Honky Tonk Pirates - Das Herz der Ozeane - Joachim Masannek - E-Book

Honky Tonk Pirates - Das Herz der Ozeane E-Book

Joachim Masannek

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Beschreibung

»Fluch der Karibik« meets »Wilde Kerle«: ein Feuerwerk an Action und Abenteuer!

Endlich 16! Endlich ein volljähriger Pirat! Und zur Feier des Tages wird Will von Honky Tonk Hannah prompt auf eine raue irische Insel entführt. Dort erwartet ihn eine ganz besondere Überraschung: Er bekommt die Chance, neben Hannah und Blind Black Soul Whistle zum größten Piratenkapitän aufzusteigen – mit eigenem Schiff, eigener Crew und streng geheimem Piratenversteck. Doch dazu muss Will den »Tanz mit dem Teufel« bestehen – und seine Seele aufs Spiel setzen! Ein guter Grund, sich in dieses gefährliche Abenteuer zu stürzen ...

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Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2012 cbj in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Coverabbildung und Innenillustrationen: Susann Bieling

Covergestaltung: Max Meinzold, München

Ku · Herstellung UK/ChB

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-06863-9V002

www.cbj-verlag.de

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Das Erbe von Nassau

DIE BESTE PIRATIN DER WELT

er Morgen an diesem Mittjulitag war sprachlos vor Glück. Die Sonne riss den Horizont auf, als wäre sie von Gott für Piraten erschaffen worden, und der Himmel, den sie erstrahlen ließ, war so endlos und tief und blau wie das Meer.

Will lag in der kleinen sandigen Bucht, in die ihn die Strömung des Flusses hineingespült hatte und träumte sich mit offenen Augen in die Sprühnebelwolken, die die mächtigen Niagarafälle nur ein paar Steinwürfe von ihm entfernt flussaufwärts emporwirbelten. Vögel tanzten durch das in allen Regenbogenfarben funkelnde Licht und ließen ihn die schrecklichen Ereignisse der letzten Tage vergessen. Selbst die zahlreichen Wunden, die ihm die Mohawks im Kampf um die Drachenburg zugefügt hatten, schmerzten nicht mehr und deshalb streckte sich Will jetzt, nackt wie er war, auf dem grobkörnigen Sand und genoss den Sieg. Den Sieg der Piraten über Prinz Gagga und seinen Oheim, den Schwarzen Baron.

Ja-mahn! Er sah sie noch immer dort oben stehen: auf den Klippen der Insel, die die Wasserfälle in der Mitte des Niagaras teilte. Ihr nasses Haar strahlte im Licht der hinter ihr aufgehenden Sonne und an ihrem Finger, den sie hoch über den Kopf ins Himmelblau streckte, strahlte der Ring wie ein neugeborener Stern.

Hannah war schön. Nein, sie war schöner als schön. Sie war schöner als die Eisbüste der einstmals so atemberaubenden Chen, der Will am Ende der Welt den Ring vom Finger gezogen hatte. Und Hannah war auch nicht aus kaltem Eis. Nein, sie war so wie er und Nat zu den Fällen geschwommen, ohne Kleider, ganz nackt, und so hatte sie auf den Klippen gestanden und den Rochen gerufen. Den Fliegenden Rochen. Ihr Schiff. Den Seeräuberkatamaran des Vergessenen Volks. Und der hatte sich mit seinem sechsfachen Dschunkensegelflügelschlag auf Valas gestürzt. Seine Geschütze hatten den künstlichen Hummer auf dem Rücken des Pottwals zerrissen und Prinz Gagga, den Schwarzen Baron und seine vermummten Höllensoldaten nach einem schon sicher geglaubten Sieg in buchstäblich letzter Sekunde doch noch in die Flucht geschlagen.

»Nat!«, raunte Will. »Das war Magie. Nein, das war ein Wunder.«

Er wandte den Kopf und schaute zu seinem neuen amerikanischen Freund, der, obwohl er ihn erst seit drei Wochen kannte, wie ein Bruder für ihn war. Ein Blutsbruder, ja. Doch Nat war nicht da. Die Stelle, auf der er im Sand gelegen hatte, war bereits kalt und am Felsrand der Bucht stand die mit einem Stein wie mit Kreide geschriebene Nachricht:

Wir sehen dich auf der Party. Falls du nicht verpennst!

»Na warte!«, zischte Will, orientierte sich kurz nach der Sonne, die bereits hinter dem westlichen Ufer versank, und rannte, nackt, wie er war, die felsige Böschung hinauf.

Wir?, schoss es ihm dabei jäh durch den Kopf und er dachte zuerst an Honky Tonk Hannah. An Hannah und Nat. Und wie Nat Hannah angesehen hatte, wenn sie ihn ansah … Und plötzlich war alle Freundschaft und Blutsbrüderschaft vergessen.

Will rannte flussabwärts. Er ließ die Ruine der einstmals so stolzen Drachenburg in der Mitte des Niagara links liegen, packte sich eines der Rindenkanus, das die Irokesen auf ihrer panischen Flucht vor Valas, dem nachtschwarzen Pottwal, vergessen hatten, und paddelte zum Rochen hinüber. Der lag majestätisch und still, mit seitwärts geneigten Segelflügeln auf dem an dieser Stelle fast seebreiten Fluss und schien auf den ersten Blick unbemannt. Moses Kahiki, der Chevalier du Soleil, und die vier Dutzend Kinder aus den Katakomben Berlins, die mit dem Rochen gekommen waren, befanden sich längst auf der Drachenburg, um ihre beiden Anführerinnen, um Rachel und Sarah wiederzusehen und um sich um Blind Black Soul Whistle zu kümmern.

Der alte Piratenfürst durfte nicht sterben! Nein!

Aber dafür hatte Will in diesem Moment keinen Kopf. Daran konnte er jetzt nicht denken! Er sprang aus dem Kanu auf die Ankerleine und eilte auf ihr, als wär sie kein drei Finger dickes, schwankendes Tau, sondern ein fest und sicher ausgetretener Pfad zu den Schwingen des hölzernen Mantas empor. Die Flügel der Galionsfigur umschlossen die Rümpfe des Katamarans. Ihre delfinglatte Haut war von silbernen Zeichen wie von Tattoos überzogen und von dort sprang Will jetzt über die Reling aufs Deck und hoch auf die Brücke. Er stürmte die lange Treppe hinauf, erreichte das Heck des Seeräuberschiffs, und stürzte in Hannahs private Kajüte.

»Seid ihr da?«, rief er stürmisch, warf einen kurzen aber raubvogelscharfen Blick in den rechts zum Salon angrenzenden Raum, erkannte das Bett, das unberührt war, und riss dann die erste der beiden Türen auf der Backbordseite auf. Hinter der befand sich das Badezimmer, Hannahs begehbarer Schrank und Ankleidezimmer. Er sprang in den Raum, schlug die Tür hinter sich zu und presste seinen Rücken an das hölzerne Blatt.

»Was machst du da?«, schnaufte er atemlos.

Hannah, die mit dem Rücken zu ihm inmitten eines Kreises aus Schulter an Schulter aneinandergereihter Ankleidepuppen stand, antwortete gedankenverloren. »Wonach sieht das denn aus? Ich ziehe mich an.« Sie drehte sich langsam, ließ ihren Blick über die prächtigsten Kleider, Röcke und Hüte schweifen, die sie besaß, und sah dann zu ihm.

»Und das solltest du auch tun, wenn du mich fragst, Herr Stupps.«

Sie senkte den Blick, spöttisch und langsam.

»Denn sonst könnte es sein, dass du mir vielleicht ganz eventuell und mehr als dir lieb ist, zeigen könntest, wie sehr du mich magst.«

Will spürte ihren Blick auf seinem Hals, den Schultern, dem Bauch und er nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Und Nat, wo ist der?« Er starrte sie an.

»Wer?«, fragte Hannah. »Nat? Keine Ahnung. Aber ich weiß, was passieren wird, wenn mir gleich der Geduldsfaden reißt. Ich bin nackt, hörst du, nackt, und weil das so ist, weiß ich genau, was passiert, wenn ich gleich zu dir komme, um dich …«

»Ich hab keine Angst!«, konterte Will. »Und ich kenn das schon alles. Ich hab es gesehen, vor der Küste der Insel des Vergessenen Volks. Da hast du geduscht, auf dem Fliegenden Rochen, und du hast mir den Lendenschurz stibitzt.«

»Ja, um ihn mir anzuziehen.« Hannah blitzte ihn an. »Und außerdem warst du … du warst noch ein Kind.« Sie raufte sich die Haare. Sie drehte sich naserümpfend im Kreis und das war kein gutes Zeichen. Nein, zumindest nicht für jemanden, der ihren Zorn fürchten musste.

Doch Will hatte dafür jetzt keinen Kopf. »Ach ja!«, triumphierte er. »Ich war noch ein Kind? Und das ist jetzt anders?« Er war plötzlich stolz. Genau danach hatte er sich immer gesehnt. Dass sie ihn so sah: »Ja, ich war noch ein Kind und das ist jetzt anders.« Er ballte die Fäuste. »Jetzt bin ich ein Mann und erwachsen geworden.«

Er strahlte sie an, doch sie hob eine Braue. »Nun, ich würde sagen, du bist einfach nur nackt.«

Sie sagte das lächelnd, und plötzlich verstand Will, was der Grund dafür war. Warum Hannah lächelte: Er war wirklich ganz nackt. Das hatte er in seiner Freude und Eifersucht einfach vergessen. Und als er jetzt sah, wo genau Hannah hinschaute, riss er die Tür auf, floh aus dem Bad und durch den Salon, warf sich im Schlafzimmer auf den Boden und rutschte auf den gewachsten Dielen unter das Bett. Dort vergrub er sein Gesicht in den zitternden Händen. Er schämte sich so und wünschte sich innigst, dass er das alles nur träumen würde. Er biss sich in die Daumen, bis er vor Schmerz aufschreien musste.

Da hörte er Nats amüsierte Stimme. »Und ich hab gedacht, du kannst sie nicht leiden! Sie ist nur Unglück. Die Pest!«

Will hielt sich die Ohren zu. »Das stimmt auch! Das stimmt!«

»Das hab ich gesehen«, lachte sein amerikanischer Freund.

»Du hast gar nichts gesehen!«, fiel Will ihm ins Wort.

Er blitzte ihn an. Nat saß im Ohrensessel neben der Tür und trug schon ein prächtiges Trapperkostüm aus Silberfuchs-, Biber- und Grizzlyfellen.

»Also gut!«, seufzte Nat. »Ich hab gar nichts gesehen.« Er grinste verschmitzt: »Und bevor ich doch etwas sehe, ziehst du das an.«

Er warf ein Kleiderbündel vor die Füße der Bettstatt.

»Der Rock ist von Whistle, soll ich dir sagen, und die Hose von Finn. Sie wollen sich damit bei dir bedanken.«

»Aber wofür?« Will steckte den Kopf unterm Bett hervor. »Ich hab nichts getan. Das weißt du genau. Wir haben den Pottwal nicht getötet.«

»Und deshalb bedankt sich Whistle bei dir!« Nat zuckte die Achseln. »Der Alte wird wirklich sentimental. So kurz vor dem Ende.«

»Wie bitte, was?«, fragte Will erschrocken, doch Nat wich seiner Frage aus.

»Und Finn bedankt sich für seine Töchter. Dass du sie zu ihm zurückgebracht hast. Dafür verzeiht er dir sogar den Diebstahl des Siegels.«

»Was uns alle gerettet hat!« Will rollte unter dem Bett hervor und schlüpfte blitzschnell in seine Hose aus lehmfarbenem, samtweichem Eisbärenleder. »Ohne das Siegel des Rings wären wir tot. Mit ihm hat Hannah den Horizont aufgerissen und den Rochen aus ihm herausgeholt. Verfuchst, Nat, hast du Hannah gesehen, wie sie auf den Felsen stand? Wie sie im Licht der Sonne stand: mit nichts als dem Ring?«

Er warf sich gerade das Hemd über den Kopf und sah deshalb nicht, wie in Nats Augen die Eifersucht blitzte. Der konnte sich nur mit Mühe beherrschen.

»Ach ja«, hüstelte er, »und bevor ich’s vergesse: Das Hemd schenken dir die Triple Twins. Auch sie danken dir.« Er hob ratlos die Schultern. »Ich weiß nicht warum, aber sie fanden dich tapfer und meinen, dass du derjenige warst, der uns beim Angriff der Mohawks gerettet hat.«

Will wurde rot. Das Hemd war aus karibiksandweißem Leinen gefertigt, das man mit Seide verwoben hatte, und streichelte ihm bei jeder noch so kleinen Bewegung wie ein Windhauch über die Haut.

»Haben sie das wirklich gesagt?«

»Alle sechs«, nickte Nat und Will drehte sich vor Freude im Kreis.

»Ja!«, stieß er aus. »Ja!« Er blies sich die blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht und atmete stolz. »Ich hab sie gerettet. Ich hab euch gerettet. Ich hab dich gerettet und sie!«

»Sie?«, fragte Nat, als ob er nicht wüsste, wen Will damit meinte.

»Ja!«, lachte Will und wischte sich mit dem Ärmel den Rotz von der Nase. »Ich hab ihr zum sechsten Mal das Leben gerettet. Und da zähle ich die kleinen Sachen erst gar nicht mit.«

Er packte den Rock, um ihn anzuziehen. Doch als er ihn hochhob, stockte sein Herz. »Nein!«, raunte er und: »Ja-mahn!«, und: »Wow! Beim heiligen Flitzfliegenschiss!« Der Rock war ein Meisterwerk. »Wo kommt der her?«

Er hielt den Rock in das Sonnenuntergangslicht, das in diesem Moment durchs Fenster der Kajüte fiel. Der Rock schimmerte rot wie teurer Wein. Matt und fast schwarz an der Oberfläche und leuchtend blutrot in der dunklen Tiefe. Er leuchtete wie das Herz von Valas, das Herz und die Adern des sonst schwarzen Pottwals, an denen er mit Nat vorbeigetaucht war.

»Oh, fühl mal den Stoff. Und das: was ist das? Sind das etwa Perlen?« Er strich über den Rock. »Das ist fast metallisch und trotzdem ganz weich. Wie Schuppen von einem Tier, das ich noch nicht kenne. Und trotzdem ist es gewebt. Und diese Perlen sind blau, schwarzblau und tiefgrün wie lebende Augen. Aber das gibt es doch nicht und es ist nicht eklig. Es ist das Gegenteil. Es ist …«

»… der Rock vom ›Peste Angelica‹. Dem Teufel, der ein Engel war!«

Hannah stand in der Tür zum Salon und ihr ausnahmslos silbernes Piratenfestkleid erstrahlte im letzten Licht des Tages.

»Peste Angelica!«, wiederholte sie seufzend, als handelte es sich dabei um ihr Lieblingsgericht. »Er hatte Augen wie du.« Sie schob ihren aus Silberblumen geflochtenen Hut mit der Fingerspitze aus der Stirn und sah Will verführerisch an: »Himmelhellblau, und obwohl er erst fünfzehn war, hat er es allen bewiesen. Er wurde der jüngste Piratenfürst, den die Welt gesehen hatte, und er hatte eine Vision.«

»Ja?«, fragte Will und hing an Hannahs silbernen Lippen. Ja, selbst ihre Lippen hatte sie silbern gefärbt und ihre Haare, die Wimpern und Brauen glitzerten so, als seien sie mit Diamanten benetzt. »Und was hat er gewollt? Was hat er geschaffen? Jetzt sag es schon, Hannah.«

Doch die nahm sich Zeit.

»Peste Angelica!« Sie ließ den Namen auf ihrer Zunge zergehen.

»Hannah! Was ist?«, fragte Will ungeduldig.

»Oh!« Sie erinnerte sich mühsam an seine Frage. »Was er getrieben hat? Der Bastard und Mistkerl? Nun, das muss dir der alte Fettsack wohl selber erzählen. Jetzt ist erst einmal Partyzeit.«

Sie drehte sich um, verließ den Salon und betrat die Treppe, wo Jacke und Rock vom Wind erfasst wurden. Die wirbelten um ihre Beine und zeigten den Jungen, dass diese, so wie der Rest ihres ganzen Körpers in einer nur hauchzart aufgetragenen Haut aus Silberstaub steckten. Doch Will hatte dafür jetzt keinen Kopf.

»Von wem redet sie da?«, wollte er stattdessen wissen.

»Von wem wohl, du Blitzdenker?« Nat grinste ihn an. »Wer ist hier ein Mistkerl und Fettsack dazu, und von wem sollte ich dir die Jacke bringen?«

»Von Whistle? Das kann ich nicht glauben, Nat«, sagte Will zögernd und schlüpfte ungläubig in den teuflischen Rock. »Dann heißt Blind Black Soul Whistle in Wirklichkeit ›Angie‹?«

»Genau«, lachte Nat. »So wie du Stupps heißt: der Schreckliche Stupps.« Er schlang den Arm um die Schulter des Freundes. »Aber jetzt gehen wir feiern. Komm, kleiner Pirat. Es gibt da nämlich noch was zu klären.« Er wollte Will in den Schwitzkasten nehmen, doch der war zu flink. Er zog sich blitzschnell aus der Umklammerung und drehte den Spieß dann kaltschnäuzig um.

»Genau«, lachte er und drückte den Freund vielleicht etwas zu kräftig. »Es geht um den Tanz. Du meinst den Tanz mit Hannah, den du so gern hättest. Dann streng dich mal an, du irischer Trapper …« Er zog seinen Freund in den Salon und stieß ihn heftig gegen die Tür.

»Oh!«, zischte Nat. »Ich glaub, ich nehm die Herausforderung an!« Er verbeugte sich spöttisch. »Nach dir, kleiner Mann.« Er musterte Will und erkannte, dass der seinen Zorn nur mit Mühe beherrschte.

»Ha! Dann wünsch ich dir Glück.« Will ging durch die Tür. »Denn das kannst du brauchen.« Er stand auf der Treppe und sah, wie Hannah zu ihren Füßen vom Mitteldeck ins Beiboot stieg. »Aber ich warne dich, hörst du. Sie ist anders als Whistle.«

»Ich weiß«, seufzte Nat, als er neben ihn trat. »Sie sieht nur aus wie ein Engel.«

»Doch in Wahrheit ist sie der Teufel, Nat.«

»Der wieder ein Engel ist.« Nat grinste ihn an.

»Und die beste Piratin der Welt!«, lachte Will.

»Also los! Auf die Party! Ich hör schon Musik«, rief sein Gegner im Kampf um Honky Tonk Hannah und dann rannten sie um die Wette die Treppe hinab, sprangen über die Reling der Brücke aufs Mitteldeck und von dort in das Beiboot. Auf den Punkt genau zeitgleich setzten sie sich auf die Bank bei den Riemen und starrten die Piratin erwartungsvoll an. Die ignorierte sie kopfschüttelnd. Sie stand in der Mitte des Rumpfes zwischen den Bänken und ließ das Tau des Flaschenzugs, mit dem sie sie alle samt Boot auf den Niagara heruntersenkte, geschickt durch die Hände gleiten. Dann setzte sie sich ans Ruder im Heck, fixierte die beiden verführerisch, provozierend und wartete wortlos …

Sie wartete mehr als eine Minute.

Sie genoss, dass die beiden verlegen wurden, verlegen und rot und immer nervöser … erst dann seufzte sie:

»Habt ihr nicht gerade vom Tanzen geredet?«

Da begriffen die Jungen. Sie lachten vor Freude und begannen zu rudern.

BLUTSBRÜDERFEINDSCHAFT

ie Sonne versank hinter den Wäldern im Westen und ließ den Himmel noch einmal purpurblau leuchten, bevor er das Schwarz des Wassers annahm. Glühwürmchen tanzten unter den Bäumen am Ufer und vor den Ruderblättern der Jungen jagten silberne Fische davon. Will saß neben seinem Freund Nat. Sie ruderten langsam, aber entschlossen und mit jedem der kräftigen Schläge sog Will den Duft des Abends ein.

Es war ein Duft aus Wasser, Bäumen und Harz, durch den – vom Gefecht der letzten Nacht – noch bittere Schwarzpulverspuren wehten. Nat roch nach allem, was sie erlebt hatten. Nach Wildnis, Freiheit und Abenteuer, und wenn Will lachend zu ihm schaute, kam ihm der Amerikaner mit den kastanienbraunen Haaren und den fast noch etwas dunkleren Augen trotz seiner gerade einmal knapp siebzehn Jahre schon richtig groß und erwachsen vor. Er war schon ein Mann. Ein Mann, der Will – verfuchst noch mal – auch so gern gewesen wäre. Doch Will war erst fünfzehn oder fünfzehneinhalb, ja, vielleicht sogar fünfzehndreiviertel Komma acht. Doch trotz seines Mutes und der Tapferkeit, die er in der Schlacht um die Drachenburg allen bewiesen hatte, fühlte er sich neben Nat noch so klein wie ein Kind.

Will roch das geborstene Holz der einstmals so stolzen Festung auf der Mitte des Flusses. Doch der Geruch der Zerstörung, von Blut und Tod verblasste neben dem unvergleichlichen Duft, den Hannah verströmte. Er versuchte vergeblich dafür Worte zu finden. Denn es war kein Parfüm. Sie hatte nichts aufgetragen. Sie roch nach sich selbst und das roch nach Morgen: einem Morgen im Herzen der Ozeane.

Verflucht, Will hatte keine Ahnung, woher er diesen Ort kannte, aber er konnte ihn riechen. Er roch nach Leben, Lachen und Glück, nach Mut und nach Sorge. Will genoss das verwegene Lächeln, das die in Silber gekleidete Piratin Nat und ihm zuwarf und dann glitt ihr Boot auch schon durch das von Valas gesprengte Tor in die Ruine der Drachenburg.

Der gestern noch so stolze Turm, der sich wie der Bug eines mächtigen Schoners über zwanzig Manneslängen hoch aus dem Wasser erhoben hatte, war jetzt nur noch ein Haufen aus zerborstenem Holz. Will dachte unwillkürlich an die Türme Old Nassaus und er empfand große Trauer und Furcht. Schon wieder war eine Festung der Piraten gefallen. Eine Festung, die dafür erbaut worden war, um die Freiheit zu schützen.

Das Boot glitt langsam in die Ruine und in ihrem vom kalten Mondlicht erleuchteten Inneren schien alles noch viel schlimmer zu sein. Die Bilder des Kampfes kehrten wieder zurück. Der Angriff der Indianer, die sich in einem nicht mehr enden wollenden Ansturm, fünftausend Mann gegen neunzehn Verteidiger, gegen die Drachenburg geworfen hatten. Will sah die Pfeile und Tomahawks, die um sie herum geflogen waren. Es waren zu viele gewesen, um sich dagegen zu wehren. Er sah Valas, den Pottwal über die Kante des Wasserfalls stürzen. Er sah die Kanonen in seinem grausigen Helm. Sie zerschossen die Festung und dann sah er noch einmal, wie die Stirn des riesigen Wals ihren letzten Schutz, das mächtige Tor aus den Angeln sprengte.

Will zitterte fiebrig und atmete heftig. Ja, er begriff erst jetzt, in welcher Gefahr sie sich alle befunden hatten, und er konnte in diesem Moment nicht mehr verstehen, wie sie sie hatten überleben können. Will schaute zu Nat. Der ließ sich nichts anmerken. Der war einfach nur cool, aber so blass wie das Mondlicht, und Hannah sang leise und atemlos:

»Was schert mich der Teufel oder die Hölle?

Denn ich, ja, ich bin in der Hölle zu Haus.«

Sie spürte Wills Blick und verbarg ihre Angst. »Hey, komm schon. Wir sind die Sieger, Will!« Sie wischte sich einmal kurz übers Gesicht. Das heißt, sie wollte das tun, bevor sie erkannte, dass diese Geste ihr Make-up zerstören würde. Deshalb sog sie den Rotz kurzer Hand aus der Nase und rief: »Hey, Feuerkopf Finn! Du hast uns eine Party versprochen. Und jetzt sieht das wie ’ne Beerdigung aus. Ist jemand gestorben? Hat es Whistle erwischt?«

Sie erschrak vor sich selbst. Sie wusste, wie schlecht es um den Piraten stand, doch sie wollte nicht wahrhaben, dass er sterben musste. Deshalb scherzte sie weiter: »Hey, Finn, hat der alte Bastard sich etwa davongeschlichen, ohne mir Lebewohl zu sagen? Hab ich zu lange gebraucht, um mich anzukleiden?« Sie fing mit der Fingerspitze eine Träne, die zwischen den Diamanten auf ihrer Wimper saß, und versuchte zu lachen: »Dabei hab ich mich heut für ihn in Silber gekleidet. Damit ich so aussehe wie seine Chen …«

Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und erhob ihre Stimme: »Hey, Whistle! Du weißt doch. So wie Chen damals aussah, als sie den Drachenring trug. Als sie die beste Piratin war und du ihre Schönheit in Eis gebannt hast. In eurem Palast am Eishorizont.« Sie schniefte ihre Trauer trotzig weg. »Verflucht, ich wollte doch nur, dass du noch mal glücklich bist, bevor du verreckst!«

Will sah die Tränen in Hannahs Augen.

»Bevor dich die Maden fressen, falls sie so einen stinkenden Kerl wie dich nicht verschmähen.« Sie schaute sich um. Das Mondlicht war kalt und in ihm schlief die Ruine der Drachenburg wie ein zerborstenes Wrack. Der Dreispitz, Finns Schiff, lag vor ihnen am Steg, als hätte man ihn dort einfach vergessen.

»Na, komm schon!«, zischte Hannah. »Ich dachte, wir feiern.«

Da ertönte die Stimme des alten Piraten. »Das tun wir auch endlich, wenn du aufhörst zu heulen!«

Der Satz blies ihnen wie ein Sturm ins Gesicht. Und während sie alle erleichtert lachten, loderten überall Zündschnüre auf. Sie hingen an den Wänden oder über ihnen im Raum und brannten wie Wunderkerzen.

»Hey!«, staunte Hannah. »Was hab ich gesagt. Wir haben gewonnen!«

Da explodierten die Funken am Ende der Schnüre und entfachten ein gigantisches Feuerwerk. Raketen schossen aus der Ruine und malten Bilder in die Luft. Bilder von Meeren und Seeungeheuern, zwischen denen sich Schiffe jagten. Will sah den Fliegenden Rochen, der Seite an Seite mit Valas schwamm.

»Seht doch, da!«, rief er, zeigte staunend nach oben und duckte sich schreckhaft, als die Feuerwerksfunkenabbilder der beiden Piratenschiffe das Feuer aus ihren Kanonen eröffneten. Doch die Kugeln, die sie verschossen, zerstoben und wurden zu Vögeln. Sie wurden zu einem Schwarm aus rosa Flamingos, der sich vor einer ebenfalls explodierenden Sonne in den Sternenhimmel erhob.

»Das ist das Feuerwerk«, hörten sie Whistles begeisterte Stimme, »zu dem dein Cousin, der fiese Zwerg Gagga Hochzeit mit dir feiern wollte. Ich hab es stibitzt, bevor ich dich in Berlin befreit hab, und ich denke, er kann es jetzt auch genießen. Sicherlich sieht er es, während er den Fluss hinabtreibt und winselnd seine Wunden leckt!«

Und genau das tat der Neffe des Königs von Frankreich. Während Valas, der Pottwal, mit vom Kampf blutender Flosse und deutlicher Schlagseite flussabwärts in Richtung Eriesee trieb, lag er auf dem Nacken des Tieres in dessen zerschossenem Helm, der einstmals die Form eines Hummers gehabt hatte, und ließ sich von Talleyrand, dem Schwarzen Baron, einen handspannenlangen Holzsplitter aus dem Allerwertesten ziehen.

»Dafür werden sie büßen!«, fluchte der Prinz und biss sich vor Schmerz auf den Zopf der Perücke, den er gemäß der neuesten Pariser Mode nicht im Nacken trug, sondern vorn auf der Stirn. »Dafür werden sie büßen!«, fluchte er nochmals und versuchte zu kichern, was ihm aber misslang, weil in diesem Moment die ersten Raketen des Feuerwerks über den Wipfeln des Waldes explodierten. Gagga sprang auf.

»Oh, das ist gemein!«, stöhnte er auf. »Das war mein Feuerwerk! Das hab ich mir gewünscht. Zu meiner Hochzeit mit dieser Honky Tonk Hexe! Gabi Marie! Oh, ich meine natürlich ›Baron‹.« Er zog Talleyrand zu sich heran und legte den Arm um dessen Schultern. »Die machen sich lustig über uns. Da! Die lachen uns aus!«

Er zeigte zornig auf die Flamingos, die zusammen mit der von den Raketen in den Himmel gemalten Sonne jetzt sein Konterfei bildeten. Einen gigantischen Gagga-Kopf mit schiefem Grinsen und rosa Perücke.

»Die wissen genau, dass wir uns das ansehen müssen!« Er stampfte wütend mit den Füßen und traf dabei den Fuß des Barons.

Der schnaubte vor Schmerz. Doch sonst zeigte dessen Echsengesicht keine weitere Reaktion. Ganz im Gegenteil zu Gagga: Der fünfzehnjährige Prinz schrie »Aua!« und »Autsch! Könnt Ihr nicht aufpassen, Gabi!«, hielt sich den Hintern und floh von der nur noch halb vorhandenen Brücke in den Schwanzteil des Hummers. »Ich will das nicht sehen! Macht das weg, Gabi, los! Sagt ihnen dass sie damit aufhören sollen!« Er warf sich in den hintersten Raum und stieß sich den Kopf an einer eisernen Truhe. »Aua!« und »Autsch!«, fluchte der Kerl, der genauso wehleidig wie böse war und rammte die Beine gegen die Kiste.

Doch die war zu schwer für den feisten Prinzen – sie rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck – und er rammte sich nur einen neuen Holzsplitter in die bereits geschundene Backe.

Er fluchte und schimpfte: »Merde! Ich drehe dem Teufel den Kragen um!«

Da verstummte er plötzlich und mit ihm verstummte das Feuerwerk. Die letzte Rakete explodierte am Himmel. Der Schwarze Baron, der das von der Brücke aus sah, hob neugierig eine Braue. Er rückte den großen Zweispitz zurecht, straffte das schlichte Hugenottengewand und ahnte bereits, was passiert war, bevor Gagga seine rosa Perücke aus dem Hummerschwanz streckte.

»Talleyrand! Kommt sofort her. Ich hab was gefunden, was uns wieder Spaß machen wird. Großen Spaß, Gabi! Richtigen Spaß. Dann werden wir lachen! Wir, ja, wir und nicht diese Pim-Pam-Padalla-Pillepalle-Piraten!«

Er kicherte, jauchzte und schlug die Hände zusammen. Und obwohl Talleyrand diese Eigenart hasste, schätzte er Gaggas teuflische Gabe, an bösen Dingen Spaß zu haben. Denn die verwandelte den sonst eher einfältigen, pummligen Kerl in einen genialen Strategen, vor dem sich jeder, der zu den Guten gehörte, mehr als nur in Acht nehmen musste.

Doch zuerst lachten die Piraten. Will hielt sich den Bauch, als sich die Feuerwerkflamingos zuerst in das Portrait von Gagga verwandelten und dessen Mundwinkel dann zu diesem irren Grinsen verzerrten, das ihm seinen Spitznamen verliehen hatte.

»Gagga! Absolut gagga!«, sang Will glucksend und äffte dabei den Gang des Prinzen nach.

Er knickte den Oberkörper ein, bis dieser waagerecht über dem Boden schwebte, schielte durch seine Beine hindurch, packte Hannah und tanzte mit ihr aus dem Beiboot über den Steg auf den Dreispitz zu.

»Huih, ja, und Hopsasa!«, sang er den Walzer. »Wo bleibt die Musik? Blind Black Soul Whistle! Wir heulen nicht mehr!«

Da stießen die Geschütze des Dreispitzes aus den bis gerade eben noch geschlossenen Luken des gepanzerten Kahns und spieen Feuerfontänen aus. Die entzündeten Fackeln, und Feuer und während sich das Innere der Ruine im Schein dieses Lichtermeeres langsam erhellte, griff der Windschiefe Cutter in die Tasten seines Klaviers.

Der Kerl, der so lang und so schief war, wie eine vom Sturm gebeutelte Palme, hockte in fünf Metern Höhe auf einer Plattform an der Wand, griff Wills improvisierte Melodie lässig auf und verwandelte sie dann, ohne dass man es sofort bemerkte, in einen das Gemüt aufwühlenden Blues.

»Uhhh!«, sang der Kerl leise: Dabei standen Haare und Nase so wild vom Kopf ab, als hätte man ihm einen Zitteral durch die Ohren gezogen.

»Uh-huh, hey, hey!«, röhrte er gänsehautheiser.

»Der Galgen bleibt leer. Der Teufel muss warten.

Der Galgen bleibt leer und der Teufel muss warten.

Denn wir tanzen heute

Den Honky Tonk Blues!«

Dann explodierte Cutter. Der Blues wurde zum Boogie und im selben Moment ließ sich Ratten-Eis-Fuß an einem Seil auf die Plattform zu seinem Piratenkumpan herab. Der sonst so fiese und bucklige Kerl griente so breit, dass ihm sein Lächeln bis hinter die abgeschnittenen Ohren reichte, und er entlockte seiner Geige ein Feuerwerk, das alle Verteidiger der Drachenburg mitriss.

Rachel und Sarah, die neunjährigen Töchter von Feuerkopf Finn, pfiffen begeistert auf den Fingern, packten ihren Vater und sprangen mit ihm und den vier Dutzend Kindern, die Moses auf dem Rochen hierhergebracht hatte, hinter den Wänden der Burg hervor. Dort hatten sie sich vor Will, Nat und Hannah versteckt, doch jetzt tanzten sie wirbelnd über den Steg.

Die Triple Twins, Hannahs Piratencrew, kreischten ohrenbetäubend und stürzten sich dann als schwarz-blau gekleidete Harlekine ins Meer der bunten Kinder. Sie schlugen dort Räder, drehten Saltos und Pirouetten und flogen wie Schmetterlinge über deren Köpfe hinweg.

Salome und Ophelia, die beiden Damen von Eulenfels’ Hof aus Berlin, hatten ihre Trapperkostüme gegen die Kleider getauscht, die sie in New York erworben hatten. Sie sprangen zuerst auf Cutters Klavier, ließen die roten Spitzen und Federn um die Cancan-Röcke fliegen, warfen die Beine hoch in die Luft und sangen mit den Piraten:

»Das ist der Honky Tonk, Honky Tonky, Honky Tonk Blues!«

Danach packte Salome den alten O’Brian, der sich ausstaffiert hatte, als wäre ein Schornsteinfeger in einen gelben Lackeimer gefallen und noch nicht wieder getrocknet. Ophelia schnappte sich Moses Kahiki, den Chevalier du Soleil an seinen schulterlangen Rastazöpfen; und dann zogen beide Damen die sich amüsiert zierenden Männer zu den anderen auf den Steg.

Nur Jo blieb zurück. Er hielt Wache bei Whistle. Deshalb saß er zu Füßen des aus Kissen und Polstern für den alten Piratenfürsten errichteten Throns, der am Ende des Stegs stand und während alle anderen Festkleider trugen, sah der Alte so aus wie immer.

Er trug seinen walrossgrauen Rock und den von Wind und Wetter gegerbten Hut. Seine meergrauen Haare fielen ihm wild in die Stirn und über die Schultern und so stolz wie er da saß, ahnte niemand etwas von der tödlichen Wunde, die ein Tomahawk der Mohawks in seine Brust geschlagen hatte. Doch Jo wusste es. Er hatte die Wunde gesehen, als die Triple Twins versucht hatten, den Alten zu retten. Doch die heilkundigen Zwillinge, die selbst den von Talleyrands Männern gefolterten O’Brian wieder zum Leben erweckt hatten, hatten schließlich traurig und demütig resigniert. Sie konnten nichts mehr für Whistle tun und so blieb der treue Regentropfen-fallen-auf-dich-Jo, Wills noch nicht einmal zwölfjähriger Freund und jahrelanger Gefährte, allein bei dem sterbenden Mann.

Da sprang Rachel, eine der Töchter von Feuerkopf Finn, vor ihn und den Thron, klemmte sich eine widerspenstige Locke hinter das glühende Segelohr und fragte atemlos. »Tanzt du mit mir?« Das Blut schoss dem Mädchen dabei ins Gesicht und es wurde so rot, dass ihre feuerroten Haare plötzlich nur noch strohblond aussahen. »Tanzt du mit mir?«, fragte sie ungeduldig und stampfte dabei mit den Füßen auf.

Jo ahnte, was gleich passieren würde. Das hatte er schon bei Hannah gesehen, wenn sie nicht das bekam, was sie wollte.

»Gibst du mir einen Korb?«, fragte Rachel enttäuscht, und während sich ihr Mund schmollend verzog, zogen sich ihre Brauen wie Gewittersturmwolken zusammen.

Oho!, dachte Jo und schaute zu Whistle. Was soll ich nur tun?, fragte sein Blick.

Da lachte der Alte: »Na, los, hau schon ab. Tanz wie die anderen. Das habt ihr euch gestern alle mehr als verdient.« Er winkte Jo zu sich, zog dessen Ohr an seinen Mund, und raunte verschwörerisch: »Und halt sie bei Laune. Die ist ein Vulkan. Wenn die erst mal groß ist, wird sich alle Welt um sie reißen!« Er grinste Jo an und der resignierte.

»Ich hab alles gehört!«, zischte Rachel wutschnaubend, zog den armen Kerl hinter sich her und verschwand mit ihm zwischen den Tanzenden.