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In diesem klug auf Fakten aufgebauten Buch zeigt Vandana Shiva, wie eine kleine Gruppe superreicher Einzelpersonen, Stiftungen und Investmentfirmen die Kontrolle über unsere Lebensmittelversorgung, unser Informationssystem, unser Gesundheitswesen und unsere Demokratien immer weiter ausbaut. Die Autorin macht sehr deutlich, dass unser Überleben von der Vielfalt unseres Saatgutes und dass unsere Demokratien von einer aufgeklärten Öffentlichkeit abhängen. Es ist ein sehr leidenschaftlicher, weiblicher wissenschaftlicher Diskurs, der eine globale Leserschaft verdient. Die Warnungen in diesem Buch zeigen die Roten Linien auf, die nicht überschritten werden dürfen, wenn wir nicht riskieren wollen, dass das globale Agri-Business-Modell und das von Bill Gates und seiner Stiftung vorangetriebene Eine-Wissenschaft-Modell die Möglichkeit für eine gesunde globale Gemeinschaft zunichtemachen. Unabhängig davon, ob Sie mit all ihren Schlussfolgerungen übereinstimmen oder nicht, ist dies ein sehr durchdachtes und gut dokumentiertes Buch, das im Mittelpunkt vieler Überlegungen und Diskussionen stehen sollte. Interessanterweise schreibt sie als Wissenschaftlerin, aber ihre Sichtweise und ihre Warnungen sind stark von ihrem Wissen als Frau geprägt, dass wir unsere Nahrungsquellen nicht gefährden dürfen. Ihre These ist, dass die Verflechtung unserer Gesundheit, unserer Ernährung und unserer sozialen Strukturen viel komplexer ist, als wir es bisher angenommen haben. Dr. Shiva erklärt, warum Bill Gates' Philanthropie-Kapitalismus eigentlich "Philanthropie-Imperialismus" ist. Er benutzt sein Geld, um die demokratischen Strukturen der Gesellschaft zu umgehen. Seine Stiftung ist daran beteiligt, Alternativen zu seiner Vision zu unterdrücken oder zu verhindern. Er fördert eine totalitäre Weltsicht, die viele Bereiche prägt: Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft, Wirtschaft und Finanzen. Gates ignoriert die Beiträge von Frauen, Indigenen und Kleinbauern, die das Wissen vom Land haben. Doch nur dieses Wissen, das uns wieder in eine echte Verbindung mit unseren Lebensgrundlagen bringt, wird uns eine Zukunft geben können. Vielfach aus schwammigen Gründen geschmäht, wird Bill Gates hier tatsächlich mal konkret unter die Lupe genommen.
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Seitenzahl: 241
Vandana Shiva
mit Kartikey Shiva
Einssein versus das 1%
Aufstehen gegen die Monokulturvon Wirtschaft und Weltsicht
Aus dem Englischen vonLaura Spies
Bücher haben feste Preise.
1. Auflage 2021
Vandana Shiva mit Kartikey Shiva
Eine Erde für alle! Einssein vs. das 1 %
Der Titel des englischen Originals lautet »Oneness vs. the 1 %:Shattering Illusions, Seeding Freedom« und wurde erstmals 2018 in Indien veröffentlicht von Women Unlimited, New Delhi.
Aus dem Englischen von Laura Spies.
© für die deutsche Ausgabe Neue Erde GmbH 2021
Alle Rechte vorbehalten.
Titelseite:
Vignette: Neelima Rao
Gestaltung: Neelima Rao und DesignIsIdentity.com, GB
Satz und Gestaltung:
DesignIsIdentity.com, GB
eISBN 978-3-89060-362-9
ISBN 978-3-89060-797-9
Neue Erde GmbH
Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken
Deutschland · Planet Erde
www.neue-erde.de
Vorwort
Kapitel 1
Das 1 % gegen eine Erde, eine Menschheit
Kapitel 2
Die Geldmaschine des 1 %
Kapitel 3
Die Technologiemaschine des 1 %
Kapitel 4
Wie das 1 % die Demokratie untergräbt
Epilog
Bill Gates’ globale Agenda
Endnoten
Was bedeutet es, zu leben, am Leben zu sein?
Was bedeutet es, gut zu leben, gesund zu sein?
Was ist Wissen, was ist Intelligenz?
Was ist Ökologie, was ist Ökonomie?
Was ist Freiheit, was ist Demokratie?
Wie sieht unsere Zukunft aus?
Wir sind gezwungen, in unserer Zeit – der Zeit des möglichen Aussterbens unserer Spezies – zu diesen grundlegenden Fragen zurückzukehren. Das derzeit vorherrschende Wissensparadigma fördert die Schaffung von »Vermögen« und beruht auf der »repräsentativen« Demokratie. Es sprengt jedoch die Grenzen des Planeten und verletzt die Rechte aller anderen Spezies, die diesen Planeten mit uns teilen, sowie die Rechte und Freiheiten der meisten Menschen.
Wir müssen diese Fragen neu stellen in einer Zeit, in der das 1 % der Menschen den Reichtum und die Macht kontrolliert und dabei unseren Planeten und unser gemeinsames Leben zerstört, ohne für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Denn diese Menschen haben clevere Wege gefunden, Illusionen zu schaffen: die Illusion der Trennung der Menschen von der Erde und der Trennung des 1 % von der übrigen Gesellschaft: als ob es keinen gemeinsamen Reichtum und keine gemeinsame Zukunft gäbe.
Wohlergehen und das Erleben von Wohlergehen sind zeitlos. »Wohlstand« bezeichnet einen Zustand des Wohlergehens. Der »Markt« hat sich zwischen uns und unser Wohlergehen gestellt und uns von unserem Potential und unseren Bedürfnissen abgeschnitten. Auch hat sich der Markt immer weiter verfestigt, ebenso wie sich die globale Macht verfestigt hat.
Im Jahr 2010 besaßen 388 Milliardäre so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Menschheit; diese Zahl sank 2011 auf 177, 2012 auf 159, 2013 auf 92, 2014 auf 80 und 2016 auf 62; 2017 schrumpfte sie auf nur noch acht. Im Jahr 2020, so scheint es, wird es nur noch einer sein.
Im Jahr 2008, während des globalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs, als viele Menschen ihr Zuhause und ihren Arbeitsplatz verloren, sicherten sich Milliardäre weltweit ihren Industriebesitz. Die Aktienkurse hatten den Tiefpunkt erreicht, und die Superreichen kauften die Wirtschaft zu Niedrigstpreisen auf. Es kam zu gelegen, um bloßer Zufall zu sein: Es war die Macht der Geldmaschine, die dazu geführt hat.
Die Geldmaschine ist darauf programmiert, plattzuwalzen, zu zerstören, anzuhäufen, auszulagern und auszuschlachten. Wie die Krebszelle, die nicht weiß, wann sie aufhören soll zu wachsen, sind Zusammenschlüsse, Fusionen und Konzentration die einzige Logik, die die Geldmaschine versteht. Und so wie die Krebszelle am Ende ihren Wirt zerstört, so wird auch die Geldmaschine den Planeten und unsere Gesellschaften, an denen sie sich bereichert, zugrunde richten.
Wir müssen uns wieder auf unsere Intelligenz und Kreativität besinnen, um der Geldmaschine zu widerstehen und gewaltfreie Alternativen zu schaffen. Wir müssen den Markt von der Geldmaschine und unser Leben von den milliardenschweren Diktatoren zurückfordern. Wir müssen wieder unsere wirklichen Freiheiten einfordern und dürfen uns nicht länger verführen lassen: von den trügerischen Freiheiten des »Freihandels« und Konzernvorgaben, von einer von Algorithmen gelenkten Demokratie und vom blinden Konsum. Wir müssen aufstehen und selbst entscheiden, was wirklicher Reichtum ist und was die Rahmenbedingungen für unser Wohlergehen sein sollen.
Wird das »Endspiel« für die Menschheit mit der Beherrschung durch die eine Macht des großen Geldes enden? Oder wird es uns gelingen, durch unser Einssein – als eine Erdengemeinschaft, eine menschliche Familie – das »Betriebssystem« von Beherrschung und Ausrottung abzuschalten, damit unser Potential zu Selbstorganisation und Kreativität uns in eine andere Zukunft führen kann?
Die Vielfalt der Kulturen und Sprachen geht verloren – und mit ihnen unsere Vorstellungskraft. Soziale Gewalt und Spaltung sind überall zur Norm geworden, da sich die wirtschaftliche Polarisierung und die Ungleichheiten verschärfen. Alle Gesellschaften sind mit einer Demokratiekrise konfrontiert, denn Big Money reißt die repräsentative Demokratie an sich und benutzt Wahlen, um die Menschen durch Hass und Angst gegeneinander aufzubringen. Wahlen lenken das öffentliche Bewusstsein von den wahren Ursachen der Probleme ab und hindern uns daran, uns zu organisieren und aufzulehnen, um den Planeten zu schützen, unsere Gesellschaft wieder aufzubauen und unsere Demokratie und unsere Wirtschaft zurückzufordern.
Die Menschheit steht vor einem Abgrund. Wir wissen nicht, ob wir es schaffen werden, weiter zu bestehen und das Potential für unsere zukünftige Entwicklung auszuschöpfen. In ökologischer Hinsicht entsteht Unsicherheit, weil jeder Aspekt des vorherrschenden Denk- und Gesellschaftsmodells die Fähigkeit der Erde zerstört, unser Leben zu erhalten. Der Verfall und das Aussterben unzähliger Spezies, die Zerstörung von Böden und Wasserressourcen sowie das Klimachaos zerrütten die Grundbedingungen dafür, weiterhin als Glieder der Erdengemeinschaft existieren zu können. Aber das ausbeuterische Modell von wirtschaftlicher »Entwicklung« und »Wachstum«, die Kontrolle durch Konzerne und die von Gier getriebene Wirtschaft zerstören nicht nur die Natur, sondern auch unser Menschsein: die menschliche Fähigkeit zu Solidarität und Mitgefühl und die Fähigkeit, füreinander zu sorgen.
Durch die Illusionen und Gedankenmuster, die die Mächtigen geschaffen und dem Rest der Menschheit auferlegt haben – insbesondere in den letzten zwei Jahrhunderten des Aufstiegs des auf fossilen Brennstoffen beruhenden Industrialismus und des mechanistischen, reduktionistischen Denkens –, verlieren wir unsere Fähigkeit, das Leben nicht nur ökologisch, sondern auch sozial als Gemeinschaft aufrechtzuhalten. Entwurzelung, Enteignung und Flüchtlingsströme sind die Schattenseiten des illusionären Modells des grenzenlosen Wachstums auf einem Planeten mit ökologischen Grenzen, die Schattenseiten der Ausübung grenzenloser Macht durch die Mächtigen: durch künstliche Raster, die aus Kategorien und entsprechenden Narrativen bestehen.
Aber es ist nicht unmöglich, vom Abgrund zurückzutreten und dem Aussterben zu entgehen. Wir können uns von der mechanistischen Welt der künstlichen Konstrukte abwenden und von den Mächten und Paradigmen befreien, die uns dort hingetrieben haben. Wir können erkennen, dass wir Mitglieder der Erdengemeinschaft sind; dass die Erde das Potential und eine erstaunliche Fähigkeit zur Regeneration und Erneuerung besitzt; und da wir Teil der Erde und nicht von ihr getrennt sind, teilen wir diese Fähigkeit und dieses Potential mit ihr. Ein Bewusstsein für unsere Macht, »selbst der Wandel zu sein, den wir sehen wollen«, wie Gandhi sagte, bildet die Grundlage für die Kultivierung von Hoffnung, Liebe und Mitgefühl in diesen Zeiten der Verzweiflung, der Angst und des Hasses.
In den Krisen, die uns an den Abgrund getrieben haben, liegen die Samen der Hoffnung und der Freiheit, die Samen zur Erneuerung unseres Menschseins und unseres Erdenbürgertums. Die Überlebenskrise, mit der wir heute konfrontiert sind, ist das Ergebnis einer ausbeuterischen Wirtschaft. Und die wird durch künstliche, vom mechanistischen Denken geschaffene Abtrennungen beherrscht. Sie ist das Ergebnis der falschen Annahme, dass Gier eine Tugend sei, die von der Gesellschaft belohnt werden müsse. In einem Interview im Mai 2017 sagte Stephen Hawking, dass die Menschheit vor einer Überlebenskrise stehe, die so schwerwiegend sei, dass in den nächsten hundert Jahren entweder die Menschheit ausgelöscht werde oder wir von der Erde fliehen und andere Planeten kolonialisieren müssten.1
Diese Vorstellung, man könne die planetarischen Grenzen für die nächste Eroberung, die nächste Flucht überschreiten, nährt nur die illusorische Idee eines linearen menschlichen Fortschritts. Sie blendet unsere Einheit mit der Erde ebenso aus wie die Erkenntnis, dass sie unsere einzige Heimat ist. Sie ignoriert, dass die Krise, in der wir uns befinden, in Wirklichkeit eine Folge der Kolonialisierung der Erde und ihrer unterschiedlichen Kulturen ist, für deren Zerstörung niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Flucht hat in der Vergangenheit zur Kolonialisierung geführt – und nach derselben Logik von Beherrschung und Eroberung denkt man nun auch an die Kolonialisierung anderer Planeten.
Cecil Rhodes, der Simbabwe (ehemals Rhodesien) kolonialisiert hat, erklärte freimütig:
Wir müssen neue Ländereien finden, wo wir leicht Rohstoffe gewinnen können und zugleich die billige Sklavenarbeit ausnutzen, die durch die Einheimischen in den Kolonien zur Verfügung steht. Die Kolonien können auch als Abladeplatz für die überschüssigen Waren dienen, die in unseren Fabriken produziert werden.2
Dies ist das Vorbild für die Wirtschaft des 1 %. Die Instrumente der Ausbeutung und die Kolonien mögen andere sein, aber die Methoden der Kolonialisierung bleiben dieselben: Das 1 % stiehlt, was anderen gehört, macht es zu seinem Eigentum, kassiert Mieten von den ursprünglichen Besitzern und macht die Vertriebenen zu billigen Sklaven, um Rohstoffe zu beschaffen und einen Markt für ihre Industrieprodukte zu generieren.
Diese Form der Kolonialisierung der Natur und der Menschen stößt jetzt jedoch an ihre Grenzen. Wenn es keine Notwendigkeit mehr gibt für Sklaven oder ausgebeutete Arbeiter, die den Schrott kaufen, den das 1 % zu bieten hat: minderwertige Nahrungsmittel und minderwertige Kleidung, minderwertige Nachrichten und minderwertige Medien; wenn die Erde vollends ausgebeutet und verschmutzt ist und die Grenzen des Planeten erreicht sind; und wenn seine lebenserhaltenden Systeme zerstört sind, dann wird es keine Produktion mehr geben. Kein Überleben.
Aber es gibt Möglichkeiten jenseits von Kolonialisierung und unseres Aussterbens. Es gibt eine dritte Option – nämlich am Leben zu bleiben, indem wir für die Erde und füreinander sorgen und den Planeten und unser gemeinschaftliches Menschsein wiederbeleben.
Nur als eine Erdengemeinschaft und eine Menschheit, geeint in unserer Verschiedenheit, können wir einander halten, vom Abgrund zurücktreten und der zerstörerischen, Völkermord und Ökozid verursachenden Herrschaft des 1 % entkommen. Wir können umkehren und den Weg in unsere Freiheit beschreiten: frei zu leben, frei zu denken, frei zu atmen, frei zu essen.
Dieses Buch ist ein Ausdruck der Hoffnung, verwurzelt im Einssein – in der Philosophie von Vasudhaiva kutumbakam, der Eine-Erde-Familie. Es gründet auf der Hoffnung, die von unserem Potential ausgeht, Trennung und Spaltung zu überwinden, damit wir als eine Menschheit auf einem Planeten denken, handeln und leben. Und dies im vollen Bewusstsein unserer Verbundenheit und unserer Verantwortung, jeden Tag, jeden Augenblick unseres Lebens aktiv daran mitzuwirken, das natürliche und soziale Netz des Lebens zu bewahren und zu erneuern. Seine Heiligkeit der Karmapa, Ogyen Trinley Dorje, hat es »mitfühlende Beherztheit« genannt: die Beherztheit, aus Mitgefühl zu handeln.3
Es gab auch früher schon Befreiungsbewegungen: Wir haben unser Denken und unsere Kulturen von den Fesseln des Imperialismus befreit. Wir haben die künstlich geschaffenen (aber »eingebürgerten«) Kategorien von Rasse, Geschlecht, Klasse und Hautfarbe überwunden. Ebenso können wir mit unserer Schöpferkraft und Fantasie, mit unserer Solidarität und Verbundenheit eine planetarische Freiheitsbewegung schaffen. So können wir uns von den Ketten und aus den Kerkern befreien, die die Vorspiegelungen des mechanistischen Denkens geschaffen haben oder die Geldmaschine oder eine Demokratie, die nur noch Fassade ist. Wir können durch wirkliche Intelligenz wirkliches Wissen zurückgewinnen und neu herausbilden. Durch unser schöpferisches Potential können wir mit der Natur wirklichen Reichtum wiedergewinnen und neu bilden. Wir können auf der Erde die Saat für wirkliche Freiheit und echte Demokratie säen.
Jetzt war schon immer unsere Zeit. Dies ist das Wiedererstehen des Realen. Denn real ist unser Einssein und unsere Untrennbarkeit. Real ist unsere gelebte und lebendige Intelligenz. Real ist unsere Selbstorganisation, unsere Kreativität, unsere Freiheit. Real ist unsere Möglichkeit, für unsere gemeinsame Zukunft die Saat der Vielfalt, der Hoffnung, des Mitgefühls und der Verbundenheit zu säen.
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Wir sind eine Erdenfamilie, eine Menschheit.Wir sind verbunden durch unsere Vielfalt, Intelligenz und Kreativität und durch unser Mitgefühl.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist unsere gemeinsame Zukunft als Spezies nicht mehr gewährleistet. In nur 500 Jahren Kolonisation (davon 200 Jahre im Zeitalter der fossilen Brennstoffe) und 20 Jahren der Globalisierung durch die Konzerne, hat die Menschheit der Erde so viel Schaden zugefügt, dass es für ihr eigenes Aussterben reicht. Die Blindheit des 1 % gegenüber dem Potential des Lebens, den Menschenrechten, den zerstörerischen Auswirkungen ihrer »Konstrukte« hat dafür gesorgt, dass der Gang über den Abgrund unausweichlich ist. Sie bezeichnen ihre destruktive, kolonialisierende Macht als »überlegen«, während die schöpferischen, gewaltfreien Kräfte der Natur, der Frauen, der indigenen Völker und der Bauern als »rückständig« oder »passiv« betrachtet werden. Im von ihnen konstruierten Narrativ vom linearen Fortschritt gibt es nur einen Weg – nach vorn. Aber wenn man bereits an einem Abgrund steht, bedeutet weiter voranzugehen, in den Abgrund zu stürzen.
Unsere gemeinsamen und untrennbaren Freiheiten in unserer Verschiedenartigkeit werden durch die Freiheiten bedroht, die sich das 1 % durch Freihandelsabkommen, Instrumente der Massenmanipulation und die Einhegung des Gemeingutes durch Patente genommen haben. Sie verfestigen sich weiter, indem sie Einheitlichkeit und Monokulturen, Spaltung und Trennung, Monopole und externe Kontrolle, Zentralisierung und Zwang durchsetzen und der Welt ihre Paradigmen und Narrative auf undemokratische Weise aufzwingen. Das wirtschaftlich und politisch mächtige 1 % versucht – von der Erde und dem Menschsein (auch ihres eigenen) abgekoppelt –, jeden Bereich unseres Lebens zu kontrollieren.
Das Einssein ist die eigentliche Quelle unserer Existenz: unsere Verbundenheit mit dem Universum, mit allen Wesen (auch den Menschen) und mit unseren lokalen Gemeinschaften. Das Einssein ist in unsere vielfältige lebendige Intelligenz und Kreativität eingewoben. Es stellt den Zusammenfluss unserer reichhaltigen und lebensvollen Vielfalt dar – der biologischen Vielfalt, der kulturellen Vielfalt, der wirtschaftlichen Vielfalt, der politischen Vielfalt und der Vielfalt des Wissens. Sie beruht auf dem tiefen Verständnis, dass Leben und Freiheit eins sind, dass unsere Freiheit als Menschen und als Glieder der Erdengemeinschaft nicht von der Freiheit der Erde zu trennen ist. Bäume und Pflanzen versorgen den Menschen mit Sauerstoff, und Menschen und andere Tiere liefern das notwendige Kohlendioxid im lebendigen Kohlenstoffkreislauf. Bäume schaffen die Voraussetzungen für unsere Freiheit. Die Mykorrhiza-Pilze im Boden versorgen die Pflanzen mit Nährstoffen und beziehen ihre eigene Nahrung aus ihnen. Die Freiheit der Pflanzen ist abhängig von der Freiheit der Mykorrhiza-Pilze. Und ein Boden, der reich an organischer Substanz ist, enthält eine Fülle von zuträglichen Pilzen, die für Pflanzen und letztlich auch für Menschen und Tiere, die sie verzehren, gut sind; unsere Freiheit zu leben und zu gedeihen ist mit allem verwoben.
Die Fürsorge für unser Saatgut, unseren Boden, unsere Luft und unser Wasser wird erweisen, wie weit wir bereit sind, uns für unsere Zukunft in die Pflicht zu nehmen. Die Prozesse, die unseren Boden, unsere biologische Vielfalt, unser Luft-, Wasser- und Klimagleichgewicht zerstören, töten auch unser Menschsein.
Mitgefühl entsteht auf natürliche Weise aus Verbundenheit und dem Bewusstsein, miteinander verwoben zu sein. Es handelt sich dabei nicht um die »Philanthropie« (Menschenliebe) der Milliardäre, denn ihre Milliarden werden durch gewaltsame Ausbeutung erwirtschaftet, und sie setzen sie in der Philanthropie ein, um neue Märkte zu schaffen und mehr Geld zu verdienen. Vor allem ist diese »Philanthropie« nicht mit Mitgefühl gleichzusetzen, weil sie davon ausgeht, dass Geld die einzige menschliche Währung ist. Wir haben einen Notstand. Und doch reagieren wir nicht auf die Ursachen der Krisen, mit denen wir konfrontiert sind.
Wir befinden uns an einem kritischen Punkt in der Evolution des Planeten und in unserer Evolution als Spezies. Mehr als 90 Prozent der Nutzpflanzensorten sind verschwunden; etwa 75 Prozent der pflanzengenetischen Vielfalt ist durch die Monokulturen des mechanistischen Geistes zum Aussterben verurteilt worden.1 Wir leben im Zeitalter des sechsten Massenaussterbens; dies ist der Moment, in dem wir die biologische Vielfalt auf unseren Bauernhöfen und Feldern, in unseren Küchen und auf unseren Tellern wieder herstellen müssen, damit wir die Klimakrise, die Gesundheitskrise und die Krise der Kontrolle der Konzerne über unsere Nahrung bewältigen.
Laut dem Dichter und Philosophen Rabindranath Tagore besteht die Besonderheit der indischen Kultur darin, dass sie das Leben im Wald als die höchste Form der kulturellen Evolution definiert hat. In seinem Essay Tapovan schreibt er:
Die zeitgenössische westliche Zivilisation ist aus Ziegelstein und Holz gebaut. Sie ist in der Stadt verwurzelt. Aber die indische Zivilisation hat sich dadurch ausgezeichnet, dass sie die Quelle ihrer materiellen und intellektuellen Regeneration im Wald und nicht in der Stadt verortet hat. Die besten Ideen Indiens sind dort entstanden, wo der Mensch mit Bäumen, Flüssen und Seen in Verbindung stand, weit weg von den Menschenmassen. Der Frieden des Waldes hat der intellektuellen Entwicklung des Menschen geholfen. Die Kultur des Waldes hat die Kultur der indischen Gesellschaft beflügelt. Eine Kultur, die aus dem Wald hervorgegangen ist, wurde von den vielfältigen Erneuerungsprozessen des Lebens beeinflusst, die im Wald immer im Spiel sind, von Spezies zu Spezies, von Jahreszeit zu Jahreszeit, im Sehen, Hören und Riechen. Das einigende Prinzip des Lebens in Vielfalt, des demokratischen Pluralismus, wurde so zur Grundlage der indischen Zivilisation.
Die Wälder sind der Hort der biologischen Vielfalt und können uns Lektionen in Demokratie erteilen; sie können uns lehren, Raum mit anderen zu teilen und gleichzeitig aus dem gemeinsamen Lebensnetz all das zu schöpfen, was wir brauchen.
Demokratie ist Teilhabe, und da Teilhabe verkörpert und nicht körperlos ist, ist die teilhabende Demokratie eine gelebte und lebendige Demokratie. Wir müssen eine Bewegung aufbauen, die die Rechte der Natur und von Mutter Erde anerkennt und die Verletzung dieser Rechte als Ökozid behandelt.2
Jede Zelle, jede Mikrobe, jedes Wesen ist autonom und selbsterschaffend und -erhaltend, selbstorganisiert und frei, dynamisch und sich entwickelnd, vernetzt und nicht trennbar. Die Wissenschaftler Humberto Maturana und Francisco Varela haben lebende Systeme als von innen heraus autopoietisch erkannt (als sich selbst organisierend).3 Maschinen hingegen sind allopoietische Systeme, die von außen zusammengesetzt und gesteuert werden. Eine der dramatischsten ontologischen Verschiebungen unserer Zeit ist die Neudefinition lebendiger Organismen – insbesondere von Samen – als von Konzernen »erfundene« Maschinen.
Im Laufe von zwei Jahrhunderten des durch fossile Brennstoffe angetriebenen Industriezeitalters ist eine gedankliche Architektur entstanden, die uns künstlich von der Erde und voneinander trennt. Ich nenne es »Öko-Apartheid«, die imaginäre Trennung von Mensch und Natur. Bruno Latour bezeichnet sie als die »Trennung oder Vertiefung der imaginären Kluft zwischen Natur und Kultur«.4
Im vorherrschenden mechanistischen Paradigma wird nicht nur der Mensch von der Natur getrennt, die Natur wird sogar zu toter, inaktiver Materie erklärt, zu einem bloßen Rohstoff, der ausgebeutet werden kann. Die mechanistische Weltanschauung wurde geschaffen, um dem industriellen Kapitalismus zu dienen, der ein unzulängliches, reduktionistisches, mechanistisches Paradigma auf die Ebene von Wissenschaftlichkeit erhob. Das wissenschaftliche Denken jedoch, das auf dem Bewusstsein einer lebendigen Erde beruhte, wurde politisch auf die Ebene der Nicht-Wissenschaft, ja sogar der Anti-Wissenschaft verbannt. Ökologische und soziale Ignoranz, kombiniert mit Gier und dem Drang zu herrschen und zu kontrollieren, hat uns die geltenden wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und technologischen Systeme beschert, mit denen das 1 % die Welt heute regiert.
Wenn unser Zeitalter als »Anthropozän« bezeichnet wird, bezieht sich dies auf die Macht des Menschen, die ökologischen Prozesse der Erde zu stören. Es wäre arrogant und unverantwortlich, zu behaupten, dass die Macht zu zerstören einigen Menschen das Recht gäbe, die Ressourcen, Prozesse und Systeme der Erde an sich zu reißen. Wenn wir heute leben, dann nur deshalb, weil die Erde lebt und sie die Bedingungen für unser Leben schafft. Auf diesem schönen Planeten am Leben zu sein, bedeutet, im Ökozän zu leben.
Die Arroganz des Kolonialismus und des Industrialismus liegt in der Annahme, dass nur der Kolonisator über Intelligenz verfügt. Während echte Intelligenz sich durch evolutionäre und ökologische Intelligenz auszeichnet, wurde sie, wie alles andere auch, auf mechanische und analytische Intelligenz reduziert und wird nun als »künstliche Intelligenz« noch weiter abgetrennt. Wir haben unsere Intelligenz allein auf eine einzige, vom mechanistischen Verstand geprägte Form zurückgestutzt, und die anthropozentrische und mechanistische Voreingenommenheit in der Wissenschaft hat uns blind gemacht für die Allgegenwart der lebendigen Intelligenz.
Der englische Botaniker Sir Albert Howard, der 1905 nach Indien kam, um die westlichen Landwirtschaftssysteme einzuführen, stieß allerdings auf äußerst ausgeklügelte Systeme, die die indische Landwirtschaft über Jahrtausende hinweg aufrechterhalten hatten. Er beschloss, von den einheimischen Bauern und ihrem Umgang mit Schädlingen gute landwirtschaftliche Praktiken zu lernen. Mein landwirtschaftliches Testament ist eine Zusammenfassung seiner Lehren und gilt heute als die Bibel der modernen ökologischen Landwirtschaft. Zu den wichtigsten Lektionen, die er gelernt hatte, gehörten das Gesetz der Vielfalt und das Gesetz der Rückführung. Nachhaltige Landwirtschaft beruht auf Vielfalt – auf der Integration verschiedener Feldpflanzen, Bäume und Tiere auf einem Bauernhof. Unterschiedliche Nutzpflanzen produzieren verschiedene Nährstoffe für den Boden, für Tiere und Menschen.
Das Gesetz der Rückführung beruht darauf, der Natur und der Gesellschaft das zurückzugeben, was wir von ihnen bekommen. Howard nutzte seine wissenschaftliche Ausbildung, um auf Grundlage des Rückführungsgesetzes die Ökologie des Bodens zu verstehen, und entwickelte die berühmte Methode der Kompostierung, die als »Indore-Methode«* bekannt ist. Der Verlust der biologischen Vielfalt auf unseren Feldern und in unserer Ernährung durch die Ausbreitung der »Grünen Revolution« und der industriellen Landwirtschaft in den letzten 50 Jahren trägt nicht nur maßgeblich zur ökologischen Krise bei, sondern führt auch zu vielen Krankheiten.
Pflanzen sind die eigentliche Grundlage des Lebens. Die Tradition, Bäume und Pflanzen als gleichwertige Lebewesen anzuerkennen, wurde in der Neuzeit von dem bedeutenden indischen Wissenschaftler J. C. Bose fortgeführt. Er zeigte in detaillierten Experimenten, dass der Impuls, Menschen und Tiere als ihren »pflanzlichen Geschwistern« deutlich überlegen einzustufen, einer genauen Untersuchung nicht standhält:
Diese Experimente bringen die Pflanze dem Menschen viel näher, als wir uns vorstellen konnten. Wir stellen fest, dass sie nicht nur eine Masse von vegetativem Wachstum ist, sondern dass jede ihrer Fasern instinktiv und empfindsam ist. Wir sind in der Lage, das Pochen ihres pulsierenden Lebens aufzuzeichnen, und erkennen, dass dieses je nach den Lebensbedingungen der Pflanze zu- und abnimmt und mit dem Tod des Organismus endet. Auf diese und viele andere Weisen sind die Lebensreaktionen in Pflanze und Mensch ähnlich.5
Essen ist ein Akt der Kommunikation. Beim Essen kommunizieren wir mit der Erde, dem Landwirt, dem Koch. Unsere Nahrung kommuniziert mit den nützlichen Bakterien in unserem Darm, die es uns ermöglichen, unsere Gesundheit zu erhalten und unsere Widerstandskraft gegen Krankheiten zu stärken. Unser Darm ist ein Mikrobiom, das hundert Billionen Mikroben und tausend Bakterienarten mit mehr als sieben Millionen Genen enthält. Auf jedes menschliche Gen kommen in unserem Körper 360 Gene von Bakterien, die unsere Gesundheit erhalten und unsere Widerstandskraft gegen Krankheiten erhöhen. Nur etwa die Hälfte der Zellen im Körper sind menschlich. In unserem Darm befinden sich 100.000-mal mehr Mikroben als Menschen auf unserem Planeten.
Und Bakterien sind intelligent. James Shapiro hat Bakterien als empfindungsfähige Wesen bezeichnet. Er sagt:
Bakterien besitzen viele kognitive, rechnerische und evolutionäre Fähigkeiten. […] Studien zeigen, dass Bakterien ausgeklügelte Mechanismen für die interzelluläre Kommunikation nutzen und sogar die Fähigkeit besitzen, die grundlegende Zellbiologie »höherer« Pflanzen und Tiere in Anspruch zu nehmen, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. […] Diese bemerkenswerte Reihe von Beobachtungen fordert uns dazu auf, unsere Vorstellungen über die biologische Informationsverarbeitung zu revidieren und zu erkennen, dass selbst die kleinsten Zellen fühlende Wesen sind.6
Die giftigen Pestizide und Herbizide, die wir für den Anbau unserer Nahrung verwenden, zerstören die nützlichen Bakterien in unserem Darm und führen zu schweren Krankheiten, von Darmstörungen bis hin zu neurologischen Problemen wie Autismus und Alzheimer. Daten des Centers for Disease Control (CDC) zeigen, dass bei der derzeitigen Entwicklung in den USA in wenigen Jahrzehnten jedes zweite Kind autistisch sein wird. Das kann keine besonders intelligente Spezies sein, die aufgrund eines verzerrten und manipulierten Bildes von Wissenschaft ihre eigene Zukunft zerstört.7
Als Systemwissenschaftler hat Yaneer Bar-Yam geschrieben:
Ein komplexes System wird aus vielen Komponenten gebildet. […] Das Verhalten des Systems kann nicht einfach aus dem Verhalten seiner Komponenten abgeleitet werden. […] Auftretende Eigenschaften können nicht untersucht werden, indem man ein System physikalisch auseinandernimmt und die Einzelteile betrachtet (Reduktionismus).8
Der mechanistische Reduktionismus beruht darauf, die Welt als Maschine zu betrachten, und ein Wissen, das seinerseits auf Trennung beruht, als das einzige Wissen, das zählt. Carl Woese bezeichnete den mechanistischen Reduktionismus als einen »fundamentalistischen Reduktionismus«. Er sagt:
Wir müssen das, was als »empirischer Reduktionismus« bezeichnet werden kann, vom »fundamentalistischen Reduktionismus« unterscheiden. Der empirische Reduktionismus ist im wesentlichen methodisch; er ist einfach eine Form der Analyse, es geht um die Zerlegung einer biologischen Einheit oder eines Systems in seine Bestandteile, um es besser zu verstehen. Der empirische Reduktionismus stellt keine Annahmen auf, die das vollkommene Verständnis der grundlegenden Natur von Lebewesen betreffen. Der fundamentalistische Reduktionismus (der Reduktionismus der klassischen Physik des 19. Jahrhunderts) ist dagegen im wesentlichen metaphysisch. Er trifft eine Aussage über die Natur der Welt: Lebende Systeme können (ebenso wie alle anderen) vollständig verstanden werden mit einem Blick auf die Eigenschaften ihrer einzelnen Bestandteile.9
Das Wissen, das wir für die Züchtung, die Selektion, die Entwicklung von Saatgut und den Anbau von Nahrungsmitteln benötigen, ist das Wissen der biologischen Vielfalt und des lebendigen Saatguts, das Wissen vom lebendigen Boden und vom Boden-Nahrungsnetz: wie die verschiedenen Arten im Agrarökosystem miteinander interagieren und wie es sich zu den verschiedenen Jahreszeiten verhält. Dieses komplexe Wissen über interagierende, sich selbst organisierende, sich selbst erhaltende, sich selbst erneuernde und sich selbst entwickelnde Systeme, das die Bauern in über 10.000 Jahren landwirtschaftlicher Entwicklung zusammengetragen haben, wird nun durch die Agrarökologie bestätigt: den wirklich wissenschaftlichen Ansatz der Nahrungsmittelproduktion.
Seit Jahrtausenden nutzen die Landwirte das verfügbare Land und Wasser, um die Menschen zu ernähren, und dabei ständig schmackhaftere und nahrhaftere Sorten zu entwickeln. Ihr Erfolg liegt in ihrem Verständnis der Erde, der Natur und ihrer Ökosysteme, des Menschen und aller anderen Arten als autopoietische Systeme. Eine Großmutter, die es versteht, die Feldfrüchte von unseren Feldern in eine köstliche, nahrhafte Mahlzeit zu verwandeln, ist Ernährungswissenschaftlerin. Eine ayurvedische Ärztin ist Wissenschaftlerin. Indigene Menschen sind Wissenschaftler. Frauen sind Wissenschaftlerinnen. Sie verfügen über verkörpertes, interaktives und sich weiterentwickelndes Wissen.
Wir müssen die Vielfalt der Erkenntnistheorien und Wissenssysteme anerkennen, die uns geholfen haben, den Planeten zu bewahren und unser Wohlergehen sicherzustellen. Wir müssen unsere verschiedenen, miteinander verbundenen Intelligenzen einsetzen, um eine andere Vision und dadurch eine andere Welt zu schaffen – jenseits der Illusionen und der Kontrolle des 1 %.
Sowohl Ökologie als auch Ökonomie leiten sich vom altgriechischen Wort »oikos« ab, was »Haus, Gehöft« bedeutet. Ökologie ist die Wissenschaft vom Haushalt, während es in der Ökonomie um das Haushalten an sich geht. Wenn die Ökonomie gegen die Ökologie arbeitet, führt dies zu Misswirtschaft auf der Erde, unserem Zuhause. Die bestehende Klimakrise, die Wasserkrise, die Krise der biologischen Vielfalt und die Ernährungskrise sind verschiedene Symptome dieser Misswirtschaft. Wir verwalten die Erde falsch und zerstören dabei ihre ökologischen Prozesse, wenn wir das Kapital der Natur nicht als das reale Kapital anerkennen.
Ernährung und Landwirtschaft sind Bereiche, in denen wir das Scheitern der industriellen Landwirtschaft, die uns von globalen Konzernen aufgezwungen wurde, deutlich sehen. Das sogenannte »moderne« Ernährungs- und Landwirtschaftssystem, das auf Chemikalien und GVO (genmanipulierten Organismen) beruht, mag zwar als effizient und produktiv dargestellt werden, aber es verbraucht zehnmal mehr Energie. Es hat bereits 75 Prozent des Bodens, des Wassers und der Biodiversität des Planeten zerstört und ist für 50 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, die den Klimawandel vorantreiben.10 Die industrielle Landwirtschaft wird als Lösung gegen den Hunger angepriesen, jedoch ist sie für 75 Prozent aller ökologischen und gesundheitlichen Probleme auf globaler Ebene verantwortlich. Hunger, Unterernährung, Fettleibigkeit, Diabetes, Allergien, Krebs und neurologische Störungen sind fester Bestandteil eines von Gier getriebenen, auf Giften beruhenden Nahrngsmittelsystems.11
Die Kolonialisierung verwandelt Überfluss in Mangel, getrieben von der Gier einiger weniger. Die Geschichte des 1 % ist die Geschichte grenzenloser Gier, ohne Respekt für die Rechte anderer und ohne Verantwortung für die Folgen ihrer Handlungen zu übernehmen. Es ist dieser Wettstreit zwischen Teilhabe und Gier, zwischen Vernetzung und Privatisierung, zwischen Einssein und dem 1 %, worum es in diesem Buch geht.
In einer Wirtschaft, die von den Konsumregeln des 1 % dominiert wird, werden den 99 Prozent selbst die grundlegendsten Rechte vorenthalten, darunter das Recht auf Nahrung, auf Wasser, auf Arbeit und Lebensunterhalt.
Während der Zeit, als ich meine Doktorarbeit schrieb, engagierte ich mich als Freiwillige in der Chipko-Bewegung, einer gewaltlosen, friedlichen Reaktion von dort heimischen Bäuerinnen auf die großflächige Abholzung, die im Garhwal Himalaya stattfand. Die Frauen setzten sich für den Erhalt der Wälder ein. Chipko bedeutet »umarmen«, »umschlingen«. Sie erklärten, dass sie die Bäume umarmen würden, um sie zu beschützen. So müssten die Holzfäller erst sie töten, bevor sie die Bäume fällten.
Die Abholzung hatte zu Erdrutschen und Überschwemmungen sowie zur Verknappung von Wasser, Futter und Brennstoff geführt. Da Frauen sich um diese Grundbedürfnisse kümmerten, bedeutete Knappheit längere Wege für das Sammeln von Wasser und Brennholz: eine schwere Last. Die Frauen wussten, dass der wahre Wert der Wälder nicht im Holz eines toten Baumes liegt, sondern in Quellen und Bächen, in Nahrung für ihr Vieh und Brennstoff für ihren Herd. So heißt es in den Volksliedern jener Zeit:
Diese schönen Eichen und Rhododendren,
Sie geben uns kühles Wasser.
Diese Bäume dürfen nicht gefällt werden,
Wir müssen sie am Leben erhalten.