Ein fast perfekter Herzog - Kristina Herzog - E-Book
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Ein fast perfekter Herzog E-Book

Kristina Herzog

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Beschreibung

Ein verarmter Pferdehof in Brandenburg, eine große Liebe unter keinem guten Stern und eine starke junge Frau, die mit Etikette und Anstandsregeln zu kämpfen hat. Der romantische erste Band der Regency – Liebesroman-Reihe über die Familie Cossin. Preußen, 1815: Friederike von Cossin hat ein Problem: Der Hof ihrer Familie steht bei Herzog Leopold von Ritteysen tief in den roten Zahlen. Doch wenn sie es schafft, den wohlhabenden und gutaussehenden Herzog von seiner Furcht vor Pferden zu befreien, werden die Schulden erlassen. Gelingt es nicht, verliert die Familie Hof und Gestüt. Ärgerlich ist nur, dass sich die zwei nicht ausstehen können und beide Wunden aus der Vergangenheit mit sich tragen, die ihre Herzen verschlossen haben. Zwischen Stall, Kutschen und gesellschaftlichen Regeln erblüht langsam eine Zuneigung, die machtvoll genug ist, ihr Schicksal für immer zu verändern. Doch werden sie es schaffen, die Kluft in ihrem Innern zu überwinden? Eine berührende und bezaubernde historische Liebesgeschichte mit großen Gefühlen. Der Roman wurde für die Short List des Tolino Newcomer Award 2024 ausgewählt.

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EIN FAST PERFEKTER HERZOG

DIE COSSIN SAGA

BUCH EINS

KRISTINA HERZOG

INHALT

Ein fast perfekter Herzog

Die Cossin Saga

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Nachwort

Über die Autorin

Kristina Herzog

Ein fast perfekter Herzog

Das Buch

Friederike von Cossin hat ein Problem: Der Hof ihrer Familie steht bei Herzog Leopold von Ritteysen tief in den roten Zahlen. Doch wenn sie es schafft, den wohlhabenden und gutaussehenden Herzog von seiner Furcht vor Pferden zu befreien, werden die Schulden erlassen. Gelingt es nicht, verliert die Familie Hof und Gestüt. Ärgerlich ist nur, dass sich die zwei nicht ausstehen können und beide Wunden aus der Vergangenheit mit sich tragen, die ihre Herzen verschlossen haben. Zwischen Stall, Kutschen und gesellschaftlichen Regeln erblüht langsam eine Zuneigung, die machtvoll genug ist, ihr Schicksal für immer zu verändern. Doch werden sie es schaffen, die Kluft in ihrem Innern zu überwinden?

Die Autorin

Kristina Herzog studierte Jura und Mediation in Berlin und Heidelberg. Neben Kurzgeschichten in Anthologien und Zeitschriften hat sie Kriminalromane und einen Politthriller veröffentlicht. Schon immer galt ihr besonderes Interesse jedoch der Geschichte und den persönlichen Schicksalen der Menschen aus historischer Perspektive. Nach drei Bänden der Sternberg-Saga ist »Ein fast perfekter Herzog« Kristina Herzogs vierter historischer Roman und der Auftakt zu der romantischen »Cossin-Saga«.

Kristina Herzog

EIN FAST

PERFEKTER

HERZOG

Die Cossin-Saga

ROMAN

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024

By Kristina Herzog, Berlin

All rights reserved

Alle Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieses Buchs darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, veröffentlicht, bearbeitet oder übersetzt werden. Ausnahme sind kurze Zitate in Buchbesprechungen.

Dieses Buch ist fiktional. Insbesondere Namen, Charaktere und Handlungen entspringen ausschließlich der Fantasie der Autorin. Alle Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.

Umschlaggestaltung und -motiv: GM Book Covers Design

Lektorat: Verlorene-Werke, Daniela Höhne

Korrektorat: Veronika Moosbuchner

ISBN 978-3-910798-02-1 (eBook)

ISBN 978-3-910798-03-8 (Print)

www.kristinaherzog.de

Anmeldung zu Kristinas Newsletter:

www.kristinaherzog.de/newsletter

Für alle, die davon träumen, mit Elizabeth Bennet

und

Mr. Darcy auf einem Ball zu tanzen

und

mit den Bridgertons bei Kerzenschein zu dinieren.

KAPITELEINS

Friederike von Cossin konnte den langbeinigen Rappen erst im letzten Moment zügeln. Kurz darauf hätte er mit voller Wucht den wackeligen Holzzaun durchbrochen, der den kleinen Reitplatz vom übrigen Hof abtrennte. Schaum tropfte aus seinem Maul und sie spürte, wie sich sein Bauch bewegte, so schwer atmete er. Er würde viel Training brauchen, bis sie ihn so weit hätte, dass er ihren Befehlen folgte, ohne dass sie jedes Mal so mit ihm kämpfen musste. Aber zumindest waren sie heute einen großen Schritt weitergekommen. Vor einigen Tagen wäre gar nicht daran zu denken gewesen, dass das große, wunderschöne Tier jemanden auf seinen Rücken gelassen hätte, ohne sofort zu buckeln und alles daran zu setzen, seinen Reiter abzuwerfen. Der arme Hengst galt als schwierig und kaum jemand hatte sich getraut, sich ihm bis auf wenige Fuß zu nähern. Jedoch war Friederikes Ehrgeiz geweckt, das Vertrauen des Tieres zu gewinnen und es zu zähmen. Zu viel Potenzial steckte in ihm und es würde einen guten Preis bringen, wenn bald die Jagd auf Schloss Ritteysen begann. In den letzten Jahren hatten sie zu diesem Anlass immer gute Geschäfte gemacht und auch ohne genaue Einblicke in die Finanzen des Hofes zu haben, war ihr deutlich bewusst, dass es um Gut Cossin nicht gut stand und sie jede Finanzspritze gebrauchen konnten.

Erschöpft lächelnd klopfte sie den Hals des verschwitzten Tieres und ließ sich langsam und so leicht wie möglich seitlich von seinem Rücken gleiten. Die Nüstern waren aufgerissen und man sah ihm an, dass es den Rappen viel Mühe kostete, sich im Zaum zu halten. Nichtsdestotrotz war es ein Durchbruch und sie war sich sicher, dass sie ihn bis zur Jagd in einigen Wochen weit genug hatte, um einen guten Preis zu erzielen. Das wiederum würde ihr ermöglichen, einen geeigneten Zuchthengst zu erwerben, von dem sie schon so lange träumte.

Benno, ihr Stallbursche, stand bereit, um ihr das Pferd abzunehmen und trocken zu reiben. Er hatte gemeinsam mit Vater dabei zugesehen, wie sie darum gekämpft hatte, das Tier zur Räson zu bringen. »Beeindruckend, gnädiges Fräulein! Wirklich stark gemacht!«, murmelte er.

»Danke, Benno.« Sie sah zufrieden hinterher, als er das Pferd wegführte, dann wandte sie sich ihrem Vater, dem Freiherrn von Cossin, zu.

Er nickte mit einem Lächeln in den faltigen Augenwinkeln. »Hervorragend, Rike. Es ist eine Freude, mitanzusehen, wie du es inzwischen schaffst, jedes noch so schwierige Pferd in den Griff zu bekommen.« Über sein Gesicht glitt plötzlich ein Schatten und das Lächeln war wie weggeblasen.

»Warum schaust du so ernst? Ist irgendetwas passiert?«

Vater winkte ab, drehte sich um und ging mit schleppenden Schritten Benno und dem Hengst hinterher. Das sah ihm gar nicht ähnlich und Friederike war beunruhigt.

Doch so einfach ließ sie sich nicht abschütteln. Nicht umsonst hatte sie als ältestes Kind der Familie den Ruf, ein wenig halsstarrig zu sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Mit wenigen Sätzen war sie an seiner Seite und hielt ihn am Arm fest. »Was ist los? Ist jemand erkrankt?«

Endlich blieb Vater stehen, sah sie jedoch nicht an.

»Lass nur, Kind, es ist nichts, was dich beunruhigen muss. Ich regle das schon irgendwie.«

»Du weißt, dass ich genauso an dem Gut interessiert bin wie du auch. Vor allem seit …« Sie sprach nicht weiter. Vater wusste ohnehin, was sie meinte, schließlich hatte die ganze Familie vor einigen Wochen ihren Zusammenbruch erlebt, als die Verlobungsanzeige von Rupert, ihrem ehemals engsten Vertrauten und Fast-Versprochenen, ins Haus getrudelt war.

Vater zögerte kurz, dann gab er sich einen Ruck. »Aber du behältst es für dich, verstanden? Ich möchte nicht, dass Mutter oder sonst jemand davon erfährt. Es ist zu … schmählich.«

Friederike riss die Augen auf. Nun machte sie sich richtige Sorgen. Diese ganzen vagen Andeutungen und Seufzer, die Vater ausstieß …

»Geht es um Geld?«, fragte sie, während sich ein beklommenes Gefühl wie ein kalter Stein auf ihren Brustkorb legte. Geldmangel war für Gut Cossin ein Problem, seit sie denken konnte.

»Nun, man könnte wohl sagen, dass dies der Anfang des Übels ist. Allerdings ist das nicht alles.« Er seufzte leise. »Hier.« Er zog einen leicht zerknitterten Umschlag aus seiner Westentasche, starrte für einen Augenblick darauf, als könne er nicht begreifen, was darin stand, und reichte ihn ihr zögernd.

Ungeduldig griff Friederike danach und faltete ihn hastig auseinander, bevor sie eilig das Geschriebene überflog. Sämtliche Härchen stellten sich an ihren Armen auf. Das … das konnte nicht wahr sein! Oder etwa doch?

Mit voller Wucht trat Friederike mit ihrem abgeschabten Reitstiefel gegen ein Büschel Unkraut, sodass die darunterliegenden weißgrauen Kieselsteine aufstoben. Sie war so wütend, dass sie sich nicht darum scherte, dass sie sich gerade äußerst unschicklich verhielt. Ihr Ärger brauchte ein Ventil. Sie hatte ihren Vater nach der Lektüre des Briefes einfach stehen lassen. Niemals hätte sie gedacht, dass seine Spielerei so weit gehen würde, dass er damit eines Tages den Hof in Gefahr brachte. Sie waren drauf und dran, alles zu verlieren, wenn wahr wurde, was sie eben gelesen hatte.

Die schwarzen Tintenschwünge auf dem cremefarbenen Papier hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Warum nur hatte Vater so etwas nicht kommen sehen? Er war so ein Träumer, wenn es um das Geschäftliche ging.

Sie hatte die Wiese hinter den Stallungen erreicht. Bunte Wildblumen blühten üppig und in der Mitte stand ein alter, ausladender Baum, auf den sie als Kind mit ihren Geschwistern geklettert war, wenn Mutter nicht hingesehen hatte. Jetzt war es hier wunderbar still und sie konnte in Ruhe nachdenken. Das war auf Gut Cossin gar nicht so einfach. Sie hatte sechs Geschwister, vier Schwestern und zwei Brüder, und stets wurde irgendwo geschnattert, gelacht oder diskutiert.

Schwer seufzend setzte sie sich auf die Bank und vergrub ihr Gesicht in den zitternden Händen. Sie war sich nicht sicher, ob sie Vater bemitleiden oder ihm böse sein sollte. Er hatte sicher nicht mit Absicht all das Geld verspielt, sondern nur ein wenig Spaß mit seinen Freunden haben wollen. Dass er so ein unglückliches Händchen fürs Spielen hatte, konnte man ihm schwerlich zur Last legen. Aber dass er keine Hilfe gesucht hatte, war ohne Zweifel sein Fehler. Er hätte die Glokows um Unterstützung bitten können. Oder Tante Tilly fragen, ob sie ihm das Geld vorschießen könne, um die Schulden zu tilgen. Aber das hatte er nicht und jetzt war nicht mehr ausreichend Zeit, denn seine Spielkumpane hatten sich breitschlagen lassen und ihre Ansprüche gegen Vater gemeinsam an einen anderen Gläubiger übertragen. Der forderte nun entweder die unverzügliche Zahlung der Schulden oder dass sie Haus und Hof verließen, damit dort eine Schule für die Kinder der Dorfbewohner eingerichtet werden konnte. Eine Schule!

Friederike trat voller Ingrimm gegen einen der herumliegenden kleineren Steine und Grashalme stoben in alle Richtungen davon. Der Gedanke, dass hier draußen endlich eine richtige Schule errichtet würde, war natürlich zu begrüßen und längst überfällig. Aber doch nicht auf ihrem Grund und Boden! Zu allem Überfluss hatte sie Vater in ihrer Neugier, endlich zu erfahren, was in dem Brief stand, versprochen, mit niemandem darüber zu reden.

Wie sollte sie das hinbekommen? Mutter, Charlotte, Luise und all die anderen waren genauso von dieser Neuigkeit betroffen wie sie selbst. Was sollten sie mit den Pferden machen, wenn sie den Hof verlassen mussten? Sie könnten die Pferde verkaufen. Aber was dann? Die Tiere waren ihre einzige Einnahmequelle.

Würde es so weit kommen, wäre nicht mehr ausreichend Geld vorhanden, um ihren jüngeren Geschwistern weiterhin den Privatlehrer zu ermöglichen oder die gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erfüllen, die man als adelige Familie nun einmal besaß. Was würde nur mit ihnen geschehen? An eine standesgemäße Verheiratung war in diesem Fall gar nicht mehr zu denken. Es war schon schwierig genug, den Richtigen zu finden, der das Herz schneller schlagen ließ und bei dem man sich fallenlassen konnte, ohne verletzt zu werden. Einen, bei dem man sich sicher und geborgen fühlen konnte, bei dem man auch mal schwach sein durfte und der einen so nahm, wie man war. Eigentlich hatte sie gedacht, diesen Einen gefunden zu haben, aber das hatte sich als Irrtum herausgestellt. Sie seufzte.

Friederike starrte auf ihre von Staub überzogenen Stiefel. Das Unkraut rankte unbeeindruckt von ihrem Wutausbruch weiter zwischen den Kieseln hervor. Nicht einmal das Grünzeug machte das, was sie wollte. Niemand schien sich Gedanken darum zu machen, geschweige denn, sie zu fragen, wie sie sich ihr Leben vorstellte. Natürlich könnte sie irgendeinem wohlhabenden Bewerber die Hand reichen und sich mit ihm verloben, damit der Hof gerettet werden konnte. Waldemar zum Beispiel wäre höchst zufrieden, wenn sie sich dazu durchringen könnte – aber was dann? Sie würde nicht mehr mit den Pferden arbeiten und auch nicht ihre Träume von einer lukrativen Zucht von Rassepferden weiterentwickeln können. Außerdem liebte sie ihn gar nicht.

Eine Träne lief heiß ihre Wange hinunter. Der Gedanke, all das hier zu verlieren, schmerzte schlimmer als Ruperts Verrat. Oder der Moment vor inzwischen fast sechs Jahren, in dem sie realisiert hatte, dass der deutlich jüngere Bruder ihres Vaters, ihr Lieblingsonkel Alfred, nicht mehr wiederkehren würde. Friederikes Bindung zu ihm war sehr eng gewesen. Er hatte ihre Liebe zu Pferden geweckt und war ihre ganze Kindheit an ihrer Seite gewesen. Sie hatte mit ihm toben können, ausreiten und lachen. Mit einem Schlag war all das dahin gewesen, als er beschlossen hatte, ein halb verfallenes Gut im Königreich Bayern zu übernehmen. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Beide Erlebnisse hatten tiefe Wunden in Friederikes Seele hinterlassen. Aber der Verlust des Hofes würde ihre gesamte Welt auf einen Schlag vernichten.

Ihre Lippen zitterten und sie drückte den Handrücken darauf. Sie wollte nicht schwach sein, sondern ernst genommen werden - als Mensch und vielleicht sogar als Leiterin des Gestüts. Sie würde es so viel besser machen als ihr traumtänzerischer Vater, der ständig Regenbögen hinterherjagte und kein Händchen fürs Geschäft besaß.

Friederike erhob sich langsam und ging zurück zum Stall. Hoffentlich war Vater nicht dort, denn sie würde es nicht über sich bringen, ihm jetzt in die Augen zu sehen. Viel zu tief saß die Verzweiflung über die drohende Gefahr. Es musste irgendeine Lösung geben! Sie hatte nur leider keine Ahnung, welche.

Im Inneren stieg ihr der Geruch nach frischem Heu in die Nase. Sie ließ sich langsam mit dem Rücken an der weiß gekalkten Stallwand auf das Stroh hinuntergleiten und schlug die Hände vors Gesicht. Wieder kullerte eine Träne über ihre Wange. Wenn sie statt Vater die Entscheidungen hier treffen könnte, würde sie das Gestüt retten. Sie würde nicht den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass sich alles schon irgendwie fügte, sondern aktiv nach Lösungen suchen. Nur war sie leider nicht in dieser Position. Vater hatte das Sagen und irgendwann würde Rochus, ihr dreizehnjähriger Bruder alles übernehmen. Ihr aber waren die Hände gebunden und niemand würde sie ernst nehmen, wenn sie versuchte, zu verhandeln. Das Einzige, was ihr blieb, war, reich zu heiraten, um die Familie zu entlasten und auf finanzielle Unterstützung des Hofes durch ihren Zukünftigen zu hoffen. Doch das kam nicht infrage, denn sie hatte sich geschworen, dass sie nach Ruperts Verrat niemals mehr einen Mann in ihr Herz lassen würde. Rupert, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, der ihr charmant den Hof gemacht und sich sogar mit ihr verlobt hatte. Bis er aus heiterem Himmel eine andere um ihre Hand gebeten hatte – und ihr Herz in tausend Stücke zersprungen war. Nein, es musste einen anderen Weg geben, als in eine Ehe zu flüchten, um Vaters Fehlentscheidungen aus der Welt zu schaffen.

Einige Minuten später hatte Friederike sich so weit gefasst, dass sie wieder an die Arbeit gehen konnte. Mit gesenktem Kopf erhob sie sich und griff nach der Mistgabel. Es gab nichts, was sie im Moment tun konnte, um das Unglück abzuwenden, also war es das Beste, ihren Ärger fürs Erste hinunterzuschlucken und weiterzuarbeiten. Weiter hinten in der Ecke war Benno gerade damit beschäftigt, ebenfalls auszumisten. Mit seinen siebzehn Jahren wirkte er recht schmächtig, konnte aber anpacken wie nur wenige.

Er blickte auf, strich sich eine braune Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn und sah forschend zu ihr hinüber. Friederike spürte seine Blicke, sah aber nicht auf. Er schien zu bemerken, dass sie etwas beunruhigte, doch natürlich wagte er es nicht, sie deswegen anzusprechen.

Sie war froh, dass sich gerade niemand anderes in den Stall verirrt hatte. Wenn es nach Mutter gegangen wäre, hätte auch Friederike nicht hier sein dürfen, aber das war ihr egal. Natürlich wusste sie, dass es sich für ein junges Fräulein nicht schickte, den Großteil seiner Zeit im Stall zu verbringen. Allerdings hätte es mehr gebraucht als Mutters eisernen Willen, um Friederike von den Pferden fernzuhalten. Bei den Brüdern war es dagegen gern gesehen, wenn sie Vater und August, dem Stallmeister, zur Hand gingen, wozu sie allerdings selten Lust hatten. Rochus bekam seit einigen Monaten, kaum hatte er den Stall betreten, unerklärliche Niesanfälle und vermied daher die Arbeit mit den Pferden. Fabian, ihr jüngster Bruder, strich am liebsten draußen in der Natur umher und schätzte es gar nicht, wenn er dazu angehalten wurde, ins Studierzimmer zu kommen oder im Stall zur Hand zu gehen. Allerdings liebte er es, wenn er die familieneigene Kutsche lenken durfte. Seit sie dem zweiten Stallburschen aus Kostengründen hatten kündigen müssen, war jede Hand vonnöten, um die Arbeit zu bewältigen. Inzwischen sagte auch Mutter nichts mehr, wenn Friederike und Emmeline im Stall mithalfen, aber sie unterließ es, die anderen Schwestern dazu zu ermutigen. Wahrscheinlich war sie froh, wenigstens ein paar saubere Töchter zu haben. Mutter verabscheute Pferde. Sie liebte es, den Salon mit blühenden Pflanzen zu schmücken und schöne Bälle zu besuchen, doch alles, was mit der Außenarbeit einherging, strapazierte ihre Nerven. Hätte sie sich früher eingemischt, wäre ihr vielleicht aufgefallen, wie schlecht es um die Finanzen des Gutes stand, aber diese Idee hätte sich nie in ihr sorgsam frisiertes Köpfchen verirrt.

Friederike legte die Stirn an den warmen gerundeten Leib ihrer Lieblingsstute Marianne und seufzte leise. Das Pferd wandte den Kopf und blies ihr sanft ins Haar. Friederike schloss die Augen und atmete tief ein. Alles würde irgendwie gut werden. Wurde es das nicht immer auf irgendeine Art? Sie würden wahrscheinlich nie reich sein, aber auf irgendeine wundersame Weise würde es ihnen gelingen, das Gut zu retten. Sie mussten es einfach schaffen! Allein schon für die Tiere. Das leise Prusten der Pferde, die Wärme, die sich von Marianne auf sie übertrug und der vertraute Duft des Stalles verfehlten ihre Wirkung nicht. Langsam wurde Friederike ruhiger. Vielleicht war das Ganze ja gar nicht so schlimm wie sie fürchtete. Sagte Mutter nicht ständig, dass es für alles eine Lösung gab, wenn man nur entschlossen genug danach suchte? Die Frage war nur, welche.

KAPITELZWEI

Leopold von Ritteysen verabscheute die düstere Atmosphäre, die das familieneigene Schloss mitten in der Mark Brandenburg ausströmte. Noch mehr Abneigung verspürte er dagegen, überhaupt an diesem Ort sein zu müssen. Wenn er im Salon stand und Besucher empfing, fühlte es sich regelmäßig so an, als würde ihm vor lauter Dunkelheit und Schwere, die ihn dort umgaben, die Luft wegbleiben.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er Schloss Ritteysen viel länger den Rücken gekehrt. Seit dem furchtbaren Nachmittag im letzten Jahr waren sie nicht hier gewesen. Sie waren damals Hals über Kopf abgereist, sobald alles Notwendige geregelt worden war. Er hatte sich geschworen, nie mehr zurückzukommen.

Doch das Schicksal wollte es anders. Oder vielmehr: Mutter. Im Gegensatz zu ihm hing sie an diesem alten Gebäude und hatte diesen düsteren Ort als geeignete Zuflucht vorgeschlagen. Zögernd hatte er zugestimmt, nachdem er Hoffnung in ihrem Blick aufglimmen sah. Sie hatte die Gunst der Stunde genutzt und auch darum gebeten, die zu Lebzeiten seines Vaters alljährlich stattfindende Jagd wieder aufleben zu lassen. In jenem schwachen Moment hatte er dummerweise zugestimmt.

Er blickte zu ihr hinüber und sie nickte ihm mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht zu, während sie sich mit Helene von Kanker, die gestern zusammen mit ihrem Bruder angereist war, und seiner jüngeren Schwester Klara unterhielt.

Leopold stand mit Friedrich von Kanker in der Nähe der Fenster und bemühte sich, den Ausschweifungen seines Freundes zu folgen. Der Baron redete über das Wetter, die anstehende Jagd, die ihn deutlich stärker begeisterte als Leopold, neue Kutschen und andere überflüssige Dinge. Leopold konnte von Glück sagen, dass er sich im letzten Jahr mehr und mehr daran gewöhnt hatte, langweiligen Monologen zu lauschen, denn das war ein wichtiger Teil seiner Rolle als neuer Hausvorstand und Herzog.

»… es sollte etwas sein, das die Teilnehmer von den Stühlen reißt. Etwas ganz Neues, nie Dagewesenes«, führte Kanker gerade mit ausufernden Gesten aus. Leopold hatte den Faden verloren und war mit den Gedanken abgeschweift. Daher wusste er nicht, worüber Kanker gerade redete, doch ein zustimmendes Nicken hier und da schadete nie.

»Was hältst du also von der Idee?«, fragte Kanker und strahlte ihn erwartungsvoll an.

»Äh …« Leopold spürte, wie sein Gesicht warm wurde. Wenn er nur wüsste, welche Idee Kanker meinte. Er hatte darüber nachgedacht, dass er Mutter und Klara mit einer ganz besonderen Geste überraschen wollte, bevor sie nach Beendigung der Jagd zurück nach Berlin reisen würden.

Sein Sekretär Riedel, den er von Vater nach dessen Tod übernommen hatte und der deutlich mehr Ahnung von den Aufgaben eines Herzogs besaß, hatte ihn vorhin auf die Idee gebracht. Er verließ sich hundertprozentig auf Riedel und vertraute ihm voll und ganz. Vor allem war er ihm dankbar dafür, dass er ihm den ganzen Kleinkram abnahm, den das Tagesgeschäft mit sich brachte. Ein nicht unerhebliches Vermögen und Einfluss bei Hofe brachten viele Anfragen und Bitten von Außenstehenden mit sich, die alle geprüft werden mussten, was Riedel übernahm. Er legte ihm nur die wichtigen Dinge vor und hielt den Rest von ihm fern. Für Leopold, der sich als Zweitgeborener vorher nie mit diesen Dingen hatte beschäftigen müssen, war das eine große Hilfe. Er fühlte sich überfordert von all den Erwartungen, die auf ihn einprasselten. Seit er die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, hatte er ständig das Gefühl, sich verstellen zu müssen, nicht er selbst sein zu können. Leopold musste härter sein, entschlossener und durchgreifender, um die Rolle des Herzogs richtig auszufüllen. Er sehnte sich danach, sich nicht mehr so unvollkommen und fehl am Platz zu fühlen.

Vor einigen Tagen hatte Riedel ihm bei ihrer täglichen Besprechung die dringende Bitte des hiesigen Dorfvorstehers Fuchs zugetragen. Für die deutlich gewachsene Anzahl an Schülern im Dorf musste endlich ein richtiges Schulhaus errichtet oder zumindest ein bestehendes Gebäude umgewidmet werden. Und obwohl ihm im Grunde recht egal sein konnte, wo die Bauernkinder unterrichtet wurden, hatte er sich entschlossen, dieses Vorhaben voranzutreiben. Denn ihm war die hervorragende Idee gekommen, die Schule nach seinem verstorbenen Bruder Ludwig zu benennen.

Er wusste, dass sowohl Mutter als auch Klara davon entzückt wären. Inzwischen hatte Riedel auch ein Gebäude gefunden, das sich dafür eignen würde. Es gab nur einen Haken: Es war bewohnt. Aber auch das wäre nur eine Frage der Zeit, hatte er ihm versichert.

Kanker nun hatte ganz sicher nicht darüber gesprochen. Wahrscheinlich war es stattdessen wieder um sein Lieblingsthema gegangen: die anstehende Jagd.

»Äh, könntest du das ein wenig detaillierter ausführen?«, fragte Leopold zögerlich. Er wollte sich seinen Fauxpas nicht anmerken lassen.

Kanker riss die blassblauen Augen auf und fuhr sich durch die roten Haare. »Was gibt es denn da noch zu sagen? Ein Kutschenrennen ist ein Kutschenrennen.«

Sofort spürte Leopold einen kalten Klumpen an der Stelle, an der sein Magen war. Wie immer seit jenem verhängnisvollen Tag, wenn es um Pferde oder - schlimmer - um Kutschen ging.

»Bei der Jagd?« Er bemerkte zu seinem Erstaunen, dass seine Stimme plötzlich heiser klang.

»Ja, natürlich. Darüber reden wir doch die ganze Zeit.« Kanker hüpfte fast, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

»Genau«, bestätigte Leopold hastig.

»Also?« Kanker strahlte ihn erwartungsvoll an.

»Ich werde darüber nachdenken.«

Kankers Strahlen verblasste abrupt. »Man sollte meinen, dass es da nicht viel zu überlegen gibt«, murrte er. »Aber lass dir nicht zu viel Zeit damit. All diese Dinge müssen organisiert werden. Das geht nicht von heute auf morgen.«

Leopold nickte. »Selbstverständlich!« Er hatte sich insgeheim bereits entschieden, Kankers Vorschlag abzuschmettern. Je weniger Kutschen und Pferde bei der Jagd anzutreffen waren und je schneller sie hier aus Grünwaldenow wieder wegkamen, umso besser.

Nur waren es bis zur Jagd noch einige Wochen und solange musste er ohnehin hierbleiben und die Hoffnung hegen, dass über diese unglückliche Sache vor ein paar Tagen in Berlin erst einmal etwas Gras wuchs.

Es hatte sich um eine Verkettung ungünstiger Umstände gehandelt, die, wie sollte es auch anders sein, natürlich mit Pferden und Kutschen zu tun gehabt hatte. Seit diesem Erlebnis bekam er bei dem Gedanken an die bevorstehende Jagd kein Auge mehr zu. Auch jetzt spürte er eine lähmende Müdigkeit, die von ihm Besitz ergriffen hatte, was aber auch damit zusammenhängen konnte, dass er das Gefühl hatte, in diesem dunklen Ambiente langsam, aber sicher zu ersticken.

Er fuhr sich mit dem Finger unter den hohen Kragen und sagte knapp: »Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen wollen?«, während er eine Verbeugung in Richtung der Damen andeutete.

Als er die Tür zum Flur öffnete, eilte sogleich Pietsch, sein Kammerdiener herbei, doch Leopold winkte nur ungeduldig mit der Hand ab und lief mit schnellen Schritten an ihm vorbei zum Treppenhaus. Er brauchte frische Luft. Das würde ihm hoffentlich helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Die Jagd rückte unaufhörlich näher und mit ihr auch seine offizielle Verlobung mit Helene, die nur wenige Tage danach stattfinden sollte und ihm zunehmend schwerer auf dem Magen lag. Helene war eine wunderschöne, elegante Frau, das konnte niemand abstreiten. Aber bedauerlicherweise war sie auch kalt wie ein Fisch und er fühlte sich nicht zu ihr hingezogen. Trotzdem hatte er zögernd zugestimmt, sich anstelle seines verstorbenen Bruders nach Ablauf der Trauerzeit mit ihr zu verloben. Die Verbindung würde dem Haus Ritteysen neben einer anständigen Vermögensmehrung zu Glanz und Ruhm verhelfen. Außerdem war es nur recht und billig, wenn er für seinen Bruder einsprang und die Frau ehelichte, der dieser kurz vor seinem Ableben die Hand versprochen hatte.

Ihr Verhalten ließ darauf schließen, dass auch sie kein Interesse an ihm hatte. Wahrscheinlich liebte sie überhaupt niemanden außer sich selbst, das aber mit großer Hingabe. Trotzdem schienen sowohl sie wie auch ihr Bruder außergewöhnlich erpicht auf die Verbindung zu sein. Wie auch immer. Sie waren einander inoffiziell versprochen, daher saß Helene von Kanker kühl wie eine Eiskönigin oben im Salon direkt neben Klara und hatte ihm hin und wieder stirnrunzelnde Blicke zugeworfen. Er hatte dann sofort den Rücken gestrafft und war so aufrecht wie irgend möglich gestanden, während er es vermieden hatte, eine Miene zu verziehen, bis sie die Augen wieder abwandte. Bei dem Gedanken, mit ihr in wenigen Wochen Bett und Leben teilen zu müssen, fühlte sich sein Körper an, als würde er langsam vereisen.

Das war nun einmal der Preis dafür, dass er es nicht geschafft hatte, Vater und Ludwig zu retten, obwohl er alles dafür gegeben hätte. Aus dem Grund fühlte es sich auch mehr als verdient an, dass er sein Leben mit einer Frau teilen musste, die er nicht liebte und deren Nähe ihn insgeheim sogar ängstigte. Intimität und eine enge Bindung würde es zwischen ihnen wohl nie geben, sodass ihr zumindest dahingehend keine Gefahr drohte.

Viel schlimmer, als Helenes ständigen Unwillen über ihn zu spüren, war die Erinnerung an das peinliche Erlebnis, vor dessen Auswirkungen er geflüchtet war. Dummerweise war es am Markttag vor den Augen von tout Berlin geschehen, sodass er sich so gut wie sicher war, dass sich die Nachricht über sein eigentümliches Verhalten wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet hatte.

Er erreichte endlich die ausladende Flügeltür, die an diesem warmen Tag weit offen stand, und trat hinaus in die Sommersonne. Es war fast ein wenig zu warm, wenn man nicht im Schatten stand. Doch alles war ihm lieber, als in diesem dunklen Salon zu sitzen, oberflächlichen Gesprächen über Nichtigkeiten zu lauschen und sich über Vergangenes und Bevorstehendes zu grämen. Mitten im Hof stand der Landauer, mit dem sie hergekommen waren. Mehrere Bedienstete waren gerade dabei, ihn zu putzen.

Dadurch konnte er nicht vermeiden, dass seine Gedanken zu diesem Moment zurückgingen, als er vor aller Augen die Kutsche hatte besteigen wollen, um zurück zu seinem Stadthaus zu fahren. Eines der Pferde hatte begonnen, aus heiterem Himmel nervös herumzutänzeln und ohne jegliche Vorwarnung war in seinem Inneren ein Inferno losgegangen. Bilder, die er längst vergessen glaubte, traten vor sein inneres Auge und ließen seine Nerven verrücktspielen. In seiner Vorstellung hörte er die Schreie wieder, das Rattern der Räder, sah das Blut und die entsetzlich blassen Gesichter und sofort war da ein unüberwindlicher Widerwille, in diese Kutsche zu steigen. Trotzdem glich seine überzogene Reaktion eher der eines kleinen Mädchens als der eines erwachsenen Mannes in seiner Position. Eines Mannes, der gerade das gewaltige Erbe seines verstorbenen Vaters hatte antreten müssen.

Die angelegten Ohren des Pferdes, die angstgeweiteten Augen, die aufgeregten Bewegungen; all das genügte, ihn zu diesem fürchterlichen Moment vor einigen Monaten zurückzubringen, den er nie aus seinem Gedächtnis würde löschen können und der sein Leben für immer verändert hatte.

Kalte Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Seine Hände begannen zu zittern und er spürte, dass er nicht in der Lage sein würde, diese Kutsche zu betreten. Auch wenn sein Kutscher diensteifrig die Treppe heruntergelassen hatte und mit gezogenem Hut und geneigtem Oberkörper danebenstand, um ihm dabei behilflich zu sein. Die Angst rollte über ihn wie eine prall gefüllte Gewitterwolke. Sie drohte, ihn zu verschlingen. Keineswegs hatte er sich vor dem versammelten Berliner Adel übergeben wollen und so hatte er sich mit wehenden Rockschößen umgedreht und war geflohen. Weg von diesen furchtbaren, nervösen Tieren, die mit einem Mal so unendlich bedrohend wirkten. Weg von den neugierigen Blicken und fort von den verwirrten Rufen seines Kutschers. Er stürmte, ohne auf den Weg zu achten, davon, taumelte in Pfützen undefinierbaren Ursprungs, rempelte Passanten an, als hätte er zu tief ins Glas geschaut. Er hatte sich schändlich und zutiefst beschämend benommen und konnte später nicht sagen, wie er es geschafft hatte, zu seinem Stadthaus zurückzufinden, wo er Mutter und Schwester umgehend mitgeteilt hatte, dass sie raus aus Berlin fahren müssten. Als sie ihn überrascht angeschaut und gefragt hatten, wohin es denn ginge, hatte er nichts zu sagen gewusst. Dann jedoch war Mutters Vorschlag gekommen, auf Schloss Ritteysen nach dem Rechten zu sehen und er hatte wider besseres Wissen zugestimmt. Dankenswerterweise hatten sie nicht weiter ge- fragt, sondern Mutter hatte sofort Befehl erteilt, zu packen und die Abfahrt vorzubereiten.

Mit all seinem Mut, zitternden Knien und unter den skeptischen Blicken des Kutschers, der von seinem Fauxpas auf dem Marktplatz wusste, hatte er die Kutsche besteigen und sich nach Brandenburg kutschieren lassen müssen. Die ganze Fahrt über hatte er das quälende Gefühl des Ausgeliefertseins und der mit jeder Minute ansteigenden Panik bekämpft. Als sie endlich angekommen waren, hatte er ein Übermaß an Energie benötigt, um nicht wie ein schreiender Irrer vor Erleichterung die Tür aufzureißen und sich aus dem Gefährt zu stürzen.

Jetzt stand er hier und hatte das Gefühl zu fiebern, während die Damen oben miteinander plauschten und Kanker mit einem Kutschenrennen liebäugelte.

Er war gezwungen, zumindest ein paar Wochen hierzubleiben, bis Gras über sein unwürdiges Verhalten gewachsen war und er als verlobter Mann nach Berlin zurückkehren würde. Er war sich sicher, dass sich die Hautevolee der Hauptstadt derzeit den Mund über ihn zerriss und das wollte er nicht miterleben. Sie würden bleiben, bis er alles überstanden hatte und diese unmöglichen Panikanfälle, die ihn beim Anblick eines Pferdes regelmäßig überkamen, der Vergangenheit angehörten. Wie ihm das gelingen sollte, war ihm ein Rätsel, doch es war glasklar, dass er es beenden musste. Es ging nicht an, dass seine Furcht den Namen des Hauses Ritteysen und den seiner unverheirateten Schwester Klara beschmutzten, denn das könnte er sich niemals verzeihen.

KAPITELDREI

»Igitt, Friederike, du kannst nicht in diesem Aufzug zu Tisch kommen.« Mutter sah missbilligend auf ihr Kleid, das bei der Stallarbeit ein paar Flecken abgekommen hatte, und auf ihre abgetragenen Schuhe, an deren Spitze ein winziges Loch prangte.

»Ach, Mutter, bitte, das ist doch egal, schließlich sind wir unter uns«, bat Friederike.

Mutter schüttelte erbarmungslos den Kopf. »Auf gar keinen Fall! Es kann immer jemand unangekündigt vorbeikommen. Was ist denn, wenn Waldemar plötzlich hereinschneit? Geh dich angemessen kleiden, Friederike. Sofort!« Ihre dunklen Augen blitzten entschlossen.

»Vater?«, wandte sich Friederike hilfesuchend an ihn. Zwar hatte sie sich geschworen, erst wieder mit ihm zu sprechen, wenn es eine Lösung gab, um das Unglück von dem Hof abzuwenden, aber manchmal musste man eben in den sauren Apfel beißen.

Bevor er dazu kam, etwas zu erwidern, sagte Mutter: »Er ist derselben Meinung wie ich. Jetzt beeile dich, damit wir endlich zu Mittag essen können.« Sie deutete gebieterisch in Richtung Flur. Ohne Widerworte fügte sich Friederike. Ihr war heute nicht nach weiteren Kämpfen. Die Erkenntnis, wie hoch die Schulden waren, die Vater mit seiner Spielerei angehäuft hatte, und welche Konsequenzen das für jeden einzelnen von ihnen bedeuten konnte, lag wie ein schwerer Stein in ihrem Magen. Es war offensichtlich, dass Mutter nicht scherzte. Friederikes Blick streifte beim Hinausgehen Charlottes. Sie war mit ihren siebzehn Jahren ihre nächstältere Schwester und man konnte ihr deutlich ansehen, dass auch sie nicht viel Wert auf ihr Äußeres legte. Ihr Kleid war zwar schlicht und entsprach somit den knappen Ressourcen der Familie, war aber im Gegensatz zu ihrem sauber und gebügelt. Charlotte lächelte ihr aufmunternd zu.

Friederike seufzte, als sie die Treppe emporhuschte, um sich so schnell es ging umzukleiden. Martha, das Hausmädchen, hatte ihr, wahrscheinlich im Auftrag von Mutter, ein Kleid aufs Bett gelegt und auch die passenden Schuhe standen davor. Sie hasste es, sich für die Mahlzeiten jedes Mal umkleiden zu müssen, nur um danach wieder in ihr Arbeitskleid zu schlüpfen.

Von den Jungen und Vater wurde all das nicht verlangt. Sie mussten sich nur die Sachen abklopfen und gründlich die Hände waschen, bevor sie sich an den Tisch setzen durften. Für sie dagegen galten andere Regeln. Und wozu? Sie wollte niemandem gefallen. Sie wollte den Hof retten. Und die Pferde.

Für einen weiteren Kredit von der Bank war der Hof bereits zu belastet. Es mussten notwendige Reparaturen angestoßen werden. Die Ballsaison stand vor der Tür und mit ihr die Notwendigkeit neuer Kleider für alle Schwestern im gesellschaftsfähigen Alter. Außerdem mussten die Angestellten bezahlt und ein neuer Hauslehrer eingestellt werden, nachdem ihr vorheriger gekündigt hatte, um in einen deutlich wohlhabenderen Haushalt zu wechseln.

Doch es war kein Geld da.

Der Hof und die Zucht wären geeignet, all das herzugeben, wenn man es richtig anging. Sie müssten nur die bisherigen Schulden loswerden und diesen Unsinn mit der Räumung des Hauses für eine Schule aus der Welt schaffen.

Wenn sie einfach mit dem neuen Gläubiger redeten? Ihm das Potenzial des Hofes und seine Möglichkeiten erklärten und einen Abzahlungsplan mit ihm zusammen entwarfen? Wenn sie ihm deutlich machten, dass sie nach der Jagd und ein paar guten Verkäufen in der Lage wären, den Großteil der Schulden abzubezahlen und den Rest im Laufe des Jahres abzustottern, würde er schon aus Gründen der Vernunft von seinen Plänen abrücken und ihnen Aufschub gewähren. Ja, das war die Lösung, nach der sie so lange gesucht hatte!

Friederike ließ das Kleid an ihrem Körper hinabgleiten und schloss nachlässig die Knöpfe, an die sie allein herankam. Es lohnte nicht, dafür Martha zu rufen. Viel wichtiger war, mit Vater über ihre Idee zu sprechen. Am besten ritten sie gleich morgen Früh los, um alles zu regeln. Ein Lächeln huschte über Friederikes Gesicht. Ja, so konnte es gehen. Ohne sich die Mühe zu machen, die Schuhe zu wechseln, rannte sie durch den Flur zurück in Richtung Esszimmer.

* * *

»Aber bis dahin sind wir sicher lange wieder in Berlin, oder nicht?« Aus den Augenwinkeln bemerkte Leopold, wie Klara ihm den Kopf zuwandte. Er zog die Zeitung ein Stückchen höher, damit sein Gesicht vollends davon bedeckt war, während er sich den Anschein gab, in die Lektüre der jüngsten Geschehnisse versunken zu sein. Stattdessen jedoch hing er seinen Gedanken nach.

Die Kankers hatten sich in ihre Räume zurückgezogen und er atmete auf, weil er endlich einmal nicht den abschätzigen Blicken Helenes ausgesetzt war. Er würde den Teufel tun und Klara eine Antwort auf ihre Frage geben. Woher sollte er wissen, wie lange es dauern würde, bis seine jüngsten Verfehlungen so weit vergessen waren, dass er der Berliner Gesellschaft guten Gewissens wieder unter die Augen würde treten können? Außerdem war da die Schule, die eingerichtet und eröffnet werden wollte, sobald die dort wohnende Familie ausgezogen war. Wahrscheinlich überbewertete er das Vorkommnis in Berlin ohnehin, doch so lange die Erlebnisse in seiner Erinnerung so präsent waren, würde er es nicht über sich bringen, die Stadtgrenze wieder zu übertreten. Er spürte Klaras fragenden Blick auf sich, aber er ignorierte sie und brachte es fertig, die Zeitung so geschickt umzublättern, dass sie seine Augen nicht freigab.

Sie und Mutter wussten nichts von seinem Problem mit der Kutsche und dabei sollte es auch bleiben. Zumindest, solange es ging. Er machte sich keine Illusionen. Früher oder später würden sie davon erfahren, allerdings hatte das noch Zeit, wenn es nach ihm ging. Eine Menge Zeit sogar.

»Ich fürchte, es ist ein großer Fehler von ihr, sich mit einem solchen Mann einzulassen. Denk nur, aus welchem Hause sie kommt. Wenn sie ihn heiratet, wird sie zwar seinen Namen tragen, aber natürlich wird das ein ungünstiges Licht auf ihre Familie werfen«, wandte sich Klara endlich wieder Mutter zu.

Er seufzte erleichtert auf und bemühte sich, die Druckerschwärze von seinen Daumen zu reiben, ohne das Papier aus der Hand zu legen. Das Personal schien die Zeitung nicht ordentlich zu bügeln, bevor sie für ihn bereitgelegt wurde. Das wäre zu Hause, in Berlin, nicht passiert. Dort war alles eingespielt und ordentlich. Aber so war das eben auf dem Land. Da scherte man sich nicht so sehr um dreckige Finger, wie man es bei Hofe tat. Normalerweise war er fast täglich dort, denn er gehörte zur Loge des Kronprinzen, obwohl der etwas jünger war als er. Diese Treffen mussten nun warten. Allerdings würde er ihn in einigen Wochen wiedersehen. Denn der Kronprinz war genauso wie der halbe Hof und nahezu Berlins gesamte feine Gesellschaft zur traditionellen Jagd nach Schloss Ritteysen geladen. Sie fand jedes Jahr zum Ende des Sommers statt und nach Ablauf der obligatorischen Trauerzeit für Vater und Ludwig hatte Mutter nichts davon abhalten können, sie dieses Jahr wieder abzuhalten. Es blieb noch ein winziger Hoffnungsschimmer.

Er ließ knisternd die Zeitung sinken und räusperte sich. »Wurden die Einladungen zur Jagd schon verschickt? Mir kam der Gedanke, dass es besser wäre, ein weiteres Jahr zu wart…«, begann er, wurde jedoch von Mutter abrupt unterbrochen.

»Selbstverständlich, schon direkt nach unserer Ankunft«, ließ sie ihn wissen und löste mit diesen Worten eine Hitzekaskade aus, die sich durch seinen Körper wälzte und ihn nach Luft schnappen ließ.

»Oh« war alles, was er herausbrachte, während er mit zitternden Händen die Zeitung wieder anhob.

»Du meinst, wegen dieser Sache am Gendarmenmarkt?«, fragte Klara mit heiterer Stimme.

Er schluckte und spürte, wie ihm alles Blut aus dem Kopf wich. »Ähm … wie bitte?«

»Du glaubst doch nicht, dass wir nichts davon wissen. So etwas spricht sich schnell herum«, ließ Mutter ihn mit mitleidigem Blick wissen.

»Glaubst du, du kannst wie ein nervöser Backfisch vor seinem Bräutigam vor deiner eigenen Kutsche davonrennen, ohne dass ganz Berlin unverzüglich davon erfährt?«, ergänzte Klara schadenfroh.

Er schloss voller Pein die Augen. Wie hatte er nur denken können, hier draußen im Brandenburgischen vor dem Berliner Klatsch sicher zu sein?

»Du musst darüber hinwegkommen, Leopold. Wie willst du ein anständiger Jagdherr sein, wenn du vor jedem Pferd zurückscheust?«, fragte Mutter sanft.

»Ich habe es versucht. Es … es ging nicht!« Er schrie es in seiner Verzweiflung fast heraus. Zum Glück hatten sie nicht viele Angestellte hier.

»Finde einen anderen Weg. Ich will nicht als schlechte Partie gelten, weil mein Bruder kurz vor der Klapse steht, verstehst du?« Klaras Stimme war kalt.

»Wenn es so einfach wäre, hätte ich bereits …«, begann er und hob die in seinen Schoß gesunkene Zeitung wieder empor.

Mutter unterbrach ihn barsch. »Er wird einen Weg finden, Klara, sei unbesorgt«, sagte sie entschieden und nickte zur Bekräftigung ihrer Worte.

Klara schien Mutters Überzeugung zu genügen, denn sie wandte sich ihrer Stickarbeit zu, doch Leopolds Gedanken wirbelten voller Unruhe durch seinen Kopf. Wie zum Kuckuck sollte er es schaffen, bis zur Jagd in nur zwei Wochen seine Angst zu überwinden? Im Moment war er nicht einmal in der Lage, einem Pferd so nahe zu kommen, dass überhaupt die Chance bestand, auf seinen Rücken zu gelangen.

* * *

Schlecht gelaunt saß Friederike am Esstisch und starrte Vater hinterher. Zu ihrem Ärger war sie nicht dazu gekommen, mit ihm über ihre Pläne zu sprechen. Kaum war sie nach ihrer Rückkehr an seine Seite geschlüpft und hatte begonnen, ihn flüsternd in ihre Überlegungen einzuweihen, hatte Mutter sie scharf unterbrochen: »Keine Geschäftsgespräche beim Diner!« Der französische Akzent, den sie nach all den Jahren in Preußen hatte und der ihren Worten Leichtigkeit und Liebreiz verlieh, hatte ihre älteste Tochter nicht darüber hinweggetäuscht, dass sie sich gerade auf dünnem Eis befand. Sie kannte Mutter und ihr leicht überkochendes Temperament, und die blitzenden Augen unterstrichen ihre Worte nur umso deutlicher.

Friederike hatte sich selbstverständlich gefügt. Was war ihr auch anderes übrig geblieben? Sie würde eben bis nach dem Essen warten. Doch er war direkt, nachdem sich alle vom Tisch erhoben hatten, mit Charlotte und Luise, die er untergehakt hatte, im Salon verschwunden, bevor Friederike dazu gekommen war, ihn zur Seite zu nehmen. Frustriert hatte sie ihm nachgesehen, denn jetzt würde sie noch weniger Gelegenheit zu einem unauffälligen Gespräch bekommen. Ihre Mamsell Frau Schulat begann zusammen mit ihrem letzten verbleibenden Mädchen Martha, den Tisch abzuräumen, während Friederike unschlüssig dasaß und überlegte, wie sie am besten dazu kommen konnte, mit Vater zu sprechen, ohne dass es der gesamten Familie auffiele.

Sie kam zu dem Schluss, dass das in der nächsten Stunde kaum gelingen konnte und sie auf einen Sprung in den Stall schlüpfen konnte, statt ihnen direkt in den Salon zu folgen. Ihre Lieblingsstute Marianne stand kurz vor der Niederkunft. Jeden Augenblick konnte es so weit sein und Friederike sah es als ihre Aufgabe an, ihr Wohlergehen sicherzustellen. Auch wenn Benno das ebenso gut konnte. Allerdings stammte Mariannes Fohlen aus einer vielversprechenden Verbindung. Friederike hatte dafür extra ihren Jugendfreund Waldemar von Glokow gebeten, mit seinem Pferd Nathan vorbeizukommen, um Marianne decken zu lassen. Nathan war ein nervöser, hochgewachsener Hengst, der eine außerordentliche Sprungkraft besaß und zusammen mit Mariannes Stärke und Ausdauer könnte dieses Fohlen ein außerordentlicher Grundstein ihrer Zucht werden, von der sie schon lange träumte. Sie wollte die Züchtungen, die ihr Vater vor vielen Jahren auf Gut Cossin begonnen hatte, auf eine neue Stufe heben, sodass ihnen die Pferde aus den Händen gerissen und jeder im Land vom Gestüt Cossin sprechen würde. Ja, das wäre wundervoll!

Marianne war ruhig und es gab keinerlei Anzeichen, dass die Geburt unmittelbar bevorstand. Friederike drückte sich ein bisschen um sie herum, schob ihr eine aus der Küche stibitzte Möhre zu und kraulte ihr den Hals. Als sie gerade nach der Mistgabel greifen wollte, fiel ihr ein, dass sie ja das gute Kleid trug und Mutter alles andere als erfreut wäre, wenn sie darin Stallarbeit erledigte. Also machte sie sich ein wenig unwillig auf den Weg in den Salon, um sich dem Rest ihrer Familie anzuschließen.

Sie musste nur darauf achten, jegliche Spuren ihres Stallbesuches ordentlich von Kleid und Schuhen zu tilgen. Vater würde es nicht stören, dass sie kurz nach Marianne gesehen hatte, aber Mutter würde wütend werden. Vater liebte Pferde, genau wie Friederike es tat.

Dankenswerterweise saß Mutter gerade am Cembalo und spielte mit voller Hingabe eine Sonate, sodass sie ihr Eintreten nicht bemerkte. Henriette und Emmeline, die am nächsten zur Tür saßen, drehten sich neugierig nach ihr um, doch Friederike legte schnell den Finger auf die Lippen. Die beiden verstanden und grinsten ihr nur zu. Bevor Mutter das Stück beendet hatte, saß Friederike auf dem Sessel nahe dem Kamin und tat so, als wäre sie nie woanders gewesen.

Es bestand keine Möglichkeit, mit Vater zu sprechen, denn er saß mit Rochus und Fabian am Kartentisch und brachte ihnen bei, Whist zu spielen. Die beiden waren mit ihren elf und dreizehn Jahren ganz verrückt nach diesem englischen Kartenspiel, das mittlerweile die ganze Familie spielte. Normalerweise hätte sich Friederike ebenfalls als Spielpartner angeboten, heute aber hatte sie andere Sorgen. Charlotte und Luise, ihre nächstältesten Schwestern, saßen in einer Ecke und lasen, während die Zwillinge Henriette und Emmeline in der anderen Zimmerecke saßen und miteinander kicherten.

Friederike seufzte leise, erhob sich und ließ sich direkt neben Charlotte auf das Sofa fallen. Ihre Schwester riss erschrocken den Kopf hoch.

»Was soll das? Siehst du nicht, dass ich lese?«, fuhr sie Friederike an.

Die warf einen belustigten Blick hinüber zu der ebenfalls grinsenden Luise und sagte: »Nicht, dass du das nicht rund um die Uhr tätest, Schwesterherz. Sogar als Mutter musiziert hat, habe ich das Buch auf deinem Schoß gesehen.«

Charlotte lief rot an. »Und wenn schon? Ich habe ja trotzdem zugehört. Du aber warst gar nicht erst anwesend«, gab Charlotte verärgert zurück.

»War ich sehr wohl … allerdings erst zum Schluss.« Friederike grinste.

»Warst du im Stall? Wie geht es Marianne?«, schaltete sich Luise ein.

»Noch tut sich nichts.«

»Nicht, dass dich das davon abhält, unablässig in den Stall zu rennen, nicht wahr?«, stichelte Charlotte weiter.

Friederike sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Besser, als ständig nur meine Nase in die Bücher zu stecken«, gab sie schnippisch zurück.

Charlotte schnaubte empört auf. Luise sah die beiden älteren Schwestern erschrocken an, doch jetzt gab es kein Halten mehr.

»Immerhin laufe ich nicht den ganzen Tag herum wie eine Vogelscheuche auf der Flucht«, erwiderte Charlotte mit finsterem Blick.

»Ich muss niemandem gefallen! Lass mich herumlaufen, wie ich will!«, entfuhr es Friederike lauter als gedacht.

»Ach ja? Und eine alte Jungfer werden, weil niemand an einer Vogelscheuche Interesse hat?«

»Als wenn die Verehrer bei dir Schlange stünden«, konterte Friederike.

»Vergiss nicht, dass Friederike allen Männern abgeschworen hat«, schaltete sich Luise ein, bevor Charlotte dazu kam, etwas zu erwidern.

Friederike senkte den Blick. Noch immer schmerzte es fürchterlich, wenn die Sprache auf Rupert und sie kam. Sie waren so lange befreundet gewesen, dass sie und beide Familien fest mit einem Antrag gerechnet hatten. Dann jedoch hatte er sich aus heiterem Himmel mit der kleinen Sophie von Waldenach verlobt und alle Hoffnungen waren auf einen Schlag dahin gewesen. Die Nachricht hatte Friederike wie ein kalter Regenschauer erwischt und sie zitterte beim Gedanken daran, obwohl die beiden inzwischen verheiratet waren. Und das nach einer nur knapp zweiwöchigen Verlobungszeit!

»Oh!« Luises Worte hatten Charlotte offenbar die Lust auf eine weitere Auseinandersetzung genommen. Sie sah verunsichert zu ihr hinüber. »Das hatte ich für einen Augenblick vergessen. Verzeihung.«

Friederike schüttelte unwirsch den Kopf. »Das tut nichts zur Sache. Ich will mich einfach nicht an jemanden binden. Vor allem nicht an jemanden, der mir nichts bedeutet.«

»Aber Waldemar magst du doch. Robert von Morian ist auch nicht der Hässlichste.« Luise errötete und schlug die Augen nieder.

»Männer haben keinen Platz mehr in meinem Leben. Basta!«, sagte Friederike entschlossen. Charlotte und Luise warfen einander einen Blick zu und zogen die Augenbrauen hoch. »Heiratet ihr doch einen von ihnen, dann braucht Vater keine Anleihen aufnehmen und ich kann bei meinen Pferden bleiben.«

Charlotte prustete laut heraus. »Als wenn einer von denen mich überhaupt nur in Erwägung zöge. Die beiden sind völlig vernarrt in dich. Und Luise …« Sie wurde von begeistertem Geschrei vom Kartentisch unterbrochen. Offenbar hatten ihre Brüder eine Glückssträhne. Auch Vater und Mutter lachten. Wie konnten sie so unbesorgt sein angesichts der drohenden Gefahr für Haus und Hof? Wer würde die Ausbildung der Geschwister finanzieren? Auch die Bediensteten mussten bezahlt werden. Wenn kein Geld da war, würden sie bald alle auf der Straße stehen und ihr geliebtes Zuhause würde zu einer Schule umfunktioniert werden. Ach, es war zum Haareraufen!

Sie würde Vater ihren Vorschlag unterbreiten, die von Ritteysens aufzusuchen und ihnen anzubieten, die Schulden abzustottern, wenn sie sie nur weiter hier wohnen ließen. Es musste einfach möglich sein. Sie würden nicht einer ganzen Familie Haus und Hof nehmen, oder doch?

KAPITELVIER

Als Friederike am nächsten Morgen nach einer nahezu schlaflosen Nacht in den Stall marschierte, stand ihr Entschluss fest: Sie würde heute alles tun, um das Gut zu retten! Gestern hatte sie Vater kurz vor dem Schlafengehen endlich in knappen Worten ihren Plan dargelegt. Obwohl er den Kopf erst skeptisch hin und her gewiegt hatte, hatte er zugestimmt, sie gleich am Morgen zu Schloss Ritteysen zu begleiten. Allerdings schien er keine große Hoffnung zu haben, dort etwas zu erreichen.

Heute beim Frühstück eröffnete Vater ihnen wie nebenbei, dass das Futter allmählich zur Neige ginge. Nach dem letzten Sommer, in dem die Heuernte aufgrund des vielen Regens nicht zufriedenstellend gewesen war, hatten sie nicht genug eingelagert, um alle Tiere bis zur nächsten Ernte durchzubringen. Natürlich konnten sie jetzt draußen grasen, aber auf lange Sicht würden sie etwas dazukaufen müssen.

Friederike traf die Erkenntnis wie ein Schlag, dass selbst dafür nicht ausreichend Geld vorhanden sein würde. Sofort sah sie düstere Visionen von unzähligen verschmierten Kindergesichtern, laufenden Nasen und Geschrei hier in ihrem Haus, während sich die Familie frierend in einem winzigen Häuschen irgendwo weit weg zusammendrängen musste. Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Vater allerdings wirkte völlig unbeeindruckt von diesen Aussichten. Er lief mit fröhlichem Gesicht umher, scherzte mit den Geschwistern und tat, als wäre alles in Ordnung.

Dabei war nichts gut. Gar nichts. Friederike war der Appetit zumindest fürs Erste gründlich vergangen.

Als sie eine Viertelstunde später in den Stall kam, sah sie zuerst nach Marianne. Die Stute schien über Nacht dicker geworden zu sein, aber das Fohlen machte keinerlei Anstalten, sich auf die Welt zu begeben. Friederike gab ihr eine Extraportion Heu. Bei ihr würde sie keinesfalls sparen. Sie würde nachher rüber zu Waldemar reiten und ihn darum bitten, ihnen etwas von seinen überzähligen Heuvorräten abzugeben. Sie kannte ihn und wusste, dass er nicht zögern und sogleich eine Fuhre zu ihnen herüberschicken würde. Allein schon, weil er alles tat, um sie glücklich zu sehen. Er war ein Bär von einem Mann und sie waren befreundet, seit sie gemeinsam über Stock und Stein gestürmt waren und Fangen und Verstecken gespielt hatten.

Etwas später hatte er sich dummerweise in sie verliebt und obwohl er wusste, dass ihr Herz zu dem Zeitpunkt Rupert gehörte, tat er alles, um ihr ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Wenn sie ihn nur ebenso sehen könnte, dann wäre alles viel einfacher. Doch in Friederikes Kopf war Waldemar der Junge, mit dem sie gespielt hatte. Sie konnte ihn einfach nicht als möglichen Heiratskandidaten sehen. Vielleicht wenn alle Stricke rissen … Aber nein, das war keine Option.

Jetzt würde sie erst einmal den Stier bei den Hörnern packen und zu Schloss Ritteysen hinüberreiten. Der verstorbene Herzog hatte zur Freundesgruppe ihres Vaters gehört und gern mit ihm und den anderen gespielt und gefeiert. Allerdings hatte er ein deutlich glücklicheres Händchen als Vater gehabt, sodass er mit der Zeit ihr größter Gläubiger geworden war. Vater hatte ihm Schuldscheine auf das Gut ausgestellt, wohl wissend, dass der Herzog sie nicht einfordern würde. Nun war der Herzog tot und Vaters Schulden auf seinen Sohn übergegangen. Friederike war ihm nie begegnet, doch er schien nicht so freundlich zu sein wie sein feierfreudiger Vater. Einige Monate war alles ruhig geblieben, plötzlich aber waren die ersten Briefe gekommen, in denen der junge Herzog ihnen eine Frist zur Zahlung der Schulden gesetzt hatte. Der Sekretär des Herzogs hatte ihre anderen Gläubiger dazu überredet, ihre Ansprüche gegen Vater auf ihn zu übertragen, sodass ein mehr als stattlicher Betrag aufgelaufen war.

Es war gar nicht daran zu denken, dass sie alles auf einmal würden zurückzahlen können, vielmehr würde es wahrscheinlich eine ganze Weile dauern, bis an eine vollkommene Ablösung zu denken wäre.

Inzwischen hatte sie Wilhelm, einen gutmütigen, nicht mehr ganz jungen Braunen, gestriegelt und mit schnellen Bewegungen die Mähne gebürstet, nachdem sie ihm etwas Extraheu in die Raufe gelegt hatte. Es war kein kurzer Ritt und sie wollte, dass er ausreichend Energie für Hin- und Rückweg hatte.

Seit dem Tod des alten Herzogs hatte sich die Familie, die sonst die Sommermonate auf Gut Ritteysen verbracht hatte und nur für den Winter und die Saison zurück in die Stadt gefahren war, in der Gegend nicht mehr blicken lassen. Jetzt aber war die Familie zurück in Grünwaldenow. Man hatte die herzogliche Kutsche bei der Fahrt durch das Dorf gesehen und somit würden sie heute hoffentlich alles unmittelbar mit dem Herzog regeln können.

Sie fürchtete allerdings, dass Vaters so scheinbar unbesorgte Haltung einen falschen Eindruck erwecken könnte, aber daran war nichts zu ändern, denn sie konnte natürlich nicht allein dort auftauchen. Niemand würde mit einer Frau derartige Dinge verhandeln.

Entschlossen sattelte sie den alten Wilhelm, während er zufrieden sein Heu kaute. Sie würde den jungen Herzog um einen Schuldenerlass bitten oder zumindest um eine Stundung der Schulden. Sie war sich sicher, dass er ihnen einen Aufschub gewähren würde, denn er würde kein Interesse daran haben, dass das Gestüt die Türen schließen musste. Zumindest hoffte sie dies. Und wenn es aufgrund der alten Freundschaft ihrer Väter wäre.

Friederike schluckte trocken. Vor Aufregung musste sie fast würgen. Natürlich schickte es sich nicht, ohne Einladung in das Schloss eines Herzogs zu spazieren und ihn um einen Gefallen solchen Ausmaßes zu bitten. Aber er würde ihnen schon nicht den Kopf abreißen. So schlimm würde er nicht sein, wo doch der alte Herzog ein so zugänglicher Mensch gewesen war.

»Bist du so weit?«, rief sie Vater zu, der sich damit abmühte, seinen Wallach Maxi von der Heuraufe wegzuziehen, von der dieser sich partout nicht trennen wollte.

Er strich sich eine widerspenstige Strähne aus der verschwitzten Stirn und lächelte ihr verkniffen zu.

»Gehen wir es an!«, rief er scheinbar übermütig. Wenn man ihn so gut kannte, wie Friederike es tat, war ein Zaudern nicht zu überhören. Kein Wunder, wenn man bedachte, was alles von dem positiven Ausgang ihrer Unternehmung abhing.

* * *

Leopold saß zurückgelehnt in dem gut gepolsterten Stuhl hinter dem Schreibtisch seines Vaters und tat so, als würde er seinem Sekretär zuhören, während seine Gedanken abschweiften. Samuel Riedel, der vor allem hier in Brandenburg seit Jahren die rechte Hand seines Vaters gewesen war, berichtete von den Dingen, die er in den letzten Monaten veranlasst hatte, um die Geschäfte der Familie fortzuführen. Im Grunde interessierte Leopold all das nicht. Er vertraute Riedel vollkommen. Sein Verhalten war makellos. Es hatte nie Grund zu Beanstandungen gegeben. Ihn umgab eine Aura der Korrektheit, die leicht ins Langweilige abglitt. Gerade berichtete er von dem baldigen Ablauf der Frist für die Familie mit dem verschuldeten Gestüt, in dem sie geplant hatten, die so dringend benötigte Schule einzurichten. Wenn er die Augen schloss, konnte sich Leopold Mutters glückliches Gesicht vorstellen, wenn bei der Eröffnung der Name der Bildungseinrichtung enthüllt und sie realisieren würde, dass sie nach ihrem ältesten Sohn benannt war.

Herr Riedel redete weiter, doch Leopold war in Gedanken schon bei der Einrichtung der Schule. Er würde die benötigten Pulte und Stühle spenden und wenn es nötig war, auch einige Lehrbücher besorgen lassen. Es würde eine fulminante Einweihung werden und Mutter und Klara würden zu Tränen gerührt sein. Leopold nickte abwesend zu Riedels Worten und spielte mit der Löschwiege.

»Die finanzielle Situation der Ritteysens ist im Übrigen äußerst zufriedenstellend«, sagte Riedel jetzt.

Leopold horchte auf. »Sind inzwischen sämtliche offenen Positionen aus Vaters Zeit abgearbeitet?«, fragte er und legte die Löschwiege zur Seite.

Riedel nickte eifrig. »Nahezu. Der einzig offene Punkt sind wie gesagt die Forderungen gegenüber dem Gestüt der Familie von Cossin. Der Schulausschuss ist außerdem zu dem Schluss gekommen, dass sich dieses Anwesen hervorragend als Sitz der neuen Dorfschule eignen würde. Wenn wir die Familie also dazu bringen könnten, zum nächsten Monat auszuziehen, wäre der Weg für die erforderlichen Umbauten offen. Ich habe schon alles in die Wege geleitet und die Familie aufgefordert, zum nächsten Ersten das Anwesen zu räumen, sollte die vollständige Zahlung bis dahin nicht eingegangen sein.«

»Hm. Sehr schön!« Wieder nickte Leopold, aber Herr Riedel war noch nicht fertig. Weitschweifig erzählte er von den erforderlichen Umbauten, den zu erwartenden Kosten und der möglichen Dauer, doch all das war Leopold zu detailliert. Als größter Gutsherr von Grünwaldenow hatte er versprochen, den Dorfbewohnern bei der Einrichtung einer Schule zu helfen – wo sie letztendlich stand, war für ihn unerheblich.

Am liebsten hätte Leopold seine Taschenuhr herausgezogen und einen Blick darauf geworfen. Es war an der Zeit, dass das Ganze hier zum Ende kam. Eine Sache musste er dringend mit Riedel besprechen.

Er hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, was er tun könnte, um diese fürchterliche Jagd abzuwenden, was nicht so einfach war, da Mutter schon die Einladungen versandt hatte. Es gab nur noch eine Möglichkeit.

Er räusperte sich, starrte erneut die Löschwiege an und sagte: »Sehr ordentliche Arbeit, Riedel, nur weiter so. Es gibt da eine Sache, um die ich Sie bitten muss: Wäre es möglich, einen Grund vorzuschützen, um die Jagd abzusagen? Ich fühle mich dieses Jahr nicht bereit dazu und möchte Mutter nicht brüskieren.«

Riedel runzelte die Stirn und sah ihn über seine auf die Nasenspitze gerutschte Brille überrascht an. »Wie meinen, Eure Durchlaucht?«

»Die Jagd. Gibt es eine Möglichkeit, sie abzusagen? Irgendein Grund, der Ihnen einfällt?

Riedel neigte den Kopf und schob die Lippen vor, als wollte er ein zu heißes Getränk kühl pusten. »Aber es ist das größte Ereignis des ganzen Jahres hier draußen. Die Dorfbewohner freuen sich seit Monaten darauf. Vor allem, da die letzte …«

»Das ist mir alles bekannt. Es ist nur … Ach, schon gut. Vergessen Sie es. War das alles?« Leopold streckte sich schwerfällig. Er hatte das Gefühl, als wäre eine ganze Kutschladung voll Holz auf ihn niedergeprasselt. Die Jagd würde also stattfinden. Es gab keine Möglichkeit, sie zum jetzigen Zeitpunkt noch zu verhindern. Mittendrin er selbst, der Herzog von Ritteysen, der wie ein verzärteltes Kleinkind aufheulte, sobald sich ihm ein Pferd auf mehr als zehn Fuß näherte. Es würde ein denkwürdiges Fest werden, soviel war sicher!

* * *

Friederike bemühte sich, Vater nicht davonzureiten. Es war erstaunlich, wie weit er inzwischen zurück hing, obwohl er ein ausgesprochen guter Reiter und Pferdekenner war. Wahrscheinlich lag es daran, dass er das vor ihnen liegende Gespräch so weit wie möglich hinauszögern wollte. Auch ihr war nicht wohl bei der Sache, doch manche Dinge waren eben unvermeidlich.

---ENDE DER LESEPROBE---