DWK Die Wilden Kerle - Juli und der Geheime Joker (Neuer Band 5 3/4 der Bestsellerserie Die Wilden Fußballkerle) - Joachim Masannek - E-Book

DWK Die Wilden Kerle - Juli und der Geheime Joker (Neuer Band 5 3/4 der Bestsellerserie Die Wilden Fußballkerle) E-Book

Joachim Masannek

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Beschreibung

Wilde Nachricht: Ein komplett neuer BAND der Bestsellerserie DIE WILDEN KERLE … In der Folge 33 des Wilde-Kerle-Podcasts gibt es schon erste Informationen: www.diewildenkerlepodcast.de Die Wilden Kerle verbringen ihre Ferien im "Teufelstopf" und trainieren jeden Tag von Früh bis Spät. Alle haben Spaß, und auch Juli genießt die Zeit. Zugleich muss er aber auch immerzu an das geheimnisvolle Mädchen Nadeschda denken, das er kennengelernt hatte, als er beinahe zur Gang des Dicken Michi übergelaufen ist. Beinah. Juli geht das Mädchen mit dem tollen Lächeln und den langen Haaren nicht mehr aus dem Kopf und er beschließt, es wiederzufinden. Dabei kommt er einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur … Komplett neuer Band der Bestsellerserie "DIE WILDEN KEERLE"! Komplett farbig illustriert!

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Alles ist gut,solange du wild bist!

Vollständige E-Book-Ausgabe

des im 360 Grad Verlag GmbH erschienenen Werkes

360 Grad Verlag GmbH

Lindenstraße 23 · D-69181 Leimen

www.360gradverlag.de

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www.instagram.com/360gradverlag_bestbooks

https://diewildenkerlepodcast.de

http://diewildenkerle.de

© 2021 * 360 Grad Verlag

Text: © Joachim Masannek

Illustrationen und Cover: © Jan Birck

Umschlag und Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Datenkonvertierung eBook: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN-print 978-3-96185-984-9

ISBN-epub 978-3-96185-985-6

Inhalt

Impressum

Titel

Inhalt

——————————————

Wilde Zeit

Wieder zu Hause

Ich weiß, ich hab es geschworen

Keine Geheimnisse

Alles unter Kontrolle

Der Plan des Fetten Vetters

Wo ist Nadeschda? Wer ist Nadeschda?

Schlechtes Gewissen. Gutes Gewissen

Meditations-Billardschuss-Training

Die Welt ist nur halb

Der vegetarische Wolf

Juli, bleib hier

5 ¾

Der geheime Joker, Teil 1

Nat, der Tänzer

Verrat! Verrat!

Der geheime Joker, Teil 2

Maxi, der Richter

Das Spiel gegen die Bayern

Der geheime Joker, Teil 3

Das Märchen ist aus

——————————————

Autor und Illustrator

DIE WILDEN KERLE – weitere Bände

Wilde Zeit

 

 

Endlich war es Nacht. Ich meine die Nacht, in der alles schläft. Kreuzkack und Kümmelhuhn! Ich meine alles, was gut ist. Denn das Böse, das wusste ich, wachte jetzt erst auf.

Ich lag in meinem Schlafsack und sah die Tautropfen außen auf der Zeltplane im Mondlicht funkeln. Es war, als wären die Sterne zu mir heruntergestiegen. Und so fühlte ich mich: glücklich, erschöpft und gleichzeitig absolut wild und elektrisiert. Ich spürte die Energie und das Glücksgefühl bis in meine Fingerspitzen. Es war, als ob zwischen ihnen meine Glücksmark tanzte. Die rostige Münze, von der ich so hoffte, dass sie mir irgendwann zeigen würde, wohin ich gehörte.

Ja, ich bin’s wieder, Juli »Huckleberry« Fort Knox, die Vierer­kette in einer Person. Ihr kennt mich. Ich weiß, ich bin eigentlich jetzt gar nicht dran. Meine Geschichte war die in Band 4, genau, »Juli, die Viererkette« hieß sie. Doch bevor Raban, der Held in Band 6, seine Geschichte vom Silvester­fußballorakel erzählen wird, muss ich mich leider noch mal dazwischen drängeln.

Warum, wollt ihr wissen?

Weil meine Geschichte noch nicht vorbei ist. Sie ist noch nicht zu Ende erzählt. Ich bin noch nicht wirklich wieder zurück. Ein Teil von mir lebt noch immer im Dicke-Michi-Land. Kümmelkreuz Hühnerkack!

Dabei vertrauen mir, dem Verräter, meine Freunde, die Wilden Kerle, inzwischen wieder total, und wir leben und atmen doch gerade die wildeste Zeit unseres Lebens.

Deniz, die Lokomotive hat es euch am Ende seiner Geschichte im Band 5 ja bereits erzählt. Die Herbstferien hatten begon­nen und Willi hatte den Teufelstopf gleich am zweiten Ferien­tag zum Trainingslager erklärt. Das heißt, wir trainierten dort jetzt nicht mehr nur von früh morgens bis spät in die Nacht, nein, wir lebten, wir kochten und aßen und wir schliefen sogar in unserem Stadion. Es wurde zu unserem Zuhause. Es gab nur noch eins: uns, die Wilden Kerle. Wir lernten uns in- und auswendig kennen. Und wir hatten alle ein gemeinsames Ziel: die Herbstmeisterschaft. Das hieß, ein Sieg gegen den Turnerkreis und davor ein Sieg im Testspiel gegen die Bayern. Ja, genau, ich spreche vom FC Bayern und ich hoffe, ihr wisst, was das heißt. Wenn wir dieses Testspiel gewinnen, hat der Turnerkreis nicht mehr den Hauch einer Chance. Dann sind wir nach dem Ende der Hinrunde Tabellenführer in der Dimen­sion 8, der Liga, in der alle Spieler der anderen Mannschaften mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Jahre älter sind als wir.

Und genau das, das müsst ihr mir glauben, das wollte ich auch. Ich wollte es so sehr wie jeder andere Wilde Kerl. Und deshalb hatte ich dieses Mal auch kein schlechtes Gewissen. Dieses Mal verheimlichte ich nichts. Dieses Mal hatte ich nur … verflixt noch mal, ein großes Geheimnis. Ja, das hatte ich. Das schwöre ich euch und wenn ihr denkt, es hilft, könnt ihr es genauso schwören.

Also: Klappt das Buch zu, legt die Hand auf das Wilde Kerle-Logo, schließt die Augen und sprecht mir nach:

Juli »Huckleberry« Fort Knox, die Viererkette in einer Person, ist und bleibt für alle Zeit ein Wilder Kerl und er wird mit den Wilden Kerlen in sieben Tagen gegen den FC Bayern spielen.

Trotzdem krabbelte ich über meinen neben mir vor sich hin schnarchenden kleinen Bruder. Nein, er schnarchte nicht nur. Mindestens alle zwölf Atemzüge ließ Joschka einen fahren, ganz leise und lang. Puh, ich sage euch, das schnürte mir die Kehle zu und ließ die Luft im Zelt zum Schneiden dick werden. Ganz ehrlich, dann war es mir egal, dass Joschka die siebte Kavallerie war, die wir unbedingt brauchten. Dann rollte ich ihn einfach wie eine Kugel nach draußen ins Gras, wo er weiter schnarchte und pupste.

Aber dadurch wurde es auch nicht viel besser. Die feuchte Luft verdoppelte den Geruch des Methans, das mit jedem Pups seinem Popo entfleuchte. Kreuzkack! Das weiß doch jeder von euch, der schon mal in der Badewanne – verflixt und zugenäht! Ihr wisst, was ich meine …

Ich schlüpfte also aus dem Zelt, schlich zum Holzzaun des Teufelstopfs, löste ein Brett, kroch durch die Lücke und verließ meine Wilde-Kerle-Welt. Ich Iief durch den Finsterwald, sprang über den Brennnesselgraben und durchquerte die milchige Steppe. Ich ließ selbst die Graffiti-Burgen, die Heimat des Dicken Michis, die böseste aller bösen Welten, die wir bis vor Kurzem noch kannten, hinter mir und stoppte erst, als ich das Räubernest vor mir sah.

Wohnwagen, Busse, Autowracks und Wellblechhütten duck­ten sich unter mir zwischen den Hügeln auf dem lehmigen Boden. Doch über ihnen schwebte eine flackernde Kuppel aus Licht. Ich habe euch gewarnt. Das Böse war längst erwacht. Eine Windböe, ein Vorbote des Winters, ließ die Glühbirnen­girlanden zwischen den Hütten wie Eisblumen klirren. Es war so gruselig, dass mir Kälteschauer wie eiskalte Rattenfüße den Rücken hinabliefen. Und ich wünschte mich zurück in mein Zelt: zurück zu meinen Freunden.

Warum bin ich hier?, schoss es mir durch den Kopf. Der Teufelstopf war das Paradies. Besonders an diesem Abend. Ich erinnerte mich an ihn, als sähe ich einen fantastischen Film. Hoch über unseren Köpfen leuchteten, nein brannten die Baustrahlerflutlichttrauben wie sechs galaktische Sonnen. Wir hatten bis viertel nach neun trainiert. Die Nudeln kochten, und während Marlon, die Intuition, und Rocce, der Zauberer, dazu die beste karibische Soße der Welt in einem Wok erfanden, der die Größe einer Badewanne hatte, lief ich lachend zwischen meinen Freunden herum und verteilte Teller, Gabeln und Becher.

»Hey Leon!«, neckte ich den um ein Jahr jüngeren Bruder von Marlon. »Ich hab einen neuen Namen für dich. Du bist nicht nur der Slalomdribbler, der Torjäger und Blitzpasstor­vorbereiter. Du bist jetzt auch der Meister des Abwaschs. Ach ja, und du, Fabi, du bist dabei seine unverzichtbare rechte Hand.« Ich grinste die beiden blonden, unzertrennlichen Freunde an: »Ihr beide seid die, die gleich spülen werden. So hat das Fußballorakel entschieden.«

Leon war baff. Das heißt, er schnappte nach Luft, und Fabi, der schnellste Rechtsaußen der Welt, zischte drohend durch die Zähne. Eine Riesenanakonda hätte das nicht eindrucks­voller gekonnt. Sie mussten nichts anderes sagen. Ich verstand sie auch so. Es hieß: Wir denken nicht dran. Wir spülen nicht ab. Und weißt du warum: Wir spülen nie ab!

Ich zögerte kurz. Ich räusperte mich, und als nähme ich alles wieder zurück, sagte ich: »Okay, ich war vielleicht etwas zu schnell. Das Fußballorakel hat noch gar nicht entschieden.« Nervös trat ich auf der Stelle. Ich machte es spannend. Ich nahm die Mütze vom Kopf, was ich nur tat, wenn ich wirklich verlegen war. »Aber ich glaube, es wird so entscheiden. Ob ihr wollt oder nicht.«

Ich zog fünf Streichhölzer aus dem Saum meiner Mütze und hielt sie den anderen hin: »Diejenigen, die die beiden kürzesten ziehen, machen den Abwasch.«

Ich grinste ein ganz breites Lächeln.

Leon und Fabi schauten sich an. Dann sahen sie mich an. Du wirst dich nicht trauen, uns zu bescheißen, verrieten mir ihre Blicke, und ich antwortete deshalb: »Nee, Kreuzkümmelhuhn, das würde ich mich niemals wagen.«

Ich zog selbst das erste Streichholz aus meiner Hand. Ich zog es ganz langsam, und es war wirklich das längste Streichholz der Welt. Er war dreimal so lang wie ein richtiges Streichholz. »Seht ihr. Absolut fair.«

Fabis und Leons Augen verengten sich zu ganz schmalen Schlitzen. Sie glaubten mir nicht. Sie glaubten mir kein Wort. Aber sie wollten mich auch nicht als Lügner bezeichnen. So etwas war unter Wilden Kerlen nicht erlaubt. Also griffen sie gleichzeitig nach zwei Streichhölzern und zogen sie schnell aus meiner Hand.

»Oh.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sah, was ich sah. Leon und Fabi starrten auf ihre höchstens drei Millimeter langen Streichholzstummel.

»Ich glaube, viel kürzer geht nicht«, sagte ich. »Aber ihr könnt ja mal rumfragen, ob euch jemand beim Abtrocknen hilft.« Mit diesen Worten hüpfte ich weiter. Ich ignorierte die wütenden Blicke meiner beiden Freunde in meinem Rücken und reichte Vanessa, der Unerschrockenen, die das alles amüsiert beobachtet hatte, ihr Essgeschirr.

»Einen Moment!«, riefen Leon und Fabi. Sie hatten mich bei den Schultern gepackt, rissen mich zu sich herum und forderten: »Zeig uns die anderen Hölzer!«

Ich schluckte verlegen. »Das geht leider nicht.«

»Ach ja, und warum nicht?«, zischte Leon mich an.

»Hast du sie etwa gezinkt? Sind alle gleichlang? Ich meine gleich kurz? So kurz wie unsere?« Auf Fabis Gesicht entstand sein unwiderstehliches und jetzt wieder siegessicheres Lächeln.

»Ihr ha-habt schon gezogen. J-jetzt sind die anderen d-dran«, stotterte ich und tat so, als wollte ich Zeit gewinnen.

»Das ist egal. Los, zeig sie uns!«, verlangte Leon. »Und wenn wir recht haben, spülst du ab heute jeden Tag. Bis zum Ende der Ferien.«

Jetzt schauten alle Wilden Kerle zu mir. Selbst Willi kam neugierig aus seinem Kiosk heraus.

»Okay.« Ich schluckte. »Aber wenn ihr euch irrt, ist das euer Job. Dann wirst du der Meister des Abwaschs sein, Leon, und du, Fabi, bist und bleibst seine unverzichtbare rechte Hand.«

Ich hielt Vanessa die beiden Streichhölzer hin. »Zieh eines von ihnen. Aber pass auf, wenn deines noch kürzer ist, dann …«

»Ich hab es kapiert«, grinste die Unerschrockene und zog das ganz rechts zwischen meinem Daumen und dem Zeigefinger eingeklemmte Hölzchen heraus. Ein Raunen ging durch den Teufelstopf. Das Streichholz war mindestens fünf Zentimeter lang.

»Und das letzte zieh ich«, rief Markus, der Unbezwingbare, und präsentierte erschrocken den Streichholzstummel zwischen seinen Torwarthandschuhfingern. Leon und Fabi sprangen herbei. »Deins ist noch kürzer«, triumphierten sie und hielten ihre Streichhölzer daneben. Doch so sehr sie sie auch verrückten, verdrehten oder verschoben, Markus’ Streichholz war eindeutig einen Millimeter länger als ihrs.

Fabi und Leon starrten mich an. Sie sahen aus wie zwei begossene Pudel. Wie Zuckerwatte im Sintflutregen. Ihre Wut ließ ihnen Hörner wachsen. Die schossen aus ihren Schläfen hervor und zeigten in meine Richtung.

»Wie machst du das?«, zischte Leon drohend.

»Wir kriegen das raus!«, prophezeite Fabi schon lauter.

»Und dann zahlen wir es dir doppelt heim!« Leons Stimme klang fest, auch wenn sie noch etwas bebte.

»Nein, nicht doppelt«, korrigierte Fabi. »Mindestens dreifach. Und wenn das vorbei ist …«

»… fangen wir wieder von vorne an.« Leon grinste mich an, und so wütend und siegessicher dieses Grinsen auch war, mich ließ es kalt. Ich musste lachen. Genau wie die anderen Kerle und Willi. Wir lachten laut los, und schließlich blieb selbst Fabi und Leon nichts anderes übrig. Auch wenn sie sich noch so dagegen wehrten, sie konnten nicht anders. Unser Lachen steckte sie an. Es vertrieb alle Wut auf mich aus ihren Gesichtern und …

… ich musste selbst jetzt noch lachen. Doch dann hörte ich wieder das Glühbirnengirlanden-Eisklirren und mit ihm kehrten die Ratten-Eisfüße auf meinem Rücken zurück. Ich hatte beides vergessen gehabt und wenn ich ehrlich bin, hatte ich sogar vergessen, wo ich jetzt war: hinter den Graffiti-Burgen vorm Räubernest des Fetten Vetters, im Vergleich zu dem sein Cousin, der Dicke Michi, eine abgemagerte Bohnenstange war. Ich dachte wirklich für einen Moment, ich läge noch immer im Teufelstopf im Zelt neben meinem kleinen Bruder Joschka und wartete sehnsüchtig darauf, dass er endlich wieder pupste. Bitte Brüderchen, lass einen fahren und zeig mir, dass ich nicht hier bin, sondern bei dir! Aber Pustekuchen.

Mich packten zwei kräftige Hände. Sie rissen mich herum. Sie pressten mich mit dem Rücken auf den lehmigen Boden und ich starrte in ein so gruseliges Gesicht, von dem ich nicht wollte, dass es meinem schlimmsten Feind auch nur in seinem dunkelsten Alptraum erscheinen würde.

Wieder zu Hause

 

 

Kennt ihr das? Ihr schaut einen Film. Vielleicht einen ab zwölf, den man mit Erlaubnis der Eltern schon mit neun sehen darf. Doch ihr wollt nicht zugeben, dass er zu spannend ist. Deshalb spult ihr, wenn ihr es vor Angst nicht mehr aushalten könnt und weil es keiner sieht, heimlich vor – vor zu einer Stelle, wo wieder alles in Ordnung ist. Kennt ihr das? Okay, dann versteht ihr mich jetzt. Denn genau das tue ich auch. Vorspulen. Ich erspare euch dieses Gesicht und das, was »es« noch mit mir angestellt hat.

Ich lasse es weg, als wenn ich es gar nicht gesehen hätte, und erzähl die Geschichte erst ab dem Moment weiter, als ich auf dem Stuhl im Räubernest saß. Mitten auf dem Platz zwischen den Hütten und Autowracks und in der Mitte der Kuppel aus dem mit dem Wind flackernden und eisklirrenden Glühbirnen-Girlanden-Licht.

Ich saß auf dem Stuhl und fühlte mich, als hätte man mich vergessen. Ich war nicht gefesselt. Ich hätte einfach auf­stehen und weglaufen können. Ich war frei, und so langsam beruhigte sich auch mein Puls. Mein Herz kroch aus den Socken heraus, in die es gerutscht war, und hoch durch den Schlüpfer zurück in die Brust, wohin es gehörte.

Hoffentlich sieht sie mir dabei nicht zu!, flehte ich leise und wünschte mir gleichzeitig, dass ich sie doch endlich wiedersehen könnte. Ich wünschte mir so sehr, dass sie mich hier sah und begriff, dass ich nur wegen ihr zurückgekommen war.

Zurück in das Land meines Vaters und meines Verrats.

Ja, hier, in diesem Räubernest, hatte ich die Wilden Kerle schon einmal verlassen. Ähm, ich meine, ich hatte sie einmal ganz kurz verlassen. Nur für ein paar wenige Augenblicke. Für die kurzen Momente, als mich ihr Blick traf und ihre braunen langen Haare ihr Gesicht und ihre dunkelmoorbraunen Augen umwehten. In diesen Momenten hatte ich das Gefühl, zu Hause zu sein. Im Land meines Vaters, das jetzt das Land des Dicken Michis war. Und das seiner Cousine. Verflixt! Ich spreche von der einen seiner drei Cousinen, die nicht so aussah wie er. Ich meine Nadeschda. Nadeschda, Nadeschda, Nadeschda. Kreuzkümmelhuhnkack! Könnt ihr euch an sie erinnern? Könnt ihr euch daran erinnern, wie sie aussah? Halt, nein, wie sie mich ansah? Gut. Dann lasst mich bitte mit dem ganzen Gelaber in Frieden, von wegen: Ey, Juli ist verknallt. Seine Sommersprossen sind explodiert und seine Ohren glühen wie die Bremslichter eines Ferraris, der bei 280 eine Vollbremsung macht. Oh mein Gott, Juli, das ist nicht dein Ernst. Wegen eines Mädchens verlässt du den Teufelstopf, die Wilden Kerle und die Dimension 8? Willst du jetzt knutschen statt Fußballspielen? Ich glaub, mir wird schlecht. Ich glaub, ich muss spuck… Halt! Stopp! Das reicht! Haltet die Klappe! Haltet einfach eure Klappe.

Gut. So ist es gut! Und jetzt hört mir zu. Ich erzähle euch diese Geschichte. Ich verschweige sie nicht. Ich erzähle sie genau, wie sie war. Und deshalb verlange ich Respekt. Ja, euren Respekt und euer Vertrauen. Also: Erstens! Ich bin nicht verknallt. Ich bin erst neun Jahre alt, und wenn man neun Jahre alt ist, hat man überhaupt keine Ahnung von solchem Zeugs. Ich meine Zeugs wie verknallt. Das muss ich erst lernen und ich hab keine Ahnung, wann das passiert und wie viele Jahre das dauert. Wie lange es dauert, bis Mädchen, die doch offensichtlich stinken und giftig sind, plötzlich gut riechen und schmecken.

Und zweitens hab ich einen Plan. Ich habe was vor. Das ist mein großes Geheimnis. Genau das habe ich euch direkt am Anfang gesagt und wegen diesem Geheimnis bin ich jetzt hier.

Wegen diesem Geheimnis saß ich auf dem Stuhl mitten im Räubernest und lief auch nicht weg, als mein Herz aufschrie und wieder zurück in die Socken wollte. Ich hörte das Sirren zuerst. Es war ein stöhnendes, ächzendes Sirren, mit dem zehn Autobatterien versuchten, den Rollstuhl des Fetten Vetters über einen Hügel und in sein Räubernest zu wuchten. Die Reifen gruben sich in den steinharten Lehmboden, als wäre der geschmolzene Butter, und als ich ihn endlich sah, konnte man den Rollstuhl unter dem riesigen Bauch des Räuberhauptmanns kaum noch erkennen. Es schien so, als rutschte der Fette Vetter auf seinem Hintern über den Boden und den Hügel hinab – direkt auf mich zu. Er wurde schneller und schneller und ich dachte, ich würde gleich für immer unter dieser Lawine aus Fett begraben. Da endlich erfüllten die zehn Trommel- und zwanzig Scheibenbremsen an den acht Doppelrädern des Rollstuhls ihre verdammte Pflicht. Das Monstrum hielt an. Zehn Zentimeter vor meinem Stuhl. Der Fette Vetter öffnete seine Augen wie ein Alligator, der aufwacht, weil er plötzlich Hunger bekommt, und blickte mich abschätzig an.

»Juli Huckleberry Fort Knox«, nannte er meinen Namen, und seine helle, aber gruselig kalte Baby-Roboter-Stimme verwandelte jedes Wort in ein Todesurteil: »Du traust dich echt was. Erst enttäuschst du das Vertrauen, das mein Lieblingscousin in dich gesetzt hat. Mein armer Michi, der sonst niemandem traut, hat dich mit offenen Armen in seiner Gang aufgenommen. Er hat dich seinen Cousinen vorgestellt.«

Der Fette Vetter machte eine Pause und holte tief Luft. Er hatte bemerkt, wie sich meine Ohren verfärbten. »Genau, er hat dich Nadeschda vorgestellt. Nadeschda. Nadeschda.« Er ließ ihren Namen auf seiner Roboterzunge zergehen. »Und du hast nichts anderes vorgehabt, als ihn zu verraten. Du hast Sense beleidigt, du hast ihm seine Süßigkeiten gestohlen, und dann hast du Michi gedemütigt, wie man noch nie jemanden aus meiner Familie gedemütigt hat. Du hast ihn gehonigt und gefedert und so übel zugerichtet nach Hause geschickt.«

Er musterte mich mit den gefühllosen Augen eines mord­lüsternen Hais. Dann sprach er weiter.

»Weißt du, was ich mit solch kleinen Jungen wie dir mache? Was ich mit ihnen machen muss.«

Ich schüttelte den Kopf. Das heißt: Ich wollte ihn schütteln, doch er gehorchte mir nicht. Ich wollte auch was sagen. So was wie: Selbst wenn du hundert Mal klüger bist als dein Lieblingscousin, muss ich mich nicht vor dir fürchten, denn hundert mal null bleibt null. Oder: Bevor dein Gehirn deine Hand dazu bringt, sich zu bewegen, um mich zu fassen, bin ich längst wieder im Teufelstopf. Und das, obwohl ich davor zehnmal um dich herumgerannt bin. Und das ist schon ein halber Marathonlauf.

Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich saß einfach nur da wie das erbärmliche Kaninchen vor der Schlange, die es gleich frisst.