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Dieser Band enthält folgende Krimis: (399) Trevellian und der Spezialauftrag (Pete Hackett) Trevellian und das schmutzige Spiel (Pete Hackett) Kommissar Jörgensen dreht jeden Stein um (Alfred Bekker) Ein Ausflugsschiff explodiert, vierzehn Menschen kommen um. Eine terroristische Vereinigung zeichnet in einem Brief dafür verantwortlich. Aber stimmt das auch? Die FBI-Agenten Trevellian und Tucker werden mit vielen Motiven konfrontiert, und die 14 Toten waren nicht die letzten Leichen.
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Drei Krimis Spezialband 1073
Copyright
Trevellian und der Spezialauftrag: Action Krimi
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Trevellian und das schmutzige Spiel
Kommissar Jörgensen dreht jeden Stein um
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Trevellian und der Spezialauftrag (Pete Hackett)
Trevellian und das schmutzige Spiel (Pete Hackett)
Kommissar Jörgensen dreht jeden Stein um (Alfred Bekker)
Ein Ausflugsschiff explodiert, vierzehn Menschen kommen um. Eine terroristische Vereinigung zeichnet in einem Brief dafür verantwortlich. Aber stimmt das auch? Die FBI-Agenten Trevellian und Tucker werden mit vielen Motiven konfrontiert, und die 14 Toten waren nicht die letzten Leichen.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 237 Taschenbuchseiten.
Als Hank mitten in der Nacht bei FBI-Agent Trevellian anruft, macht dieser sich schnell auf den Weg zur Bildergalerie von Jack Chambers, in der Hoffnung den Gauner endlich mit einer Ladung gestohlener Bilder zu erwischen. Doch das Einzige, was er findet, ist Hank mit einer sehr großen Beule am Kopf. Trotzdem ist Trevellian dem Gangster sehr nahe gekommen. So nahe, dass Chambers es für nötig hält, mögliche Mitwisser und Beweise verschwinden zu lassen.
Das Motorboot tuckerte in den Bushwick Creek südlich der Greenpoint Piers.
Der Bushwick Creek ist ein kleiner Seitenarm des East River in Queens, eher als Bucht zu bezeichnen, die nach etwa 300 Metern kurz vor der Franklin Street endet. Das Nordufer der vorderen Hälfte dieser Bucht bildet die Quai Street.
Es war drei Uhr morgens vorbei. Das Boot schipperte an der Kaimauer entlang und legte an. Die Lichter verloschen, der Motor wurde abgestellt. Nur noch das schwache Schlagen der Wellen gegen das Mauerwerk war zu vernehmen.
Aus der Franklin Street bog ein 7,5-Tonner mit einer Plane über der Ladefläche in die Quai Street ein. Die Abblendlichter malten einen Lichtkegel auf den Asphalt, der vor dem Fahrzeug herzugleiten schien. Dem Kleinlaster folgte dichtauf ein schwarzer Chevy.
Beide Fahrzeuge fuhren untertourig, so dass die Motoren nur leise brummten.
Dort, wo das Motorboot dümpelte, wurden die Fahrzeuge angehalten. Das Motorengeräusch verstummte, die Scheinwerfer verloschen. Dunkelheit hüllte die Autos ein.
Insgesamt vier Männer entstiegen den beiden Fahrzeugen. Sie drückten die Wagentüren zu, um lautes Schlagen zu vermeiden.
Zwei Kerle sprangen aus dem Motorboot auf den schmalen Pier, der an der Basis der Kaimauer verlief. Sie stiegen die Steinstufen mit dem verrosteten Eisengeländer hinauf.
Ein Mann blieb im Boot zurück.
Die Männer begrüßten sich. Der kalte Nachtwind zerrte an ihren Jacken. Es war Mitte Oktober und der Sommer schien sich endgültig verabschiedet zu haben. Über dem East River trieben Nebelschwaden. Das Mondlicht warf die Schatten der Gestalten der Männer lang auf die Straße und ließ das Wasser silbrig glitzern.
„Ihr habt die Bilder alle dabei?“, fragte einer der Kerle.
„Ja, 23 an der Zahl. Darunter zwei van Gogh, drei Picasso, zwei Dali und zwei Renoir. Alle aus europäischen Galerien und Museen. - Du hast das Geld, Chambers?“
„Sicher. - Jacob, hol den Koffer aus dem Wagen.“
Einer der Männer löste sich aus dem Pulk und lief zum Chevy. Er öffnete den Kofferraum, öffnete den Koffer und kontrollierte den Inhalt.
„ Denkst du, ich habe eine Schicht Zeitungspapier in den Koffer gepackt?“, fragte Chambers mit drohendem Unterton.
„Trau schau wem“, grinste der andere und legte die Banknotenbündel wieder an ihren Platz zurück.
Jacob klappte den Koffer zu und ließ die Schlösser einschnappen.
„Wenn das letzte Bild auf dem Laster ist, gehört der Koffer dir, Flannagan“, gab Chambers zu verstehen. „Vorher aber will ich einige der Bilder sehen.“
„Aaah, du bist also genauso misstrauisch“, lachte Flannagan mit leisem Spott.
„Wie sagtest du, Flannagan?“, grinste Chambers. „Trau schau wem?“
„Geh‘n wir ins Boot.
„Du gibst auf den Koffer acht, Jacob“, trug Chambers seinem Mann auf.
„Klar, Jack“, kam es von Jacob Turner.
„Nach dir, Flannagan“, knurrte Chambers.
Achselzuckend stieg Flannagan im Lichtkegel der Taschenlampe in seiner Hand die Stufen zum Pier hinunter. Chambers folgte ihm. Während er Stufe für Stufe nahm, zog er sich dünne Lederhandschuhe über, die er aus der Jackentasche genommen hatte.
Sie sprangen in das Boot. Das Fahrzeug schaukelte. Die Kerle hielten sich an den Rückenlehnen der Sitze fest, bis sich das Boot wieder einigermaßen beruhigt hatte.
Die Bilder waren mit einer Plane zugedeckt und standen fein säuberlich in Zweierreihe hinter den Sitzen des Bootes.
Flannagan schleuderte die Plane zurück, beugte sich vor und reichte das hinterste Bild aus einer der beiden Reihen Jack Chambers.
„Leucht mal drauf“, forderte Chambers.
Der Lichtkreis der Taschenlampe heftete sich auf das gerahmte Gemälde.
„Was ist das?“, fragte Chambers.
„Einer der weniger bekannteren Künstler. Aber ein Original und auch eine Menge wert“, versetzte Flannagan. Er stellte das Bild weg und holte ein anderes. Diesmal aus der anderen Reihe der aneinander lehnenden Gemälde.
„Das ist ein van Gogh“, erklärte er und leuchtete auf das Bild.
„Unverkennbar“, murmelte Chambers nach einem langen, prüfenden Blick auf das farbgewaltige Kunstwerk.
Er angelte sich selbst eins der Bilder. Flannagan hielt mit der Taschenlampe drauf. „Ein Original Kandinsky“, sagte er. „Zufrieden?“
„Ja. Wir laden die Bilder um.“ Chambers hob den Kopf und schaute zum Kai hinauf. „Nick, Harvey - an die Arbeit. Vergesst aber nicht, eure Handschuhe anzuziehen.“
Er nahm den Kandinsky unter den Arm und sprang auf den Pier. Flannagan folgte ihm mit dem van Gogh. Die beiden Kerle, die Chambers gerufen hatte, tasteten sich in der Dunkelheit die Treppe herunter.
„Weshalb Handschuhe?“, fragte Flannagan. „Hast du Angst, ihr könntet auf den Bildern Prints hinterlassen.“
„Genau das ist der Grund“, versetzte Chambers lakonisch.
Flannagan lachte. „Die Bilder verschwinden auf Nimmerwiedersehen in den Wohnungen reicher Sammler. Deine Vorsicht ist übertrieben, Chambers.“
„Man kann nie vorsichtig genug sein“, erwiderte Jack Chambers. „Oft ist es ein dummer Zufall, eine winzige Kleinigkeit, die unsereinem das Genick brechen kann.“
Der Bursche, der im Boot geblieben war, reichte Bild um Bild Nick Cumberland, der gab sie weiter an Harvey Graham, und der hob sie an der Kaimauer in die Höhe, wo sie von Flannagan und dessem Begleiter entgegengenommen wurden. Sie trugen die Gemälde zu dem Kleinlaster und stellten sie auf die Ladefläche.
Als das letzte Bild oben war, stiegen Cumberland und Graham die Treppe empor.
Jack Chambers gab Jacob Turner ein Zeichen. Turner nahm den Koffer vom Boden auf und reichte ihn Flannagan.
Der langte unter seine Jacke und holte ein dickes Kuvert hervor. „Die gefälschten Zertifikate“, murmelte er und reichte den Umschlag Jack Chambers.
Dieser reichte den Umschlag an einen seiner Männer weiter. „Leg ihn ins Handschuhfach“, knurrte er. Dann wandte er sich an Flannagen und sagte: „Wenn du wieder was hast, dann lass es mich wissen. Klar?“
„Ich bin an einem Kolumbianer dran. Kokain. Ziemlich günstig. 10 Dollar das Gramm. Für die 100.000 im Koffer krieg ich 10 Kilo von dem Zeug. Damit lassen sich die 100.000 gut verdoppeln.“
„Ich geb dir 15 Dollar für das Gramm. Dafür hast du nicht das Risiko beim Vertrieb. Was meinst du?“
„Du willst also daran mitverdienen, Chambers. Ich überleg es mir und lass von mir hören.“
„Wer ist der Kolumbianer? Ein Hersteller? Oder kriegt er die Ware auch nur geliefert?“
„Bei aller Freundschaft, Chambers, aber das werde ich dir nicht auf die Nase binden. Wie leicht könntest du mir das Geschäft vor der Nase wegschnappen.“
Flannagan lachte.
„Sicher“, murmelte Chambers, ohne in das Lachen einzustimmen. „Trau schau wem...“
Sie schüttelten sich die Hand, dann trennten sie sich.
Graham hatte die Ladefläche des Transporters erklommen und eine Decke über die Kunstwerke geworfen. Cumberland hatte sich ins Führerhaus hinter das Steuerrad geschwungen. Jetzt saß Harvey Graham neben ihm und zündete sich eine Zigarette an. Tief inhalierte er den würzigen Rauch.
Während Flannagan und sein Begleiter die Treppe hinunter verschwanden, stapften Chambers und Jacob Turner zum Chevy. Im nächsten Moment sprang der Motor an, die Scheinwerfer leuchteten auf. Turner stieß ein Stück zurück, wendete und fuhr langsam in Richtung Franklin Street.
Bei dem Kleinlaster leuchteten die Rückfahrscheinwerfer weiß. Rückwärts fahrend rollte er hinaus in die Franklin Street. Dann legte der Fahrer den 1. Gang ein und folgte dem Chevy.
Der Motor des Bootes begann zu tuckern. Das Boot löste sich vom Pier, fuhr einen Bogen und zischte dann, eine weiße Gischtspur hinter sich lassend, in Richtung East River davon.
Hank Hogan, der junge, gewitzte V-Mann des FBI New York, hatte genug gesehen. Er wartete, bis die beiden Fahrzeuge auf der Franklin Street aus seinem Blickfeld verschwunden waren, dann verließ er sein Versteck auf der dem Bushwick Creek gegenüberliegenden Seite der Quai Street und rannte zu seinem Auto, das er in einer Querstraße abgestellt hatte.
Es war 3 Uhr 40, als er sich auf den Fahrersitz warf.
Es war immer noch 3 Uhr 40, als mein Telefon klingelte. Ich hatte tief und fest geschlafen und wusste im ersten Moment nicht, wo hinten oder vorne war.
Der zweite Klingelton ging mir durch Mark und Bein.
Spätestens jetzt wusste ich, dass das kein Albtraum war.
Ich schaltete die Nachttischlampe ein, schwang meine Beine aus dem Bett und taumelte schlaftrunken in die Diele, wo der Fernsprecher ein drittes Mal Alarm schlug. Ich machte Licht.
Gähnend hob ich ab. „Trevellian“, nannte ich mürrisch meinen Namen.
„Hier ist Hank“, vernahm ich, und schlagartig war ich hellwach.
Wenn Hank Hogan um eine derart unchristliche Zeit anrief, dann nicht ohne Grund.
„Du“, entfuhr es mir überrascht. „Wo treibst du dich um diese Zeit herum, zu der...“
Hank unterbrach mich einfach: „Gib acht, Jesse, und halt dich fest. Ich bin in Greenpoint, West Street. Soeben habe ich beobachtet, dass Jack Chambers von einem gewissen Flannagan fast zwei Dutzend gestohlener Gemälde übernahm. Er bezahlte mit einem Koffer voll Geld.“
„Bist du noch dran an ihnen?“, fragte ich hastig.
„Sie fahren auf der Franklin Street nach Norden. Ich schätze, sie nehmen den Queens Midtown Tunnel, um nach Manhatten zu gelangen.“
„Folge ihnen, Hank“, stieß ich hervor. „Ich warte in der Nähe von Chambers' Wohnung.“
„Bringst du Milo mit?“
„Soviel Zeit werde ich nicht haben, um ihn aus dem Bett zu trommeln und abzuholen. Meine Handy-Nummer hast du?“
„Sicher, sogar gespeichert.“
„Gut, Hank, halt mich per Handy auf dem Laufenden.“
Ich unterbrach die Verbindung, sprang in meine Klamotten, fuhr mit den gespreizten Fingern durch meine Haare, schnallte mir die SIG Sauer an die Hüfte, schnappte die Autoschlüssel und verließ im Laufschritt meine Single-Bude.
Eine Minute später saß ich im Wagen und rollte nach Norden. Um diese Zeit war es selbst auf New Yorks Straßen ruhig wie auf einem Friedhof. Die Straßen gehörten sozusagen mir.
Chambers' Kunstladen lag in der Upper East Side, genauer gesagt in der East 77th Street, Ecke Madison Avenue, ganz in der Nähe des Lenox Hill Hospitals. Über dem Kunstladen befand sich Jack Chambers' Wohnung.
Wir waren seit einigen Monaten Jack Chambers auf der Spur. In einer Galerie, die er neben dem Laden in der 77th Straße betrieb, waren Fälschungen berühmter Maler aufgetaucht. Als die Kollegen vom NYPD die Galerie aushoben, fand man neben einigen vorzüglichen Fälschungen großer Künstler auch einige echte Sachen, die aus Kirchen, Museen, Galerien und Privatbesitz gestohlen worden waren, unter anderem auch in Übersee.
Die Sache wurde zur weiteren Aufklärung dem FBI überlassen.
Mr. McKee, der Chef des Field Office New York, betraute Milo und mich mit dem Fall Chambers.
Das Problem war, dass Chambers in der Galerie einen Geschäftsführer beschäftigte. Sein Name: Matt Elliott. Er nahm alle Schuld auf sich und hielt Chambers aus allem heraus. Elliott saß in U-Haft und wartete auf seinen Prozess. Ihm drohte eine Verurteilung wegen Hehlerei. Was ihn veranlasste, Chambers akribisch aus der Sache herauszuhalten, ahnten wir. Es war die nackte Angst vor dem Gangster, dazu die Aussicht auf ordentliche Versorgung während der Strafhaft und Wiederanstellung nach deren Verbüßung.
Also hatten wir Chambers nichts ans Zeug flicken können.
Ich fragte mich, wie Hank auf den Fall Chambers gekommen sein mochte. Und wie um alles in der Welt kam er zu einer Zeit, in der der Rest Amerikas den Schlaf der Gerechten schlief, dazu, Jack Chambers zu observieren.
Ich grinste für mich. Das war Hank. Gewieft, verbissen, unermüdlich, furchtlos und unerschrocken.
Wir hatten schon öfter zusammengearbeitet und waren sehr gute Freunde geworden.
Mein Handy piepte. ‚Anruf empfangen?‘ stand auf dem Display. Ich drückte auf ‚OK‘. Es war Hank. Er sagte:
„Sie nehmen tatsächlich den Queens Midtown Tunnel, Jesse. Es sind ein Kleinlaster und ein schwarzer Chevy. - Wo befindet du dich?“
„In Murray Hill. Ich fahre auf der Third Avenue in Richtung Norden zur 77th, zu Chambers' Laden.“
„Na, hoffentlich begegnet ihr euch nicht“, lachte Hank in den Apparat. „Sie kommen auch in Murray Hill aus dem Tunnel.“
„Ich werde auf die Tube drücken“, versprach ich.
„All right, Jesse, ich bleib dran. Sollten sie nicht in die 77th fahren, melde ich mich.“
Ich gab tatsächlich Gas und erreichte eine Geschwindigkeit, die jeden Cop veranlasst hätte, mir hinterherzujagen, mich zu stoppen und mir einen ordentlichen Strafzettel zu verpassen.
Ich wollte unbedingt vor Chambers in der 77th Straße sein. Denn es war mir ein inneres Bedürfnis, den Gangster auf frischer Tat zu schnappen.
Ich erreichte mein Ziel. Den Wagen stellte ich in der Park Avenue ab und nahm das Stück zur Ecke 77th/Madison Avenue auf Schusters Rappen. In einer Haustürnische, von der aus ich gut den Eingang von Chambers' Geschäft und die Einfahrt in den Hof im Blickfeld hatte, versteckte ich mich.
Da sich Hank nicht mehr gemeldet hatte, war ich überzeugt davon, dass die Bande planmäßig zur 77th Street fahren würde.
Zehn Minuten vergingen. Mein Handy klingelte. Ich nahm es und hob es vor mein Gesicht.
„Hank, ich bin angekommen und hab die Galerie im Auge. Gibt‘s was Neues?“
Ich erhielt keine Antwort.
Hanks Handy wurde ausgeschaltet. Die Verbindung war tot.
Seltsam, dachte ich und wählte Hanks Nummer an.
Nichts!
Ich steckte das Handy ein.
Zwanzig Minuten verstrichen. Eigentlich mussten sie längst aufgekreuzt sein.
Einmal fuhr ein Taxi vorbei.
Mich fröstelte. Niemand kam. Ich verlor die Geduld und angelte noch einmal das Mobiltelefon aus der Jackentasche. Der Anruf von eben, bei dem sich niemand meldete und die Tatsache, dass Hank nichts mehr von sich hören ließ, ließen fiebrige Unruhe in mir entstehen.
Hanks Nummer befand sich im Speicher. Ich wählte sie an. Das Handy Hanks war nach wie vor ausgeschaltet.
Meine Unruhe wuchs, ich fing an, mir Sorgen zu machen.
Weitere fünf Minuten verrannen zähflüssig.
Dann kam ein Fahrzeug die 77th entlang. Zwei Leute saßen drin. Es fuhr in den Hof von Chambers' Haus. Ich hörte die Schläge knallen, dann war Ruhe.
Von einem Kleinlaster war weit und breit nichts zu sehen.
Kurzentschlossen rannte ich zum Wagen. Ich fuhr in Richtung Queens Midtown Tunnel. Dabei probierte ich erneut, Hank telefonisch zu erreichen.
Er meldete sich nicht.
Die Sorge in mir wurde übermächtig.
Jack Chambers im Chevy und Harvey Graham, der als Beifahrer im Kleinlaster saß, standen per Walkie-Talkie in Verbindung.
Die Autos rollten durch den Queens Midtown Tunnel. Gelbe Lichter an der Decke des Tunnels sorgten für ausreichend Beleuchtung in der Röhre, die Queens mit Manhattan verband. Zu beiden Seiten befanden sich in regelmäßigen Abständen Stahltüren zu den Fluchtwegen mit entsprechenden Leuchthinweisen an der Wand darüber.
Um diese Zeit konnte man die Fahrzeuge, die den Tunnel befuhren, locker an einer Hand abzählen.
Der Chevy fuhr voraus.
Cumberland, der am Steuer des 7,5-Tonners saß, schaute immer öfter in den Seitenspiegel.
Ein Wagen folgte ihnen, seit sie den Newton Creek überquert hatten. Er war ihnen in einigem, aber immer gleichbleibendem Abstand von der Pulaski Bridge in Richtung Tunnel hinterhergefahren und hatte sich schließlich in einer Entfernung von etwa 150 Metern ihnen angehängt.
Cumberland teilte seine Beobachtung Graham mit. Der nahm das Walkie-Talkie. Die Frequenz war bereits eingestellt.
„Jack“, sprach er in das Gerät. „Kommen. Jack, hörst du mich?“
„Natürlich höre ich dich. Was ist los?“
„Nick denkt, dass uns ein Pkw folgt. Er fährt seit der Brücke hinter uns her, das heißt, nach der Brücke ist er Nick zum ersten Mal aufgefallen.“
„Wir werden das prüfen“, erwiderte Chambers. „Fahrt nach der Brücke in die 42th Straße und biegt dann ab in die Secound Avenue. Von dort aus fahrt ihr in die 43th Richtung Third Avenue. In der 43th schnappen Jacob und ich uns den Kerl.“
„In Ordnung.“
Graham wandte sich an Cumberland. „Du hast es gehört, Nick.“
Cumberland nickte.
Sie verließen den Tunnel, fuhren ein Stück die 42th Street nach Westen und bogen nach rechts ab. An der nächsten Kreuzung ging es nach links.
Der Chevy verschwand in einer Hofeinfahrt.
Der Kleinlaster fuhr weiter. Ehe Cumberland nach rechts in die Third Avenue einbog, sah er das Fahrzeug, das sie scheinbar verfolgte, von der Secound Avenue in die 43th einbiegen.
Jetzt war Nick Cumberland davon überzeugt, dass der Kerl in dem Wagen ihnen auf den Fersen saß.
Hank Hogan sah die Rücklichter des 7,5-Tonners noch, ehe sie um die Kurve verschwanden. Er ging davon aus, dass der Chevy noch immer vor dem Transporter fuhr.
Als Hank die Hälfte der 43th Straße durchfahren hatte, taumelte aus einer nachtschwarzen Einfahrt ein Mann auf die Fahrbahn. Hank sprang auf den Stempel. Er reagierte ansatzlos. Da er langsam fuhr, stand sein Wagen nach anderthalb Metern. Die Gestalt des Burschen, der vor seinem Auto herumwankte, wurde scharf vom Licht der Scheinwerfer umrissen.
„Betrunkener Idiot!“, presste Hank zwischen den Zähnen hervor.
Der scheinbar Betrunkene stolperte auf Hanks Wagen zu, stemmte beide Arme auf den Kühler und ließ den Kopf hängen.
Hank riss die Tür auf. „Verschwinde, dämlicher Schluckspecht. Wenn ich schneller dran gewesen wäre, lägst du jetzt unter den Rädern.“
Der Bursche vor dem Kühlergrill lallte etwas, sein linkes Bein knickte ein, nur mit Mühe schien er sich aufrecht zu halten.
Hank seufzte. Da er aber von Haus aus argwöhnisch war, was sein Job mit sich brachte, duckte er sich ein wenig und spähte durch das Seitenfenster auf der Beifahrerseite in die stockdunkle Einfahrt.
Da war nichts zu erkennen. Die Finsternis hing dort wie ein Vorhang, dicht und undurchdringlich.
Hank stieg aus. Noch einmal sicherte er in die Runde. Dann ging er zu dem Betrunkenen. „Ich muss weiter“, stieß er hervor. „Komm, ich bring dich auf die andere Seite.“
Aus dem Mund des Kerls drangen unartikulierte Laute. Sein Kopf pendelte vor der Brust hin und her.
Hank nahm seinen linken Arm und legte ihn sich über die Schultern. Er wollte so schnell wie möglich weiter, um an Chambers und dessen Komplizen dranzubleiben. Der Bursche hing wie ein Sack Kartoffeln an ihm. Hank zog ihn ein Stück vom Auto weg und wandte sich der anderen Straßenseite zu.
Er stand mit dem Rücken zu der Einfahrt gewandt.
Als er das Geräusch hinter sich hörte, war es zu spät.
Jäh jagten Warnsignale in ihm hoch. Hank wollte noch herumwirbeln. Er überließ den angeblich Betrunkenen sich selbst.
Aber da explodierte schon etwas in seinem Schädel. Eine Sekunde lang schien um ihn herum die Welt in Flammen zu stehen. Dann drehte sich vor ihm alles im Kreise. Er hatte das Gefühl, in einen zähen, tiefen Kleister zu sinken, suchte Halt, wollte irgendetwas mit den Händen tun, ruderte, versuchte, das Gleichgewicht zu bewahren. Aber es war, als hätte er Leim an den Armen. Leim oder zentnerschwere Lasten. Ihm wurde dunkel vor den Augen, und dann spürte er gar nichts mehr.
Er schlug lang zu Boden und blieb still liegen.
Chambers schob die Stahlfeder, mit der er es Hank gegeben hatte, in den Griff zurück und ließ die Waffe in seiner Jackentasche verschwinden. „Gut gemacht, Jacob“, lobte er. „Du hättest Schauspieler werden sollen.“
Er ging um das Auto herum. Da die Fahrertür offen stand, brannte die Innenbeleuchtung. Auf dem Beifahrersitz sah er ein eingeschaltetes Mobiltelefon liegen. Das Display zeigte eine Handynummer.
„Hast du den schon mal gesehen, Jacob?“, fragte er über die Schulter in Richtung seines Komplizen, der sich über Hank gebeugt hatte. Er angelte sich das Handy.
„Nö“, hörte er Jacob erwidern. „Vielleicht ist er harmlos“, fügte der Gangster hinzu.
Chambers wählte die Nummer an, die das Display anzeigte. „Hank, ich bin angekommen und hab die Galerie im Auge. Gibt‘s was Neues?“, klang es an Chambers‘ Ohr.
Er presste die Lippen zusammen und schaltete das Handy aus. Er warf es wieder auf den Sitz.
„Ich glaube nicht, dass der Knabe harmlos ist“, schnappte Chambers. „Komm, wir verschwinden. Der schläft 'ne Weile.“
„Denkst du, dass uns die Bullen beobachtet haben?“, fragte Jacob.
„Ich weiß es nicht, aber es ist nicht auszuschließen. Ich möchte fast sagen - ja. Der Laster darf auf keinen Fall zu meiner Wohnung fahren.“
Sie rannten in den Hinterhof, wo Jacob den Chevy abgestellt hatte. Als sie saßen und der Chevy anrollte, nahm Chambers das Walkie-Talkie zur Hand. Er stieß hervor:
„Bring die Bilder zu dir nach Hause, Graham. Stellt den Laster in die Garage und lasst ihn stehen. Ich glaube, bei mir sind die Kunstwerke nicht mehr besonders gut aufgehoben.“
„Wir wurden also tatsächlich verfolgt?“, kam es zurück.
„Das ist wohl so.“
„Verdammter Mist!“
„Keine Sorge. Sieht aus, als wären es nur zwei. Den einen habe ich schlafen gelegt, der andere kann warten, bis er schwarz wird. Er zieht von selbst wieder ab, wenn der Transporter nicht vor dem Laden auftaucht.“
„Alles klar, Jack. Ich nehme morgen mit dir Verbindung auf. Dann vereinbaren wir das Nähere bezüglich der Bilder.“
„All right.“
Jacob Turner gab Gas.
Die Sorge um Hank lastete tonnenschwer auf mir. Ich fuhr einen Zickzack-Kurs zwischen der 77th und dem Queens Midtown Tunnel. Aber in dem Bereich gibt es an die 35 Querstraßen, und in jeder von ihnen konnte sich Hank befinden.
Hank selbst war es, der mich von meiner Sorgenlast befreite.
Mein Handy klingelte. Ich bremste, fuhr an den Gehsteig und nahm das Gespräch an.
„Hi, Jesse.“ Hanks Stimme klang verdammt matt und krächzend. Nichtsdestoweniger verrutschte der Steinbrocken ein Stück, der mir auf dem Herzen lastete. Er fiel nicht herunter. Denn Hank klang, als hätte er ein ziemliches Problem. Ich dachte sofort an eine Schussverletzung.
„Mann, wo bist du?“, strömte es hastig über meine Lippen. „Was ist geschehen? Bist du verletzt?“
Ich hörte ihn stöhnen, dann sagte er: „Ich betaste gerade die Beule, die sie mir verpasst haben. Einen Hut werde ich die nächsten Tage wohl nicht aufsetzen können. Unter einem Zylinder könnte das Horn vielleicht Platz haben...“
Na, wenigstens hatte Hank seinen Humor nicht verloren. Wenn ich auch den Eindruck hatte, einen galligen Unterton in seiner Stimme vernommen zu haben.
Aber jetzt fiel mir der Stein wenigstens endgültig vom Herzen.
„Wo befindest du dich?“, wollte ich wissen.
„In der 43th Straße.“
Ich befand mich in der Nähe des Seagram Building. „Ich bin in einigen Minuten bei dir“, sagte ich, unterbrach die Verbindung und fuhr an...
Hank saß seitlich auf dem Fahrersitz seines Wagens, seine Füße standen auf der Straße. Er hatte die Ellenbogen auf die Knie gestemmt und hielt sich mit beiden Händen den Kopf.
Ich leuchtete mit der Taschenlampe die Stelle ab, wo ihn der Totschläger getroffen hatte. Hanks blonde Haare waren rot von seinem Blut. Es sickerte unter seinem Haaransatz im Nacken hervor und lief in den Hemdkragen.
Hank erzählte mir was geschehen war, während ich ihn untersuchte.
„Mit einer Beule ist es nicht getan“, sagte ich. „Deine Schädelschwarte ist auf eine Länge von schätzungsweise sieben, acht Zentimetern aufgeplatzt. Ich bringe dich ins Krankenhaus. Das muss genäht oder geklammert werden.“
Hank wollte abwehren. „Wegen dieses Kratzers...“
„Kratzer?“, wiederholte ich. „Deine Kopfhaut ist bis zum Knochen aufgeplatzt. Du blutest wie ein Schwein. Wahrscheinlich hast du auch eine Gehirnerschütterung.“
„Ich bleib aber auf keinen Fall dort“, maulte Hank.
„Das wird der Arzt entscheiden müssen“, versetzte ich. Dann half ich Hank auf die Beine und geleitete ihn zum Wagen, wo ich ihn auf den Beifahrersitz drückte.
Hanks Auto fuhr ich an den Bordstein, versperrte es, und als ich im Sportwagen saß, gab ich ihm seine Schlüssel. Hanks Handy hatte ich eingeschoben.
Ich fuhr Hank zur Universitätsklinik und brachte ihn in die Notaufnahme.
Als die Wunde versorgt und verbunden war, meinte der Doc:
„Wir werden Sie wohl zwei oder drei Tage zur Beobachtung hier lassen müssen, Mr. Hogan.“
„Auf keinen Fall“, wehrte Hank ab. „Ich komme schon zurecht. Ich...“
„Du hörst auf den Arzt“, unterbrach ich ihn.
„Bist du meine Mutter?“, nörgelte Hank.
„Wenn Sie nach Hause gehen“, murmelte der Arzt, „dann auf eigene Verantwortung.“
„Er bleibt“, sagte ich. Ich schaute Hank an. „Du willst doch mit dieser Maskerade nicht auf die Straße geh‘n“, grinste ich. „Siehst aus wie ein Relikt vom letzten Halloween. Was sollen New Yorks Frauen von dir denken?“
Hank betastete die Binde, die dicht über seinen Augenbrauen um seine Stirn verlief und wie eine Haube den Kopf bedeckte. „Vielleicht halten sie mich mit diesem Turban für einen arabischen Öl-Multi und rennen mir scharenweise hinterher.“
„Und schlagen dir den Schädel hinterher endgültig ein, wenn sie merken, dass du nur ein hochstapelnder Weiberheld bist. - Okay, ich besuch dich morgen.“
„Aber bring bloß Milo nicht mit. Auf sein schmutziges Grinsen kann ich verzichten.“
„Ich werd‘s Milo ausrichten.“
Der Arzt gab einer der Schwestern einen Wink. Sie telefonierte. Bald darauf erschien eine andere Krankenschwester mit einem Rollstuhl.
Es war eine hübsche Dunkelhaarige, mit Feuer in den braunen Augen. Ein rassiges Girl...
„Hoh“, entfuhr es Hank, „ich glaube, der Laden wird mir sympathischer.“
Das Girl zeigte ein geduldiges, freundliches Lächeln. Diese Art der Anmache erlebte es wahrscheinlich tagtäglich.
Hank musste sich in den Rollstuhl setzen.
„Ich bin doch nicht fußkrank“, maulte er.
Die Schwester lächelte mich an, ich zwinkerte ihr zu, dann rollte sie Hank davon.
„Bessere dich“, rief ich ihm hinterher, griff mir an den Kopf, als würde ich mir eines Fehlers bewusst und grinste: „Ich wollte natürlich sagen gute Besserung.“
Dann verließ ich das Krankenhaus.
Der Morgen dämmerte bereits. Viel Schlaf würde ich nicht mehr finden in dieser Nacht.
Milo war schon im Büro, als ich ankam. Ich erzählte ihm von meinem Erlebnis mit Hank.
„Der arme Hund“, grinste Milo und meinte unseren V-Mann. „Ich möcht mal 'nen Einsatz erleben, wo er keine auf die Nuss kriegt. Vielleicht sollte ich ihm mal den Rat geben, ein anderes Körperteil hinzuhalten.“
Natürlich war auch Milo erleichtert, dass Hank sozusagen mit einem blauen Auge davongekommen war. Darum auch seine lockeren Sprüche in Bezug auf den V-Mann.
Ich rief Mandy an. „Einen wunderschönen guten Morgen, Mandy. Ist der Chef frei?“
„Und wenn er es nicht wäre, Jesse, für dich und Milo würde er sich frei machen.“
„Gut. Sei so nett und melde ihm, dass wir in zwei Minuten bei ihm sind.“
„Ist das gleichzeitig eine Bestellung für frischen Kaffee?“
„Ja“, grunzte ich zufrieden.
Bevor wir uns zum SAC begaben, brachte ich Hank Hogans Handy zu einem Kollegen vom Erkennungsdienst. Ich bat ihn, das Telefon auf Fingerabdrücke untersuchen zu lassen. Meine Hoffnung, ein positives Ergebnis zu erhalten, hielt sich zwar in Grenzen, denn nach dem Gangster hatte Hank das Handy noch einmal in der Hand gehalten und möglicherweise verräterische Abdrücke verwischt, soweit es solche überhaupt gegeben hatte. Aber ich wollte nichts außer acht lassen.
Zehn Minuten später saßen wir Mr. Jonathan D. McKee, gegenüber. Auf dem Besuchertisch standen gefüllte Kaffeetassen. Gäbe es die olympische Disziplin des Kaffeekochens, dann hätte Mandy die Goldmedaille gewonnen.
Mr. McKee schaute fragend von Milo auf mich, und ich fühlte mich aufgefordert, zu berichten. Also erzählte ich ihm, was in der Nacht vorgefallen war.
„Und was gedenkt ihr in der Sache zu unternehmen?“, fragte der Special Agent in Charge.
„Dass Chambers in der Nacht von diesem Flannagan Bilder übernommen hat, ist definitiv“, begann ich. „Weil Hank den Gangstern auffiel, als er ihnen folgte, wurden die Kunstwerke nicht in Chambers' Laden gebracht, sondern werden an irgendeinem anderen Ort zwischengelagert. Wahrscheinlich bei einem seiner Komplizen.“
„Haben Sie nun vor, die Galerie Chambers' zu beobachten?“, fragte der Chef. „Darauf warten, dass die Kunstwerke irgendwann dort landen?“
„Wenn Chambers auch nur den geringsten Verdacht schöpft, dass sein Geschäft observiert wird, lässt er die Gemälde wo sie im Moment sind“, meinte Milo. „Ich denke, er hat für die Ware einen ausgesuchten Kundenstamm. Sammler und Liebhaber, die weiß Gott was für einen alten Meister bezahlen und keine Fragen stellen. Die kann er sonst wo hinbeordern, um mit ihnen seine dunklen Geschäfte abzuschließen.“
„Haben Sie sich mit Ihrem Namen gemeldet, Jesse, als einer der Kerle in der Nacht die Wahlwiederholungstaste von Hanks Handy drückte?“, fragte Mr. McKee.
Ich musste kurz nachdenken. Dann schüttelte ich den Kopf. „Nein, Sir, habe ich nicht.“
„Trotzdem wird der Schurke davon ausgehen, dass ihm die Polizei ins Handwerk gepfuscht hat, und er wird ausgesprochene Vorsicht walten lassen. Er ist clever. Ich denke, Sie sollten dennoch sein Haus beobachten und ihm folgen, wann immer er es verlässt. Dann führt er Sie vielleicht zu den Gemälden und Sie ertappen ihn in flagranti.“
„Wenn Sie meinen, Sir.“
Ich nahm einen Schluck Kaffee. Er war köstlich...
„Vorher hätte ich aber gerne noch mal nach Hank gesehen“, setzte ich hinzu. „In der Nacht hatte ich kaum Gelegenheit, ihn nach einigen wissenswerten Dingen zu fragen. Woher er beispielsweise den Tipp hatte und ob er mehr über diesen Flannagan weiß.“
Der Chef nickte. Plötzlich griff er nach der Zeitung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Er schlug sie auf, blätterte kurz darin, dann schien er gefunden zu haben, was er suchte, denn er schlug die Seiten um, die er nicht brauchte und hielt die Zeitung so, dass wir die Schlagzeile lesen konnten.
‚Unbekannter Hacker knackt Sicherheitssystem der Nationalbank‘, stand da.
„Haben Sie das schon gelesen?“, fragte Mr. McKee.
Wir schüttelten synchron die Köpfe.
Mr. McKee ließ die Zeitung wieder sinken.
„Der Freak hat den Code des Zentralcomputers der Nationalbank geknackt und Konten manipuliert“, erklärte er. „Er hat sich dabei zwar nicht selbst bereichert, aber es ist ein ziemliches Durcheinander, das er angerichtet hat. Aufsichtsrat und Geschäftsführung stehen Kopf, wie ihr euch denken könnt.“
„Ich bewundere diese Leute“, murmelte Milo beeindruckt. „Ich bin schon fast überfordert, wenn ich einen Bericht in den PC klopfen muss.“
„Hat nicht sogar schon einer das Sicherheitssystem des Pentagon überlistet?“, fragte ich.
„O ja“, erwiderte Mister McKee. „In der Tat.“ Der SAC nickte. „Das sind Profis. Nun, solange sie es nur tun, um den Verantwortlichen im Hinblick auf die vermeintlich hundertprozentige Sicherheit ihrer Anlagen die Augen zu öffnen und sie vom Gegenteil zu überzeugen, muss ihre Arbeit ja nicht mal schlecht sein. Sie tragen sogar zur Förderung der Sicherheit bei. Aber dieser Mister - es kann natürlich auch eine Frau sein -, gibt sich nicht zu erkennen. Er hat Gelder auf den Konten hin und her geschoben und ganze Dateibestände gelöscht. Er kann, wenn er will, Millionen Dollar auf ein Nummernkonto in irgendein Land der Welt jonglieren und den Rest seines Lebens als reicher Mann verbringen. - Sein Ziel ist es jedenfalls nicht, Sicherheitslücken zu entdecken. Sein Ziel ist wahrscheinlich eigennütziger, gesetzeswidriger Natur.“
„Bei der rasend schnell voranschreitenden Technik müsste es möglich sein, zurückzuverfolgen, von wo aus auf den Server zugegriffen wird“, verlautbarte Milo.
Mr. McKee zuckte mit den Achseln. „Dazu bin ich in diesem Metier zu wenig Insider. Diese Frage könnte Ihnen höchstens Agent Craig E. Smith beantworten. Er ist der Spezialist auf diesem Gebiet. - Eines ist jedoch sicher. Diese Hacker können immensen Schaden verursachen, nicht nur Geldwerten, sondern staats- und sicherheitspolitischen Schaden. Darum muss ihnen das Handwerk gelegt werden.“
„In Spezialistenkreisen nennt man diese Kerle auch gar nicht Hacker“, gab ich zu verstehen. „Man bezeichnet sie abfällig als Cracker. Echte Hacker halten diese Cracker für unverantwortliches Gesindel. Ein bekannter Hacker meinte mal, dass einer durch das Knacken von Sicherheitscodes ebenso wenig zum Hacker wird wie ein Dieb durch das Kurzschließen eines Autos zum Kfz-Mechaniker.“
„Hacker, Cracker - sei‘s drum“, brummte Milo. „Das Problem ist, dass der Eingriff in die Anlage der Nationalbank nicht unser Fall ist.“
„Richtig“, bestätigte Mr. McKee und schlug mit der flachen Hand leicht auf den Schreibtisch. „Ihr Fall ist im Moment Jack Chambers. Nicht nur, dass er als Hehler für gestohlene Kunstwerke auftritt, er hat seine schmutzigen Finger auch im Rauschgiftgeschäft. Und dieser Flannagan scheint mit ihm Hand in Hand zu arbeiten. Reißt den Schuften die Masken von den Gesichtern und überführt sie. Dann kommen wir vielleicht auch der Bande in Übersee auf die Spur, die die Kunstwerke in Serie stiehlt.“
Wir schlürften unsere Tassen leer und erhoben uns.
„Also schau‘n wir Mr. Jack Chambers die nächsten Tage auf die Finger“, grinste Milo.
„Viel Glück, Jesse, Milo. Und bestellt Hank Hogan die besten Grüße von mir.“
„Machen wir, Sir“, erwiderte ich, dann verließen wir das Büro des Chefs...
Hank lag im Bett. Als wir das Zimmer betraten, richtete er ächzend seinen Oberkörper auf. Er verzog schmerzhaft das Gesicht. Wir schüttelten ihm die Hand.
„Wie geht‘s?“, fragte ich und zog mir einen Stuhl heran.
„Außer dass mir von der schönen Dunkelhaarigen eine rüde Abfuhr erteilt wurde und ich mich hier im Bett völlig deplaziert fühle, blendend“, versetzte Hank bissig.
„Vielleicht hat die schöne Dunkelhaarige den Film ‚Die Mumie‘ gesehen“, griente Milo. „Du siehst aus wie die Reinkarnation...“
„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst mir diesen Dampfplauderer vom Leib halten, Jesse“, stöhnte Hank.
Wir lachten.
Dann sagte Hank: „‘ne leichte Gehirnerschütterung, meint der Doc. Und natürlich die Platzwunde. Übermorgen kann ich wieder nach Hause geh‘n.“
„Fein“, freute ich mich für ihn. „Dann können wir ja auf den Punkt kommen, Hank. Woher hattest du den Tipp von dem Deal in der vergangenen Nacht?“
„Ein guter Freund aus der Szene“, versetzte Hank ausweichend. „Kein unbeschriebenes Blatt. Für ein paar Dollar hin und wieder versorgt er mich mit Insider-Wissen. In einer Kneipe in der Lower Eastside hat er entsprechende Informationen aufgeschnappt. Zwei Kerle haben dort in einem Hinterzimmer während einer Partie Pool-Billard von dem Deal gesprochen. Dabei fielen auch Hinweise zum Ort der Übergabe und zum Zeitpunkt, wann sie stattfinden sollte. Mein - hm, guter Freund arbeitet dort als Keeper und Kellner.“
Wir wollten den Namen des ‚guten Freundes‘ gar nicht wissen. Diese kleinen Ganoven, auf deren Schuldkonto das eine oder andere kleinere Vergehen lastete, interessierten uns kaum. Das waren Eierdiebe, wie es im Fachjargon so schön heißt. Oft waren Sie sogar eine Hilfe, wie im vorliegenden Fall.
„Warum hast du uns nicht zur Verstärkung geholt?“, fragte Milo.
„Weil ich mir nicht sicher war, ob mein Informant das Wenige, das er aufschnappte, richtig zusammengesetzt hat. Also legte ich mich allein auf die Lauer. Und als ich Gewissheit hatte, dass das Puzzle stimmte, konnte ich schlecht telefonieren, wollte ich nicht riskieren, schon in der Quai Street eine auf die Nuss zu kriegen. Das habe ich nachgeholt, als ich den Kerlen hinterher fuhr.“
„Dieser Flannagan - weißt du mehr über den Burschen?“, wollte ich wissen.
„Er heißt mit Vornamen Richard. Ihm gehört ein Nachtclub in der Spring Street. Förderer der Prostitution. Er scheint nicht nur als Zwischenhändler für gestohlene Kunstwerke aufzutreten, sondern soll auch Verbindung zur Kolumbianer-Mafia haben. Kokain und Crack...“
„Er ist uns völlig unbekannt“, murmelte Milo.
„Irgendwann werden sie alle vom Untergrund hochgespült“, philosophierte Hank.
„Wir werden mal ein Auge auf ihn werfen“, versicherte ich.
„Beide Augen“, verbesserte mich Milo. Dann wandte er sich mit toternster Miene an Hank. „Sag mal, alter Freund, warum hältst du eigentlich immer den Kopf hin? Dreh dich doch einfach mal um und bück dich, wenn...“
„Schaff mir das Lästermaul vom Hals, Jesse, bitte!“, stöhnte Hank.
„... einer mit 'nem Knüppel auf dich drauf haut“, vollendete Milo ungerührt seinen Satz.
„Dann hätte er jetzt ein Problem beim Sitzen“, sagte ich.
„Ja, aber er hätte keine Gehirnerschütterung“, griente Milo.
„Die Frage ist, was das größere Handicap darstellt. Wenn man nicht sitzen oder nicht denken kann...“
Hank seufzte ergeben. Er schloss demonstrativ die Augen.
Wir blieben noch ein paar Minuten bei ihm, dann verabschiedeten wir uns.
Wir fuhren zur 77th Street, Ost, um Jack Chambers‘ Haus zu observieren.
Bill Stanwick, seines Zeichens Reporter bei der ‚Morning Post‘, hockte an der Bar im ‚Blackbird‘. Es war fast Mitternacht. In der Bar herrschte Hochbetrieb. Auf der kleinen Bühne mitten im Raum renkte sich eine Tänzerin fast die Glieder aus, um einen schlangenhaft geschmeidigen Stripp vorzuführen.
Die Kleine war sehr gut gewachsen, ihre Proportionen stimmten, ihre Brüste waren fest und üppig, ihr Hintern knackig und klein. Die Kerle, die die Kneipe bevölkerten, waren von ihr gebannt.
Nicht so Bill Stanwick. Er war viel zu betrunken, um der heißen Tanzlady irgendetwas abzugewinnen. Wenn er zur Bühne schaute, sah er sie zweimal. Und die Musik, zu der die Stripperin ihre Nummer abzog, nervte ihn.
Bill Stanwick war ein Mensch, den man unter den Begriff ‚Quartalsäufer‘ einordnen konnte. Er konnte wochenlang abstinent sein, wenn er aber das Bedürfnis hatte, sich mal wieder einen auf die Lampe zu gießen, dann geschah das exzessiv. Und dann soff er regelmäßig drei Tage lang, was das Zeug hielt. Drei weitere Tage nahm die Regenerationsphase in Anspruch, so dass er im Normalfall etwa eine Woche ausfiel.
Gestern hatte ihn wieder einmal der unwiderstehliche Drang nach Whisky in rauen Mengen befallen. Also war er losgezogen. Die vergangene Nacht hatte er in irgendeiner Absteige verbracht. Bis zum Abend war er durch die Straßen gezogen wie ein Landstreicher. Wo sich eine Gelegenheit geboten hatte, trank er einen. Seit drei Stunden saß er jetzt im 'Blackbird' wie festgenagelt auf dem Barhocker...
Die Musik kam aus einem CD-Player. Die CD gehörte der Tänzerin. Danach hatte sie ihre Nummern einstudiert. Teilweise wirklich ein ziemlich schriller Singsang...
„Kann man diese verdammte Musik nicht abstellen?“, lallte Bill Stanwick und starrte den Keeper böse an. „Da kriegt man ja - hicks - Trommelfellkrebs.“
Der Keeper grinste schief. „Schlecht drauf, wie?“
Es war schummrig in der Kneipe. Ein Spottlight war auf die Bühne gerichtet. In dem grellen Lichtkreis brach sich das nackte Girl einen ab. Ansonsten gab es ringsum nur rötliche, indirekte Beleuchtung. Der Tabakqualm zog in Schlieren vor die Lichtquellen und mutete an wie gefärbter Nebel.
„Nicht schlecht drauf“, kam es von Bill Stanwick mit alkoholschwerer Zunge. „Nur genervt.“ Er rülpste. „Von der Musik - hicks - krieg ich ja Gänsehaut.“
Er trank von seinem Whisky in der Überzeugung, damit seinen Schluckauf in den Griff zu kriegen. Die scharfe Flüssigkeit ließ ihn hüsteln und trieb ihm die Tränen in die geröteten, alkoholunterlaufenen Augen.
Eine Blondine, ziemlich aufgetackelt, Mitte der 20 und gewiss nicht hässlich, von der allerdings das absolute Flair des Verruchten und Sündigen ausging, wandte sich Bill zu und meinte mit rauchiger Altstimme: „Wenn dich die Musik hier nervt, Sonny, warum gehen wir nicht zu mir? Ich hab 'ne CD-Sammlung, und da ist sicher auch für deinen Geschmack was dabei.“
„Und du strippst mir einen, Honey“, lallte Bill grinsend. „So richtig, mit allem Drum und Dran.“
„Mit allem Drum und Dran“, versprach sie mit einer unübersehbaren Verheißung in den blauen Augen.
„Was verlangst du dafür?“
Sie schaute ihn von oben bis unten an. Es sah aus, als nähme sie Maß. „Na ja“, meinte sie, „weil du es bist - 200 Dollar.“
„Du bist wohl besoffen“, grölte Bill Stanwick. Er hielt seine Hand über das leere Glas und kippte den Daumen. „Schenk noch mal drauf, mein Freund“, forderte er den Keeper auf. Dann wandte er sich wieder der Nutte zu. „Was meinst du, Blondie, wie lange ich mir für 200 Bucks das Glas - hicks - nachfüllen lassen kann. Soviel kann ich gar nicht saufen...“
„Dann sauf, bis du vom Hocker kippst“, zischte sie böse. „Du solltest dich mal anseh'n, einen Blick in deine Augen werfen. Dir würde wahrscheinlich selbst speiübel werden.“
„Du solltest mal aus meiner Richtung durch diese Augen seh'n, Baby“, lallte Stanwick töricht grinsend. „Dann würden dir noch ganz andere Ausdrücke als speiübel einfallen.“
Sie wandte ihm verächtlich den Rücken zu.
„Na, na, warum denn gleich so böse?“ Er legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie wandte sich ihm wieder zu. „Für 'nen Strip bezahle ich keine 200 Möpse, Blondie“, meinte er nuschelnd, weil ihm die Zunge beim Sprechen im Weg zu sein schien. „Und mehr ist derzeit bei mir nicht drin. Wär 'n schmälicher Reinfall. Lass uns ein wenig reden.“
Sie schien wieder versöhnt zu sein, denn sie lachte. „Das glaub ich auch. Der Alkohol legt euch Kerle lahm. Na schön, ich bin auch 'ne gute Zuhörerin. Gib mir 'nen Drink aus, und ich hör dir zu.“
„Gib ihr 'nen Drink“, gebot Bill Stanwick dem Keeper. „Und sollte ich mal in nüchternem Zustand hier aufkreuzen, Blondie, dann komme ich auf dein Angebot zurück.“
Er hickste wieder nach dem letzten Wort, schluckte und griff nach dem Glas...
„Mein Name ist Ginger“, stellte die Blondine vom horizontalen Gewerbe sich vor und vollführte einen gekonnten Augenaufschlag.
„Schöner Name“, nickte Bill Stanwick. „Du schaffst hier an, wie? Warum nicht? Is‘n Job wie jeder andere auch. Arbeitest du für Rich Flannagan? Dem gehört doch der Laden hier. Kassiert er bei dir mit?“
„Ich bin selbständig“, erklärte Ginger stolz und nahm das Glas, das der Keeper vor sie hinstellte. Sie nippte daran. „200 ist mein Preis. Ich biete aber auch 'ne Menge dafür.“
„Daran habe ich - hicks - nicht den geringsten Zweifel“, lallte Bill lachend. „Für 200 Bucks muss einer wie ich allerdings viel schreiben, Blondie.“
„Bist du‘n Schriftsteller?“, fragte sie.
„Schriftsteller - nein.“ Er schüttelte den Kopf und verlor dabei fast das Gleichgewicht auf dem Barhocker. Mit beiden Händen klammerte er sich an den Handlauf, wartete, bis der Schwindel vorüber war, blinzelte und gab zu verstehen: „Journalist, Lady, ich bin Journalist. Hast du den Artikel in der ‚Morning Post‘ gelesen? Die Sache mit dem Hacker, der in den Zentralcomputer der Nationalbank eingedrungen ist?“ Bill Stanwick lachte glucksend. „Den hab ich geschrieben. Ich kenn den Burschen. Es war ein Exklusiv-Interviev. Ein cleveres Kerlchen. Könnte reich werden. Ihm fehlt‘s nur noch an der verbrecherischen Energie. Vielleicht... Ach was. Reden wir was Vernünftiges.“
„Ich habe von dem Burschen gelesen. Allerdings in der New York Times“, erklärte Ginger.
„Natürlich. Sämtliche Zeitungen haben das Thema aufgegriffen. Schließlich ging es bei der Nationalbank drunter und drüber. Aber das Exklusiv-Interviev - das hab ich von dem Jungen bekommen. Er ist ein As auf dem Gebiet der Computer-Hackerei. Es gibt wahrscheinlich kein System, das er nicht knackt.“
„Du kennst ihn persönlich?“, hakte die Blondine nach.
„Und ob. Den hab ich am Kanthaken. Und wenn er wieder was Neues auf die Beine stellt, bin ich der erste, der darüber schreibt. Der Boy vertraut mir.“
„Der Boy?“
„Yeah. Er ist verdammt jung. 23 Jahre. Informatikstudent. Ein As am PC.“
„Wie heißt er denn?“
Fast belustigt lachte Bill Stanwick auf. „Glaubst du im Ernst, dass ich den Namen verrate, Blondie?“
Er nahm einen Schluck.
„Nein“, lachte sie. „Interessiert mich auch höchstens am Rande. Du bist ein Mann nach meinem Geschmack, Sonny. Ihr Zeitungsleute seid was Besonderes. Warum kommst du nicht öfter mal her. Gib mir deine Visitenkarte. Ich stehe auf Männer, die nicht nur gut ausseh‘n, sondern auch intelligent sind. Du bist beides. Gutaussehend und intelligent.“
Bill Stanwick fühlte sich geschmeichelt. Er brabbelte etwas vor sich hin, zückte seine Brieftasche, suchte umständlich in den verschiedenen Fächern herum, und fingerte schließlich eine Visitenkarte heraus.
„Nicht zu Hause anrufen, Blondie“, kicherte er dümmlich, wie es Betrunkenen oftmals eigen ist. „Hab nämlich 'ne Verlobte, und die wäre sicherlich ziemlich sauer, wenn mich eine ihr unbekannte Lady mit rauchiger Stimme am Telefon verlangte.“
Sie nahm die Karte und ließ sie in ihrer kleinen Handtasche verschwinden.
Zwischenzeitlich hatte die Stripperin ihre Nummer beendet. Die CD war verstummt. Beifall brandete auf.
„Das sind lauter Kranke“, grummelte Bill Stanwick vor sich hin. „Wie kann man einer derart fürchterlichen Musik applaudieren?“
„Der Applaus gilt der Tänzerin“, erklärte Ginger. „Gefällt sie dir nicht?“
„Scharfe Mutter. Sicher. Aber im Moment steht mir der Sinn mehr nach scharfem Whisky...“
Wieder folgte ein losgelöstes, glucksendes Gekichere, dann leerte er sein Glas. Er trank gierig.
Ginger musterte ihn fast mitleidig.
Bei Jack Chambers klingelte das Telefon. Chambers schlief. Es war weit nach Mitternacht. Beim ersten Läuten glaubte er noch zu träumen, das zweite riss ihn aus dem Schlaf. Seine Hand tastete nach der Nachttischlampe, und als das Licht brannte, dudelte der Apparat zum dritten Mal.
Der Gangster nahm ab. „Verdammt“, knurrte er wütend, „wer ruft mich an um diese Zeit?“
Im anderen Bett räkelte sich Chambers‘ Freundin. „Wer immer es auch ist, der da anruft“, murmelte sie schlaftrunken, „ich wünsche ihm die Pest an den Hals.“
„Ich bin‘s - Flannagan.“ kam es aus dem Hörer.
„Hoffentlich hast du einen guten Grund, mich aus dem Schlaf zu reißen!“, blaffte Chambers drohend.
„Hast du den Bericht von dem Hacker gelesen, der das Computersystem der Nationalbank geknackt hat, Chambers?“, fragte Flannagan.
Chambers massierte sich mit der Linken die Nase. Er dachte nach. Besonders aktiv arbeitete sein Verstand noch nicht, nachdem er vor einer Minute noch im Tiefschlaf lag. „Ja“, meinte er schließlich. „Ja, zumindest die Schlagzeile hab ich geseh‘n. Was ist daran so interessant, dass du mich...“
Flannagan unterbrach ihn. „Bei mir ist Ginger. Sie hat einen Besoffenen im ‚Blackbird‘ angemacht. Er ist Journalist bei der ‚Morning Post‘. Er hat damit geprahlt, dass er den Knaben persönlich kennt, der das Sicherheitssystem der Bank geknackt hat.“
„Wie schön für ihn. Warum erzählst du mir das?“
„Ein Kerl wie dieser Hacker wäre doch Gold wert, Chambers. Verdammt, werd endlich wach. Kannst du dir nicht vorstellen, was einer wie der Hacker alles auf die Reihe kriegen kann?“
„Ach, lass mich in Ruhe, Flannagan. Was soll ich mit einem Hacker? Soll ich mir noch mehr Probleme aufladen?“
„Was hast du für ein Problem?“
„Ich glaube, die Bullen haben wieder mal ein Auge auf mich geworfen. Als wir in der vergangenen Nacht den Deal mit den Bildern machten, wurden wir beobachtet. Wahrscheinlich Schnüffler vom FBI. Einer verfolgte uns, ein zweiter lauerte irgendwo in der Nähe meines Hauses. Ich musste dem Kerl, der uns folgte, eine ziemlich derbe Kopfnuss verpassen. Die Bilder hab ich zwischengelagert. Ich hab das Gefühl, kontrolliert zu werden. Ich muss aufpassen wie ein Schießhund.“
„Wäre das kein Job für einen Hacker?“, meinte Rich Flannagan. „Der Zentralcomputer des FBI in Washington.“ Flannagan lachte. „Stell dir vor, im Field Office New York möchten sie vom Zentralcomputer deine Daten abrufen, und was wird ihnen angezeigt - nichts. Und warum wird ihnen nichts angezeigt?“
Chambers war unvermittelt hellwach. „Na!“
„Weil sämtliche Daten, die sie über dich gesammelt haben, gelöscht sind. Das selbe widerfährt ihnen im Zentralcomputer des Police Departement. Dort bist du plötzlich ein Unbekannter. Keine Ermittlungsakten mehr - nichts.“
„Himmel, das wäre ja der Hammer!“, rief Chambers.
„Man müsste aus dem Journalisten nur den Namen und die Adresse des Studenten herauskriegen, der das zu Wege bringen kann. Heh, Chambers, du wärst plötzlich wieder ein völlig unbeschriebenes Blatt. Das müsste dir doch einiges wert sein.“
„Aaah, du witterst schon wieder ein Geschäft.“
„Sagte ich dir nicht schon einmal, dass ich mit dir gerne Geschäfte mache?“
„Hast du den Namen des Journalisten?“
„Ich habe seine Visitenkarte. Name, Anschrift, Telefonnummer. Alles da.“
„Gut. Die Idee ist nicht schlecht. Bist du heute Abend im ‚Blackbird‘ anzutreffen?“
„Sicher.“
„Gut. Ich komme gegen 10 Uhr vorbei. Hast du schon mit dem Kolumbianer Verbindung aufgenommen?“
„Ja, er liefert mir 10 Kilo für 100.000 Bucks. Ich treffe mich mit ihm in drei Tagen.“
„Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?“
„Du meinst den Weiterverkauf an dich?“
„Einen anderen Vorschlag habe ich dir nicht gemacht.“
„Wenn ich darauf eingehe, verdiene ich 50.000 an dem Deal. Wenn ich den Schnee selbst vertreibe, bleiben 100.000 hängen.“
„Die 50.000 sind dir sicher. Für die 100.000 stehst du ständig mit einem Bein im Knast.“
„Ich denk drüber nach.“
„Fein. Dann bis zum Abend.“
Sie beendeten das Gespräch. Chambers löschte die Nachttischlampe, legte sich wieder ins Bett und zog sich die Decke bis ans Kinn.
„Wer war das?“, gähnte neben ihm seine neueste Flamme.
„Ein Geschäftspartner.“
Damit gab sie sich zufrieden.
Jack Chambers lag noch lange wach und starrte in die Dunkelheit hinein. Der Gedanke daran, dass sämtliche Daten, die FBI und NYPD über ihn zusammengetragen und gespeichert hatten, plötzlich verschwunden sein würden, verursachte in ihm fast einen Heiterkeitsausbruch.
Wir hatten Chambers‘ Haus den halben Tag lang beobachtet. Jack Chambers aber verhielt sich ausgesprochen unauffällig. Die Observation war also ein Misserfolg.
Auf meine Rückfrage im Field Office wurde mir erklärt, dass auf dem Mobiltelefon Hanks keine Fingerabdrücke gefunden worden waren, außer denen Frank Hogans und die meinen natürlich.
Milo und ich beschlossen, Matt Elliott, dem Geschäftsführer Jack Chambers‘, einen Besuch abzustatten und ihm wieder mal ein wenig auf die Nerven zu gehen.
Also fuhren wir ins City Prison und ließen Elliott vorführen.
Matt Elliott war ein Mann von 43 Jahren, groß, schlank, graumeliert und ziemlich intelligent. Der Aufenthalt im Gefängnis hatte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Besonders die beiden Falten, die von seinen Nasenflügeln bis zu seinen Mundwinkeln liefen, schienen sich vertieft zu haben.
Er saß uns gegenüber und fixierte uns abwechselnd mit gerunzelter Stirn und einem kühlen, abwartenden Ausdruck in den grauen Augen.
„Wie geht‘s?“, fragte ich. „Sie seh‘n blass aus. Die Luft hier drin scheint Ihnen nicht besonders zu bekommen.“
„Sparen Sie sich Ihren Zynismus, G-man“, raunzte Elliott mich an. „Was wollen Sie von mir?“
Milo grinste ihn entwaffnend an. „Hört sich an, als freuten Sie sich gar nicht über unseren Besuch, Elliott.“
„Ihr FBI-Schnüffler könnt mir den Buckel runterrutschen. Und wenn ihr gekommen seid, um mich ein weiteres Mal wegen Chambers auszuquetschen, so war euer Weg umsonst.“
„Weshalb decken Sie ihn, Elliott?“, fragte ich. „Chambers erfreut sich seiner Freiheit, während Sie mit einigen Jahren auf Rikers Island rechnen müssen. Sie könnten Ihre Zeit halbieren, vielleicht sogar...“
„Sinnlos, G-man“, unterbrach Elliott mich. „Chambers hat mit der Sache nichts zu tun. Und ich wurde auf‘s Kreuz gelegt. Man hat mir mit den Bildern auch gefälschte Zertifikate angedreht. Ich bin das Opfer meiner Leichtfertigkeit geworden.“
„Ihrer Leichtfertigkeit?“, fragte Milo verblüfft.
„Ja. Ich habe mir weder die Bilder noch die Dokumente eingehend angesehen. Hab 'ne Menge Geld gezahlt für den Plunder. Jetzt sind die Bilder beschlagnahmt - ich aber sitze auf meinen Miesen.“
„Und hinter Gittern“, vervollständigte Milo.
Ich sagte: „Immer die selbe Story, Elliott. Chambers weiß von nichts, Sie sind unschuldig. Nun ja, ich denke, Ihr Prozess findet bald statt. Dann wird sich Ihre Unschuld ja sicherlich herausstellen. - Von wem haben Sie denn die Bilder damals gekauft? Hieß der Mann vielleicht Flannagan - Richard Flannagan?“
Wir starrten ihn an wie die Schlange die Maus und warteten auf eine verräterische Reaktion.
„Flannagen?“ Das Aufblitzen in seinen Augen mutete an wie ein Signal. Er kannte ihn also. „Wer ist Flannagan?“, blaffte er.
„Mit ihm machte Chambers in der Nacht auf gestern wieder Geschäfte. Bilder, Kunstwerke. Wir nehmen an, sie wurden irgendwo von einem Schiff auf ein Motorboot umgeladen und zum Bushwick Creek geschippert, wo sie Jack Chambers in Empfang nahm.“
„Na, dann seid ihr ja im Bilde“, kam es spotttriefend von Elliott. „Also tut eure Pflicht, Special Agents. Unklar ist, weshalb ihr mit eurem Wissen zu mir kommt.“
„Chambers hat drei Helfershelfer. Sie holten mit ihm die Bilder ab. Möglicherweise ebenfalls Geschäftsführer, wie Sie einer waren, Elliott. Wir würden von Ihnen gern ihre Namen hören.“
Der Gangster hob die Hände, ließ sie wieder auf die Tischplatte sinken, lehnte sich zurück und schürzte die Lippen:
„Tut mir leid. Ich kann euch nicht helfen. Chambers betreibt eine Galerie in der 77th Straße. In einem zweiten Laden war ich als Geschäftsführer eingesetzt. Mein Pech war es, dass ich unwissentlich gefälschte und gestohlene Kunstwerke ankaufte. Von einem weiteren Laden weiß ich nichts. Ihr müsst schon selbst sehen, wie ihr weiterkommt.“
„Sie wollen uns nicht helfen, Elliott“, versetzte ich. „Haben Sie wirklich so fürchterliche Angst vor Chambers, dass Sie sogar einige Jahre mehr hinter Gefängnismauern in Kauf nehmen?“
„Sie reden Unsinn, Trevellian. Sind wir fertig?“
Elliott erhob sich.
Ich nickte und gab dem Wachtmeister einen Wink. An Matt Elliott gewandt sagte ich: „Sollten Sie es sich doch noch anders überlegen, lassen Sie‘s uns wissen. Wir sind jederzeit bereit, bei der Staatsanwaltschaft...“
„Vergessen Sie‘s“, knirschte Elliott.
Er wurde abgeführt.
Milo seufzte. „Der schweigt wie ein Grab. Was hat Chambers ihm wohl angedroht, für den Fall, dass er singt?“
„Oder versprochen, wenn er nicht singt“, wandte ich ein.
„Das ist hier die Frage“, rezitierte Milo.
Wir standen wieder auf der Straße.
„Eines jedenfalls scheint mir sicher“, sagte ich. „Elliott kennt Richard Flannagan.“
„Das scheint mir auch so“, antwortete Milo. „Aber was bringt uns dieses Wissen?“
„Nichts“, musste ich zugeben.
„Was meinst du?“, kam es von Milo. „Sollten wir uns vielleicht mal die Nachtbar in der Spring Street anschau‘n, die diesem Flannagan gehören soll.“
„Wenn es eine Nachtbar ist, dann wird sie kaum um die Mittagszeit geöffnet haben“, meinte ich.
„Wie wahr, Sherlock Holmes. Also stellen wir uns wieder vor die Galerie in der Upper East Side und warten wir darauf, dass die Bilder vorbeimarschieren.“
Milo sprach es mit einer Art Galgenhumor.
Also ließ ich den Wagen in die 77th Straße Ost rollen. Ich parkte ihn so, dass wir den Eingang der Galerie gut beobachten konnten, wir von der Galerie aus aber kaum auffielen.
Kunden kamen und gingen. Für uns waren diese Leute allerdings uninteressant. Die großen Geschäfte wurden nicht am Ladentisch abgeschlossen. Der Kundenkreis Chambers', der die echten Werte bei ihm suchte und kaufte, erledigte das telefonisch. Und selbst wenn wir Chambers' Telefon anzapften, war es fraglich, ob es zum Erfolg führte, da Chambers vielleicht sogar damit rechnete und nur noch per Handy mit seiner betuchten Kundschaft verkehrte.
Also konnte uns nur Chambers selbst zu den Bildern führen, oder einer seiner Handlanger, von denen wir aber nicht mal wussten wie sie aussahen.
Doch plötzlich schien es, als wäre uns das Glück hold.
Ein nicht mehr gerade neuwertiger Ford bog in die Hofeinfahrt der Galerie ein. Am Steuer hatte ein blondhaariger Bursche gesessen.
Das Auffällige daran war, dass alle anderen Kunden, die mit dem Auto gekommen waren, auf der Straße geparkt hatten. Denn an der Wand neben der Hofeinfahrt war eine Blechtafel befestigt, auf die geschrieben stand, dass unbefugtes Parken im Hof nicht gestattet sei. Man drohte widerrechtlich abgestellten Fahrzeugen sogar mit dem Abschleppdienst.
Darum hatten sowohl Milo wie auch ich das Gefühl, dass sich in der Sache etwas bewegte. Milo verlieh seiner Ahnung Ausdruck:
„Scheint zum befugten Personenkreis zu gehören, der blonde Boy. Wahrscheinlich aber nicht zu einem besonders bevorzugten Kundenkreis. Denn einer, der sich alte Meister leisten kann, leistet sich gewiss keinen alten Ford.“
„Umwerfend und überzeugend“, grinste ich.
„Diesen sprichwörtlichen Scharfsinn hat man mir schon mit in die Wiege gelegt“, gab Milo zum Besten.
„Wunderkind“, murmelte ich.
Dann konzentrierten wir uns wieder auf die Galerie.
Zwei Dinge hatten wir schon herausgefunden: Das eine war die Tatsache, dass Chambers zwei Leute beschäftigte. Einen Mann und eine Frau. Der Mann hieß Jacob Turner, die Frau Eleonore Colbright. Beides unbeschriebene Blätter...
Die zweite Erkenntnis war jene, dass Jack Chambers den Laden selbst kaum betrat. Daraus schlossen wir, dass er die lukrativen Geschäfte von seiner Wohnung aus in die Wege leitete. Die Laufkundschaft im Laden diente ihm lediglich als Alibi...
Es vergingen etwa zwanzig Minuten, als der Ford wieder aus der Einfahrt rollte. Der Fahrer lenkte ihn in Richtung Fifth Aveneu, fuhr nach Norden bis zum Central Park North, und bog dann ab zur Westside, wandte sich auf dem Frederick Douglass Boulevard wieder nach Norden und fuhr schließlich in die 115th Street Richtung Morningside Park. Vor dem Haus mit der Nummer 657 hielt der Ford an. Man hatte von hier aus den Blick in die Morningside Avenue frei. Auf der anderen Seite waren die Bäume und Büsche des Parks auszumachen.
Das Haus Nr. 657 war etwas zurückgesetzt erbaut worden. Es handelte sich um ein einstöckiges Gebäude mit angebauter Doppelgarage. Die Tore der Garage waren hoch und breit genug, um einem Kleinlaster die Einfahrt zu ermöglichen. Vor dem Haus war eine etwa zehn Meter breite Rasenfläche. Ein Weg führte zur Haustür, eine Asphaltpiste von der Straße zur Garage.
Der Mann verließ den Ford. Seine Haare waren nackenlang. Er schloss das Auto ab und ging ins Haus. Hinter ihm fiel die Haustür zu.
Wir warteten in sicherer Entfernung.
Nachdem er nicht mehr zurückkehrte, sagte Milo: „Hank hat von einem Kleinlaster gesprochen. Wenn ich mir die Garagen so ansehe, dann sind sie groß genug, um einem 7,5-Tonner Platz zu bieten. Ich denke, Jesse, wir sollten mal einen Blick hinein werfen.“
„Daran hab ich auch schon gedacht“, murmelte ich. „Wir sollten aber nicht den direkten Weg nehmen.“
„Nehmen wir den Dienstboteneingang“, nickte Milo.
Wir stiegen aus. Die Zentralverriegelung des Wagen funktionierte lautlos. Ich schob die Schlüssel ein. Milo und ich spazierten ein Stück die Straße entlang, dann schlugen wir uns zwischen zwei Häuser, liefen hinten herum und näherten uns dem Gebäude, in dem der Blonde verschwunden war, von der Seite.
Das Haus verfügte über einen Hintereingang. In die rückwärtige Wand der Garage war ein Fenster eingelassen. Ich erreichte es und versuchte drinnen etwas zu erkennen. In der Garage war es finster. Die Fensterscheibe, in der sich das Tageslicht spiegelte, blendete mich. Ich beschattete mit der flachen Hand die Augen. Dennoch konnte ich kaum etwas ausmachen.
Ich drehte den Kopf zu Milo herum. Er stand bereits bei der Hintertür und winkte mir.
Ich glitt zu ihm hin. Milo hatte die Tür geöffnet.
„Ich glaube, vom Treppenhaus aus kann man in die Garage gelangen“, murmelte er.
Wir betraten das Haus. Eine Stiege führte nach oben. Rechter Hand und linker Hand sahen wir einige Türen, unter anderem eine Feuerschutztür aus Stahlblech. Ich klinkte sie auf. Sie ließ sich öffnen. Eine enge Schleuse führte zu einer Öffnung von Türengröße, und dahinter lag die Düsternis der Garage.
Die Stahltür knirschte leicht, als ich sie hinter uns zuzog.
Einige Schritte brachten uns in die Garage. Der Boden lag eine Stufenhöhe unter dem Niveau des Korridors. Es roch nach Öl, Abgasen und Diesel.
Deutlich konnten wir jetzt die Umrisse des Kleinlasters mit der Plane über der Ladefläche erkennen.
„Sieht aus, als wären wir richtig“, murmelte ich.
Milo nickte.
Wir umrundeten den Laster. Schließlich machte Milo sich daran, hinten die Plane zu öffnen. Er hob sie ein wenig an und schaute auf die Ladefläche. „Finster wie im Schlund der Hölle“, knurrte er.
Eine Stablampe hatten wir nicht dabei. Die lag im Sportwagen.
„Würde ich noch rauchen, hätte ich wenigstens ein Feuerzeug“, schimpfte Milo halblaut.
„Ich seh mal im Führerhaus nach“, flüsterte ich und ging nach vorn.
Das war allerdings Fehlanzeige. Beide Türen waren abgeschlossen. Ich kehrte zu Milo zurück. Der war schon dabei, die Verschnürung der Plane weiter aufzuziehen, um eine größere Öffnung zu schaffen. „Ich steig mal hinauf“, raunte er mir zu.
Ich hob die Hand zum Zeichen dafür, dass ich verstanden hatte.
Gleich darauf war Milo unter der Plane verschwunden. Ich hörte etwas poltern. Dann rief Milo halblaut: „Treffer, Jesse. Wie Hank es uns...“
Der Rest ging unter in dem Krach, mit dem das Garagentor etwa einen Meter in die Höhe schwang. Zwei Gestalten tauchten unter dem Tor hindurch in die Garage. Tageslicht strömte mit ihnen herein.
Aus der Schleuse, durch die wir gekommen waren, sprang ein dritter Mister. Das Tor krachte wieder zu, schlagartig war die Helligkeit weggewischt.
Meine Rechte tastete nach der SIG.
Ohne zu zögern und ohne ein Wort zu verlieren griffen die drei Kerle mich an. In der Hand des einen glaubte ich einen Schlagstock oder eine Schlagfeder zu erkennen.
Ich zog die SIG. „Stehenbleiben!“, stieß ich hervor. „FBI!“
Weder mein schneidender Tonfall noch die drei magischen Buchstaben schienen die Kerle zu beeindrucken. Sie fielen über mich her und vertrauten wohl darauf, dass ich - der Verhältnismäßigkeit der Bewaffnung entsprechend -, nicht von der SIG Sauer Gebrauch machen würde.
Die Faust mit der Schlagwaffe sauste auf mich zu.
Ich wich nach rechts aus und prallte gegen den Kerl, der aus der Schleuse gesprungen war. Der Schlag pfiff durch die Luft. Vom eigenen Schwung getrieben machte der Schläger einen Schritt nach vorn. Mein Bein schnellte hoch und traf ihn von der Seite in den Leib. Er krümmte sich, ein abgerissener Ton platzte aus seinem Mund.
Aber da hing schon der Knabe an mir, mit dem ich zusammengeprallt war. Er zog das Knie hoch und traf mich gegen den Oberschenkel. Sofort verkrampfte sich meine Muskulatur und mein rechtes Bein war wie lahm. Ich hatte aufbrüllen mögen, so schmerzhaft war dieser Treffer.
Und der dritte Mister kam von der Seite und schickte eine kerzengerade Rechte auf die Reise, die gegen meinen Kopf donnerte und vor meinen Augen eine Reihe greller Lichtreflexe auslöste. Um es einfacher auszudrücken: Ich sah ein Meer von Sternen und hörte die Engel singen.
Aber da stürzte sich Milo mit ausgebreiteten Armen von der Ladefläche des Lasters. Den Burschen, der mir mit dem Totschläger oder was auch immer einen Scheitel ziehen wollte, holte er mit einem fürchterlichen Schwinger von den Beinen. Die Schlagwaffe schepperte auf den Betonboden und rollte unter den Lkw.
Der andere Kerl, der mir eine verpasst hatte, dass mir der Schädel dröhnte, wandte sich Milo zu und stieß ein tiefes Knurren aus. Aber das Knurren erstickte in seiner Kehle, als ihn Milo mit einem Fußfeger aus dem Gleichgewicht brachte und mit einer blitzartigen Doublette fällte.
Und jetzt war ich an der Reihe.
Mein Blick war wieder klar.
Der Knabe, der an mir hing, wollte mich zu Boden zerren. Als es ihm nicht gelang, holte er aus, um mir die Faust gegen den Schädel zu hämmern. Ich duckte mich. Meine Rechte zuckte vor, ich erwischte ihn genau im Schritt. Und dann kniff ich zusammen.
Diesem stahlharten Klammergriff hatte er nichts entgegenzusetzen. Er brüllte wie am Spieß und sprang von einem Bein auf das andere. Er konnte einfach nicht anders. Seine Motorik wurde nur noch vom Schmerz gelenkt. Weit traten ihm die Augen aus den Höhlen. Seine Hände umklammerten mein Handgelenk. Schließlich japste er nur noch.
Und als ich der Meinung war, dass der Knabe genug gelitten hatte, gab ich ihm mit dem Knauf der SIG eine mit und er legte sich mit einem verlöschenden Seufzer schlafen.
Auch der Kerl, den Milo zuerst auf den Beton gelegt hatte, wollte noch einmal hoch, aber nun hatte auch mein Freund und Partner seine Waffe in der Faust und er hielt sie dem Burschen dicht vor die Nase.
Der dritte im Bunde hockte am Boden und presste sich beide Hände gegen die Schläfen. Milos Links-/Rechtskombination schien bei ihm ziemlich nachzuwirken.
Ich sicherte in Richtung Schleuse, aber ein weiterer Schläger tauchte nicht mehr auf.
„Halt sie in Schach, Alter“, murmelte ich und öffnete das Garagentor. Tageslicht strömte herein und blendete uns gleichermaßen wie die beiden Gangster, die am Boden saßen.
Ich rannte zum Wagen und holte Handschellen. Wir hatten nur zwei Paare dabei, aber das reichte aus, um die Arme der drei zusammenzufesseln. Der Kerl, dem ich mit der SIG gegen die Rübe gehämmert hatte, war auch wieder bei Bewusstsein. Er stöhnte. In Reih und Glied saßen sie schließlich nebeneinander an der Wand.
Hätten ihre Blicke töten können, wären wir auf der Stelle tot umgefallen.
Milo rief mit dem Handy bei der FBI-Leitzentrale an. Der Kollege versprach uns, Leute zu schicken, die die drei Kerle abholten.
Der Blonde, der den Ford gefahren und uns unbewusster Weise hergeführt hatte, grollte: „Was soll diese Scheiße? Ihr dringt einfach in mein Haus ein und stöbert herum. Wir dachten, ihr seid Einbrecher.“
„Diebe, wie?“, dehnte ich. „Sicher wart ihr um die hübschen Bilderchen besorgt, die da auf dem Laster lagern.“
Der Blonde zerkaute einen Kraftausdruck, den ich an dieser Stelle besser nicht wiedergebe. Dann fauchte er: „Die Bilder haben wir ordnungsgemäß erworben. Ihr verdammten Bullen könnt uns gar nichts. Ich hab die Zertifikate im Haus...“
„Sicher“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Allerdings handelt es sich um ebenso falsche Zertifikate und gestohlene Bilder, wie wir sie in der Galerie gefunden haben, in der Matt Elliott als Jack Chambers Geschäftsführer fungierte. Elliott und Chambers kennt ihr doch.“
„Nie gehört“, log der Blonde frech.
„Chambers ist der Mann, den du vorhin besucht hast, mein blonder Freund und Kupferstecher“, gab Milo mit einem seichten Grinsen zu verstehen. „Die Galerie in der 77th Straße Ost, in deren Hof nur Befugte parken dürfen.“
„Fahrt zur Hölle!“, zischte der Blonde.
Später sollten wir erfahren, dass sein Name Harvey Graham war.
Wir fuhren in die 77th Street zu Jack Chambers. In unserem Schlepptau befanden sich Jennifer Johnson, Blacky Blackfeather, unser Kollege, der natürlich wieder gekleidet war wie ein Dressman, und Leslie Morell. Außerdem hatten wir das Police Departement informiert, dass wir eine Hausdurchsuchung bei Chambers durchführen wollten, und man sagte uns Unterstützung zu.
Wir kamen mit zwei Fahrzeugen. Im Wagen saßen Milo und ich, in einem Dienstwagen die drei Kollegen. Wir waren vor der City Police da und warteten. Schließlich kamen vier Einsatzfahrzeuge. Sie fuhren mit eingeschaltetem Blaulicht vor, aber ohne Sirenen.
Das Gebäude wurde abgeriegelt, dann betraten Milo und ich den Laden. Leslie und Blacky hatten sich im Hinterhof postiert, Jennifer war auf der Straße geblieben.
Wir sahen nur die Verkäuferin. Sie schaute uns abwechselnd mit einer Mischung aus Verstörtheit, Erstaunen und Erschrecken an, nachdem wir ihr erklärten, wer wir waren und wir uns ausgewiesen hatten. Und völlig perplex war sie, als ich zu verstehen gab:
„Ich nehme an, Ihr Chef befindet sich oben in der Wohnung, Mrs. Colbright, und bei ihm wird Ihr Kollege Jacob Turner sein.“
„Sie - Sie kennen meinen Namen?“, stotterte sie verblüfft.
„Wir wissen sogar den Tag, an dem Sie geboren sind, Mrs. Colbright“, griente Milo sie an. Dann setzte er hinzu: „Wir finden den Weg hinauf. Sie brauchen uns auch nicht mehr anzumelden, denn dies hat sicherlich schon der gute Jacob besorgt.“
Die Frau starrte uns nur an und stand stocksteif hinter der Ladentheke.
Wir nahmen die Hintertür, gelangten ins Treppenhaus und stiegen die Treppe empor.
Unter der Korridortür empfing uns schon Jack Chambers. Seine Augen schienen sich vor Zorn verdunkelt zu haben. Er giftete: „Was soll dieser Aufstand? Was wollt ihr mir schon wieder ans Zeug flicken? Ich hab 'ne saubere Weste. Wer hat euch überhaupt erlaubt, mein Haus zu betreten?“
Chambers war ein Mann von etwas über einsachtzig und Mitte der 30. Er hatte ein eingefallenes Gesicht mit vorspringenden Backenknochen und kalten, stechenden Augen. Um seinen dünnlippigen Mund lag ein brutaler Zug. Seine Haare waren dunkel, leicht gelockt und lichteten sich schon.
Jetzt schäumte er vor Zorn.
„Die Erlaubnis brauchen wir nicht“, versetzte ich kalt, als wir oben waren. „Wir haben die Bilder beschlagnahmt, Chambers, die sie vor zwei Nächten beim Bushwick Creek von einem gewissen Richard Flannagan übernommen haben. Drei Ihrer Handlanger haben wir verhaftet.“
Hinter Chambers konnte ich im Flur der Wohnung Jacob Turner erkennen. In Turners Gesichtszügen wühlte eine tiefe, innere Ruhelosigkeit.
„Bilder?“, röhrte Chambers, „Bushwick Creek? Richard Flannagan? - Du sprichst in Rätseln, G-men. Ich habe seit einigen Nächten das Haus nicht mehr verlassen. Frag meine Verlobte. Ich...“