?“ Sie sah, wie der Schock den Alkoholschleier von seinen Augen hob.

„Sorry, ich bin nicht gut in so was“, entschuldigte sie sich. „Ich meine… sie war lange Zeit krank. Brustkrebs. Aber ich… ich habe es nicht rechtzeitig zurückgeschafft.“

„Das tut mir leid“, sagte er. „Ehrlich.“

„Danke.“

„Ich weiß, wie es sich anfühlt – und ich sage das nicht einfach so. Mein Dad starb, als ich dreizehn war. Ich war da, aber auch wieder nicht. Weißt du? Ich war noch ein Kind.“

„Lass uns darauf anstoßen“, schlug sie vor und sie neigten ihre Biere aneinander. „Aber du hast mir noch immer nicht verraten, warum du hier bist. Ich meine wirklich hier bist.“

Er zuckte mit den Achseln. „Ich war in Chicago und hab dort meine Assistenzzeit gemacht. Ich wollte nicht zurück nach Melbourne gehen, darum kam ich hierher.“

„Ganz schön langer Weg von Australien nach Chicago nach Tahoe City.“

„Vielleicht. Also du hast mir erzählt, warum du zurückgekommen bist. Du hast mir aber nicht verraten, warum du geblieben bist.“

Sie seufzte. „Ich kam zurück… weißt du, um mich um alles zu kümmern. Und dann blieb ich hier hängen. Anders kann man es nicht beschreiben. Ich kümmerte mich um meinen Dad, meine kleine Schwester, das ganze ‚Anwesen‘ oder was auch immer. Dann… fing ich an, diesen Kerl zu daten.“

„Jeremy?“

„Yeah. Woher wusstest du das?“

„Du hast vorhin seinen Namen gesagt.“

„Oh, richtig. Nun, wir fingen an, miteinander auszugehen und ich hatte schon für ihn geschwärmt, seit ich fünfzehn war. In der Highschool schenkte er mir null Aufmerksamkeit, als er mich dann also angesprochen hat… ich weiß nicht. Ich dachte, das wäre noch ein Grund zum Bleiben.“

„Und jetzt?“

„Jetzt ist er mit Shannon zusammen. Und sie reiben es mir unter die Nase, auch wenn sie es nicht absichtlich tun. Ich weiß es nicht. Vielleicht war es ein Fehler, so lange hierzubleiben.“

„Tja, es gibt auch gute Nachrichten.“

„Und welche wären das?“

„Ich bin absolut einverstanden damit, dass du mich benutzt, um ihn eifersüchtig zu machen.“

„Das bist du?“, fragte sie mit einem Lachen. „Du scheinst ziemlich selbstbewusst zu sein.“

„Ich will ja nicht arrogant rüberkommen, aber glaub mir, Addy. Ich weiß, wie ich aussehe. Und ich bin gewillt, das auszunutzen.“

„Wow“, sagte sie. „Vorsicht mit der Bescheidenheit. Wir wollen ja nicht, dass du ein niedriges Selbstbewusstsein bekommst.“

Er lachte. „Das ist nur die Wahrheit. Es ist Glück, Genetik, wie auch immer du es nennen willst. Du solltest wissen, was es ist.“

Sie biss auf ihre Lippe und blickte in die Tiefen ihres Biers, als enthielte es alle Antworten.

„Außerdem“, fuhr er fort, „bist du ohnehin viel zu hübsch, um dich mit ihm abzugeben.“

Sie sah zu ihm hoch. Gott, er ist wirklich umwerfend.

„Was ist mit dir? Wo ist deine Familie?“

Er lächelte. „Nun, meine Mum ist in Melbourne, wo sie im Vorstand mehrere Wohltätigkeitsvereine sitzt. Sie plant zweifellos meine Hochzeit mit irgendeiner australischen Prinzessin, die blond und lebhaft und für meine Mutter leicht zu kontrollieren sein wird.“

„Whoa. Das ist… unerwartet.“

„Wenn du denkst, dass ich ein Erwachsener bin, der absolute Autonomie über sein eigenes Leben besitzt, dann hättest du recht. Aber dann wärst du auch nicht meine Mutter.“ Er nippte an seinem Bier und wandte den Blick ab, aber Addy sah Bitterkeit über seine Züge huschen. „Gott allein weiß, was sie tun wird, wenn auch noch Enkelkinder im Bild sind.“

„Ich bin froh, dass du hier anstatt in Melbourne gelandet bist. Und dass du single bist.“

Er zog seine Augenbrauen hoch. „Danke.“

Addy schlug sich die Hand auf den Mund. „Der Tequila spricht mehr als ich.“

Er lachte, streckte die Hand aus und strich ihr die Haare hinters Ohr. „Wozu auch immer es gut sein mag, aber jeder, der mit dir Schluss macht, ist ein ausgemachter Vollidiot.“

„Darauf trinke ich“, sagte sie und hob ihr Bier.

Irgendwie wurde noch ein Krug gebracht, aber Addy bemerkte es kaum. Sie war an Jacks Seite gepresst, während er ihr witzige Videos von seinem Medizinstudium zeigte. Sie zeigte ihm ihre Instagramseite, wobei sie die älteren Fotos, die sie und Jeremy in einer Umarmung oder beim Küssen zeigten, schnell wegwischte.

„Ich denke, dein Ex bekommt eine Glatze“, informierte er sie und deutete auf mehrere Fotos, wo man es zu sehen begann.

„Feuerwerk!“, brüllte jemand über den Lärm hinweg. „Das Feuerwerk fängt an.“

In einer Masse strömten die Kneipenbesucher nach draußen und drängten sich am Eingang. Sie spürte Jacks Hand auf ihrer Hüfte, mit der er sie stützte. Ein Schwall kühler Abendluft schlug ihr ins Gesicht, als sie nach draußen gelangten, und sie atmete die Tahoe Luft ein.

„Hier drüben“, sagte er und führte sie zu einer einsamen Stelle unter einem beeindruckend großen Baum.

Er schlang seinen Arm um sie, als die Lichter in der Dunkelheit explodierten. Das Knistern, die Explosionen, die Aufregung der Nacht – das alles stieg ihr zu Kopfe, als sie zu ihm aufsah. Seine Augen glitten zu ihrem Mund und sie wappnete sich für einen Kuss, doch etwas stoppte sie.

„Hey. Was, wenn… was, wenn wir so tun, als wären wir ein Paar?“

Er blinzelte. „Was?“

„Hör einfach zu. Ich versuche, meinen Ex eifersüchtig zu machen, dir liegt deine Mom in den Ohren, dass du dich mit jemandem niederlassen sollst…“

Er sah ihr ins Gesicht, suchte nach etwas. Sie hatte das Gefühl, dass vor allem ihre Ehrlichkeit eingeschätzt wurde.

„Probiere es einfach aus! Weißt du. Wir werden sehen –“

Jack beugte sich nach unten und küsste sie, selbstbewusst und stark. Gott, er schmeckt gut.

Als er sich von ihr zu lösen begann, öffneten sich ihre Augen flatternd. Jeremy starrte sie aus seinem Augenwinkel an. Er wirkte verblüfft, obgleich Shannons Arm um seine Taille geschlungen war.

Tja, gut!

„Wie war ich?“, erkundigte sich Jack. „Denkst du, er ist sauer?“

„Willst du noch einen Drink?“, fragte sie mit einem Lächeln.

„Klar.“

Sie führte den Weg in die Kneipe an, wobei Jacks Hand fest in ihrer lag.

„Noch eine Runde Tequila!“, rief sie. Die Bar war fast verlassen, da der Rest der Gäste wegen der Feuerwerke draußen geblieben war.

„Hast du jemanden, der dich nach Hause fährt, Add?“, wollte die Barkeeperin wissen.

Das war das Letzte, woran sie sich erinnerte.

3

Jack blinzelte im hellen Morgenlicht. Es ergoss sich in das Zimmer und beleuchtete das unbekannte Bett. Die fremden Laken, die nach Vanille rochen.

Scheiße. Das war nicht das erste Mal, dass so etwas passiert war.

Für ihn war es eine Gradwanderung zwischen stark beschwipst und so betrunken, dass er sich an nichts mehr erinnerte.

Man würde doch meinen, dass du nach dreißig Lebensjahren – und fünfzehn Jahren des Trinkens – deine Grenze kennen würdest.

Sein Schädel dröhnte. Es war nicht das erste Mal, dass er so viel getrunken hatte, dass er ein Blackout hatte, aber es war das erste Mal seit einigen Jahren.

Er bewegte sich leicht unter der Decke und stellte fest, dass er wenigstens seine Boxershorts anhatte. Aber sonst nichts. Jack sah sich in dem Zimmer um, das größtenteils weiß war und in dessen Ecke eine abgenutzte Vintagekommode stand. Die Rückseite eines aufgeklappten Laptops zeigte einen Yogasticker und den Umriss von Kalifornien.

Wenigstens bin ich noch in Tahoe City, dachte er.

Aber irgendetwas stimmte nicht. Der ganze Raum funkelte wie ein Edelstein. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es sich um Glitzer handelte, der im ganzen Zimmer verteilt war. Wie durch ein Wunder erkannte er sein Handy auf dem Nachttisch.

Bitte hab noch Akku, dachte er. Er hatte noch fünfzehn Prozent Akku und eine ganze Reihe wütender Textnachrichten von einer unbekannten Nummer. Als er sich zur Seite rollte, machte er einen Satz beim Anblick der halbbekleideten Frau neben sich.

Addison. Addy. Alles fiel ihm schlagartig wieder ein, als wäre ihm eine Woge Erinnerungen direkt ins Gesicht geklatscht.

Er erinnerte sich daran, in der Kneipe gewesen zu sein. Er erinnerte sich daran, mit Addison geredet und geflirtet zu haben, dass er schon bald die Grenze, nur miteinander Shots zu trinken, überschritten und sich unverhohlen an sie rangemacht hatte. Aber das erklärte nicht, was sie hier machten oder wo hier war. Er ließ seinen Blick auf der Suche nach Hinweisen über sie schweifen.

Sie lag auf ihrem Rücken ausgestreckt da, den Kopf zur Seite gedreht und die langen Haare im Gesicht. Ein blassrosa Nippel war oben aus ihrem BH gerutscht. Er spürte, dass er beim Anblick ihrer vollen Brüste hart wurde. Das waren Kurven, an die er sich nicht erinnerte.

Doch er schob diesen Gedanken beiseite und zog die Decke hoch, um sie zu verhüllen. Sie rührte sich nicht und ihre Atmung blieb tief und gleichmäßig.

Jack stemmte sich nach oben, schirmte seine Augen ab und sah sich abermals in dem Zimmer um. Wo zur Hölle waren sie? Er hatte gedacht, es wäre ihr Schlafzimmer, aber nach eigehender Inspektion erkannte er an der zartrosa Dekoration, dass es sich vermutlich eher um ein Hotel handelte. Sie waren von mehreren leeren Sektflaschen umgeben.

Das erklärt, warum ich einen so mordsmäßigen Kater habe.

Jack sprang aus dem Bett und taumelte zum Bad. Während er seine Hand gegen die Wand über der Toilette stemmte und anfing, sich zu erleichtern, warf er einen Blick nach unten und pisste beinahe neben die Schüssel. An seiner linken Hand glänzte ein Titanring.

Jack zog ihn ab und begann, ihn zu inspizieren.

„Oh, nein“, sagte er. „Nein, nein, meine Fresse, nein.“ Er raste zurück ins Schlafzimmer und tastete unter der Decke nach Addisons Hand.

Sie ächzte in den Raum. „Was machst du da?“, wollte sie wissen, noch immer halb am Schlafen.

„Wach auf, ich muss deine Hand sehen.“

„Was stimmt mit meiner Hand nicht?“, fragte sie groggy. „Nein, es ist mein Kopf, der wehtut –“

„Wir haben gerade größere Probleme.“ Er fand endlich ihre Hand und spürte das kühle Metall an ihrem Ringfinger. Das Herz rutschte ihm in die Hose.

„Was ist das?“, fragte er und hielt ihre Hand zu ihrem Gesicht hoch.

„Schh! Oh mein Gott“, murmelte sie und zog das Kissen über ihr Gesicht.

„Schau, du musst mir hier aushelfen –“

Addison setzte sich auf.

„Oh Gott“, sagte sie und hüpfte aus dem Bett. Er beobachtete, wie sie in nichts als ihrer Unterwäsche zur Toilette sauste. Lautstarke Würg- und Brechgeräusche drangen aus dem Badezimmer und seine Arztausbildung meldete sich zu Wort.

Jack schnappte sich ein paar Handtücher, ihren Haargummi vom Nachttisch und füllte ein Glas mit Wasser.

„Brechen ist gut“, rief er ihr zu. „Lass alles raus.“

„Ich fühl mich nicht so gut“, sagte sie, als sie schließlich alles von sich gegeben hatte.

Sie trat aus der Tür, einen der Hotelbademäntel um ihre schmale Gestalt gewickelt. Sie sah aus wie ein Kind, das sich verkleidet hatte.

„Ich bin für dich da“, versprach er. „Komm her, setz dich.“

Er richtete ihr einen bequemen Platz auf der Chaise Lounge und drückte ihr das Wasser in die Hand. Sie schob ihn schwach weg, als er ihre Haare zu einem Pferdeschwanz band, aber er schnalzte nur mit der Zunge, bis sie nachgab.

„Sorry, dass ich gekotzt hab“, entschuldigte sie sich verlegen.

„Ich arbeite in der Notaufnahme. Ein wenig Kotze stört mich wirklich nicht“, sagte er.

Als er sie mit ihren blutunterlaufenen Augen und den dunklen Schatten darunter musterte, kam er nicht umhin, Mitleid mit ihr zu haben. Von ihnen beiden hatte sie eindeutig den Kürzeren gezogen.

„Möchtest du so sitzen bleiben?“, fragte er. „Oder lieber wieder ins Bett liegen?“

„Wieder ins Bett“, antwortete sie.

Er schaffte sie ins Bett unter die Decke und ging ins Bad, um Wasser nachzufüllen. Während er das Glas füllte, nahm er sich eine Sekunde Zeit für sich. Er betrachtete den goldenen Ring am vierten Finger seiner linken Hand und hielt ihn hoch, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen.

Der Fakt, dass er eine Hochzeit gehabt hatte, dass er noch einen Meilenstein in seinem Leben hinter sich gebracht hatte, ohne dem irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken, stimmte ihn traurig. Nicht, dass er immer davon geträumt hätte, zu heiraten, oder so was. Das war die Besessenheit seiner Mutter.

Aber jeder große Meilenstein, den er passierte, war nur ein weiterer, den er ohne seinen Vater beging, das einzige Elternteil, das aufrichtiges Interesse an ihm gehabt hatte. Ja, sein Vater hatte ein harter Meister sein können, der Jack selbst für den kleinsten Fehler gnadenlos bestraft hatte.

Aber wenn er sein Leben jetzt betrachtete, konnte Jack verstehen, warum sein Vater ihn so hart rangenommen hatte. Er wollte nur, dass Jack erfolgreich war.

Das Glas lief über und Jack wurde aus seinen Gedanken gerissen. Als er zurückkehrte, hatte sich Addy wie ein Burrito in die Decke eingewickelt.

„Addison?“, fragte er, aber lediglich tiefe Atemzüge antworteten ihm.

Sein Handy klingelte und sie stöhnte verärgert. Er kannte die Nummer nicht.

Fuck, ich sollte heute in der Notfallpflege anfangen. Es war das Krankenhaus, das musste es sein. Jack suchte nach einer Antwort, einer glaubhaften Ausrede. Aber zum ersten Mal in seinem Leben fiel ihm nichts ein.

Philip. Philip wird wissen, was zu tun ist.

Er ließ den Anruf auf die Mailbox gehen und rief sofort Philip an. Während er sich den Kopf zerbrach, wie er das peinlichste Gespräch seines Lebens beginnen konnte, trat er hinaus auf die kleine Terrasse.

„Herzlichen Glückwunsch, Mister verheirateter Mann!“, krähte Philip ins Telefon.

Jack zog das Handy weiter von seinem Ohr weg und zuckte zusammen. „Was?“

„Hast du gestern Nacht nicht geheiratet?“

„Ich… ich glaube schon?“

„Yeah, du warst letzte Nacht wirklich hinüber. Ich hab dir ja gesagt, dass Reno zu weit weg wäre –“

„Reno?“

„Yeah, ich hab versucht, es dir klarzumachen, aber du und Addy habt darauf bestanden. Erinnerst du dich nicht mehr? Ich hab euch zwei in ein Taxi gesetzt und dem Kerl ein großzügiges Trinkgeld gegeben. Ein wirklich großzügiges Trinkgeld.“

„Was… was ist mit der Eröffnung heute? Dem neuen Krankenhaus? Ich sollte dort sein –“

„Oh, Mann, es weiß doch noch niemand, dass wir geöffnet haben. Mach dir nichts draus, wenn du es nicht schaffst.“

Jack legte seinen Kopf in die Hände. „Yeah, okay.“

„Wie geht’s Mrs. Stratton?“

Mrs. Stratton? Oh, er meint Addison. Jack setzte sich aufrecht hin und spähte durch das Glas zu dem Deckenburrito.

„Äh… sie ist noch nicht richtig wach. Hör zu, was genau ist passiert? Gestern Nacht?“

„Du erinnerst dich an gar nichts?“ Philip klang ungläubig.

„Ich erinnere mich daran, Shots getrunken zu haben“, sagte er langsam. „Und die Instagramseite ihres Ex‘ angeschaut zu haben. Dann… nichts.“

Jack hörte ein Klicken.

„Hey, Kumpel, ich werde dich zurückrufen müssen“, entschuldigte sich Philip.

Jack schaute auf sein Handy, stumm und kurz vor dem Ende. Langsam stand er aus dem schmiedeeisernen Stuhl auf und ging ins Badezimmer. Unter dem warmen Duschstrahl fing er allmählich an, sich besser zu fühlen.

Mittlerweile stand fest, dass Addison nicht so schnell aufstehen würde. Er rief beim Zimmerservice an, während er sich abtrocknete und in die gleichen Kleider schlüpfte, die er gestern Abend getragen hatte. Sie stanken nach Alkohol.

Das Essen wurde zügig geliefert und war kunstvoll arrangiert worden, komplett mit einer Rose in einer Vase. Er gab dem Hotelpagen an der Tür ein Trinkgeld und rollte den Wagen selbst ins Zimmer.

„Essen?“, fragte Addison, als er sich daran machte, die Gerichte abzudecken. Sie spähte neugierig auf den Wagen.

„Das hier zuerst“, sagte er und reichte ihr eine der acht Gatorade-Flaschen, die er bestellt hatte. Sie öffnete sie und leerte die ganze Flasche mit wenigen Schlucken. Nach ihrer zweiten Flasche bot Jack ihr etwas von dem Essen an.

Sie rückte an die Bettkante, nach wie vor teilweise in die Decke gewickelt, und begann, das French Toast zu essen, trocken und mit ihren Fingern. Kauend schaute sie zu ihm.

„Sind wir in Reno?“

„Jepp“, antwortete er, während er sich selbst über ein Omelett hermachte.

„Oh, Gott. Haben wir…“ Sie blickte nach unten auf den Ehering an ihrem Finger. „Wessen Idee war es, zu heiraten?“

„Ich weiß es genauso wenig wie du.“

„Oh, nein. Nein“, sagte sie und kämpfte sich in eine aufrechte Position. Sie presste immer noch die Deckenmasse an sich. „Wo sind meine Klamotten? Warte, haben wir… wir haben nicht… die Ehevollzogen, oder?“

„Ich glaube nicht“, antwortete Jack ehrlich. „Ich habe keine, du weißt schon, Spuren davon gesehen.“

„Oh, Gott sei Dank. Hier ist mein Shirt“, sagte sie. „Ich meine, versteh mich nicht falsch. Du bist verdammt heiß, aber… wir haben uns gerade erst kennengelernt.“

„Schon gut. Ich denke, deine Jeans ist das Knäul dort drüben in der Ecke. Und übrigens? Ich denke, wir sollten uns mehr Sorgen über den Fakt machen, dass wir anscheinend betrunken geheiratet haben, anstatt darüber nachzudenken, ob wir betrunken Sex hatten oder nicht.“

„Du hast wahrscheinlich recht“, meinte sie. Sie knüllte ihre Kleider in einer Hand zusammen und eilte ins Bad.

Jack lauschte der Dusche, die angeschaltet wurde, und begann zu überlegen, wie sie die Ehe annullieren lassen konnten.

Das war doch möglich, oder? In Nevada? Das passierte ständig, oder nicht?

„Hey, ist das dein Laptop hier draußen?“, rief er.

„Ich weiß es nicht. Wie sieht er aus?“, ihre Stimme erklang gedämpft vom Wasser.

„Silbern mit einem Yogasticker.“

„Yeah, das ist meiner. Anscheinend war ich Kontrollfreak genug, um den aus dem Kofferraum zu holen, bevor ich mit einem Fremden durchgebrannt bin.“

Der Laptop hatte nur noch zwei Prozent Akkuleistung und bereits angefangen, sich herunterzufahren. Dennoch erhaschte er einen Blick auf Jeremys Instagramseite, bevor der Bildschirm schwarz wurde.

Addison schlenderte zurück ins Schlafzimmer, ihre Haare in ein Handtuch gewickelt.

„Fühlst du dich besser?“, erkundigte er sich.

„Ein bisschen. Ich bin allerdings das French Toast wieder losgeworden. Ich… ich hätte es besser wissen sollen, als Tequila zu trinken.“

„Ich hasse es ja, das zu sagen, aber… ich denke, wir sollten zurück nach Tahoe fahren“, sagte er. „Wir können, du weißt schon, das Rechtliche später klären.“

„Stimmt“, willigte sie ein und nickte. „Das ist vermutlich zum Besten.“

Er konnte sie beide riechen, als sie sich in den kleinen Aufzug quetschten. Draußen schien die Sonne blendend und schmerzhaft. Sie ächzten beide und schirmten ihre Augen ab, keiner von ihnen mit einer Sonnenbrille.

„Wie sind wir hierhergekommen?“, fragte sie, während sie den Blick über den leeren Parkplatz wandern ließ.

„Ich glaube mit einem Taxi“, erwiderte er.

„Also sitzen wir hier fest?“

„Scheint so.“

Sie seufzte und schlurfte vorwärts und er folgte ihr.

4

Addy fuhr mit einer Hand über das Handy, als der Wecker um fünf Uhr morgens losging. Sie und Jack hatten es erst vor fünf Stunden zurück in die Stadt geschafft, nachdem sie beide festgestellt hatten, dass sie ihre Kreditkarten verloren hatten. Sie hatten mit Hilfe des Hotels ein Ladegerät für ihre Handys aufgetrieben und dann ein Uber gerufen.

Gestern hatte ihr pures Adrenalin Energie verliehen, doch jetzt dämmerte ihr allmählich die Realität. Addy schrieb sowohl Dawn als auch Kenzie, obwohl sich Kenzie gerade am Ende des Flurs befand und ihre Schicht eigentlich erst zur Mittagszeit begann.

Ich schaffe es heute nicht, schrieb sie.