Eibe und die geheimnisvolle Prophezeiung - Liliana Wildling - E-Book

Eibe und die geheimnisvolle Prophezeiung E-Book

Liliana Wildling

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Beschreibung

Nach dem Sieg über Syndred und die Dämonen müssen sich Eibe und ihre Gefährten neuen Gefahren stellen, um das Buch der Schatten vor machthungrigen Gestalten zu schützen. Vor allem Zankra, eine mächtige Dunkelhexe, will sich das gesammelte Wissen zu Nutze machen. Eibe gerät dadurch in eine heikle Situation, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt. Zudem taucht eine unvollständige Prophezeiung auf, deren Inhalt nichts Gutes verheißt. Hilfe erhält sie vor allem von dem mysteriösen Dunkel-Elfen Laitlon, der offenbar mehr in ihr sieht als nur die Wächterin des Buches.

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

10/2021

 

Eibe und das Buch der Schatten

 

© by Liliana Wildling

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2017 by Creativ Work Design

Lektorat: Paul Lung

Autorenfoto: privat

Portrait Zeichnungen © by Zofia Garden

 

Coverbild Halbwesen – Diener zweier Welten

© 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild Spiel der Mächte – Erwachen

© 2019 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Coverbild Phönixerwachen

© 2021 by Creativ Work Design, Homburg

Stock-Fotografie-ID: 1223696895, Bildnachweis: cihatatceken

Coverbild Wolf Call – Ruf der Bestimmung

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

 

ISBN 978-3-96741-116-4

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

 

Liliana Wildling

 

Eibe

und die geheimnisvolle Prophezeiung

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

Prolog

1

Trügerische Ruhe

2

Lumens Dämon

3

Das Dunkle

4

Wiederherstellung

5

Eine unangenehme Überraschung

6

Ein herber Rückschlag

7

Ungeahnte Fähigkeiten

8

Unsichere Zukunft

9

Aussprache

10

Niemandsland

11

Whitehins Besuch

12

Unliebsame Veränderungen

13

Der Zaassz

14

Neue Erkenntnisse

15

Lumens Heilung

16

Eine Heilerin für Magnus

17

Quälende Erinnerungen

18

Düstere Geschichten

19

Die Jägerin des Rates

20

Das Jubiläum

21

Lumen im Labyrinth

22

In den Klauen eines Untoten

23

Der Kristallberg

24

Ritt auf dem Drachen

25

Eine perfekte Täuschung

26

Verwirrende Gefühle

27

Syndreds Reich

28

Eine beunruhigende Nachricht

29

Befreiung

30

Eibes Kraft

31

Eine neue Strategie

32

Fremde Energie

33

Erinnerungen

34

Eine neue Heilerin für Magnus

35

Die Weissagung

36

Planänderung

37

Unerwartete Hilfe

38

Veränderungen

Danksagung

Die Autorin

Hybrid Verlag …

 

Prolog

 

Eibe nutzte die Zeit der Ruhe nach der Schlacht, um die vorangegangenen Ereignisse zu verarbeiten. Im Buch der Schatten zu lesen half ihr dabei. Wenn das magische Buch geöffnet vor ihr lag, fiel es ihr leichter, ihre wirren Gedanken zu sortieren. Auch wenn Eibe nicht darin las, spürte sie, wie die kraftvolle Energie des Buches in sie floss und ihre Reserven füllte. Lumen befand sich stets an ihrer Seite. Meistens beobachtete er im Stillen das Studium der neuen Wächterin, hielt sich jedoch im Hintergrund. Die Anwesenheit des jungen Mannes bedeutete Eibe sehr viel.

 

1

 

Trügerische Ruhe

 

»Ich muss mal Pause machen.« Eibe richtete sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und streckte den Rücken durch.

Lumen gähnte. »Kann ich verstehen, du liest jetzt schon seit Stunden ohne Unterbrechung.«

Sie übergab ihm das Buch und stand auf. »Ich hole mir etwas zu essen. Soll ich dir auch was mitbringen?«

»Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.«

Eibe tapste hinunter in die Küche, wo sie Mimi traf. Die Grünhäutige schmierte eben Brote. Neben ihr stand Angelus, welcher sich eines der frisch belegten Teilchen einverleibte.

Vorwurfsvoll sah er Eibe an. »Warum haben wir eigentlich keine Wünschtruhe?« Er biss ein weiteres Stück von seinem Snack ab und fügte mit vollem Mund hinzu: »Das würde Mimi einiges an Arbeit ersparen.«

»Weil die alle im Besitz des Rates sind.« Eibe schnaubte durch die Nase. »Und der rückt natürlich keines der Dinger heraus.«

Der Krieger seufzte lautstark.

»Obwohl …« Eibe stapelte drei Brötchen auf ihre linke Handfläche. »Ein paar dieser kostbaren Geräte sind im Laufe der Zeit irgendwie abhanden gekommen. Verschollen sozusagen.«

»Seit du eine Wächterin bist, kommen wir ganz schön herum.« Angelus wirkte hoffnungsvoll. »Vielleicht läuft uns ja mal so ein Ding über den Weg.«

»Vielleicht.« Sie legte den Kopf schief. »Aber vielleicht ist es besser, wenn wir keine Wünschtruhe haben.«

Angelus ließ sein angebissenes Brot fast fallen. »Warum?« Er klang empört. Überrascht hielt Mimi inne und sah auf.

Grinsend musterte Eibe ihren Freund. »Weil du dann nur noch Kümmelbraten essen und Wein trinken würdest.«

Die drei lachten. Angelus boxte Eibe scherzhaft an den Oberarm. Lächelnd schüttelte Mimi den Kopf und machte sich wieder an ihre Arbeit. Eibe verließ die Küche und betrat den Flur. Sie wollte wieder nach oben, hörte jedoch Mimis leise Stimme.

»Wenn du auf den richtigen Zeitpunkt wartest, ihr etwas zu sagen: Das eben war er.«

Eibe stoppte, schlich langsam ein paar Schritte zurück Richtung Küche.

»Ich muss sie etwas fragen«, murmelte Angelus. »Es ist etwas Persönliches.«

Das Knarzen der Küchentür ertönte, gleich darauf Magnus‘ Stimme.

»Ich muss mich mit Katania treffen. Das kann länger dauern.«

Er klang angespannt. Schließlich fuhr er, etwas leiser, fort: »Ich will Eibe und Lumen nicht stören, jetzt, wo sie endlich nicht mehr bedroht werden und zu Atem kommen können. Sagt den beiden nichts, falls sie nicht nach mir fragen, ok?«

Angelus antwortete: »Mit ein bisschen Glück stecken die beiden ihre Nasen wieder den ganzen Nachmittag in das Buch und bemerken deine Abwesenheit gar nicht.«

Die Hintertür fiel geräuschvoll zu. Magnus hatte das Haus wohl verlassen. Eibe runzelte die Stirn. Was sollte das? Warum wollte er sich mit der Heilerin treffen? Und warum wollte er nicht, dass sie davon wusste? Sie wollte zur Treppe laufen, damit niemand merkte, dass sie immer noch im Flur stand, doch ihre Neugier um Angelus` persönliche Frage wog stärker. Sie drehte sich eben um, da kam ihr der Krieger auch schon aus der Küche entgegen und sah sie fragend an.

»Ich habe das Wasser vergessen«, log sie und setzte ein Lächeln auf.

Angelus‘ Gesichtsausdruck veränderte sich. Er wechselte von besorgt zu misstrauisch, wirkte kurz ratlos und wandelte sich letzten Endes wieder zu besorgt.

»Was liegt dir auf dem Herzen?« Mit schief gelegtem Kopf sah sie ihn an.

Er wirkte plötzlich unsicher und blickte verlegen zu Boden.

»Ähm … ich muss dich was fragen.«

Eibe rückte das obere der drei Brote zurecht und wartete, aber Angelus seufzte nur, statt zu sprechen. Verlegen rieb er sich die Unterarme und wich ihrem Blick aus. Er machte einen Schritt zurück. Wurde er etwa rot?

»Ok, schieß los!«, stupste sie ihn verbal zum Weiterreden an.

»Ich … ihr macht … ihr seid doch vorsichtig, oder?«, presste er sichtlich befangen hervor, und pulte geistesabwesend in einem Loch in seinem Hemd herum. Ein komisches Verhalten für ihn. Er sah sie immer noch nicht an.

»Lumens Dämon ist durch das Amulett gebannt, da kann nichts passieren«, gab Eibe zurück.

Das schien Angelus nicht im Geringsten zu beruhigen. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn verdoppelten sich und seine Wangen färbten sich dunkelrot. »Das meine ich nicht«, flüsterte er und holte tief Luft.

Amüsiert grinste Eibe. Der große Krieger schien nervös. Sie hatte noch nie erlebt, dass er so herumdruckste. Normalerweise sprach er immer direkt aus, was er dachte.

»Was meinst du dann?«, bohrte Eibe und beobachtete ihn genüsslich. Sein Blick blieb immer noch auf das Loch in seinem Hemd gerichtet. Ihm wurde offenbar die symbo-lische Geste bewusst und er zog schnell seinen Finger heraus. Sein Gesicht glühte in prächtigem Rot.

»Ihr macht doch nur ein bisschen rum, oder?«, presste er schließlich hervor und hob endlich den Kopf. Sein ängstlicher Blick bohrte sich in den von Eibe. Sie begriff sofort, worauf er hinaus wollte und ihre Mundwinkel sackten nach unten.

»Wir haben keinen -«, setzte Eibe an, doch er unterbrach sie.

»Ok, dann ist ja alles gut.« Sichtlich erleichtert lächelte Angelus und jetzt war es an Eibe, zu erröten. Sie fühlte, wie ihr Hitze ins Gesicht stieg.

Er grinste süffisant. »Ich meine, das ist natürlich schade für euch …«

»Angelus!«

»… aber es wäre echt gefährlich für dich.«

Die Hitze nahm zu. Es fühlte sich an, als würde ihr Kopf lichterloh in Flammen stehen. Eine Pause entstand.

»Keine Sorge, wir stellen nichts Blödes an.« Ehe ihm noch mehr zu diesem Thema einfallen konnte, ging sie rasch ihres Weges. Sie huschte den Gang zu ihrem Zimmer entlang und drehte sich nicht mehr um. Angelus‘ Fürsorge war einerseits rührend, aber anderseits auch furchtbar peinlich. Hoffentlich hatte er nicht mit Magnus darüber gesprochen.

 

☼☼☼

 

Magnus schritt eilig durch die holzvertäfelten Gänge im Tempel des Rates. Seine Schuhsohlen erzeugten ein unregelmäßiges Stakkato auf dem dunklen Granit, der den Boden bedeckte. Zielstrebig humpelte er auf die Räumlichkeiten von Katania zu. Wie bei Majas altem Zimmer in seinem Haus, hingen auch auf dieser Tür dicht an dicht grüne Pflanzenteile und bunte Blüten, die aussahen wie eben frisch gepflückt. Erwartungsvoll klopfte er an die Tür zum Arbeits-zimmer der Heilerin.

Keine Reaktion.

Er klopfte etwas vehementer, aber wartete vergeblich auf das erhoffte »Herein«. Leise Geräusche ertönten hinter der Tür und ein schmaler Streifen Licht beleuchtete die abgewetzten Spitzen seiner Schuhe. Langsam öffnete Magnus die Tür und lugte hinein. Katania befreite die vielen Gläschen, die vor ihr auf dem Tisch aufgereiht standen, von ihren Korken. Sie las hochkonzentriert in einem Buch zu ihrer Linken. Den dicken Wälzer, der Anleitungen für die Zusammenstellung von Räuchermischungen enthielt, kannte er. Bestimmt suchte Katania darin nach einer Mixtur, die sie bei Maneeis Beerdigung verwenden wollte. Die Hülle ihrer Schwester lag, für die Verabschiedung vorbereitet, im Gebetsraum des Hauses. Es blieben nur noch wenige Stunden bis zur Zeremonie, der nur die engsten Angehörigen und Jothan, der Seelsorger des Tempels, beiwohnen sollten.

Ein gehäufter Teelöffel weißen Salbeis fand seinen Weg in das flache weite Mischgefäß. Erdige, blumige und harzige Düfte füllten den kleinen Raum. Magnus räusperte sich, aber die Heilerin schien seine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. Er schloss die Tür geräuschvoll. Endlich sah sie von ihrer Arbeit auf.

»Kann ich dich kurz sprechen?«

»Natürlich«, rief Katania und winkte ihn zu sich. Auf seinen Stock gestützt humpelte er zum Tisch und nahm auf einem Stuhl gegenüber der Heilerin Platz.

»Macht dir dein Bein wieder zu schaffen?«, fragte sie mit Blick auf Magnus‘ schmerzverzerrtes Gesicht.

Er setzte schnell ein Lächeln auf. »Das ist abends immer so. Morgens spüre ich es kaum, aber zu fortgeschrittener Stunde macht es sich stets bemerkbar.«

Ihre eingezogene Unterlippe und die Art, wie sie rasch die Augen niederschlug, signalisierte ihm, dass sie noch immer Schuldgefühlen plagten, weil sie mitverantwortlich für seine Verletzung war.

»Ich bin nicht hier, um mich zu beklagen.« Er räusperte sich. »Vielmehr mache ich mir Sorgen um Eibe. Sobald jemand außerhalb unserer Gemeinschaft von der Entdeckung des Buches erfährt, ist sie in Gefahr. Besonders, wenn die Geschichte einem dunklen Wesen zu Ohren kommen sollte.«

Die gesamte Hexenwelt, die helle wie die dunkle Seite, wartete darauf, diesen Schatz in die Finger zu bekommen. Ohne Wächterin war es nutzlos, da nur sie es öffnen konnte. Wer auch immer der Macht des Buches habhaft werden wollte, musste Eibe mit sich nehmen.

Katania nickte zustimmend. »Ich weiß. Doch ich befürchte, selbst die gefinkelten Schutzzauber, die du auf die beiden gelegt hast, werden das Geheimnis nicht für immer bewahren können.«

Er nickte. »Und dann ist da noch das Problem mit Lumen – Das Dunkle in ihm wird immer unberechenbarer. Ich verlasse kaum noch das Haus, aus Angst, im entscheidenden Moment nicht da zu sein, wenn Eibe Schutz vor dem Dämon braucht.«

»Der Feuerjunge ist sehr gefährlich geworden.« Sie kramte in einem Stapel loser Blätter herum und zog eine Seite mit einer Zeichnung darauf hervor. »Ich denke, dass es damit zusammenhängt.«

Magnus nahm das Blatt entgegen und studierte die verschiedenen Abbildungen von Talismanen und Amuletten. Er entdeckte auch eine Zeichnung des Anhängers, welchen Lumen an einer Kette um den Hals trug. Laut Beschreibungstext hatte Calgat, der Meister des Ordens der knisternden Steine, die schützende Scheibe mithilfe eines Gletschergeistes hergestellt, weil der Meister auf seinem Anwesen mit Halbdämonen zusammenarbeitete. Um die Gefahr eines plötzlichen Ausbruchs der dunklen Anteile zu bannen, mussten die Betroffenen diese Amulette immer tragen. Ein strahlendes Lächeln erhellte Magnus‘ Gesicht, als er den Namen des Gletschergeistes las: Whitehin.

 

 

 

 

2

 

Lumens Dämon

 

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich in einem Kristall am Fenster in Eibes Zimmer, und malten regenbogenfarbene Muster an die hell tapezierten Wände. Lumen strich mit den Lippen Eibes Nacken hinab, zog ihren Pullover ein bisschen herunter und küsste ihren Rücken. Wohlig seufzend sog sie seinen Geruch nach abgebrannter Kohle tief ein. Seine Lippen wanderten langsam ihren Nacken hinauf. Sie strich mit der Hand von seinem Ellbogen Richtung Schulter seinen Arm entlang, der sie von hinten umschlungen hielt und genoss die Wärme seiner Haut. Damit sie ihn ansehen konnte, drehte Eibe ihren Oberkörper zu Lumen.

Das unruhige Flackern in seinen Augen machte jede Spur von aufkeimender Vertrautheit sofort zunichte. Ihr Körper versteifte sich in seiner Umarmung.

»Was hast du?«, flüsterte er mit sorgenvoll hochgezogenen Augenbrauen.

Statt einer Antwort drehte sich Eibe ganz zu ihm um und berührte mit ihren Fingerspitzen das Amulett, das auf seiner Brust ruhte.

Lumen zog es an der Kette hervor und betrachtete das runde Stück Silberholz, das ihn viele Jahre vor sich selbst beschützt hatte. Ein kleiner Riss durchzog die dünne Scheibe und teilte so die Inschrift entzwei. »Ich glaube, es wirkt nicht mehr, seit Betunia mir die Vision gezeigt hat. An diesem Tag bekam es den Riss.« Lumens Körpertemperatur stieg rapide an und er rückte hastig von Eibe ab. Mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten wehrte er sich gegen das Ausbrechen des Dunklen. Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste er hervor: »Geh weg von mir!«

Eibe rutschte schnell vom Bett und stieß sich panisch von der Kante ab. Sie durchquerte rasch den Raum, riss die Tür ihres Zimmers auf und rannte hinaus. Erst als sie ausreichend Abstand zwischen sich und die Gefahr gebracht hatte, drehte sie sich um. An die hintere Wand des Flurs gedrückt beobachtete sie mit angstvoll geweiteten Augen Lumens Kampf. Flammen züngelten aus seinen geballten Fäusten hervor, erloschen kurz, um wenige Augenblicke später noch stärker aufzuflammen. Schweißperlen traten schon bald auf die Stirn des jungen Mannes, der vor Anstrengung laut keuchte. Die Muskeln seiner Arme und Beine begannen zu zittern.

 

☼☼☼

 

Die eitrigen Schwären in Zankras Gesicht pulsierten vor Anstrengung im Takt ihres Herzschlags. Diese Ablenkung erschwerte es, die tiefe Trance beizubehalten, in der sie sich befand. Ihre dürren runzeligen Hände schwebten über einer Feuerschale vor ihr. Die grünen Flammen teilten sich und gaben den Blick auf einen weit entfernten Ort frei.

Das Bild eines Mädchens erschien, dessen Oberkörper über ein dickes Buch gebeugt war. Die Finger der jungen Frau strichen ehrfürchtig immer wieder eine Zeile entlang und sie runzelte fragend die Stirn. Ein Mann kam dazu, den Zankra kannte. Magnus. Er unterhielt sich mit dem Mädchen, fuhr nun auch mit einem Finger über die rätselhafte Stelle im Buch und erklärte seiner Schülerin etwas. Leider übertrug das Feuer keine Geräusche. Die Stirn der jungen Frau mit dem schokoladenbraunen, vollen Haar glättete sich. Sie lächelte ihren Meister an.

Rajan polterte unbedacht herein und störte die Konzentration von Zankra mit seinen lauten Schritten. Als er zusätzlich noch rief »Da bin ich!« entglitt ihr das Bild vollends. Ein kleiner Feuerball stob mit einem leisen Zischen nach oben, die Flammen vereinten sich wieder und schrumpften.

»Das wirst du mir büßen«, murmelte sie mit einem giftigen Tonfall, der keine Zweifel daran ließ, dass sie diese Drohung ernst meinte. Der Botenjunge, der vom Tragen ihrer Einkäufe wohl schon lange Arme bekam, schwang den Korb auf den Tisch, wo er mit einem lauten Rums landete. Die mit Weingeist gefüllten Flaschen darin klirrten leise. Der Junge zog die Nase kraus.

Zankra verspürte unbändigen Zorn, Galle stieg ihre Kehle hoch. Sie bündelte ihre Energie und schleuderte sie auf den Störenfried, der sich sogleich als Waschbär wiederfand. Das kleine Pelztier wühlte sich aus den zu Boden gefallenen Kleidern heraus, richtete sich auf die Hinterpfoten auf und blickte an sich hinab.

»Wofür ist das denn nun wieder?«, raunzte er vorwurfsvoll und stemmte seine Pfoten in die Hüften, »Das kannst du nicht machen! Ich muss dem Bibliothekar doch seine Lieferung bringen!«

Dem naiven Bengel war wohl nicht bewusst, dass sie ihm weitaus Schlimmeres antun konnte, als ihn nur zu verwandeln.

»Doch. Kann ich. Siehst du doch. Und deine Lieferung interessiert mich einen Dreck.«, gab sie erzürnt zurück. »Jetzt verschwinde, bevor ich meine Hunde hole. Du weißt genau, wie gern sie Waschbären fressen …«

Rajan legte die pelzigen Ohren an und flitzte hinaus. Dem Klappern der Stalltür nach zu urteilen, versteckte er sich dort, bis der Zauber nachließ und er seine menschliche Gestalt zurückbekam. Zankra wünschte ihm Flöhe an den Hals. Und Läuse gleich noch dazu.

Die nächsten Stunden brachte sie mit diversen Beschwörungen zu, um ihr Spielzeug in Gang zu bringen, doch die Schale blieb kalt. Kein Feuer, keine Bilder. Nicht einmal ein Tropfen Blut konnte das Werkzeug zum Leben erwecken. Seine Bereitschaft, Zankra etwas zu zeigen, war leider unbe-r-echenbar. Mal funktionierte das Ding stundenlang und dann einen ganzen Tag wieder nicht. Deshalb schlief sie kaum noch, um nur bloß keinen Moment zum Sehen zu verpassen.

Frustriert und über die Maßen zornig stapfte sie durch ihre Hütte und zerbrach sich den Kopf darüber, warum ihre Bemühungen nicht fruchteten.

☼☼☼

 

Katania las Magnus‘ Anliegen wohl in seinen Augen. Wortlos erhob sie sich und wendete ihre Aufmerksamkeit einem der vielen vollgestopften Regale zu. Die weißhaarige Hei-lerin kramte unter den vielen Gläsern und Flaschen umher, nahm ein paar der wertvollen Tinkturen und Tränke heraus und las die Etiketten. Nach kurzer Suche nahm sie eine braune Sprühflasche aus dem Regal und nickte.

»Was verbindet euch beide?«, fragte sie neugierig, »Warst du so hoch oben im Norden im ewigen Eis, wo der Gletschergeist wohnt?« Sie hielt Magnus die Flasche hin.

»Nein. Aber das ist eine sehr lange Geschichte.«

Die Heilerin ließ sich auf ihrem Stuhl nieder. »Gibt es eine Kurzfassung davon?« Sie mied es, ihn anzusehen.

»Sesasin hat eine Zeitlang Experimente an anderen Dämonen durchgeführt. Whitehin war in ihre Fänge geraten. Das Miststück wollte wissen, wie lange die Kälteschilde von Eiswesen halten, wenn sie sich außerhalb ihrer natürlichen Umgebung bewegen. Ich war noch sehr jung. Zwanzig vielleicht, und auf einer Forschungsreise mit meinem Meister. Wir sind zufällig dazu gekommen, als Sesasin Whitehin mittels Feuer verdampfen wollte. Während mein Meister die Dämonin ablenkte, habe ich den Gletschergeist befreit, ihn zum nächstgelegenen Portal gebracht und nach Hause geschickt.« Beim Reden hielt Magnus den Blick auf die Flasche gerichtet, die er geistesabwesend in den Händen hin und her drehte. »Ich sollte mich auf den Weg machen, es ist schon spät.«

»Entschuldige bitte meine Neugier.« Sie führte Magnus zu dem Spiegel neben der Tür. »Du musst den Nebel einatmen.«

Er positionierte die Flasche vor seinem Gesicht, leerte seine Lungen und drückte auf den Zerstäuber. Die austretende goldene Wolke beförderte er mit einem kräftigen Atemzug in seinen Körper. Sogleich setzte die Wirkung ein; Wärme durchströmte sein Blut. Er bedankte sich bei Katania und schritt in den Spiegel hinein, in dem sich mehrere Portale befanden. Eines davon ähnelte einer Erinnerungstür, nur dass diese hier nicht eine Tür in Gedanken als Anhaltspunkt brauchte, sondern die Benennung desjenigen, den man aufsuchen wollte.

Sobald Magnus an Whitehin dachte, gab das Portal den Blick auf eine schneeweiße Landschaft frei. Er ging hindurch und suchte in der klirrenden Kälte umgehend die Höhle, in der er seinen Freund vermutete. Dieser hatte ihm einmal den Weg zu seinem eisigen Heim in groben Zügen aufgezeichnet. Ein Felsen mit einem runden Loch war der wichtigste Anhaltspunkt, aber von hier aus nicht zu entdecken. Da sich das Portal in einer Sackgasse zwischen hohen eingeschneiten Bergen befand, gab es nur eine Richtung, in die er gehen konnte.

Der Fußmarsch machte ihm schwer zu schaffen. Immer wieder sank er bis zu den Knien in der kalten Pracht ein. Sein Stock half ihm hier kein bisschen. Wenigstens wärmte das Mittel aus Maneeis Vorräten seinen Körper von innen heraus, und so stapfte er unbeirrt seinem Ziel entgegen. Der eisige Wind, der ihm Schneekristalle in die Augen wehte, heulte durch die Schlucht, die sich am steil abfallenden Ende des Berges zu seiner Rechten auftat. Das hohe pfeifende Geräusch entstand durch ein Loch in einem Felsen, das wie ein natürliches Instrument für die eiskalte Luftströmung wirkte. Hinter dem abgebrochenen Stück Stein, das er sofort erkannte, lag Whitehins Behausung.

»Magnus Deransylk?«, tönte eine unbekannte klingelnde Stimme in Magnus‘ Kopf. Sie klang leicht und hell wie ein Windspiel aus Glas. Eiswesen kommunizierten ausschließlich über Gedanken. Der sich nähernde Gletschergeist war in dem allgegenwärtigen Weiß und der einsetzenden Abenddämmerung kaum auszumachen. Erst als der Eiszapfen auf Beinen den Meister schon fast erreicht hatte, konnte dieser den fremden Geist erkennen.

»Ja, der bin ich. Ich muss Whitehin sprechen.«

»Mein Name ist Wathul.« Der Gletschergeist deutete eine Verbeugung an. »Mein Bruder ist nicht da, aber vielleicht kann ich dir helfen.«

»Woher wusstest du, dass ich auf dem Weg hierher bin?«

»Ich habe eine Art Glocke entwickelt, die bei Aktivität am Portal die Farbe der Magie desjenigen, der es passiert, in meiner Höhle widerspiegelt. Name und Rang des Besuchers werden mir dann auf einer magischen Eisfläche angezeigt, aber das Ding funktioniert noch nicht ganz fehlerfrei.«

Der triumphierende Tonfall ließ ahnen, dass er trotz kleiner Mängel sehr stolz auf diese Leistung war. Eiswesen waren bekannt für ihren Forscherdrang und ihre immensen Fähigkeiten, Apparaturen und neue Geräte zu entwickeln, die statt mit Strom durch Licht aus Kristallen betrieben wurden.

»Eine tolle Erfindung, so kann man unerwarteten Besuch besser einschätzen.« Magnus nickte bedächtig.

»Das klingt, als wolltest du auch eine haben, aber das ist bestimmt nicht der Grund für deinen Besuch – Komm!« Er stapfte voraus zu der Höhle, welche die Brüder gemeinsam bewohnten, und ebnete bewusst mit kleinen Schritten den Weg für seinen Gast. Die mit wunderschönen Gravuren verzierte Eingangstür aus hauchdünnem Eis öffnete sich automatisch, als die beiden auf sie zugingen und schloss sich geräuschlos, sobald sie sich drinnen befanden. Im Inneren war es genauso kalt wie draußen. Magnus‘ Atem stieg in Form von kleinen weißen Wölkchen empor.

»Wozu baut ihr euch einen Unterschlupf wie diesen? Die Kälte macht euch doch nichts aus.«

Wathul lachte leise. »Wir wollen uns nicht jedesmal nach einem Sturm aus einer meterhohen Schneeschicht wühlen. Außerdem brauchen wir einen wetterfesten Platz, um unsere Erfindungen zu bauen.«

Magnus nickte zustimmend.

Unzählige Kristalle an der Decke tauschten den Raum in ein angenehmes hellblaues Licht. Magnus nahm gerne die Sitzgelegenheit an, die Wathul ihm anbot. Er registrierte das völlige Fehlen von Gerüchen und ließ sich auf einem fellüberzogenen Hocker nieder, der außer einem leeren Tisch der einzige Einrichtungsgegenstand zu sein schien.

Sein Gegenüber hockte sich kurzerhand auf sein drittes Bein, das er aufgrund seiner Kürze ohnehin nur zum Sitzen gebrauchen konnte.

»Was führt dich hierher?«

Magnus zog ein Papier mit der Abbildung von Lumens Amulett hervor. »Ich habe einen Halbdämon mit starken feurigen Anteilen unter meine Fittiche genommen. Er sagt, das Amulett habe ihn bisher vor seinem dunklen Inneren geschützt, aber seit einem … nun, ja … Vorfall bricht der Dämon hervor, wann immer er Lust dazu hat. Der Junge heißt Lumen.«

Eine Weile blieb Wathul still, schien über das Gesagte nachzudenken. Er erhob sich geräuschvoll und verließ wortlos den Raum. Das Knirschen, das seinen Bewegungen entsprang, wurde leiser. Wenige Augenblicke später kehrte er zurück und hielt eine aufgeschlagene dicke Kladde in den Händen. Er legte das eiskalte Buch auf Magnus‘ Schoss ab und drehte es herum. Ein bläulicher Eisfinger tippte auf die untersten Zeilen.

Lumen Galward, geboren 1999.

Vater zu 100% Mensch, Mutter zu 30% Feuerdämonin. Leichte telepathische Fähigkeiten. Keine besonderen Kennzeichen. Keine Narben.

Magnus presste die Lippen fest aufeinander und versuchte, daraus schlau zu werden, aber diese Angaben konnten nicht stimmen.

Wathul bestätigte die unausgesprochene Annahme seines Gastes mit den Worten: »Das zuerst angefertigte Amulett hat überhaupt nichts bewirkt, wie du dir denken kannst. Der Vater war auf keinen Fall menschlich. Whitehin hat Calgats Angaben aus Sicherheitsgründen auf Null gesetzt und die tatsächliche Erbanlage des Jungen selber ausgetestet. Auch dessen gesundheitlicher Status war falsch. Keine Narben, pah.«

Das glitzernde Eiswesen blätterte rasch nach hinten und offenbarte die Aufzeichnungen über die Schlussfolgerungen seines Bruders.

Lumen Galward, geboren 1993.

Vater zu 100% Feuerdämon, Mutter zu 36% Feuerdämonin.

Starke telepathische Fähigkeiten.

Besondere Kennzeichen: Blutgruppe AB negativ.

Narben:

Rückseite linker Oberarm ½ Elle lang, alt.

Unterer Rücken, 1 Elle lang, alt.

Nacken, ½ Elle lang, neu.

Schulterblatt rechts, ½ Elle lang, neu.

Wirbelsäule, 1 Elle lang, neu.

»Geboren 1993? Stimmt das sicher?«

»Ja, ganz sicher.« Wathul blätterte wieder nach vorne.

»Das erste Amulett wurde aufgrund Calgats Zahlen angefertigt. Da es überhaupt keine Wirkung zeigte, brachte ein Heiler aus Calgats Orden das Kind her. Der Meister war dabei nicht anwesend, als er den Jungen für den Unterricht aufnehmen sollte. Er hat das Kind nicht gesehen und diese Aufgabe seinem Stellvertreter übergeben.«

»All die Verletzungen …«, sinnierte Magnus, der sich eine ellenlange Narbe auf dem Körper eines Zehnjährigen nicht bildlich vorstellen wollte. Er überflog die kurze Zusammenfassung noch einmal, als das Eiswesen mit einem bedauernden Unterton in der Stimme ergänzte:

»Der Junge verschwand dann auf rätselhafte Weise von hier. Wir haben ihn nie wieder gesehen und auch nicht erfahren, was aus ihm geworden ist. Calgat hat ihn vergebens suchen lassen. Schließlich sollte der Junge in seine Obhut gegeben werden«, er stockte kurz, »Niemand hat ihn als vermisst gemeldet. Seine Eltern waren auch plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.«

»Seine Eltern wurden ermordet. Der junge Mann hat seine Jugend unter der Führung eines Rauchdämons verbracht und vor Kurzem unter Lebensgefahr seinem Meister den Rücken gekehrt.« Magnus versagte die Stimme bei dieser Aufzählung an schrecklichen Dingen, die Lumens Leben ausmachten. Er atmete tief durch. »Er lebt jetzt unter meinem Dach und ich brauche ein starkes Amulett, das seine Kräfte reguliert.«

Erneut entfernte sich Wathul und nahm die Aufzeichnungen mit. Diesmal blieb er länger weg und Magnus nutzte die Zeit, sich über Lumens von Gewalt geprägtem Leben Gedanken zu machen. Er bewunderte den Mut des Jungen, sich gegen Syndred zu stellen. Auch bei der Schlacht hatte er sein Bestes gegeben und Magnus‘ Truppe unterstützt. Die sanfte Art und Weise, wie er mit Eibe umging, zeugte zudem von einem starken Bedürfnis nach Geborgenheit, das ausschließlich seinen menschlichen Anteilen entstammte. Warum also drängte der Dämon ausgerechnet jetzt so stark nach draußen? Lag es vielleicht an seiner Liebe zu Eibe, die das Dunkle nicht ertragen konnte?

Bei seiner Rückkehr hielt Wathul ein prächtiges Amulett in der Hand, das mit Lumens schlichtem Anhänger kaum Ähnlichkeiten aufwies. Das neue schimmerte leicht golden, verschlungene Muster zierten die Vorderseite. Magnus nahm es entgegen und sah sich die Rückseite an. Er entdeckte eine eingravierte, geschwungene Schrift, die einen kraftvollen Bannspruch darstellte.

»Nimm das. Es ist zwar nicht auf den Punkt für deinen Feuerjungen gemacht worden, aber die Zeit drängt und die Herstellung solcher regulierenden Schmuckstücke ist sehr aufwendig. Falls das nicht reicht, wende dich morgen an Whitehin. Er wird zur Mittagsstunde wieder hier sein.«

Das Eiswesen hielt Magnus ein weiteres, sehr kleines Amulett hin, das an einer filigranen, beinahe durchsichtigen Kette hing. Der Anhänger besaß kaum die Größe einer Murmel und schimmerte genauso bläulich wie die Energiekristalle, die Magier statt Stromquellen für den Betrieb von menschengemachten Geräten benutzten.

»Das schützt dich vor dem Dämon, falls das Bann-Amulett zu schwach ist. Wenn du es trägst, kann er dich nicht angreifen.«

Dankbar nahm Magnus es entgegen und erhob sich. »Ich danke dir für deine Hilfe. Richte meinem Freund schöne Grüße aus. Ich nehme morgen Kontakt zu ihm auf, da wir noch über die Bezahlung sprechen müssen.«

Wathul winkte ab und wünschte Magnus alles Gute. Dieser quälte sich durch die schmale Spur im Schnee zum Portal und betete darum, dass die Bannkraft des Amuletts ausreichte, Lumens Dämon in Schach zu halten.

3

 

Das Dunkle

 

Lumens Kampf dauerte an. Mehrmals rief Eibe vergeblich nach Mimi und Angelus. Ein hässlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf – die beiden hatten davon gesprochen, an die Erinnerungstür draußen im Schuppen einen zusätzlichen Riegel anzubringen – niemand konnte sie hier drinnen hören. Hilflos musste sie mitansehen, wie Lumens Kräfte nachließen. Er wehrte sich erbittert gegen den Dämon und zwang das Dunkle in ihm zurück. Jede verstrichene Minute kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Die wenigen Momente in denen sie dachte, Lumen würde siegen, wurden immer seltener. Pure Verzweiflung machte sich in ihr breit.

Sobald der Dämon die Oberhand gewann, machte er einen Schritt auf Eibe zu. Das Feuer bahnte sich seinen Weg und setzte den Körper in Brand, dem die Hitze normalerweise nichts ausmachte. Doch die magischen Flammen brannten anders als sonst und sengten große Löcher in sein Shirt. Aus der robusten Wollhose drangen Rauchfahnen.

Er war für ein paar Minuten wieder er selbst. Die kurze Zeitspanne reichte, um sich zurück zum Fenster zu schleppen. Immer noch im Flur stehend, beobachtete Eibe das Geschehen, mit schreckgeweiteten Augen und heftig klop-fendem Herzen. Ein weiterer Hitzestoß brandete durch den Raum, in dem bereits leichte Rauchschwaden hingen. Lumens glühende Füße hinterließen bei jedem Schritt verkohlte Flecken auf dem Holzboden.

Die schwarzen Augen in dem blassen Gesicht wurden kalt und emotionslos. Er riss die Kette des nutzlos gewordenen Amulettes ab und pfefferte es Eibe mit einem hämischen Grinsen vor die Füße. Der Dämon schaffte zwei Schritte auf sie zu. Am liebsten wollte sie wegrennen, doch sie brachte es nicht übers Herz, Lumen sich selbst zu überlassen.

Es folgten viele einzelne Schritte nach vorne, und auch wieder zurück. Der Brandgeruch wurde stärker. Mal übernahm der menschliche Teil die Führung, dann wieder der dämonische.

Als Eibe eine warme Hand auf ihrer Schulter fühlte, zuckte sie zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus, hielt den Blick dennoch weiterhin auf Lumen.

»Was ist hier los?« Magnus‘ flüsternde Stimme an ihrem Ohr.

»Sie kämpfen«, murmelte sie.

Wortlos streifte ihr der Meister eine Kette mit einem kleinen blauen Anhänger über und humpelte auf seinen Stock gestützt ins Zimmer. Mit der freien Hand hielt er ein verschnörkeltes golden glänzendes Amulett hoch und zeigte es dem Feuerjungen, als der für einen Moment die Herrschaft über seinen Körper zurück erlangte. »Dieses Amulett wird dich schützen!«

Rauch hüllte Lumen ein und zeigte nur mehr seine Silhouette. Ein plötzlich hervorschießender schwarzer Energiestoß riss Magnus von den Füßen und er landete rücklings im Flur.

»Schützen wovor?«, donnerte die tiefe vibrierende Stimme des Dämons durch die grauen Schwaden, die sich rasch verdichteten.

Der Klang ließ Eibe trotz der zunehmenden Hitze im Raum frösteln. Doch ein noch stärkeres Gefühl durchflutete sie. Angst. Angst um Lumen. Sie stieß sich an der Wand hinter ihr ab und preschte nach vorne. Im Lauf riss sie Magnus das Amulett aus der Hand. Ein feines Netz aus Eiskristallen flog dicht neben ihrem Kopf vorbei und in das Herz des schwarzen Nebels. Offenbar hatte Magnus ihr Vorhaben erkannt. Eibe schloss ihre Faust fest um den Anhänger. Da sie im dichten Rauch ohnehin nichts sehen konnte und der Qualm ihre Augen reizen würde, schloss sie diese kurzerhand und warf sich dem Monster förmlich in die Arme. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen, aber sie nutzte geistesgegenwärtig den Schwung trotz der perversen Hitze, die sie verspürte, um den Dämon zu Boden zu reißen.

Das Bersten von Glas, ein plötzlicher Windstoß. Kühle Abendluft strömte durch den Raum und nahm den Rauch mit sich. Eibe entdeckte Magnus, der sich am Türrahmen aufrappelte und mit einem orangefarbenen Lichtpfeil auf Lumens Kopf zielte. Der Dämon knurrte wütend und rollte sich auf sie, ließ das Feuer auf seinem Körper entflammen. Hitze schlug Eibe ins Gesicht, brannte auf ihrem gesamten Körper. Keuchend spannte sie die lange Kette des Amuletts in seinem Nacken auf, und zog es ihm über den Kopf. Wutentbranntes Donnergrollen hallte durch den Raum, begleitet von einem Schmerzensschrei.

Stille. Sämtliche Spannung wich aus Lumens Körper, die Hitze verebbte, sein Kopf fiel kraftlos auf Eibes Schulter. Sofort eilte Magnus zu den beiden hin und kniete sich auf den Boden.

»Lumen?«, flüsterte Eibe und legte ihm eine zitternde Hand an die heiße Wange.

»Was stinkt hier so?«, fragte Mimi aus Richtung der Tür. Doch Eibe sah nicht auf, hob Lumens Kopf von ihrer Schulter und starrte nur in das ermattete Gesicht über sich. »Lumen!« In ihrer Stimme schwang ein panischer Unterton mit.

»Was ist denn hier passiert?« Angelus schien auch hier zu sein. »Habt ihr ein Lagerfeuer gemacht?«

»Lumen!«, rief Eibe noch einmal, diesmal lauter.

Ungläubig blickten sich Hrahti und Mimi um. Die letzten Rauchschwaden zogen durch das zerstörte Fenster nach draußen.

»Was ist das für ein Amulett? Was hat es mit ihm gemacht?«, zischte Eibe und versuchte vergebens, Lumen wachzurütteln. Angelus kam zu Hilfe und zog den Bewusstlosen vorsichtig von ihr herunter.

»Mann, der glüht ja fast. Bist du verletzt?«

»Nein«, sie hob ihre Arme hoch und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, »Mir geht es gut – Aber was ist mit Lumen?«

Sie wollte sich aufrichten, schaffte es aber nicht aus eigener Kraft. Angelus umfasste ihre Mitte und zog sie sanft hoch, was ihr ein schmerzerfülltes Zischen entlockte.

»Meine Handgelenke tun weh«, sie ächzte und verzog das Gesicht, »Und meine Knie auch.«

Vorsichtig betastete sie die schmerzenden Stellen.

»Das war äußerst riskant«, tadelte Magnus.

Der anklagende Tonfall, der seine Worte unterstrich, ließ sie aufhorchen. Sie erinnerte sich an den Lichtblitz, den Magnus bereit gewesen war, auf Lumen zu schleudern. Einerseits schätzte sie seine Sorge um sie, andererseits wurde ihr übel bei dem Gedanken, Magnus könnte Lumen töten. Der Meister würde keine Sekunde zögern, das wusste Eibe. 

 

☼☼☼

 

In den frühen Morgenstunden vernahm Zankra ein Knarzen von draußen. Leise schlich sie zur Eingangstür ihrer Hütte und spähte durch einen Spalt in den Holzbrettern hinaus.

Rajan verließ den Stall in seiner menschlichen Gestalt, bekleidet nur mit einer alten, schmutzigen Hose. Offenbar hatte er diese nach seiner letzten Bestrafung dort deponiert. Leicht geduckt lief der barfüßige Junge zu seiner schwebenden Transportkiste, die immer noch halb auf dem ausgetretenen Lehmpfad vor ihrem Heim stand. Auf der Kiste lag eine kleine grüne Schlange, die sich langsam aufrichtete als sie den Jungen entdeckte. Er nahm sie mit den Händen hoch.

»Du bist ja ganz steif. Tut mir leid, dass du so lange warten musstest, aber der Zauber der Pestilenz da drin hat diesmal etwas länger angehalten als sonst.«

Rajan bedachte die windschiefe Hütte mit einem verächtlichen Blick und fletschte dabei die Zähne. Zankra widerstand dem Drang, ihm einen Fluch anzuhängen.

»Wenigstens ist der Pfad frei von Steinen. Lieber laufe ich den nächsten Monat barfuß, als da«, er nickte mit dem Kopf zu Zankras Behausung, »früher als nötig noch mal reinzugehen.«

Zankra kicherte vor sich hin. Der Bengel würde eher früher als später wiederkommen. Er brauchte das Geld. Behutsam verstaute der Junge die Schlange in seiner hinteren Hosentasche. Er hob die Lederschlaufen auf, die an der Kiste befestigt waren, führte sie um seine schmalen Schultern und stemmte seinen Körper nach vorne. Die vollbeladene Holzkiste folgte seiner Bewegung. Mühelos zog Rajan seine Ladung hinter sich her und stapfte den ebenen Weg entlang, der zum Orden der knisternden Steine führte.

Zankra grinste verschlagen. Vor sich hin gackernd wackelte sie zu Rajans Kleidern, die immer noch am Boden vor dem Tisch lagen. Sie hob die Sachen mit einem lauten Ächzen auf und pfefferte das Eigentum ihres Boten in die nächste Ecke. Vielleicht konnte sie dem Jungen für die Aushändigung der nächsten Lieferung seine Schuhe zum Tausch anbieten.

Ein Knistern ertönte. Neugierig betrat Zankra den Raum mit der Feuerschale. Auf deren Grund glimmte grüne Glut, gleichmäßig pulsierend wie ein schlagendes Herz. Mit knackenden Gelenken hockte sie sich vor das Objekt ihrer Begierde auf den blanken Steinboden. Das grüne Feuer brannte sofort heller; es nährte sich von ihrer Lebensenergie. Teuflisches Ding. Nein, gutes Ding.

Endlich wollte es ihr wieder etwas zeigen. Begeistert klatsch-te sie in die Hände. Mit ihren runzeligen Händen teilte sie die Flammen, die ein Bild freigaben, welches Zankra schon kannte – Magnus, der Eibe im Buch der Schatten etwas zeigte.

»Das Buch, ja, ich weiß jetzt, wo es ist. Aber das ist die Vergangenheit. Zeig mir die Gegenwart! Ich will wissen, was jetzt passiert«, zischte sie ungehalten und ignorierte das Brennen auf ihrem Rücken. Die Flammen der Schale zehrten an ihrer Lebenskraft, bescherten ihr Geschwüre und steife Gelenke. Doch die Informationen waren es wert. Meistens. »Zeig es mir. Jetzt.«

Die Flammen zogen sich zurück, erloschen beinahe.

»Entschuldige. Entschuldige, bitte. Ich wollte nicht grob sein.« Um Verzeihung zu bitten kam ihr nur schwer über die Lippen.

»Zeig mir bitte die Gegenwart, liebstes Feuer«, säuselte sie. Die grünen Flammen sprangen auf die liebkosenden Worte an und gaben ein neues Bild frei:

Die junge Hexe lag heftig atmend am Boden, der reglose Körper eines jungen Mannes auf ihr. Neben den beiden kniete Magnus, sein Gesichtsausdruck wechselte rasch von irritiert zu besorgt. Ein unbekannter muskulöser Mann kam dazu und half Eibe hoch, deren schmerzvolle Mimik auf Verletzungen schließen ließ.

Das Bild flackerte plötzlich und wurde kleiner.

»Nein, bitte nicht«, flehte sie, musste jedoch hilflos mitansehen, wie das Feuer kleiner wurde, erlosch, und zu einem winzigen Häufchen Glut schrumpfte. Sie stieß einen Schrei der Enttäuschung aus.

Einem Tornado gleich fegte sie durch den Raum auf der Suche nach einer Karte. Diverse dicke und dünne Rollen flogen in hohem Bogen aus dem Regal mit den Landkarten.

»Da bist du ja!« Beinahe zärtlich strich sie über den gesuchten Plan in ihren Händen. Sie wischte auf dem Tisch alles darauf Befindliche achtlos beiseite und rollte das wertvolle Stück Papier auseinander. Kerzenstumpen, Essensreste und ihr Weinbecher landeten auf dem dreckigen Boden. Ihr knochiger Finger fuhr von ihrem Zuhause, welches mit einem roten Punkt markiert war, hinauf in den Norden. Durch den Wald, in dem der Tempel des Rates lag, daran vorbei, immer weiter hinauf, bis kurz vor die Küste. Irgendwo auf diesem schmalen, breiten Stück, wo das Land zum Meer hin ein wenig abfiel, lag Magnus‘ Zuhause. Zumindest behauptete Rajan das.

Zufrieden rollte sie die Karte zusammen, steckte sie in ihren länglichen Rattenfellbeutel und hängte sich diesen um. Die bleichen Köpfe der für die Herstellung dieser Transporttasche verwendeten Tiere, baumelten an festen Schnüren am unteren Ende und klapperten im Takt der Schritte der Alten aneinander. Sie tauschte ihre Hauspantoffeln gegen festes Schuhwerk, streifte eine Weste über und wankte nach draußen.

Hinter der Hütte lag ein knorriger, unförmiger Baum, dessen totes Holz nur noch von dunkler Magie zusammen gehalten wurde. Der Stamm, dessen Wurzeln fehlten, war gewunden wie ein ausgewrungenes Handtuch und besaß nur auf einer Seite Äste. Dort dafür umso mehr und sie waren alle gleich lang. Zankra trat mit dem Fuß dagegen.

»Aufstehen! Du hast lange genug geschlafen!«

Mit lautem Knirschen und Ächzen erhob sich der Stamm auf seinen Ästen. Einem Tausendfüßler gleich, der sein eigenes Hinterteil fangen will, lief er eine Acht. Zuerst nach links und dann nach rechts, ehe er mit einem tiefen Brummen vor der Alten stoppte.

»Bist du endlich mit deinen Dehnübungen fertig?«, zischte Zankra ungehalten und funkelte ihr Transportmittel wütend an. Sie bestieg die uralte Pappel wie ein Pferd und legte ihre runzeligen Hände an die knorrige Rinde. Schnell übertrug sie das Bild ihres Ziels gedanklich an den Baum und dieser setzte sich mit einem kräftigen Ruck in Bewegung.

Sie brauchte das Buch, und nun wusste sie auch, wo sie es finden konnte. Und vor allem: Die kleine Hexe schien geschwächt. Ein guter Zeitpunkt.

Das Wissen, für ihr Vorhaben Hilfe zu benötigen, verursachte ihr schlechte Laune, aber im Alleingang konnte sie Magnus und seine Schützlinge nicht bezwingen. Sie musste ihrem alten Freund Wenuf einen Besuch abstatten, der im Wald unweit des Tempels des Rates lebte. Diesem verfluchten Ort zu nahe zu kommen, barg viele Gefahren. Sobald Horwalls Seher ihr Eindringen entdeckte, wäre ihr das halbe Heer auf den Fersen. Die Aussicht, schon bald die Macht des Buches nutzen zu können, wog dieses Risiko jedoch auf. Wenuf konnte verwunschene Wandelgeister aus ihrem Gefängnis befreien, wenn die Münzen, die man ihm dafür gab, die richtige Farbe besaßen. Zwei der begehrten Metallscheiben führte Zankra in ihrem Beutel unter der Schürze mit. Sie legte unbewusst eine Hand an ihren Schatz und steuerte das Revier des Abben an.

4

 

Wiederherstellung

 

Angelus trug Lumen in eines der Gästebetten, begleitet von Eibe, die bei dem Bewusstlosen blieb.

---ENDE DER LESEPROBE---