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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Bevor Dr. Daniel Norden zu Frau Häusler fuhr, um seinen täglichen Hausbesuch bei der alten Dame zu machen, hielt er bei der LöwenApotheke an, um gleich die Medikamente mitzunehmen. Es war Grippezeit, und in der Apotheke ging es lebhaft zu. Michael Schubert, der Apotheker, seine Frau Pamela, die wie stets sehr hübsch anzuschauen war, und die beiden Helferinnen, waren vollauf beschäftigt, aber wenn Daniel Norden kam, genoß er den Vorzug. Den räumten ihm auch die anderen Kunden ein. Es dauerte auch nicht lange, bis er alle Medikamente hatte, die Frau Häusler brauchte, und Pamela Schubert verabschiedete ihn mit einem Lächeln. »Es wird ja nicht immer so zugehen«, sagte sie.
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Bevor Dr. Daniel Norden zu Frau Häusler fuhr, um seinen täglichen Hausbesuch bei der alten Dame zu machen, hielt er bei der LöwenApotheke an, um gleich die Medikamente mitzunehmen.
Es war Grippezeit, und in der Apotheke ging es lebhaft zu. Michael Schubert, der Apotheker, seine Frau Pamela, die wie stets sehr hübsch anzuschauen war, und die beiden Helferinnen, waren vollauf beschäftigt, aber wenn Daniel Norden kam, genoß er den Vorzug. Den räumten ihm auch die anderen Kunden ein.
Es dauerte auch nicht lange, bis er alle Medikamente hatte, die Frau Häusler brauchte, und Pamela Schubert verabschiedete ihn mit einem Lächeln. »Es wird ja nicht immer so zugehen«, sagte sie.
Man sah ihr die achtunddreißig Jahre nicht an, denn sie hatte ihre mädchenhafte Figur behalten, und sie war immer freundlich.
Man kannte sich schon lange. Die Nordens und die Sybillas waren erst vor einer Woche bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten des neuen Seniorenheims beisammen gewesen, und Sandra Sybilla, die achtzehnjährige Tochter, hatte sich dabei als begabte Pianistin gezeigt.
Jetzt kam sie über die Straße, bildhübsch anzusehen, rank und schlank, in Jeans und einem türkisfarbenen Blouson, der ihr sehr gut zu dem gebräunten Gesicht und den kastanienbraunen Haaren stand, die zu einem dicken Zopf geflochten waren.
Sie schien ganz in Gedanken zu sein. »Hallo, Sandra«, sagte Dr. Norden, »aufpassen!«
Sie schrak leicht zusammen. »Oh, Dr. Norden, Grüß Gott, wollen Sie zu uns?«
»War ich schon, muß Hausbesuche machen. Geht es gut, Sandra?«
»Ja, und ich habe mit der Grippe ein Abkommen, daß sie mir fernbleibt. Ich fahre morgen wieder nach St. Johann. Man muß die schönen Schneetage noch ausnutzen.«
Ein Mann mittleren Alters war in der Nähe stehengeblieben und starrte Sandra an. Dr. Norden fiel das auf, während Sandra in die andere Richtung blickte.
»Dann viel Spaß, Sandra«, sagte er, »aber schön auf die Haxen aufpassen!«
Im vergangenen Jahr hatte sie sich eine Bänderzerrung zugezogen, die recht schmerzhaft gewesen war, und das temperamentvolle Mädchen war sehr ungeduldig geworden, weil der Wintersport für sie vorbei gewesen war.
Der Mann, den er bemerkt hatte, blieb in der Nähe der Apotheke stehen. Daniel sah ihn nochmals, als er mit dem Wagen vorbeifuhr. Und am Morgen hatte er diesen Mann schon einmal gesehen. Auf dem Rathaus nämlich, wo er für einen schwerkranken Patienten wegen einer Versorgungssache vorgesprochen hatte. Auch um so etwas kümmerte sich Dr. Norden, wenn niemand sonst da war, der es tat. Und immer wieder machte er die Erfahrung, daß für solche einsamen Menschen wirklich nichts getan wurde, wenn man nicht nachhakte.
Daniel Norden wunderte sich, daß er über diesen fremden Mann nachdachte, aber irgendwie kam ihm das Gesicht bekannt vor, wenngleich es auch nur eine vage Erinnerung weckte.
Als er zu Berta Häusler kam, war dieser Mann jedoch vergessen. Der Patientin ging es schlecht. Sie litt ohnehin schwer an Asthma, aber dazu hatte sie auch noch eine Erkältung bekommen, die mit ziemlich hohem Fieber verbunden war. Eine Nachbarin hatte ihm die Tür geöffnet.
Frau Häusler wohnte in einem Vierfamilienhaus, es ging ihr finanziell zwar nicht schlecht, aber eine ständige Hilfe konnte sie doch nicht bezahlen. Ihr einziger Sohn wohnte in Nürnberg, und die paar alten Damen, mit denen sie einmal wöchentlich zusammenkam, hatten mit sich selbst zu tun.
Er verabreichte ihr eine Injektion, aber er wußte schon, daß die Wirkung nicht lange anhalten würde. Mit Antibiotika mußte er ohnehin sehr vorsichtig bei ihr sein.
»Liebe Frau Häusler, Sie werden nicht drumherum kommen, sich für die Klinik zu entscheiden«, sagte Dr. Norden behutsam.
»Dann können Sie gleich meine Beerdigung bestellen«, murmelte sie.
»Sagen Sie doch nicht so etwas. Sie brauchen ständige Betreuung. Ich kann doch nicht dauernd bei Ihnen sein.«
»Weiß ich doch, wenn es aus ist, ist es eben aus. Gut, ich gehe ins Krankenhaus, aber dann müssen Sie bitte meine Wertsachen in Verwahrung nehmen. Viel ist es ja nicht, aber das braucht mein Sohn nun auch nicht zu bekommen.«
Der Groll saß in ihr, aber solche Krankheit machte auch ungerecht.
»Ihr Sohn muß doch arbeiten, Frau Häusler«, sagte Dr. Norden begütigend.
»Aber anrufen könnte er ab und zu mal und sich nach dem Befinden seiner alten Mutter erkundigen.«
»Ich werde ihn anrufen und ihm Bescheid sagen.«
»Nein, das werden Sie nicht«, erwiderte sie eigensinnig. »Und wenn ich das noch mal überlebe, gehe ich ins Altenheim und dann kriegen die alles, was mal von mir bleibt.«
Das hatte Dr. Norden auch schon des öfteren erlebt, und dann gab es manchmal doch eine Versöhnung, aber er kannte Berta Häusler nun lange genug, um zu wissen, daß sie keineswegs streitsüchtig oder ungerecht war. Er nahm sich vor, den Sohn trotzdem anzurufen.
Gleich von hier aus organisierte er ein Zimmer für Berta Häusler. Sie war gut versichert und im Krankenhaus bestimmt besser aufgehoben als hier. Aber er mußte ihr den Gefallen tun, eine Kassette und einen kleinen Lederkoffer an sich zu nehmen.
»Bitte, ich habe doch sonst niemanden, dem ich vertrauen kann«, murmelte sie.
Er tat es mit gemischten Gefühlen, denn es war immer eine heikle Angelegenheit, noch dazu, wenn es ohne Zeugen geschah, aber als Frau Häusler merkte, daß er zögerte, sagte sie, daß sie ja sowieso ein Testament gemacht hätte, wo über alles verfügt worden sei.
Sie war jetzt siebzig Jahre alt und ihr Leben lang selbständig gewesen. Angefangen hatte sie als Verkäuferin in einem großen Bekleidungshaus, und dort war sie zur Abteilungsleiterin aufgerückt. Auch während ihrer Ehe hatte sie gearbeitet, nur drei Jahre hatte sie ausgesetzt, bis ihr Sohn Eberhard in den Kindergarten gehen konnte. Es war auch nötig gewesen, denn ihr Mann war ein rastloser und unzuverlässiger Mann gewesen, mit vielen Ambitionen, ohne Ausdauer.
Der Krankenwagen kam. Sie bat Dr. Norden noch darum, daß Dorthe Harling ihr doch Sachen in die Klinik bringen möge, wenn sie noch welche brauche. Auch das versprach er. »Es könnt’ auch die Franzi machen«, sagte Berta Häusler krächzend, aber dann bekam sie schon wieder einen schweren Hustenanfall.
Sie war oft in der Praxis gewesen. Es war ihr immer eine willkommene Abwechslung. Sie war schon mit Loni vertraut gewesen, dann aber auch schnell mit Dorthe und Franz. Ja, sie war durchaus kontaktfreudig und für jedes gute Wort dankbar.
Dr. Norden blickte dem Krankenwagen gedankenvoll nach. Er hatte sie nicht begleiten können, denn er mußte noch mehr Hausbesuche machen, aber er wollte nachher gleich den Chefarzt Dr. Reisler anrufen, damit sie keinen Grund zur Beschwerde hatte.
Dr. Norden fuhr nun zu Adam Fritsch, für den er am Morgen ein paar Formalitäten auf dem Sozialamt erledigt hatte.
»Jetzt war schon einer da von dem Amt, Herr Doktor«, so wurde er von Adam Fritsch gleich empfangen, der ganz rote Wangen hatte. »Das hab’ ich auch Ihnen zu verdanken.«
Bettlägerig war Adam Fritsch nicht, aber nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, und er konnte sich nur mühsam fortbewegen. Nun würde er endlich in ein Pflegeheim kommen, und Dr. Norden fragte sich, warum dazu erst die Drohung von ihm nötig gewesen war, den Fall in die Presse zu bringen. Bis vor sechs Wochen war Adam Fritsch noch von seiner Frau betreut worden, wenn auch mit immer mehr schwindenden Kräften. Dann war sie gestorben, und ab und zu kümmerten sich die Nachbarn, die aber selbst Rentner oder Sozialhilfeempfänger waren. Dr. Norden wußte um all diese Nöte, aber allen konnte er eben auch nicht helfen.
Nun war auch das wenigstens gutgegangen, und schon am nächsten Tag sollte Adam Fritsch abgeholt werden. Viel besaß er nicht, Wertvolles schon gar nicht, und wahrscheinlich würde es ihm für den Rest seines Lebens bessergehen als in den letzten zehn Jahren.
Jetzt war es Zeit, wieder in die Praxis zu fahren. Viermal schlug die Kirchturmuhr. Dorthe, Franzi und sechs Patienten warteten schon auf ihn, und der nächste Schub kam schon, als er gerade seinen Mantel ausgezogen hatte.
»Na dann«, sagte er zu Dorthe mit einem kleinen Seufzer.
»Sie sind ja alle so geduldig«, meinte sie. Und so war es auch bei der offiziellen Sprechstunde, denn da kamen meistens nur die, die viel Zeit hatten und sich gern mal unterhielten. Notfälle wurden sowieso bevorzugt hereingenommen, aber solche blieben an diesem Nachmittag glücklicherweise aus, und aus der Ruhe bringen ließ sich Dr. Daniel Norden schon gar nicht.
*
Fee Norden hatte ihre beiden Söhne Danny und Felix zur Musikschule gebracht. Sie gingen jetzt gern hin. Danny spielte schon ganz hübsch Geige und Felix Klavier.
Anneka und die Zwillinge waren bei Lenni geblieben, weil Fee dann noch einkaufen wollte für das Wochenende. Als Fee die Konditorei betrat, kam vom Café herunter ein Mann, der sie mit einem Blick musterte, der ihr sehr mißfiel. Aber das Gesicht des Mannes kam ihr bekannt vor. Ihr erging es so wie Daniel, aber auch sie konnte dieses Gesicht nicht einordnen in eine Zeit, an einen bestimmten Ort.
»Sie wünschen, Frau Doktor?« fragte die junge Verkäuferin freundlich. Fee sagte, was sie haben wollte, aber es irritierte sie, daß der Fremde neben ihr stehenblieb.
Sie beeilte sich mit dem Zahlen und ging dann schnell zu ihrem Wagen. Zum Metzger mußte sie noch ein Stück weiterfahren, und dort konnte sie in aller Ruhe einkaufen, ohne durch aufdringliche Blicke belästigt zu werden. Ja, aufdringlich und herausfordernd war der Blick dieses Mannes gewesen und mit jenem fiebrigen Glanz, der Fee, die ja auch Ärztin war, immer zur Vorsicht mahnte. Süchtige hatten diesen Glanz in den Augen.
Was geht mich dieser Mensch an, wies sie sich zurecht. Sie konnte freilich nicht ahnen, welche Rolle dieser Mann in den folgenden Wochen im Leben einiger Menschen spielen sollte, denen die Nordens freundschaftlich verbunden waren.
Als Fee alle Besorgungen gemacht hatte, war es an der Zeit, die Buben wieder abzuholen. Und da traf sie Sandra, die mit Danny und Felix herauskam.
»Heute war es ganz toll«, rief Danny gleich, »heute hat Sandra Unterricht gegeben.«
»Ausgeholfen habe ich«, erklärte Sandra. »Es sind so viele krank.«
»Es war wirklich toll«, sagte Felix. »Sandra kann das prima, und da wird es nicht so streng.«
Sandra lachte herzlich. »Ihr würdet bei mir aber auch nicht viel lernen«, sagte sie.
»Klar würden wir lernen«, sagte Danny.
»Gehst du nun aufs Konservatorium, Sandra?« fragte Fee.
»Vielleicht, aber ich mache die Prüfung für die Hochschule, und wenn ich die bestehe…«
»Natürlich bestehst du die«, fiel ihr Felix gleich ins Wort.
»Die ist aber sehr schwer«, sagte Sandra.
»Du machst es bestimmt«, sagte Fee. »Kann ich dich mitnehmen?«
»Das wäre fein, aber es ist ein Umweg für Sie.«
»So ein kleiner«, lächelte Fee.
»Nächste Woche habe ich Fahrprüfung«, erzählte Sandra, »davor habe ich noch mehr Bammel als vor der Prüfung auf der Hochschule.«
»Und bei Prüfungen kommt es immer auf die Tagesform an«, meinte Fee.
Ihr wurde es mulmig, als sie vor der Apotheke hielt und dort wieder den Fremden sah.
»Kennst du diesen Mann dort, Sandra?« fragte sie.
»Nein, aber ich habe ihn heute schon ein paarmal gesehen. Manche Leute haben eben viel Zeit.«
Vor den Buben wollte Fee Sandra nicht zur Vorsicht mahnen. Und da kam auch schon ein junger Mann, der Sandra dann beim Aussteigen half und fröhlich »Grüß Gott miteinand’« sagte.
Es war Stefan Schellenberg, und er war Fee so sympathisch, wie jener Fremde ihr unsympathisch war. Stefan war ein »dufter Typ«, wie Danny anerkennend bemerkte, als sie weiterfuhren. »Mei, wenn ich so Ski fahren könnt wie der, das wär’ was«, seufzte er. Stefan verdiente sich ein zusätzliches Taschengeld, indem er Kinderskikurse betreute. Bei den Schellenbergs herrschten nämlich strenge Gesetze, obgleich der Vater als Direktor einer Versicherungsgesellschaft recht gut verdiente. Aber es waren drei Kinder da, die alle studierten, und Fee fand es auch vernünftig, daß sie beizeiten lernten, mit dem Geld umzugehen, denn Selbstverdientes gab man nicht gar so leicht aus.
Gegen die Freundschaft von Stefan und Sandra hatte jedenfalls niemand etwas einzuwenden, ihre Eltern und auch seine Eltern nicht. Es wurden auch keine Einwände erhoben, daß Stefan und Sandra zusammen nach Sankt Johann fahren wollten.
Stefan aß mit den Schuberts zu Abend, und obgleich Michael und Pamela einen anstrengenden Tag hinter sich hatten, waren sie heiter mit der Jugend. Michael ermahnte Stefan nur, das Haus auch wieder gut zu verschließen, die Heizung zurückzuschrauben und kein Licht und keine Herdplatte brennen zu lassen.
Das Häuschen hatten sie von Pamelas Eltern übereignet bekommen, als diese in den Schwarzwald übersiedelten, um dort ihren Lebensabend zu verbringen.
»Wir passen auf«, versprach Stefan.
»Mußt du auch, weil ich manchmal zumindest das Licht brennen lasse«, sagte Sandra verschmitzt. »Aber Susan und Eric kommen ja auch. Ihr habt doch nichts dagegen, Paps?«
»Wir wissen, daß wir uns auf euch verlassen können, Sandra«, erwiderte Michael innig.
Und als Sandra dann Stefan zur Tür brachte, sagte Pamela leise: »Sie wird keinen Umweg machen wie ich.«
»Denk nicht mehr dran, Liebes«, erwiderte er.
»Schön wär’s ja, wenn ihr euch auch mal freimachen könntet, wenigstens für ein Wochenende«, sagte Sandra, als sie sich am nächsten Morgen von ihren Eltern verabschiedete. »Wir hätten bestimmt viel Spaß.«
»Jetzt geht es nicht, vielleicht nächste Woche«, sagte Pamela.
»Wenn dann noch Schnee ist«, seufzte Sandra. »Eigentlich komme ich mir schäbig vor.«
»Unsinn«, widersprach Michael. »In der Apotheke kannst du doch nicht helfen. Genieß die schönen Tage, Sandra.«
Stefan wartete schon in seinem kleinen Wagen, auf dem die Skier grad noch Platz hatten. Aber er war topfit, und Sandras Eltern wußten, daß Stefan in jeder Beziehung verläßlich war.
»Deine Eltern sind pfundig«, sagte Stefan.
»Deine sind doch auch okay.«
»Aber nicht so wie deine. Ich meine nicht so großzügig.«
»Du meinst, weil Uschi nicht mit Jochen wegfahren darf?«
»Darum geht es nicht. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß ein Mann seine Familie allein ernähren muß.«
»Und daß die Frau eine anständige Aussteuer mitbringt«, lachte Sandra. »Aber so sind doch viele Eltern, und in dieser Beziehung sind meine auch nicht anders. Das heißt, was die Mitgift anbelangt. Daß ich mal mit Geld verdiene, wollen sie schon.«
»Aber Kinder haben den Vorrang«, sagte Stefan.
»Sie müssen erst mal da sein«, lachte Sandra.
Sie waren jung und fröhlich, und wenn sie sich auch sehr mochten, an Heirat war gar nicht zu denken. Soweit wollten sie auch nicht denken.
Die Straßen waren frei. Sie kamen schnell voran, und an der Grenze wurden sie durchgewinkt.
»Wir scheinen doch einen vertrauenswürdigen Eindruck zu machen«, sagte Stefan.
»Was sonst? Du denkst doch nicht etwa, daß ich mit jedem x-beliebigen in die Berge fahren würde?«
»Das weiß ich doch, Sandra. Du bist für mich auch das einzige Mädchen, mit dem ich gern zusammen bin und bleiben möchte.«
Wird er so auch noch denken, wenn er fertig ist und vielleicht hinausgeht in die Welt, überlegte Sandra. Stefan war hochbegabt. Er hatte ein Stipendium an einer großen amerikanischen Universität in Aussicht. Er wollte in die Forschung gehen, die sich mit den noch unerforschten Krankheiten befaßte.
Und sie selbst? »Was denkst du jetzt, Sandra?« fragte Stefan.
»Daß wir schon da sind«, lenkte sie rasch ab.
Romantisch sah das Häuschen aus, am Hang gebettet, wie überzuckert vom Pulverschnee. Aus dem Kamin stieg Rauch empor.
»Xaver hat vorgesorgt«, stellte Sandra fest. Und Xaver, mit seinem weißen Bart und den buschigen Augenbrauen wie der leibhaftige Nikolaus ausschauend, erschien schon in der Tür.
»Grüß Gott miteinand!« rief er, und seine Augen blitzten. »Fein, daß ihr mal wieder da seid. Und dafür hat’s in der Nacht noch mal geschneit.«
»Wird auch recht sein«, sagte Sandra fröhlich. »Und schön warm ist es hier auch schon.«
»Muß ja sein«, meinte Xaver. »War a Saukälten den ganzen Februar über. Lang zieht sich der Winter wieder hin. Ich hab’ auch Eier und Schinken ’naufbracht und was ihr sonst noch braucht. Aber ihr wißt ja auch, wo man gut essen kann«, fügte er augenzwinkernd hinzu. »Im ›Ochsen‹ wird morgen Schlachtfest gefeiert.«
»Ist ja prima«, sagte Stefan.