Ein Geschenk für Mami - Elisabeth Swoboda - E-Book

Ein Geschenk für Mami E-Book

Elisabeth Swoboda

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Ist es ein genauso großer Wald wie zu Hause? Wachsen Glockenblumen dort? Werden wir immer dort bleiben?« Diese Fragen prasselten auf Ilse Edlinger, die vor dem Bahnhof in Maibach stand und nicht weiterwusste, hernieder. Während der Bahnfahrt von Mannheim nach Maibach waren ihr von ihrer vierjährigen Tochter Emmi die ganze Zeit über diese und ähnliche Fragen gestellt worden, und sie hatte sie stets geduldig beantwortet. Jetzt aber war sie zu nervös, um darauf einzugehen. »Bitte, Emmi, sei wenigstens fünf Minuten still und lass mich überlegen«, ersuchte sie ihre Tochter. »Hier müsste es doch einen Taxistandplatz geben. Als ich das letzte Mal hier war, standen mindestens drei Taxis herum. Ich werde mich erkundigen. Bleib hier neben dem Koffer stehen, und rühr dich nicht vom Fleck. Ich bin gleich wieder da. Ich gehe nur zurück in den Bahnhof und frage, wo ich ein Taxi finde.« »Ich gehe mit«, sagte Emmi sofort. Seufzend bückte sich Ilse und hob den schweren Koffer, den sie auf dem Gehsteig abgestellt hatte, wieder auf. Emmi trippelte neben ihr her, ihre Lieblingspuppe fest an sich gepresst. Vom Schalterbeamten erfuhr Ilse, dass sich der Taxistandplatz noch immer am gleichen Ort befand, dass aber die Taxis wahrscheinlich alle unterwegs waren. »Sie müssten eben eine Weile warten«

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Sophienlust Bestseller – 115 –

Ein Geschenk für Mami

Elisabeth Swoboda

»Ist es ein genauso großer Wald wie zu Hause? Wachsen Glockenblumen dort? Werden wir immer dort bleiben?« Diese Fragen prasselten auf Ilse Edlinger, die vor dem Bahnhof in Maibach stand und nicht weiterwusste, hernieder. Während der Bahnfahrt von Mannheim nach Maibach waren ihr von ihrer vierjährigen Tochter Emmi die ganze Zeit über diese und ähnliche Fragen gestellt worden, und sie hatte sie stets geduldig beantwortet. Jetzt aber war sie zu nervös, um darauf einzugehen.

»Bitte, Emmi, sei wenigstens fünf Minuten still und lass mich überlegen«, ersuchte sie ihre Tochter. »Hier müsste es doch einen Taxistandplatz geben. Als ich das letzte Mal hier war, standen mindestens drei Taxis herum. Ich werde mich erkundigen. Bleib hier neben dem Koffer stehen, und rühr dich nicht vom Fleck. Ich bin gleich wieder da. Ich gehe nur zurück in den Bahnhof und frage, wo ich ein Taxi finde.«

»Ich gehe mit«, sagte Emmi sofort.

Seufzend bückte sich Ilse und hob den schweren Koffer, den sie auf dem Gehsteig abgestellt hatte, wieder auf. Emmi trippelte neben ihr her, ihre Lieblingspuppe fest an sich gepresst.

Vom Schalterbeamten erfuhr Ilse, dass sich der Taxistandplatz noch immer am gleichen Ort befand, dass aber die Taxis wahrscheinlich alle unterwegs waren. »Sie müssten eben eine Weile warten«, meinte der Mann.

»Soviel ich weiß, fährt auch ein Bus nach Wildmoos«, sagte Ilse.

»Ja, die Haltestelle ist gleich vor dem Bahnhof«, erwiderte der Schalterbeamte. Mit einem Blick auf die Uhr fügte er hinzu: »In fünf Minuten fährt ein Bus ab.«

»Gut, dann fahren wir mit dem Bus«, beschloss Ilse und schob ihre Tochter wieder ins Freie. Dort stand auch wirklich ein Bus mit dem Schild »Wildmoos-Bachenau-Rimstein«.

»Das ist er«, sagte Ilse aufatmend. »Wir wollen gleich einsteigen.«

Emmi kletterte in den Bus. Ilse hob den Koffer hinein und stöhnte dabei ein wenig. Dann löste sie einen Fahrschein bis zum Gasthof »Grüner Krug« in Wildmoos und setzte sich neben ihre Tochter, die längst einen Sitz erklommen hatte und ihr Näschen an der Fensterscheibe platt drückte.

»Ist es noch weit?«, piepste Emmi.

»Nein«, erwiderte Ilse einsilbig. Sie fühlte, dass ihr die Schweißtropfen auf der Stirn standen. Der Koffer war zwar schwer, aber sie hatte ihn nicht weit tragen müssen. Trotzdem war sie so erschöpft, als habe sie den Koffer nicht ein paar Meter, sondern Kilometer geschleppt. Unerklärlicherweise hatte sie den Drang, ununterbrochen zu gähnen.

»Bist du müde, Mutti?«, fragte Emmi.

»Ja.« Ilse nickte. »Ich war gestern lange auf, weil ich bügeln und den Koffer packen musste. Dann habe ich noch schnell die Wohnung in Ordnung gebracht. Ich bin erst nach zwölf ins Bett gekommen.«

Ilse gab diese Erklärung mehr sich selbst, um sich zu beruhigen. Sie hatte sich monatelang auf diesen Urlaub gefreut. Endlich würde sie wieder den ganzen Tag über mit ihrem Kind beisammen sein können. Seit sie den Posten in einer Spedition in Mannheim angenommen und einen Platz in einem Kindergarten für Emmi gefunden hatte, gab es für sie nur wenige Stunden täglich, die sie ihrer Tochter widmen konnte. Sie bedauerte diesen Zustand, musste aber sowohl für den Arbeitsplatz als auch für den Kindergartenplatz dankbar sein. Für eine siebenundzwanzigjährige Frau, die auf keine nennenswerte Hilfe von seiten ihrer Verwandtschaft rechnen konnte, war es nicht leicht, so für ein Kleinkind zu sorgen, dass diesem nichts abging. Aber nun, im Urlaub, wollte Ilse ganz für ihr Kind da sein. Wenn nur …, wenn sie sich nur ein wenig besser fühlen würde!

Ilse schob den Gedanken an eine Erkrankung weit von sich. Das durfte einfach nicht sein. Weder jetzt noch überhaupt. Das Kranksein war ihr einfach nicht erlaubt.

Gewaltsam riss sich die junge Frau zusammen. Sie legte einen Arm um ihr Töchterchen, das sich sofort zärtlich an sie kuschelte.

»Na, gefällt dir die Gegend?«, fragte Ilse mit einer Heiterkeit, zu der sie sich zwingen musste.

»Ja. Warst du schon oft hier?«

»Oft nicht. Nur zweimal – als ich selbst noch ein Kind war«, erwiderte Ilse. »Mit meinen Eltern und meiner Schwester, deiner Tante Margot. Damals hatten wir ein kleines Häuschen in der Nähe des Waldsees gemietet. Es waren sehr lustige Ferien.« Ilse seufzte in der Erinnerung daran. Damals war sie jung und unbeschwert gewesen. Keinerlei Ängste hatten ihre Ferienstimmung getrübt. Eine eventuelle Krankheit war ihr damals nicht in den Sinn gekommen. Nein, sie durfte auch jetzt nicht an eine derartige Möglichkeit denken. Sie war völlig gesund, nur ein bisschen müde.

»Werden wir auch ein Häuschen am Waldsee mieten?«, erkundigte sich Emmi.

»Nein. Wir werden uns ein Zimmer in einem Gasthaus nehmen. Ich habe an den ›Grünen Krug‹ gedacht. Das ist für uns günstiger. Ein Häuschen für uns beide würde sich nicht auszahlen.«

»Wenn Vati bei uns wäre …«

»Vati ist aber nicht bei uns«, unterbrach Ilse ihre Tochter schroff. Emmis Gesichtsausdruck entnahm sie gleich darauf, dass sie das Kind erschreckt hatte. Deshalb sagte sie einlenkend: »Wir beide werden es zusammen sehr schön haben. Wir …, wir brauchen doch sonst niemanden. Wir werden spazieren gehen, Pilze sammeln und, falls es warm genug ist, vielleicht sogar noch im Waldsee baden. Ich habe jedenfalls unsere Badeanzüge und deinen Wasserball mit eingepackt. Oh, und noch etwas habe ich für dich eingepackt, etwas Neues. Aber was es ist, verrate ich jetzt noch nicht.«

Diese Taktik hatte den gewünschten Erfolg. Emmi vergaß ihren Vater. Sie brannte darauf herauszubekommen, was ihre Mutter für sie eingepackt hatte.

»Sei nicht so neugierig«, verwies Ilse sie. »In ein paar Minuten sind wir in Wildmoos. Dann dauert es nicht mehr lange, und du kannst mir beim Auspacken des Koffers helfen. Bis dahin musst du noch warten.«

»Ich will aber nicht warten. Ich möchte es jetzt wissen. Ist es etwas zum Spielen? Oder etwas zum Essen? Oder kann man es anziehen?«

»Es ist etwas zum Spielen«, deutete Ilse an.

»Zum Spielen! Eine Schaukel vielleicht?«, fragte Emmi hoffnungsvoll, denn ein solches Gerät wünschte sie sich schon seit einem Jahr.

»Nein, keine Schaukel«, entgegnete Ilse niedergeschlagen, denn sie wusste natürlich von diesem Wunsch, sah sich aber nicht in der Lage, ihn zu erfüllen. »Wie stellst du dir das vor?«, fuhr sie fort. »Ich habe dir schon oft erklärt, dass man dazu einen Ständer braucht. Wie hätte ich den im Koffer unterbringen können? Nicht einmal in unserer Wohnung wäre dafür Platz.«

»Aber früher …«

»Es ist ein neuer roter Sandeimer mit einem gelben Sieb, einer Schaufel und einem Rechen und vielen Formen«, sagte Ilse rasch, noch bevor Emmi von früher sprechen konnte. »Freust du dich wenigstens ein bisschen darüber?«

»O ja!«, rief Emmi und drückte ihrer Mutter impulsiv einen Kuss auf die Wange. »Du bist ganz heiß im Gesicht«, stellte sie dabei fest.

»Das kommt davon, dass heute so ein warmer Tag ist«, sagte Ilse, und Emmi war noch zu klein und unerfahren, um diese Auskunft in Zweifel zu ziehen.

Mittlerweile waren sie vor dem »Grünen Krug« angelangt. Ein älterer Mann, der ebenfalls an dieser Haltestelle ausstieg, war Ilse behilflich. Er trug ihren Koffer zu dem Gasthof, und Ilse war ihm für diese Hilfe sehr dankbar. Gleichzeitig ärgerte sie sich jedoch über sich selbst. Gar so schwer war ihr Gepäck nicht. Normalerweise hätte sie ohne weiteres imstande sein müssen, es selbst zu tragen. Glücklicherweise war im »Grünen Krug« ein hübsches Zimmer frei, das Emmi sofort gefiel. »Schau, Mutti, was für lustige Decken und Polster! Kariert, und dazwischen rote Blumen«, meinte sie beifällig.

Ilse war das Muster des Bettzeugs gleichgültig. Inzwischen war sie so weit, dass sie jedes Zimmer genommen hätte. Sie hatte nur den einen Wunsch: sich hinzulegen und zu schlafen.

Dem Wirt fiel das erschöpfte Aussehen der jungen Frau auf. Erkundigte sich teilnahmsvoll: »Die Fahrt war wohl sehr lang und beschwerlich.«

»Ja, schrecklich lang«, erwiderte Emmi, noch bevor ihre Mutter zu Wort kommen konnte.

»Da werden Sie gewiss hungrig sein«, schloss der Wirt. »Was wünschen Sie zu essen?« Danach zählte er das ziemlich reichhaltige Repertoire seiner Küche auf.

Ilse schüttelte jedoch den Kopf. »Später«, murmelte sie. »Wenn wir ausgepackt haben.«

Sie zwang sich dann auch dazu, mit Emmi in die Gaststube hinunterzugehen und eine Bestellung aufzugeben. Doch als ein Teller mit dampfender Suppe vor ihr stand, stieg Übelkeit in ihr auf. Sie versuchte, von der Suppe zu kosten, aber es war ihr unmöglich.

»Schmeckt dir die Suppe nicht?«, fragte Emmi und fügte sogleich hinzu: »Mir schon.«

»Das ist fein«, erwiderte Ilse. »Iss nur brav.«

»Und du?«

»Ich fürchte, ich habe mir den Magen verdorben. Ja, das wird es sein. Morgen ist bestimmt wieder alles in Ordnung.«

An diese Hoffnung klammerte sich Ilse auch noch, als sie abends im Bett lag. Sie war mit ihrer Tochter zeitig schlafen gegangen. Emmi hatte ein wenig protestiert. Sie hätte gern noch einen kleinen Spaziergang gemacht und die Umgebung erkundet, aber da sie ein folgsames Kind war, hatte Ilse keine besonderen Schwierigkeiten mit ihr gehabt. Emmi hatte sich mit der kariert-geblümten Decke zudecken lassen, und bald darauf waren ihr die Augen zugefallen. Die ruhigen und gleichmäßigen Atemzüge hatten ihrer Mutter verraten, dass sie fest eingeschlafen war.

Ilse bemühte sich vergeblich, es ihrer Tochter gleichzutun. Sie wälzte sich unruhig hin und her. Zuerst gab sie dem ungewohnten und ein wenig zu weichen Bett die Schuld daran. Aber als zu dem Gefühl des Unbehagens und der Abgespanntheit auch noch rasende Kopfschmerzen kamen, musste sie sich eingestehen, dass sie ernstlich krank war. Irgend etwas schien in ihrem Kopf zu rotieren und ständig größer zu werden.

Ilse warf sich stöhnend herum, bis sie endlich in einem unruhigen Schlummer sank. Mitten in der Nacht erwachte sie dann schweißgebadet. Die Kopfschmerzen hatten nicht nachgelassen, sondern waren im Gegenteil noch ärger geworden. Außerdem konnte sie jetzt nicht länger daran zweifeln, dass sie Fieber hatte. Doch sie war viel zu erschlagen, um ihre Temperatur zu messen, aber eine Tablette wollte sie auf alle Fälle nehmen.

Schon die Handbewegung, mit der sie die Nachttischlampe anknipste, bedeutete eine unendliche Anstrengung für die junge Frau. Ihre Augen brannten und tränten in dem ohnehin nicht besonders hellen Licht. Mühsam richtete sie sich auf. Dabei wurde es ihr schwarz vor den Augen, aber sie schaffte dann doch den kurzen Weg bis zum Schrank. Im obersten Fach, für Emmi unerreichbar, hatte sie ihre kleine Reiseapotheke verstaut. Mit zitternden Händen suchte sie das Kopfwehmittel hervor. Doch das Röhrchen entglitt ihr und fiel zu Boden. Ächzend bückte sie sich und suchte danach. Ihr Herz hämmerte, und ihr Kopf schien jeden Augenblick zerspringen zu wollen.

Endlich hatte Ilse das Röhrchen ertastet. Sie hob es auf und wankte damit zum Waschbecken. Dort öffnete sie das Röhrchen und schüttelte zwei Tabletten heraus.

Dann ergab sich ein neues Problem. Ihr Mund war wie ausgedörrt. Ohne Wasser konnte sie das Medikament nicht schlucken. Aber ihre Hände bebten so stark, dass sie kaum das Glas halten konnte. Sie verschüttete mehr, als sie trank. Aber das Bewusstsein, dass sie es geschafft hatte, die Tabletten zu sich zu nehmen, gab ihr neuen Auftrieb.

Das wird mir helfen, dachte sie, als sie wieder im Bett lag und das Licht abgedreht hatte. Morgen bin ich wieder gesund.

*

Emmi erwachte am nächsten Morgen ziemlich zeitig. Sie kroch hinüber in das Bett ihrer Mutter, aber Ilse schlief noch. Ihr Gesicht war gerötet, ihr Atem ging hastig und mühsam, aber dem maß das Kind keine Bedeutung bei. Es beschloss, sich die Zeit bis zum Erwachen ihrer Mutter allein zu vertreiben.

Rücksichtsvoll schlich Emmi auf Zehenspitzen zum Schrank und holte die neue Sandspielgarnitur hervor. Sie hatte zwar im Moment keinen Sand zur Verfügung, aber für ein Kind mit Emmis Fantasie war das kein Hindernis. Die Kleine setzte ihre Puppe, ein durch vieles Frisieren struppig gewordenes Ding mit schwarzen Haaren, behutsam auf ihr Kopfpolster und flüsterte ihr zu: »Wir werden jetzt im Sand spielen, Gitti. Willst du die Schaufel oder den Rechen? – Den Rechen? Gut, nimm den Rechen. Ich nehme die Schaufel. Willst du die rote Schnecke oder den blauen Gugelhupf? Oder den Fisch?« Es störte Emmi nicht im Geringsten, dass von Gitti keine Antwort kam. Sie nahm ihr diese ab und fand das Schöne an dem Spiel war, dass Gitti immer genau das tat, was sie selbst wollte.

Emmi vertiefte sich immer mehr in ihr Spiel. Sie buk imaginäre Sandkuchen. Gitti sah ihr dabei zu und lobte ihre Schöpfungen. Plötzlich gab Emmi der Puppe unabsichtlich einen Stoß, sodass sie das Gleichgewicht verlor, vom Polster purzelte und aus dem Bett fiel. »Arme Gitti!«, rief Emmi laut. »Hast du dir wehgetan?« Sie untersuchte ihre Spielgefährtin, aber Gitti war robust. Sie hatte keinen Schaden genommen.

Doch das Spiel war nun unterbrochen. Emmi war daraus aufgeschreckt. Sie sah sich im Zimmer um. Die Sonne schien nun schon bis zu ihrem Bett. Emmi hatte dadurch das Gefühl, dass es Zeit sei aufzustehen. Draußen war es jetzt auch nicht mehr ruhig. Von der Straße kam der Lärm vereinzelt vorbeifahrender Autos herauf, und vom Flur her hörte Emmi Schritte und Stimmen.

»Mutti, ich glaube, wir müssen aufstehen«, meinte das Kind.

Von Ilse kam keine Antwort.

»Mutti!« Emmi rüttelte ihre Mutter an der Schulter.

Die junge Frau stöhnte auf und murmelte etwas, was Emmi nicht verstand.

»Mutti! Aufwachen!«

Ilse rührte sich nicht.

Emmi wartete eine Weile, dann wiederholte sie ihren Befehl.

Diesmal öffnete ihre Mutter die Augen, aber der Blick, der das Kind traf, war ganz anders als sonst.

»Mutti? Was hast du? Du musst aufstehen!«

Da Ilse die Augen wieder schloss, geriet Emmi in Panik. So klein sie noch war, sie fühlte, dass hier etwas nicht stimmte. Doch sie war ratlos. Ein paar Sekunden lang wusste sie nicht, was sie tun sollte. Aber dann fasste sie einen Entschluss. Sie war ein zutrauliches Kind und hatte bisher mit anderen Menschen nur gute Erfahrungen gemacht. Der Wirt war ihr gestern als ein freundlicher Mann erschienen. Er würde vielleicht wissen, was mit ihrer Mutti los war.

Ohne lang zu zögern, verließ Emmi das Zimmer und machte sich auf die Suche nach dem Wirt.

Im Gastzimmer saßen mehrere Leute beim Frühstück. Die meisten von ihnen sahen bei Emmis Eintritt auf. Das Kind bot in seinem langen himmelblauen Rüschennachthemdchen einen reizenden Anblick. Die schulterlangen blonden Haare und die Stirnponys waren im Augenblick etwas verwirrt, aber das tat Emmis Erscheinung keinen Abbruch. Sie hatte ein rundliches Gesicht mit dunklen Augen, einem entzückenden Stupsnäschen und einem hübschen fein geschnittenen Mund.

»Na, Kleines, bist du hungrig?«, fragte eine jüngere Frau.

Emmi schüttelte den Kopf. »Ich suche den Wirt«, erklärte sie bestimmt.

»Herr Wirt, Sie werden von einer jungen Dame gewünscht!«, rief ein Mann zur Küche hinüber. Alle fassten Emmis Anwesenheit als Spaß auf. Niemand merkte, dass das Kind verstört war.

Der Wirt erschien. Auch er hatte keine Ahnung, was wirklich los war. Erst als Emmi stockend bat: »Bitte, – können Sie nachsehen? Meine Mutti ist so komisch. Sie will nicht aufwachen«, wurde er stutzig. Er entsprach sofort Emmis Bitte und eilte mit raschen Schritten nach oben, sodass Emmi ihm kaum folgen konnte.

Auf dem Weg in den ersten Stock hinauf schloss sich den beiden auch die Wirtin an, nachdem ihr Mann ihr kurz seine Befürchtungen mitgeteilt hatte.

»Die junge Frau ist mir schon gestern merkwürdig vorgekommen«, flüsterte er seiner Frau jetzt zu.

»Sie wirkte völlig erschöpft. Ich hatte angenommen, dass die lange Reise … Aber nun scheint sie ernsthaft erkrankt zu sein.«

Ein Blick auf Ilse Edlinger bestätigte die ärgsten Befürchtungen. Ihr Fieber schien so hoch zu sein, dass sie nicht mehr bei Bewusstsein war.

»Ich werde den Notarzt verständigen. Kümmere du dich um das Kind«, trug der Wirt seiner Frau auf.

Emmi, die aus dem Verhalten der Erwachsenen die Gewissheit gewonnen hatte, dass mit ihrer Mutti etwas nicht stimmte, begann laut zu weinen.

»Pst, Kleines, du darfst nicht weinen«, suchte die Wirtin sie zu beruhigen. »Wie heißt du denn?«

»Emmi. Emmi Edlinger«, schluchzte das Kind.

»Sehr brav. Emmi Edlinger also. Und wo wohnst du?«

»Na, hier doch.«

»Nein, ich meine, wo wohnst du sonst immer?« Die Wirtin stellte diese Fragen, weil sie wusste, dass es notwendig sein würde, jemanden von Emmis Angehörigen zu verständigen, damit das Kind abgeholt wurde.

Leider konnte Emmi keine genaue Auskunft geben. »Sonst wohne ich in einer großen Stadt«, erklärte sie vage.

Die Wirtin wollte sie nicht bedrängen. Sie hoffte, mehr aus dem Kind herausbringen zu können, sobald sich die erste Aufregung gelegt hatte.

Der Rettungswagen kam, und Ilse wurde ins Krankenhaus gebracht. Der Arzt wollte sich nicht festlegen. Er sagte nur, die Kranke müsse erst gründlich untersucht werden, aber dass sie in ernster Gefahr schwebe, daran bestehe kein Zweifel.

Emmi erfasste die volle Tragweite des Geschehens nicht. Sie wollte unbedingt zusammen mit ihrer Mutter zum Krankenhaus fahren und konnte nur mit Mühe zurückgehalten werden. »Wo ist Mutti hingekommen? Ich will zu meiner Mutti«, flüsterte sie immer wieder verstört.

Die Wirtin nahm die Kleine in die Küche und bemühte sich redlich, sie zu beschwichtigen und zu trösten. Viel Erfolg hatte sie damit nicht, vor allem deshalb nicht, weil sie selbst ziemlich ratlos war und nicht wusste, was nun mit dem Kind geschehen sollte.

»Was machen wir mit ihr?«, beriet sie sich im Flüsterton mit ihrem Mann, während Emmi am Küchentisch saß und aus einem Teigrest verschiedene Gebilde formte. »Ich habe zu erfahren versucht, aus welcher Stadt sie stammt, aber sie weiß es nicht. Ihre Mutter hat sicher Bekannte, die wir über die plötzliche Erkrankung informieren könnten, aber wie sollen wir deren Namen herausbekommen?«