Ein Fall für Feline: Vergessen - Kerstin Rachfahl - E-Book
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Ein Fall für Feline: Vergessen E-Book

Kerstin Rachfahl

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Beschreibung

Am Sterbebett verspricht Fee ihrer Schwester Maja, sich ihrer Tochter Viola anzunehmen. Während der trauernde Paul für ein Jahr nach Singapur verschwindet, zieht Fee in das frisch renovierte Fachwerkhaus der Familie in der kleinsten Stadt im Sauerland. Bei einem Spaziergang stolpert sie mitten im Wald über eine Gedenkstätte. Vor exakt fünfzig Jahren fiel die siebenzehnjährige Luise Bartels an dieser Stelle einem Verbrechen zum Opfer, aber es gibt jemanden, der Luise nicht vergessen kann. Davon zeugt ein frischer Strauß Sonnenblumen an der Gedenkstätte. Berührt von dieser Geste beschließt Fee herauszufinden, was damals passiert ist. Nur, wie klärt man ein Verbrechen auf, das so lange zurückliegt? Gibt es noch Zeitzeugen? Lebt der Täter überhaupt noch? War es Mord, der nicht verjährt, oder fahrlässige Tötung? Jede Gewalttat hinterlässt ihre Spuren in der Seele der Hinterbliebenen und der Wissenden.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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EIN FALL FÜR FELINE VERGESSEN

EIN FALL FÜR FELINE

BUCH 1

KERSTIN RACHFAHL

Impressum

Deutsche Erstausgabe August 2022

Copyright © 2022 Kerstin Rachfahl, Hallenberg

Lektorat, Korrektorat: Martina Takacs, dualect.de

Buchcover: Anne Gebhardt, annegebhardt.design

Kerstin Rachfahl

Heiligenhaus 21

59969 Hallenberg

E-Mail: itsme@kerstinrachfahl.de

Webseite: www.kerstinrachfahl.de

Alle Rechte einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Nachwort

Bücher von Kerstin Rachfahl

1

Fee nahm den Fuß vom Gaspedal. Die Mauer am Ende des Carports kam näher und näher. Eine Handbreit vor der Betonwand blieb das Elektroauto, gebremst durch die Rekuperation, stehen. Alles fühlte sich falsch an. Das teure Fahrzeug. Der Carport. Die Mauer. Das Fachwerkhaus.

Sie gehörte nicht in dieses Dorf – diese Kleinstadt, korrigierte sie sich – mitten im Nirgendwo von Deutschland, eine Gegend, um die jede Autobahn einen Bogen schlug. Wo öffentliche Verkehrsmittel nur in eine Richtung regelmäßig pendelten: nach Nordrhein-Westfalen. Auf keinen Fall ins verfeindete Hessen.

Sie schnaubte, als sie an Majas Freundin Elke dachte, die seit Jahren versuchte, dieses Stück Heimat zu vergessen. Früher, so hatte sie erzählt, war es zu Schlägereien gekommen, wenn sich jemand aus dem Hessenland auf das Schützenfest der westfälischen Kleinstadt verirrte. Liebesbeziehungen zwischen den angrenzenden Dörfern, nur einen Kilometer voneinander entfernt? Undenkbar. Klar, dass ihre Schwester Maja unbedingt diese Kleinstadt sehen musste. Aber gleich ein Haus kaufen und dort leben?

Sie drehte sich auf ihrem Sitz herum und blickte auf die Rückbank. Viola schlief tief und fest in ihrem Kindersitz, den Mund offen, den Kopf an die Lehne gelehnt. Der graue Plüschelefant war ihr aus der Hand gerutscht und die feinen dunkelblonden Haare, die ihr bis zum Kinn reichten, bildeten auf der Seite, wo der Kopf am Sitz lehnte, ein einziges wirres Nest. Sie fragte sich, wie sie das ohne Protestgeschrei wieder beheben sollte. Es erinnerte sie daran, dass sie Paul versprochen hatte, sofort eine Nachricht zu schicken, sobald sie sicher angekommen waren. Sie nahm das nagelneue Smartphone und schickte eine Kurznachricht: Sind angekommen. Melde mich, wenn Viola im Bett liegt.

Ronja bellte einmal kurz, aber nur leise, als wüsste sie, dass sie auf Viola Rücksicht nehmen müsste. Oh ja, dem kleinen Mädchen gegenüber brachte die schwarze Mischlingshündin mit dem süßen Fuchsgesicht und den weichen hängenden Ohren eine erstaunliche Geduld auf, ganz anders als gegenüber ihrem Frauchen.

Fee schnallte sich ab und öffnete die Autotür. Die Innenbeleuchtung ging an. Sie stieg aus, drückte die Fahrertür leise ins Schloss. Das Licht der Straßenlaterne erleuchtete die Einfahrt. Zuerst öffnete sie den Kofferraum und ließ Ronja aus ihrer Hundebox. Bevor sie ihr die Freigabe erteilte, herauszuhüpfen, befestigte sie die Leine am Halsband.

Kaum war Ronja auf dem Boden, glitt die Hundenase am Schotter der Einfahrt entlang. Der kurze Schwanz der Hündin wedelte in einem angeregten Rhythmus, ihr Fell sträubte sich und ein dumpfes Knurren erklang.

»Schluss. Wag es ja nicht zu bellen. Was dachtest du? Dass es hier nach uns riecht?«

Ronja vollführte einen Satz, bellte böse, und gerade noch rechtzeitig hielt Fee die Leine fest. Eine Katze miaute, fauchte empört und brachte sich mit einem eleganten Sprung auf die Mauer in Sicherheit.

Hastig umfasste sie die Schnauze ihrer Hündin, bevor diese die ganze Nachbarschaft in Aufruhr versetzen konnte.

»Schluss! Sitz!«, fauchte sie sie an.

Nur äußerst widerwillig ließ sich Ronja auf ihrem Hintern nieder. Die Katze beobachtete sie mit ihren jadegrünen Augen, während sich ihre Schwanzspitze langsam bewegte. Unheimlich.

»Mami?«

»Na super, Ronja, das hast du ja toll hinbekommen«, fluchte sie leise, »und ich dachte, du wärst ein schlauer Hund. Ein Teufel bist du.«

Die widerwillige Hündin hinter sich herziehend öffnete Fee die hintere Tür auf der Beifahrerseite. Sie schaffte es, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.

»Hallo, meine Süße.«

Viola rieb sich mit den Fäusten die Augen und ließ die Hände dann fallen. Verwirrt sah sie Fee an, dann kam die Erkenntnis, und das Licht in ihren blauen Augen erlosch, als hätte jemand eine Taschenlampe ausgeknipst.

Tapfer erhielt Fee ihr Lächeln aufrecht. »Wir sind da. In unserem neuen Zuhause.«

Sie öffnete den Gurt des Kindersitzes und hielt die Arme offen, sodass Viola selbst entscheiden konnte, ob sie sich von ihr auf den Arm nehmen lassen oder selber gehen wollte.

Der suchende Blick, die schreckgeweiteten Pupillen, Tränen kullerten über ihre Wangen.

Fee beugte sich vor. »Hey, Süße, keine Angst, dein Simba ist nicht verloren gegangen. Er ist dir nur aus den Armen gerutscht. Schau, hier ist er.«

Sie reichte Viola den geliebten Elefanten, den diese sofort an sich riss und in die Arme schloss, um ihr Gesicht tief in ihm zu vergraben. Es brach Fee das Herz, und kurz vergaß sie zu lächeln. Wie gern hätte sie das Mädchen auf den Arm genommen. Stattdessen half sie ihr aus dem Sitz und aus dem Auto heraus.

Die Stille. Kein Mensch, der an der Straße entlangging, nur entfernt die Geräusche eines Autos, das sich von ihnen entfernte. Ronja sprang ein weiteres Mal in die Leine und bellte. Die Katze balancierte auf der Mauer entlang, bis zu einer Stelle, wo sie sich direkt über dem Hund befand. Sie setzte sich, legte den Schwanz in einer tänzerischen Bewegung über ihre Vorderpfoten, während sie Fee mit den Augen fixierte. Na, das konnte ja heiter werden.

Ronja rastete aus. Sie konnte es verstehen. Provozierender hätte sich das Katzenwesen nicht verhalten können.

Viola hob den Kopf. »Katze.«

»Komm, Süße, lass uns ins Haus gehen, bevor Ronja die Nachbarschaft mit ihrem Gekläffe völlig verrückt macht.«

Sie streckte die Hand aus und war erleichtert, als Viola ohne nachzudenken ihre eigene winzig kleine hineinlegte. Fee kramte aus ihrer Jacke den Schlüssel zum Haus heraus, schloss die Tür auf und betrat den Flur. Ihre Hündin nutzte die Länge der Leine und markierte demonstrativ den Busch vor der Haustür: Mein Revier. Stoisch blieb der Feind auf der Mauer sitzen und blickte zu ihr hinab.

»Lass sie. Merkst du nicht, dass sie dich nur ärgern will und du genau das machst?«

Fee spannte die Leine, und schließlich zeigte Ronja Einsicht, drehte der Katze den Rücken zu und folgte ihr ins Haus. Bevor die Hündin es sich anders überlegen konnte, machte Fee die Haustür zu.

»So. Problem gelöst.«

Sie löste die Leine von Ronjas Halsband, und die Hündin lief, kaum dass sie frei war, den Flur entlang, um die Räumlichkeiten zu erkunden. Mist. So würde sie niemals der Boss in diesem Zweiergespann werden.

Egal. Sie war müde nach der langen Autofahrt, erschöpft von den letzten Wochen, und sie sehnte sich nach einem Bett, in dem sie sich zusammenrollen und heulen konnte, so lange sie wollte. Sie öffnete die Tür rechter Hand in den Hauswirtschaftsraum, der so wie die gesamte untere Etage mit robusten dunkelgrauen Fliesen ausgestattet war.

»Komm, ich helfe dir aus deiner Jacke. Siehst du, das hier sind deine Haken und das ist dein Fach in der Kommode.«

Sie hängte die Kinderjacke an den grünen Froschhaken, der sich an der linken Wand befand. Daneben gab es eine Ente, einen Schwan und eine Libelle. Ihre eigene Jacke hängte sie an eine der bunten Kugeln, die an einem langen Holzbrett befestigt waren. Neben der Kommode standen an der Wand eine Waschmaschine und ein Trockner, gefolgt von einem Waschbecken. In der Ecke direkt neben der Tür, die in den Garten führte, war ein Bereich mit leichtem Gefälle mit Abfluss und an der Wand eine Handbrause zum Abspülen von dreckigen Gartensachen oder Hunden. Das raumhohe Metallregal rechts neben ihr hatte Haken in Kopfhöhe, wo sie Ronjas Leine aufhängte.

»Siehst du, Viola, da geht es raus in den Garten. Das werden wir morgen erkunden. Jetzt zeige ich dir erst mal dein Zimmer oder möchtest du zuerst was trinken?«

Viola presste den Elefanten fester an sich und schmiegte die Wange an seinen Kopf.

»Komm, setz dich auf die Holzbank, dann ziehe ich dir die Schuhe aus. Schau, das sind deine Hüttenschuhe.«

Sie nahm die Hüttenschuhe mit dem Eselgesicht aus dem Holzregal neben der Bank und zog sie Viola über die Füße. Der Geruch von frischer Farbe und geöltem Holz hing selbst hier im Hauswirtschaftsraum noch in der Luft.

Als sie vor vier Tagen aufgebrochen war, um Viola abzuholen, waren die letzten Handwerker noch im Haus gewesen, was sie daran erinnerte, dass sie zuerst in der Küche nachsehen musste, ob Herr Brieden wie versprochen die Hausschlüssel in die Obstschale auf der Küchentheke gelegt hatte. Dörfer halt. Falsch, Kleinstädte. Egal. In Hattingen hätte sie das nicht ohne Weiteres getan. Sie hoffte, dass sie nicht zu vertrauensselig gewesen war.

Ronja kam von ihrer Erkundungstour zurück. Schwanzwedelnd setzte sie die Vorderpfoten auf die Bank und schob ihre Schnauze unter Violas Arm durch. Bevor Fee es verhindern konnte, hatte das Mädchen bereits einen feuchten Kuss erhalten.

»Nicht. Bäh«, protestierte Viola und wischte sich mit dem Handrücken die Wange trocken, ließ sich jedoch von dem aufgedrehten Hund erweichen, ihn zu streicheln. Kaum war Ronja sich der Aufmerksamkeit des Mädchens sicher, warf sie sich auf den Rücken und ließ sich ihren hellen Bauch kraulen.

»Komm, wir gehen in die Küche, dann kann ich dir was zu trinken geben. Hast du Hunger?«

Keine Antwort.

Sie seufzte. Ihr war klar, dass sie dem Kind viel Zeit geben musste. Doch etwas zu wissen und etwas zu erleben, waren zwei verschiedene Paar Schuhe. Sie ging zurück in den L-förmigen Flur, dessen kurze Seite den Eingangsbereich bildete. Gegenüber vom Hauswirtschaftsraum führte eine Holztreppe hoch ins Obergeschoss. Unter der höchsten Stelle der Treppe befand sich die Tür zum Wohnzimmer. Die Küche war vom Hauswirtschaftsraum betrachtet direkt rechts.

Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht an. Dort, in der Obstschale, sah sie den Schlüssel mit dem großen Karabinerhaken und einem flauschigen Ball daran. Daneben lag ein Umschlag.

Die Rechnung für die Arbeiten. Nun, die Summe würde sie sich morgen anschauen. Sie liebte diese offene Küche mit den Eichenholzplatten und den cremeweißen Schränken. Sie ging an die Spüle, holte aus dem Oberschrank ein großes Wasserglas und ein kleines mit Blumenmuster heraus, füllte das größere Glas voll mit Wasser aus dem Hahn und das kleinere zu einem Viertel.

»Oma Elfriede sagt, dass ich kein Wasser aus dem Hahn trinken darf.«

»Weil es in der Stadt, in der Oma Elfriede wohnt, kein so gutes Wasser aus dem Hahn gibt wie hier. Probier mal, besser als jedes Sprudelwasser.«

Viola setzte ihren Elefanten auf den Boden und nahm das Wasserglas mit beiden Händen. Fee sah Ronjas Blick gerade noch rechtzeitig.

»Wage es ja nicht. Platz«, wies sie sie an.

Mit einem Jaulen legte sich Ronja hin, die Augen weiterhin auf das Stofftier fixiert. Viola leerte das Glas komplett und reichte es ihr zurück.

»Lecker?«

Ein erstes zaghaftes Lächeln und ein Nicken. Sie nahm ihren Elefanten wieder in den Arm, presste ihn an sich.

»Gut, dann mal ab nach oben.«

Sie ließ Viola vor sich die Treppe hochgehen, nachdem Ronja bereits vor ihnen hinaufgelaufen war und oben auf sie wartete. Die Stufen waren mit Antirutschmatten aus Sisal beklebt, seitdem Fee einmal die halbe Treppe heruntergerutscht war. Die neuen Steckdosen waren zum Glück bereits mit einer eingebauten Kindersicherung versehen.

Viola blieb oben stehen. Fee trat neben sie.

»Direkt vor dir geht es ins Büro. Da, links daneben, ist die Tür zu deinem Zimmer, und gleich dahinter kommt die Tür zu meinem Schlafzimmer. Hier rechts ist das Badezimmer und daneben das Gästezimmer. Musst du auf die Toilette?«

Viola schüttelte den Kopf.

»Bereit für dein Zimmer?«

Ein Nicken. Die Arme krampften sich fester um den Elefanten.

»Tadaa …« Fee öffnete die Tür und drückte den unteren Lichtschalter. Es flammte nicht einfach ein Licht auf, stattdessen begann ein Ball sich zu drehen, der Sterne in einem warmen dämmerigen Licht an die Decke, den Boden und die Wände warf.

Staunend blickte Viola zu der Lampe hoch.

»Gefällt es dir? Frau Schäfer sagte, kleine Mädchen würden dieses Licht lieben.«

Sie standen gemeinsam in der Tür und sahen dem Lichtspiel zu. Schließlich betrat Viola ihr neues Reich. Ein dicker, flauschiger Teppichboden in Violett bedeckte die geölten Eichendielen. Eine Koje an der einen Wand, mit einem Nachttisch, auf dem ein Bilderrahmen stand, zog das kleine Mädchen magisch an. Fee verschränkte die Arme vor der Brust. Viola ließ sich auf der Bettkante nieder, legte den Elefanten aufs Bett und griff nach dem Foto. Sie starrte es an, ohne sich zu regen.

Langsam kam Fee näher und ließ sich neben ihr nieder. Sie knipste das Nachttischlämpchen mit dem malvenfarbenen Lampenschirm an. Eine Weile betrachtete sie das Foto der lachenden Maja, die auf einer Holzbank saß, die sportliche Sonnenbrille in das lange Haar geschoben, und sie anstrahlte. Tränen, die sie von sich fernzuhalten versucht hatte, bahnten sich ihren Weg. Keine vier Monate war es her, dass sie das Foto gemacht hatte, eines von vielen auf ihrer gemeinsamen Fahrradtour durch das Sauerland. Zwei Tage zuvor waren sie über das kleine Fachwerkhaus in der Kleinstadt gestolpert, das, vom Zahn der Zeit angefressen, zum Verkauf gestanden hatte. Sie selbst hatte keinen Blick darauf verschwendet, aber Maja hatte ein Faible für alte Häuser und war in schiere Begeisterung ausgebrochen.

»Ist das nicht einfach traumhaft? So wie dieser ganze Ort. Als wäre die Zeit stehen geblieben.«

Amüsiert hatte Fee beobachtet, wie sie ein Foto nach dem anderen schoss und sogleich verschickte.

»Hier möchte ich wohnen. Hier will ich alt werden.«

»Meinst du nicht, du solltest das zuerst mit deinem Mann besprechen?«

»Was meinst du, weshalb ich dir die Tour ins Sauerland vorgeschlagen habe?«

»Ich dachte, damit wir beide mal wieder ganz allein Zeit miteinander verbringen?«

Maja hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt. »An mir lag es nicht, dass wir uns die letzten fünf Jahre kaum gesehen haben. Du warst ständig in der Weltgeschichte unterwegs.«

»Ihr wollt also aus Hamburg wegziehen?«

»Machst du Witze? Hast du schon mal mit deiner Schwiegermutter in einem Haus gewohnt?«

»Eine Villa mit tausend Quadratmetern Wohnfläche, Swimmingpool drinnen und draußen, Tenniscourt und Orangerie nennst du ein Haus? Wie oft lauft ihr euch über den Weg?«

»Mehr, als gut ist. Vor allem wenn du permanent zu hören bekommst, wie toll ihre Wunschschwiegertochter ist, und du ihr gefühlt jeden dritten Nachmittag beim Teetrinken begegnest. Paul hat es endlich eingesehen. Er wechselt seinen Job Ende des Jahres. Du hast keine Ahnung, wie viele Mittelständler in dieser Region ansässig sind. Schau dir die Gegend an. Findest du es nicht herrlich, Kinder mitten in dieser Natur großzuziehen?«

»Du meinst, abgesehen davon, dass wir dann nur noch zwei Stunden entfernt voneinander wohnen? Ja. Es ist toll hier. Jede Menge Sportmöglichkeiten und sogar Kultur. Hast du gesehen, dass es hier eine Freilichtbühne gibt?«

Maja hatte gegrinst, den Arm von ihrer Schulter gezogen und sich die Hand auf ihren Bauch gelegt.

Fee hatte die Augen aufgerissen.

»Kinder? Du bist wieder schwanger?«

»Im dritten Monat.«

Sie hatte versucht, die Freude ihrer zwei Jahre älteren Schwester in ihrem Gesicht zu spiegeln. Nach zwei Fehlgeburten innerhalb von drei Jahren war es kein einfaches Unterfangen für sie, ihre Sorgen zu verbergen.

»Und diesmal wird es ein Junge.«

»Ist das nicht völlig egal? Hauptsache gesund.«

Das Lächeln in Majas Gesicht verschwand. Sie strich sich sanft über den Bauch. Fee hätte sich auf die Zunge beißen können.

»Du weißt, wie Pauls Eltern gestrickt sind.«

»Hey«, hatte sie gesagt und sich bei Maja untergehakt, »was meinst du, sollen wir diese Waffelstube ausprobieren?«

»Super Idee. Ich kann jetzt was mit Zucker gebrauchen. Das Radfahren rauf und runter hat es in sich.«

Viola wandte den Kopf von dem Foto zu ihr.

»Das ist Mama.«

Heulend zwang sich Fee zu einem Lächeln.

»Ich habe erst mal dieses Foto von ihr aufgestellt. Wenn es dir nicht gefällt, können wir auch ein anderes von ihr nehmen.«

Viola schaute wieder auf das Bild, und Fee nutzte die Chance, sich die Tränen von der Wange zu wischen und sich die Nase zu schnäuzen.

»Mama hat viel gelacht.«

»Das hat sie.«

Langsam stellte Viola das Bild wieder zurück aufs Nachttischchen.

»Ich vermisse sie.«

Fee legte den Arm um Violas Schulter und zog das Mädchen an sich.

»Ich auch. Und wie.«

2

Fee ließ die Tür zum Kinderzimmer offen, ebenso die zum Bad. Sie zog das Gitter vor die Treppe, damit Viola in der Nacht nicht hinunterstürzte, wenn sie von ihrem Zimmer aus falsch abbog.

Sie öffnete die Tür zum Büro. Bücherregale an den Wänden, ein gemütlicher Lesesessel, ein höhenverstellbarer Schreibtisch, ein bequemer Bürostuhl und eine Schlafcouch waren im Raum verteilt, ohne Enge zu erzeugen. Das war der Platz, den Maja für sie vorgesehen hatte, wenn sie zu Besuch kam – oder auch als Möglichkeit für ein drittes Kinderzimmer.

Sie setzte sich an den Schreibtisch, strich mit ihrer Handfläche über die gemaserte Eichenplatte, die in ihrer Struktur unruhig, dafür aber einzigartig war. Alles in diesem Haus folgte einem gemeinsamen Stil. Modern, behaglich, hell. Und gleichzeitig spiegelten sich Aufbau und Materialien des Fachwerkhauses in den Möbelstücken. Maja hätte ohne Probleme Architektin oder Innenarchitektin werden können, wenn sie jemals den Ehrgeiz für ein Studium besessen hätte. Wobei sie sich in ihrem Job als Hotelfachfrau vor allem in ihrer letzten Anstellung voll hatte austoben können. Die Berührung der Holzoberfläche mit ihrer Hand half Fee, nach und nach die Gedanken und Erinnerungen beiseitezuschieben.

Sie steckte ihre Bluetooth-Kopfhörer in die Ohren, bevor sie Pauls Nummer wählte. Nach dem dritten Tonsignal ging er ran. Im Hintergrund hörte sie leise einen Actionfilm laufen.

»Schläft sie?«

»Tief und fest. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Die Fahrt, das neue Haus … Sie brauchte Zeit, bis sie einschlafen konnte.«

»Danke Feline, dass du das alles auf dich nimmst.«

»Hey, sie ist meine Nichte. Ich liebe sie.«

»Du kennst sie kaum.«

Seine Zunge war schwer, die Sprache undeutlich. Er hatte wieder getrunken. Sie wusste, dass jeder Mensch anders mit Trauer umging, aber es missfiel ihr, dass er zum Alkohol griff. In den letzten drei Wochen hatte er sich zusammengerissen, nachdem sie ihn an einem Abend volltrunken ins Bett gebracht hatte.

»Bereust du es?«

»Mutter hat wieder den ganzen Tag über Gift und Galle gespuckt. Zum Glück hat Marion sie nachmittags zu einer Vernissage mitgenommen.«

Fee verdrehte die Augen und war froh, dass sie sich für einen normalen Anruf ohne Video entschieden hatte. Sie schwieg. Frau Köhler tobte, seit Paul ihr mitgeteilt hatte, dass er den Umzug durchziehen würde, nur mit einem Unterschied: Nicht er, sondern Fee würde mit seiner Tochter in das Haus ziehen, das Maja in den letzten vier Monaten in Rekordzeit renoviert hatte. Fee war es schleierhaft, woher Maja all die Handwerker genommen hatte, während jeder in der Stadt stöhnte, dass man keine bekam.

Seine Mutter war aus allen Wolken gefallen. Für sie war es nach Majas tödlichem Autounfall klar gewesen, dass sie die Erziehung ihrer Enkeltochter übernehmen würde. War Maja ihr bereits ein Dorn im Auge gewesen, so stellte Fee erst recht eine Persona non grata dar. Eine Frau, die durch die Weltgeschichte reiste, von einem Krisengebiet ins nächste, und in ihren Augen null Verantwortungsgefühl besaß. Woher sie sich dieses Urteil über sie gebildet hatte, ohne sie zu kennen, war Fee schleierhaft. Doch nach der Beerdigung war ihr klar, welches Ziel Frau Köhler verfolgte. Versuch Nummer zwei war es, Marion von Fürstenberg, ihre Wunschschwiegertochter, mit ihrem einzigen Sohn zu vermählen.

Nun, ihr konnte das alles egal sein. Seit Maja Paul geheiratet hatte, hatte sie sich so weit wie möglich von der Familie ferngehalten. Selbst bei der Hochzeitsfeier war sie nicht dabei gewesen, was auch daran lag, dass sie Majas Methode, sich Paul zu angeln, nämlich durch eine Schwangerschaft, ablehnte. In der Hinsicht schwamm sie mit Elfriede Köhler auf einer Welle, hätte das aber niemals laut ausgesprochen. Ihre Loyalität gehörte ihrer Schwester und niemandem sonst.

»Du bist der Vater. Du triffst die Entscheidung.«

Stille am anderen Ende, dann Schluchzen und ein Geräusch, das sie an ein waidwundes Tier erinnerte. Sie schluckte, rang selbst um Fassung. Es war etwas anderes als bei ihren Einsätzen, bei denen sie nicht selbst einen geliebten Menschen verloren hatte. Sie spürte die Verantwortung auf ihren Schultern. Oh, Maja, wieso hast du nicht noch eine Nacht bei mir geschlafen? Keine Frage, die man wirklich stellte, weil es darauf keine Antwort gab.

»Paul … Paul? Möchtest du, dass wir später telefonieren?«

Ein Schnäuzen und das Geräusch von Flüssigkeit, die in ein Glas geschüttet wurde, Schlucken und ein tiefes Durchatmen.

»Nein. Ich habe Maja versprochen, dass ich mich mit deiner Hilfe um Viola kümmere. Dass sie nicht ohne Eltern aufwächst. Aber ich wusste nicht, dass es so schwer sein würde. Ich brauche Zeit.«

»Ich weiß.«

»Mutter sagt, ich würde mich der Verantwortung entziehen, weil ich mich freiwillig für den Job in Singapur gemeldet habe.«

»Ein Tapetenwechsel kann bei der Aufarbeitung helfen. Der Verlust bleibt, genauso wie der Schmerz.«

»Mir fehlt einfach die Kraft. Ich habe sie geliebt. Der Gedanke, dass ich …«

Erneut brach er ab. Weinte. Sie wartete geduldig, bis er sich wieder fasste.

»Mutter denkt, ich hätte das Haus verkaufen sollen, aber wie hätte ich das tun können? Es ist das Letzte, was von ihr übrig geblieben ist. Sie hat sich so auf unser eigenes Heim gefreut. Sie hasste es, in der Villa meiner Eltern zu leben, und ehrlich gesagt, konnte ich sie verstehen. Mutter hat es ihr nie leicht gemacht und sie ständig mit Marion verglichen. Das war unfair von ihr. Maja hat immer von einem alten Haus auf dem Land geträumt. Dass unsere Kinder ein einem Dorf groß werden. Wie hätte ich den letzten Traum meiner Frau verkaufen sollen?«

»Ich bin dir dankbar dafür. Dieses Haus ist wie ein Nest, das Maja für euch geschaffen hat. Es wird Viola helfen, den Verlust ihrer Mama zu verarbeiten.«

»Ich denke, du bist viel wichtiger für sie als das Haus. Ihr seid euch überhaupt nicht ähnlich, aber irgendwie doch.«

»Wann fliegst du?«

»Morgen. Die Koffer sind gepackt. Unser Chauffeur bringt mich zum Flughafen.«

»Das sind sieben Stunden, die du uns dann voraus bist. Welche Uhrzeit passt dir samstags am besten?«

»Vielleicht sollten wir diesen Samstag überspringen. Bis ich da bin, der Jetlag, und wer weiß, ob ich nicht mit meinen neuen Kollegen essen gehe.«

»Vier Uhr nachmittags? Deine Zeit? Das wäre bei uns neun Uhr morgens. Bis dahin sind wir aufgestanden, waren mit Ronja raus und sitzen beim Frühstück.«

Er schnaubte. »Du bist genau wie meine Mutter.«

»Das war der Deal. Du bist ihr Vater.«

»Ein beschissener Vater bin ich.«

»Es ist in Ordnung, dass du Zeit brauchst. Dass du erst selbst wieder im Leben Fuß fassen möchtest. Kinder verkraften mehr, als wir denken.«

»Du warst zwölf, keine fünf.«

»Das ändert nichts daran, dass sie dich in ihrem Leben braucht«, fuhr sie unbeirrt fort. »Sie liebt dich.«

Sie kannte selbst die Wut auf die Welt und all die anderen Menschen. Es war das Gefühl von Hilflosigkeit, die es auslöste. Ja, es stimmte, es gab Situationen, auf die niemand Einfluss hatte, doch das gehörte zum Leben dazu. Jede Form der Kontrolle, der Sicherheit, des Bewahrens von Zuständen widersprach dem natürlichen Fluss des Lebens, der Veränderung. Je eher man das akzeptierte, desto eher war man auch bereit, einzusehen, dass einem nur eine Entscheidung blieb, nämlich die, wie man damit umging.

»Ist das Geld angekommen?«

»Ja.«

»Ich möchte, dass es ihr an nichts fehlt.«

Sie schwieg und verkniff es sich zu sagen, dass sich ein Vater nicht durch Geld ersetzen ließ.

»Ich weiß, was du denkst. Danke, dass du es nicht sagst.«

Gegen ihren Willen lächelte sie. Sie dachte an ihre erste Begegnung im Krankenhaus, als sie noch beide hofften, Maja würde die Unfallfolgen überstehen. Sein Herz saß auf dem rechten Fleck. Er würde über Majas Tod hinwegkommen. Vielleicht spielte auch ein Stück weit verletzter Stolz eine Rolle dabei, dass er so litt. Er hatte sich gegen seine Eltern durchgesetzt und die schwangere Maja geheiratet. Doch war es wirklich allein aus Liebe geschehen, oder steckte ein Stück weit Rebellion gegen seine Eltern dahinter?

»Wie ließ sich das Auto fahren?«

»Ungewohnt. Am Anfang habe ich ständig die Reichweite im Auge behalten. Doch mit der Zeit gewöhnt man dich daran. Es ist total leise. Man hat das Gefühl, in einer Raumkapsel zu fahren.«

»Hast du es angesteckt?«

»Nein. Morgen scheint die Sonne, dann wollte ich es laden. Ist ja sinnvoller, ein E-Auto auch mit erneuerbarer Energie zu tanken.«

»Ich möchte, dass du dir über Geld keine Gedanken machst. Lade das Auto, egal ob es Nacht ist, regnet oder schneit.«

»Die eingebaute Hundebox ist super. Möchtest du dir das mit dem Hund für Viola nicht noch mal durch den Kopf gehen lassen?«

»Du hast einen Hund.«

»Ja, aber das ist nicht dasselbe. Ronja ist mein Hund. Das wäre ein Hund, den Viola ganz für sich hätte.«

»Nein. Ich kann nicht noch die Verantwortung für einen Hund übernehmen.«

»Das würdest du nicht. Ich würde mich um das Tier kümmern.«

»Nein. Sonst noch was? Es ist spät, und mein Flieger geht morgen früh.«

Immerhin hatte sie es versucht.

Fee öffnete die Tür vom Hauswirtschaftsraum in den Garten, sodass Ronja sich erleichtern konnte. Viola schlief noch tief und fest. Ein gutes Zeichen, wie sie fand. Sie selbst hingegen hatte nur ein paar Stunden Schlaf bekommen.

Ein bösartiges Kläffen, das Fauchen einer Katze, ein weiteres, helleres Kläffen. Sie rannte in den Garten, lief über den schmalen Weg in den großen Bereich des Gartens. An der einen Seite gab es eine Steinmauer, während die rechte Seite von einer dichten Thujahecke mit einem Metallzaun abgegrenzt wurde. Ronja stand mit gefletschten Zähnen vor dem Zaun, das Rückenfell wie eine Irokesenfrisur an der Wirbelsäule hochgestellt, das Fell am Kragen um den Hals herum aufgestellt wie eine Löwenmähne. Auf der anderen Seite kläffte ein weißer Hund, dessen gelocktes Fell an einen Pudel erinnerte.

»Das ist aber kein Welpe.« Eine Frau tauchte an einer schmalen Lücke in der Hecke auf. »Und Sie sind nicht Maja.«

»Ronja, Schluss jetzt! Hier, bei Fuß!«

Zögernd, knurrend und immer wieder auf den Nachbarshund blickend kam die Hündin an ihre linke Seite und setzte sich hin.

»Supi gemacht. Klasse Hund.« Fee streichelte Ronja über den Kopf und war froh, in ihrer Jogginghose noch ein Leckerli zu finden, wenn auch ein vertrocknetes.

»Beeindruckend. Ronja Räubertochter, ein passender Name. Wenn sie nicht die Zähne fletscht, sieht sie niedlich aus.«

»Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass in der direkten Nachbarschaft nicht nur eine Katze, sondern auch ein Hund wohnt. Ein Goldendoodle?«

»Genau. Lotta. Sie ist drei und total lieb. Die Katze ist auch unsere. Bartimäus, ein kastrierter Kater. Ziemlich eigenwillig. Wir haben ihn von meiner Freundin, die sie in der Scheune oben auf dem Land gefunden hat. Da steckt Wildkatze drin.«

»War ein wenig unheimlich, wie er uns heute Nacht von der Mauer aus beobachtet hat. Wäre es in Ordnung, wenn wir die beiden miteinander bekanntmachen?«

»Bartimäus? Keine Chance, der macht nur, was er will.«

Fee grinste. Die Frau von der der anderen Seite hatte Humor. Das war viel wert, wenn man so dicht nebeneinander wohnte. Außerdem schien sie wegen des Kläffens nicht verärgert zu sein.

»Ich meinte eher die Hunde.«

»Wird Lotta das überleben?«

Noch immer wirkte Ronja, obwohl ihr Kopf sich gerade mal auf Kniehöhe befand, durch das aufgestellte Fell größer.

»Auch wenn sie nicht so aussieht – grundsätzlich ist sie sehr verspielt, und ihre Lotta macht einen entspannten Eindruck. Abgesehen davon wäre es auf Dauer blöd, wenn die beiden nicht lernen, sich gegenseitig zu akzeptieren.«

»Auf Dauer? Sie sind doch die Schwester von Maja, oder nicht? Fee?«

»Eigentlich Feline, aber ja, ich bin die Schwester, und Sie sind …?«

»Karin. Tut mir leid, Ihre Schwester hat immer nur von Fee erzählt, und Julia, meine kleine Tochter – sie ist fünf, so wie Viola –, ist völlig begeistert von der Idee, dass die neue Nachbarin eine Fee als Schwester hat. Ich musste ihr erst mal erklären, dass es ein Spitzname ist, keine Berufsbezeichnung. Bleiben Sie länger zu Besuch?«

Ihr Blick wanderte von Fee zu dem Haus hinter ihr. Neugierde lag im Gesichtsausdruck der Nachbarin. In der Stadt hätte sich kein Mensch Gedanken darüber gemacht, dass Schwestern für längere Zeit in einem Haus zusammen wohnen. Fee startete mit dem rechten Fuß, um zum Zaun zu gehen. Dabei ließ Ronja sie nicht für eine Sekunde aus den Augen, blieb aber wie ausgebildet weiter sitzen. Sie ging in die Hocke, um Lotta durch den Doppelstabmattenzaun an ihren Händen schnüffeln zu lassen. Der Goldendoodle ließ seinen Schwanz fröhlich rotieren, leckte an ihren Händen.

»Du bist aber eine Feine«, lobte Fee die Nachbarshündin mit fröhlicher Stimme, was diese in Ekstase versetzte. Sie ging zu Ronja zurück und hielt ihr ihre Hände hin. »Siehst du, es ist alles in Ordnung. Ich finde, das ist eine prima Spielkameradin.«

Ihre Hündin schnüffelte, war nicht ganz so begeistert, aber als sie dann zusammen zum Zaun gingen, kläffte sie nicht, sondern beschnüffelte die Hündin auf der anderen Seite.

»Sie kennen sich mit Hunden aus.«

»Ich lerne mit jedem neuen Hund dazu.«

»Wann zieht Ihre Schwester denn mit ihrer Familie in das Haus ein?«

Die Frau war direkt. Sie überlegte, ob es klug war, ihre Neugierde zu befriedigen. Andererseits würde es sich langfristig wohl nicht verheimlichen lassen, dass sie und ihre Nichte in diesem Haus wohnten. Maja war schon immer der Typ gewesen, der schnell Kontakte knüpfte. Ansonsten hätte es wohl auch nicht so rasch mit der Renovierung geklappt.

»Meine Schwester hat den Autounfall vor vier Monaten nicht überlebt.«

»Oh, mein Gott!« Karin schlug sich die Hand vor den Mund. »Das tut mir leid. Sie war eine so nette Frau, offen und fröhlich. Ihr Lachen war unglaublich ansteckend. Außerdem konnte sie Geschichten erzählen. Ich kann es nicht fassen. Ich habe sie an dem Tag noch zum Zug gebracht. Ihr Auto war kaputt, und sie wollte …« Sie hielt inne. »… zu ihrer Schwester … zu Ihnen, um sich Ihr Auto zu leihen.«

Fee schwieg. Sie füllte die Stille nicht mit weiteren Einzelheiten oder Trost. Immerhin war sie diejenige, die einen geliebten Menschen verloren hatte, nicht die neue Nachbarin, die Maja allenfalls oberflächlich kennengelernt hatte.

»Ich gehe mal besser ins Haus zurück. Marlene, meine Mittlere, ist heute nicht in der Schule. Vermutlich ein Darminfekt. Auf gute Nachbarschaft. Komm, Lotta, Leckerchen.«

Mit zur Seite geneigtem Kopf blickte Ronja dem Goldendoodle nach. Fee ging neben ihr in die Hocke und kraulte ihre superweichen Ohren.

»Na, meine Süße, das wird ein echt anderes Leben für uns zwei.

---ENDE DER LESEPROBE---


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