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In einem Sumpfwaldgebiet im Land der Slawen, wird im Jahr 782 n. Chr. an einer Furt der Ortschaften Drazdany ein Kind gefunden, das die Gabe hat, die Zukunft vorauszusagen. Große Herrscher bedienen sich der Gabe des Knaben. Die Politik von Karl dem Große (742-814) führt weit in die Zukunft. Er will die Christianisierung der Böhmen vorantreiben. Hier stößt er auf Widerstand. Der Frankenkönig versteht es, durch strategische Familienbande, das böhmische Herrscherhaus zu unterwandern und sich im Jahre 806 Untertan zu machen.
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Seitenzahl: 269
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Dieser Roman wurde zum Andenken an die Familie Kopta geschrieben.
Mein Vater Čestmir Kopta (Kapitän bei ČSPLO), brachte mir die tschechische Sprache bei und seine Familienmitglieder Wilhelm Kopta und Karel Sejk, beide Professoren an der Karlsuniversität Prag, führten mich in die tschechische Geschichte ein. Meine Großeltern, Čestmir Wilhelm Ernst und Emilie Kopta, Ingenieur und Handarbeitslehrerin, lehrten mich, nützliche Dinge im Leben zu tun. Meinen Paten, Arnošt Kopta, Chefarzt in Marienbad und Maruš Běchova Chefapothekerin in Veyprty, verdanke ich die Liebe zu meinem Vaterland.
Ich habe die deutsche Sagenwelt mit der böhmischen Geschichte im Einklang gesehen und jahrelang recherchiert, um diesen historischen Roman für die Generationen, die nach uns kommen zu schreiben.
CM Groß
Sollten Sie, liebe Leser, Persönlichkeiten der aktuellen Zeitgeschichte (Künstler, Politiker und Geistliche) erkennen, dann ist das völlig zufällig. Es soll nach neuesten Erkenntnissen jeder Mensch einen Doppelgänger haben.
CM Groß, die Malerin
Wir leben zwischen Vergangenheit und Zukunft, im “Jetzt”, zwischen gestern und morgen!
Indem die Vergangenheit unwiederbringlich ist, können wir auf die Zukunft hoffen.
Unsere Hoffnung ist immer gepart mit Vertrauen an die Gerechtigkeit und Besonnenheit der Menschen
Meine größte Hochachtung gilt meinem Berater aus der Schweiz, Reinhold Redlin-Fluri, der nach der Meinung der Fachwelt, der bedeutendste Militärhistoriker des deutschen Sprachraumes ist.
Er unterstützte mich bei meinen Recherchen über das Imperium der Karolinger, der Entstehung und Verfassung des Sachsenstammes und der Geschichte der deutschen Kaiser und Könige. Weitere Hilfe und Unterstützung erhielt ich von den Benediktinerinnen der Abtei zu hl. Maria in Fulda und der Äbtissin Benedikta Krantz OSB sowie den Mitarbeitern des Museums auf dem Vyšehrad, der Stadt Prag.
Ohne die Hilfe meines Bruders, Čestmir Kopta, Ingenieur in Prag, meiner Mutter, Ruth Kopta und meinen Kindern Daniela und Franco, die mich moralisch unterstützten, hätte ich die zähe Geduld im Auffinden der spärlich vorhandenen Informationen über das 8. Jahrhundert nicht aufgebracht und mein erworbenes Wissen niederschreiben können.
Das Vorwort zu Europa von Václav Havel und die Erklärung des tschechischen Präsidenten a. D. Václav Klaus »Die Drazdan Legende ist in der Tschechischen Republik unbekannt, er habe sie mit großem Interesse gelesen!«, hat mich dazu veranlasst, diesen historischen Roman zu schreiben.
entstand in der Regierungszeit von
Karl dem Großen (742 bis 814)
und dem böhmische Fürstenpaar Libuša und Přemysl
Der Knabe aus dem Sumpfwaldgebiet
Am Hof des Böhmenfürsten
Patenkind von Karl dem Großen
Daheim in Böhmen
Wunder von Drazdany
Am Hof des Frankenkönigs
Impressionen aus Rom
Herkunft des Findelkindes
Rache der acht Mauren
Autorenvita
Die Christianisierung in Mitteleuropa in der Regierungszeit von Karl dem Großen
Wer an einem klaren Abend die Sonne hinter der Silhouette der Stadt versinken sah, wer erfasste wie die leicht gekräuselten Wellen des Flusses und die Kuppeln der Frauenkirche, Hofkirche und dem Schlossensemble, in dem purpurnen Sonnenlicht erglühten, der wird sein Lebtag dieses friedvolle Bild in sich tragen.
Der Betrachter wird sich fragen, „wie hat das alles einmal angefangen?“
Sagen und Legenden sind keine Erfindung, sie knüpfen an geschichtliche Ereignisse oder Naturerscheinungen an. Große geschichtliche Persönlichkeiten, wie Kaiser Karl der Große oder das Geschlecht der Přemysliden und Luxemburger, Karl IV., stehen für die frühe Entwicklung, Bildung, Rechtsprechung und Ordnung von Mitteleuropa.
In der Einbildungskraft des Volkes wurden diese geschichtlichen Ereignisse mit frei erfundenen Einzelheiten zu einem Ganzen verwoben und als Heldensagen weitergegeben.
Unser Interesse gilt der Urgeschichte des Elbtales, dem ehemaligen Sumpfwaldgebiet (Drazdany). Wie schon der Name erkennen lässt, handelte es sich im 8. Jahrhundert um ein, von slawischen Stämmen besiedeltes Gebiet.
Zur Vollständigkeit beinhaltet der Geschichts-Rückblick, die Geschichte der Sachsen, Franken und Böhmen.
Lassen Sie mich mit den Sachsen beginnen.
Was steckt hinter dem Begriff Sachs’en?
Sachs oder Sax bedeutet, germanisches Kurzschwert oder Dolch, daher hatten die Sachsen den Beinamen Langmesser. Sie trugen an ihrem Gürtel, ein 60 cm langes und 4 cm breites, einschneidiges, scharfes, spitzes Schwert.
Wo lebten die Sachsen?
Die Sachsen siedelten bereits im zweiten Jahrhundert nördlich der Elbe. Im 7. Jahrhundert besiedelten sie Nordwestdeutschland. Sie lebten bis in die Mitte des 10. Jahrhunderts in Hamburg, Bremen, Dortmund, Magdeburg und Erfurt.
Damals, im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung sah es noch ganz unwirtschaftlich und friedlich aus. Urwald und Sumpf bedeckte das Flusstal der Labe (Elbe). Nur selten und spärlich verstreut standen Hütten auf getrocknetem und gerodetem Land.
Das Land war schon geraume Zeit im Besitz slawischer Stämme, die um 500 n. Chr. über Böhmen, weiter im Westen nach fruchtbarem Land suchten.
Immer wieder gab es kriegerische Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Stämmen und Franken, die das sorbische Gebiet im Auftrag des Frankenkönigs zum christlichen Glauben führen wollten. Um 785 n. Chr. gelang es Karl dem Großen heidnische Wenden entlang der Elbe seinem Reich anzuschließen. Ihm widersetzten sich die Böhmen. Aus den Machtkämpfen ging um 800 n. Chr. die Herrscherdynastie der Přemysliden hervor, die das Land der Slawen 400 Jahre lang beherrschten, dann mehr und mehr Land an die Franken, Thüringer und Sachsen verloren. Die alte Legende von der hier erzählt wird, trug sich nach der Völkerwanderung im Gebiet der Slawen im heutigen Sachsenland zu.
Karl der Große (742 bis 814), Herrscher von Gottes Gnaden, den Gott mit der Erkenntnis der Wahrheit ausgestattet hatte, sah seine Mission in der Christianisierung der Ungläubigen. Die Politik des Frankenkönigs führte weit in die Zukunft. Dabei war seine Ostpolitik von großer Bedeutung.
Bereits 777 begann Karl der Große mit der Einteilung von Sachsen. Er setzte in den Gemarkungen fränkische Adlige als Grafen ein. Im Jahr 782 wurde er als „Sachsenschänder“, wegen des Blutbades von Verdun an der Aber bezeichnet.
Der Frankenkönig schenkte den Slawen mehr Aufmerksamkeit, als dem Sieg über die Sachsen. Er war sehr intensiv mit Kämpfen gegen die Slawen beschäftigt, aus denen er später erfolgreich hervorging.
Karls Name war für die slawischen Völker so beeindruckend, dass sie daraus das Wort König, „Kral“, bildeten. Karl der Große war für sie eine unerschütterliche Autorität.
Nach der Einverleibung von Bayern wurde das Frankenreich Grenznachbar der Böhmen. Karl der Große sicherte seine militärische und politische Macht im Südosten durch Marken ab, welche die Christianisierung bis in den kleinsten Ort vorantrieb. Danach setzte der Frankenkönig auch in den Gebieten der Sorben Markgrafen ein. Im ständigen Auf und Ab von Unterwerfung und Aufstand gingen viele Jahre der kriegerischen Auseinandersetzung ins Land.
Erst als Widukind, ein Sachsenführer sich im Jahr 785 taufen ließ, waren die sächsisch-fränkischen Auseinandersetzungen abgeschlossen. Aber erst im Jahr 802 gestand Karl der Große, nach der völligen Abkehr vom Heidentum, den Sachsen wieder alle Völkerrechte zu. Karl der Große strebte stets nach Wahrheit, Ordnung und Richtigkeit. Von seinen Vasallen verlangte er „Correctio!“
Im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts hatte Karl der Große mit seinen Liturgie- und Bildungsreformen die politische und glaubensmäßige Einheit Europas vollendet. Er führte eine einheitliche Währung ein, schaffte eine einheitliche Gerichtsbarkeit und vom Mittelpunkt seiner zentralen Verwaltung Aachen setzte er Normen für die deutsche Schrift und Grammatik durch. Unterstützt wurde Karl der Große aus Rom. Papst Hadrian I. (772 bis 795) kämpfte mit Karl dem Großen gegen die Langobarden und bestätigte Pippis Kirchenstaat (Vater von Karl dem Großen). Papst Leo III. (795 bis 816) floh 799 vor seinen Gegnern nach Paderborn und stellte sich unter den Schutz von Karl dem Großen dem Oberherrscher des Kirchenstaates. Aus Dankbarkeit krönte der Papst, Karl den Großen, am 25.12.800 zum Kaiser.
Auch Böhmen machte eine lange positive Entwicklung durch, die es zu Ruhm und Macht führte. Im Land zwischen der Weichsel und den Karpaten lebten viele Stämme und Geschlechter der Slawen, die ständig in Streit und Fehde lagen. Bis die Herzöge aus dem Geschlecht Czech und Lech beschlossen, mit ihren Stämmen neues Land zu finden, wo sie in Frieden Äcker bestellen und Rinder züchten konnten. Nach langem Suchen erreichten sie das Tal der Moldau.
Dieses fruchtbare Gebiet nannten sie nach einem ihrer Führer, Urvater Czech (auf Deutsch) Böhmen, das Land der Tschechen bzw. Böhmen. Nach dem Tode des Fürsten Czech wählten die Stammesältesten Krok zum neuen Herzog.
Er regierte das Land von seiner hohen Burg der ersten Festung an einer Furt der Moldau, dem Vyšehrad. Nach seinem Tod wurde Libuša, die jüngste seiner drei Töchter zur Fürstin gewählt. Sie war schön, anmutig, schlicht und sehr ernst in ihrem Wesen. Die Fürstin hatte in jungen Jahren bereits viele Visionen. Sie sah die Entstehung der Goldenen Stadt Prag, die Dynastien der Luxemburger und der Habsburger voraus.
Aber auch die Herrschaft der Böhmen über das Heilige Römische Reich kommen, das sich alle Fürsten und Lehen zu Untertan machen würde. Ihre Rechtssprüche erwiesen sich immer als gerecht, weise und weitsichtig. Aus der von ihr gegründeten Dynastie der Přemysliden, ging die von ihr vorausgesagte Dynastie der Luxemburger unter Karl IV. (1346-1378) hervor.
Dieser Herrscher war König von Böhmen und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der Prag zur Mutter aller europäischen Städte und der abendländischen Kultur machte.
Der Protagonist Drazdan wurde 782 im Sumpfwaldgebiet dem heutigen Dresden aufgefunden, umhüllt in ein Tuch, das zum Transport eines Schachspieles benutzt wurde und mit Symbolen der Tierkreiszeichen bestickt war.
Im Mittelpunkt waren zwei Schlangen wie eine Acht ineinander verschlungen, sie symbolisieren die Gefahr und Unendlichkeit. Noch heute hat das tschechische Volk Respekt vor dieser Zahl die viele Veränderungen mit sich brachte.
Für das tschechische Volk ist die Acht eine Schicksalszahl. (Gründung der Tschechischen Republik 1918, Unglücksjahr 1948, der Prager Frühling 1968 und 1988 die Revolution)
Selbst auf den aktuellen Geldstücken findet der aufmerksame Betrachter im Wappenzeichen eine Acht!
Drazdan genoss die Privilegien, von einem Feldherrn des Frankenkönigs aufgenommen zu werden und unter den ersten Kindern im Römischen Reich eine Schulausbildung zu erhalten. Während Karl der Große selbst weder schreiben noch lesen konnte, führte er die Bildung für arme und reiche Knaben ein. Mit seinem Wissen und Können konnte das Findelkind aus dem Sumpfwaldgebiet die Zukunft logisch konstruieren. Seine vornehme Abstammung gab ihm die Möglichkeit Völker zu einen und mit dem jeweiligen Herrscher zu kommunizieren.
Das Einzige, was von der Legende blieb, ist die böhmische Bezeichnung Drazdany, die Stadtbezeichnung Dresden, für das ehemalige Sumpfwaldgebiet.
Es ist ein schöner Maiabend im Jahr 782. Friedlich, nur von Westen her und nicht minder auch vom Osten ziehen drohende Wetterwolken auf. Graf Wenzel, Vasall von Karl dem Großen, beobachtet von der Burg in der sorbischen Mark besorgt die Truppenbewegung der Kriegsparteien. Seine dunklen Augen, die meist lustig in die Welt schauen, verfinstern sich unter den starken Brauen.
Das Gelände um die Burg herum wird seit Tagen umlagert. Auf dem westlichen Hügel steht die Legion des Frankenkönigs unter dem Kommando von Graf Adelbert und auf dem südlichen Hügel warten die Sachsen auf ihre Chance, um das Gebiet zurückzuerobern.
Da erscheint eine weiße Gestalt auf der Schwelle, wie ein Bild eingerahmt in den zwei Wandpfeilern des Tors. Es ist Ludmilla die Gattin des Grafen. Im Arm, an dem Busen geschmiegt hält sie einen Säugling. Und schon schwebt sie heran, vorsichtig das Kind auf dem linken Arm noch etwas höher schiebend. Als sie den bedrohlichen Ausdruck im Gesicht ihres Gatten sieht, ergreift sie Angst. Ihr in langen Locken herunter wallendes blondes Haar, leuchtet in der untergehenden Sonne wie Gold. Ein weißes Gewand aus Linnen, geschmückt mit einer Silberspange umspielt ihre zierliche Figur. Graf Wenzel eilt ihr mit raschen Schritten entgegen, löst sorglich das schlummernde Kind aus ihrem Arm und drückt es Abschiednehmend an sich.
Nachdem er das Kind der Mutter wieder anvertraut hat, umarmt er sie und trocknet mit seinen Küssen ihre Tränen, danach schiebt er sie sanft von sich.
„Du bist hier deines Lebens nicht mehr sicher, reise nach Böhmen auf die Burg unserer Ahnen, ich werde dir in wenigen Wochen folgen.“
„Warum schützt uns der König nicht, der uns die Burg als Pfand für die Freundschaft zwischen Böhmen und Franken anvertraut hat?“
„Der ist froh, wenn die Sachsen nicht zu ihm in die Pfalz ziehen. Er kümmert sich längst nicht mehr um unser Gebiet, denn mit Böhmen hat er Frieden geschlossen.
Besiegelt wurde der Frieden mit der Eheschließung des fränkischen Grafen Adelbert mit meiner Schwester Helena.“
„Liebster ich vertraue auf dein Wort und nur zum Schutz unseres Kindes werde ich dich verlassen“, antwortet Ludmilla unsicher, im Herzen tieftraurig.
*
Eines Tages hört die alte Kräuterfrau Agnes am Ufer der Elbe ein leises Weinen. Neugierig nähert sich die Frau der Stelle. Sie entdeckt tief im Schilf versteckt und auf Rosenblättern gebettet, einen Säugling.
Das Kind ist in ein Tuch gehüllt das aus Seide ist, worauf mit Goldfäden Tierzeichen gestickt sind. In der Mitte befinden sich zwei Schlangen die sich zu einer Acht vereinen. Um die Schlangen herum kreisen Symbole des Himmels; Mars, Venus, Saturn, Merkur, die Sonne und der Mond.
Die Frau spürt sofort, das Kind ist etwas Besonderes. Das Findelkind, mit Augen so blau wie Vergissmeinnicht, spricht ihr gutes Herz an. Agnes nimmt es auf den Arm und trägt das Kind in eine armselige Hütte. Ihre Behausung steht auf einer Lichtung mitten im Wald, umgeben von Sümpfen. (Heute befindet sich auf dem Platz eine Kirche, die den Frauen gewidmet ist.)
Es ist eine schlimme Zeit. Die Menschen bekämpfen sich gegenseitig um Land zu erobern. Frauen leben in Angst um ihre Männer. Die Kämpfe werden mit Schwertern und Lanzen ausgeführt. Die Kräuterfrau betrachtet das Kind und findet heraus, dass es ein sechs Monate alter Knabe ist.
Der Knabe trägt ein Hemdchen aus feinem Tuch und er hat ein Muttermal auf dem Rücken, einem Flügelpaar gleich.
„Dich möchte ich gern bei mir aufnehmen.“
Kopfschüttelnd darüber wer so ein herziges Kind aussetzt, bereitet sie ihm ein Lager aus Stroh.
Der Knabe beobachtet jede Bewegung der lieben Alten und brabbelt fröhlich, Unverständliches vor sich hin.
„Wie magst du nur heißen mein kleines Engelchen? Ich werde dich Sumpfwaldeingeborener rufen.“
Daraufhin hört Agnes eine Stimme, die ihr das Gesagte bestätigt.
„Drazdan!“
Agnes hält erstaunt inne.
„Du kannst schon sprechen?“
Immer wieder brabbelt das Kind das Wort vor sich
hin, bis es übermüdet einschläft.
Nachdem Agnes dem Kind Ziegenmilch zu trinken gibt, strahlen sie die blauen Augen des Knaben dankbar an. Der Frau wird es warm ums Herz.
Der nächste Tag dämmert schon und die Vögel veranstalten ein Morgenkonzert. Die Frau hat die ganze Nacht am Lager des Knaben gewacht. Drazdan öffnet schlaftrunken seine Augen. Als er das durchfurchte, liebevolle Gesicht der Frau sieht, strahlen seine Augen. Agnes fühlt sich um Jahre jünger und all ihre Kräfte ziehen in ihren geschundenen Körper wieder ein.
Sie nimmt das Kind auf den Arm, läuft über die Lichtung am Sumpf vorbei zum Fluss um das Körbchen, worin das Kind gelegen hat zu suchen.
Auf dem Weg zum Fluss sieht sie plötzlich Bäume, die viele Äpfel tragen. Noch nie vorher hat Agnes so eine reichliche Pracht gesehen.
„Drazdan, du hast ein Wunder vollbracht. Ich kann plötzlich die Natur und seine Früchte wieder sehen und genießen“, ruft sie erfreut aus. Andere Frauen eilen herbei. Sie sehen erstaunt die Veränderung in Agnes Gesicht und ihren sicheren aufrechten Gang. Die Nachricht von dem ungewöhnlichen Findelkind verbreitet sich schnell in den Hütten im Flusstal des Sumpfwaldgebietes. Agnes streicht zärtlich über den Kopf von Drazdan und sagt zu ihm, „sieh alle sind gekommen, um dich bei uns Willkommen zu heißen!“
Der Knabe lächelt verheißungsvoll, hebt sein Köpfchen um die Besucher aus seinem Körbchen zu sehen. Danach gähnt er herzhaft und schläft ein.
„Was für ein schönes Kind! Wir müssen die Eltern suchen um einen Finderlohn zu erhalten!”, raunen die Frauen sich zu. Zu Agnes heucheln sie, „herzlichen Glückwunsch! Alles Gute für dich und das Kind!“
*
Wochen und Monate vergehen, ohne dass sich die leiblichen Eltern des Findelkindes melden. Als der Knabe fast drei Winter zählt, geht er seiner Pflegemutter beim Äpfel pflücken zur Hand. Mutter Agnes lehrt ihm Kräuter zu sammeln und Tiere zu verstehen. Drazdan muss tausend Dinge im Wald kennen und den gefährlichen Sumpf meiden lernen. Alles was er allein entdeckt, hinterlässt einen gewaltigen Eindruck oder versetzt ihn in ein wahres Entzücken. Drazdan spricht mit den Tieren und erzählt ihnen Geschichten über eine ferne Zukunft.
„Passt auf, meine treuen Freunde! Ich sage euch, hier wo wir heute sitzen wird in ferner Zeit eine Mauer errichtet werden, um die Hütten aus Stein vor den Fluten des Flusses zu schützen. Ein Herrscher wird sich mit seinem Gefolge da niederlassen und eine neue schöne Burg bauen. Menschen werden für ihn schwer arbeiten. Der Herrscher ist gierig und unersättlich, er wird einen Mann zwingen, für ihn aus Erde Gold zu machen.“
Agnes hört eines Tages zufällig was Drazdan den Waldtieren berichtet.
„Drazdan, was redest du da? So etwas wird es nie geben. Pass auf, dass die Frauen dein Geschwätz nicht hören. Sie werden uns beim Herrscher verklagen und von hier vertreiben!“
Der Knabe fühlt sich entdeckt und von seiner Pflegemutter falsch verstanden. Ihm laufen dicke Tränen über die Wangen.
„Mütterlein ich spreche die Wahrheit!“
Aus Angst vor der Entdeckung sperrt Agnes den Knaben mehrere Tage in den Stall ein. Abends hört sie Drazdan mit der Ziege und den Mäusen reden.
„Und ich werde recht behalten. Hier wo wir heute sitzen wird ein Haus mit einem Turm erbaut werden und eine Glocke die Menschen zum Gebet rufen! Wenn es schneit und der hellste Stern am Himmel steht, wird an dieser Stelle ein großer Wagen mit vielen Pferden, einen großen süßen Brotlaib ziehen. Der Herrscher wird das Brot zerschneiden und an sein Volk verteilen!“
Die Ziege meckert Drazdan zustimmend an. Nachdem sein Stallarrest zu Ende ist, setzt Drazdan seine Spaziergänge durch den Wald fort. Im tiefen Sumpfwald leben keine Menschen, niemand traut sich in dieses unheimliche Sumpfgebiet. Lediglich in der Nähe des Flusses an der Furt, lassen sich Siedler nieder. Nachdem immer mehr Siedler sich mit Ackerbau und Viehzucht ihren Unterhalt verdienen, werden weitere Sümpfe trocken gelegt und Wald gerodet.
Drazdan wagt sich tiefer in den Sumpfwald. Dabei erlebt er das eine oder andere gefährliche Abenteuer. Die Tiere begrüßen ihn freundlich und er antwortet in ihrer jeweiligen Sprache. Eines Tages findet der Knabe einen verlassenen Wolfswelpen.
„Dir geht es wie mir mein kleiner Freund, ich habe auch meine Eltern verloren“, spricht er vertrauenerweckend auf das verängstigte Tier ein. Von diesem Tag an werden das Findelkind aus dem Sumpfwald und das Wolfsjunge unzertrennliche Freunde. Drazdan nennt seinen vierbeinigen Begleiter Artus. Ihn kann er ungestraft all seine Träume und Visionen erzählen. Der Wolf spitzt bei den Erzählungen verstehend seine Ohren und leckt Drazdan dankbar mit seiner rauen Zunge die Hände oder knurrt, wenn dem Knaben Gefahr droht. Gemeinsam durchstreifen sie die Wälder und Sümpfe, steigen auf den Berg hinter dem die Sonne aufgeht. Vom Gipfel kann Drazdan weit ins Land sehen. Der Fluss schlängelt sich durch den Sumpfwald an Felsen und Bergen vorbei.
Drazdan sieht Bäume die hoch in die Luft ragen und so stark mit Laub bewachsen sind, dass die Sonne kaum einen Strahl auf den Waldboden werfen kann. Wieder hat der Knabe eine Vision, die er seinem treuen Freund Artus mitteilt.
„Hier werden Männer mit einem Federkiel das wunderschöne Bild der Natur einfangen und es an die Hüttenwände hängen. Andere Männer werden die mächtigen Bäume fällen, die Sümpfe trocken legen, aus den Bächen die glänzenden Steine holen, die Felsen brechen und dort an der Furt auf der Lichtung von Mutter Agnes Hütte eine gewaltige Siedlung bauen.” Er hebt die rechte Hand und spreizt die Finger über seinen Kopf, dann nimmt er die linke zu Hilfe und erhebt noch zwei Finger, so viel Wege werden über den Fluss führen.
Es darf kein Mensch aufbegehren und einen weiteren Weg suchen, dieser bringt Unglück und Streit. Glocken werden dort über das weite Land Freude und Tod verkünden!“
Je weiter sie sich östlich durch das Dickicht zwängen, umso üppiger wird die Vegetation. An den Berghängen wachsen süße Trauben und in den Bächen findet Drazdan glänzende Steine, die er Agnes mitbringt. Agnes bekommt für die Trauben und die Steine; Korn, Fisch und neidvolle Blicke der anderen Frauen.
Wieder einmal ist Drazdan mit Artus zu einer Wanderung aufgebrochen. Am Abend kehrt er müde zurück, voll mit Gaben bepackt mit seinem vierbeinigen Begleiter. Vergeblich sucht er seine Pflegemutter in der Hütte und auf der Lichtung. Agnes kommt auch nicht am nächsten und den darauf folgenden Tagen zurück.
Drazdan macht sich mit dem Wolf auf die Suche nach ihr. Am Fluss spielen Kinder, als sie das Findelkind und den grauen Wolf sehen, laufen sie ängstlich davon. Männer mit Stangen eilen herbei und schlagen auf Drazdan und seinen Wolf ein. Danach lässt die wilde Horde den schwer verletzten Knaben und den von ihnen als Tod geglaubten Wolf liegen.
Drazdan hört wie ein Bauer sagt, „das ist das Findelkind der Kräuterhexe, die verbrannt wurde!“
Drazdan weint die ganze Nacht um Agnes. Am Morgen schleppt er sich in Begleitung seines verletzten Wolfs in ein Dickicht. Der Wolf leckt seine Wunden und Drazdan nutzt die Erkenntnis von Agnes, sich mit Pflanzen zu heilen. Bis sie vollständig genesen sind, verstecken sich Drazdan und der Wolf im Sumpfwald in einer Felsenhöhle.
*
Eines Tages durchqueren fremde Reiter auf Beutezug das Gebiet. Sie wollen ein Standlager errichten, um von da aus das Land nach allen Richtungen zu durchstreifen. Der Frankenkönig hat ihnen aufgetragen die heidnischen Stämme an den christlichen Glauben zu führen. Das Knurren des Wolfs zeigt Drazdan, dass die Fremden immer näher kommen. Der Knabe drückt sich ganz tief auf den Boden. In gebückter Haltung flüchtet er vor den Männern. Dabei achtet er nicht auf die riesigen Wurzeln auf dem Boden und verstaucht sich den Fuß. Drazdan quält sich auf allen Vieren durch ein Dornengestrüpp und der Wolf tut es ihm gleich.
Der Knabe tritt auf einen Ast, der unter seinem Gewicht laut kracht und zerbricht. Rasch ist ein Späher von seinem Pferd auf den Boden gesprungen und hat den verwundeten Knaben entdeckt. Der Wolf kann im letzten Moment flüchten. Das schlaue Tier beobachtet das weitere Geschehen aus sicherer Entfernung. Drazdan schließt vor Schmerz und aus Angst vor den Fremden seine Augen und fällt in Ohnmacht. Als der Knabe aus seiner Ohnmacht erwacht, liegt er auf einem Strohlager in der Ecke eines Führerzeltes. Aus den halb geschlossenen Augen kann er mehrere Männer, die an einem Kartentisch stehen, beobachten. Drazdan sucht seinen Wolf vergebens. Ein stattlicher Mann von etwa dreißig Jahren tritt ein.
Die Männer am Tisch erheben sich. Der Mann nickt ihnen zu und begibt sich direkt zu dem Lager, auf dem Drazdan ruht. Der Fremde beugt das wohl gebildete, gebräunte Antlitz über den Schlafenden und betrachtet ihn mit Interesse. Zu seinem Gefolge gewandt fragt er, „ist das der Knabe, der hingerichteten Kräuterhexe?“
Die Männer nicken zustimmend.
„So, so, du bist also der Wunderknabe und Seher? Wo ist dein Begleiter der graue Wolfshund, an dem ich dich erkennen soll, wie es mir das Orakel versprochen hat? Ich werde dich aufnehmen, dann können mir deine Kräfte dienen.“
Daraufhin kehrt der Anführer zu seinen Begleitern an den Tisch zurück.
„Adelbert, du versündigst dich“, ruft ihm sein Begleiter Benno besorgt zu.
„Glaubst du an den Blödsinn, dass dieses Kind der Seher ist mit einem grauen Wolf, den ich bisher noch nicht einmal entdeckt habe?“, bekräftigt auch der zweite Begleiter Bruno die Worte von Benno.
„Der Knabe bringt jedem Unglück. Seine Eltern, aus irgendeinem Geschlecht der Ungläubigen wurden hinterrücks ermordet. Die Pflegemutter als Hexe verbrannt und du wirst um ihn viel Leid ertragen müssen!“, redet ihm Benno ins Gewissen.
„Lasst die Unkerei, ich habe mir den Knaben seit ich von seiner Existenz weiß, in den Kopf gesetzt und das werde ich durchsetzen. Diesen Wunderknaben werde ich zu meinem Knappen ausbilden und den Wolf zum Haushund machen!“, antwortet Adelbert verärgert. Nur er ist der geschickte kriegskundige Führer den der Frankenkönig nach Osten ausgesandt hat, deshalb duldet er keinen Widerspruch.
*
Der fränkische Graf Adelbert und seine Gattin aus dem böhmischen Geschlecht der Lech leben glücklich miteinander. Ihre Verbindung ist von Gottes Gnaden und dem Wort des Königs, ein Garant für den Frieden zwischen den Franken und den Böhmen. Das Ehepaar hat keine Kinder und wie sie Jahr um Jahr darauf vergebens warteten, wurde das Herz von Adelbert hart und böse. Der Graf ließ alle Doktoren des Reiches aufbieten, um Rat einzuholen wie seine Kinderlosigkeit beigelegt werden könne.
Ein Mönch sagte voraus, dass Graf Adelbert in einem Sumpfwaldgebiet den Knaben der sein Herz erwärmen wird, finden werde.
Der Graf lässt für den Frankenkönig Wälder roden und Burgen bauen. Die Hütten der eroberten Gebiete der Slawen und Sachsen brennt er nieder und errichtet dort Pferdeställe und Wirtschaftsräume.
Wenn er Lust zum Jagen verspürt, reitet er die bestellten Felder nieder und nimmt den Bauern das Vieh weg um es der Jagdgesellschaft zum Schmaus zu präsentieren. Seine stetigen Begleiter Bruno und Benno warnen ihn.
„Adelbert merke wohl auf dein Tun! Du versündigst dich gegen den Schweiß und das Blut der Sachsen und Slawen!“
Adelbert entgegnet unbeeindruckt, „sollen sie sterben, wenn nur unser König und mir Wohl geschieht!“
Kurz nach dem Streit verlassen die drei Vasallen des Frankenkönigs in verschiedene Richtungen das Zelt. Drazdan ist allein und hat genügend Zeit sich umzusehen. Er öffnet seine Augen und grübelt. Was meint der Ritter mit dieser sonderlichen Rede? Warum haben die Menschen Angst vor mir? Dieser Graf Adelbert sorgt sich um die Worte seiner Berater nicht. Drazdan pfeift leise wie ein Zaunkönig. Kurz darauf spürt er einen leichten Luftzug, dann steht der Wolf vor seinem Lager. Drazdan teilt dem Wolf das Gehörte mit und dass er bei ihm bleiben kann. Der Wolf legt sich verstehend zu des Knaben Füßen und bewacht seinen Schlaf. Am nächsten Tag tritt Graf Adelbert wieder an das Lager des Knaben.
Der Wolfshund hebt verschlafen seinen Kopf und mustert den Mann, dann senkt er wieder den Kopf und zeigt, dass er Vertrauen hat.
„Guten Morgen! Ich sehe dein vierbeiniger Freund hat sich zu uns gesellt und mich akzeptiert“, begrüßt der Ältere den Knaben freundlich.
„Guten Morgen“, antwortet Drazdan unsicher auf Artus blickend.
Dieser wedelt zustimmend mit dem Schwanz.
Der Junge mustert seinen Gastgeber. Der stattliche Mann trägt sein gewelltes Haar schulterlang, ein Vollbart ziert das ebenmäßige Gesicht mit den braunen Augen und der Einfluss erweckenden Falte zwischen den Augenbrauen. Der Graf zeigt eine große Sympathie zu dem Knaben, der aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Auch der Wolf benimmt sich das erste Mal zu einem Fremden freundlich.
„Hast du Pläne für deine Zukunft?“, fragt Adelbert seinen kleinen Gast.
„Ja ich will den Menschen beistehen“, entgegnet ihm der aufgeweckte Junge.
„Das ehrt dich. Nur meine ich das nicht. Hast du bei deiner Pflegemutter etwas Nützliches gelernt?“ , schmunzelt Graf Adelbert.
„Ich kann Pflanzen und Früchte hegen und pflegen, Wunden heilen und Hunger stillen”, antwortet Drazdan aufrichtig.
„Das ist gut aber auch das meine ich nicht.
Du scheinst von edler Abstammung zu sein, deshalb werde ich dich zu meinem Knappen machen und dir das Kriegshandwerk beibringen! Du musst mir dienen und meine Anweisungen befolgen, dafür erhältst du von mir Essen für dich und den Wolf sowie Kleidung.“
Drazdan fühlt, dass er keine Chance hat zu widersprechen. So entgegnet er diplomatisch, „wenn sie meinen, Herr Graf!“
„Ich habe nichts anderes als Dankbarkeit von dir erwartet“, stellt der Graf fest.
„Ja, ja!“, murmelt Drazdan trotzig.
„Was soll das heißen, keine Dankbarkeit für mein Entgegenkommen? Du bist ein schlecht erzogener Knabe, das werde ich als Erstes ändern“, stellt Adelbert resolut fest. Dabei denkt der Mann bereits darüber nach, den Knaben an Kindesstatt anzunehmen. Seine Frau, die er aus einem Geschlecht der Böhmen des Friedens Willen geehelicht hat, kann ihm keine Kinder schenken. Eigentlich könnte er sie dafür verstoßen.
Er empfand bereits bei der ersten Begegnung, dass der Knabe kein Fremder für ihn ist. Graf Adelbert will ihn streng und gerecht erziehen und dafür sorgen, dass dem Knaben kein Ungemach zustößt. Er hörte vor Tagen von dem Schicksal der Kräuterfrau, die sich des Findelkindes angenommen hatte. Sie wurde dafür bestraft, weil das Findelkind in dem Ruf steht ein Wunderknabe und Seher zu sein.
In diesem Moment tritt ein Mann der Schildwache in das Zelt und kündigt einen Fremden an. Nach dem Ankömmling gefragt, meint der Wächter es sei ein Bote vom Frankenkönig. Der Bote eilt ins Zelt, macht seine Ehrenbezeugung und wartet auf eine Ansprache.
„Was bringst du uns für eine Nachricht?“
„Der König erwartet alle Königsboten in seiner Pfalz Ingelheim um einen Hoftag abzuhalten. Er wünscht weiter, dass die Grafen Benno und Bruno derweilen weiter zum Vyšehrad vordringen und mit den Fürsten der Böhmen über weiteres Land verhandeln.“
Graf Adelbert der einen Schluck Wein zu sich genommen hat, verschluckt sich weil er verärgert eingeatmet hat.
„Ich habe jetzt genug! Was denkt sich der König. Erst werde ich genötigt eine Frau seiner Wahl zu heiraten, die mir meinen Kinderwunsch nicht erfüllt und nun soll ich gegen ihr Geschlecht auch noch intrigieren!“, ruft er erzürnt.
„Schon in den nächsten Tagen werde ich an den Hof des Königs zurückkehren um ihm meinen Standpunkt klar zu machen!“
Gegen die Warnungen seiner Begleiter bricht Graf Adelbert mit dem Findelkind im Morgengrau auf. Einige Tagesmärsche trennen ihn von seiner Burg. Als die Gräfin Helena am Morgen zur Messe gehen will, steht unerwartet ihr Gatte freudestrahlend im Burghof. An der Hand hält er einen lieblichen Knaben. Die Gräfin ist darüber sehr erstaunt, weil das fremde Kind ihr vertrauensvoll die zarten Fingerchen entgegenstreckt. Sie kann ihre Rührung nicht verbergen. Tränen laufen über das schöne Gesicht der vornehmen Frau. Mit Worten die ihr Herz spricht, sagt sie, „da mir ein Kindersegen nicht vergönnt wurde, will ich dich gern aufnehmen!“
Graf Adelbert findet mit dem Findelkind seine Offenherzigkeit wieder.
Die Gräfin erhält eine Einladung des böhmischen Herzogs Krok auf die Burg Vyšehrad. Graf Adelbert kann seine Gattin nicht nach Böhmen begleiten, weil der König ihn dringend zum Hoftag beordert hat. So reisen die Gräfin, der Knabe und ihr Gefolge unter dem Schutz der Gefolgsmänner Benno und Bruno nach Böhmen. Es ist ein sehr weiter Weg zur Burg des böhmischen Landesfürsten. Gräfin Helena und ihr Gefolge begeben sich vom Westen her kommend, durch die weiten unwegsamen Wälder Böhmens zum Hof des Böhmenfürsten.
Die Reisenden, zwei Männer, zwei Frauen und ein Kind sind alle beritten. Planwagen, deren sich üblicherweise reisende Frauen mit Kindern bedienen, können die üppige Wildnis nicht befahren. Sehr behutsam reitet der Tross, denn die Gefahr ist zu groß, dass die Pferde über Wurzeln und Schlingen stolpern könnten.
Die Nächte verbringen die Frauen und das Kind in einem Zelt, während die Männer am Feuer sitzend, sie bewachen und vor wilden Tieren schützen. Sehr aufmerksam spürt der Wolfshund jeden Eindringling auf.
Das Kind schmiegt sich schutzsuchend an Helena und äußert die Bitte, dass sie ihm etwas über den Böhmenfürsten erzählen möge.
„Gern erzähle ich dir die Geschichte meines Volkes, das nun auch dein Volk ist. Zuerst werde ich dir erzählen wie unser Stamm dieses Land fand und wie das Land zu seinem Namen kam.“
Und so beginnt sie zu erzählen.
„Nach der Erzählung unseres Stammes irrte der Praotec Czech, unser Urvater mit seinem Gefolge von Osten kommend durch die Landschaften um eine neue Heimat zu finden. Er suchte eine fruchtbare, von niemandem bewohnte Gegend.
Der Stamm mit Urvater Czech an der Spitze, überquerte die Oder, die Elbe und schließlich die Moldau. Hier erblickte er den einsamen, aus der Ebene herausragenden Berg Rip. Unser Urvater bestieg den Berg und beim Anblick der großen Ebene zu seinen Füßen sagte er zu seinem Stamm;
»Seht, das ist das Land, das wir gesucht haben. So oft habe ich euch versprochen, dass ich euch hierher führen werde. Hier ist das versprochene Land, voll Wild und Vögel, in dem süßer Honig und Milch in Überfluss sind. Hier werdet ihr ohne Mangel leben und eine gute Verteidigung gegen Feinde finden.
Nachdem er sein Gefolge fragte wie denn diese neue Heimat heißen solle, riefen alle, wie du! «
So kam Böhmen zu seinem Namen.“
„Und wie ging es weiter mit dem Urvater Czech?“, ist der wissbegierige Knabe neugierig geworden.
„Einige Zeit nachdem man sich zu Füßen des Rip niedergelassen hatte, beschloss der Bruder des Czech, Lech, mein Urgroßvater mit einem Teil seiner Sippe weiter zu ziehen. Er wanderte in Richtung Norden, überquerte viele Berge und ließ sich in einer fruchtbaren Ebene nieder.
Mein Großvater blieb bei Czech. Nach dem Tode des Urvaters Czech, übernahm mein Onkel Krok die Stammesgeschäfte und ist beliebt in unserem Volk. Er hat drei Töchter, die Jüngste und Klügste ist Libuša.