Ein öder Ort im leertropfenden Ozean der Zeit ist die Welt ohne dich - Niklaas Manley - E-Book

Ein öder Ort im leertropfenden Ozean der Zeit ist die Welt ohne dich E-Book

Niklaas Manley

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Beschreibung

Hartmut, der Sohn eines Forellenzüchters, und Bernarda, die Tochter des Baron von Hohenfels, lieben sich. Das Rittergut des Barons mit seiner Landwirtschaft und Wäldern steht vor dem Konkurs. So flehen der Baron und seine Frau Bernada an, den Banker Dr. Bodo Dierks zu heiraten, um den Verlust des Gutes abzuwenden. Bernarda lässt sich ihrer Mutter zuliebe auf den Handel ein und heiratet Dr. Dierks.

 

Hartmut verflucht auf der Hochzeitsfeier die Verbindung und flüchtet in seiner Verzweiflung Hals über Kopf aus dem heimatlichen Dorf. Er gerät in Hamburg ins Rotlichtmilieu. Anfangs macht er sich als Einkäufer für die Frauen eines Bordells nützlich, ehe er sich als Dealer verdingt und zum Liebhaber der rauschgiftsüchtigen Lebedame Irene wird. Sonny, ein ehemaliger dem Alkohol verfallener Zuhälter, warnt ihn eines Tages vor einer Razzia des Rauschgift-Dezernat und verschafft ihm einen Platz auf einem indischen Frachter, der am nächsten Tag nach Mumbai auslaufen wird. Der Kapitän des Schiffes lässt Hartmut in Mumbai heimlich an Land bringen und besorgt ihm einen Unterschlupf im Dhavari, dem größten Slums Asiens. Das ist jedoch erst der Beginn seiner abenteuerlichen Odyssee.

 

Auf Anraten seines Schwiegersohnes Bodo Dierks hat der Baron sein Anwesen bei der Bank beliehen und einen Schweinemast-Betrieb aufgezogen. Er kommt rasch zu Wohlstand, nur der vom Baron so ersehnte Hoferbe will sich nicht einstellen, da Bodo Dierks homosexuell ist. Der Baron gewinnt Gefallen am Glücksspiel und versucht sich anfangs mit viel Erfolg auch an der Spekulation mit Aktien.

 

Bernada versucht, nach dem Verlust ihrer Liebe zu Hartmut ihrem Leben einen Sinn zu geben, und geht als Krankenschwester in die Entwicklungsländer. Sie kommt über Afrika, Südamerika auch nach Myanmar und Kambodscha. Nach einigen Jahren wird sie auch in Indien eingesetzt.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Niklaas Manley

Ein öder Ort im leertropfenden Ozean der Zeit ist die Welt ohne dich

Dieser Roman unterscheidet sich von meinem Roman "Liebe, du ewige Brandstifterin" nur durch den Titel und ein tragisches Ende. BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Die Trennung

Man darf das Schiff nicht an einen einzigen Anker

und das Leben nicht an eine einzige Hoffnung binden.

Epiktet

 

Wie immer trafen Bernarda und Hartmut sich weit vom Gut entfernt bei dem alten Köhler Carlsen. Der Meiler lag noch auf dem herrschaftlichen Anwesen hinter den riesigen Buchenwäldern. Carlsen kannte das Geheimnis um ihre Liebe. Bernardas Vater, Baron Hanach von Hohenfels, ein kauzig hakennasiger Haudegen mit Oberlippenbart, der alltags in Gummistiefeln und mit einem zerknautschten Jägerhut mit Feder auf seinem Rittergut herumstiefelte, sah es nicht gerne, wenn seine Tochter sich mit Hartmut traf. Hartmuts Vater, Karsten Seifert, gehörte die Forellenzucht mit den Fischteichen, hinter dem Hohenfels, wo der klare Bach die Fischteiche speiste.

„Hartmut ist ein feiner, anständiger Kerl, gewiss, aber er gehört nicht zu unserem Stand! Wir sind adelige Großgrundbesitzer, wähle einen Mann aus unseren Kreisen, Bernarda. Wir wollen keinen stinkenden Fischhändler in unserer Familie haben!“

 

 

Bei Carlsen stellten Bernarda und Hartmut wie immer ihre Pferde unter. Carlsen hatte einen Buckel, den er sich durch einen Unfall vor 20 Jahren zugezogen hatte. Es hielt sich immer noch das Gerücht, der Baron hätte ihn nachts besoffen über den Haufen geritten. Carlsen und der Baron verloren darüber nie ein Wort. Carlsen wurde das gezimmerte Blockhaus überlassen, nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Der Baron besuchte von Tag an die Anonymen Alkoholiker wöchentlich und hatte sich geschworen, nie wieder einen Tropfen zu trinken; bis auf gelegentliche derbe Ausrutscher war ihm das bis jetzt ganz gut gelungen. Im Gegensatz zu Carlsen, der damals mit dem Saufen begann. Zu den Fahrten in die Kreisstadt zu den Anonymen Alkoholikern nahm der Baron Carlsen immer mit. Er lieferte ihn vor dem Puff ab und holte ihn auf der Rückfahrt wieder ab. Damals begannen sie auf Carlsens Vorschlag, aus dem anfallenden Totholz der Buchenwälder mit einem Meiler Holzkohle herzustellen, die der Baron an die Supermärkte in der Kreisstadt und Umgebung verkaufte. Bernarda und Hartmut stellten ihre Pferde in den offenen Stall. Es war ein sonniger Tag. Bernarda hatte wie immer in ihren Satteltaschen alles für ein Picknick dabei. Für Carlsen eine Flasche Weinbrand.

„Danke dafür, Kinder“, grinste er schelmisch und legte sein zerfurchtes Gesicht mit dem ungepflegten Bart in Lachfalten. Er schob seine Wollmütze aus der Stirn: „Ich bin gerade dabei, einen neuen Meiler anzulegen. Wollt ihr einen Ratschlag von einem alten Mann, der sein Leben lang mit dem Feuer gespielt hat und immer noch lebt? Das Wichtigste ist, kein wildes Feuer zu entfachen. Ein richtig angelegter Meiler muss langsam vor sich hin kokeln. So wird die Holzkohle etwas. Dieses Verfahren gilt für alle Arten von Feuer. Wenn man die Liebe wie ein Strohfeuer abbrennt, bleibt nur Asche übrig!“

„Oder man zündet ein Gegenfeuer an, um nicht zu verbrennen!“, lachte Hartmut, ein dunkelhaariger Schlacks, der Bernarda um Haupteslänge überragte, und legte dabei den Arm um ihre Hüfte. Bernarda schüttelte lachend ihr langes blondes Haar. Carlsen schraubte die Flasche mit dem Weinbrand auf. „Ich werde schon mal löschen.“ Er nahm einen kräftigen Schluck. „Wir sprechen uns wieder, Hartmut, wenn du die ersten Brandblasen hast!“

 

 

Bernarda und Hartmut gingen Hand in Hand in Richtung des Maisfeldes, wo sie in der Mitte des Feldes, von allen Blicken geschützt, ihr Lager aufschlugen. Kaum hatten sie die Wolldecke ausgebreitet, fielen beide übereinander her.

 

Als sie später erschöpft und satt vom Rausch der Sinne wieder zum Meiler zurück schlenderten, saß Carlsen auf der Bank in der sinkenden Sonne und rauchte seine Pfeife. Er hielt die Flasche Weinbrand in der Hand – sie war halb geleert. Bernarda hatte die Flut ihrer blonden Haare in einem Pferdeschwanz gebändigt. Carlsen lächelte ihnen selig zu und hob die Weinbrandflasche zum Abschied. Sie sattelten ihre Pferde und ritten durch den Wald bis zur Gabelung, wo es die Anhöhe hinab zu den Forellenteichen ging und sich ihre Wege trennten. Bernarda beugte sich auf ihrem Rappen zu Hartmut hinüber und küsste ihn. „Noch eins, mein liebster Hartmut. Wir haben uns heute zum letzten Mal getroffen und geliebt!“

„Wieso das?“

„Ich werde in genau fünf Wochen heiraten!“

„Was? Wie? Wen denn? Aber wir lieben uns doch!“, stammelte Hartmut fassungslos.

„Mein Vater und meine Mutter haben mich bekniet, den Dr. Dierks aus der Kreisstadt zu heiraten!“

„Aber der ist doch viel zu alt für dich, Bernarda!“

„Ja, schon. Aber er ist Banker. Mit ihm als Schwiegersohn kann mein Vater das Gut vielleicht retten, sonst müsste er verkaufen. Meine Mutter hat mich auf Knien angefleht. Das Gut ist ihr Leben, sie würde sterben, müssten sie es aufgeben! Glaube mir, auch für mich ist es ein großes Opfer! Aber zumindest habe ich einmal die wahre Liebe durch dich erleben dürfen!“

Bernarda wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und sog tief die Luft durch die Nase, um sich zu fassen. Sie gab ihrem Rappen einen Klaps und galoppierte in einer Staubwolke in Richtung des Herrenhauses davon.

Hartmut saß wie betäubt im Sattel. Ungläubig schaute er Bernarda nach. Er wischte sich mit seinem Taschentuch den Staub aus dem Gesicht. Als Bernarda nicht mehr zu sehen war, sackte ihm der Kopf auf die Brust. Wie in Trance ritt er zum Hohenfels hinauf, wo Bernarda und er sich das erste Mal getroffen und sich ihre Liebe mit einem Kuss gestanden hatten. Tief unter ihm schäumte der reißende Gebirgsbach, als stürze er in den Schlund der Hölle. Hartmut starrte lange in die Tiefe. Dann wendete er wie ein verwundeter Reiterkrieger nach einer verlorenen Schlacht seinen Fuchs und trabte langsam hinab in Richtung der Fischteiche.

 

Hochzeit und Fluch

In einer Verhöhnung liegt deren Verhöhnung,

in einem Fluch dessen Verfluchung.

Von den Sumerern

 

Die Hochzeitsfeier fand an einem sonnigen Samstag auf dem Gut von Baron Hanach von Hohenfels statt. Das Herrenhaus war zur Straße hin durch eine Mauer aus groben Feldsteinen eingefriedet. Die Einfahrt führte zu einem Rondell bis an die ersten Stufen des Herrenhauses. Links vom Torhaus lag eine kleine Kapelle, ebenfalls aus Feldsteinen gemauert. Auf der anderen Seite lag der steinerne Brunnen mit einer Überdachung, dessen Wasser leise plätscherte. Das große Herrenhaus war ein dreigeschossiges Fachwerkhaus mit zwei Flügeln. Das Lehmgeflecht zwischen den Streben war im Laufe der Zeit durch Klinker, die zahlreichen hölzernen Fensterrahmen aus wetterfestem Kunststoff ersetzt worden. An der Seite hinter dem Brunnen lagen die Pferdeställe und drei kleinere Fachwerkhäuser, in denen zu früheren Zeiten die Mägde und Knechte gewohnt hatten. Die Fachwerkhäuser waren schon lange zu kleinen Ferien-Wohnungen umgebaut worden und an Reiter vermietet, die ihre Pferde hier in Pflege hatten. Ein Kiesweg hinter dem Herrenhaus führte in einen großen Park mit einer Liegewiese, die mit uralten Eichen und Buchen gesäumt war. Hinter einer mächtigen Eiche hatten frühere Gutsherren und deren Frauen auf einem kleinen Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden. Zur linken Seite des Herrenhauses stand eine große Halle. Ursprünglich war es eine riesige alte Scheune, deren Dach Opfer eines Brandes durch Blitzeinschlag wurde. Mit der Versicherungssumme hatte der Baron die Scheune in eine respektable Reiterhalle umbauen lassen.

 

Alles, was Adel und Geld hatte, war zur Hochzeit eingeladen und gekommen. Die Auffahrt und der Platz vor der Scheune waren mit schweren Limousinen zugeparkt. Tags zuvor waren Bernarda und Dr. Bodo Dierks in der Kreisstadt auf dem Standesamt getraut worden. Der Baron hatte für die Heirat auf einer Gütertrennung bestanden. „Nicht jede Ehe ist so glücklich und dauerhaft wie zwischen deiner Mutter und mir.“ Als man auf die Trauung mit einem Glas Sekt anstieß, hatte der Baron seinem Schwiegersohn das Du angeboten. Die kirchliche Hochzeit fand in der kleinen Kapelle auf dem Gut statt. Der Pfarrer aus der Kreisstadt hatte die Trauung vollzogen. Baron von Hohenfels geleitete seine Tochter Bernarda in einem in die Jahre gekommenen Smoking zum Altar. Bernardas Mutter Elfriede, eine verhärmte Frau, die in Gestik und Gehabe bemüht war, adelig zu wirken, saß in der ersten Reihe der Bänke und schnäuzte sich gerührt in ein Spitzentaschentuch. Dr. Dierks, ein korpulenter Mann mit Halbglatze und wuchtigem schwarzen Brillengestell im dunkelblauen Maßanzug, wirkte neben der bezaubernden Bernarda in ihrem weißen Hochzeitskleid eher wie ein entfernter Onkel, denn als ihr Bräutigam. Die Kapelle war bis auf den letzten Platz gefüllt, einige Gäste mussten sogar stehen. Man hatte die Tür der Kapelle offenstehen lassen, so dass die Leute aus dem Dorf und die Arbeiter des Gutes von draußen die Trauung verfolgen konnten. Ein kleines Streichorchester, dirigiert vom Direktor des Gymnasiums, begleitete die Zeremonie musikalisch. Nach der Trauung und dem Gesang der Psalmen strömte man zu der Begleitung einer elektronischen Orgel in den Park hinter dem Gutshaus, wo ein großes Festzelt errichtet worden war. Die Leute aus dem Dorf und die Arbeiter saßen im Zelt etwas abseits von den adeligen Gästen. Es gab Braten vom Wildschein, das der Baron auf der Treibjagd in den eigenen Wäldern höchstpersönlich erlegt hatte. Ein großes Fass mit Freibier und eiskalter Korn in beschlagenen Gläsern sorgten bei den Dörflern rasch für eine gelockerte Stimmung. Bald wurde von der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr zum Tanz aufgespielt und die ersten Paare drehten sich fröhlich auf dem Tanzboden.

 

In einer Tanzpause am fortgeschrittenen Abend stand plötzlich Hartmut im Zelteingang. Er war nicht wiederzuerkennen. Das sonst gescheitelte dunkle Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, er war seit mehreren Tagen unrasiert und schwer betrunken. Sein Gesicht war von Alkohol, Wut und Verzweiflung gerötet, seine Kleidung zerrissen und schmutzig. Er stand im Eingang breitbeinig, fuchtelte wild mit seinen Armen und schrie mit überschlagender Stimme: „Verflucht sei das Geld, das die Liebe verrät um des Zinses Willen...!“ Der Dirigent der Feuerwehrkapelle gab seinen Musikern ein Zeichen, die sofort in der Stille des Entsetzens mit den Posaunen und Trompeten den Rest des Fluches lautstark übertönten. Kurt, der die Pferde auf dem Gut versorgte, hatte Hartmut schon am Arm gepackt und ihn grob aus dem Zelt gezogen und vom Hof bis über die Straße gezerrt, wo schon der Buchenwald begann. „Ich verstehe dich ja“, meinte er gutmütig, „aber was soll der Blödsinn jetzt noch?“ Dann gab er ihm einen Klaps und schubste ihn in Richtung des dunklen Waldes. Er hörte Hartmut noch schluchzen, ehe er taumelnd im Dunkeln verschwand. Die Gäste und Dörfler waren nach dem Vorfall sofort auf die Tanzfläche geeilt, die Kapelle spielte lärmend auf; so versuchte man die peinliche Störung in Vergessenheit geraten zu lassen.

„Dass die jungen Männer immer so viel trinken müssen“, schüttelte der Pfarrer kummervoll sein Haupt mit dem Birett. Dr. Dierks nahm Bernarda tröstend in den Arm. Ihre Mutter hatte sich mit einem Migräneanfall zurückgezogen. Der Baron schenkte hilflos die Gläser mit dem eisgekühlten Korn voll und prostete angestrengt fröhlich in die Runde. Alle gaben sich bis Mitternacht große Mühe, zu alter Fröhlichkeit und Ausgelassenheit zurück zu finden, doch es wollte nicht recht gelingen, so, als zeige der Fluch schon Wirkung.

 

Hartmut ließ sich auch an den nächsten Tagen nicht blicken. Nie wieder sollte man ihn im Dorf sehen.

 

 

Der Tipp

Es gibt kein angenehmeres Geschäft,

als dem Leichenbegräbnis eines Feindes zu folgen.

Heinrich Heine

 

Am anderen Morgen saßen der Baron und sein Schwiegersohn Bodo noch eine Weile nach dem Frühstück im Kaminzimmer zusammen. Draußen bauten die Arbeiter das Festzelt wieder ab, die meisten der Gäste waren noch nach Mitternacht abgereist, die letzten nach dem Frühstück. Mittags wollte der Baron seinen Schwiegersohn und Bernarda zum Flughafen fahren. Die Hochzeitsreise sollte nach Venedig gehen. Bernarda und ihre Mutter waren dabei, noch einmal die Vollständigkeit des Gepäcks zu überprüfen.

„Schwiegervater, du machst so ein sorgenvolles Gesicht“, sagte Bodo, als er sich eine Zigarre anzündete, „du hast deine Tochter doch nicht verloren“.

„Weißt du, Bodo, ich habe gestern vor eurer Trauung noch erfahren, dass die Frontseite von der Scheune, ich meine Reiterhalle, baufällig ist. Der Fachmann hat festgestellt, dass der Schaden nichts mit dem Brand zu tun hat. Es sind an der Stelle einfach minderwertige Steine damals verwendet worden. Das wird mich was kosten, selbst wenn wir einiges selber machen können. Und um ehrlich zu sein, ich bin im Augenblick nicht flüssig! Ich brauche dringend einen Kredit. Kannst du mir einen Tipp geben?“

"Was meinst du, Hanach, wie die richtigen Reichen ihr Vermögen noch vermehren? Auf einen Insider-Tipp hin einen Millionen-Kredit auf, kaufen mit der Summe die entsprechenden Aktien, warten, bis der Wert der Aktien gestiegen ist und verkaufen dann mit Gewinn. Sie zahlen dann den Kredit zurück und investieren ihren Gewinn erneut. Beleihe dein Gut oder einen Teil deines Gutes mit einer richtigen Summe, lasse die Scheunenmauer davon ausbessern und kaufe vom Rest dann Aktien, wenn ich es dir sage!"

"Ich weiß nicht, - und wenn es schief geht? Dann stehe ich vor dem Nichts!"

"Aber was ist jetzt, du dümpelst mit deinem Gut so vor dich hin und kannst eigentlich absehen, wann du pleite bist!"

Hanach nickte sorgenvoll.

"Den Gewinn aus dem Aktiengeschäft investierst du in einen Stall für Schweinezucht, weitere Kosten für die Scheune fallen dabei unter ferner liefen ab!"

"Ich denke darüber nach, Bodo. Wenn ihr aus Venedig zurückkommt, sprechen wir darüber!“

„Das ist in Ordnung so, Hanach. Und ich werde die Sache in Venedig mal durchkalkulieren. Ich kann ja nicht den ganzen Tag in der Sonne sitzen oder Kultur futtern.“ Bodo schlug seine Brieftasche auf und reichte seine Visitenkarte über den Tisch. „Solche Aktiengeschäfte ergeben sich nicht jeden Tag. Man muss sofort die Gelegenheit ergreifen, wenn sie da ist. Du kannst mich jederzeit auf meinem Smartphone anrufen.“

„Abgemacht, Bodo. Du musst mir aber auch etwas versprechen: ich will so schnell wie möglich einen Hoferben!“

 

 

Hamburg - im Sündenbabel

Der Stöhner hat am meisten,

wenn der Prahler man was hätte!

Volksmund

 

Nachdem Hartmut seinen Rausch ausgeschlafen hatte, saß er den Rest des Tages dumpf und stumm auf der Bank vor dem elterlichen Haus. Am nächsten Morgen rasierte er sich, duschte und zog frisches Zeug an. Er packte in seinen großen Rucksack das Nötigste ein: Unterwäsche, ein paar Shirts und ein zweites Paar Schuhe. Er nahm sein Sparbuch und sein restliches Geld mit. Für seine Eltern hinterließ er einen Brief, in dem er ihnen mitteilte, dass er nach der Heirat von Bernarda hier nicht mehr leben könne, da ihn alles an sein Unglück erinnere. Er wolle nun sein Glück in der weiten Welt suchen und einen neuen Anfang machen. Er holte sein Fahrrad aus der Garage und fuhr in Richtung der Landstraße. Dort ließ er gut erkennbar sein Rad an einem Baum stehen und stellte sich als Anhalter an den Straßenrand. Als wollte sich das Schicksal bei ihm entschuldigen, brauchte er nicht lange warten. Ein Student nahm ihn in seiner Citroen-Ente mit. So kam er am gleichen Tag noch bis Hannover. Er bekam einen Schlafplatz in der Jugendherberge.

 

Am nächsten Tag ließ er sich den Besuch der Computer-Messe nicht entgehen. Er sah viele interessante Produkte, wobei ihn die Roboter für Fabriken am meisten interessierten. Als er nach der Ausstellung über den Parkplatz schlenderte, sprach ihn ein mit mehreren schweren Taschen bepackter Geschäftsmann an: „Junger Mann, können Sie mir helfen, mein Gepäck zu meinem Wagen zutragen?“ „Gerne“, sagte Hartmut und übernahm den Palettenwagen mit mehreren Geräten. Der Wagen erwies sich als ein Kombi mit großer Ladefläche. Hartmut schaute auf das Nummernschild und erkannte es als das Hamburger Kennzeichen. „Fahren Sie nach Hamburg?“, fragte er einer spontanen Eingebung nachgebend, wie seine Reise weiter gehen sollte, „können Sie mich vielleicht mitnehmen?“ „Na, klar“, sagte der Geschäftsmann, „eine Hand wäscht die andere.“ Er stellte sich als Besitzer eines mittleren Sanitär-Betriebes vor, als sie die Autobahn nach Hamburg erreicht hatten. „Ich war auf der Messe“, erklärte er, „denn mit einem Betrieb meiner Größenordnung musst du immer auf der Höhe der Zeit sein, sonst gehst du leicht den Bach runter. Viele Kollegen meines Alters, so Mitte Vierzig, wollen von Computern und neuer Technik nichts wissen, sondern ihr altes Ding weitermachen. Aber ich sage dir, das klappt vielleicht noch fünf Jahre, dann machst du ‘ne Fliege.“ „Kann gut sein, mein Vater hat eine Forellenzucht, da musst du noch alles mit der Hand machen und frisches Wasser haben.“ „Ja, das wird wohl ‘ne andere Nummer sein. Ich habe auf der Messe zwei Ausstellungs-Computer für billiges Geld für meinen Betrieb gekauft. So günstig bekommst du sie sonst nicht. Es ist ein Anfang. Ich will damit meine Kunden verwalten und Rechnungen erstellen. Das geht einfacher als mit den alten Methoden wie mit einer Kartei. Und wo willst du so hin. Nur mal einen Ausflug in die Großstadt?“ „Nein“, log Hartmut, um sein Elend nicht ausbreiten zu müssen, „ich habe gerade mein Abitur gemacht und darf mir jetzt ein freies Jahr gönnen. Dann werde ich vielleicht studieren, aber wahrscheinlicher in den väterlichen Betrieb eintreten.“ „Na, dann will ich dir mal meine Karte geben“, sagte der Geschäftsmann, griff routiniert in seine Reverstasche und reichte Hartmut seine Visitenkarte. „Ich sage immer, man trifft sich im Leben immer zweimal.“ Die Fahrt führte schließlich nach Hamburg über die Elbbrücken am Hafen entlang bis zu den Landungsbrücken. Hartmut kannte Hamburg nur aus Bildern und Beiträgen im Fernsehen und staunte über das riesige Segelschiff, das dort als Museumsschiff vor Anker lag.

"Dort oben am Stintfang über der U-Bahn liegt die Jugendherberge“, sagte der Geschäftsmann, als er seinen Wagen kurz anhielt „dort kannst du für wenig Geld unterkommen und dann weitersehen!" „Noch mal vielen Dank“, sagte Hartmut. „Dafür nicht, sagt der Hamburger! War mir ein Vergnügen.“

Hartmut ging die Anhöhe zur Jugendherberge hoch. Im Hintergrund ragte das riesige Bismarck-Denkmal mit dem Eisernen Kanzler auf sein mächtiges Schwert wehrhaft gestützt in den Himmel. Vom Jugendherbergsvater bekam er eine Schlafstelle in einem Mehrbettzimmer. Nachdem er seinen Rucksack verstaut hatte, ging er wieder hinunter zu den Landungsbrücken und erkundete ein wenig die Gegend. Er fuhr im alten Elbtunnel nach unten und wieder hoch, danach ging er bis zur Speicherstadt an der U-Bahnstrecke entlang, die an dieser Stelle über ein Viadukt in zehn Meter Höhe führte. An einem Imbissstand aß er eine Curry-Wurst, ehe er am Abend wieder zur Jugendherberge hochstieg.

 

In den nächsten Tagen sah er sich weiter in der Stadt um. Er bestaunte die riesigen Schiffe, die vorbeifuhren und sah die gewaltigen Schwimmdocks, in denen Schiffe einen neuen Unterbodenschutz bekamen. Der Herbergsvater gab ihm den Tipp, am Sonntagmorgen den Fischmarkt zu besuchen. Hartmut staunte über das morgendliche Gewimmel auf dem Markt, bewunderte die schreienden Marketender, die Unmengen Aale, Bananen und Topfpflanzen an die morgendlichen Besucher grölend und flachsend verkauften, von denen manche die Nacht auf der Reeperbahn durchgemacht hatten. Bei seinen Erkundungen kam Hartmut am nächsten Tag auch zur Reeperbahn. Die Vergnügungsmeile gab am helllichten Tag ohne den gnädigen Deckmantel der Nacht und ihre Leuchtreklame ein erbärmliches abgeschminktes Bild ab. Die Herbertstraße wollte er auch unbedingt besuchen, er hatte schon einiges davon gehört. Der Blick in die Herbertstraße war durch Sichtblenden versperrt, da früher bei den Nazis die Prostitution verboten war, sie es aber nicht durchsetzen konnten, aber so zumindest optisch die Prostitution unsichtbar machten. Hartmut betrat die Herbertstraße an den seitlichen Öffnungen der Sichtblenden und ging an den ebenerdigen Fenstern alter Häuser vorbei, in denen die Frauen leicht bekleidet auf Kunden warteten. Eine blonde Frau mit üppigen, fast nackten Brüsten, die in schwarzer Reizwäsche mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Stuhl ihre Reize zur Schau stellte, winkte aus dem hinteren Raum einen Mann heran, als sie Hartmut sah. Sie sprach kurz mit dem Mann und zeigte auf Hartmut. Der athletische Mann mit tätowierten Armen trat an das Fenster, öffnete es und sagte: "Willst du dir ein wenig Geld verdienen, mein Jung?" "Gerne", antwortete Hartmut.

 

Eine halbe Stunde später zog Hartmut mit einem Einkaufstrolley und einem Einkaufszettel, den ihm der Zuhälter ausgehändigt hatte, zum Supermarkt, zu einer Drogerie und zu einem Tabakladen auf der Reeperbahn. Er kaufte alles ein, gab die Lottozettel ab und kehrte schwer bepackt wieder zurück. Bei Regina, so hieß die Frau, die für den Zuhälter anschaffte, lud er alles ab und stapelte es für die anderen Frauen auf verschiedene Haufen. Er gab Regina das Geld zurück, und sie steckte ihm einen Zwanziger zu. "Mein alter Einkäufer liegt im Krankenhaus. Komme morgen um die gleiche Zeit wieder, mein Kleiner!"

 

Hartmut wurde als Einkäufer nach und nach im Viertel bekannt und geschätzt. Man nannte ihn Reginas Kurier. An einem Supermarkt auf der Reeperbahn lernte er auch den „Käpt’n“ kennen. Der Käpt’n war ein gestrandeter Säufer mit einer Kapitänsmütze vom Karneval. Er klaute in den Supermärkten Schnaps und hatte schon öfters Hausverbot bekommen, worauf er dann zum nächsten Supermarkt wechselte. „Ich bin die großen Pötte gefahren“, vertraute er lallend den Polizisten an, die wieder einmal wegen Ladendiebstahl vorgefahren waren. Regina hatte Hartmut einen Schlafplatz im Puff besorgt. „Dann hast du es nicht so weit“, lachte sie, „es kann gut sein, dass du auch mal nachts bei der Tanke für Nachschub sorgen musst.“ Hartmut war froh, die Jugendherberge verlassen zu können. „Du bist ein hübscher Kerl“, meinte Regina, „hast du nicht Lust in unserer Branche zu arbeiten. Da gibt es richtig Mäuse. Wir haben auch Verbindungen zur Porno-Industrie, da könntest du als Filmstar arbeiten.“ „Nein, danke, Regina, ich habe eine unglückliche Liebe hinter mir und meine Liebste an das Geld verloren. Mein Bedarf an Frauen und großem Geld ist vorerst gedeckt. Ich komme gut zurecht, habe bei dir einen Schlafplatz und die anderen Mädchen stecken mir auch immer etwas Geld zu“.

„Du musst nicht so empfindlich sein, mein Kleiner, wir alle haben eine unglückliche Liebe hinter uns. Oder meinst du, ich schaffe hier aus Hobby an? Überlege es dir, du kannst jederzeit auf mein Angebot zurückkommen, wenn du dich erholt hast.“ Sie gab Hartmut einen dicken Schmatz.

 

In einer Bar, in der Hartmut für Reginas Zuhälter eine Zeche begleiten musste, lernte Hartmut am Tresen einen Mann mit einer Schiebermütze kennen, als er dem Wirt die Scheine hinblätterte. „Ich habe von dir gehört“, meinte die Schiebermütze ein wenig herablassend, „auch, dass du sehr zuverlässig bist. So einen Boten kann ich hin und wieder gebrauchen. Es wird finanziell nicht zu deinem Schaden sein.“ Der Mann reichte ihm eine Schachtel Zigaretten und einen Zettel mit der Anschrift und Namen einer Kneipe im Viertel. „Gehe in diese Kneipe und schaue nach einer älteren Frau mit einer Perlenkette und einer Zigarettenspitze. Setze dich an ihren Tisch und biete ihre eine Zigarette aus dieser Schachtel an. Sie wird die Schachtel nehmen, sich eine Zigarette daraus anstecken und dir eine Zigarettenschachtel der gleichen Marke wiedergeben. Die Schachtel bringst du mir dann.“ Hartmut war es gewohnt, dass mancher sich in diesem Viertel wichtig gab, als drehe er am großen Rad, und nahm es auch diesmal hin. Er nahm die Schachtel an sich. Die Kneipe lag ein paar Straßen weiter. Er trat ein, schaute sich um und sah an einem Tisch in der Ecke eine rothaarige Frau um die Vierzig mit einer Perlenkette, die eine Patience legte. Im Aschenbecher qualmte eine Zigarette in einer Spitze. Hartmut schlenderte möglichst unbefangen zu ihr an den Tisch, schaute interessiert ihrer Patience zu und setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie musterte ihn unter müden Augenlidern. Als sie die Zigarette in der Spitze ausdrückte, holte er die Schachtel hervor und bot ihr eine Zigarette an. Sie nahm sich eine Zigarette und steckte dabei die Schachtel ein. Zündete sich die Zigarette an, nachdem sie sie in die Spitze geklemmt hatte und reichte ihm eine andere Zigarettenschachtel zurück. Hartmut steckte sie ein, saß noch eine Weile bei ihr, ehe er sich verabschiedete. Er ging zurück zu der Kneipe und gab der Schiebermütze die Schachtel. Der warf kurz einen Blick hinein, steckte sie weg und reichte Hartmut einen Schein. „Komme morgen wieder.“

 

Hartmut konnte mit sich zufrieden sein, er war auf St. Pauli angekommen. Nur wenn er abends alleine in seinem Bett lag, dachte er immer wieder an Bernarda.

 

Auf seinen Besorgungstouren lernte er den im Viertel bekannten Säufer Sonny in dessen Stammkneipe „Zur feuchten Ecke“ kennen. Er musste mal ein gutaussehender Kerl gewesen sein, jetzt war sein Gesicht verlebt und mit tiefen Furchen durchsetzt. Er hatte dicke Tränensäcke und trug einen goldenen Ohrring. Vom Rauchen und Saufen hatte er eine heisere Blues-Stimme. Nur sein erstklassiges Implantat-Gebiss aus besseren Zeiten hatte den Zahn der Zeit überstanden und strahlte blendend. Er trug eine blaue Bomberjacke.

„Bist du neu hier in der Gegend, mein Junge? Ich habe dich noch nie gesehen!“, fragte Sonny.

„Ein bisschen schon, aber ich habe mich schon etwas eingelebt. Ich mache die Einkäufe für Regina.“

„Das ist ein scharfes Mädchen“, sagte Sonny und setzte sein leeres Bierglas auf dem Tresen ab, „da bist du an der richtigen Stelle.“

Hartmut gab dem Wirt das Zeichen für ein neues Bier für Sonny. Sonny nickte dankend, als der Wirt ihm das Glas hinstellte und sagte: „Geht auf die Rechnung von Reginas Kurier.“ Sonny nahm einen Schluck und sagte: „Du wirst es nicht glauben, aber ich war auch mal Zuhälter. Ich fuhr einen dicken Wagen, trug eine Rolex und eine schwere Goldkette, die mir fast einen Bandscheibenvorfall eingebracht hat. Doch ich wurde älter und die jungen Kerle haben mich verdrängt. Die haben mir glatt gedroht, mich umzulegen. Die haben heutzutage eine Brutalität, die wir Alten immer abgelehnt haben, auch unseren Mädels gegenüber. Auseinandersetzungen haben wir mit Fäusten ausgetragen, das war Ehrensache. Heute machen sie die Mädels mit Drogen abhängig, das ist nicht mehr meine Welt. Ich sehe dich öfters in dieser Bar am Ende der Reeperbahn wie du dort mit dem „Hartgeld-Luden“ redest. Das ist sein Name hier im Viertel. Er ist eine kleine Nummer, so einer, der mit den großen Hunden pissen gehen will, aber das Bein nicht so hochheben kann. Er lässt dich die Kastanien aus dem Feuer holen. Es ist Kokain, das du für ihn verteilst. Wenn dich die Sitte krallt, dann gehst du ab, mein Junge! Willst du einen Rat?“

Hartmut nickte.

„Deale selber, mache richtig Kohle und mit dem Geld etwas Seriöses und dann steige wieder aus. Oder lasse gleich die Finger davon! Glaube mir: Hurengut passt in nen Fingerhut! Sieh mich an! Wenn du mir nicht glauben willst, gehe mal in den Park Planten un Blomen zu den Wallanlagen. Von dort aus kannst du das Untersuchungsgefängnis sehen. Da sitzen alle die Schlaumeier hinter vergitterten Fenstern und glotzen in den Park, bis sie verurteilt werden und dann für ein paar Jahre richtig abgehen. Das ist der Anfang vom Ende, weil sie nichts anderes können und kennen. Wie ich. Wenn du Interesse hast, kann ich dich mal im Viertel rumführen, ich kenne mich hier ein wenig aus. Übrigens, ich heiße Sonny!“

Hartmut schaute nachdenklich auf seine Finger neben seiner Cola auf dem Tresen.

„Ich heiße Hartmut. Noch ein Bier, Sonny?“

 

 

Zurück aus Vendig

 Wenn du damit beginnst, dich denen aufzuopfern, die du liebst, wirst du damit enden, die zu hassen, denen du dich aufgeopfert hast.

George Bernhard Shaw

 

Der Baron hatte das junge Ehepaar vom Flughafen mit seinem Wagen abgeholt, als sie aus Venedig von ihrer Hochzeitsreise zurückkamen. In der Zwischenzeit hatte er im Herrenhaus im 1. Stock drei Zimmer für das junge Ehepaar als Wohnung herrichten lassen, die sie jedoch nur am Wochenende nutzen wollten. Werktags würden sie in Bodos Wohnung in der Kreisstadt leben. Vom Gut her wäre der tägliche Arbeitsweg für Bodo zur Bank in die Landeshauptstadt zu aufwendig. Auch Bernarda hatte es jetzt nicht mehr so weit zum Krankenhaus, wo sie in den letzten Monaten ihrer Ausbildung als Krankenschwester arbeitete. Bodo hatte schon in Venedig anklingen lassen, dass der Beruf als Krankenschwester für sie nicht standesgemäß sei. „Vielleicht solltest du danach Medizin studieren. Ärztin hört sich schon besser an als adelige Ehefrau eines Bankers“, meinte er.

 

Nach dem Abendbrot saßen der Baron und Bodo im Arbeitszimmer des Barons bei einer guten Havanna zusammen. „Wie sieht es aus, Bodo, kann ich schon auf einen Hoferben hoffen?“

„Ich habe weiß Gott alles getan, Schwiegervater, was in meinen Kräften stand, um dir diesen Wunsch zu erfüllen. An mir kann es nicht liegen. Du kennst es ja von deinen Flitterwochen. Ich habe von Venedig so gut wie nichts außer unser Schlafzimmer gesehen. Ich kenne aber Venedig ganz gut, da ich beruflich dort öfters etwas zu erledigen hatte. Wir haben die Renovierung mehrerer Paläste dort finanziert. Ich habe nebenbei noch mit unserem Vorstandsvorsitzenden Dr. Kersten täglich telefoniert und alles für dich in die Wege geleitet. Dr. Kersten ist von deinem Plan sehr angetan. Wir sollen die nächsten Tage einen Termin mit seiner Sekretärin ausmachen, damit wir Nägel mit Köpfen machen und mit unserem Projekt loslegen können. Wenn du willst, nehme ich das in die Hand.“

Der Baron ließ einen Kringel Zigarrenrauch aus dem Mund strömen und nickte.

 

Unten im Wohnzimmer saß Bernarda mit ihrer Mutter am Tisch bei Kaffee und Törtchen.

„Na, mein Kind, war eure Hochzeitreise schön? Venedig ist doch eine bezaubernde Stadt, nicht wahr? Bist du vielleicht schon guter Hoffnung?“

„Da muss ich dich enttäuschen, Mama. Es ist in Venedig nicht zu einer Hochzeitsnacht gekommen. Euer lieber Schwiegersohn ist entweder impotent oder schwul. Aber beides soll mir recht sein, da diese Heirat ein Opfer von mir ist.“

„Ach, Bernarda, die Liebe kommt mit der Zeit, glaube es mir. Ich weiß, wovon ich rede.“

 

Ein paar Tage später konnte Bodo dem Baron melden: „Dr. Kersten hat für Sonntag zugesagt. Er hat sich extra diesen Tag freigehalten, weil er alltags zu viel zu tun hat. Er bringt auch gleich einen Baulöwen als Mann vom Fach mit, der kann alles besser einschätzen.“

 

Der Baron stand am Sonntagnachmittag schon mit Bodo auf der Eingangstreppe des Herrensitzes, als der Wagen von Dr. Kersten vorfuhr. Der bullige Hummer wurde von einem Chauffeur im grauen Anzug und einer Dienstmütze gefahren. Als der Wagen vor der Treppe hielt, stiegen der Baron und Bodo die Stufen zur Begrüßung hinab. Dr. Kersten brachte auch den stiernackigen und rotgesichtigen Baulöwen Heinrich Sommerfeld mit, der eine Anglerweste mit vielen Taschen trug und schwerfällig aus dem Wagen stieg.

„Lieber Baron“ sagte Dr. Kersten, ein gutaussehender Mann Anfang Fünfzig mit 1,90 Meter Größe, als er ihm die Hand schüttelte, „ich habe gedacht, mein Geländewagen ist für die Besichtigung besser geeignet als mein Maybach. Sie entschuldigen auch meine legere Kleidung, aber Knickerbocker und feste Schuhe sind vielleicht heute besser angebracht, als Anzug und Krawatte.“ Sommerfeld reichte dem Baron seine Pranke und duzte ihn gleich. Sie waren sich einmal flüchtig im Puff begegnet und gingen stillschweigend wie Komplizen miteinander um. „Am besten du führst uns mit deinem Schwiegersohn herum, damit ich mir einen Eindruck verschaffen kann, wo die Schweinemast hinsoll. Dann können wir später die Einzelheiten in aller Ruhe im Haus besprechen.“ Er holte aus einer Seitentasche seiner Weste ein Tablet hervor. „Ich mache dann auch gleich die notwendigen Aufnahmen und Videos. Wir müssen ja auch wissen, wo wir den Kran aufbauen und die Zufahrtswege für den Betonmischer und die Laster anlegen.“

„Soll mir recht sein“, sagte der Baron, „dann wollen wir mal loslegen.“ Er überquerte die Straße, die am Herrenhaus vorbeiführte und schlug die Richtung zu den Buchenwäldern ein. „Gehört alles noch zum Gut?“, fragte Dr. Kersten, der sich als Bankier noch zurückhielt, den Baron gleich zu duzen. „Na, klar“, sagte der Baron, der Wald geht zur rechten Seite noch Kilometer lang weiter. Aber wenn wir gerade weitergehen, kommen wir nach einer halben Stunde aus dem Wald auf Wiesen und Äcker. Früher hatten wir noch mehr Land, aber wir haben der Kirche auch einiges geschenkt.“

„Dann sollten wir doch lieber meinen Geländewagen nehmen“, sagte Dr. Kersten, „wir sind ja schließlich keine Wandervögel.“

 

Als sie zum Wagen zurückgingen öffnete der Chauffeur die Wagentüren. Der Baron saß hinten mit seinem Schwiegersohn und dem Baulöwen Sommerfeld, der aus der Brusttasche einen silbernen großen Flachmann holte, ihn aufschraubte und einen Schluck nahm. „Auch mal?“, fragte er den Baron. „Danke“, schüttelte der Baron den Kopf, „ist noch zu früh für mich. Ich möchte schon gerne, aber ich muss Tabletten fürs Herz nehmen, die vertragen sich überhaupt nicht mit Schnaps.“ Das war seine Standard-Ausrede, wenn er Alkohol ablehnte, denn er hatte sich nach dem von ihm verschuldeten Unfall mit Carlsen geschworen, nie wieder eine Flasche anzurühren. Nach Rückfällen suchte er immer wochenlang verstärkt die Gruppe der Anonymen Alkoholiker auf. Er dirigierte den Chauffeur jetzt mit kurzen Anweisungen durch den Wald, bis sie auf eine große Lichtung kamen.

„Hier sind wir“, sagte er nur.

„Der Platz ist Klasse, doch wir werden ein paar Bäume fällen müssen, damit wir mit den schweren Maschinen durchkommen, aber das ist ja wohl kein Problem. Und diese lausige Bretter-Scheune da vorne, die müssen wir auch abreißen.“

„Na, klar, die kann weg. Das Grundstück habe ich mal günstig von dem alten Hagemann gekauft, als er ins Altenheim musste. Seine restlichen Felder hat er an die Stadt verkauft. Sein Sohn hatte kein Interesse an der Landwirtschaft. Das mit den Bäumen kriegen wir alles hin, am besten du kennzeichnest auf dem Rückweg gleich die Bäume, die ich fällen lassen muss.“

„Einfach auf jeder Seite des Weges die erste Reihe, das reicht dann.“

 

Sie stiegen alle aus dem Wagen und begutachteten die Lage. „Wenn du mich fragst“, wandte sich Sommerfeld an den Baron, „der Platz hier ist ideal. Du musst nur gleich richtig rangehen. Bei der Schweinezucht fällt ja jede Menge Gülle an. Lass gleich noch eine Bio-Gas-Anlage hinstellen, dann kannst du mit dem Gas heizen. Entweder deine noble Hütte oder hier gleich noch Gewächshäuser hinstellen. Du kannst dann ganzjährig Gemüse anbauen oder Blumen züchten. Die Gülle und den Mist kannst du nach dem Ausgasen noch als hochwertigen Dünger verkaufen oder selber nutzen für deine brachliegenden Äcker. Das ist hier die reinste Gelddruckmaschine, - du bist zu beneiden!“

Der Baron war von diesen grandiosen Aussichten, die sich auftaten, erst einmal überfordert. „Das muss ich mir alles noch mal durch den Kopf gehen lassen.“

„Mein Baron“ meldete sich Dr. Kersten, „wir fertigen Ihnen einen Finanzierungsplan für das Projekt an, den Sie in aller Ruhe mit Ihrem Schwiegersohn und der Familie durchgehen können. Wir sind ein seriöses Bankhaus und machen keine Schnellschüsse.“ Baulöwe Sommerfeld nahm gerade einen Schluck aus seinem Flachmann: „Aber lasst euch auch nicht zu viel Zeit. Ich muss schon einen ungefähren Termin haben, um die notwendigen Kapazitäten an Maschinen und Bauleuten bereitzustellen. Ich habe keinen kleinen Klempnerladen, den du mal eben beauftragen kannst, den laufenden Wasserkasten zu reparieren. Wenn du zulange wartest, dann bin ich vielleicht schon in der Pflicht mit einem anderen Bau. In meinem Gewerbe gibt es Konventionalstrafen, wenn man Termine nicht einhält. Ich könnte in drei Monaten noch was bei meinen vertraglichen Aufträgen dazwischenschieben. Wir arbeiten ja mit Fertigbauteilen, das geht ruckzuck, dann steht der Rohbau. Danach wird es eng bei mir, dann müsstest du dir vielleicht eine andere Baufirma suchen. Aber denk daran, die guten Firmen sind fast immer ausgebucht“.

„Aber ich benötige doch auch eine Baugenehmigung, wie damals, als ich die Garagen habe bauen lassen.“

„Da mache dir keine Sorgen, mein Bester“, lachte Sommerfeld und klopfte dem Baron leutselig auf die Schulter, „da bist du bei mir in den richtigen Händen. Ein Wink von mir und die Genehmigung ist da. Ich bin mit dem Bürgermeister im Schützenverein. Wir sind alte Freunde. Aber selbst, wenn es ein anderer Bürgermeister wäre, ich brauche nur damit zu drohen, mit meiner Firma abzuwandern, dann kommen sie angekrochen. Die kleinen Sachbearbeiter kühlen nur ihr Mütchen, wenn du einen kleinen Kiosk hast und ein Schild auf den Bürgersteig stellen willst. Dann sind sie mit drei Mann und 50 Formularen da. Aber mit denen geben wir uns gar nicht ab.“

„Ich bin zwar nicht so vom Fach, wie unser guter Sommerfeld“, meldete sich Dr. Kersten, „aber, dass die Bedingungen hier ideal sind, das kann selbst ich erkennen. Wie gesagt, ich werde mit meinen Vorstandskollegen einen Finanzierungsplan aufstellen, den können Sie dann mir ihrem Schwiegersohn in Ruhe durchgehen.“

Sommerfeld war dabei, die Gegend mit seinem Tablet zu filmen. „Also“, meinte er abschließend, „ich bin so gut wie durch, der Rest ist was für meine Architekten. Wir machen das ja nicht zum ersten Mal. Nächsten Sonntag lege ich die Pläne vor, mitsamt Bio-Gas-Anlage.“

„Ich muss darüber erst einmal eine Nacht schlafen“, sagte der Baron, „das muss ich erst einmal sacken lassen!“

„Na, klar, Baron“, meinte Dr. Kersten, „wir sollten jetzt eine Pause machen. Also, mir ist nach einer guten Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen zumute.“

„Ich hätte nichts gegen ein kühles Bier und einen Korn“, schlug Sommerfeld vor.

„Beides lässt sich machen“, lachte der Baron und ging zum Wagen.

Vertrag und Baubeginn

Es ist bedauerlich, dass unsere Banken die schöne Praxis der alten Kelten nicht übernommen haben, bei denen man auf Erden Kredite aufnehmen und im Jenseits zurückzahlen konnte.

Dr. Manfred Rommel, früherer Oberbürgermeister von Stuttgart

 

Ein paar Tage später fuhr Bodo mit dem Notar Schwarz aus der Rechtsabteilung und dem von Dr. Kersten unterschriebenen Vertrag mit einem Taxi vor. Sie setzten sich mit dem Baron in dessen Arbeitszimmer.

„Es ist mit allen Vorstandsmitgliedern besprochen“, sagte Bodo, als der Notar die Mappe mit den Vertragsunterlagen aus seinem Aktenkoffer nahm, „alle empfehlen dir, dein gesamtes Anwesen bei uns zu beleihen und die Millionensumme in Aktien anzulegen. Die Gewinne werden so hoch sein, dass du das Bauprojekt damit finanzieren kannst, aber die Aktien weiter behältst, vielleicht sogar vermehrst. Auch privat wird dabei einiges für dich übrig sein, du und Schwiegermutter werden doch auch ein paar Wünsche haben.“ „Ja, sicher. Mutter liegt mir ständig in den Ohren, sie will endlich Stil-Möbel in Chippendale haben. Die gibt es auch nicht für‘n Appel und’n Ei. Ich hätte gerne einen jüngeren Hengst, mein Cesar ist alt geworden, er bekommt nur noch das Gnadenbrot. Und ich spekuliere auch heimlich schon lange mit einem Motorrad“.

„Na, siehste, Schwiegervater, das wäre alles nebenbei drinnen.“

„Aber wenn die Aktien fallen, dann verliere ich mein Gut und Anwesen!“

„Guck dir die richtigen Reichen an, von denen wird keiner ärmer, sondern nur reicher. Schwiegervater, du wirst auch bald auf der sicheren Seite sein. Die Bank gibt dir vier Millionen auf alles. Wenn du das sofort in Aktien investierst, dann rollt der Rubel für dich.“

„Ich weiß nicht, mir geht das alles etwas zu schnell. Ich muss darüber noch mal schlafen, Bodo!“

„Natürlich! Aber die Gelegenheit für diesen Aktienkauf bietet sich jedoch nicht lange. Nimm dir ein Herz und greife zu, Schwiegervater! Sonst beißt du dir nachher in den Hintern, wenn du die Gelegenheit verpasst hast.“

„Lasst mal den Vertrag sehen!“

Der Notar Schwarz reichte dem Baron die Ledermappe mit dem Vertrag. Der Baron blätterte die Seiten durch.

„Also, richtig schlau werde ich daraus nicht.“

„Sie können unserem Haus vertrauen“, sagte Notar Schwarz, „der Vertrag ist wasserdicht.“

„Na, denn, gib her!“

Der Baron nahm seinen altmodischen Füller vom Schreibtisch und unterschrieb mit einigen Schnörkeln. Bodo nahm das Original an sich und reichte seinem Schwiegervater die Kopie. Er wählte auf seinem Smartphone eine Nummer. „Dr. Kersten, der Baron hat eben unterschrieben, die Sache kann starten!“

„Gib mir mal den Baron!“

Bodo reichte dem Baron das Smartphone und hörte Dr. Kersten: „Herzlichen Glückwunsch, Baron! Willkommen im Club der Reichen!“

„Darauf sollten wir jetzt aber auch einen trinken, Schwiegervater!“

„Da hast du recht, Bodo! Das ist wirklich eine Ausnahme, die gefeiert werden muss.“

„Wir haben auch eine Flasche gekühlten Korn dabei, wir brauchen jetzt nur noch Gläser.“

Die Gläser waren rasch besorgt. Nach dem ersten Glas stellte Bodo auch eine Kiste Havanna-Zigarren auf den Tisch. „Die gibt es bei uns im Vorstand immer bei einem großen Vertragsabschluss. In einer Stunde kommt unser Chauffeur und holt uns ab. Dr. Kersten besorgt dir die Aktien erst, wenn er im Besitz des Vertrages ist.“

„Das verstehe ich.“

 

Die Kornflasche war halb leer, als der Wagen mit dem Chauffeur vorfuhr. „Bodo“, sagte der Baron, „nimm mich mit in die Stadt, ich muss jetzt noch ein wenig feiern.“

„Natürlich, Schwiegervater! Du bist jetzt ein reicher Mann. Für dich tanzen jetzt die Puppen!“

 

Der Baron ließ sich in der Nähe des Puffs absetzen. Er schwankte schon leicht, als er ausstieg und den Weg zum Puff einschlug. Wie immer, wenn er einen Rückfall wie ein Quartalssäufer hatte, trank er mehrere Tage durch. Auch diesmal.

 

Es war Carlsen, der alte Köhler, der sich am zweiten Tag auf Bitten der Baronin auf die Suche nach dem Baron machte. Er fand ihn auch diesmal. Er wusste genau, wo der Baron sich austobte. Die Puffmutter sagte: „Du kennst ihn ja, er ist nicht zu stoppen, wenn er an der Flasche hängt. Wir haben ihn in die Kammer auf dem Dachboden gebracht, damit er uns nicht die Kundschaft verschreckt.“

 

Der Baron war völlig demoliert, er schaute Carlsen aus rotglühenden Augen an. Vorausschauend hatte Carlsen schon vom Supermarkt eine Flasche Korn in seinem Kühlschrank kaltgestellt. Er nahm den Baron im Taxi mit zu sich, denn er durfte jetzt nur langsam ausnüchtern, damit er nicht durch eine abrupte Abstinenz ins Delirium fiel. Carlsen rief die Baronin an und sagte ihr, es sei alles in Ordnung, der Baron schlafe sich jetzt bei ihm aus. „Morgen bringe ich ihn wieder heim, jetzt wäre er sowieso kein Anblick für die Baronin!“

„Danke, Carlsen“, sagte sie mit zittriger Stimme, „ich mache das mal wieder gut!“

 

Carlsen fuhr den Baron mit Bier und einigen Gläsern Korn langsam wieder runter, bis er schlafen konnte. Weit nach Mitternacht wurde der Baron wach. Carlsen versorgte ihn mit einem weiteren Bier und zwei Schnäpsen. Früh morgens holte Carlsen aus dem Gut frisches Zeug, Handtücher und Rasierzeug. Am Vormittag konnte der Baron schon wieder Matjes mit Schwarzbrot zu sich nehmen, musste aber immer noch Bier trinken. Dann rasierte und duschte er sich und zog das frische Zeug an. Er sah jetzt wieder einigermaßen manierlich aus. Am späten Nachmittag holte Bernarda ihren Vater mit dem Wagen ab. Sie reichte Carlsen als Dank eine Flasche Whisky und ein paar Scheine für die Auslagen.

 

Der Baulöwe Sommerfeld hatte nicht übertrieben. Er nahm den Bau sofort in Angriff. Als erstes ließ er am Weg zur Baustelle links und rechts die erste Reihe der Bäume fällen, damit die Laster und Maschinen genügend Platz bei der Anfahrt hatten. Einige Unebenheiten ließ er mit Bauschutt ausfüllen. Aus Zeitgründen ließ Sommerfeld keinen Keller für den Neubau ausheben, sondern entschloss sich, auf dem Fundament des alten Gebäudes die Fläche zu betonieren. Als der Zementmischer vorfuhr, erschien auch der Bürgermeister, gefolgt vom Leiter des Arbeitsamtes, der die Hoffnung aussprach, dass mit dem Bau auch zusätzliche Arbeitskräfte für die Schweinemast angefordert würden. Der Reporter der Landeszeitung fotografierte und interviewte den Baron, der sich jetzt schon ganz als Unternehmer gab und die Zuversicht des großen Geldes ausstrahlte. „Ja, dieser Betrieb wird sich belebend auf unsere Gemeinde auswirken“, verkündete er, „ich habe lange vor diesem Schritt gezögert, doch mein Schwiegersohn hat mich überzeugt.“

 

Schon bald folgte in den nächsten Tagen der Aufbau des Krans, der die Fertigbauteile an ihren Platz schwenken sollte.

 

Der Baron verfolgte im Internet den Kurs seiner Aktien und sah den Kurs steigen. Alles traf so ein, wie es Dr. Kersten und sein Schwiegersohn prophezeit hatten. Schon bald fuhr der Möbelwagen mit den ersten Möbeln von Chippendale vor. Die Baronin strahlte vor Glück. Der Baron studierte die verschiedenen Modelle von Harley Davidson und entschied sich für eine Heritage Classic 114, die er in Raten bezahlte. Kurz darauf sah man ihn auf der Harley in schwarzem Leder mit schweren Stiefeln eingekleidet zur Baustelle fahren. Als er sich sein Haar und seinen Oberlippenbart dunkel färbte, schüttelte seine Frau zwar den Kopf, aber über ihre Freude an den Chippendale-Möbeln vergaß sie diese Veränderung rasch.

 

Der Baron abonnierte die „Financial Times“ und eine Fachzeitschrift für die Schweinezucht.