Durch die Linse der Depression - Ruth Senff - E-Book

Durch die Linse der Depression E-Book

Ruth Senff

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Beschreibung

Das Leben durch die Linse der Depression zu sehen - dies gelingt der Autorin mit ihren Texten und Bildern. Tiefe Verzweiflung, lähmende Angst und schmerzhafte Traurigkeit sind nur einige der Aspekte der Erkrankung, die sie in diesem Buch eindrücklich beschreibt - schonungslos ehrlich und ungeschönt. Trotz aller Dunkelheit sind in diesem Buch auch immer wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer und das Wiedererstarken eines Funkens Mut zu finden, der Betroffenen Mut machen kann: Es wird besser werden!

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Den Ärzten, Therapeuten und Pflegern der DL02 mit großem Respekt für ihre Arbeit und aufrichtigem Dank für ihre Bemühungen!

Und meinem Mann in liebevoller Dankbarkeit für seine Unterstützung und Fürsorge in dieser schwierigen Zeit.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Kampf der Gefühle

Facetten der Traurigkeit

Auf meiner Bühne

Der Brief

Die Zahnräder

Der heilende Sturm

Die Schatzkiste

Der Tanz der Feder

Wendepunkt

Gesprengte Fesseln

Vorwort

Seit vielen Jahren gehören Depressionen zu meinem Leben. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen holen sie mich ein und ringen mir eine Zwangspause ab. Oftmals gibt es hierfür keinen konkreten Auslöser, es passiert einfach. Manchmal dagegen kann ich klar benennen, was mich dieses Mal aus der Bahn geworfen hat.

Bisher hatte ich es immer geschafft, mit ambulanter Therapie und der Betreuung durch einen Facharzt für Psychiatrie dem dunklen Loch zu entkommen. In diesem Jahr traf mich die Depression aber mit einer solchen Wucht, dass ich um eine stationäre Behandlung nicht umhinkam. Für mehrere Wochen begab ich mich in eine Fachklinik für Depressionsbehandlung.

Neben der ärztlichen Betreuung und Einzelgesprächen bei einer Psychotherapeutin gehörten Bewegungstherapie, Ergotherapie, verschiedene Gruppentherapien und eine Schreibtherapie zu meinem Behandlungsplan.

Bereits vor diesem Klinikaufenthalt galt meine Liebe dem kreativen Schreiben und der Fotografie. Nie fühle ich mich entspannter und freier, als wenn ich mit meiner Kamera durch die Natur streife. Nie kann ich meine Gefühle und Gedanken so klar in Worte fassen, als wenn ich an der Tastatur meines Computers sitze und Geschichten schreibe. Beides hat für mich therapeutische Wirkung und beides hilft mir, zu entspannen, die Sorgen für eine Weile zu vergessen und mich wieder zu fokussieren. Besonders während dieses Klinikaufenthaltes haben mir das kreative Schreiben und die Fotografie geholfen. Sie haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass es mir, Schritt für Schritt, wieder besserging und ich mich - langsam, aber sicher – wieder erholte. Die Texte, die hier veröffentlich sind, sind fast ausnahmslos im Rahmen der Schreibtherapie oder als Schreibaufgaben für mich im Rahmen der Therapien entstanden. Alle Texte stammen aus der Zeit meines Klinikaufenthaltes. Die Fotos sind auf meinen unzähligen Spaziergängen durch den weitläufigen Park der Klink und das angrenzende Naturschutzgebiet aufgenommen worden.

Es ist nicht zu leugnen, dass über jeder Geschichte, die ich in dieser Zeit geschrieben habe, und jedem Foto, das ich während des Klinikaufenthaltes geschossen habe, der Filter der Depression liegt. Manchmal schreit aus ihnen die tiefe Verzweiflung und Traurigkeit, die ich gespürt habe; dann wieder erkennt man in ihnen einen kleinen Funken Hoffnung und eine kleine Portion Mut, die ich wieder wahrnehmen konnte.

All jenen, die unter Depressionen leiden, möchte ich Mut machen und Hoffnung geben: Es wird wieder besser werden. Ich wünsche ihnen allen das Vertrauen darauf, dass die Dunkelheit nicht ewig anhält, sondern sich früher oder später ein silberner Streifen der Hoffnung und Besserung am Horizont abzeichnet. Ich würde mich freuen, wenn das ein oder andere Foto oder die ein oder andere Geschichte ein wenig Licht in die Dunkelheit der Depression bringt und dazu beiträgt, dass diejenigen, die sich mit der gleichen Krankheit plagen müssen, nicht die Hoffnung verlieren.

Den Ärzten, Therapeuten und Pflegern, die mich während meines Klinikaufenthaltes unterstützt, betreut, ermutigt und umsorgt haben, gilt mein aufrichtigster und tief empfundener Dank. Ich habe großen Respekt für ihre Arbeit und weiß, dass sie wesentlich zu meiner Besserung beigetragen haben.

All jenen, die im Stillen unter Depressionen leiden, möchte ich Mut machen, sich Hilfe zu holen. Es lohnt sich, denn nach nur wenigen Wochen wird sich eine Besserung abzeichnen. Es gibt keinen Grund, lange zu warten.

Ein Weg voll Licht und Schatten

Aus dem Dunkel ins Licht

Es geht immer weiter

Wo Schatten ist, ist auch Licht

Der Kampf der Gefühle

Abgeschlagen sehe ich die Welt wie durch einen Nebel. Die Antriebslosigkeit lähmt, und ich ärgere mich – über mich selbst und über das Leben, über das, was ist, und das, was war. Der Ärger schlägt um in Aggressivität, gegen mich, gegen alles – nur noch überlagert von Angst. Großer Angst. Sehnsüchtig denke ich an die Zeit, in der ich abenteuerlustig, sehr aktiv, manchmal auch albern und ausgelassen mein Leben leben konnte.

Beklemmung macht sich in mir breit, bildet einen Knoten in meinem Magen, legt sich wie ein Schleier auf meine Seele, trennt mich von dem, was ich früher mit Begeisterung getan habe. Ich fühle mich depressiv, und nur schemenhaft kann ich in mir einen Funken von Dankbarkeit empfinden: Ich lebe noch, habe dem Drang bisher standgehalten, endgültig aufzugeben. Ich lebe, ich bin, ich darf sein.

Manchmal empfinde ich Eifersucht auf all diejenigen, die scheinbar mit Leichtigkeit durchs Leben gehen, denen alles gelingt und die dieser Schwere bisher entgehen konnten. Ich fühle die Last der Einsamkeit, denn Leiden isoliert und errichtet Mauern. Wie sehr sehne ich mich nach Erleichterung, nach Entspannung! Und manchmal, nur noch selten, fühle ich mich für eine Sekunde ermutigt: Es wird weitergehen. Es wird enden.

Wann habe ich das letzte Mal gefühlt das Gefühl von Freude? Nicht die Freude, die man gezwungenermaßen zeigt, die, die von einem erwartet wird? Nicht die Freude, die sich gehört? Sondern Freude, die das Herz hüpfen lässt und den Bauch mit Wärme füllt? Es ist unendlich lange her. Und wenn ich keine Freude spüren kann, dann wäre ich gerne fröhlich, für Minuten nur: Eine kurze Freiheit, ein kurzer Freigang aus dem Gefängnis der Depression, ein kurzer Friede mit mir selbst, ein Waffenstillstand mit dem Leben.

Manchmal gelingt es mir, gelassen zu sein. Meist dann, wenn sich die Wärme von Geborgenheit in mir ausbreitet, das warme, samtige Gefühl von Sicherheit. Doch dann betritt schnell der Hass die Bühne – meist verkleidet mit der hässlichen Fratze des Selbsthasses: Wie kann es nur jemand mit mir aushalten, wie halte ich es mit mir selber aus? Wäre nicht der endgültige Schritt der beste, für alle? Ich fühle mich klein und hilflos. Und statt meines Atems spüre ich Hoffnungslosigkeit, die sich wie eine schwere, graue Decke über mich breitet, mich einhüllt, mich fast erdrückt.

Doch selbst - und es erstaunt mich immer wieder aufs Neue – selbst jetzt ist da, auch in den dunkelsten Momenten, ein Funke von Hoffnung, ein Trost, ein kleines Licht: Es wird wieder besser werden. Du wirst leben. Hoffnung darauf, dass die innere Kälte, die ich fühle, nicht von Dauer ist. Hoffnung darauf, dass irgendwann meine Kreativität sich wieder zeigt und ich kraftvoll neue Wege beschreiten kann. Dann, wenn Lebenslust und Leidenschaft zurückkehren, dann, wenn die Liebe den Hass vertreibt – die Liebe für mich selbst, die für die Menschen, die mir wichtig sind; die Liebe zum Leben und allem, was es zu bieten hat.

Das ständige Auf und Ab, aber mehr noch die Mutlosigkeit, machen mich müde, so unendlich müde. Ich kann nicht mehr.

Und wieder ist da der Neid. Neid auf die, die leben, auf die, die dieses Tal nicht durchschreiten müssen. Doch ein bisschen bin ich auch neugierig: Ob ich einmal zu denen gehören werde, die leben und auf die die anderen neidisch sind?

Optimismus wechselt sich mit Pessimismus ab. Meist dominiert der Pessimismus, manchmal erfolgt der Wechsel Schlag auf Schlag, doch nie darf er lange bleiben, der Optimismus. Das Auf und Ab, das Wechselbad der Gefühle, es zermürbt und macht mich ruhelos. Alles, wonach ich mich sehne, sind Ruhe und Stille, allumfassend, mich umschließend, lange.

Dass Leere und Angst schmerzhaft sein können und sich mit ihren scharfen Kanten in mein Innerstes bohren, musste ich erst lernen. Tatsächlich ist der Schmerz für mich körperlich spürbar, manchmal auch nur schwer auszuhalten. Mich plagen Selbstzweifel: Bin ich zu sensibel, stelle ich mich an? Mit einem Funken von Selbstbewusstsein sage ich: »Nein!«

Und in diesem Moment spüre ich einen Anflug von Stärke: Noch bin ich nicht untergegangen, noch lebe ich.

Danach wieder Traurigkeit – lähmend und erdrückend, als Glocke, die sich mir überstülpt. Manchmal noch Trauer um all die Menschen, die ich vermisse, die Chancen, die ich verstreichen ließ. Hauptsächlich aber eine tiefe, dunkle, unbegründete Traurigkeit.

Ich fühle mich überfordert – kleine Dinge lösen ein Gefühl von Stress und Unruhe in mir aus; ich treibe auf einem Ozean aus Unruhe, Unbehagen und Angst. Verzagtheit breitet sich in mir aus; ich kann sie fühlen, dort, wo eigentlich Leben spürbar sein sollte.

Ach, noch einmal verliebt zu sein, in das Leben, die Zukunft, in all das, was kommt, und das, was ist. Ich will es nicht verlieren, das Vertrauen, dass das Blatt sich noch einmal wenden wird, dass ich mich noch einmal fühle wie nach einem langen, erholsamen Schlaf. Oder das Vertrauen darauf, dass ich mich noch einmal wertgeschätzt fühle, hauptsächlich von mir selbst, meinem stärksten Kritiker, meinem ausdauerndsten Feind.

Ich halte mich fest, noch mit verkrampften Händen, mit der Kraft der Verzweifelten und der Hoffnung der Ertrinkenden, klammere mich mutig an die Zuversicht, an die kleine, leise Stimme, die mir, noch zaghaft, zuflüstert: »Auch du wirst einmal zufrieden sein. Dann, wenn der Kampf vorbei ist.«

Gedankenkreisen

Ein Wagen voller Unsicherheiten

Umgehauen

Ruhebedürftig

Isolation

Die Stille der Einsamkeit

Erdrückt durch eine schwere Last

Facetten der Traurigkeit

Dunkelheit umgibt mich. Nicht die Dunkelheit der Geisterstunde, nicht die Dunkelheit, wenn Wolken die Sonne kurz vor einem heftigen Gewitter verdunkeln. Es ist eine wabernde, dunkle Masse, die die Angewohnheit hat, sich zwischen mich und die schönen Dinge des Lebens zu stellen.

Manchmal kann ich sie nicht richtig fassen. Ein Lied im Radio berührt mich. Ich sehe eine schöne Szenerie auf einem meiner Spaziergänge. Selbst ein schöner Augenblick, ein besonderes Essen mit meinem Mann, ein Geschenk, das ich erhalte, mein Geburtstag – all diese Dinge können ein Gefühl der Traurigkeit auslösen. In diesen Momenten kann ich noch nicht einmal sagen, warum ich traurig bin. Wie dunkle Regenwolken schiebt sich die Traurigkeit vor meine Sicht, und ich sehe all das Schöne nur noch durch einen grauen Nebelschleier. Vielleicht ist es Weltschmerz. Vielleicht ist es auch nur die Depression in einer ihrer vielen Facetten.

Dann wieder gehe ich durch ein sommerliches Getreidefeld, sehe den Klatschmohn am Feldrand, sehe, wie ein lauer Sommerwind die Gerste zum Wogen bringt: Ein goldenes Meer, das anmutig auf und nieder wogt. Oder ich sehe eine sanfte Hügellandschaft vor mir – dann, wenn ich Nordhessen einen Besuch abstatte, manchmal auch in den Hügeln des Sauerlandes. Und es überkommt mich ein trauriger Schmerz, eine Sehnsucht, die ich im ganzen Körper spüre. In diesen Momenten trauere ich um meine Tante – meine engste Vertraute auf dem Weg ins Erwachsenenleben, mein Rückhalt in vielen schwierigen Momenten. Ich trauere um dieses zweite Zuhause, das ich bei ihr und ihrem Mann über viele, viele Jahre hatte. Ich trauere um die Telefonanrufe, bei denen sie mich in ihrer eigenen, ganz speziellen Art und Weise begrüßte – etwas, das meine Schwester und ich bis heute nachahmen, wenn wir in Erinnerungen schwelgen. Viel zu früh ist meine Tante nach schwerer Krankheit gestorben. Wie oft wünschte ich mir, sie anzurufen. Einmal noch ihre Stimme zu hören. Ihr erzählen zu können, was in meinem Leben passiert ist. Was würde ich nicht dafür geben. Manchmal träume ich von ihr, und es sind Träume, aus denen ich mit Tränen in den Augen aufwache und die mich den ganzen Tag fest in ihrem Griff halten. Sie fehlt.

Wenn ich um meine Tante trauere, dann legt sich eine andere Traurigkeit wie ein zweiter Schleier noch darüber – eine Trauer ist nicht genug, so scheint es zu sein. Das sind die Momente, in denen ich um meine Kindheit trauere. Nicht die alltägliche Kindheit, das Streben nach guten Noten, das Achten auf gutes Benehmen, die Strenge meiner Eltern, die mich immer ein wenig von anderen Kindern und Jugendlichen meines Alters abschirmte. Ich denke an die unbeschwerten Tage im Sommer, auf dem Bauernhof meiner Tante. Ich denke an herzhaftes, albernes Lachen, ich erinnere mich an so viele lustige Momente, die mich heute noch schmunzeln lassen. In diesen Erinnerungen fühle ich mich unbeschwert und leicht – bis zu dem Moment, in dem die Traurigkeit sich erneut wie eine bleierne Decke über mich legt.