Ein Fundament aus Liebe - Mary Kay Andrews - E-Book

Ein Fundament aus Liebe E-Book

Mary Kay Andrews

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Beschreibung

Neue Liebe zwischen alten Mauern Hattie Kavanaugh hätte es besser wissen müssen: Als professionelle Bauunternehmerin hätte sie die Finger von dem Haus in Savannah lassen sollen, in das sie gerade ihre gesamten Ersparnisse gesteckt hat. Als unüberwindbare bauliche Probleme auftauchen, muss sie zugeben, dass sie dringend Geld braucht. Mo Lopez kann ihr genau das bieten, denn er ist TV-Produzent und auf der Suche nach einer neuen Show. Als er die junge Frau vor der Bruchbude sieht, hat er die Idee: Eine Show, in der alte Häuser liebevoll restauriert werden sollen. Nach anfänglichen Reibereien finden Mo und Hattie immer mehr zueinander, doch dann entdecken sie das Portemonnaie einer vor Jahren verschwundenen Lehrerin in einem Riss in der Wand. Während sie einem Verbrechen auf die Spur kommen, müssen Hattie und Mo sich fragen, auf welchem Fundament ihre gegenseitigen Gefühle wirklich gebaut sind.

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Seitenzahl: 632

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mary Kay Andrews

Ein Fundament aus Liebe

Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer

 

Über dieses Buch

 

 

Hattie Kavanaugh hätte es besser wissen müssen: Als professionelle Bauunternehmerin hätte sie die Finger von dem Haus in Savannah lassen sollen, in das sie gerade ihre gesamten Ersparnisse gesteckt hat. Als unüberwindbare bauliche Probleme auftauchen, muss sie zugeben, dass sie dringend Geld braucht. Mo Lopez kann ihr genau das bieten, denn er ist TV-Produzent und auf der Suche nach einer neuen Show. Als er die junge Frau vor der Bruchbude sieht, hat er die Idee: Eine Show, in der alte Häuser liebevoll restauriert werden sollen. Nach anfänglichen Reibereien finden Mo und Hattie immer mehr zueinander, doch dann entdecken sie das Portemonnaie einer vor Jahren verschwundenen Lehrerin in einem Riss in der Wand. Während sie einem Verbrechen auf die Spur kommen, müssen Hattie und Mo sich fragen, auf welchem Fundament ihre gegenseitigen Gefühle wirklich gebaut sind.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Mary Kay Andrews wuchs in Florida, USA, auf und lebt mit ihrer Familie in Atlanta. Im Sommer zieht es sie zu ihrem liebevoll restaurierten Ferienhaus auf Tybee Island, einer wunderschönen Insel vor der Küste Georgias. Seit ihrem Bestseller ›Die Sommerfrauen‹ gilt sie als Garantin für die perfekte Urlaubslektüre.

 

Andrea Fischer hat Literaturübersetzen studiert und überträgt seit über fünfundzwanzig Jahren Bücher aus dem britischen und amerikanischen Englisch ins Deutsche, unter anderem die von Lori Nelson Spielman, Michael Chabon und Mary Kay Andrews. Sie lebt und arbeitet im Sauerland.

Inhalt

[Widmung]

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

Danksagung

In Erinnerung an Katie, meine Kriegerprinzessin,

mit einem Herz voller Liebe

Prolog

Eine dunkle, stürmische Nacht

Der Wind heulte und pfiff, die Wellen zerschellten wütend am Uferdamm, hoch aufgetürmte Wolken verdeckten den blassgelben Halbmond fast vollständig. Sie spürte, wie der Regen rasiermesserscharf gegen ihre nackten Beine peitschte.

Vorsichtig tastete sie sich an der Betonmauer entlang. Es war eine dunkle, stürmische Nacht. Eigentlich der blanke Hohn – noch vor kurzem hatte sie den Schülerinnen in ihrem Englischkurs erzählt, dass dieser Satz ein Klischee darstellte. Und trotzdem lief sie hier herum, in mehr als einer Hinsicht ein wandelndes Klischee.

Nur noch ein Mal. Das hatte sie sich vor fast einer Stunde geschworen, als sie unbemerkt aus dem Haus geschlüpft war.

Vor einigen Tagen war sie beichten gewesen – das erste Mal seit vielen Jahren – und hatte dem Pfarrer versprochen, der Geschichte ein Ende zu setzen.

»Sie begehen Ehebruch, das ist Ihnen doch klar«, hatte er streng gesagt. »Und Sie wissen, dass es aufhören muss.«

Noch immer brannte ihr Gesicht vor Scham, wenn sie an die Worte des Geistlichen dachte. Weinend hatte sie ihm zugesichert, die Affäre zu beenden. Die Frau zu sein, für die alle sie hielten: ihre Familie, ihre Freunde und ja, auch die Schülerinnen, die ihre Lehrerin anhimmelten und »cool« fanden.

Dabei war sie so vorsichtig gewesen. Hatte nie irgendwo eine Andeutung fallen lassen. Es durfte niemand wissen. Das hatte sie ihm hundertmal eingebläut. Zu viel stand auf dem Spiel. Sie hatten alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Und trotzdem …

Die Haare schlugen ihr ins Gesicht. Wenn sie endlich da wäre, würde sie wie eine nasse Ratte aussehen. Doch das wäre ihm egal. Innerhalb einer Minute hätte er ihr die Kleider mit einer Leidenschaft vom Leib gerissen, die sie gleichzeitig belustigend und erschreckend fand.

Doch heute Abend würde es anders sein, nahm sie sich vor. Heute war Schluss.

Weiter vorn, ungefähr siebzig Meter entfernt, sah sie das flackernde Licht im Steghaus, das einzig Helle am gewitterschwarzen Horizont. Die Strandhäuser waren zu dieser Jahreszeit leer; still und stumm warteten sie darauf, dass ihre entschwundenen Besitzer im Frühjahr zurückkamen. Gedankenverloren stolperte sie über einen tiefen Riss im Beton und wäre fast ins Wasser gerutscht, doch irgendwie gelang es ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. Als sie stehen blieb, um sich zu orientieren, ging ihr Atem stoßweise, ihr Herz pochte heftig.

Und wenn sie gestürzt wäre? Was dann? Ironie des Schicksals, oder? Nach der Abmachung, die sie mit Gott getroffen hatte? Sie hatte ihm versprochen, ihr Leben in Ordnung zu bringen, nicht mehr so oft zu fluchen, netter zu ihren Kolleginnen zu sein, mehr Nachsicht mit ihrer Mutter zu haben und wieder zur Kirche zu gehen. Nur um dann auf dem Weg zum Abschied von ihrem Lover zu sterben, wahrscheinlich zu ertrinken, ihr Körper auf den Felsen zerschellt, vielleicht noch schlimmer, ihre blutige Leiche von Haien angefressen? Das wäre die endgültige göttliche Retourkutsche. Als würde das Universum ihr den Stinkefinger zeigen.

Vergiss es, ermahnte sie sich mit einem rauen Lachen. Sei nicht so eine Dramaqueen. Der hintere Abschnitt des Damms war tückisch. Als sich der letzte Hurrikan hier gegen die Küste geworfen hatte, war der Damm schwer beschädigt worden. Vorsichtig trat sie auf die unkrautüberwucherte Uferböschung und rutschte leicht auf dem nassen Gras aus. Weiter vorn blinkte das Licht. Er schickte ihr Morsezeichen. Die hatte er sich mit Hilfe eines alten Handbuchs der Marine beigebracht, das er irgendwo gefunden hatte, und es törnte ihn an, ihr anzügliche Sätze zu morsen, wenn er früher da war und wusste, dass sie sich dem Haus näherte. Wahrscheinlich war das seine Form des Vorspiels.

Mein Gott, wie ihr das fehlen würde! Der Spaß, die Spontaneität und ja, auch das Kribbeln, die Angst und Erregung, eine Grenze zu überschreiten, die Fassade der anständigen Frau hinter sich zu lassen, an der sie ihr Leben lang gearbeitet hatte. Nur der Sex nicht. Er war tatsächlich kein besonders geschickter Liebhaber, aber darum war es auch nie wirklich gegangen. Oder?

Direkt vor sich sah sie am Rand des Grundstücks die vertrauten Oleanderbüsche, die bis zum Damm reichten. Sie kam nicht ohne weiteres an ihnen vorbei. Also zog sie den Kopf ein und drückte einen Zweig zur Seite. Sie rutschte ab, der Zweig schnellte zurück und traf sie im Gesicht. Sie schrie auf, mehr vor Überraschung denn vor Schmerz, doch der Ruf blieb ihr im Hals stecken. Ein Arm legte sich um ihren Hals und drückte ihr die Luftröhre zu.

Das Letzte, was sie sah, bevor sie ohnmächtig wurde, war das blitzende Licht am Ende des Stegs, das das Wort S-C-H-N-E-L-L morste.

1.

Hereinspaziert

Als Hattie Kavanaugh auf dem Rücken unter dem alten Fundament des Hauses in der Tattnall Street lag und sich vorsichtig voranschob, bereute sie es bereits. Sie bereute, dass sie darauf beharrt hatte, die rostigen gusseisernen Wasserrohre selbst zu inspizieren, statt dem Wort ihres Klempners zu glauben. Sie bereute, dass Kavanaugh & Sohn bereits so viel Geld in diese wunderbare hundertsiebenundfünfzig Jahre alte Ruine gesteckt hatte. Sie bereute, dass sie nicht so ein Teil mit Rollen besaß, das Automechaniker immer hatten – wie hießen die noch mal? Rollbretter? Doch vor allem bereute sie die zweite Tasse Kaffee, die sie hinuntergestürzt hatte, kurz bevor sie zu diesem Haus im historischen Viertel von Savannah gerufen worden war, das sie momentan restaurierte.

Der Anruf war von einem Subunternehmer gekommen, der ihr die unschöne Mitteilung gemacht hatte, dass in der Nacht Metalldiebe zugeschlagen hatten: Sie hatten die Kupferrohre der drei brandneuen Kompressoren für die Klimaanlagen gestohlen. Das riss ein Loch von elftausend Dollar in das bereits arg strapazierte Renovierungsbudget. Und jetzt die Abflussrohre.

Als Hattie mit Cassidy Pelletier, ihrer besten Freundin und Vorarbeiterin, an jenem schwülen Samstagmorgen am Haus in der Tattnall Street eintraf, lehnte der Klempner Ronnie Sewell an der Stoßstange seines Pick-ups. »Ähm, Hattie?«, sagte er. »Es gibt ein Problem.«

Zusammen mit Cass folgte sie dem Klempner ums Haus herum nach hinten, wo ein frisch ausgehobener Graben unter das Backsteinfundament des Hauses führte.

»Ich hatte so ein Gefühl, dass was nicht stimmt.« Ronnie wies auf den Graben. »Da habe ich gedacht, ich krieche mal drunter und guck nach.«

Hattie schluckte. »Spuck’s einfach aus, Ronnie. Was stimmt nicht?«

»Na ja, die gusseisernen Rohrleitungen da unten sind komplett durchgerostet. Und du weißt ja, wie das Wasser bei Regen manchmal auf dieser Straße steht, nicht? Das läuft dann alles hinten auf dieses Grundstück. Da sammelt sich das Wasser schon seit Ewigkeiten. Also, die sind komplett hinüber. Verrostet, kaputt, Schrott.«

»O Gott«, stöhnte Hattie und sah den Klempner an. Er war Ende fünfzig und hatte eine Statur wie ein Hydrant; der dicke Bauch hing ihm über den Gürtel. »Sicher? Ich meine, warst du überall unter dem Haus?«

Ronnie zuckte mit den Schultern. »So weit, wie ich konnte. Dafür muss man nicht studiert haben.«

Ohne ein Wort zu sagen, ging Hattie davon. Als sie wiederkam, zog sie den Reißverschluss eines weiten weißen Overalls zu. Sie holte ein Bandana aus der Tasche und band es sich um die Stirn, dann setzte sie eine Schutzbrille auf.

»Was?« Ronnies Gesicht wurde rot vor Entrüstung. »Glaubst du etwa, ich lüge dich an? Hattie Kavanaugh, ich habe schon mit deinem Schwiegervater gearbeitet, da warst du noch gar nicht auf der Welt …«

»Reg dich ab, Ronnie«, unterbrach Hattie ihn. »Ich hatte einen Gutachter hier, bevor wir ein Angebot abgegeben haben. Da war nicht die Rede von alten Rohren. Ich behaupte nicht, dass du lügst, ich muss es nur mit eigenen Augen sehen. Das würde dir Tug auch sagen, wenn er hier wäre.«

»Dann guck halt selbst.« Ronnie wandte sich ab und marschierte vor sich hin schimpfend zu seinem Pick-up. »Verdammte Besserwisserin.«

Cass bückte sich und musterte den Graben inmitten von Schlamm und Bauschutt, dann sah sie ihre Freundin an. »Echt? Willst du wirklich in den Sumpf da unten kriechen?«

»Möchtest du das lieber übernehmen?«

»Wer, ich? Oh, Teufel, nein.« Cass schüttelte sich. »Matsch ist nicht mein Ding.«

Hattie ging zu einem mit einer Plane geschützten Holzstapel, wählte zwei Kanthölzer aus und lud sie sich auf die Schultern. Sie schob die Bretter unter das Haus, überlegte, dann holte sie noch mal zwei, die sie neben die ersten beiden legte.

Cass reichte Hattie ihre Taschenlampe.

»Bete für mich«, sagte Hattie und legte sich der Länge nach auf die Bretter. »Ich bin dann mal weg.«

 

Mo Lopez radelte langsam über die Fahrradspur. Die Gegend, durch die er gerade fuhr, war erkennbar im Umbruch begriffen. Auf der einen Straßenseite standen Backsteinhäuser oder Cottages in Holzbauweise, die offenbar vor kurzem restauriert worden waren; ihre Farbe leuchtete frisch, die Gärten waren neu angelegt. Dazwischen standen kleinere Häuser, bescheidene Handwerkerprojekte. Dort waren Fahrräder an schmiedeeiserne Zäune gekettet, auf den Veranden drängten sich Farne und andere Topfpflanzen, die Vorgärten waren weniger akkurat. In Mos Kopf entwickelte sich eine Idee.

Savannah, dachte er, war eine angenehme Überraschung. Um Rebecca Sanzone einen Gefallen zu tun, der stellvertretenden Programmleiterin des Fernsehsenders, für den Mo arbeitete, hatte er die Einladung des Savannah College of Art and Design angenommen, dort vor Studierenden der Fernseh- und Filmwissenschaften zu sprechen. Eine von Rebeccas ehemaligen Mitschülerinnen hatte eine Stelle bei der Zulassungsstelle des SCAD. Becca selbst war natürlich viel zu beschäftigt gewesen, um herzukommen, deshalb hatte sie die Einladung an Mo weitergereicht.

»Fahr doch dahin«, hatte sie ihn gedrängt. »Besser, als nur rumzusitzen und darauf zu warten, dass diese Idioten im Sender eine Entscheidung treffen.«

»Die Idioten«, das waren Rebeccas unmittelbare Vorgesetzte beim Home Place Television Network, kurz HPTV. Der bisherige Programmleiter war vor zwei Monaten unversehens gefeuert worden, und sein Nachfolger, Tony Antinori, prüfte das Programm des Senders angeblich sehr genau.

Verständlicherweise war Mo nervös. Die erste Staffel von Garagen-Alarm galt als Erfolg für das neue Format, doch in der zweiten Staffel waren die Zuschauer schon nicht mehr so fasziniert von den Autofreaks, die irrsinnige Geldsummen ausgaben, um sich ihre Werkstatt perfekt einzurichten, komplett mit Spielkonsole, Hebebühnen und Küchenzeile. Die Einschaltquoten, hatte Rebecca angedeutet, seien sicherlich nicht furchtbar, aber auch nicht furchtbar gut.

Mo brauchte eine neue Idee, und zwar schnell. Seine Gedanken schweiften zu Tasha von der Zulassungsstelle des SCAD, die ihm erzählt hatte, dass Savannah amerikaweit die größte intakte, zusammenhängende Ansammlung von Architektur aus dem neunzehnten Jahrhundert vorweise. In der Stadt würde stets eifrig renoviert und saniert.

Mos Gedanken liefen auf Hochtouren, er trat in die Pedale. In einer Straße namens Tattnall Street standen drei Fahrzeuge vor einem eindrucksvollen dreistöckigen viktorianischen Haus im Queen-Anne-Stil. Im Näherkommen las Mo den Aufdruck KAVANAUGH & SOHN auf den Türen von zwei Pick-ups.

Er blieb am Bordstein stehen und schaute zum Haus hoch. Offenbar wurde es gerade komplett restauriert. Auf der Ostseite des Hauses war ein Gerüst aufgebaut, dort war ein Teil der alten Holzverkleidung ersetzt worden, andere Abschnitte waren abgeschliffen und bereit für einen frischen Anstrich. Überall auf dem Grundstück stapelte sich Holz, Paletten mit Dachschindeln waren auf der Veranda abgeladen worden.

Dach wie Verandaüberdachung waren mit blauen Planen abgedeckt. Die Traufen und die Veranda waren mit kunstvoll gestalteten Holzelementen verziert wie ein Pfefferkuchenhaus.

Mo lehnte sein Fahrrad gegen einen Sägebock und stieg eine provisorische Holztreppe zur Veranda hinauf. Die Haustür, eine zeittypische, detailreiche Schnitzarbeit mit Bleiglasfenster, war nur angelehnt.

Mo blieb stehen und schob die Tür vorsichtig mit der Schuhspitze auf. »Hallo?«

Seine Stimme echote durch die hohe Eingangshalle. Keine Antwort. Schulterzuckend trat er ein. Das Innere des Hauses war im viktorianischen Stil gehalten. An den Wänden klebten Tapetenschichten aus verschiedenen Jahrzehnten übereinander. Sie schienen gerade abgetragen zu werden, so dass der nackte Putz darunter zum Vorschein kam. Über Mos Kopf hing ein gewaltiger verstaubter Kristallleuchter mit Milchglaskugeln. Die Decke war mit aufwendigen bröckelnden Stuckarbeiten verziert.

»Das Haus ist ein Fass ohne Boden«, murmelte Mo, wusste aber gleichzeitig, wie überwältigend der Gegensatz zwischen vorher und nachher sein konnte. Er ging in den hinteren Teil des Hauses. Ein Blick nach oben offenbarte klaffende Löcher in der Decke; ein im Fischgrätmuster verlegtes Eichenparkett war unter dem in Jahrzehnten geschwärzten Lack kaum noch zu erkennen.

»Hübsch.« Mo ging weiter, vorbei an einem Raum, der offenbar mal als Badezimmer gedient hatte. Die historischen runden Mosaikfliesen auf dem Boden waren schmutzig, es stand nur noch eine alte Badewanne mit Löwenfüßen darin, in der sich abgefallener Stuck sammelte. Zwischen den Fliesen ragten nackte Rohre hervor.

Am Ende des Flurs entdeckte Mo einen breiten Durchgang zu dem Raum, der wohl mal die Küche gewesen war. Er blieb in der Tür stehen und sah sich um. Die hohen Wände waren ebenfalls bis auf die Grundmauern abgetragen und von Wasserflecken übersät. Mehrere Schichten Linoleum lagen auf dem Boden, einige waren schon bis zum Unterboden herausgerissen.

Mo machte mehrere Schritte in die Küche, als plötzlich die Welt unter seinen Füßen nachgab. Er hörte berstendes Holz und versuchte vergeblich, sich festzuhalten. Dann wurde alles dunkel.

Plötzlich schrie ihm eine empörte Stimme ins Ohr: »Was soll der Scheiß?«

 

Auf der Suche nach den kaputten Rohren rutschte Hattie auf dem Rücken so weit unters Haus, wie es möglich war. Sie meinte, unter der Küche zu sein. Es war feucht und muffig, ihre Taschenlampe leuchtete auf ein freigelegtes Labyrinth aus verrosteten gusseisernen Rohren.

Über sich vernahm sie Schritte.

»Cass?« Nein, die Schritte waren zu schwer, das konnte nicht die schmale Cass sein. Vielleicht hatte es sich Klempner Ronnie anders überlegt? Aber der kannte sich doch aus und würde niemals die Küche betreten, wo Termiten die Bodenbalken praktisch zerfressen hatten.

Rums! Verrottetes Holz, Linoleumstücke und Staub aus mehr als einem Jahrhundert fielen ihr ins Gesicht. Gefolgt von einem Menschen. Einem großen, lebendigen Menschen, der auf ihr landete.

»Was soll der Scheiß?«, schrie Hattie.

Im schwachen Licht der Taschenlampe sah sie, dass es sich um einen Mann handelte.

»Oooh«, stöhnte er. Sein Gesicht war ganz nah, er wirkte benommen.

»Runter von mir!«, stieß Hattie durch zusammengebissene Zähne hervor. Mit Mühe gelang es ihr, den Kerl zur Seite zu rollen, bis er auf dem Rücken lag.

Wieder hörte sie Schritte. »Hattie?« Cass’ Kopf erschien im Loch über ihr. Hattie richtete den Strahl der Taschenlampe auf ihre Freundin, dann auf den Körper des Eindringlings, der sich stöhnend versuchte aufzurichten. »Wer ist das? Und was zur Hölle ist da unten los?«

»Wüsste ich auch gern«, sagte Hattie und streckte ihrer besten Freundin die Hand entgegen. »Los, zieh mich mal hier raus! Ronnie hatte recht. Die Rohre sind im Arsch.« Sie wies auf den Mann. »Und der Typ auch. Ruf die Polizei. Sieht aus, als hätten wir den Metalldieb gefangen.«

2.

Der Vorschlag

Hattie sah sich den Kerl genauer an, der ausgestreckt auf dem Küchenboden lag. Manche Frauen hätten ihn vielleicht attraktiv gefunden. Er trug eine schwarze Designerjeans und ein schwarzes Hemd mit offenem Kragen, konnte also nicht aus der Gegend sein, denn niemand mit nur ein bisschen Verstand zog hier in der brütenden Hitze des Sommers schwarze Klamotten an. Der Mann war schmutzüberzogen und sah sie böse an, als sei sie der Eindringling und nicht er.

Cass stieß mit der Stiefelspitze gegen Mos Bein und warf Hattie einen Blick zu, die sich schmierigen Dreck aus den Haaren zog. »Sieht nicht aus, wie ich mir einen Metalldieb vorstelle.«

»Stimmt«, sagte Hattie. »Zum einen hat er noch seine eigenen Zähne. Zum anderen ist er zu gut gekleidet.« Sie ließ das Licht der Taschenlampe über Mos ruinierte Tennisschuhe gleiten. »Sch… Guck dir das an! Die Nikes kosten an die sechshundert Dollar.«

»Sind vielleicht auch gestohlen«, mutmaßte Cass.

»Nett«, sagte Mo und versuchte sich stöhnend aufzurichten. »Echt witzig. Ihr zwei seid bestimmt die Stars der Comedyszene von Savannah.«

Er schielte an sich hinab und seufzte. Beide Arme waren blutig zerkratzt. Seine Klamotten waren verdreckt, die Nikes voller Schlamm. Oder was auch immer das war. Er betastete seinen Hinterkopf und spürte, dass sich dort eine Beule bildete. Vielleicht hatte er eine Gehirnerschütterung? Würde zu diesem Tag passen.

»Die Haustür stand weit offen«, log er. »Woher sollte ich wissen, dass dieses Haus eine Todesfalle ist? Ich könnte Sie verklagen, wegen Gefährdung der Allgemeinheit.«

»Und wir könnten die Bullen rufen und Sie wegen unerlaubten Betretens einbuchten lassen«, schoss Cass zurück. »Stimmt’s, Hattie?«

Doch Cass’ beste Freundin musterte das Gesicht des Mannes. Sie wusste, dass sie ihn schon mal gesehen hatte: das bis zum Hemdkragen reichende dunkle Haar, der olivbraune Teint mit entsprechenden Haaren und Augen, die fast schon unverschämt dichten Augenbrauen und den hippen angedeuteten Bart. Als sie den Typen am Morgen gesehen hatte, starrte er die ganze Zeit auf sein Handy, doch Hattie war überzeugt, dass er ihrem Gespräch mit Tug gelauscht hatte.

Sie schnippte mit den Fingern. »Hey, Sie haben heute Morgen im Foxy Loxy am Nebentisch gesessen. Und uns wahrscheinlich zugehört.«

»Ich habe nicht zugehört«, verteidigte sich Mo. »Hab mich um meinen eigenen Kram gekümmert und gefrühstückt. Ist doch nicht meine Schuld, wenn Sie so laut reden, dass der ganze Laden zuhören kann.«

»Hm. Und keine Stunde später tauchen Sie hier auf? In dem Haus, über das ich kurz zuvor gesprochen habe? Ganz schön großer Zufall.«

Mo traf eine schnelle Entscheidung.

»Okay, das ist kein Zufall«, sagte er. »Ich habe Sie und – Ihren Vater? – in dem Café reden gehört. Und fand es spannend.« Mo griff in seine Tasche und holte ein dünnes Lederetui hervor, aus dem er eine Visitenkarte zog. Er reichte sie Hattie.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen las sie: »Mauricio Lopez. Geschäftsführer und Produktionsleiter Toolbox Productions.« Sie gab die Karte an Cass weiter. »Das erklärt aber nicht, warum Sie mir hierher gefolgt sind und unerlaubt meine Baustelle betreten haben.«

»Toolbox ist eine Fernsehproduktionsfirma. Ich konzipiere Reality-Shows, momentan für das Home Place Television Network. Heute Morgen bin ich auf dem Fahrrad durch das historische Viertel von Savannah gefahren und hatte plötzlich eine Idee für ein Konzept, aus dem meiner Meinung nach eine neue Reality-Show werden könnte. Sie und Ihr Vater bauen dieses Haus um? Ich habe das Gefühl, es läuft nicht so gut.« Vielsagend sah sich Mo in der entkernten Küche um, dann schaute er auf das mannsgroße Loch im Boden.

Cass und Hattie wechselten einen Blick.

Hattie schnippte die Visitenkarte gegen Mos Brust, sie fiel auf den Boden. »Zuerst mal ist Tug nicht mein Vater, sondern mein Schwiegervater. Und zweitens geht Sie das einen feuchten Dreck an, aber mit dem Haus läuft alles wie geplant.«

Mo zuckte mit den Schultern. »Also haben Sie Ihr Budget nicht überzogen? Die Banken leihen Ihnen tatsächlich genug Geld, um die Renovierung durchzuziehen? Und Sie sind nur aus Jux und Dollerei unter dem Haus herumgekrochen, als der Boden unter mir eingestürzt ist?«

Hattie lief dunkelrot an. »Sie gehen jetzt besser, sonst werde ich richtig sauer.«

»Ich würde auf sie hören«, mahnte Cass. »Ernsthaft, Mann, gehen Sie einfach.«

»Wollen Sie sich meine Idee nicht wenigstens mal anhören?«, gab Mo zurück. »Es geht um ein neues, ungescriptetes Format. Sie und Ihre Handwerker würden richtige Stars! Indem sie ein altes Haus renovieren und wieder verkaufen.«

»Ooh!« Cass machte ein ausdrucksloses Gesicht und stieß Hattie mit dem Ellenbogen an. »Er will uns zum Film bringen. Hollywood, wir kommen!«

»Nicht zum Film. Ins Fernsehen. Und nicht nach Hollywood«, widersprach Mo. »Darum geht’s ja gerade. Savannah ist die perfekte Kulisse für eine Reality-Show. Die historische Vergangenheit, die alten Häuser. Außerdem dürften Arbeitslohn und Material hier unten deutlich billiger sein. Was haben Sie überhaupt für diesen Kasten hingeblättert?«

»Das geht Sie gar nichts an«, sagte Hattie.

»Zweiundachtzigtausend«, verriet Cass. »Hier wohnten Hausbesetzer drin. Die Bank hat es zwangsversteigert. Und? Wollen Sie das Haus für Ihre Sendung kaufen?«

»Cass!« Hattie warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu.

»Nein. So läuft das nicht. Sie investieren Ihr eigenes Geld in eine Immobilie und streichen auch den gesamten Gewinn allein ein, wenn das Haus verkauft wird. Natürlich zahlen wir Ihnen und Ihren Handwerkern ein gängiges Honorar. Wir suchen nach Sponsoren, die gegen Nennung in der Sendung ihre Produkte kostenlos zur Verfügung stellen. Wie viel haben Sie schon in diesem Fass ohne Boden versenkt?«, fragte Mo.

»So, das reicht jetzt!« Hattie wies auf die Hintertür. »Gehen Sie! Dalli!«

Ungläubig schüttelte Mo den Kopf. »Wissen Sie, wie viele Leute für so eine Gelegenheit ihre Seele verkaufen würden? In einer neuen Reality-Show im Fernsehen auftreten zu können? Auf dem Weg hierher bin ich an einem halben Dutzend historischer Häuser vorbeigekommen, die saniert werden.«

»Dann begehen Sie doch dort Hausfriedensbruch«, sagte Hattie. »Und fallen durch den Boden.« Sie fasste Mo am Ellenbogen und schob ihn nicht gerade sanft in Richtung Tür. »Abflug.«

 

Vor seinem Fahrrad drehte Mauricio Lopez sich noch mal um, holte sein Handy heraus, richtete es aufs Haus und machte eine ganze Reihe Fotos. Die beiden Frauen kamen in die Einfahrt und sahen zu, wie er davonfuhr. »Glaubst du, der Typ war echt?«, fragte Cass.

»Keine Ahnung, ist mir auch egal«, gab Hattie zurück. Sie zog den Reißverschluss ihres Overalls auf, schälte sich heraus und griff nach ihrem Handy. »Ich muss jetzt bei Ronny katzbuckeln, mich entschuldigen und ihn bitten, dass er wieder herkommt und die kaputten alten Rohre austauscht.«

Sie schaute am Haus hinauf. Als sie die Adresse in der Zwangsversteigerungsliste der Bezirksverwaltung gesehen hatte, hatte sie sich unglaublich gefreut. Seit zwei Jahren beobachtete sie diese Straße, fuhr fast täglich an diesem besonderen Gebäude vorbei, stalkte es wie ein eifersüchtiger Liebhaber.

Insgeheim nannte sie das Haus Gertrude, nach Gertrude Showalter, einer älteren Frau, die in Hatties Kindheit in diesem Haus gewohnt hatte, direkt gegenüber von Hatties Familie.

Sie hatte die kaputten Fenster, den Berg leerer Schnapsflaschen und den Müll registriert, der sich auf Gertrudes Veranda sammelte. Mit Bestürzung hatte sie verfolgt, wie bei einem Sommergewitter ein riesiger Ast aufs Dach gestürzt war. Es würde bald hereinregnen, die Bausubstanz würde sich noch weiter verschlechtern.

Als die Liste mit Zwangsversteigerungen letztlich öffentlich einsehbar war, war Hattie die Erste gewesen, die am Gericht auftauchte, wild entschlossen, sich das Haus zu sichern. Sie wollte die schicke alte Villa retten, aufpolieren und für einen hübschen Gewinn wieder veräußern.

Tug hatte sie gewarnt, kein Haus zu kaufen, in das sie noch nie einen Fuß gesetzt hatte, doch Hattie wollte ihn eines Besseren belehren.

Sie war direkt vom Gericht zu ihrem neuen alten Haus in der Tattnall Street gefahren, den Schlüssel fest in der Faust.

Gertrude schien ein guter Fang zu sein. Nicht mal die Tauben, die sich auf dem Dachboden eingenistet hatten, oder das mumifizierte Opossum, das sie unter einem kaputten Küchenschrank gefunden hatte, brachten Hattie zum Nachdenken.

Es waren nicht nur Geld und Schweiß, die Hattie in Gertrude investiert hatte. Sie hatte ihr Herz an dieses Haus gehängt. Doch jetzt sah sie es durch die Augen dieses unverschämten Fernsehfritzen.

Und plötzlich wurde ihr alles klar. Es war, als würde sich eine eiskalte Hand um ihre Kehle schließen. Sie hatte Tug Kavanaughs erstes Gebot bei Immobilieninvestitionen gebrochen, obwohl er es ihr eingebläut hatte, seitdem sie die Anzahlung für ihr erstes Projekt zusammengekratzt hatte. »Ein Haus ist lediglich ein Haufen Holz und Nägel, Hattie. Es ist nur ein Gegenstand. Verlieb dich nie in irgendwas, das dich nicht zurücklieben kann.«

Sie hatte in ihrem Leben eine große Liebe gehabt und sie in einem Augenblick auf den anderen verloren. Wann würde sie es lernen? Sie wusste, dass Tug recht hatte. Wie viel Liebe, Kreativität und Optimismus Hattie auch in Gertrude investierte, dadurch würde nicht das Schmuckstück aus dem Haus werden, das Hattie sich wünschte. Mit hängenden Schultern ging sie die Kontakte auf ihrem Handy durch.

Sie fand die Nummer des Klempners, tippte darauf und wartete. Das Telefon klingelte einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Klingeln nahm er ab.

»Ja?« Er war immer noch sauer.

»Ronnie? Hör mal, es tut mir leid. Du hattest recht, aber ich musste es mit eigenen Augen sehen. Alle Rohre unter dem Haus sind Schrott. Was kostet es, sie zu ersetzen?«

»Minimum?« Der Betrag, den er nannte, lag deutlich über dem, womit sie gerechnet hatte. »Hattie? Bist du noch dran?«

»Ja«, sagte sie düster. »Alles klar.«

 

Tugs Schritte wurden von den hohen Räumen zurückgeworfen. Es war früher Abend, eine leichte Brise wehte durch die offenen Fenster. Hattie folgte ihm, darauf vorbereitet, die bittere Pille zu schlucken.

Im Gehen murmelte er Zahlen vor sich hin, schüttelte den Kopf, verdrehte die Augen. Als er in die Küche kam, starrte er auf das klaffende Loch im Boden und sah seine Schwiegertochter fragend an.

»Letzten Monat habe ich beim Holzhandel zwei Typen getroffen, Investoren. Die kaufen Häuser in Midtown auf. Während ich drauf gewartet habe, dass meine Sachen aufgeladen werden, sind wir ins Gespräch gekommen. Ich habe dem Jüngeren von diesem Haus erzählt. Er meinte, er hätte unsere Arbeiten verfolgt. Er würde diese Straße mögen. Meinte, sie hätte großes Potenzial. Er hat mir seine Karte gegeben. Heißt Keith. Meinte, wenn wir Interesse hätten zu verkaufen …«

»Haben wir«, stieß Hattie aus.

»Die zahlen aber einen Fixpreis, der ist nicht verhandelbar. Dadurch verlieren wir eine Menge Geld. Das ist dir klar, Schätzchen, oder?«

Hattie nickte, bekam aber kein Wort heraus.

Tug fuhr fort. »Du machst das schon richtig. Es tut weh, ich weiß, aber wir machen alle mal Fehler. Das ist nicht das Ende der Welt.«

Hattie musste schlucken. »Was ist mit der Bank?«

Er klopfte ihr auf die Schulter. »Mit der rede ich. Mit den Halsabschneidern sind wir schon seit fast vierzig Jahren im Geschäft. Die haben bis jetzt noch nie minus mit mir gemacht. Das ist schon in Ordnung.«

Hattie strich ihm über die Hand. Tug hatte raue, faltige Haut, überzogen von Abschürfungen und Narben.

»Tut mir leid, Tug. Du hast mich gewarnt, aber ich wollte ja nicht hören.«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Kleine«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Merk dir, was du aus dieser Geschichte lernen kannst, und mach weiter. Du weißt, dass du dein Bestes getan hast, aber diesmal war es eben nicht genug.«

3.

Man sieht sich

Mo fuhr zurück ins Hotel, duschte und zog sich um, dann stieg er wieder aufs Rad, um seine Tour durch das historische Viertel fortzusetzen. Es wollte ihm nicht gelingen, Hattie Kavanaugh aus dem Kopf zu bekommen.

Ehrlich gesagt war sie ihm aufgefallen, kaum dass er sich am Morgen an den Tisch im Café neben ihren gesetzt hatte. Er schätzte sie auf Anfang dreißig; sie hatte das ungekünstelte Gesicht des Mädchens von nebenan und die Haare zu einem nachlässigen Pferdeschwanz gebunden. Sie war schlank, aber hatte Rundungen an den richtigen Stellen.

In der Tattnall Street hatte sie sich kampfeslustig gegeben, geradezu rebellisch. Ihm gefiel, dass sie sich nicht von einem fremden Mann einschüchtern ließ, der wie aus dem Nichts auf sie gefallen war. Dass sie nicht sofort einen Rückzieher machte. Selbst in verschlammten Arbeitsstiefeln, einem schmuddeligen Overall und mit einem Bandana um den Kopf besaß diese Frau Präsenz. Und Mo wusste, dass die Kamera sie mit ihren grünbraunen Augen, den vollen Lippen und der kleinen Narbe an der Oberlippe lieben würde. Die Haare müssten heller werden, das stand allerdings fest.

 

Um vier Uhr nachmittags war Mo schweißüberströmt und erschöpft. Der Himmel wurde dunkler und die Luft so schwül, dass man sie fast auswringen konnte.

Doch aus Gründen, die er sich nicht erklären konnte, strampelte er wieder an dem Haus in der Tattnall Street vorbei. Jetzt stand nur noch der Pick-up von Kavanaugh & Sohn an der Bordsteinkante. Mo entdeckte die junge Frau mit bebenden Schultern auf der Verandatreppe, die Hände vors Gesicht geschlagen.

Im unbepflanzten Vorgarten stand ein Schild mit der Aufschrift »ZU VERKAUFEN VON PRIVAT«. Das war neu.

Langsam näherte sich Mo. Einige Meter vor der Veranda hustete er leise.

Die junge Frau hob den Kopf. Ihr Gesicht war rot und tränenüberströmt. Sie hatte ihren Overall ausgezogen und trug die ausgewaschene Jeans und das hellblaue Tanktop, das sie am Morgen im Café angehabt hatte.

»Was ist?«

»Hey«, sagte Mo. »Jetzt wollen Sie das Haus plötzlich verkaufen? Noch bevor Sie damit fertig sind?«

»Was interessiert Sie das?« Mit dem Handrücken wischte sie sich unter der Nase entlang.

Er hatte noch nie gut mit weinenden Frauen umgehen können. Eigentlich hätte er verschwinden sollen, aber irgendwas, vielleicht ihre unerwartete Verletzlichkeit, zog ihn näher heran.

Er setzte sich auf die Stufe neben sie, hielt aber wohlweislich einen halben Meter Abstand. »Das tut mir leid«, sagte er.

Sie schniefte und sah zur Seite. »Tug hatte recht. Das Haus ist ein Fass ohne Boden. Ich habe mich übernommen. Er hat ein paar Investoren an der Hand, die Interesse haben, aber wir dachten, wir versuchen es einfach mal und stellen es zum Verkauf. Vielleicht beißt noch mal so ein armes Schwein wie ich an.«

Hattie legte das Kinn auf die Knie.

»Ist das ein großer Verlust für Sie?«, fragte er.

»Allerdings. Geld, das wir nicht haben. Das ich nicht habe. Ich habe all meine Ersparnisse in dieses Projekt gesteckt, dumm, wie ich bin.«

»Und was machen Sie, wenn Sie das Haus verkauft haben?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Einen Küchenanbau auf Wilmington Island, eine Dachterrasse in einem Haus drüben auf der Jones Street. Was Tug ›unser täglich Brot‹ nennt.«

»Also nichts mehr mit Immobilien aufhübschen?«

»Erst, wenn ich im Lotto gewonnen habe«, erwiderte Hattie. »Nach diesem Fiasko gibt uns keine Bank der Welt mehr einen Kredit.«

»Das ist schade«, sagte Mo. »Diese Reality-Show, von der ich Ihnen erzählt habe …«

»Nein!« Vehement schüttelte sie den Kopf. »Das habe ich doch schon gesagt. Kein Interesse! Suchen Sie sich ein anderes dummes Blondchen. Davon gibt’s genug in Savannah. Jeder hier will ein Star sein. Ich aber nicht.«

»Ich brauche niemanden, der ein Star sein will. Ich brauche jemanden, der seine Aufgabe mit Leidenschaft erfüllt. Der eine Vision hat. Und keine Angst.«

»Sie kennen mich nicht«, entgegnete Hattie. »Tief in mir drin bin ich ein riesiger Schisshase. Ich habe Höhenangst. Und Angst davor, arm und allein zu sterben. Was momentan immer wahrscheinlicher wird.«

»Allein?« Mo hob eine Augenbraue. »Sie haben doch gesagt, dass dieser Tug Ihr Schwiegervater ist. Wo ist denn Ihr Mann?«

»Tot.«

Mo zuckte zusammen. »O Gott, das tut mir leid.«

»Schon gut.« Langsam atmete Hattie aus. »Niemand rechnet damit, dass eine Frau in meinem Alter Witwe ist. Die meisten Leute wissen nicht, wie sie mit so einer Information umgehen sollen.«

»Darf ich fragen …«

»Nein.« Abrupt stand sie auf. »Schluss jetzt mit der Heulerei. Ich fahre nach Hause, stell mich unter die Dusche und ertränke meinen Kummer in einer Flasche Bier. Normalerweise bin ich nicht so unhöflich, Mauricio …«

»Mo. Niemand nennt mich Mauricio.«

»Okay, Mo. Ich schließe hier jetzt ab, deshalb muss ich Sie bitten zu gehen.«

»Sie haben mir nicht mal Ihren Namen verraten«, protestierte er. »Ich dachte, Sie geben mir vielleicht eine zweite Chance, mich richtig vorzustellen?« Er hielt ihr die Hand hin. »Hallo, ich bin Mo Lopez. Furchtloser Eindringling, Altbau-Fan, auf der Suche nach einem neuen Knüller fürs Fernsehen.«

Hatties Oberlippe zuckte leicht. Am liebsten hätte Mo die Narbe berührt und gefragt, woher sie stammte, doch das traute er sich nicht. Die Frau senkte den Blick auf ihre Hände. Sie waren schmutzig, die kurzen Fingernägel hatten schwarze Ränder, dennoch wischte sie sich die Finger am Hosenboden ihrer Jeans ab und ergriff seine Hand. »Ich bin Hattie Kavanaugh. Hundefan, glücklose Bauunternehmerin. Nicht auf der Suche nach einer Karriere im Fernsehen.«

»Freut mich«, sagte Mo. »Dann können wir uns ja duzen, okay? Was ist mit deiner Freundin?«

»Mit Cass? Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit und arbeiten beide für Tug. Auf dem Bau würde man sie als Polier bezeichnen. Beziehungsweise als Polierin. Bei Kavanaugh & Sohn haben wir’s nicht so mit Titeln.«

»Also war dein Mann der Sohn von Kavanaugh & Sohn?«

»Tatsächlich hat mein Mann, Thomas Henry, in dritter Generation in der Firma gearbeitet. Tugs Vater hat sie gegründet, also war eigentlich Tug der Sohn in ›Kavanaugh & Sohn‹.« Hatties Gesichtsausdruck wurde weicher. »Hank und ich haben uns über die Firma kennengelernt. Auf der Highschool habe ich mir Geld dazuverdient, indem ich für seinen Vater Baustellen aufgeräumt habe, und irgendwann konnte ich Tug überreden, mir die einzelnen Gewerke näher zu zeigen. Angefangen habe ich als Tischlerlehrling.«

»Ein etwas ungewöhnlicher Job für eine junge Frau«, bemerkte Mo. »Warst du nicht an der Uni?«

»Ich habe ein paar Kurse an der Georgia Southern belegt – da kann man tatsächlich einen Studienabschluss in Bauleitung machen –, aber es hat nicht lange gedauert, da fand ich es sinnlos, Geld zu zahlen, um in einem Klassenraum zu sitzen und mir Vorträge über Tätigkeiten anzuhören, die ich längst konnte«, erklärte Hattie.

Mo zögerte, dann machte er noch einen Versuch, sie zu überzeugen.

»Hör mal, du würdest perfekt zu dem neuen Format passen, an dem ich gerade arbeite. Das ist ein völlig neuartiges Konzept. Wenn der Sender anbeißt, und ich wüsste nicht, was dagegenspricht, würden wir direkt hier vor Ort in Savannah drehen.«

»Danke, aber die Antwort bleibt Nein. Das mit diesem Haus habe ich im großen Stil verbockt. Jetzt ist Schluss mit Immobilien. Von jetzt an bleibe ich bei dem, was ich kann.« Hattie ging zur Haustür, holte einen Schlüsselring aus der Tasche und schloss ab. Sehnsüchtig fuhr sie mit den Fingern über die kunstvollen Schnitzarbeiten in der Tür, als würde sie sich von einer alten Freundin verabschieden.

»Man sieht sich, Mo«, sagte sie.

Als sie fort war, ging er zum Verkaufsschild, holte sein Handy heraus und machte ein Foto von der unten aufgeführten Nummer. Dann hörte er Donnergrollen, schaute hoch und sah einen silbernen Blitz in den sich drohend auftürmenden schwarzen Wolken. Mo lief zu seinem Fahrrad. Einen halben Häuserblock war er von dem viktorianischen Haus in der Tattnall Street entfernt, da öffnete der Himmel seine Schleusen, und große, warme Regentropfen prasselten auf ihn herab. Kräftig in die Pedale tretend fuhr er zurück zum Hotel.

4.

Die Retter von Savannah

Während seines Aufenthalts in Atlanta auf dem Rückflug nach L.A. rief Mo Rebecca an. »Ich hätte da was für dich«, sagte er betont cool trotz der wachsenden Erregung, die er verspürt hatte, als er seinen Pitch im Hotelzimmer in Savannah vorbereitete. »Das Konzept für mein nächstes Format. Mal was ganz anderes.«

»Das ist schön«, sagte sie unverbindlich.

»Wann können wir uns treffen? Morgen?«

»Ich habe morgen früh als Allererstes ein wichtiges Meeting mit Krystee und Wills Leuten, am Abend kommt dann der Agent vorbei, nichts Besonderes, nur Drinks und Sushi, damit wir ein paar Sachen besprechen können …«

Mo schluckte seine Enttäuschung hinunter. »Gut, dann zum Mittagessen?«

»Ich habe von morgens bis abends Sitzungen. Den ganzen Tag. Melde dich doch bei Asha und sag ihr, dass sie uns einen Termin zum Frühstücken machen soll – nein, vergiss es, ich bin Mittwoch schon zum Frühstück verabredet. Sagen wir Kaffee am Vormittag. Schaffst du das?«

Mo seufzte. Asha Singh war Rebeccas langjährige Assistentin. An ihr vorbeizukommen war in etwa so, als wollte man Fort Knox stürmen. »Ja. Ich ruf sie an.«

»Super. Bis dann!«

Auf dem Flug von Atlanta nach L.A. schlief Mo unruhig. Nach zwei Stunden gab er es auf, holte seinen Laptop aus der Tasche des Sitzes vor ihm und ging seine Präsentation noch mal durch.

Müde rieb er sich das Gesicht, dehnte erst die eine, dann die andere Schulter. Eigentlich arbeitete er gern im Flugzeug, ihm gefiel die erzwungene Isolierung. Er setzte seine rauschunterdrückenden Kopfhörer auf und las, was er bis jetzt geschrieben hatte.

Die Retter von Savannah. Gut. Das war ein solides Konzept. Er hatte ein Dutzend Fotos runtergeladen, die er im historischen Viertel von Savannah gemacht hatte, und hängte sie nun als Slides an das Dokument: die Lebenseichen mit dem herabhängenden Louisianamoos, die Häuserfluchten aus dem neunzehnten Jahrhundert, die bunten Blumen auf Eingangstreppen und Fensterbänken und ja, das Haus in der Tattnall Street zusammen mit mehreren Aufnahmen von Hattie Kavanaugh und ihrer Polierin Cass.

Früh am Morgen war er noch mal zu dem Haus gefahren und hatte mit zwei Bechern Eiskaffee gewartet, bis der Vorarbeiter beziehungsweise die Vorarbeiterin eintraf.

Ihm blieb nicht viel Zeit. Er hielt ihr einen Becher hin. »Cass, richtig? Ich bin Mo.«

Cassidy Pelletier betrachtete den Eiskaffee im Becher von Foxy Loxy. Sie probierte ihn. Genau wie sie ihn mochte: Mochaccino auf Eis mit extra Zimt.

Argwöhnisch beäugte sie Mo. »Hallo Mo. Woher wusstest du, wie ich den Eiskaffee mag?«

»Gut geraten. Können wir uns unterhalten? Mein Flug geht in zwei Stunden. Deine Freundin hat mein Angebot abgelehnt, in meiner neuen Doku mitzumachen, aber ich dachte, du könntest sie vielleicht vom Gegenteil überzeugen?«

»Wenn du das glaubst, kennst du Hattie wirklich nicht«, erwiderte Cass.

»Sie hat einen finanziellen Engpass, oder?«, warf er ein.

»Ja.«

»Das könnte sich durch diese Serie komplett ändern. Sie würde ein regelmäßiges Honorar bekommen. Du auch. Und sobald die Sendung ausgestrahlt wird, sind Kavanaugh & Sohn in aller Munde, und der Laden wird durchstarten. Eure Firma wird sich vor Aufträgen nicht mehr retten können, so dass ihr den Preis diktieren könnt. Dann ist Schluss mit beschissenen Badezimmerrenovierungen, im wahrsten Sinne des Wortes.«

Cassidy Pelletier wirkte unbeeindruckt. »Sagst du.«

»Bei unseren Produktionen schaffen wir viele Jobs«, fuhr Mo fort. »Für die Dreharbeiten engagieren wir normalerweise mindestens zwanzig Personen, von Kameraleuten über Toningenieure, Assistenten, Fahrer, Haar- und Make-up-Spezialisten bis hin zu Bühnenbildnern und dem Catering. Ist immer ein schöner Impuls für die Wirtschaft.«

»Hört sich gut an, aber wenn Hattie nein sagt, meint sie das normalerweise auch so.«

»Vielleicht könntest du mir helfen, sie zu überreden«, sagte Mo.

»Warum sollte ich das tun?«

»Du bist doch ihre beste Freundin, oder?«

»Ja.«

Er wies auf das Haus. »Sie verliert hier Geld, die Firma auch. Und das nimmt sie persönlich, stimmt’s?«

»Du hast ja keine Ahnung. Tug und Nancy, die sind nicht nur die Firma. Das ist Hatties Familie. Sie fühlt sich für sie verantwortlich. Tug steht kurz vorm Rentenalter. Hatte schon einen leichten Herzinfarkt. Das macht Hattie fertig.«

»Das sind doch eigentlich ihre Schwiegereltern, oder? Was ist mit ihrer eigenen Familie? Wo ist die?«

»Unten in Florida. Jedenfalls ihre Mutter. Von ihrem Vater weiß ich nichts. Hatties Eltern haben sich getrennt, als wir auf der Highschool waren. Ihre Mutter hat ihre Sachen gepackt und ist abgehauen, aber Hattie wollte bleiben und das Schuljahr an St. Mary’s abschließen. Sie ist zu mir gezogen; eigentlich sollte es nur bis zum Sommer sein, am Ende blieb sie zwei Jahre. Nach dem Abschluss hat sie sich ein winzig kleines Kellerapartment gesucht. Tagsüber hat sie bei Tug gearbeitet, abends hat sie Kurse an der Georgia Southern besucht und alles selbst bezahlt, immer. Das ist Hattie. Sie ist Hardcore.«

»Und ihr Mann? Wie ist er gestorben?«

Cass sah ihn durchdringend an. »Sie hat dir von Hank erzählt?«

»Nur, dass er tot ist.«

»Er ist bei einem Motorradunfall gestorben. Vor fast sieben Jahren.«

Ein Pick-up hielt vor dem Haus und hupte. Cass sah auf ihr Handy. »So, meine Leute sind da. Ich kann hier nicht den ganzen Tag stehen und mit dir quatschen.«

Mo gab ihr seine Visitenkarte. »Ich fliege zurück nach L.A. und verkaufe dem Sender da dieses Doku-Format. Aber es funktioniert nicht ohne Hattie. Und dich. Könntest du nicht noch mal mit ihr sprechen? Sie überzeugen, dass es eine Möglichkeit wäre, das Steuer herumzureißen? Wenn nicht für sich selbst, dann für Tug?«

»Du hast noch nicht erzählt, was für eine Doku das genau werden soll«, sagte Cass.

»Sie soll Die Retter von Savannah heißen«, erklärte Mo. »Es geht um den Erhalt von Bausubstanz, und wie wichtig es für eine Gemeinde und ihre Geschichte ist, diese alten Häuser zu bewahren. Wir würden zeigen, wie Hattie, du und eure Leute sich eine Bauruine wie diese hier vornehmen und wieder zum Leben erwecken.«

Cass drehte sich um und zeigte auf den Altbau. »Aber nicht dieses Haus?«

»Nein«, entgegnete Mo knapp. »Das Format ist: finden, verschönern, verscheuern. Dieses Projekt ist schon zu weit fortgeschritten. Und ehrlich gesagt sieht es aus, als seien hier Fehler gemacht worden.«

»Ich habe es nie gemocht«, murmelte Cass.

»Warum nicht?«

»Ist zu groß. Das ist nicht unser Stil. Bisher haben wir immer kleinere Häuser gemacht.« Sie winkte ab. »Mir war einfach der Einsatz zu hoch. Zocken bedeutet für mich, an der Tankstelle ein Rubbellos für fünf Dollar zu kaufen. Ich konnte es nicht fassen, als Hattie unbedingt dieses Haus haben wollte. Tug war auch nicht begeistert.«

»Warum hat sie es dann durchgezogen?«

»Sie hat ihr Herz drangehängt«, antwortete Cass. »Irgendwann überzeugte sie Tug, dass es ein gutes Geschäft wäre. Ich meine, sie hat es zu einem guten Preis bekommen, das schon, aber inzwischen kennen wir auch den Grund. Dach kaputt, Rohre kaputt, Wasserschäden. Egal, welche Baumängel es gibt, diese Ruine hat sie alle.«

Mo ließ den Gedanken sacken. Falls – nein, wenn – die Dreharbeiteten starteten, bräuchten sie ein kleineres Haus, eines, mit dem sich Zuschauer wie Cass Pelletier eher identifizieren konnten. Ein paar Probleme bei einem Haus waren in Ordnung, sogar von Vorteil, weil es zeigte, dass selbst Fachleute sich irren konnten, wenn sie vor Herausforderungen gestellt wurden. Doch für die erste Staffel bräuchten sie ein Haus, das ein Selbstläufer war.

Er sah auf die Uhr. In einer Viertelstunde würde er abgeholt und zum Flughafen gebracht. »Sprichst du mit Hattie? Überrede sie, dass ihr diese Sendung echt machen müsst!«

»Ich kann’s versuchen.«

 

Als Mo in den kleinen Empfangsbereich trat, war Asha am Telefonieren, ihr Blick huschte zur geschlossenen Tür von Rebeccas Büro hinüber. Sie hielt die Sprechmuschel zu. »Achtung! Sie hat schlechte Laune.«

»Was ist denn los?«

Asha schüttelte den Kopf. »Ich soll dir ausrichten, dass sie nur eine Viertelstunde Zeit hat. Eigentlich sollte ich euren Termin sogar canceln, aber ich habe sie überredet, dich noch dazwischenzuquetschen. Nicht dass ich das noch bereue!«

»Danke für die Warnung.«

Rebecca lief durch ihr Büro und telefonierte über Lautsprecher.

»Nein, jetzt hörst du mir zu! Das geht nicht. Ein beschissener Baustopp im Überschwemmungsgebiet geht mir so was von am Arsch vorbei! Ruf beim Amt an, Mensch! Sag denen, wenn du keine Genehmigung kriegst, musst du das gesamte Projekt einstellen. Dauerhaft. Mach denen klar, was auf dem Spiel steht. Kümmer dich darum, Byron! Sonst such ich mir jemanden, der das kann.«

Mo zog einen Stuhl an Rebeccas Schreibtisch, ein elegantes, weiß lackiertes Art-Déco-Möbelstück, auf dessen Sitzfläche sich unüblicherweise Aktenordner, Unterlagen, leere Wasserflaschen und halbleere Behälter vom Lieferdienst türmten.

Rebecca legte auf, ohne stehen zu bleiben.

»Arschlöcher«, brummte sie, ging zu ihrem Platz und setzte sich. »Überall nichts als Arschlöcher und Stümper.«

»Was ist denn los?«

»Das gesamte Mittwochabendprogramm löst sich gerade in Luft auf.«

Die Tür zum Vorzimmer öffnete sich, und Asha kam mit einem Tablett aus Acrylglas herein, auf dem zwei Tassen Espresso standen. Sie setzte es auf der Konsole hinter dem Schreibtisch ab und verdrückte sich schnell wieder. Bevor sie die Tür schloss, warf sie Mo noch einen verständnisvollen Blick zu.

»Mittwochabend?« Mo runzelte verwirrt die Stirn. »Da läuft doch immer, warte, Bauen in Bridgehampton und Handwerkertraum, oder? Und dann Küstenglück. Ich dachte, du hattest gestern einen Termin mit Krystee und Wills Leuten. Drinks und Sushi?«

»Ich hatte gerade Byron von Bridgehampton am Telefon. Er sagt, das County erteilt keine Baugenehmigung für die Badelandschaft. Irgendwer in der Nachbarschaft hat ihn bei der Bauaufsicht angeschwärzt, und die haben die Bauarbeiten komplett eingestellt.«

»Das ist mies«, heuchelte Mo Verständnis. Hinter der Sendung Bauen in Bridgehampton stand Byron Atkinsons Firma B-Reel Productions. Normalerweise verfügte er über die magische Fähigkeit, Formate zu erfinden, die Rebecca begeisterten.

»Das Schlimmste weißt du ja noch gar nicht«, gab sie zurück, trank einen Schluck Espresso und legte eine Pause ein, um die Dramatik zu steigern.

»Krystee ist schwanger. Mit Zwillingen!«

»Ist doch super, oder? Nach dem ganzen Unfruchtbarkeitsdrama in der letzten Staffel? Zwillinge sind doch super für die Einschaltquoten. Nicht dass sie das nötig hätten.«

»Ja, theoretisch. Nur hat Krystees bescheuerter Arzt ihr sofortige Bettruhe verordnet. Sie ist erst in der zehnten Woche! Alan und Shayla wollten mir das lieber persönlich sagen. Sie haben die gesamte Sendung auf Eis gelegt.«

»Echt? Wie furchtbar. Könnte man nicht einfach für den Rest der Staffel Will hinstellen und ein paar Szenen mit Krystee drehen, wenn sie mit ihm am Telefon über das Haus spricht?«

»Schön wär’s«, sagte Rebecca. »Aber jetzt mal ehrlich: Will hat so viel Ausstrahlung wie verkochter Rosenkohl. Wir wissen alle, dass der Glamour bei Küstenglück von Krystee kommt. Unsere Zuschauer wollen nicht sehen, wie sie mit geschwollenen Beinen rumläuft, Schwangerschaftsvitamine einwirft und Babystrümpfe strickt.«

»Und was hast du jetzt vor?«, fragte Mo. »Wiederholungen?«

»Nur im äußersten Notfall«, sagte Rebecca. »Wir brauchen frischen Content, und zwar jetzt. Ich bin noch mal ein paar Vorschläge durchgegangen, die wir in der Entwicklung hatten …«

»Was ist mit meiner neuen Idee?«, warf Mo ein. »Becc, ich schwöre dir, du wirst begeistert sein. Komm, ich zeig’s dir mal.«

»Ich habe deine Mail bekommen. Die Retter von Savannah?« Sie zog die Nase kraus. »Klingt nicht besonders sexy. Klingt eher nach Oma.«

Mo holte sein Handy heraus und wischte durch die Fotos, bis er zu den Aufnahmen kam, die er heimlich von Hattie Kavanaugh im Café gemacht hatte, zusammen mit denen von Hattie und Cass vor dem Haus in der Tattnall Street. Er reichte Rebecca sein Handy. »Sieht die für dich nach Oma aus?«

Er hatte Hattie beim Reden geknipst. Ihr Haar wurde von einem Bandana zurückgehalten, ihre Wangen waren mit Sommersprossen übersät. Soweit Mo das beurteilen konnte, trug sie keinerlei Make-up, doch in ihren grünbraunen Augen schien ein besonderes Licht zu schimmern. Sie hatte nicht den Glamour von Krystee Brandstetter, die selbst mit Schutzhelm und Schutzbrille noch sexy aussah, auch nicht die Exotik von Hayden Horowitz, die glamouröse Immobilienmaklerin, die Bauen in Bridgehampton präsentierte, doch für Mo war Hattie ein Verkaufsargument.

»Niedlich.« Rebecca gab ihm sein Handy zurück.

»Guck sie dir noch mal an, Becc«, beharrte Mo und wischte zum nächsten Bild von Hattie weiter, das sie beim Einsteigen in ihren Pick-up zeigte. »Diese Frau hat wirklich was. Sie ist absolut unverstellt, hat nichts Künstliches an sich. Und sie ist willensstark. Geht keiner Herausforderung aus dem Weg. Das Publikum wird sie lieben. Die Frauen wollen so sein wie sie, die Männer wollen ihr an die Wäsche. Außerdem hat sie einen Südstaatenakzent, keinen sehr starken, schweren wie Zuckersirup, sondern eher wie eine Reiseführerin im Museum. Etwas feiner. Gebildeter.«

Rebecca ging die übrigen Fotos durch und verharrte etwas länger bei dem Haus in der Tattnall Street. »Ist das das Haus, das sie renoviert? Das ist ja furchtbar.«

»Das ist das Projekt, mit dem sie bald fertig ist.« Mo nahm sein Handy zurück. »Wir würden die Reihe natürlich mit einem neuen Haus anfangen. Etwas Kleineres, besser Vermittelbares.«

»Was ist ihre Story?«, fragte Rebecca. »Ich meine, wer ist sie? Wie hast du sie gefunden?«

»Ich habe in einem Laden in der Nähe meines Hotels gefrühstückt. Sie war auch da und sprach mit ihrem Schwiegervater über dieses Haus, an dem sie arbeiten. Ich bin hellhörig geworden, dann bin ich so lange rumgefahren, bis ich das Haus gefunden habe. Und die Frau.«

Er verschwieg, dass er durch ihren Küchenboden gesackt war.

Wieder rümpfte Rebecca die Nase. »Das heißt, sie ist verheiratet? Ich will nicht noch so eine Situation wie bei Krystee und Will.«

»Nicht verheiratet. Witwe«, erwiderte Mo. »Und wie ihre beste Freundin sagt, hat sie ihre Jugendliebe geheiratet. Der Mann starb aber vor ein paar Jahren bei einem Motorradunfall.«

»Eine Witwe. Hm. Gar nicht so schlecht. Tapfere junge Frau … die alte Häuser renoviert. Das ist eine Ausgangslage, an der unsere Zuschauer Anteil nehmen könnten.«

»Ja, oder?«

Rebecca tippte auf Mos Handy. »Wer ist die Frau, mit der sie da vor dem Haus steht?«

»Ihre beste Freundin, gleichzeitig ihre Vorarbeiterin.«

»Find ich gut«, sagte Rebecca. »Eine Schwarze, also haben wir direkt Diversität drin. Tony fände das auf jeden Fall gut.«

Mo holte den iPad aus seiner Kuriertasche, öffnete das Dokument mit der Präsentation von Die Retter von Savannah, und reichte Rebecca das Gerät.

»Der eigentliche Star des Formats ist Savannah«, erklärte er. »Die Stadt hat so eine dichte Atmosphäre! Und durch die Kunststudenten gibt es hier eine unglaublich viel kreative Energie. Da schlummern massenweise Talente, und wo man auch hinguckt, dreht irgendein Kamerateam gerade einen Film oder ein Fernsehprojekt.«

»In Georgia sind die Gewerkschaften zum Glück nicht so mächtig.« Rebecca klopfte mit dem Stift auf ihren Schreibtisch. »Das heißt, supergünstige Arbeitskosten, außerdem bietet der Staat Filmemachern besondere Steueranreize.«

»Das wäre mein nächster Punkt gewesen«, sagte Mo. Er spürte, wie sich Rebeccas Laune besserte. Sie hatte angebissen, hing am Haken.

Erneut hatte sie das Foto von Hattie aufgerufen, ihr Stift klopfte Stakkato.

»Was meinst du?«, fragte Mo.

»Ich brauche natürlich einen Teaser, damit wir sehen können, ob die Frau geradeaus laufen kann und drei Sätze auf die Reihe kriegt. Und ein Haus, das sie für die erste Staffel renovieren kann.«

»Überhaupt kein Problem«, log Mo. »Wie schnell?«

»Sofort.« Rebecca reichte ihm sein iPad zurück. »Küstenglück legt eine Pause ein. Das heißt, wenn du deine kleine Savannah-Sendung zusammenbekommst, könnte sie im Herbst auf den Sendeplatz gehen.«

Mo bekam einen trockenen Mund. »Aber … wir haben Mai.«

»Ist mir bekannt«, sagte Rebecca. Sie griff zu einer Mappe und blätterte darin herum. »Byron hat mir gestern Abend das hier geschickt. Irgendwie wusste er schon von Krystee und Will. Ist unheimlich, dass er immer weiß, was in dieser Stadt los ist. Natürlich hat er zufälligerweise auch direkt ein neues Format in der Entwicklung.«

»Klar hat er das«, sagte Mo. »Nur so aus Interesse: Was für einen Low-Budget-Scheiß will er dir diesmal andrehen?«

Rebecca hob eine Augenbraue. »Neid steht dir überhaupt nicht, Mo. Eigentlich etwas sehr Spannendes. Jede Woche bringt er einen aufstrebenden jungen Designer mit Kunden zusammen, die gerade eine üble Scheidung hinter sich haben, und gestaltet deren Schlafzimmer neu. Mein Bett, dein Bett. Ist das nicht herrlich?«

»Hört sich nicht schlecht an«, gestand Mo.

Rebecca warf die Mappe auf den Schreibtisch. »Ich habe ihm gesagt, ich denke drüber nach. So. Wann hast du den Teaser für mich fertig? Tony sitzt mir schon im Nacken wegen Ersatz für Krystee und Will.«

Mo holte tief Luft. »Ich brauche ein paar Wochen.«

Die Tür ging auf, Asha kam herein. »Rebecca? Dein Taxi ist da.«

Rebecca sprang auf und griff zu ihrer Jacke. »Wir sprechen uns. Ciao, Mo!«

5.

Hattie lässt ausreden

Ribsy wartete an der Tür des Bungalows. Hattie ließ sich auf einen Adirondack-Stuhl auf der Veranda fallen. Hank hatte ihr den selbst gebauten Stuhl zum Geburtstag geschenkt, nachdem sie ihm Bilder auf Pinterest gezeigt hatte.

Es war nur ein Stuhl. Die Teile für den zweiten hatte Hank bereits zurechtgeschnitten und auf der Werkbank in der Garage zusammengelegt. Nachdem er den ganzen Tag an einem Haus auf der Isle of Hope gearbeitet hatte, hatte er nach dem Essen an einem schwülwarmen Augustabend beschlossen, mit seiner alten Kawasaki noch eine Runde zu drehen. Der Kunde war ein reicher Rechtsanwalt, jeden Morgen erwartete Hank auf der Baustelle dessen Frau mit einer frustrierend langen Liste von Änderungswünschen.

Hattie stand in der Küche an der Spüle und wusch das Geschirr vom Abendessen ab, als Hank mit seinem Helm unterm Arm hereinkam. »Ich mach noch eine kleine Spritztour nach Tybee«, hatte er gesagt. »Guck mir vielleicht den Sonnenuntergang über dem Back River an.«

»Lass uns zusammen fahren«, schlug Hattie vor. »Ich erledige schnell den Abwasch, dann …«

»Nee. Ich will nur mal kurz den Wind im Gesicht haben. Bin in einer Stunde zurück.« Er hatte sie auf die Wange geküsst. Und dann war er weg. Die Einzelteile des zweiten Adirondack-Stuhls lagen bis heute so auf der Werkbank, wie er sie zurückgelassen hatte, nur mit Spinnweben überzogen.

 

Hattie zog die Schnürbänder ihrer Stiefel auf und streifte sich die Socken von den Füßen. Eine frühabendliche Ruhe breitete sich über die Straße. Hattie griff nach hinten, löste ihren BH und wand sich mit den Armen heraus, um ihn unter ihrem schmutzigen T-Shirt hervorzuziehen. Sie ließ ihn auf die verwitterten Holzbohlen fallen, streckte die Beine aus und lehnte sich auf dem Stuhl zurück.

Ribsy setzte sich neben sie und legte die Schnauze auf ihren Schoß. Sie kraulte seine seidigen Ohren und hörte, wie sein fedriger Schwanz freudig auf den Holzboden klopfte. In den endlosen, furchtbaren Monaten nach Hanks Tod hatte Cass darauf bestanden, dass Hattie etwas brauchte, um das sie sich kümmern konnte. Eines Tages hatte ihre Freundin mit einem wuseligen braun-weißen Fellknäuel auf dem Arm vor Hatties Tür gestanden. Ein Pfund Hund, hatte sie gesagt.

»Der gehört jetzt dir«, hatte Cass kurzerhand verkündet. »Wurde beschlagnahmt. Hab ihn schon impfen lassen, du kannst ihn also nicht zurückbringen.«

Hattie schloss die Augen und zwang ihren Körper zu entspannen. Doch es war, als verkrampfte sich jeder Muskel in ihr. Sie schaute zum Hund hinüber, der heruntergesprungen war. Er ahnte nichts von der Situation, in die sie ihn und sich manövriert hatte.

»Ach, Ribsy«, stöhnte sie, halb Seufzer, halb Ausatmen. »Wir sind dermaßen geliefert.«

Einer der Investoren, die Tug kennengelernt hatte, hatte ein Angebot für das Haus in der Tattnall Street abgegeben. Danach wären sie zwar noch nicht aus den roten Zahlen heraus, doch ihr Schwiegervater wollte die finanzielle Belastung unbedingt loswerden. Hattie hatte ihn angefleht zu warten. Nur noch eine Woche. Damit sie die Außenmauern streichen und das Dach fertigmachen konnte, so dass das Haus gepflegt genug aussah, um einen Käufer anzulocken, der so naiv war wie sie und einen Preis zahlte, der näher am Marktwert lag.

»Keinen einzigen Penny mehr.« Tug war unerbittlich geblieben. »Wir verkaufen es so, wie es ist, und schätzen uns glücklich.«

»Glücklich« war kein Wort, das Hattie benutzen würde, um ihre aktuelle finanzielle Situation zu beschreiben. Tug wusste es nicht, aber sie hatte alles, was sie hatte, auf die Tattnall Street gesetzt. Nicht nur ihre Ersparnisse.

Der Kloß in ihrem Magen fühlte sich im Moment wie ein Felsbrocken an. Eventuell würde sie ihr eigenes Haus verlieren, den Bungalow in Thunderbolt, einem ehemaligen Fischerdorf östlich der Stadtgrenze von Savannah. Sie hatte ihn zusammen mit Hank kurz vor der Hochzeit für 32000 Dollar aus der Zwangsvollstreckung einer Bank gekauft. In etwas mehr als zwei Jahren hatten sie das Haus mit Hilfe von übrig gebliebenem Holz und anderen Materialien, das auf den Baustellen abfiel, auf Vordermann gebracht. Nachts hatten sie auf Paletten geschlafen und in jeder freien Minute am Haus gearbeitet. Die Hypothek hatte Hattie mit dem Versicherungsgeld von Hanks Unfall abbezahlt.

Sie wusste, dass er es so gewollt hätte. Doch sie hatte nicht die Zeit, redete sie sich zumindest ein, all die Projekte zu Ende zu bringen, die sie gemeinsam angefangen hatten. Die Holzschindeln an der Fassade trugen ein Dutzend unterschiedliche Farbschichten, weil Hattie sich nicht für einen Farbton entscheiden konnte. Die Arbeitsflächen in der Küche waren noch aus Sperrholz, obwohl der Granit dafür hinten in ihrem Garten lag. Und das Holz für das zweite Badezimmer, das sie hatten einbauen wollen, stapelte sich jetzt seit sieben Jahren in der Einfahrt.

Hattie starrte auf die Straße, Tränen ließen ihren Blick verschwimmen. Im Laufe der letzten Jahre war ein Haus nach dem anderen in diesem Block aufgekauft und renoviert worden. Als Hank den verfallenen Bungalow hinter riesigen Azaleenbüschen auf der Bonaventure Road entdeckt hatte, war sie entsetzt gewesen. Der Verkäufer hatte dort einen ungenehmigten Tattoo-Shop geführt und die Zimmer wöchentlich vermietet.

Was würde Hank von dem Tohuwabohu halten, in das sie sich manövriert hatte? Von der realen Möglichkeit, dass sie ihr gemeinsames Haus verlor, weil Hattie sich, wie er sich ausgedrückt hätte, »zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte«?

Die Straßenlaternen sprangen an. Es war Zeit, ins Haus zu gehen, zu duschen und etwas zu essen. Wenn Hattie in der Wanne mit den Löwenfüßen stand, die sie aus dem Sperrmüll im Garten gerettet hatten, und das kalte Wasser über ihren Körper lief, würde ihr vielleicht eine Lösung für ihre missliche Lage einfallen. Oder sie würde sich einfach die Haare waschen, saubere Sachen anziehen und ins Bett fallen. Vielleicht würde sie dann endlich ein bisschen Schlaf bekommen.

Sie schielte zum Hund hinüber und kraulte ihn noch mal an den Ohren. »Komm, Junge«, sagte sie leise. »Gehen wir rein.«

 

»Hattie?« Cass räusperte sich.

Sie saßen an ihrem Stammtisch im Foxy Loxy.

»Hm?« Hattie kritzelte Zahlen auf einen Block, strich sie durch, schaute auf ihr Handy und las neue Textnachrichten.

Vorsichtig nahm Cass ihr das Handy aus der Hand.

»Hey! Ich bin hier gerade beschäftigt. Ich habe vielleicht einen Käufer für die ganzen Küchenschränke.«

»Super. Aber der kann kurz warten. Ich muss mit dir über etwas reden. Dazu brauche ich deine volle Aufmerksamkeit.«

»Bitte nicht noch mehr schlechte Nachrichten! Im Moment ertrage ich wirklich nichts mehr.«

»Das ist keine schlechte Nachricht. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, es ist eine Möglichkeit, wie wir ganz geschmeidig aus der Nummer mit der Tattnall Street rauskommen. Aber du musst mir versprechen, mich ausreden zu lassen.«

»O-kay …« Hattie lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Schieß los.«

»Es geht um den Fernsehproduzenten. Der durch den Küchenboden gefallen ist.«

»Mauricio?« Hattie ließ den Namen noch mal über ihre Zunge gleiten. »Mo-ri-ßi-o? Ich bitte dich! Als würde ich so einem Kerl glauben, der einfach reinkommt und mir erzählt, er würde mich zum Star machen.«

»Nein, hör zu.« Cass schob ihren Teller mit dem Muffin-Rest beiseite und legte ihr eigenes Handy auf den Tisch. »Ich habe ihn gecheckt. Im Internet gibt es eine Website, IMDb, die Internet Movie Database. Da steht alles über jeden drin, der auch nur entfernt mit dem Showgeschäft zu tun hat. Mauricio Lopez ist kein Fake. Er hat eine Firma, Toolbox Productions, die schon jede Menge Fernsehsendungen produziert hat. Guck hier!« Cass tippte auf das Display und las die Titel vor.

»Fresnos fleißige Handwerker. Unser Traumhaus am Meer und das mit der Werkstatt, das habe ich gesehen.«

»Ich kann mich an