Ein Sommer voller Schmetterlinge - Jo Thomas - E-Book
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Ein Sommer voller Schmetterlinge E-Book

Jo Thomas

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Beschreibung

Eine Strandbar in Andalusien — davon träumt Beti schon ihr halbes Leben. Doch in Spanien angekommen, macht sich ihr Verlobter mit all ihren Ersparnissen aus dem Staub. Damit ihr Traum von einem Leben in der Sonne nicht ebenso platzt wie die geplante Hochzeit, arbeitet Beti auf einer Kirschfarm, deren hitzköpfiger Eigentümer Antonio ihr den letzten Nerv raubt. Bis eine kühne Wette sie dazu zwingt, Flamenco zu lernen — ihr Tanzpartner ist ausgerechnet Antonio ...


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Seitenzahl: 550

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Grußwort

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

Dank

Über das Buch

Eine Strandbar in Andalusien – davon träumt Beti schon ihr halbes Leben. Doch in Spanien angekommen, macht sich ihr Verlobter mit all ihren Ersparnissen aus dem Staub. Damit ihr Traum von einem Leben in der Sonne nicht ebenso platzt wie die geplante Hochzeit, arbeitet Beti auf einer Kirschfarm, deren hitzköpfiger Eigentümer Antonio ihr den letzten Nerv raubt. Bis eine kühne Wette sie dazu zwingt, Flamenco zu lernen – ihr Tanzpartner ist ausgerechnet Antonio …

Über die Autorin

Jo Thomas arbeitet seit vielen Jahren als Journalistin für verschiedene englische Radiosender. Ihr Debütroman Ein Sommer in Galway hat sich in England zu einem Bestseller entwickelt und wurde unter anderem mit dem RNA Joan Hessayon Award ausgezeichnet. Jo Thomas lebt mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in Vale of Glamorgan.

JO THOMAS

Ein Sommer voller Schmetterlinge

ROMAN

Aus dem Englischen von Gabi Reichart-Schmitz

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2018 by Jo ThomasTitel der englischen Originalausgabe: »Sunset over the Cherry Orchard«Originalverlag: Headline Review An imprint of Headline Publishing Group, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anita Hirtreiter, MünchenTitelillustration: © shutterstock: Liliya_K | pimlena | Botanical decor | Sundra | Le Panda | Anastasia LembrikUmschlaggestaltung: Manuela Städele-MonverdeE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8610-3

www.luebbe.dewww.lesejury.de

Für meine Tochter Mali.Deine Reise fängt gerade erst an … viel Spaß!Ich werde dich immer lieben. x

Liebe Leserinnen und Leser,

tretet ein! Ich heiße Jo Thomas. Falls ihr meine anderen Bücher gelesen habt, wisst ihr, dass ihr euch auf eine Geschichte über Essen und Liebe mit einer guten Portion Sonne und einem Spritzer Spaß sowie auf Charaktere gefasst machen dürft, in die ihr euch hoffentlich verlieben werdet. Falls ihr neu in meiner Welt seid, herzlich willkommen! Ich hoffe, ihr werdet bleiben!

Ich war einmal in einem meiner Lieblingsrestaurants in Apulien in Süditalien, wo ich mein zweites Buch, Ein Sommer wie kein zweiter, schrieb. Nach dem Essen kam der Restaurantbesitzer an unseren Tisch und brachte Gläser für alle und eine Flasche limoncello mit, diesen wunderbaren italienischen Zitronenlikör. Er holte sich einen Stuhl und fragte mich, was für Bücher ich schriebe. Er sprach kein Englisch, und ich konnte nicht viel Italienisch, aber irgendwie erklärte ich ihm, dass meine Romane von Essen und Liebe handelten, weil ich immer schon fand, dass die beiden eng miteinander verbunden sind. Er wiederum erzählte mir, dass sein ganzes Leben sich um die Lebensmittel dreht, die er mit seiner Familie auf seinem Land anbaut, in seiner Küche zubereitet und dann auf den Tisch bringt. Mit ausgebreiteten Armen deutete er auf den Olivenhain, der uns umgab, zeigte auf den forno in der Küche, wo das Holzfeuer munter flackerte und Rauch aus dem Kamin aufstieg, und schlug dann mit der Hand auf den blank gescheuerten Holztisch, latavola. »Für die, die wir lieben«, sagte er und legte sich die Hand aufs Herz. Und genau so ein Buch möchte ich schreiben: über die Lebensmittel, die wir anbauen, um sie zuzubereiten und auf den Tisch zu bringen – für die, die wir lieben. Also, schnappt euch einen Stuhl und setzt euch an meinen Tisch!

Diesmal sind wir in Spanien. Ich habe die Recherchereise nach Andalusien geliebt. Es war Frühling, als ich mit zwei anderen Autoren, Katie Fforde und AJ Pearce, dorthin aufbrach. Am zweiten oder dritten Tag erwachte plötzlich die Natur zum Leben, in einer wahren Explosion aus Farben, Geräuschen und Lebensfreude, die wir mit einer spanischen Fiesta in Verbindung bringen. Der Himmel war während der gesamten Woche unseres Aufenthaltes traumhaft kobaltblau. Die Weinstöcke an den Hängen rundherum wurden schlagartig grün. Was wir bei unserer Ankunft für tote Reben gehalten hatten, war auf einmal mit jungen Blättern überzogen. Zahlreiche Vögel hüpften in den Bäumen und Sträuchern herum, machten sich gegenseitig den Hof, flatterten aufgeregt hin und her, flirteten und stritten. Die Glyzinie über der Terrasse stand in voller Blüte, und die Bienen flogen wie kleine Flugzeuge geräuschvoll von einer Blüte zur nächsten. Wildblumen aller Art erblühten über Nacht und säumten die kurvenreiche Straße zu unserer Villa mit roten, violetten und gelben Farbtupfen. In der Luft lag der wunderbare Duft des gelben Ginsters, der die Hänge überzog. Die Landschaft um uns herum sah wie das Kleid einer Flamencotänzerin aus, fröhlich, prachtvoll und atemberaubend schön. Der perfekte Schauplatz für meinen Roman! Ich hoffe sehr, dass euch diese Reise an meinen spanischen Tisch vor der Kulisse der herrlichen Kirschplantagen gefällt.

Con amor

Jo

xx

Prolog

»So, dann sehen wir uns Ihre Bestellung noch mal an.« Ich lese dem Kunden, der – obwohl es Mitte Februar ist – einen Strohhut, geblümte Shorts und eine Panorama-Sonnenbrille trägt – seine Bestellung vor. Am Flughafen ist viel los, es herrscht aufgeregtes Stimmengewirr, obwohl der Regen gegen die großen, getönten Fenster prasselt und wie große Tränen die Scheiben hinunterläuft. Man kann kaum noch die großen weißen Flugzeuge erkennen, die sich auf dem Rollfeld hin und her bewegen. Aber niemand im geschäftigen Terminal scheint sich Sorgen wegen des Wetters zu machen. Alle fühlen sich offensichtlich befreit wie am letzten Schultag, während sie sich auf den Abflug in den Mittelmeersonnenschein oder in richtigen Schnee auf sonnigen Pisten vorbereiten, wo Abenteuer auf sie warten.

Manche Leute lieben den Winter. Ich gehöre nicht dazu, obwohl ich Beti Winter heiße. Ich liebe das Lächeln, das der Sommer auf die Gesichter zaubert. Die Hoffnung und Vorfreude auf das, was kommen wird. Ich liebe das Gefühl der wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Seufzend betrachte ich die aufgeregten, strahlenden Mienen der Urlauber, die in wenigen Stunden am Strand liegen und die Sonne genießen werden. Das Seufzen kommt aus tiefstem Herzen. So tief, dass man es sich kaum vorstellen kann.

»Ein dreifacher Cheeseburger mit Bacon und extra Käse, aber ohne Zwiebeln und Gurke?«

»Und mit extra Bacon. Ohne Salat. Wer braucht schon Salat auf einem Burger?«, sagt der junge Mann Ende zwanzig und wühlt in dem Geldgürtel unter seinem schwabbeligen Bierbauch. »Könnten Sie bitte mal mein Pint festhalten?« Er hält mir sein großes Glas Lager hin.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr an der Abflugtafel. Erst acht Uhr morgens. Das ist es, was die Reisenden sich unter »sich in Urlaubsstimmung bringen« vorstellen, wie ich festgestellt habe, seit ich hier arbeite. Ich halte das Bierglas fest, während der junge Mann in seinem Geldgürtel kramt.

»Mach schon, Tez! Unser Gate ist jetzt offen!«, ruft einer der Burschen hinter ihm. Die ganze Gruppe ist in ähnliche Shorts, Hüte und Sonnenbrillen gekleidet, und alle tragen T-Shirts mit der Aufschrift Al’s große Geburtstagssauftour auf der Vorderseite und Al’s 30. auf der Rückseite. »Jetzt komm!«, rufen sie und schubsen sich gegenseitig wie ausgelassene Bulldoggenwelpen.

»Ich brauch noch eine Grundlage!«, erwidert Tez, der endlich seine Bankkarte für kontaktloses Bezahlen ausgegraben hat. Ich gebe ihm sein Bier zurück.

»Eine Geburtstagsfeier, stimmt’s?« Ich nicke in Richtung seines T-Shirts.

»Ja. Wir machen das jedes Jahr mit unserem Jahresbonus. Wir sind das beste Vertriebsteam in der Computerprogrammierung weit und breit!« Er hebt die Stimme und das Glas, woraufhin seine Kumpel mit rauen Stimmen laut jubeln.

»Extra Bacon, extra Käse, keine Zwiebeln, keine Gurken und ganz sicher kein Salat.« Lächelnd reiche ich ihm seine Bestellung.

»Tschüss, Süße!« Er nimmt den Burger, stellt sein Glas auf einem Tisch in der Nähe ab und beginnt gierig zu essen, während seine Freunde ihn zum Abflugsgate ziehen wollen.

»Viel Spaß!«, sage ich. Obwohl ich mir wünsche, dass ich es wäre, die in den Urlaub aufbricht, muss ich unwillkürlich schmunzeln, als sie den jungen Mann mit sich zerren. Ich stelle mir die warme Sonne vor, die sie bei der Landung begrüßen wird; den klaren blauen Himmel, das glitzernde Meer und den weichen Sand …

»Zwei Kindermenüs mit dem gleichen Spielzeug, bitte.« Eine erschöpft wirkende Mutter holt mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie hat zwei kleine Kinder, die um sie herumtanzen, als wäre sie ein Maibaum, während sie versucht, die Kinder und die Ansammlung von Taschen zu ihren Füßen zusammenzuhalten, als müsse sie einen Sack Flöhe hüten.

Rasch bearbeite ich ihre Bestellung und reiche ihr das Tablett. »Ich habe noch zwei zusätzliche Spielzeuge dazugelegt – für den Fall, dass Sie diese schon haben«, sage ich und ignoriere den bösen Blick meiner Chefin. Sie ist ein bisschen jünger als ich, hat aber einen Stern mehr am Revers, der auf ihre Dienstjahre hinweist.

»Pro Menü ein Spielzeug!«, flüstert sie mir wütend zu. »Keine Ausnahmen!«

»Natürlich, Stacey.« Ich nicke lächelnd und lasse das zusätzliche Spielzeug trotzdem auf dem Tablett. Hoffentlich wird es der Frau auf ihrer Reise eine kleine Erholungspause verschaffen. Es ist anstrengend, mit Kindern zu verreisen. Nicht, dass ich das aus erster Hand wüsste. Ich habe keine Kinder, und ich bezweifle, dass ich mit meinen zweiunddreißig Jahren noch welche bekommen werde. Aber in den drei Jahren meiner Tätigkeit hier habe ich bereits viele Familien gesehen, die gestresst und angespannt in den Urlaub starten. Ich habe diesen Job nur zur Überbrückung angenommen, bis ich etwas Passenderes finde. Doch bisher hat sich nichts anderes ergeben.

Mit lautem Getöse startet das nächste Flugzeug. Ich kenne den Flugplan praktisch auswendig. Ich schaue auf die Uhr und zähle die Minuten bis zu meiner Pause.

»Einen einfachen Burger mit Pommes und ein Wasser, bitte«, sagt ein gut gekleideter Geschäftsmann, stellt seinen Koffer ab, zieht die Ohrstöpsel aus den Ohren und nimmt seine Geldbörse aus der Sakkotasche.

»Gute Reise«, wünsche ich, als ich ihm die Papiertüte gebe.

»Danke.« Er erwidert mein Lächeln. Dann steckt er sich seine Stöpsel wieder in die Ohren und wendet sich zum Gehen. Wieder seufze ich tief, als ich ihm hinterhersehe – voller Sehnsucht, diesem Ort ebenfalls zu entfliehen und an ein warmes und sonniges Ziel zu reisen.

»Sie müssen nicht jeden Kunden in ein Gespräch verwickeln«, sagt Stacey. »Wir sind ein Fastfood-Stand und keine Bar in Benidorm. Es gehört nicht zu unserem Job, dafür zu sorgen, dass alle sich prächtig amüsieren.«

Ehrlich gesagt würde ich lieber in einer Bar in Benidorm arbeiten, denke ich, als Stacey ihre Aufmerksamkeit auf ihr Klemmbrett richtet. »Ach, und Sie können Pause machen …«, sie wirft einen Blick auf ihre Uhr, »und zwar jetzt.«

Ich reiße mir die Kappe, die Schürze und das Namensschild runter, schnappe mir meine Handtasche und trete durch die Tür im hinteren Bereich der Küche in die überfüllte Abflughalle. Alle um mich herum schleppen große Taschen oder ziehen Rollkoffer hinter sich her. Die Leute tragen leuchtende Farben, glitzernde Flip-Flops und Strohhüte und schauen auf die Abflugtafel – voller Vorfreude auf ihre Reise. In der Luft liegt gespannte Erwartung. Dann brandet Jubel auf, als die Öffnung des nächsten Gates angekündigt wird. Wie ein Bienenschwarm bewegen sich die Menschen mit viel Lärm in dieselbe Richtung.

Offenbar wollen alle in diesen Halbjahresferien verreisen. Alle außer mir. Ich werde nach meiner Schicht in meine Wohnung zurückkehren. Was einer Reise in ausländische Gefilde noch am nächsten kommt, ist die Überlegung, von welcher Take-away-Speisekarte ich mir etwas bestellen soll. Wie an den meisten Abenden dieser Tage. Doch es war nicht immer so. Ich betrachte die glücklichen, gespannten Gesichter um mich herum. Will und ich waren auch einmal so. Ich weiß nicht genau, wann sich das geändert hat. Wann er aufgehört hat, Notiz von mir zu nehmen.

Schnell gehe ich die Treppen zu den Geschäften hinunter und verschwinde im nächstgelegenen Zeitschriftenladen, um ein günstiges Sandwich zu erstehen. Automatisch wandere ich an den Regalen mit den Zeitschriften entlang, den Hochglanzmagazinen, die alle möglichen Geschichten über Hoffnungen und Träume verkaufen. Ich würde alles dafür geben, wenn ich mein Leben sofort ändern und dringend benötigte Abwechslung ins Spiel bringen könnte. Unwillkürlich scannen meine Augen die Hochzeitsmagazine. Aber ich habe sie alle schon. Ich habe auch den Verlobungsring, obwohl es nur der schmale Ehering meiner Oma ist, eine dicke Mappe voller Pläne und den Schleier. Es fehlt bloß ein entscheidendes Detail: ein Termin.

Ich lasse meinen Blick zum obersten Regal wandern. Soll ich versuchen, ein bisschen mehr wie das Model auf der Titelseite auszusehen? Ist es das, was ich tun muss? Ganz kurz frage ich mich, ob ich es schaffe, diese Pose einzunehmen. Nein, ich habe schon genug neue Unterwäsche gekauft, sage ich mir und denke an meine Kreditkartenabrechnung. Mein Blick wandert weiter zu den Elternzeitschriften. Aber ich weiß, dass wir dafür auf keinen Fall bereit sind. Eigentlich bin ich mir gar nicht sicher, ob wir je Kinder haben werden, da praktisch jeder sein eigenes Leben lebt. Ich kann mich nicht erinnern, wann Will in letzter Zeit ins Bett kam, bevor ich eingeschlafen war – wir kuscheln kaum noch miteinander.

Meine Augen bleiben an einem Bild hängen: blauer Himmel mit weißen Schäfchenwolken, toffeebraune Natursteinhäuser an einem Berghang über einem herrlichen Strand, dahinter das Meer. Eine Zeitschrift über Lebensträume im Ausland, in der Sonne. Ich nehme es in die Hand, als gerade das nächste Flugzeug mit Getöse in den Himmel steigt.

»Das hier ist keine Bücherei, wissen Sie! Sie müssen das jetzt kaufen«, ruft der Verkäufer mir zu.

»Wie bitte?«

»Es gibt nichts Schlimmeres, als eine aktuelle Zeitschrift zu kaufen, die schon jemand anders im Laden gelesen hat«, erwidert er in scharfem Ton und rückt seine Brille zurecht. Wenn er sich nicht so herablassend geben würde, wäre ich wahrscheinlich sogar seiner Meinung!

Ich sehe nach, wie viel das Magazin kostet, und bin entsetzt. Aber nicht einmal der Preis kann mich vom Kauf abhalten. Der bloße Anblick des Fotos gibt mir den Auftrieb, den ich unbedingt brauche.

Ich bezahle und drücke die Zeitschrift zusammen mit einer Packung Weingummi und einem Sandwich an die Brust, während ich mich auf den Weg zum Sitzbereich mache. Ich möchte mich hinsetzen, jede einzelne Seite auskosten und so tun, als würde ich tatsächlich in ein Flugzeug steigen und irgendwohin fliegen. Ich lege meine Kappe, die Schürze und das Namensschild neben mich, packe mein Eier-Kresse-Sandwich aus und teste durch rasches Drücken, ob es frisch ist. Dann nehme ich die Zeitschrift und stelle mich darauf ein, mich in den kommenden zwanzig Minuten in den Seiten zu verlieren. Aus meinem traurigen Seufzen wird ein zufriedenes. Ich beiße in mein Sandwich und lasse mich tiefer in den Sitz sinken.

Ich habe gerade die ersten drei Seiten gelesen, als ich es höre: eine Stimme, die ich immer und überall wiedererkennen würde, kreischend vor Lachen. Eine schrille Stimme, die den Lärm der aufgeregten Reisenden in der Abflughalle scharf durchdringt. Ich erstarre und fasse dann die Seiten meiner Zeitschrift fester, während ich über den Rand spähe und eine vertraute Gestalt in einer kleinen Gruppe Frauen durch die Halle gehen sehe. Sie sind alle Ende zwanzig, Anfang dreißig, tragen übergroße Handtaschen am Unterarm und haben teure Pudelmützen aus Kunstpelz auf dem Kopf, wie sie in den Flughafenshops zum Verkauf angeboten werden. Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigen sich. Es ist meine Cousine Olivia mit ihren Freundinnen. Und sie kommen auf mich zu. Das Herz rutscht mir in die Hose.

Hektisch sehe ich mich nach einer schnellen und einfachen Fluchtmöglichkeit um. Die Toiletten befinden sich in Sprintdistanz. Ich sammle mein Sandwich, die Zeitschrift, die Kappe, die Schürze und das Namensschild ein und will gerade aufstehen, als Olivia mich entdeckt. Verdammt! Ich hätte mich hinter dem Magazin verstecken sollen. Eine klassische Fehlentscheidung. Aber jetzt ist es zu spät.

»Bet? Bist du das?«, sagt sie, als würde sie durch ein Megafon trompeten.

Olivia und ihr Vater, mein Onkel Paul, bestehen darauf, mich Bet zu rufen, obwohl ich ihnen immer wieder erklärt habe, dass ich lieber Beti genannt werden möchten. Onkel Paul und mein Vater haben ein schwieriges Verhältnis. Das reicht viele Jahre zurück – mein Onkel hat meiner Mom nie verziehen, dass sie ihm meinen Dad vorgezogen hat; Onkel Paul nutzt jede sich bietende Chance, meine Eltern zu übertrumpfen, was ebenfalls beinhaltet, dass er mich bei jeder Gelegenheit schlechtmacht.

Mein Herz schlägt heftig, und mein Mund wird trocken, als ich aufstehe und die Kappe, die Schürze und das Namensschild hinter der Zeitschrift verberge. Olivias Freundinnen starren mich an, als erwarteten sie, dass ich etwas Spannendes oder Lustiges sage.

»Die Welt ist klein!«, meint Olivia, beugt sich vor und berührt zur Begrüßung unbeholfen mit ihren Wangen die meinen. Ihre sind knochig und spitz. Meine Wangenknochen sind gut gepolstert und versteckt. »Das ist meine Cousine Elizabeth, aber wir nennen sie Bet«, erklärt sie ihren Freundinnen.

»Hi!« Ich nicke den Frauen zu, dann sehen wir uns verlegen an. Ich wünsche mir sehnlichst, dass Olivia nicht fragt, was ich hier mache.

»Was machst du hier?«, sagt sie prompt mit diesem vertrauten spöttischen Funkeln in den Augen. Sie wirft ihre Haare über die Schulter.

»Und … habt ihr euch ein schönes Ziel ausgesucht?«, frage ich gleichzeitig. Die Frage ist lächerlich. Wir sind in der Abflughalle eines Flughafens. Natürlich sind sie unterwegs zu einem hübschen Ort. So wie jeder hier. Deshalb liegt ja diese gespannte Vorfreude in der Luft.

»Island! Reykjavík!« Sie lässt es sich nicht zweimal sagen, wenn die Chance besteht, ins Rampenlicht zu treten. Das war nie anders gewesen. Wir sind zusammen aufgewachsen, und man hat uns bei jeder Familienfeier und in jedem Urlaub zusammengespannt. Aber wir sind grundverschieden. Olivia gehörte schon immer zu den beliebten Mädchen, während ich … na ja, ich nicht. Ich habe nie richtig dazugepasst.

Sie strahlt ihre Freundinnen an, die alle gleich aussehen. Die langen geglätteten Haare, die mit Kunstpelz besetzten Krägen, die dicke Make-up-Schicht und die konturierten Lippen im Nude-Look. Wenigstens unterscheiden sie sich durch die Mützenbommel in unterschiedlichen Farben.

»Es ist Georgias Junggesellinnenabschied!«, sagt Olivia. Die Frau mit der schwarzen Mütze mit dem pinkfarbenen Bommel sticht aus dem Haufen heraus, als wäre sie ein kostbares Juwel inmitten eines Bettes aus weichen pastellfarbenen Federn.

»Ach ja, die Junggesellinnenabschiedsparty«, sage ich. Natürlich. Seit Wochen haben sie auf Facebook nur noch darüber gepostet, seit die letzte Party vorbei war, eine Babyparty in einem schottischen Schloss.

»Jungesellinnenabschiedswochenende! Niemand macht mehr bloß eine Party«, stellt Olivia vergnügt fest.

Mit viel Mühe verziehe ich die Lippen zu einem Lächeln. »Nun, dann wünsche ich euch ein tolles Wochenende. Und Glückwunsch!«, füge ich hinzu in der Hoffnung, mich mit dem letzten Rest meiner Würde verdrücken zu können.

»Was? Das ist Bet, deine Cousine, die schon dreimal verlobt war?«, fragt die Frau mit der beigefarbenen Mütze – passend zu ihrem Make-up – mit hellblauem Bommel, zeigt mit ihrem Gelfingernagel auf mich und taxiert mich von Kopf bis Fuß. Die anderen folgen ihrem Beispiel. Plötzlich brennen meine Wangen, und ich wünschte, ich könnte mir mit der Zeitschrift kühle Luft zufächeln.

»Ja, genau die!«, scherze ich, doch innerlich sterbe ich tausend Tode. So ist das nicht!, möchte ich gerne erklären, aber ich finde nicht die richtigen Worte.

»Wir haben schon so viel von dir gehört!«, sagt die Frau mit dem silbernen Mützenbommel, und ich höre unterdrücktes Kichern. Plötzlich fühle ich mich zurückversetzt auf den Schulhof, wo meine Cousine und ihre Freundinnen mich immer gehänselt haben. Das werde ich nicht zulassen!

»Ach ja! Bestimmt nur Gutes!«, kontere ich.

»Also, Bet, was ist denn mit dem geheimnisvollen Will? Habt ihr endlich einen Hochzeitstermin festgelegt? Wie lange seid ihr jetzt bereits zusammen?« Olivia leckt sich förmlich die Lippen, wie eine Katze, die mit ihrem Opfer spielt.

»Äh, warte, ungefähr fünf Jahre«, antworte ich so entspannt wie möglich.

»Fünf Jahre!«, wiederholt die Gänseschar fast einstimmig.

»Und so geheimnisvoll ist Will gar nicht. Du hast ihn doch kennengelernt, Olivia«, fahre ich entschlossen fort.

»Seit fünf Jahren verlobt! Und es gibt noch keinen Hochzeitstermin?«, will die zukünftige Braut wissen.

»Ähm, nein.« Meine stolze Haltung gerät ein bisschen ins Wanken, und ich wünsche mir sehnlichst, dass der Flug nach Reykjavík aufgerufen wird. »Kein festes Datum, noch nicht.« Ich schlucke. »Wir sind noch in der Planungsphase. Ihr wisst ja, wie anstrengend diese Dinge sein können!« Ich straffe die Schultern und spreche die zukünftige Braut direkt an, die auch zustimmend nickt, als wäre ich auf einmal eine verwandte Seele.

»Oh, Bet plant ständig. Sie hat ganze Mappen voller Ideen. Und sie hat jede Menge Übung, weil sie schon drei Verlobungsfeiern hinter sich hat!« Alle lachen. »Sie kennt jeden Blumenhändler und jedes Geschäft für traditionelle Gastgeschenke und Brautzubehör in der Umgebung«, fährt Olivia fort. »Mein Dad hat immer gewitzelt, dass sie ihren eigenen Parkplatz bei diesen Hochzeitsmessen haben sollte – weißt du noch, Bet?« Wieder lacht sie, und diesmal kocht ein bisschen Wut in mir hoch.

Das ist das Problem, wenn man in einem kleinen Ort lebt: Jeder weiß über die Angelegenheiten von jedem Bescheid, und niemand vergisst etwas. Ja, ich war zuvor schon mal verlobt. Doch mit Will ist es anders. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden, und wir haben uns gesehen, sooft es ging, obwohl er in Bristol lebte und ich noch in West Wales. In jenen Anfangstagen konnten wir nicht genug voneinander bekommen. Er hat mich umständlich gefragt, ob ich ihn heiraten will, und so haben wir es dann beschlossen. Zwar haben alle mir gesagt, es wäre zu früh, aber es fühlte sich aufregend und spannend an, so impulsiv zu sein. War genau das, was ich nach dem Tod meiner Oma brauchte, nach all der Traurigkeit. Nicht lange danach zog ich zu Will nach Bristol, und da bin ich immer noch.

Bei meiner ersten Verlobung war ich gerade mal sechzehn. Auf meiner Schulabschlussfeier habe ich mich mit meinem ersten Freund Rhys verlobt, und wir wollten nach seinem Abitur zwei Jahre später heiraten. Ich sah mir das Standesamt an und beschloss, nach der Trauung eine Grillparty im Garten meiner Eltern zu organisieren. Alles sollte so kostengünstig wie möglich sein. Doch im folgenden Sommer schmiedete er Studienpläne, und ich blieb in Swn y Mor zurück, mit gebrochenem Herzen und einem Stapel Hochzeitsplänen, die ich zusammen mit meinen Kindheitserinnerungen in der untersten Schublade meiner Kommode versteckte.

Mit Anfang zwanzig lernte ich dann Tom kennen. Ich dachte, er wäre der Richtige. Tom war Koch und arbeitete in einem der großen Hotels am Meer. Wir waren glücklich. Und ich glaube, das hat Olivia am meisten gewurmt. Ich hatte mein Glück direkt vor der Haustür gefunden, und Olivia wollte immer schon das haben, was andere hatten. Also hat sie sich Tom geschnappt, und als sie feststellte, dass sie immer noch nicht zufrieden war, ließ sie ihn fallen. Danach haben Tom und ich versucht, uns zu versöhnen, aber es hat nicht funktioniert. Ich konnte ihm nicht wirklich verzeihen. Wir haben uns Mühe gegeben, doch schlussendlich wollten wir unterschiedliche Dinge. Er liebäugelte mit der Leitung eines Restaurants in Glasgow, ich träumte von einer Bar in Spanien; schließlich beendeten wir unsere Beziehung.

Dann lernte ich Will kennen und begriff, dass er alles vereinte, was ich mir je erhofft hatte. Alle lieben Will. Wie könnte man ihn nicht lieben? Er ist aufgeschlossen, freundlich, lustig, intelligent und hat eine gute Arbeitsstelle. Ganz abgesehen mal von seinem Aussehen: dunkelhaarig und fit … diese muskulösen Arme! Er spielt sogar als Leadgitarrist in einer Band in der Kneipe um die Ecke. Er sieht ein bisschen aus wie Danny O’Donoghue aus der Band The Script. Okay, er ist kein Ire, aber seine Augen funkeln genauso. Wenn er auf einer Party auftaucht, ist sofort mehr Stimmung. Deshalb war er so ein guter Animateur, als ich ihn kennenlernte. Er gab jedem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Und wenn er mich damals ansah, kam es mir vor, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt.

»Dann gibt’s also nach wie vor keinen Termin für den großen Tag?«, unterbricht Olivia meine Gedanken. Ihre Augen funkeln boshaft.

»Na ja, es war viel los in letzter Zeit«, lüge ich rasch. Es war überhaupt nichts los, abgesehen von aufstehen, zur Arbeit gehen, nach Hause kommen, essen, schlafen. Obwohl wir uns sechs Wochen, nachdem wir ein Paar geworden waren, verlobt hatten, legten wir uns nie auf einen Hochzeitstermin fest.

Wills Mutter lag mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus, und wir besuchten sie gleich am ersten Tag. Es stand irgendwie alles auf der Kippe. An jenem Abend, nachdem wir unsere Käse-Makkaroni aus der Mikrowelle gegessen hatten und auf dem Sofa kuschelten, fragte Will mich, ob es in Ordnung wäre, wenn er ihr sagte, wir seien verlobt. Er glaubte, das würde sie aufheitern. Ich stimmte zu. Es fühlte sich aufregend an, so spontan zu sein. Und es heiterte seine Mutter tatsächlich auf. Er versprach mir einen richtigen Antrag, sobald es ihr wieder besser ginge, das volle Programm mit Niederknien an einem romantischen Ort, und er gab mir freie Hand, was das Organisatorische betraf.

Ich stürzte mich in die Vorbereitungen, um mir selbst zu versichern, dass es auch tatsächlich zu dieser Hochzeit kommen würde. Diese Mappe zu haben ließ mich immer wieder an die lustigen Zeiten denken, die noch kommen würden, während sich im richtigen Leben eine ernüchternde Alltagsroutine einstellte. Seine Mom liebte es, über meine Pläne zu reden, doch der richtige Antrag kam nicht, und es wurde auch kein Termin festgelegt. Wir glitten einfach nur in den »Verlobungsmodus«. Will fand, wir sollten warten, bis alles in »geordneten Bahnen« verlief – was auch immer das bedeuten soll. Und jetzt sind wir regelrecht in einer Sackgasse gelandet. Ich würde alles tun, um uns da rauszuholen.

Bing bong, ertönt die Lautsprecheranlage. Ich spitze die Ohren und hoffe auf den Aufruf für Reykjavík, doch es ist bloß eine Kundendurchsage. Bestimmt hat ein Fluggast seinen Pass an der Sicherheitsschleuse vergessen.

»Nun, Bet, was machst du denn eigentlich hier?« Erwartungsvoll blickt Olivia sich um, ob sie Will irgendwo entdecken kann. »Du arbeitest doch nicht etwa noch hier, oder doch?«

Ich kann ihr nicht sagen, dass ich tatsächlich noch hier arbeite. Ich bin zweiunddreißig, Herrgott noch mal! Kann es das sein? Burger zu verkaufen und zuzusehen, wie das Leben aller anderen Leute weitergeht, im wahrsten Sinne des Wortes? Ich schaue auf die Abflugtafel und scanne die Abflüge. Olivias Freundinnen beobachten mich wie Aasgeier, die auf ein Opfer warten.

»Ob ich hier arbeite? Meine Güte, natürlich nicht!« Meine Kiefermuskeln verkrampfen sich bei der Lüge. »Ich bin auf dem Weg nach Spanien, nach Malaga.« Ich nicke Richtung Abflugtafel. »Eine … äh … Recherchereise.«

»Sag bloß, du machst es tatsächlich! Du wirst deine eigene Bar haben! Bet hat immer schon davon geredet, in Spanien zu leben und eine Bar zu führen«, erklärt Olivia ihren Freundinnen. Es stimmt, das war mein Traum, seit ich zum ersten Mal in Spanien Urlaub machte. »Wo ist Will?«, fragt Olivia und sieht sich wieder um.

»Auf der Toilette«, lüge ich und spüre, wie mein Kopf zu schmerzen beginnt. Was rede ich da? Sag einfach die Wahrheit, Beti!

»Sie versteckt ihn immer gut«, sagt Olivia mit hochgezogenen Augenbrauen. Und wer könnte es mir verdenken nach letztem Mal? »Will und sie haben sich in Spanien kennengelernt. Er hat als Animateur gearbeitet«, erzählt Olivia ihren Freundinnen, die an ihren Lippen hängen. »Du kannst das bestimmt toll, eine Bar leiten.« Als sie mir zulächelt, verglühen die Flammen der Wut ein bisschen.

»Meinst du?«, antworte ich, und meine Wachsamkeit lässt ein winziges bisschen nach.

»Bet weiß, wie man Partys organisiert. Tabellen, Kostenaufstellungen, Partythemen … na ja, mit ihren drei Verlobungen hatte sie ja schon jede Menge Übung!« Alle lachen schallend, und die Flammen der Demütigung in meinem Gesicht und die der Wut in meinem Bauch flackern erneut auf.

Und dann kommt endlich der Aufruf für den Flug nach Reykjavík. Ich atme erleichtert auf, obwohl meine Pause fast vorbei ist und ich noch kaum etwas von meinem Sandwich gegessen habe.

»Das sind wir!«, kreischt die künftige Braut.

»War nett, dich kennenzulernen, Bet«, sagt eine andere Frau.

»Hoffentlich klappt das mit der Bar!«, fügt die nächste hinzu, und die anderen nicken zustimmend, während sie sich alle gleichzeitig auf das Abfluggate zubewegen.

»Fliegst du wirklich nach Spanien, um eine Bar zu finden?« Olivias Augen sind ganz groß vor Bewunderung und einer gehörigen Portion Ungläubigkeit.

»So ist es«, antworte ich mit fester Stimme und überrasche mich selbst. Wieder werfe ich einen Blick auf die Abflugtafel und spüre, wie Erregung mich erfasst. Warum nicht? Ich erinnere mich an die junge Beti mit ihren Hoffnungen und Träumen, und plötzlich erwacht in mir ein Gefühl der Entschlossenheit.

»Poste es einfach auf Facebook, dann kommen wir dich besuchen!« Und damit rennen sie förmlich auf ihr Abfluggate zu, auf einer Welle der Vorfreude angesichts ihres nächstes Abenteuers reitend. In ihrem Leben gab es offensichtlich immer etwas Neues. »Drei Verlobungen, und trotzdem hat sie es nie vor den Traualtar geschafft?«, höre ich eine von ihnen fragen, dann kichern alle.

Als ich das Magazin aufschlage, bleibt mein Blick ganz vorne an einer Auflistung von Bars und Restaurants in Andalusien hängen, die zu verpachten sind. Mein Namensschild fällt runter und kullert unter die Räder eines Rollkoffers. Ich schaue wieder auf die Abflugtafel, dann auf die Anzeige. Was, wenn ich einfach einen Flug buche und eine Bar pachte? Ist es nicht das, was die Leute tun? Würde meine Oma es gutheißen, wenn ich das Geld aus dem Verkauf der Porzellankuh, die sie mir hinterlassen hat, dafür verwenden würde? Ich hatte eigentlich vor, es als Hochzeitsbudget einzusetzen. Ich kaue nachdenklich auf meiner Unterlippe. Wozu, wenn es keinen Hochzeitstermin gibt?

Ist es nicht genau das, was Will und ich brauchen, um uns aus der Sackgasse zu manövrieren und uns an das Paar zu erinnern, das wir einmal gewesen sind? Eine eigene Bar? Ein Neustart? Scheiß auf die neue Unterwäsche und das Chicken Biryani, das ich heute Abend bestellen wollte! Wir brauchen ein Abenteuer, einen Tapetenwechsel! Und wenn wir uns erst in Spanien häuslich niedergelassen haben, werden wir bestimmt bald einen Hochzeitstermin festlegen und ihn auf Facebook posten. Das ist es, was Oma für mich gewollt hätte. Und genau das werde ich tun.

Ich klemme mir die Schürze und die Kappe unter den Arm und sehe zu, wie der Rollkoffer mein Namensschild ausspuckt, verbeult und verbogen. Mit lautem Getöse startet das nächste Flugzeug, und gleichzeitig erwacht der kleine Funken in meinem Bauch zum Leben.

Wieder betrachte ich die Anzeigen in der Zeitschrift. Eine bestimmte spricht mich ganz besonders an – die Butterfly Bar. Sie liegt direkt am Hafen und bleibt in meinem Budgetrahmen. Ich schreibe Will eine Nachricht und verabrede mich nach der Arbeit mit ihm. Will ist gut in seinem Job, aber eigentlich würde er am liebsten als Gitarrist in einer Band spielen. Und wo könnte er das besser als in unserer eigenen Bar im sonnigen Spanien?

Ich bücke mich und hebe mein Namensschild auf. Dort, wo ich hingehen werde, werden alle meinen Namen kennen. »Gehst du in Betis Bar?« Ich stelle mir vor, wie die Urlauber sich diese Frage stellen. Ja, ich werde es tun! Ich werde keine Burger mehr zubereiten. Beti Winter hat endlich ein Ziel.

1. Kapitel

»Also, Sie möchten einen Burger mit Bacon, ohne Zwiebeln und ohne Gurken, dafür mit extra Käse, richtig?«

»Und eine Diät-Cola. Ich schütte einen Bacardi rein oder wie dieses spanische Zeug heißt«, sagt der Mann an der Theke und hält eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit hoch. Er ist in den Zwanzigern, trägt einen Strohhut und Blümchenshorts, und seine sonnenverbrannte Nase hat die Farbe eines gekochten Hummers.

»Okay. Bitte schön. Lassen Sie sich Ihr Frühstück schmecken. Adiós!« Ich reiche ihm die Papiertüte, an deren Seiten sich bereits Fettflecken ausbreiten.

»Hä?« Fragend sieht er mich an.

»Das heißt auf Wiedersehen … auf Spanisch.«

»Ach so, tschüss dann!« Er wendet sich ab und beißt herzhaft in seinen Burger.

»Würden Sie bitte zusammenfegen?«, weist mich Victoria an. »Und danach können Sie in die Pause gehen.« Victoria ist groß, blond und schlank und stammt aus Clapham. Sie ist zehn Jahre jünger als ich. Der Burger-Laden gehört ihrem Vater, und sie hilft aus, weil er einen Herzinfarkt hatte und sich einige Zeit schonen muss. Letztes Jahr hat sie ihr Studium in Publizistik mit einer Zwei abgeschlossen. Ich dagegen habe nur ein paar Abendkurse in Kunstgeschichte und Tourismus belegt. Selbst damals gefiel mir schon die Vorstellung, im Ausland zu leben.

Victoria hat mir erzählt, dass sie ihre Optionen abwägt. Anders ausgedrückt, sie bewirbt sich um »richtige« Stellen. Sie hat laut gelacht, als ich sie gefragt habe, wie lange sie in Spanien bleiben will. »Meine Güte, das hier will ich bestimmt nicht mehr machen, wenn ich erst mal dreißig bin!« Sie hofft, bei BBC oder Channel 4 unterzukommen, und möchte Dokumentarfilmproduzentin werden.

Ich fege zu Ende, dann nehme ich die Kappe und die Schürze ab. Es ist zwar erst Ende März, doch die Sonne wärmt bereits so stark wie zu Hause an einem sonnigen Maitag. Ich bin seit zwei Wochen hier, und es ist eine Qual, in einer Nylonhose hinter der Theke zu arbeiten. Ich knöpfe meine Bluse auf und ziehe sie aus. Darunter trage ich ein Trägertop. Als die leichte Meeresbrise meine Haut streichelt, seufze ich erleichtert auf. Der Himmel ist strahlend blau, wie die Plakatfarbe, mit der ich immer als Kind gemalt habe. Die wenigen Schleierwolken lösen sich schon in der Wärme auf, und die Urlauber nutzen den Sonnenschein. Daheim regnet es in Strömen, wie meine Mutter mir gesimst hat.

Ich nehme meine Tasche aus dem Schrank hinten im Laden und gehe zu der Snackbar auf der anderen Seite des Platzes, vorbei an den großen, sich sanft wiegenden Palmen in ihren Holzfässern.

»Hey, Beti. Wie immer?« Craigs tiefgebräuntes, schweißbedecktes Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen. Seine weißen Zähne habe die gleiche Farbe wie die Spitzen seiner stacheligen Haare. Er trägt ein ärmelloses weißes Shirt und Jeansshorts. Seine farbenfrohen Freundschaftsbändchen – er trägt viele davon – rutschen um seine Handgelenke, als er die knusprigen Baconstreifen auf dem zischenden Grill wendet.

»Ja, bitte, Craig.« Craigs bemehlte Speckbrötchen mit brauner Soße sind die besten – und mit einer Tasse Tetley-Tee sind sie noch besser. Craig hat einen kleinen Laden mit einem Kühlraum, einem Grill und einer Teemaschine, und wenn er seine Frühstücksbrötchen alle verkauft hat, verbringt er den Rest des Tages am Strand und sonnt sich.

»Was geht?« Er lächelt, bevor er etwas leiser fragt: »Gibt’s Neuigkeiten?« Er neigt mitfühlend den Kopf, und obwohl er es gut meint, traue ich mich nicht zu antworten, sondern schüttele nur den Kopf, während ich in meiner Handtasche nach meinem Geldbeutel krame.

Er reicht mir mein Bacon-Brötchen in einem Stück Küchenrolle. Ich nehme es, als würde er mir ein Geheimmittel zum Heilen eines gebrochenen Herzens überreichen.

»Und vergiss nicht, deine Teetasse nachzufüllen!«, ermahnt er mich mit Nachdruck, wie er es täglich tut, seit ich vor einer Woche meine Arbeit bei Buster’s Burgers aufgenommen habe, mitten im Herzen des Hafenbezirks. Lado del Puerto ist eher bekannt für seine vielgeschossigen Apartmentgebäude, die britischen Bars und den langen, überfüllten Strand als für seinen traditionellen Markt und den zurückgehenden Fischfang.

»Danke, Craig.« Ich möchte ihm für alles danken, nicht nur für Tee und Brötchen, sondern auch für sein Mitgefühl. Doch meine verräterisch zitternde Unterlippe lässt es nicht zu. Stattdessen nehme ich mein Frühstück und setze mich in den Schatten eines Bastsonnenschirms auf der anderen Seite der Palmen, so weit wie möglich entfernt vom Touristentrubel. Manche kurieren ihren Kater aus und lassen die Partys vom Vorabend Revue passieren, manche haben es – zumindest machen sie den Eindruck – gar nicht erst ins Bett geschafft. Ich schaue aufs Meer hinaus und betrachte die Fischerboote, die gerade hereinkommen, dann halte ich mein Gesicht in die Vormittagssonne, genieße die warmen Strahlen und hoffe, dass sie meine erschöpften Augen und meinen Lebensmut wieder zum Leben erwecken werden.

Ich packe mein Speckbrötchen aus und atme tief den Duft ein. Er erinnert mich umgehend an alles, was ich hinter mir gelassen habe. In Bristol hatte ich zumindest ein Zuhause, ein Leben, einen Job und Hochzeitspläne. Ich glaubte, dass die Reise nach Spanien alles besser machen und Will und ich nicht mehr auf der Stelle treten würden. Wir wollten einen eigenen Laden aufmachen und freuten uns auf die Zukunft. Ich dachte, dass für mich endlich eine neue Lebensphase kommen würde. Stattdessen habe ich alles verloren.

Ich trinke einen Schluck Tee. Craig macht einen richtigen Bauarbeitertee, wie mein Dad ihn nennen würde – stark, schwarz, mit Milch und Zucker. Gott, ist der heiß! Glühend heiß. Aber wenigstens lenkt er mich von meinem Herzschmerz ab. Ich nehme noch einen Schluck und beiße ein kleines Stück von dem weichen weißen Brötchen mit dem salzigen Bacon ab. Es ist seltsam, dass der Duft manchmal verlockender sein kann als der tatsächliche Geschmack. Ein bisschen wie das Leben, wo sich die Vorstellung, die man sich von einer Sache macht, so sehr von der Wirklichkeit unterscheiden kann, dass man sich schließlich fragt, warum man überhaupt im Vorfeld darüber nachgedacht hat.

Ich war der Meinung, dass der Umzug nach Spanien genau das wäre, was Will und ich brauchten, um den Alltagstrott hinter uns zu lassen. Dass er Schwung in unser Leben bringen würde, damit im Bett wieder etwas lief und wir endlich Heiratspläne schmiedeten. Ich meine, es heißt ja, dass man ständig an Beziehungen arbeiten muss, oder nicht? Ich wollte, dass er wieder Notiz von mir nahm und mich wieder ansah wie früher. Ich habe schon alles andere versucht: ein romantisches Candlelight-Dinner, sexy Unterwäsche, eine neue Frisur – was ich jetzt bitter bereue – mit blonden Strähnchen in meinen von Natur aus brünetten Haaren. Ich lasse die Strähnchen herauswachsen und kann meine Haare gerade wieder mit einem Haargummi zurückbinden, Gott sei Dank.

Will und ich lernten uns in Spanien kennen, als ich mit siebenundzwanzig dort Urlaub machte … zusammen mit meinen Eltern! Mom und Dad hatten einen kleinen Gewinn mit Prämienanleihen erzielt und fanden, ich bräuchte eine Auszeit, nachdem ich meine Oma so lange gepflegt hatte. Ich hatte bei ihr gewohnt, nachdem sie gestürzt war und sich die Hüfte gebrochen hatte. Während dieses Urlaubs beschloss ich, dass ich eines Tages in Spanien leben und eine eigene Bar führen wollte. Ich sah mich selbst Drinks und Tapas servieren und jeden Tag den Sonnenschein genießen. Es gab eine leer stehende Bar, die ich jeden Tag betrachtete – ich träumte davon, was ich daraus machen würde, welches Farbkonzept und welche Einrichtung ich wählen würde. Nach meiner Rückkehr lernte ich sogar Spanisch mithilfe eines aus vier CDs bestehenden Sprachkurses. Ob ich wohl deshalb die Arbeit am Flughafen angenommen habe? Dort war ich meinem Ziel wenigstens einen Schritt näher. Ich musste nur noch irgendwann in ein Flugzeug steigen. Und dieser Tag ist schließlich gekommen.

Der Fairness halber muss ich sagen, dass Will überraschend einfach zu überzeugen war. Er hatte die Nase voll davon, im Reisebüro zu arbeiten und am Telefon Reisen und Versicherungen zu verkaufen, und hat die Gelegenheit zum Ausbruch beim Schopf gepackt. Man hat ihm sogar ein sechsmonatiges Sabbatical angeboten, nach dem er seine Arbeit zurückhaben kann, wenn er möchte. Was konnte da schon schiefgehen? Ich glaubte, ich wäre bereits am Ziel meiner Träume. Ein Sommer hier mit unserer eigenen Bar, und dann eine Winterhochzeit am Strand an einem warmen Ort. Wir kündigten unsere dunkle, laute Mietwohnung, die eigentlich nur eine Übergangslösung sein sollte, in der wir aber hängen geblieben waren.

Die nächsten Wochen verbrachten wir mit Entrümpeln und Packen, kämpften uns durch Webseiten, trafen eine kleine Vorauswahl an Bars und machten Besichtigungstermine für jene aus, von denen wir glaubten, es könnten die richtigen sein. Wir verbrachten mehr Zeit zusammen, fühlten uns wohl miteinander, lachten viel und freuten uns auf die Zukunft.

Wir haben sogar unsere Bar gefunden – die Butterfly Bar, auf die ich schon in der Anzeige in dem Reisemagazin gestoßen war. Ich kann die Bar von dort, wo ich gerade sitze, sehen, und sie ist perfekt: mit Blick auf den Hafen und ganz in der Nähe des Strandes. Harold und Brenda, die derzeitigen Eigentümer, sitzen gerade davor. Er trägt ein Hawaii-Hemd, das über seinem trommelähnlichen Bauch spannt, hat verblasste Tattoos und einen Schnurrbart. Er winkt mir zu, und ich lächele. Er trinkt um zehn Uhr morgens ein kühles Bier. Das scheint hier an der Tagesordnung zu sein! Brenda ist knackig braun und trägt ein geblümtes Kleid. Ich winke zurück, während mich eine heiße Woge der Scham überkommt, als ich daran denke, was ich ihnen gestehen muss.

Als ich die Butterfly Bar zum ersten Mal sah, war es sofort um mich geschehen. Ich wusste, es ist die richtige. Es gibt jede Menge Laufkundschaft. Es gibt genug Platz für eine kleine Band und genügend Tische und Stühle draußen. Und das gesamte Inventar wird mit verpachtet: die Gläser, die Ausstattung, alles! Wir müssten die Bar einfach nur wiedereröffnen und hätten alles im Handumdrehen im Griff. Über der Bar gibt es sogar ein kleines Ein-Zimmer-Apartment. Wir waren so begeistert, dass wir den Deal umgehend per Handschlag festgemacht haben. Harold und Brenda waren offensichtlich auch sehr angetan; sie sagten, sie wollen die Bar gerne einem jungen Paar übergeben, das sie an sich selbst erinnerte, vor allem, als sie hörten, dass ich aus Wales stamme – wie auch sie. Sie fanden uns perfekt. Wir gingen aus und feierten und posteten auf Facebook massenweise Selfies, auf denen wir jubelnd mit Sekt anstießen. Es ging bergauf! Endlich würde ich meinen Traum leben.

An jenem Abend fand im Hafen ein Osterfest statt. Überall wurden Feuerwerkskörper gezündet, Musik spielte, und es wurde getrunken. Eine Blaskapelle spielte, und auf einer Prozession von Flößen tanzten geschmückte Tänzer und Tänzerinnen. Ich habe keine Ahnung, was das alles mit Ostern zu tun hatte, aber egal. Da ich zu viel Sangria getrunken hatte, brachte Will mich irgendwann zu unserer Ferienwohnung zurück. Während ich ins Bett fiel und mein Gesicht ins Kissen drückte, ging er zum Hafen zurück, um noch ein paar Bier mit einer Band zu trinken, die wir im Nachtclub Pink Flamingo kennengelernt hatten. Und dann, na ja … Ich trinke noch einen Schluck von meinem Tee, der mittlerweile kalt geworden ist. Bei dem Gedanken wird mir immer noch schlecht. Irgendwann kehrte er ins Apartment zurück, packte seine Sachen und verschwand. Einfach so. Und später schickte er mir eine SMS.

Ich nehme mein Handy aus meiner Tasche, kontrolliere, ob neue Nachrichten eingegangen sind, und lese wieder jene letzte SMS.

Es tut mir so leid, Beti. Ich weiß, ich kann nicht erwarten, dass du mir verzeihst, was ich getan habe. Ich glaube, es wäre besser, wenn wir getrennte Wege gehen. Es tut mir leid.

Ich trinke wieder etwas, aber ich schmecke nichts.

Es war die Bank, die mich auf »verdächtige Kontobewegungen« auf unserem gemeinsamen Konto aufmerksam machte, und ich stellte fest, dass er es quasi leer geräumt hatte. Die Kaution für die Bar, die paar Tausend aus dem Erbe meiner Oma, waren verschwunden.

Ich habe seine Nummer bestimmt hundertmal angerufen und bin immer auf der Mailbox gelandet. Genauso oft habe ich seinen Facebook-Status überprüft. Nichts. Wie bei mir ist der Stand noch von jenem Tag, an dem wir das Finden unserer Bar und den Beginn unseres neuen Lebens in der Sonne gefeiert haben.

Natürlich habe ich mich umgehört. Es war Craig, der mir von Wills neuen Reisegefährten erzählt hat: einer Band namens Itchy Feet, die jeden Gig spielt, den sie bekommen kann – mit einer eins achtzig großen schwedischen Sängerin, die Freya heißt. Laut Craig hat Will mit einer Gruppe Schotten Karten gespielt. Die Sangria floss in Strömen, und an einem einzigen Abend war das Geld meiner Oma futsch. Will muss mindestens dreimal zum Geldautomaten gegangen sein. Ich kann immer noch das Surren des Automaten hören, als ich erfolglos versuchte, Geld abzuheben.

Das war es also. Will hat sich seine Gitarre und seine Siebensachen geschnappt, sich eine Mitfahrgelegenheit mit der Band in deren verbeultem Campingbus gesichert und ist verschwunden. Und ich bin nach wie vor hier, warte und erfinde Harold und Brenda gegenüber zunehmend unglaubwürdige Ausreden über Wills Verbleib. Inzwischen habe ich diesen Job angenommen. Ich dachte, Will käme irgendwann zurück, aber dem ist nicht so. Mittlerweile sind zwei Wochen vergangen. Vermutlich hat Freya etwas, was ich nicht habe … Tja, jetzt auf jeden Fall: Sie hat meinen Verlobten.

Das bin also ich, Beti Winter. Ich komme mir absolut dämlich vor und habe Facebook für immer abgeschworen. Mein letzter Status war: »Habe meine Traumbar gefunden! Das Leben kann nicht besser werden.« Ich könnte es nicht ertragen, den Status auf »Single und pleite in Spanien« zu ändern. Onkel Paul hätte einen Heidenspaß daran! Er würde meinen Dad gnadenlos damit aufziehen. Natürlich würde er es als Scherz abtun, was es allerdings für meinen Vater nicht wäre. Er hasst die Art und Weise, wie sein Bruder auf meine Kosten Witze reißt. Doch ich habe ihm ja auch jede Menge Munition geliefert. Ich habe es nicht geschafft zu heiraten, und nun das hier, die Bar in Spanien, die niemals ihren Betrieb aufnehmen würde … Das Allerschlimmste aber war das Gefühl, meine Oma enttäuscht zu haben. Sie hat mir ihre Porzellankuh anvertraut, damit ich das Beste daraus mache, und jetzt ist alles futsch. Ich muss Harold und Brenda endlich sagen, dass ich ihre Bar nicht übernehmen kann, und davor graut mir.

Sie werden enttäuscht sein, das ist mir klar. Sie wollen wieder nach Großbritannien ziehen und dort ihren Ruhestand verbringen. Ihre Tochter erwartet ein weiteres Kind, und sie finden, es sei an der Zeit, bei ihrer Familie zu sein. Wenn es einen Weg gäbe, wie es funktionieren könnte, würde ich ihn einschlagen. Doch nachdem Will mich sitzen lassen hat, bin ich in einer ausweglosen Situation. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich wieder festen Boden unter die Füße kriegen soll, ohne mich zum Gespött zu machen.

Ich stehe auf und werfe das nicht gegessene Speckbrötchen in den Mülleimer in der Nähe. Es landet auf dem Abfall vom Vorabend. Die Ironie des Ganzen entgeht mir nicht. Ich schaue wieder zu Harold und Brenda; ich muss zu ihnen gehen und es ihnen erklären.

Meine Pläne, meine eigene Bar im sonnigen Spanien zu führen, haben sich zerschlagen. Ich bin wieder in der Realität angekommen. Der Traum vom Glück ist ausgeträumt.

2. Kapitel

»Beti, komm doch zu uns!« Brenda winkt mir begeistert zu, als ich näher komme. Die Sonne wärmt die Pflastersteine im Hafenbereich. Die Shops und Cafés haben geöffnet, und jede Menge Leute schlendern herum und bestellen Kaffee und Bier. Vor der Butterfly Bar sitzen Gäste an den verchromten Tischen und genießen die Sonne. Sie unterhalten sich, manche rauchen, und der weiße Rauch steigt in den azurblauen Himmel.

Ich werde langsamer und bleibe stehen, als ich erkenne, wie viel um diese Uhrzeit bereits in der Bar los ist. Vielleicht ist jetzt doch nicht der passende Zeitpunkt, um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen.

»Ich komme später wieder!«, rufe ich ihnen zu. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. »Nach meiner Schicht.« Ich zeige auf den Burger-Laden. Meine Arbeitszeit endet um zwei Uhr – nach der geschäftigen Mittagszeit.

»Nein, es ist schon in Ordnung. Hier sind ein paar Leute, die ich dir gerne vorstellen möchte.« Brenda schiebt ihre schmalen Hüften zwischen den Tischen hindurch, während weitere Gäste sich Stühle schnappen. Sie sorgt dafür, dass die ganze Gruppe Platz findet. Alle Blicke wenden sich mir zu. Ich schlucke, werde rot, und meine müden Augen brennen. Ich kann jetzt nicht einfach gehen.

»Hey!« Ein Arm legt sich um meine Schulter und lässt mich zusammenzucken; mein Herz macht einen Satz, und ganz kurz hole ich hoffnungsvoll Luft. Doch als ich mich umdrehe, strahlt mich Craig an, und mein Herz nimmt wieder seinen normalen, trägen Rhythmus auf, was sich auch in meiner Miene widerspiegelt.

»Tut, mir leid, Süße, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Craig und lächelt freundlich. »Oder dass du glaubst … du weißt schon. Dass es dein Typ wäre.«

Ich tue seine Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. Auch wenn ich für einen ganzen kurzen Moment genau das geglaubt habe.

»Sieht aus, als wolle Brenda dich mit ein paar Einheimischen bekannt machen.« Craig zieht mich aufmunternd näher zu sich hin. »Du Glückspilz! Schade, dass sie mich niemandem vorstellen kann. Vorzugsweise groß und gebräunt, so wie George Michael!« Er seufzt ein bisschen wehmütig. »Er war mein Traummann. Er hätte mir jederzeit sein Herz schenken können.« Er beginnt zu singen: »Last Christmas …« Ich muss lachen und vergesse meine Nervosität. In der kurzen Zeit ist er mir ein richtig guter Freund geworden. Anscheinend kennt er wirklich jeden in der Umgebung und weiß offensichtlich auch über alles Bescheid, was vor sich geht. Von seinem Standort hinter seiner Frühstückstheke hat er einen guten Überblick. Genauso hätte es mir hier in der Butterfly Bar gehen können, doch dazu wird es nicht kommen. Je eher ich es Harold und Brenda erzähle, desto besser.

»Komm.« Craig versetzt mir einen aufmunternden Schubs. Seine silbernen, schwarzen und farbigen Armbänder funkeln im Frühlingssonnenschein. »Es ist Zeit, das Begrüßungskomitee kennenzulernen.«

Brenda stellt mich ihren Bekannten vor, während sie sich die Bestellungen ins Gedächtnis ruft. »Einen großen Gin Tonic für dich, Moira. Es ist schließlich nicht mehr zu früh für einen Aperitif.«

»Gerade eben nicht mehr!«, wirft Craig laut ein, und alle lachen.

»Moira ist Schriftstellerin. Sie unterrichtet kreatives Schreiben und Spanisch und wohnt mit Eric in einem Apartment da drüben.« Sie deutet auf einen Mann mit einem Pferdeschwanz, dann auf einen Häuserblock am Hafen. »Einen Krug Sangria für Dan und Lynn – sie bieten Tagesausflüge per Boot vom Hafen aus an.« Sie zeigt mir eine junge Frau mit Hut und Sonnenbrille, die sich ein Tuch um die Schultern geschlungen hat, und einen jungen Mann in einem weiten, sonnengebleichten T-Shirt. Sie winken mir zu.

»Und für dich einen Cava, Maxine?«, fragt Brenda. »Maxine führt den Pink Flamingo. Sie arbeitet schon seit Jahren hier. Sie ist eine Doppelgängerin von Cher, wie man sehen kann. Donnerstags, freitags und samstags organisiert sie Flamenco-Abende.«

Craig setzt die Vorstellungsrunde an Brendas Stelle fort, damit sie ihre Bestellungen nicht durcheinanderbringt. »Das sind Pedro und Alexis, die in ihrem Familienrestaurant arbeiten. Sie gehören zu einer der ältesten Familien am Hafen.« Er zeigt mir zwei spanische Männer mit akkurat geschnittenen Haaren, die sie zurückgegelt tragen. Sie prosten mir mit ihren Kaffeetassen zu und lächeln freundlich. »Das hier ist Jackie, eine Friseurin aus Tyneside … und Sue und Sandra, die einen Käse- und Honigstand auf dem Markt betreiben … und Dick und Bev, die Fertiggerichte herstellen …«

»Hola!«, ruft jemand. Ein Mann, der eine große Kiste trägt, steuert auf Pedros und Alexis’ Restaurant zu. Dem Aussehen nach ist er ein Fischer, der geradewegs von seinem Boot kommt. Pedro ruft ihn zu sich und blickt in die Kiste. Sie nicken und schütteln sich die Hände, dann bestellt Pedro eine weitere Runde Kaffee und einen Weißwein für den Fischer.

»Das war ein Bier für Moira … nein, ein Gin Tonic. Oder war es ein Kaffee? Ach, Mist!« Brenda wedelt mit ihrem Block und dem Stift und lacht herzlich. »Hört mal alle her!« Sie versucht, die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu erlangen, um mich richtig vorzustellen.

»Brenda, ich muss mit dir reden«, sage ich rasch. Ich muss ihr beibringen, was passiert ist, bevor sie allen erzählt, wer ich bin … oder wer ich werden wollte. Aber es ist zu spät.

»Das ist Beti!«, verkündet sie. »Sie und ihr Verlobter, der großartige Will, werden diese Bar übernehmen. Ich möchte, dass ihr alle nett zu ihnen seid und euch benehmt!« Sie lacht lauthals, während verschiedene Leute Hallo sagen und freundlich lächeln. Harold hat feuchte Augen und tätschelt mir stolz die Schulter.

Oh Gott! Wenn doch mein Leben genauso hätte sein können. Meine müden Augen brennen noch mehr, und mein Gesicht scheint in Flammen zu stehen. Ich muss es ihnen jetzt sagen. Ich folge Brenda in den kühlen Innenbereich, gehe über den burgunderroten Fliesenboden und stelle mich an die hohe Theke.

»Du kannst mir mit den Getränken helfen«, sagt sie. »Dann gewöhnst du dich schon mal daran! Bald machst du das alleine.« Sie steht hinter der auf Hochglanz polierten Theke und der funkelnden Zapfanlage und strahlt mich an.

»Brenda«, sage ich, »ich muss dir was sagen.« Ich werfe einen Blick auf das Gedränge draußen und frage mich, wie ich anfangen soll. Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt, wie meine Oma immer zu sagen pflegte. Ich hole tief Luft. »Es ist wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt, aber du musst es erfahren …«

Brenda lässt mich weiterreden, bis alles gesagt ist. Als ich fertig bin, zieht sie einen der leichten verchromten Stühle heran und lässt sich draufplumpsen. Sie legt eine Hand über den Mund, wobei das Schmetterlingstattoo auf ihrem Oberarm zittert.

Meine Gedanken überschlagen sich, als ich mir vorstelle, was hätte sein können. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie ich morgens die Metallläden hochkurbele, die großen Glastüren zur Seite schiebe und mit einem café con leche in der Hand beobachte, wie die Welt aufwacht. Ich sehe die Nachtschwärmer nach Hause gehen, während der Montagsmarkt aufgebaut wird und die Fischer ihren Fang in den Hafen bringen. Ich würde mit einer einfachen Speisekarte anfangen: getoastete Sandwiches, Chickenwings, vielleicht Quiche – kleine Gerichte, die ich in der winzigen Küche zubereiten könnte. Ich würde Lichterketten und Girlanden am Eingang und an der Markise anbringen. Es gibt nichts, was sich nicht durch ein paar Lichterketten aufpeppen lässt; man bekommt sie heutzutage in allen möglichen Varianten – mit Blumen, Sternen und natürlich mit meiner Lieblingsdeko, mit Chilis. Chili-Lichterketten waren das Erste, was ich aufhängen wollte. Außerdem habe ich meine Hochzeitsmappe mitgebracht, weil ich dämlicherweise geglaubt habe, wir würden nach der Sommersaison unsere eigene Hochzeit planen. Ich bekomme kaum noch Luft, als mir auf einmal in allen Konsequenzen bewusst wird, dass sich mein Leben schlagartig geändert hat.

»Geht es dir gut, Liebes?«, höre ich Brenda fragen, aber ich kann sie nicht richtig sehen. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Meine Brust schmerzt, und ich spüre, wie mein Herz nun von den Neuigkeiten eingeholt wird, nachdem ich sie laut ausgesprochen habe. Alles, was ich mir wünschte, war in Reichweite, und jetzt ist es buchstäblich über Nacht verschwunden.

»Hol ein Glas Wasser, Harold. Und Kirschlikör. Setz dich hin, Liebes. Wahrscheinlich stehst du unter Schock. Damit kenne ich mich aus, ich hatte in meinem Leben auch schon ein paar. Einer davon war unsere Tochter Mandy. Ich habe gedacht, ich könnte keine Kinder bekommen, weißt du. Aber dann … Simsalabim! Solche Dinge passieren immer, wenn man am wenigsten damit rechnet.«

»Bitte schön«, sagt Harold und stellt zwei Gläser vor mich auf den Tisch. Ich trinke zuerst Wasser, dann nippe ich an dem Likör. Er ist süß, cremig und kühl und schmeckt nach Kirschen und Anis, irgendwie ungewöhnlich, aber wirklich köstlich. Und er scheint die richtige Wirkung auf meinen erhöhten Herzschlag zu haben.

»Er stammt oben aus den Hügeln, wo Kirschen angebaut werden«, erklärt Brenda. »Schwarzmarktware! Ein Vertreter bringt mir das Zeug immer mit. Er sagt, es sei edel. Der Likör wird aus einer bestimmten Sorte Kirschen hergestellt, die nach dem eigentlichen Pflücken noch an den Bäumen gelassen werden. Ich bekomme jedes Jahr eine Flasche.«

Ich denke daran, wie viele Jahre die beiden jetzt schon hier sind, und wünsche mir von ganzem Herzen, dass Will und ich die Bar hätten übernehmen können.

Nachdem das Wasser und der Likör ihren Zweck erfüllt haben, verabschiede ich mich von Harold und Brenda. Am nächsten Tag muss ich aus der Ferienwohnung ausziehen und Spanien verlassen. Bei dieser Vorstellung blutet mein Herz.

»Es tut mir so leid, dass es nicht sein sollte«, sagt Brenda. »Ich war mir so sicher, vor allem, weil du auch ein Waliser Mädchen bist. Du bist unserer Tochter so ähnlich. Ist es nicht so, Harold?«

»Doch«, stimmt er ihr mit feuchten Augen zu. »Genau wie sie.«

»Ein großartiges Mädchen, aber völlig unbedarft, was die Auswahl ihrer Männer angeht!« Brenda lacht.

Trifft das auch auf mich zu? Vermutlich schon. Schließlich habe ich jetzt bereits dreimal Pech in der Liebe gehabt. Jedes Mal dachte ich, endlich den Richtigen gefunden zu haben, und jedes Mal haben sie mir das Herz gebrochen.

Harold umarmt mich ungeschickt, was mich an die Umarmungen meines Vaters erinnert, und Brenda drückt mich kurz mit ihren knochigen Armen.

»Viel Glück, Liebes. Hier, nimm die Flasche mit. Ich habe noch eine.« Sie drückt mir den Kirschlikör in die Hand. Ich protestiere, doch sie will nichts davon hören. Gerührt von ihrer Herzlichkeit nehme ich das Geschenk an.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken und wieder an die Arbeit zu gehen. Morgen muss ich nach Hause fliegen und allen beichten, was passiert ist. Mein Magen verkrampft sich, als ich mir Olivias und Onkel Pauls schadenfrohe Mienen vorstelle. Es tut mir in der Seele weh, Mom und Dad die schlechten Neuigkeiten zu überbringen – sie waren so stolz auf mich, weil ich meinen Traum leben wollte.

Während ich meine Schicht bei Buster’s Burgers beende, versuche ich, nicht an die Butterfly Bar und meine gescheiterten Pläne zu denken. Nach der Arbeit kehre ich in die Ferienwohnung zurück. Je weiter ich gehe, desto weiter entferne ich mich von meinem kleinen Traum.

Erneut überprüfe ich mein Handy, wie ich es ungefähr jede halbe Stunde in den vergangenen zwei Wochen getan habe. Immer noch nichts. Er antwortet nicht auf meine SMS und auch nicht auf die Nachrichten, die ich auf der Mailbox hinterlassen habe. Ich bin so frustriert. Wenn es ginge, würde ich es sogar mit einer Brieftaube probieren.

Ich schreibe meiner Mom eine SMS, um ihr mitzuteilen, dass es mir gut geht. Ich sage ihr nicht, dass Will mich verlassen hat und ich mein ganzes Geld und meine Bar verloren habe. Irgendwie will ich ihr beibringen, dass ich morgen heimkomme, und schreibe den Text immer wieder um, aber ich kriege es nicht richtig hin. Schließlich gebe ich auf und stecke das Handy in die Tasche. Wie um alles in der Welt soll ich die Wahrheit sagen? Ich habe keine Ahnung … Ich werde mir morgen auf dem Rückflug Gedanken darüber machen. Ich reibe mir die müden Augen; seit Will gegangen ist, habe ich kaum geschlafen.

Ich mache die Tür des Apartments hinter mir zu, ziehe den Korken aus der Kirschlikörflasche und nehme einen großen Schluck direkt aus der Flasche. Prompt muss ich husten. Vor dem Fenster spielen Kinder im Pool, Familien sonnen sich, und Grüppchen von Freunden treffen sich an der Bar.

Ich schaffe es, all das auszublenden, und lasse endlich meinen Tränen, die ich schon den ganzen Tag zurückgehalten habe, freien Lauf. Welle um Welle salziger Tränen, die unaufhörlich weiterströmen. Ich schwöre mir, mich nie wieder zu verlieben, denn falls Will der Richtige war, habe ich ihn verloren. Und falls nicht, will ich mir nicht erlauben zu glauben, dass es dort draußen einen anderen Mann für mich gibt.

Plötzlich kommen mir die Worte meiner Oma in den Sinn: »Auch wenn es kein Happy End gibt, ist es nicht das Ende!« Ich lächele schwach. Ich wünschte, ich könnte daran glauben.

3. Kapitel