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Lauert ein Monster in den eigenen Reihen? Der düstere Thriller »Dunkle Wut« von Michael Katz Krefeld jetzt als eBook bei dotbooks. WENN ER SIE AUFFLIEGEN LÄSST, VERLIERT SIE ALLES! Eines späten Nachts trifft die frischgebackene Hauptkommissarin Cecilie Mars eine fatale Entscheidung, die weitreichende Konsequenzen hat. Ihr Fehltritt wurde beobachtet und gefilmt, und jetzt droht ihr eine anonyme Person, alles auffliegen zu lassen, wenn sie nicht seine furchteinflößende Agenda befolgt. Cecilie wird in einen unheimlichen Plan von Selbstjustiz hineingezogen, der zum Nachdenken zwingt, wie weit sie zu gehen bereit ist, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Gleichzeitig wächst in ihr das Gefühl, dass derjenige, der sie bedroht, in ihrem unmittelbaren Umfeld zu finden sein muss. Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Dunkle Wut« von Michael Katz Krefeld ist der erste Band seiner dänischen Thriller-Serie mit der toughen Cecilie Mars und wird alle Fans von Stieg Larsson begeistern. Das Hörbuch ist bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 417
Über dieses Buch:
Eines späten Nachts trifft die frischgebackene Hauptkommissarin Cecilie Mars eine fatale Entscheidung, die weitreichende Konsequenzen hat. Ihr Fehltritt wurde beobachtet und gefilmt, und jetzt droht ihr eine anonyme Person, alles auffliegen zu lassen, wenn sie nicht seine Furcht einflößenden Agenda befolgt. Cecilie wird in einen unheimlichen Plan von Selbstjustiz hineingezogen, der zum Nachdenken zwingt, wie weit sie zu gehen bereit ist, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Gleichzeitig wächst in ihr das Gefühl, dass derjenige, der sie bedroht, in ihrem unmittelbaren Umfeld zu finden sein muss. "Dunkle Wut" ist ein selbstständiger Großstadt-Krimi um Hauptkommissarin Cecilie Mars.
»Dunkle Wut« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Michael Katz Krefeld ist einer der meistgelesenen dänischen Krimiautoren und hat für seine Bücher zahlreiche Preise erhalten. Besonders bekannt ist er für die internationale Bestseller-Serie um Detektiv Ravn.
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eBook-Ausgabe Februar 2024
Die dänische Originalausgabe erschien erstmals 2023 unter dem Originaltitel »Mørket Kalder« bei SAGA Egmont, Kopenhagen.
Copyright © der dänischen Originalausgabe 2023 Michael Katz Krefeld und SAGA Egmont
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2023 SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-922-2
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Michael Katz Krefeld
Dunkle Wut
Ein Cecilie-Mars-Thriller
Aus dem Dänischen von Roland Hoffmann
dotbooks.
»Ich nehme an ihnen gewaltige Rache, mit grimmigen Strafen. Dann werden sie erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich mich an ihnen räche.«
Hesekiel 25, 17.
Für Lis, meine schöne Gattin und beste Freundin.
Kopenhagen
Fie sah den Drachen vor sich. Von seinem Platz seitlich an seinem Hals hatte er sie mit offenem Rachen angestarrt. Er bewegte sich im Takt mit seinem Körper, als er in sie stieß. Tiefe, penetrierende Stöße. Wieder und wieder. Ohne Gnade hatte der Drache auf sie herabgeblickt, mit demselben Reptilblick wie sein Besitzer. Es war ein alter Drache. Viel älter als ihre achtzehn Jahre.
Unter der spärlichen Straßenbeleuchtung wankte sie davon in Richtung der Betonsilos von Bellahøj. Die heruntergekommenen Hochhäuser türmten sich um sie auf, und sie stützte sich an einen Laternenmast, um nicht zu fallen. Das kühle Metall an der Handfläche erinnerte sie an das glänzende Messer, das er ihr ans Auge geführt hatte. Zickenfotzen bekommen das hier. Sie ging weiter den öden Weg entlang, an dessen Ende ihr Hauseingang lag. Sie passierte den Basketballplatz mit den flatternden Netzen in den Körben. Ihre Hände zitterten unkontrollierbar, und nur mit Mühe bekam sie den Schlüssel aus ihrer Jackentasche. Als sie die Tür aufgeschlossen hatte, ging sie hinein zum Aufzug und öffnete dessen Tür. Der enge Raum starrte sie an, und sie schnappte nach Luft. Sie spürte sein Gewicht auf sich und den eisernen Griff um ihren Hals. Ihr war schwarz vor Augen geworden, und der Schrei nach Hilfe war verstummt, ehe er die Kehle erreichte. Bebe … bebe, war das Einzige, was sie herausbekommen hatte. Ein Stammeln, das ihn hatte lächeln lassen. Ihn erregt hatte, sodass er ihr die Hose heruntergerissen hatte. Kaltes Gras an ihren Arschbacken. Raue Tabakfinger an ihrer Öffnung. Du bist sooo glatt. Danach ein schneidendes Gefühl in ihrem Schritt. Bis hinauf zum Zwerchfell. Den Bruchteil einer Sekunde hatte sie geglaubt, dass sein Messer und nicht sein Glied in ihr war. Nimm das. Nimm das du … gei… les … au … Vor Erregung hatte er sich verhaspelt.
Sie ließ die Aufzugtür los und wandte sich zur Treppe. Jeder Schritt tat weh. Erinnerte sie an seine Stöße, auf die ein Grunzen folgte. Ein Geräusch, das jetzt ihren Kopf erfüllte und im Treppenhaus widerhallte. Sechs Stockwerke hinauf, 108 Stufen. Eine Ewigkeit wie die, die sie in der dunklen Landschaft des Parks zusammen mit dem Drachen erlebt hatte.
Sie schloss die Wohnungstür auf und schlich durch den Flur. Aus dem Schlafzimmer war die verschlafene Stimme ihrer Mutter zu hören. »Bist du es, Fie?« Gefolgt von einem: »Oh, ist ja ganz schön spät geworden, was?«
Fie ließ ihre Tasche und ihre Jeansjacke im Flur fallen. Im Schlafzimmer wurde Licht gemacht, und sie hörte das Bett knarren, als ihre Mutter aufstand. Fie eilte durch den Gang zum Badezimmer. Sie schloss hastig die Tür und verriegelte sie. Einen Moment später konnte sie die Umrisse ihrer Mutter durch die mattierte Scheibe sehen.
»Ist dir nicht gut?«, fragte sie.
Fie antwortete nicht.
»Alles in Ordnung?«
»Ja … ja«, brachte sie mühsam hervor.
»Bist du besoffen?«
»Nein … nur ein bisschen.«
Von der anderen Seite der Tür war ein Stöhnen zu hören. »Wir haben Oma versprochen, früh da zu sein, Fie!«
»Ja, ja … gute Nacht, Ma.«
»Nacht, Süße.« Einen Augenblick später wurde die Tür zum Schlafzimmer geschlossen.
Fie stellte sich vor das Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Am Hals erstreckten sich die Blutergüsse, und unter dem linken Auge hatte sie eine Schramme von seinem Messer. In ihrem schwarzen und verfilzten Haar funkelten die Grashalme neongrün. Ihr Gesicht war vom Weinen geschwollen. In dem leeren Blick und dem offenen Mund mit den bebenden Lippen saß immer noch der Schock. Sie ekelte sich vor sich selbst. So erbärmlich, dachte sie bei ihrem Anblick. Sie wandte ihren Blick vom Spiegel ab und zog sich schnell aus. In ihrem Slip waren Spuren von frischem Blut, und sie spülte ihn aus, ehe sie die ganze Kleidung in den Wäschekorb warf. Sie bemerkte den kleinen Perlengeldbeutel, der aus der Vordertasche ihrer Hose herausschaute. Du bist doch keine kleine Petze, oder? Er hatte ihre Gesundheitskarte mit ihrer Adresse darauf genommen. Sie gewarnt, irgendjemanden etwas zu erzählen. Wenn sie das täte, würde er mit seinem Messer vorbeikommen. Sie hatte ihm versichert, dass sie nichts sagen würde. Er hatte gelächelt und ihr einen Zweihundertkronen-Schein in den Geldbeutel gesteckt. Hier hast du was für ein Taxi, Süße, oder etwas Schönes morgen. Sie hatte nichts kapiert. Er hatte ihr zugeblinzelt, oder aber der Drache am Hals hatte das getan, ehe sie beide in der Dunkelheit verschwanden. Sie nahm den Geldschein aus dem Geldbeutel und zerriss ihn in kleine Stückchen, die sie in die Kloschüssel warf. Sie betätigte die Spülung und sah zu, wie die Fetzen im wirbelnden Wasser verschwanden. Morgen würde alles weg sein. Morgen würde sie aufwachen und alles vergessen haben.
Es war früh am Abend, und die Sportbar in der Vester Voldgade war brechend voll. Der große Raum hallte wider von 80er-Pop und Rufen der Gäste, die das Champions-League-Spiel auf dem Großbildschirm verfolgten. Am anderen Ende der Bar erstreckten sich zwei Reihen mit Billardtischen. Sie waren voll belegt, und um die Tische wurde viel getrunken, während die Spieler darauf warteten, dass sie dran waren.
Am hintersten Tisch machte sich Cecilie Mars bereit für ihren Stoß. Sie war schmächtig, nicht besonders groß, und sie musste auf Zehenspitzen stehen, um über den Tisch zu reichen. Sie blies sich ihren Pony aus den Augen. Die drei Männer rund um den Tisch standen mit einem Krug Bier in der Hand da und betrachteten sie schweigend. Cecilie stieß hart gegen die weiße Kugel, die mit einem Knall die lila Kugel traf, welche in gerader Linie zum entferntesten Loch in der Ecke rollte. Die Kollision ließ gleichzeitig die weiße Kugel seitlich laufen und die schwarze treffen. »Nein, nein, nein«, sagte Cecilie, während sie die Bahn der schwarzen Kugel in Richtung mittleres Loch betrachtete. »Scheiße!«, rief sie aus, als diese im Loch verschwand.
»Guppy, sieht so aus, dass die nächste Runde auch an dich geht.« Lasse, der drei Köpfe größer und um einiges kräftiger als sie war, lachte gellend. Er drückte sie an sich, sodass sie in seinem gestreiften Hemd verschwand. Cecilie stieß ihm liebevoll den Ellbogen in die Seite und machte sich frei.
»Benny, Henrik, ein Hoegaarden wie Lasse?« Sie deutete mit dem Queue auf die Gläser der beiden Kollegen. Beide nickten, und Benny prostete über den Tisch hinweg und leerte sein Bier.
Sie legte das Queue auf den Tisch und ging zur Bar am anderen Ende. Auf dem Weg dorthin erblickte sie Andreas Bostad, der zusammen mit zwei Männern mittleren Alters an der Ecke des Tresens saß. Die drei waren als Einzige in der Sportbar im Anzug, und sie ging davon aus, dass sie alle für die Anklagevertretung arbeiteten.
»Herr Staatsanwalt«, sagte sie mit einem Lächeln und stellte sich neben Andreas.
Andreas erwiderte das Lächeln und fuhr sich mit der Hand durch sein blondes, lockiges Haar. Er legte seine Hand auf ihre Schulter, und sie spürte die warme Handfläche durch den dünnen Stoff des T-Shirts. »Schön, dich zu sehen, alles in Ordnung?«, fragte er.
Cecilie wandte ihren Blick ab. Sie hatte bereits das Gefühl, ihn zu lange angesehen zu haben. Andreas sah bei weitem nicht wie die Staatsanwälte sonst aus, die ebenso sexy waren wie ein Stück Leberwurst. Stattdessen erinnerte er mehr an den Helden in einem John-Grisham-Film, sah ein wenig wie Matthew McConaughey aus.
»Mein Kollege Jesper Lund«, sagte er und stellte mit einer Handbewegung den Mann mittleren Alters vor, der am nächsten stand. »Und hinter ihm, Steen Holz.«
»Darf man das gnädige Fräulein auf ein Gläschen einladen?«, fragte Jesper Lund mit einem Dialekt, der ihn in die reiche Gegend nördlich von Kopenhagen platzierte. Er lächelte zweideutig mit den Augen, die vor Alkohol schwammen.
»Vielen Dank auch, diese Runde geht in jeglicher Hinsicht auf mich.« Sie gewann die Aufmerksamkeit des Barkeepers. »Vier Hoes für mich und drei Bourbon-Shots für die Anwälte.«
»Ich bin zwar Psychologe, aber danke für den Drink«, antwortete Steen Holz und lächelte sanft.
»Steen ist unser Sachverständiger, auch wenn uns das heute nicht viel geholfen hat«, sagte Andreas.
Die Gäste um sie herum begannen zu brüllen, sodass jedem klar war, dass auf dem Bildschirm ein Tor gefallen war. Cecilie machte sich so breit wie möglich, um nicht von den Männern neben sich umgeworfen zu werden, die jubelnd herumzuspringen begonnen hatten. Im selben Moment kam der Barkeeper mit der Bestellung. Er schob die drei Jack-Daniel’s-Shots Andreas zu, der sie verteilte.
»Was feiern wir?«, fragte Steen Holz.
»Braucht man dafür denn einen Grund?«
»Meiner Erfahrung nach haben die meisten ein Motiv.«
Sie nickte ihm anerkennend zu. »Also gut. Dass wir alle am Leben sind und dass es Dienstag ist.« Sie schnappte sich die vier Biergläser und drehte sich um. »Schönen Abend noch.«
Als sie mit dem Bier wieder bei Lasse und den anderen ankam, erhob er sein Glas. »Auf meine Kollegin, die eine wahnsinnig gute Ermittlerin ist, aber die schlechteste Billardspielerin der Welt.«
»Hört, hört!«
»Und nicht zuletzt, Glückwunsch zur Beförderung, Guppy, du verdienst sie wie kein anderer.«
Benny und Henrik stimmten mit ein, und sie wurde ganz gerührt. »Also, macht mal hinne, ich will ’ne Revanche gegen den Sieger.«
Während Benny die Kugeln platzierte, wandte sich Cecilie zur Bar um. Andreas saß seitlich zu ihr und starrte zu ihr herüber. Er erhob sein Glas, und sie prosteten sich zu.
Benny und Henrik begannen, ihre Partie zu spielen, und Cecilie setzte sich und verfolgte deren Match.
»Ich glaub, ich werd mich so langsam heimwärts trollen«, sagte Lasse. »Wie sieht’s mit dir aus, soll ich dich mitnehmen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss erst noch Benny schlagen.«
»Dann wird’s ein langer Abend.« Sie lächelte und nippte am Bier.
»Was ich vorhin gesagt habe, war Ernst«, sagte Lasse. »Es ist verdammt gut gelaufen, Guppy. Papa hier ist stolz auf dich.«
Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Lasse war ein paar Jahre jünger als sie, und trotz seines Vollbarts sah er immer noch aus wie der, der er war: ein fröhlicher Bursche aus Aarhus. »Dann sage ich danke schön, Papa.«
»Ich hoffe, dass wir auch weiterhin Partner sein können. Dass du nicht zu schnell nach oben verschwindest.«
»Da hat sich nichts geändert. Abgesehen von etwas mehr Papierarbeit für mich.«
Er blickte in den Raum. »Du wirst es noch weit bringen, Guppy. Bis ganz nach oben. Eines Tages ins Büro des Polizeipräsidenten, wart’s nur ab.«
»Das habe ich immer noch nicht von innen gesehen, auch wenn ich schon zehn Jahre dabei bin. Im Übrigen fühle ich mich in der Mordkommission wohl.«
Sie stießen erneut an. Zwanzig Minuten später ging er nach Hause, und sie begann, mit Benny zu spielen, danach zwei Partien mit Henrik und dann noch eine wieder mit Benny. Sie verlor sie alle. Schließlich hatten sie beide genug Freibier bekommen und bedankten sich für mehrere Runden. Kurz darauf verabschiedeten sie sich und wankten zur Tür hinaus.
Cecilie stellte ihr Queue zurück und sah sich in der Sportbar um. Das Fußballspiel war schon längst beendet, und die Zahl der Gäste hatte sich gelichtet. Am Bartresen saßen nur noch die Zähesten. Andreas hatte sich von seinen Begleitern verabschiedet und überprüfte sein Telefon. Cecilie warf sich ihre Jacke über die Schulter und schlenderte zu ihm.
»Was hast du zu deinem Gefolge gesagt?«, fragte sie und lächelte.
Andreas steckte schnell das Telefon in die Jackentasche. »Dass ich mir noch das Spiel zu Ende ansehen wollte.«
»Wer hat gespielt?«
»Keine Ahnung. Und du?«
»Ich musste ungewöhnlich viel Billard spielen, ehe sie genug hatten.«
»Kennst du überhaupt die Regeln?«
»Ich weiß, dass die schwarze Kugel zuletzt eingelocht werden muss.«
»Selber Ort?«, sagte er und sah sie herausfordernd an.
Cecilie saß nackt auf Andreas und schob sich über sein Glied. Langsam bewegte sie sich auf und ab, in einem Rhythmus, den sie kontrollierte. Sie spürte, wie er in sie hinein- und hinausglitt. Wie er sie ausfüllte und versuchte, tiefer einzudringen. Sie bohrte ihre Nägel in seine Brust und erhöhte das Tempo. Sie hörte ihn lauter unter sich stöhnen. Sein Griff um ihre Pobacken wurde stärker, und sie verfielen in einen gemeinsamen Rhythmus. Es fühlte sich berauschend an. Als würde sie über ihnen schweben, während sie nach unten sah. Sie sah sie in dem schäbigen Hotelzimmer vögeln, in dem die gelbliche Straßenbeleuchtung und der Lärm zum offenen Fenster hereindrangen. Es fühlte sich schmutzig und lüstern an, und das war gut. Ihre Bewegungen wurden schneller und sein Griff immer fester. Schließlich kam er in ihr, und sie hörte, wie er sich hingab. Sie versuchte, ihren eigenen Flug zu verlängern, spürte aber, dass der Körper sie zurückzog. Kurz darauf lag sie schlaff auf seiner Brust und fühlte, wie sein Herz galoppierte. Er duftete angenehm nach Schweiß, nach Parfüm und nach ihrem Schoß im Gesicht. Er drückte sie an sich, und einen Augenblick lang entspannte sie sich beinahe in seiner Umarmung.
»Zum Teufel, Cecilie. Zum Teufel auch«, murmelte er.
Im selben Moment erhob sie sich und stieg aus dem Bett. Er blickte ihr überrascht nach. »Alles in Ordnung?«
»Klaro.« Sie hob ihren Slip vom Boden auf und zog ihn an. Danach schnappte sie sich ihre Jeans.
»Vielleicht sollten wir nächstes Mal einen anderen Ort finden?«, fragte Andreas.
»Warum?«, entgegnete sie und zog sich ihre Hose an. Sie ging zum Fenster und sah hinunter auf die Istedgade. Eine Gruppe obdachloser Männer stand am Eingang zur Herberge auf der anderen Seite der Straße und war kurz vor einer Schlägerei.
»Ich dachte an ein besseres Hotel?«
»Für den Zweck ist das hier doch gut.«
Er lachte hohl. »Du bist eine Zynikerin, Cecilie.«
»Nicht mehr als du. Ich verpacke die Dinge bloß nicht.«
»Warum sehen wir uns stattdessen nicht bei dir?«
Sie drehte sich um, weil sie sehen wollte, ob das sein Ernst war. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war es das. Sie zog sich das T-Shirt über den Kopf. »Wir könnten auch bei dir zu Hause vögeln?«
Er sah weg. »Das käme wohl nicht so gut an. Auch wenn die Trennung durch ist.«
Sie biss sich auf die Lippe. Es war nicht ihre Absicht gewesen, boshaft zu sein. Die familiären Verhältnisse von Andreas gingen sie nichts an.
Er erhob sich aus dem Bett und begann, seine Sachen vom Boden aufzusammeln. »Warum nennen sie dich eigentlich Guppy?«
»Das tut nur Lasse und außerdem ein paar wenige Freunde.«
»Aber warum?«
»Das stammt noch aus der Zeit der Polizeischule. Cecilie wurde zu Cilly, was Lasse dann zu Guppy machte. Ein kleiner Fisch, begabt, nicht wahr?«
Andreas knöpfte sich das Hemd zu. »Also soll ich dich von jetzt an Hauptkommissarin Guppy nennen?«
»Ich hab doch gesagt, dass mich so nur meine Freunde nennen. Sind wir beide jetzt etwa Freunde geworden, Andreas?« Sie zog sich ihre Lederjacke über und lächelte ihm zu.
Sein ansonsten so perfektes Lächeln war ein wenig blass geworden.
Ein paar Tage später ging Cecilie den schmalen Gang hinunter, an dem die Abteilung für Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und die Ermittler der Mordkommission ihre Büros hatten. Sie blickte durch die hohen Fenster nach draußen und betrachtete das ruhige Becken des Teglholm-Kanals.
»Guppy!«, rief Lasse, der vom anderen Ende des Gangs angerannt kam.
»Wo brennt’s denn?«
»Ich habe … versucht, dich … anzurufen«, sagte er kurzatmig.
»Ich bin den ganzen Vormittag am Schießstand gewesen«, antwortete sie, ohne stehen zu bleiben. »Das steht auch in meinem Kalender.«
»Am Schießstand?«, wiederholte er und folgte ihr.
»Ja, der jährliche Test.«
»Hast du bestanden?«
»Selbstverständlich, mit 28 Punkten …«
Er hob die Augenbrauen. »Wenn ich mich recht erinnere, muss man zum Bestehen mindestens 27 haben. Wir müssen wohl dein Augenmaß trainieren.«
»Was war denn so eilig?«, fragte sie und blieb vor der Tür zur Abteilung stehen.
»Kannst du dich an die Vergewaltigung im Januar erinnern? Diesen Bodybuildertypen mit dem glänzenden Messer und dem Kapuzenpulli?«
Sie nickte. »Den wir einer Reihe von Dingen verdächtigen?«
»Genau der. Jetzt haben wir noch eine Anzeige erhalten. Dieses Mal im Rødkilde Park.«
»Rødkilde im Stadtteil Nordvest?«
»Ja. Das Opfer ist ein junges betrunkenes Mädchen.«
»Derselbe Modus.«
»Bis ins letzte Detail. Er bedroht sie mit einem Messer, begeht die Vergewaltigung an einem einsamen Ort und stiehlt zum Schluss ihren Ausweis.«
»Damit er weiß, wo sie wohnt«, sagte sie und nickte. »Ist das heute Nacht passiert?«
»Nein, vor neun Tagen«, antwortete er.
»Scheiße.« Sie biss sich auf die Lippe. »Dann bekommen wir auch dieses Mal keine DNA?«
»Nix, nada.«
»Dass es ihm gelingt, sie einzuschüchtern, ist verflixt noch mal sein Glück. Also, was haben wir?«
»Ein ängstliches Mädchen, das zusammen mit seiner Mutter und einem Beistand in Raum 3 sitzt«, sagte er und deutete nach hinten.
Cecilie atmete schwer. »Hat das Mädchen wenigstens eine ordentliche Täterbeschreibung geben können?«
»Ja. Die stimmt mit den anderen überein. Mann, Däne, etwas über fünfundreißig Jahre, aufgepumpt, nach Alkohol stinkend.«
»Trug er einen Kapuzenpulli und ein Halstuch vor dem Mund wie früher?«
Lasse kniff die Augen zusammen. »Kapuzenpulli, ja. Halstuch, nein.«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Hat sie ihn identifiziert?«
»Noch nicht. Wir werden uns gleich Fotos ansehen. Ich wollte mir gerade ein Passwort für das System holen.«
»Super«, sagte sie und klopfte ihm auf die Brust. »Also ist das Arschloch mutig geworden.«
»Und dumm.«
»Genau so mag ich meine Verbrecher. Wer ist das Opfer?«
»Junges Mädchen, achtzehn, aus Bellahøj.«
»Mein Viertel?«
»Ja. Sie heißt Fie Simone Simonsen.«
Cecilie hörte auf zu lächeln und nahm ihm den Block aus der Hand. Sie blickte auf sein Gekritzel, das sie deutete. »Fuck.«
»Du kennst sie?«
»Ja, mehr oder weniger. Aus meiner Stadtteil-Arbeit. Sie ist in meiner Selbstverteidigungsgruppe.«
»Ich kann das allein machen.«
Sie schüttelte den Kopf und gab ihm den Block zurück.
»Komm«, sagte sie und ging den Gang hinunter zum Vernehmungsraum.
Auch wenn es erst ein paar Wochen her war, dass sie Fie zuletzt beim Training gesehen hatte, konnte Cecilie das Mädchen fast nicht wiedererkennen. Damals hatte Fie immer gelächelt und war voller Energie gewesen, jetzt saß sie mit einem erloschenen Blick da und starrte auf den Tisch. Ihre Unterlippe zitterte, und es sah so aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Rechts von Fie saß ihre Mutter, Tina, die um die vierzig war, kräftig und mit nachgezogenen dunkelroten Lippen. Cecilie konnte sich gut an sie erinnern, sie kannte sie aus der Nachbarschaft. Auf der anderen Seite von Fie saß Mona Krog, Anwältin für Opferhilfe. Cecilie hatte schon in einer Reihe ähnlicher Fälle mit ihr zu tun gehabt. Krog war in Ordnung, aber ein kleines bisschen manisch, und Cecilie hatte sie im Verdacht, ein Alkoholproblem zu haben. Sie begrüßte alle und setzte sich.
»Fie, ich muss dich bitten, dass du mir in deinen eigenen Worten erzählst, was in dieser Nacht geschah. Nimm dir ruhig Zeit.«
Ehe Fie etwas sagen konnte, lehnte Mona Krog sich über den Tisch. »Fie hat bereits mehrmals eine Aussage gemacht, erstmals auf der Wache von Bellahøj. Ich habe mir in der Tat überlegt, in Fies Namen eine Beschwerde über das Benehmen des diensthabenden Beamten einzureichen, das unter aller Kritik war.«
Cecilie hob ruhig die Hand. »Was ich für eine sehr gute Idee halte, wenn du der Ansicht bist, dass es Anhaltspunkte hierfür gibt. Aber im Augenblick ist es wichtig, dass ich Fies Aussage höre. Damit wir uns auf die Ermittlung konzentrieren können. Glaubst du, du schaffst das, Fie?«
Es dauerte lange, ehe Fie reagierte. Dann blickte sie kurz zu Cecilie hoch, ehe sie den Blick wieder senkte und mit einer fast unhörbaren Stimme von jenem Abend erzählte, als sie vergewaltigt wurde: Im Gymnasium hatte es ein Fest gegeben, und anschließend war sie mit fünf anderen aus ihrer Klasse in die lokale Kneipe gezogen, die »Zum Clown« hieß. Hier hatten sie Bier getrunken und Meiern gespielt. Zu dem Zeitpunkt war er zu ihnen gekommen.
»Der, der dich überfiel?«
Fie nickte und erzählte, dass er, obwohl er viel älter als sie alle war, sowohl mit ihr als auch den beiden anderen Mädchen, die dabei waren, geflirtet hätte. Er hatte ihnen allen auch eine Runde spendiert.
»Was ist anschließend passiert?«
Fie erzählte, dass sie kurz vor Schließen der Kneipe gegangen waren, etwa um ein Uhr. Da sie die Einzige war, die in Bellahøj wohnte, war sie allein nach Hause gegangen. Auf dem Weg hatte sie ihn wieder getroffen. Beim Rødkilde Park. Er hatte sofort Annäherungsversuche gemacht.
»Wie?«
»Mit Komplimenten. Hat gefragt, ob ich einen Freund hätte. Ob ich ältere Kerle mochte. Er hat auch versucht … mich zu umarmen.«
»Was hast du dann getan?«
»Hab ihn weggeschubst. Bin schneller gegangen.«
»Und was passierte dann im Rødkilde Park?«
Fie antwortete nicht.
»Lass dir ruhig Zeit, das ist völlig in Ordnung.«
»Er nahm mich in den Würgegriff. Nannte mich alles Mögliche und schleppte mich ins Gebüsch. Hielt mir dieses Messer vors Gesicht und sagte, dass er es … er es mir reinstecken würde, wenn ich nicht täte, was er sagte.« Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen.
Tina legte den Arm um ihre Tochter und strich ihr über das Haar. »Dieses verfickte Schwein hat sie vergewaltigt und ihr danach die Gesundheitskarte abgenommen, sodass er unsere Adresse kennt. Ihr müsst ihn schnappen, versteht ihr das, versteht ihr?«
Cecilie nickte. »Fie, wenn du dich wieder etwas gesammelt hast, dann habe ich ein paar Fotos, die du dir ansehen musst. Es ist in Ordnung, wenn du ihn nicht wiedererkennst. Eigentlich ist es ebenso wichtig, dass wir jemanden ausschließen können, damit wir nicht Zeit darauf verschwenden, gegen die Falschen zu ermitteln. Glaubst du, dass du uns dabei helfen kannst?«
Eine Viertelstunde später versammelten sie sich um Cecilies Schreibtisch, der ganz hinten im offenen Großraumbüro der Mordkommission stand. Sie schaltete den Computer ein und loggte sich in die Fotokartei ein. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen in den früheren Überfällen war eine Reihe von verdächtigen, verurteilten Sexualverbrechern bereits indexiert worden. Daher konnte Cecilie Fie eine abgegrenzte und präzise Suche vorlegen.
Als sie zwanzig bis fünfundzwanzig Profile durchgesehen hatten, griff sich Fie plötzlich an den Mund. Tränen begannen ihr die Wangen hinunterzulaufen.
»Ist er das?«, fragte Cecilie.
Vom Bildschirm starrte sie der Mann mit seinen toten Reptilaugen an.
»Das … das … das ist er«, sagte Fie.
»Und da bist du dir sicher?«
»Dieses Tattoo da vergesse ich nie.«
Cecilie betrachtete den Drachen mit dem offenen Rachen, der sich am Hals des Mannes nach oben wand. Ihre Augen wurden schmal, und sie atmete in kurzen kontrollierten Stößen durch die Nase ein. Dann wandte sie sich halb zu Lasse um. »Wollen wir ihn uns holen?«
Cecilie brachte den dunkelblauen Golf auf die rechte Fahrspur der Borups Allé. Es regnete in Strömen, und die Scheibenwischer kämpften, um die Windschutzscheibe frei von Wasser zu halten. Hinter ihr folgte der blaue Mannschaftswagen von der Bereitschaft, und dahinter kam einer der Hundewagen. Lasse hatte vorgeschlagen, dass sie beide selbst ihn holten, doch sie wollte nichts riskieren. Weder in Bezug auf den vermutlichen Täter noch auf das Brennpunktviertel, das sie besuchen sollten.
»Ulrik Østergård, sechsunddreißig Jahre«, sagte Lasse und blätterte in dem Ausdruck, den er mitgenommen hatte. »Er hat etliche Urteile wegen Körperverletzung hinter sich, beginnend ab dem Jahr 2002. 2013 erreichte seine Karriere einen Höhepunkt, und er wurde wegen Vergewaltigung zu einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, die bei Herstedvester.«
»Was ist mit den letzten Jahren?«, fragte sie und bog in die Lundtoftegade ein.
»Zuletzt hat er sechs Monate wegen Überfall auf seine Lebensgefährtin gesessen. Diesmal in einem richtigen Gefängnis. Er wurde im August letzten Jahres entlassen.«
»Zeitlich kann Ulrik also sehr wohl unser Täter in den vier Fällen sein, in denen wir ihn verdächtigen?«
»Oh ja«, antwortete Lasse. »Hoffen wir mal, dass die Meldeadresse noch stimmt.«
Sie schielte hinauf zu den trostlosen Hochhäusern, die mit Satellitenschüsseln wie reife Pickel an allen Balkonen übersät waren.
»Du musst hier rein«, sagte Lasse und deutete zu dem großen Parkplatz, der zwischen zwei Gebäuden lag. Sie stellte den Wagen ab und stieg aus. Die Beamten von der Hundestaffel und die sechs von der Bereitschaft blieben sitzen. Ein paar junge Burschen auf Motorrollern hatten die Polizeifahrzeuge bereits entdeckt und betrachteten sie aus der Distanz. Cecilie klopfte an die Seitenscheibe des Mannschaftswagens, und der Beamte ließ die Scheibe herunter. »Seid bereit, die Zielperson zu schnappen, wenn sie herausgestürmt kommt.« Sie deutete in Richtung Tür des nächsten Hauseingangs. »Und haltet auch ein wachsames Auge auf die Gangsta dort drüben.«
»Verstanden« antwortete der Beamte und blickte zu der stetig wachsenden Gruppe von Jungs.
Ein paar Minuten später standen Cecilie und Lasse in dem engen Aufzug, der streng nach Urin stank. »Komischer Ort, um aufs Klo zu gehen«, murmelte Lasse.
Als sie den achten Stock erreichten, stiegen sie aus und gingen zur ersten Tür im Laubengang. Am Türschild stand »Østergård«. Darunter war ein verblichener Aufkleber, auf den unbeholfen »Vinnie Larson« geschrieben war. Cecilie klopfte so hart an die Tür, dass es in dem offenen Gang dröhnte. Einen Augenblick danach wurde die Tür von einer Frau Ende vierzig geöffnet, die einen pinken Jogginganzug trug. Ihre grauen Haare standen nach allen Seiten ab, als wäre sie gerade aufgestanden.
Cecilie bemerkte den Bluterguss am rechten Auge der Frau. »Sind Sie Vinnie?«, fragte sie durch den Lärm vom Fernseher, der im Inneren der Wohnung auf voller Lautstärke lief.
»Vielleicht«, sagte die Frau und machte einen Zug von ihrer Zigarette.
»Wer sind Sie?«
Cecilie und Lasse stellten sich mit ihren Ausweisen vor.
»Ist Ulrik zu Hause?«, fragte Cecilie.
»Und was, wenn ja?« Vinnie blies ihnen eine Rauchwolke entgegen.
»Dann würden wir gern mit ihm sprechen.« Cecilie versuchte, an ihr vorbei in den Flur zu sehen, doch Vinnie versperrte ihr die Sicht.
»Gut, aber er ist nicht zu Hause. Sonst noch was?«
»Irgendeine Idee, wo er ist?«
»Nö. Überhaupt nicht. Nein.«
Cecilie lehnte sich vor und warf einen extra Blick auf Vinnies Bluterguss. »Wie ist denn das da passiert, Vinnie?«
Vinnie sah weg. »Kann mich nicht erinnern. Bin im Badezimmer ausgerutscht oder so. War völlig breit.« Sie lächelte nervös.
»Möchten Sie mit uns darüber sprechen? Oder es vielleicht anzeigen?«
Vinnie stützte die Hände in die Seiten. »Ich bin ausgerutscht, habe ich doch gesagt, was gibt’s da anzuzeigen?«
»Gut. Immer noch sicher, dass Sie nicht wissen, wo Ulrik ist? Beim Einkaufen? Bei einem Freund? Auf Arbeit?«
Vinnie gab ein abgehacktes Lachen von sich. »Ich kann mich nicht erinnern, wann er zuletzt einen Job hatte.« Sie machte einen Zug an ihrer Zigarette. »Teufel auch, es ist ja kein Staatsgeheimnis: Er ist im ‚Clown‘, so wie immer. Sicherlich zusammen mit Lonnie, dieser Spermaschluckerin. Dürfte ich jetzt vielleicht in Ruhe meine Serie anschauen?«
»Natürlich. Möchten Sie meine Nummer haben, falls …«
Vinnie knallte die Tür zu.
Lasse schüttelte den Kopf und ging zum Aufzug. »Ulrik vergewaltigt also ein Mädchen, das er in seiner Stammkneipe trifft. Wie dumm und geil kann man denn sein?«
Die Kneipe »Zum Clown« lag an der Ecke Rantzausgade und Jagtvej. Trotz des Schildes mit dem lächelnden Clown am Giebel sah der Ort im strömenden Regen trostlos aus. Cecilie trat ein, dicht gefolgt von Lasse und zwei Beamten der Bereitschaft. Die Hundeführer waren im Wagen geblieben, und nach der entspannten Stimmung hier drin zu urteilen, würden sie heute auch nicht gebraucht werden. Cecilie sah sich um, ohne Ulrik zu erblicken. Sie ging zur Bar und stellte sich dem Barkeeper vor, einem korpulenten älteren Mann mit roten Hosenträgern. Beim Anblick ihres Dienstausweises überkreuzte er instinktiv die Arme.
»Wir müssen mit ihm hier sprechen«, sagte Cecilie und zeigte ein Bild von Ulrik auf ihrem Telefon.
Der Barkeeper zögerte, warf dann aber einen Blick in Richtung Hinterzimmer. Cecilie führte die Beamten durch die Bar ins Spielzimmer, wo sie sofort Ulrik erblickte. Er stand mit einem gleichaltrigen Mann und einer Frau in Jeansrock an einem Flipperautomaten. Ulrik drückte sich an die Frau, während sie am Gerät spielte. »Ulle, du Flegel, ich kann mich gar nicht konzentrieren«, sagte sie.
Die beiden Männer grinsten.
»Ulrik Østergård?«, fragte Cecilie.
Ulrik schätzte sie mit den Augen ab. »Kennen wir beide uns, Schätzchen?«
»Cecilie Mars, Polizei Kopenhagen. Wir hätten gern mit Ihnen gesprochen.«
Er legte seinen Kopf auf die Seite. »Und ich hätte gern ’nen Blowjob, aber so ist es halt im Leben.«
Sowohl die Frau als auch Ulriks Freund lachten.
»Falsche Antwort.« Cecilie sah schnell auf ihre Uhr. »Es ist 13:22 Uhr, und Sie sind festgenommen.« Sie zog die Handschellen aus ihrem Gürtel und machte einen Schritt auf ihn zu.
Ulrik ballte die Faust und hob den Arm. Doch bevor er noch etwas tun konnte, ging Lasse dazwischen. Er wirbelte Ulrik herum und legte ihn flach auf den Boden. Die beiden Beamten von der Bereitschaft hielten den anderen Mann und die Frau auf Abstand. Cecilie ließ die Handschellen um Ulriks Handgelenke zuschnappen. »Ich hatte ihn«, knurrte sie Lasse zu.
»Natürlich«, antwortete er und zog Ulrik vom Boden hoch.
»Das ist fucking Polizeigewalt, ich verklage euch, hört ihr, ihr verfluchten Nazischweine?!«
»Ja, ja, wir hören Sie: Polizeigewalt, verklagen, Nazischweine, ab mit dir, Kamerad«, sagte Lasse und stieß ihn unsanft an. Ulrik brüllte den ganzen Weg durch die Bar und weiter bis zum Wagen, wo Lasse ihn auf den Rücksitz setzte.
Vor dem Wagen starrte Cecilie durch das Seitenfenster den Drachen an Ulriks Hals an. Sie spürte, wie sich ihr Magen zusammenschnürte.
»Wir haben ihn«, lächelte Lasse und tätschelte mit der flachen Hand das Autodach.
Es war 22:30 Uhr, und die Luft war schwer und heiß in dem kleinen Vernehmungsraum. Gegenüber von Cecilie und Lasse saß Ulrik zusammen mit seinem Rechtsanwalt, Phillip Vang, der ein offen stehendes rosa Hemd anhatte und eine teure Rolex am Handgelenk trug.
Seit fast vier Stunden hatte Cecilie Ulrik gebeten, zu wiederholen, wie er und Fie sich getroffen hatten und was anschließend geschehen war. Sie hatte sich bemüht, höflich zu sein, doch es war deutlich, dass Ulrik es nicht mochte, von einer Frau vernommen zu werden. Als sie ihn noch einmal zu erzählen bat, wann er bei der Kneipe »Zum Clown« angekommen sei, ging Phillip Vang dazwischen:
»Ich glaube, inzwischen haben wir eine Antwort auf diese Frage bekommen.«
»Ich versuche nur, mir einen Überblick über Ulriks Tun und Lassen zu verschaffen«, sagte Cecilie und hob leichthin die Hand.
Phillip Vang lächelte kühl. Er war bekannt unter dem Spitznamen »Der Terrier«, ein Name, den er, wie böse Zungen behaupten, sich selbst gegeben hatte. »Mein Mandant hat jetzt über etliche Stunden eure wiederholten Fragen beantwortet. Er hat dargelegt, wie er eine Gruppe junger Leute in der Kneipe ‚Zum Clown‘ traf, die er auf eine Runde einlud, weil er sie lustig fand. Er hat auch beschrieben, dass es anschließend zu einem Flirt zwischen ihm und Fie Simone Simonsen kam. Er bekennt sich auch dazu, Sex mit ihr gehabt zu haben, aber dass dies natürlich im gegenseitigen Einvernehmen passiert ist.«
»Warum war es dann notwendig, sie mit einem Messer zum Sex zu zwingen?« Cecilie sah Ulrik an, der die Zähne zusammenbiss.
»Da steht allein ihr Wort gegen seines«, warf Phillip Vang ein. »Haben Sie denn ein Messer gefunden?«
Cecilie beantwortete die Frage nicht, was Vang lächeln ließ, und zwar aus gutem Grund. Sie hatten weder das Messer noch Fies Gesundheitskarte bei Ulrik und Vinnie gefunden.
Phillip Vang breitete die Arme aus. »Ulrik gab ihr sogar noch Geld für ein Taxi, damit sie sicher heimkäme. Ich hoffe, dass sie dies bei ihrer Aussage auch erwähnt hat?« Cecilie antwortete immer noch nicht, und Phillip Vang lächelte erneut. »Das habe ich mir schon gedacht.« Er lehnte sich über den Tisch. »Das hier ist kein Fall. Der einzige Grund, warum sich mein Mandant hier befindet, ist, dass eine junge Frau einen One-Night-Stand bereut hat und dass die Polizei Ulrik aufgrund seiner Vergangenheit verurteilt. Schließen wir die Sache doch jetzt einfach ab, damit wir alle nach Hause gehen können.«
Cecilie lehnte sich im Stuhl zurück. »Bedaure, aber das wird nicht passieren. Ihr Mandant wird morgen dem Haftrichter vorgeführt, und wir werden Untersuchungshaft beantragen.«
Phillip Vang stieß ein kleines Grunzen aus. »Sie verschwenden Ihre Zeit, das kann ich Ihnen sagen.«
»Und das dürfen Sie natürlich, doch wie gesagt, das wird passieren.« Sie hielt dem Blick des Rechtsanwalts stand, bis dieser wegsah.
»Gut, dann sehen wir uns eben morgen«, sagte Phillip Vang. »Ich hoffe, du hast deine Zahnbürste mitgenommen, Ulrik.«
Ulrik sah ihn sprachlos an. »Äh, was? Bin ich verhaftet, oder was?«
»Du wirst die Nacht in der Zelle verbringen, ja. Doch morgen bist du wieder frei, promise.«
»Fuck, bloß wegen dem, was die Nutte gesagt hat?«
Phillip Vang bedeutete ihm zu schweigen und erhob sich. »Morgen bist du zu Hause, sage ich doch, sieh es als kleine Auszeit von deiner Frau.«
Als die Beamten Ulrik geholt hatten und Phillip Vang gegangen war, blieben Cecilie und Lasse auf dem Gang vor dem Vernehmungsraum stehen. Er lächelte sie an. »Wir haben den Richtigen. Nicht nur was die Sache mit Fie angeht.«
»Ich hoffe bloß, dass wir genug haben, um ihn festhalten zu können«, entgegnete Cecilie.
Lasse breitete beide Arme aus. »Mit seiner Vergangenheit und Fies Anzeige sollte das die einfachste Sache der Welt sein. Warum hast du nicht nach den anderen Fällen gefragt?«
»Dieses Geschenk wollte ich dem Terrier nicht machen«, antwortete Cecilie. »Im Augenblick soll Ulrik wegen der Vergewaltigung von Fie in Untersuchungshaft. Wenn das passiert ist, werden wir in alldem anderen aktiv.«
»Wie lange können wir ihn deiner Meinung nach festhalten?«
»Das müssen wir morgen früh Andreas fragen. Im Augenblick nehme ich alles, was uns der Richter gibt.«
Sie trennten sich am Gang. Lasse ging nach Hause, während sich Cecilie zu ihrem Schreibtisch begab. Sie war vor Müdigkeit am Umfallen, aber für den morgigen Haftprüfungstermin war noch viel vorzubereiten.
Der Gerichtsdiener öffnete um kurz nach elf Uhr am nächsten Vormittag die Türen zum Gerichtssaal 4 des Amtsgerichts Kopenhagen. Der Haftprüfungstermin war gerade überstanden. Die wenigen Zuhörer, die anwesend waren, meist Jurastudenten und Rentner, trotteten aus dem Raum. Kurz darauf kam Phillip Vang heraus, die Aktentasche in der einen Hand, das Mobiltelefon am Ohr. Ihm folgte Ulrik, der energisch kämpfte, um in seine Lederjacke zu kommen. »Du bist der König, Mann! The King! Glaubst du, wir können Schadensersatz beantragen?«
»Ganz ruhig, du bist immer noch beschuldigt. An deiner Stelle würde ich mich zurückhalten. Ruf mich aber an, wenn sie den Fall weiterverfolgen. Bis dann, Ulrik.« Phillip Vang war bereits auf dem Weg den Gang hinunter zu seinem nächsten Gerichtstermin.
Cecilie kam zusammen mit Lasse aus dem Gerichtssaal. »Sag mir, dass das eben nicht passiert ist.«
»Bedaure, Guppy, aber so ist es. Der Penner durfte gehen.« Beide blickten Ulrik hinterher, der zum großen Tor hinaus verschwand. »Wir werden ihn schon drankriegen.«
»Hoffentlich, ehe er wieder jemanden vergewaltigt.« Sie bebte vor Wut. »Die Ermittlung muss oberste Priorität haben. Mir ist scheißegal, was Karstensen ansonsten auf uns abzuwälzen versucht. Ich möchte auch Henrik und Benny mit im Team haben.«
»Klar, ich mache sie mit dem Fall vertraut.«
»Fuck, ich würde ihn am liebsten 24/7 überwachen.«
»Das bekommen wir nicht durch, nicht nach dem hier.«
»Das ist mir schon klar.« Sie sah den langen Säulengang hinunter, während sie nachdachte. »Wir müssen Ulrik so schnell wie möglich wieder einbuchten. Ich möchte eine erweiterte Tatortuntersuchung vom Rødkilde Park. Wir brauchen eine Liste über seine möglichen Verstecke, Keller, Fahrradschuppen, Schrebergarten, sein Auto, etwas, das wir wegen eines mutmaßlichen Verdachts durchsuchen dürfen.«
»Wonach suchen wir?«
»Den Gesundheitskarten der Mädchen.«
Lasse blickte sie überrascht an. »Du glaubst, dass er sie behalten hat?«
»Da bin ich mir sicher.«
»Aber keines der Opfer ist doch anschließend kontaktiert worden. Trotz deren Anzeige.«
»Was darauf hindeuten könnte, dass er ihnen die Gesundheitskarte eher als seine Trophäe nimmt.«
Im selben Moment erschien Andreas auf dem Gang. Er löste seine Krawatte und ging zu ihnen. Cecilie warf ihm einen Blick zu. »Wir hätten eine Untersuchungshaft gut brauchen können.«
»Und ich hätte einen besser vorbereiteten Fall gut brauchen können.«
Cecilie atmete schwer. »Mehr hatten wir nicht, und ich hörte dich nicht protestieren.«
»Was mein Fehler war«, sagte er gereizt. »Im Übrigen würde ich es schätzen, dass du mir nächstes Mal erzählst, wenn du die Geschädigte kennst, und ich es nicht drinnen von der Gegenseite erfahren muss.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das war ein Haufen Scheiße vom Terrier. Fie hat ein paar Mal in einer Gruppe trainiert, die ich unterrichte. So wie jede Menge anderer junger Mädchen aus dem Viertel.«
»Nichtsdestotrotz gab der Terrier dem Richter zu verstehen, dass dies deine Urteilskraft in Bezug auf die Festnahme von Ulrik beeinflusst haben könnte.«
Sie senkte die Stimme. »Ja, weil Richter Mogensen ein dummes, sexistisches Schwein ist.«
»Pass nur auf«, sagte Andreas mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Glaubst du, ich kenne nicht all die Geschichten, wie er sich gegenüber den weiblichen Angestellten hier im Haus benimmt?«
»… was nicht zwangsläufig etwas mit seiner Fachlichkeit zu tun hat.«
»Nicht?«, fragte sie und sah wieder zu Andreas.
Andreas blickte Lasse an. »Wie dem auch sei, ihr müsst mehr zu Ulrik Østergård herausfinden, mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.«
Im selben Moment winkte Andreas Steen Holz zu, der zu ihnen kam. Der Psychologe mittleren Alters grüßte Lasse und Cecilie kurz. Er trug einen weißen Leinenanzug, der gut zu seinem sonnengebräunten Teint passte.
»Steen und ich haben in weniger als vier Minuten erneut das Vergnügen mit dem Terrier.«
»Dann müssen wir zusehen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird«, bemerkte Steen und lächelte freundlich.
»Wir sprechen uns später«, verabschiedete sich Andreas und verließ sie zusammen mit Steen Holz.
Lasse blickte Andreas hinterher, der den Gang hinuntergegangen war.
»Er hat wirklich einen schönen Arsch, dieser Andreas, für meinen Geschmack ist er aber ein wenig zu knochig, was meinst du?«
»Vermische Arbeit und Vergnügen nicht«, antwortete sie und sah weg. »Bist du denn nicht verheiratet?«
»Glücklich verheiratet, danke sehr, mit dem wunderbarsten Mann auf der Welt, aber deshalb darf man sich doch den Appetit anregen lassen.«
»Komm«, sagte sie.
Als Cecilie und Lasse wieder in die Abteilung zurückgekehrt waren, suchte sie die Nummer von Fie heraus. Nicht, weil sie Lust hatte, anzurufen, dennoch verspürte sie eine gewisse Pflicht dazu, ihnen das traurige Ergebnis der Haftprüfung selbst mitzuteilen.
Es war Tina, die ans Telefon ihrer Tochter ging, und Cecilie fragte nach Fie.
»Es geht ihr nicht gut. Ganz und gar nicht«, antwortete Tina.
Cecilie überbrachte ihr die schlechte Nachricht, fügte aber im selben Atemzug hinzu, dass sie alles daransetzen würden, um Ulrik Østergård schnellstmöglich in Untersuchungshaft zu bekommen.
»Also läuft er … frei herum?«
»Ja. Aber hoffentlich nur kurzzeitig.«
Tina gab Cecilie klipp und klar zu verstehen, was sie vom dänischen Rechtssystem hielt, und Cecilie ließ sie ihren Frust ablassen.
»Wie gesagt, tue ich alles, was in meiner Macht steht.«
Tina begann zu weinen. »Sie ist ganz und gar nicht mehr dieselbe. Isst nicht. Schläft nicht. Spricht nicht. Das Schwein hat ihr das Leben geraubt. Das Lächeln geraubt, verstehst du, was ich sage? Ich möchte ihr Lächeln wiederhaben, verstehst du das?!«
Cecilie verstand es. Sie versprach, sich zu melden, sobald sie etwas Neues hätte.
Am selben Abend stand Cecilie auf ihrem Balkon und schaute über die Stadt. Die Wohnung lag ganz oben im achten Stock in einem von Bellahøjs heruntergekommenen Hochhäusern. Eine preisgekrönter Etagenbau aus den 1950er-Jahren, der jetzt vom Abriss bedroht war, während das benachbarte Viertel sich dadurch auszeichnete, zwei Schritte von der nationalen Ghettoliste entfernt zu sein, einer umstrittenen Aufstellung sozialer Brennpunkte, in denen sich die dänische Regierung besondere Eingriffsrechte herausnahm. Doch an der Aussicht von hier oben gab es nichts auszusetzen.
Vom Balkon hatte sie einen 180-Grad-Ausblick über Kopenhagen und Umgebung. Vom Svanemølle-Heizkraftwerk im Norden über die Türme der Stadt direkt vor ihr bis zum Avedøre-Heizkraftwerk im Südosten. Zu ihren Füßen lag der Stadtteil Nordvest mit seinen trostlosen Wohnblöcken und dem Bispeengbuen, einer Schnellstraße, die sich wie eine Betonschlange sechsspurig durch den Stadtteil schlängelte. Sie lehnte sich gegen das schmale Geländer und blickte hinunter zum Rødkilde Park sechs- bis siebenhundert Meter weiter vorn. Die Hunde hatten den ganzen Nachmittag nach Spuren gesucht, doch ohne Erfolg. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Tatwaffe oder andere Spuren von der Vergewaltigung auftauchen würden, war minimal. Doch wie der Fall lag, konnten sie es sich nicht leisten, sich auch nur die geringste Chance aus den Händen gleiten zu lassen. Cecilie begann zu frieren und ging wieder hinein.
Der Balkon war der absolut größte Pluspunkt der Wohnung. Der Rest der abgewohnten Dreizimmerwohnung wirkte verlassen. Die sparsame Möblierung und das Fehlen von persönlichem Nippes zeugten davon, dass sie sich für Einrichtung nicht interessierte und selten zu Hause war.
Sie ging in die Küche und machte sich eine Tasse Nescafé. In der Wohnung nebenan stritten sich die Nachbarn lauthals. Es war nicht das erste Mal und sicherlich auch nicht das letzte. Sie nahm die Tasse mit und überprüfte, dass die drei Riegel, die sie an der Wohnungstür hatte, vorgeschoben waren, ehe sie wieder ins Wohnzimmer ging. Sie hatte Lust, Lasse anzurufen und den Fall noch einmal durchzugehen, aber sie wusste, dass sein Arbeitstag in dem Augenblick endete, in dem er die Abteilung verließ.
Sie legte sich aufs Sofa, die Akten des Falls in Reichweite, denn sie wollte die drei früheren Vergewaltigungsanzeigen durchgehen und mit Fies vergleichen. Abwägend überlegte sie, ob sie die anderen Opfer erneut als Zeugen vernehmen sollte. Denn auch wenn der Täter in allen drei Fällen sein Gesicht mit einem Halstuch verdeckt hatte, konnte sich mit Ulrik als Verdächtigem vielleicht doch etwas mit ihm in Verbindung bringen lassen. Vielleicht hatten die anderen Mädchen flüchtig die Drachentätowierung, ein Schmuckstück oder ein anderes Merkmal sehen können, das in ihrer Erinnerung auftauchte. Es musste etwas geben, das sie finden konnte. Etwas, das ihn stoppen konnte. Etwas, das ihn daran hinderte, erneut zuzuschlagen.
Sie arbeitete, bis ihr die Augen zufielen und ihr die Akten aus den Händen rutschten. Sofort verschwand sie tief in einem Traum, den sie lange nicht geträumt hatte. Er spielte in einem Hinterhof. Unter einem Vordach, auf das hart der Regen trommelte. Ein Geruch nach Müll stieg aus den Containern um sie herum auf. Sie verspürte den metallischen Geschmack von Angst. Der Schlag, der sie gerade in der Magengegend getroffen hatte, ließ sie nach Luft schnappen. Der Schlag, der jetzt ihren Kiefer rammte, paralysierte sie. Sie spürte, wie ihre Beine nachgaben. Vernahm den Schmerz am Hinterkopf, als er sie an den Haaren durch den Schuppen zog. Er setzte sie vor sich. Beugte sich hinunter und bohrte ihr seine Zunge in den Mund. Erst die Zunge, dann … Im Traum kehrte alles zurück. Sein Uringeruch, der sich mit dem Gestank von den Containern vermischte. Sein schlaffer Zustand. Die vielen Ohrfeigen, die er ihr verabreichte und die ihn langsam steif und bereit machten. »Nein!!«, schrie sie und erwachte. Zum Teufel, nicht schon wieder.
Cecilie erhob sich schnell, um sich aus dem Traum zu befreien. Sie nahm ihr Telefon vom Tisch und sah auf der Uhr, dass es halb eins in der Nacht war. Das Einzige, was gegen die Albträume half, war eine Spritztour. Früher war sie nachts kreuz und quer durch Kopenhagen gefahren. Erst auf dem Fahrrad, später im Auto. Ihre ganz eigene Streifenfahrt. Nicht so sehr der Stadt als vielmehr ihres Gemütszustands. Eine Maßnahme, die sie bisher daran gehindert hatte, sich selbst einen ernsthaften Schaden zuzufügen.
Cecilie ging über den dunklen Parkplatz zwischen den Hochhäusern, die sich um sie herum auftürmten. Die Straße war öde, und nicht einmal die lokalen Gangsta, die sonst hier herumhingen, waren irgendwo zu sehen. Sie sperrte ihren alten Fiat Panda auf. Der Wagen war ein rostiges Wrack, dessen einzige Qualität darin bestand, dass niemand es stehlen wollte. Als sie den Motor zum Laufen gebracht hatte, fuhr sie die Straße zwischen den Wohnblöcken entlang. Sie passierte Fies Wohnblock und fuhr seitlich ran. Durch die Scheibe sah sie, dass oben in der Wohnung immer noch Licht brannte. Nachdem sie eine Weile dagesessen hatte, fuhr sie langsam weiter zur Ausfahrt am Frederikssundsvej. Der Straße folgend fuhr sie weiter zur Kreuzung an der Borups Allé und bog in Richtung Stadt und Bispeengbuen ab, wo sie bei Rot anhielt. Hinter den erhöhten Fahrbahnen der Straße lag das Viertel, in dem Ulrik wohnte. Cecilie überlegte, ob er wohl Vinnie von seiner Festnahme erzählt hatte, bezweifelte dies aber. Die Ampel schaltete auf Grün, und sie fuhr weiter den Bispeengbuen hoch auf die andere Seite zur nächsten Ampelkreuzung. Statt Richtung Zentrum weiterzufahren, bog sie in die Lundtoftegade ein. Als sie die Reihe von Wohnblöcken auf der linken Seite erreichte, hielt sie auf dem Parkplatz vor Ulriks Hauseingang an. Sie sah hinauf zur Wohnung, in der das Licht brannte. War er vielleicht zusammen mit Vinnie am Saufen? Oder schlug er sie gerade, weil sie zu fragen gewagt hatte, wo er letzte Nacht gewesen war?
Cecilie wandte ihren Blick zu den geparkten Autos. Sie erinnerte sich, dass auf Ulrik ein BMW zugelassen war, jedoch wusste sie nicht mehr dessen Kennzeichen. In ihrem Kopf begann ein dummer Plan zu entstehen: Finde den Wagen. Sieh nach, ob er offen ist. Such nach dem Messer. Such nach den Gesundheitskarten. Wie gesagt, ein dummer Plan. Doch ehe sie es sich versah, hatte sie das Kennzeichen in ihren Aufzeichnungen im Telefon gefunden und war ausgestiegen, um auf dem Platz nach dem Wagen zu suchen. Fünf Minuten später war sie alle Reihen durch, ohne ihn zu finden.
Auf dem Weg zurück zu ihrem Fiat Panda fiel ihr ein, dass Ulrik vielleicht zum »Clown« gefahren war. Sie sah auf der Uhr, dass es zehn nach eins war, und fuhr Richtung Rantzausgade.
Als sie kurz darauf vor der Kneipe hielt, sah sie sich unter den parkenden Wagen nach dem BMW um. Er war nicht zu sehen, und sie begann, ihr Vorhaben zu bereuen. Nachdem sich das Unbehagen von dem Traum gelegt hatte, war es Zeit, nach Hause zu fahren und eine Mütze Schlaf zu bekommen.
Im selben Moment ging die Tür zur Kneipe auf, und Ulrik zeigte sich auf der Treppe. Er schwankte unsicher und nahm einen Zug von der Zigarette, die er dann wegwarf. Danach wankte er über die Straße und weiter zu einem schwarzen BMW ganz hinten in der Reihe von Autos. Mit Mühe schaffte er es, den Wagen aufzusperren, und Cecilie überlegte, ob sie ihn festnehmen sollte. Damit käme Ulrik in die Ausnüchterungszelle, während sie selbst die Möglichkeit hätte, seinen Wagen zu durchsuchen. Das Problem war bloß, dass es negative Folgen haben könnte, falls sie nichts fand. Sie war sich sicher, dass der Terrier es schaffen könnte, die Festnahme zu einer Frage nach unberechtigter Überwachung und Schikane durch die Polizei umzudrehen. Was der Sache der Anklagevertretung vor Gericht nicht dienlich sein würde.
Ulrik gab Gas und fuhr die Rantzausgade entlang. Cecilie folgte ihm. Kurz darauf erreichten sie den Wohnblock, in dem er wohnte, doch statt abzubiegen, fuhr Ulrik weiter in Richtung Bellahøj. Sie machte sich plötzlich Sorgen, ob er auf dem Weg zu Fie war, um sie zu schikanieren. Ihr vielleicht zu drohen, das Maul zu halten? Als er in den Frederikssundsvej abbog, lag sie direkt hinter ihm. Wenn er auf das Gelände fuhr, würde sie ihn stoppen, ehe er Fies Wohnblock erreichte. Doch als sie eine Minute später die Straßenkreuzung erreichten, fuhr Ulrik an den Hochhäusern vorbei und weiter auf dem Frederikssundsvej. Erst ein gutes Stück außerhalb etwa auf Höhe des Stadtteils Husum bog er in den Åkandevej.