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In diesem Buch werden Beweise zusammengetragen und die Gefahren aufgezeigt, die von philanthropischen »Entwicklungen« ausgehen, die von Konzernen und einzelnen Milliardären in den Bereichen Agrartechnologie, Ernährung, Wissen und globale Gesundheitssysteme betrieben werden. Diese Art von Philanthropie ermöglicht es einigen wenigen »Auserwählten«, Informationen und die Politik für ihren eigenen Profit zu manipulieren und damit Demokratien und Gesellschaften auf der ganzen Welt zu untergraben. In den letzten 30 Jahren hat sich der Philanthrokapitalismus zu einer entscheidenden Kraft entwickelt, die in der Lage ist, die internationale Agenda auf das falsche Gleis zu setzen, unsere Zukunft zu zerstören und unseren Planeten in den ökologischen Zusammenbruch zu führen. In diesem Buch sehen wir, wie die Muster der technokratischen »Lösungen« durch »philanthropische« Aktionen beschleunigt umgesetzt werden, vorangetrieben von einer unheiligen Allianz von Großkapital, Wissenschaft und Technologie, Institutionen und Staaten und entscheidend beeinflusst vom Großen Geld.
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Seitenzahl: 384
»Vandana Shiva und die anderen Autoren räumen mit den Behauptungen auf, dass die traditionelle Agrarökologie weniger produktiv als die industrielle Massentierhaltung und dass die Biotechnologie für die Klimaresistenz notwendig sei. Sie widerlegen die Lügen der Konzernphilanthropen und ihrer Komplizen aus der Technologiebranche. Ihre Lügen sind nichts weniger als ein Umweltverbrechen an indigenen Völkern, Kleinbauern und Frauen.«
Dina Gilio-Whitaker, Autorin von As Long as Grass Grows: The Indigenous Fight for Environmental Justice, from Colonization to Standing Rock
»Dr. Shiva hat wieder einmal die sich abzeichnenden Bedrohungen für unsere Demokratie und unseren lebendigen Planeten offengelegt. Shiva und die Mitautoren legen die Gefahren offen, die der genetische Diebstahl, die Fortführung der Grünen Revolution und die erschreckend gewagten Technologien zur genetischen Ausrottung darstellen. Dem Leser wird angst und bange, und er wird einsehen, dass die Landrückgabe an indigene Gemeinschaften und die Rückkehr zur Agrarökologie der Weg in eine lebenswerte Zukunft auf dem Planeten Erde ist.«
Leah Penniman, Mitbegründerin der Soul Fire Farm und Autorin von Farming While Black
»Philanthrokapitalismus ist eine bemerkenswerte Unternehmung, angeführt von der großartigen Vandana Shiva, um die zunehmenden Gefahren durch die kapitalistischen Mächte aufzudecken, die viele Aspekte unseres Lebens erobern, kontrollieren und zerstören. In diesem brillanten und wesentlichen Werk stellen sich die Autoren den aufkommenden und gefährlichen Mächten der Konzernherrschaft und des Faschismus entgegen.«
Jerry Mander, Autor von Schafft das Fernsehen ab! Eine Streitschrift gegen das Leben aus zweiter Hand
»Philanthrokapitalismus und die Aushöhlung der Demokratie verfolgt einen interdisziplinären Ansatz bei der Untersuchung der Arbeit der Konzernphilanthropie. Es ist eine fesselnde Lektüre und Aufklärung, warum wir nicht darauf vertrauen sollten, dass Milliardäre uns erretten. Wohltätigkeit sollte keinen Haken haben.«
Leah Thomas, Autorin von The Intersectional Environmentalist: How to Dismantle Systems of Oppression to Protect People and Planet
»Ein detaillierter Bericht, der darlegt, wie falsche Klimalösungen unsere Landwirtschaft gefährden, die Souveränität der Landwirte weltweit untergraben und die Qualität unserer Lebensmittelversorgung beeinträchtigen. Shiva entlarvt die Macht der elitären Unternehmensphilanthropie, die die gesamte Richtung der landwirtschaftlichen Forschung beeinflusst, ohne der Öffentlichkeit Rechenschaft darüber abzulegen.«
Peggy M. Shepard, Geschäftsführerin und Mitbegründerin von WE ACT For Environmental Justice
»In diesem außerordentlich wichtigen Beitrag entlarven Vandana Shiva und ihre Kollegen den Betrug des Herrschaftsparadigmas, das in die Spätphase der Zerstörung des Lebens, der Gemeinschaft und des geistigen Wohlbefindens unserer Kinder auftritt. Dieses Buch ist ein wichtiger Wegweiser, um unsere Menschheitsfamilie neu zu weben und das zu erneuern, was ausgebeutet wurde. Wir müssen uns gemeinsam gegen ein System wehren, das Reichtum und Macht konzentriert und es einigen wenigen Milliardären überlässt, so zu tun, als ob ihnen unser Wohl am Herzen läge. Kaufen Sie dieses Buch, es wird Ihnen helfen, die Wahrheit zu erkennen!«
Gail Bradbrook, Mitbegründerin von Extinction Rebellion
»Ein Muss für jeden, der sich für die Wiedererlangung der Ernährungssouveränität, den Schutz des indigenen Wissens, die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, die Entkolonialisierung der Natur und die Behebung der Schäden an unserem Planeten einsetzt. Das Buch zeigt nicht nur die wahren Bedrohungen für die Menschheit und falsche Lösungen auf, sondern auch, dass wir den indigenen Gemeinschaften, die die wirksamsten Prinzipien zur Heilung, Regeneration und zum Schutz unserer Ökosysteme bewahren, zu Dank verpflichtet sind. Dieses Buch lehrt uns, uns in Würde und Freiheit zu emanzipieren, damit wir in Harmonie mit der Natur leben können.«
Fadhel Kaboub, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Denison University, Präsident des Global Institute for Sustainable Prosperity
Es gibt heute unbedingt viele gute Gründe, das weibliche Geschlecht wieder besser sichtbar zu machen. Dies ist seit mehr als 40 Jahren auch Anliegen unseres Verlages. Ob dies durch Gendern erreicht wird, darf man jedoch hinterfragen, immerhin geht es um unsere Muttersprache. Sicher ist, dass der grammatische Genus nichts über das Geschlecht (Sexus) aussagt. Deswegen halten wir uns als Verlag beim Gendern bewusst zurück. Ausführliche Begründung dazu unter www.neue-erde.de/derdiedas
VANDANA SHIVA(HRSG.)
UND DIE AUSHÖHLUNG DER DEMOKRATIE
WIE KONZERNE TECHNOLOGIE, GESUNDHEIT UND LANDWIRTSCHAFT ÜBERNEHMEN
Vorwort von David W. Orr
Aus dem Englischen von Laura Spies
Bücher haben feste Preise.
1. Auflage 2023
Philanthrokapitalismus
und die Aushöhlung der Demokratie
Copyright © 2022 bei Vandana Shiva
Der Titel des englischen Originals lautet
»Philanthrocapitalism and the erosion of democracy« und wurde erstmals 2022 in Santa Fe, NM, USA veröffentlicht von Synergetic Press
Übersetzt aus dem Englischen von Laura Spies.
Lektorat: Andreas Lentz und Alice Deubzer
© für die deutsche Ausgabe Neue Erde GmbH 2023
Alle Rechte vorbehalten.
Titelseite:
Illustration: graphicdesignerka,
Kate Krasovskaya, beide shutterstock.com
Gestaltung: Amanda Müller und Dragon Design, GB
eISBN 978-3-89060-389-6
ISBN 978-3-89060-835-8
Neue Erde GmbH
Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken
Deutschland · Planet Erde
www.neue-erde.de
Vorwort
Einleitung: Philanthrokapitalismus und Kolonialisierung im digitalen Zeitalter
Vandana Shiva
Erster Teil: Ein globales Imperium
Die Zerstörung einer Welt des traditionellen Wissens, der Souveränität und der biologischen Vielfalt
Vandana Shiva
Ein Überblick über die landwirtschaftlichen Innovationen von Bill & Melinda Gates
Navdanya
Die Bill & Melinda Gates Foundation und die Allianz mit dem Internationalen Reisforschungsinstitut
Chito P. Medina
Zweiter Teil: Patente, Genbearbeitung und digitale Sequenzinformationen
Saatgutaneignung durch neue Gen-Editierungs-Technologien
Vandana Shiva
Gen-Editierung: Unerwartete Ergebnisse und Risiken
Dr. Michael Antoniou
Länder mit großer Vielfalt als Anbieter von genetischen Ressourcen und digitalen Sequenzinformationen
Aidé Jiménez-Martínez und Adelita San Vicente Tello
Dritter Teil: Biopiraterie
Biopiraterie von klimaresistentem Saatgut
Navdanya
Fallstudien zur Biopiraterie: GVO-Bananen
Vandana Shiva und Navdanya International
Vierter Teil: Globale Landwirtschaft
Die Rekolonialisierung der Landwirtschaft
Navdanya
Ein Vertrag zum Schutz unserer landwirtschaftlichen Biodiversität
José Esquinas-Alcazar
Ag Tech: Bill & Melinda Gates‘ landwirtschaftliche Innovationen in Argentinien
Fernando Cabaleiro
Fünfter Teil: Die dritte »Grüne Revolution«
Der Goldene-Reis-Schwindel
Vandana Shiva
Warum wir gegen Golden Rice sind
Stop Golden Rice Netzwerk (SGRN)
Die Dystopie der Grünen Revolution in Afrika
Nicoletta Dentico
Die Grüne Revolution der Gates Foundation schadet Afrikas Landwirten
Timothy Wise
Die Saat des Überwachungskapitalismus
Navdanya
Sechster Teil: Biotechnologie und Geoengineering
Die Probleme mit der Labornahrung
Vandana Shiva
Essbare Software: Das Modell des geistigen Eigentums an Nahrungsmitteln beeinträchtigt die regenerative Landwirtschaft
Seth Itzkan
Bill Gates’ Klima-»Lösungen«: Finanzierung von Geoengineering
Dru Jay und Silvia Ribeiro (ETC-Gruppe)
Siebter Teil: Gene Drives und das sechste Massenaussterben
Zur Ausrottung getrieben: Wie Bill Gates die Gene Drive-Extinction-Technologie in die Welt gebracht hat
Zahra Moloo und Jim Thomas (ETC-Gruppe)
Die Gates Foundation hat zur Manipulation der UNO in Bezug auf Gene Drives eine PR-Firma engagiert
Jonathan Latham
Palmer-Amaranth im Visier: Eine nahrhafte und kulturell bedeutsame traditionelle Kulturpflanze
Vandana Shiva
Globaler Widerstand gegen die Technologie der genetischen Ausrottung
Navdanya
Achter Teil: Medien, Gesundheit und Bildung
Digitale Diktatoren
Satish Kumar
Das philanthropische Monopol von Bill und Melinda Gates
Nicoletta Dentico
Wie die Cornell-Allianz Desinformationen verbreitet und die Agrarökologie diskreditiert
Community Alliance for Global Justice und Agra Watch
Bt Brinjal (Gen-Aubergine): Allianz für krumme Wissenschaft und Konzernlügen
Farida Akhter
Neunter Teil: Eine erdgebundene Philosophie
Eine Botschaft von Gaia
Navdanya
Mitwirkende
Endnoten
Index
David W. Orr
»Die Idee ist, eine digitale Version der Auflösung der Allmenderechte zu schaffen und einem zunehmend härter werdenden Polizeistaat enorme Befugnisse zu übertragen.«
Arundhati Roy1
»Wenn rohe Gewalt nicht funktioniert, setzt du nicht genug davon ein!« hat man als das zentrale Funktionsprinzip der modernen Welt vorgeschlagen. Es ist deshalb plausibel, weil es die zwanghafte Logik der Marodeure auf den Punkt bringt, die die vergangenen zwei Jahrhunderte geprägt haben: der Ausbeuter, die Imperien errichten und Kahlschlag verüben, der Konzernmagnaten, Militaristen und Rechtgläubigen aller Art. Rohe Gewalt verhandelt nicht mit Geschichte, Kultur, Biologie, altem Wissen, Ethik, Voraussicht und dem Unbekannten. Sie verzichtet auf Bescheidenheit, Überzeugung durch vernünftige Argumente, ethische Grenzen und verabscheut Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und die örtlichen Gegebenheiten. In der Ära der fossilen Brennstoffe wurde die Logik der rohen Gewalt aller Fesseln entledigt; sie unternahm einen planetarischen Amoklauf und durchdringt nun praktisch alle menschlichen Aktivitäten. Sie gibt sich als Fortschritt aus, doch dahinter verbirgt sich etwas Dunkles. Ein Paradebeispiel am Rande des Wahnsinns ist die logisch hieb- und stichfeste und mathematisch präzise Strategie des »Gleichgewichts des Schreckens«, die unsere testosterongesättigte Außenpolitik prägt. Das Armageddon hängt an einem seidenen Faden. Für welchen höheren Zweck treibt man die Zerstörung des Planeten eigentlich voran? Welches nationale Interesse, welcher Imagevorteil oder welcher Sinn könnte damit verfolgt werden? Wer wird noch übrig sein, um über solche Dinge nachzudenken und die Trümmer zu sichten, die die brutalste aller Waffen hinterlässt?
Irgendwann nach der Veröffentlichung von Adam Smiths Wohlstand der Nationen im Jahr 1776 wurde die westliche Wirtschaftswissenschaft von der Logik der rohen Gewalt infiziert, die besagt, dass (beinahe) alle Menschen unstillbare Bedürfnisse haben, die es rechtfertigen, die Erde zu zerstören, sie zu verschmutzen oder zu Tode aufzuheizen. Nach dieser Logik gilt das menschliche Überleben als unwirtschaftlich. Aber warum sollte ein auch nur halbwegs vernünftiger Mensch das Risiko eingehen, das Klima der Erde zu destabilisieren? Es ist unmöglich, in so trüben Gewässern die Tiefe des Unsinns zu begreifen.
Wichtiger für dieses Buch ist das sich katastrophal ausbreitende globale Agrarwirtschaftssystem, das gleichfalls mit roher Gewalt arbeitet. Für einen Haufen Geld hat die industrielle Landwirtschaft die Fruchtbarkeit natürlicher Systeme geschädigt, die Böden erodieren und das Grundwasser versiegen lassen, die Gewässer verschmutzt, einst stabile ländliche Gemeinschaften zerstört, Hunderte von toten Zonen in den Weltmeeren geschaffen, überall die biologische Vielfalt zerstört und das Wissen um bessere landwirtschaftliche Methoden ausgelöscht, während gleichzeitig eine riesige moralische Kluft zwischen den Überernährten und den Hungernden entstand. Die Folgen der industriellen Landwirtschaft sind überaus zahlreich; die nicht eingerechneten Vollkosten der billigen Lebensmittel für die Reichen sind gigantisch; die moralischen Kosten sind unkalkulierbar.
Die Befürworter des Systems können nicht behaupten, sie seien nicht gewarnt worden. In den Gründungsmythen, der Literatur, der Poesie und den Schriften fast aller Kulturen der Erde wird vor Selbstüberschätzung und Hybris gewarnt. In der westlichen Literatur zum Beispiel ist in Mary Shelleys Doktor Frankenstein (1818) nicht die Kreatur das Monster, sondern ihr Schöpfer, der sich weigerte, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Melvilles Kapitän Ahab in Moby Dick (1851) ist eine deutliche Warnung vor den Strafen, die zügelloser Besessenheit bei der Verfolgung schändlicher Ziele auf dem Fuße folgen. Auch Dostojewskis Großinquisitor war eine Warnung vor der perversen Logik der Bedürftigkeit; in Brüder Karamasow (1879) sagt der Großinquisitor zu einem schweigenden Christus:
Am Ende werden sie [die Menschen] uns ihre Freiheit zu Füßen legen und zu uns sagen: »Macht uns zu euren Sklaven, aber gebt uns zu essen.« Sie werden endlich begreifen, dass beides, Freiheit und genug Brot für alle, unerreichbar ist… Sie können niemals frei sein, denn sie sind schwach, lasterhaft, wertlos und rebellisch.2
Die Strategie des Großinquisitors findet sich heute bei den petrochemischen Unternehmen, in der Agrarindustrie und bei den multinationalen Konzernen, die uns zwar durchfüttern, aber nur im Gegenzug für unsere Hinnahme des Ruins.
Doch dann kommen Bill Gates und andere »Philanthrokapitalisten« daher und versprechen, Probleme wie Hunger, Krankheiten, Armut und ein sich rapide verschlechterndes Klima zu lösen, indem sie uns mehr von den Dingen verkaufen, die sie so reich gemacht haben. Das ist so lange ein Geschenk des Himmels, bis man das Kleingedruckte liest, das unter anderem den Glauben daran voraussetzt, dass der Leopard seine Flecken verloren hat und nun diejenigen füttern will, die er einst gefressen hat. Ein aufgeklärterer und wohltätigerer Kapitalismus ist meines Erachtens möglich, doch dafür wäre es erforderlich, dass die Kapitalisten ihren Eigennutz und ihre Gier überwinden, was kaum vorstellbar ist. Es ist jedoch nicht nur ihr Herz, sondern auch ihre Denkweise, die sie durch jahrelange Anhäufung von Reichtümern darauf konditioniert hat, zu glauben, dass Geld notwendig sei, um Probleme zu lösen. Doch trotz all ihrer Lobeshymnen sprechen die Philanthrokapitalisten nicht viel über die Ursachen der Probleme, die sie angeblich lösen wollen, oder über die politischen Fragen, wer was, wann und wie erhält, oder über die gerechte Verteilung des Reichtums oder über die Zerstörung lebendiger ländlicher Kulturen, die an einem Ort verwurzelt sind. In Anand Giridharadas Worten:
Ihre Vormachtstellung infrage zu stellen, bedeutet ganz einfach, die Behauptung anzuzweifeln, dass das, was für die Welt am besten ist, das ist, was die Reichen und Mächtigen für das Beste halten. Eine Welt, die immer mehr von privater Gier und der privaten Bereitstellung öffentlicher Güter geprägt ist, ist eine Welt, die den Menschen nicht zutraut, sich kollektiv eine andere Art von Gesellschaft vorzustellen.3
Er nennt es den »Aspen-Konsens«, und der bedeutet, dass die Gewinner zwar gehalten sind, mehr Gutes zu tun, aber niemals, weniger Schaden anzurichten.4 Es ist eine Art der Absolution, die der Theologe Dietrich Bonhoeffer einmal als »billige Gnade« bezeichnete.
Es gibt eine lange, ironische und überwiegend unglückliche Geschichte der sehr wohlhabenden Menschen, die versuchen, Gutes zu tun, meist spät in ihrem Leben, das sie anders zugebracht haben. Um die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern und den Hunger in der Welt zu beenden, beschloss die Rockefeller Foundation in den 1940er-Jahren, die sogenannte »Grüne Revolution« in Gang zu setzen. Sie brachte den Einsatz von Kapital, Maschinen, Chemikalien, Bewässerung, das Verschwinden kleiner Bauernhöfe und die Abwanderung in überfüllte Städte mit sich und führte zur Zerstörung »eines landwirtschaftlichen Systems, um das sich das Leben in den Dörfern und der Lebensunterhalt seit Tausenden von Jahren gedreht hatten«.5 Die Verantwortlichen der Stiftung ignorierten die wiederholten Warnungen, unter anderem die des Geografen Carl Sauer von der University of California: Man solle nicht die Möglichkeit übersehen, »dass einheimische Praktiken echte Lösungen für lokale Probleme darstellen.«6 Wie sich herausstellte, hatte Sauer recht. Das Ergebnis der Grünen Revolution war eine soziale, kulturelle, politische und ökologische Katastrophe.
Man fragt sich also, welche großen Probleme durch den Philanthrokapitalismus gelöst wurden. Nach all dem Hype ist die Bilanz – bestenfalls – durchwachsen. Das meiste von dem, was in der Landwirtschaft mit roher Gewalt angebaut wird, dient der Ernährung der Wohlhabenden, oft auf Kosten der Menschen aus ländlichen Regionen, der tropischen Wälder und der biologischen Vielfalt. Und Linsey McGoey fragt: »Was ist von der Tatsache zu halten, dass zunehmende Philanthropie und zunehmende Ungleichheit Hand in Hand zu gehen scheinen?«7 Sie stellt fest, dass die wachsende Philanthropie dem Fiskus Steuereinnahmen entzieht, die sonst zur Unterstützung der Armen eingesetzt werden könnten. Und wer zieht die Bill Gates dieser Welt zur Rechenschaft? Wer wägt die Differenz zwischen den Steuereinnahmen, die nicht in die Staatskasse fließen, und den angeblichen Vorteilen der unkontrollierten Philanthropie ab? Die Antwort lautet: niemand. Eine vernünftigere Herangehensweise an die Philanthropie bestünde darin, anzuerkennen, dass »der Staat aus Gründen der rechtlichen Befugnisse und der Rechenschaftspflicht besser in der Lage ist, solche Dinge zu tun«, die eine Systemperspektive, Transparenz und eine ultimative Rechenschaftspflicht erfordern.8
Der Kampf um Land, Gemeingüter, ländliche Kultur und freies Wohlergehen ist in eine neue und vielleicht letzte Phase eingetreten, wie die Autoren im Folgenden erklären. Bill Gates gibt über Ag One jedes Jahr Milliarden aus, um das Saatgut zu monopolisieren und die globale Landwirtschaft in einer Weise zu kontrollieren, die zuvor unmöglich war. Die Landwirtschaft war der letzte große Sektor der Gesellschaft, der dem Kapitalismus unterworfen wurde, und das Aufkommen von Gen-Splicing und CRISPR-Technologie macht es möglich und äußerst profitabel, die Grundlagen der Landwirtschaft durch die Kontrolle von Saatgut und genetischem Material zu kontrollieren. Das Ergebnis ist die schöne neue Welt des synthetischen Fleisches, der genetisch veränderten Pflanzen und der neuartigen Organismen aller Art; eine Welt der Biopiraterie, der Abhängigkeit, der Pestizide und der Kontrolle, die die kühnsten Vorstellungen eines Großinquisitors übertrifft. Es ist auch eine Welt, in der lebendige ländliche Gemeinschaften, kulturelle Vielfalt, biologische Vielfalt und Demokratie verlorengehen – eine Welt, die von »Monokulturen des Geistes« geprägt ist, die durch die Ideologie der rohen Gewalt gekennzeichnet ist: angewandt auf Gene, Pflanzen, Tiere, widerspenstige ländliche Gemeinschaften und unabhängige Denker wie Vandana Shiva.
Unter dem Vorwand, die Welt zu ernähren, und ausgestattet mit Technologien, die das Leben bis ins kleinste Körnchen manipulieren können, sind Gates und andere dabei, das letzte Gemeingut einzuhegen. Doch das ist ein Kampf, den wir nicht verlieren dürfen.
Kurz gesagt, wir sind mit allem verwandt, was jemals war, ist und sein wird. Vandana Shiva fasst diese uralte Wahrheit in einer Anrufung zusammen: »Wir sind das Land. Wir sind der Boden. Wir sind die biologische Vielfalt. Wir sind eine Erdfamilie, die ihr gemeinsames Menschsein und ihre gemeinsame Identität aus dem Land und der Erde als Erdbewohner bezieht, und wir teilen unsere gemeinsame Lebensgrundlage, den Atem, die Nahrung und das Wasser als Gemeinschaft und in Wechselseitigkeit.« Amen. Der Kern des Problems, so schreibt sie an anderer Stelle, ist »das eurozentrische Konzept von Eigentum, [das] nur Kapitalinvestitionen als Investitionen betrachtet und daher die Erträge aus Kapitalinvestitionen als das einzige Recht behandelt, das geschützt werden muss… nicht die Arbeit oder die Pflege und Versorgung.«9 Der Kampf ist also letztlich ein politischer, ein Kampf wider Macht und Gier, für das Recht und Gerechtigkeit zwischen Generationen und Arten. Er begann vor langer Zeit mit der Einhegung der Allmende, von Wäldern und Gewässern, und wandelte sich in die Einhegung von allem, was eingezäunt werden kann, um die gemeinsame Nutzung, das gemeinsame Wohlergehen, die gemeinsame Gerechtigkeit und eine gemeinsame Zukunft unmöglich zu machen. Letztlich geht es um den Schutz des »unveräußerlichen Rechts der Völker, sich selbst zu regieren«.10
David W. Orr, Paul Sears Emeritierter Distinguierter Professor, Oberlin College, derzeit Professor, Arizona State University. Autor von acht Büchern, darunter Earth in Mind (Island), Down to the Wire (Oxford) und Dangerous Years (Yale) sowie Mitherausgeber von Democracy Unchained (New Press).
Vandana Shiva
Wir sind das Land. Wir sind der Boden. Wir sind die Erdbewohner. Wir sind die biologische Vielfalt.
Wir sind eine Erdfamilie, die ihr gemeinsames Menschsein und ihre Identität als Erdbewohner vom Land ableitet und ihre gemeinsame Lebensgrundlage, den Atem, die Nahrung und das Wasser als Gemeinschaft und in Wechselseitigkeit teilt. Wenn wir uns um das Land und den Boden kümmern, gewinnen wir unsere Menschlichkeit zurück.
Unsere Zukunft ist untrennbar mit der Zukunft der Erde verbunden. Es ist kein Zufall, dass das Wort Mensch (human) seine Wurzeln im lateinischen humus – Erde – hat. Und Adam, der erste Mensch in den abrahamitischen Traditionen, leitet sich von adamah, hebräisch für Erde, ab. Land ist das, was Indigenität, Identität, Gemeinschaft, Heimat definiert – und unser eigenes Wesen, unser Leben, unsere Freiheit. Bhumi Sukta, das uralte Gebet an die Erde im alten Atharva Veda, erkennt an, dass die Erde die Mutter ist und wir Kinder der Erde sind.
Verleihe uns die belebenden Kräfte, die aus dem Inneren deines Körpers kommen, aus deinem Mittelpunkt, deinem Nabel, und reinige uns ganz und gar. Die Erde ist Mutter, ich bin Kind der Erde.
Bhumi Sukta, Atharva veda XII. 1.12
Für indigene Völker auf der ganzen Welt besteht Land nicht nur aus Erde, Felsen und Mineralien, sondern ist lebendig. Es erhält die Gemeinschaft und wird von den Menschen und der Kultur bewahrt. Diese wechselseitige Beziehung zwischen Land und Menschen – von Mutter Erde umsorgt zu werden und für Mutter Erde zu sorgen – ermöglichte es den indigenen Völkern, über Generationen auf demselben Land zu leben, ohne es zu zerstören. Die australischen Ureinwohner bewirtschafteten das Land über 60 Jahrhunderte lang. Auch heute noch trotz zweieinhalb Jahrhunderten Kolonialismus bestimmt diese Beziehung zum Land die Identität und Lebensweise der Aborigines. Diese tiefe Beziehung zwischen den Menschen und dem Land wird oft als »Anbindung ans Land« bezeichnet.
Dhanggal Gurruwiwi, ein Ältester der Galpu aus Nhulunbuy im Norden, erklärt: »Das Land und die Menschen sind eins, denn auch das Land ist verwandt… In unserem Verwandtschaftssystem bin ich als Bürger das Kind dieses Landes.« In indigenen Kulturen gibt uns das Land das Gesetz, wie wir auf dieser Erde mit anderen Arten zum Wohle aller leben können. Das Gesetz gibt uns das Wissen und die Verantwortung, für das Land zu sorgen, den Sinn des Daseins auf der Erde und die Zugehörigkeit zur Erdgemeinschaft.
Mary Graham schreibt über die Weltanschauung der Aborigines: »Es gibt zwei wichtige Axiome in der Weltanschauung der Aborigines (der Ureinwohner). Das eine ist, dass das Land das Gesetz ist, und das andere, dass man nicht allein auf der Welt ist.« In den Kulturen der Ureinwohner gibt es keinen Anthropozentrismus: »Und deshalb gestehen wir unseren Mitgeschöpfen, auch unseren tierischen Mitbewohnern, die gleichen Rechte auf Leben auf dieser Erde zu wie uns selbst.«
Land ist das, was Indigenität definiert: »Seit jeher haben die First Nations eine komplexe, respektvolle, spirituell und physisch abhängige, dankbare und schützende Bindung an das Land. Diese Bindung hat weniger mit Besitz zu tun als vielmehr mit der Verantwortung für das Land. Sie haben das Gefühl, dass ihnen eine Verantwortung für das Land (und das Meer) und alle Lebewesen, die das Land mit ihnen bewohnen, übertragen wurde.«
Indigene Kulturen betrachten sich selbst als Teil von Mutter Erde – nicht getrennt von ihr als Herren und Besitzer. Wir entstammen dem Land; das Land ist unsere Mutter, die uns versorgt und für die wir sorgen müssen. Das Land ist unser Zuhause, unser Ort der Zugehörigkeit. Wir gehören dem Land; das Land gehört nicht dem Einzelnen als Privateigentum. Kolonialisierung, Industrialisierung durch fossile Brennstoffe und Globalisierung haben zu einem metabolischen Riss* und einem Bruch zwischen den Menschen und der Natur, den indigenen Kulturen und dem Land, dem sie angehören, geführt.
Vor dem Kolonialismus war Land in Indien und in den indigenen Kulturen auf der ganzen Welt Gemeingut und kein Privateigentum. Wie Dharampal berichtet, hatte die Dorfgemeinschaft die Oberhoheit über das Land und seine Nutzung. Die lokale Gemeinschaft war die höchste Instanz, die über die Landnutzung entschied. Das Recht, Land zu nutzen, war dauerhaft und vererbbar, wie es der Brauch und die Praxis vorgaben. Die Briten zerstörten gewaltsam unsere vielfältigen, dezentralisierten, demokratischen, selbstverwalteten Gemeindestrukturen, die die gewohnheitsmäßige Ausübung von Land- und Nutzungsrechten regelten, und führten durch die Institutionalisierung von »Zamindari« oder Verpachtungen private Eigentumsrechte ein. Wie Sir W. W. Hunter im Imperial Gazetteer schrieb: »Die indische Regierung ist nicht bloß ein Steuereintreiber, der mit der einzigen Aufgabe betraut ist, Person und Eigentum zu schützen. Ihr Verwaltungssystem beruht auf der Auffassung, dass die britische Macht ein väterlicher Despotismus ist, dem in gewissem Sinne der gesamte Boden des Landes gehört.«
Mit einem einzigen Federstrich enteignete Lord Cornwallis 1793 durch das Permanent Settlement die Bauernschaft und band 20 Millionen Klein- und Kleinstbauern in die Knechtschaft von Zamindars, die von den Briten geschaffen wurden, um völkermörderische »Lagaan« (Steuern oder Pachten) einzutreiben. Die britische Kontrolle über das Land und die Einnahmen aus Lagaan wurden zur Quelle des Reichtums des Imperiums und der Armut und des Hungers in Indien. Im Laufe von 200 Jahren zogen die Briten durch die kolonialen Einhegungen unserer Agrarwirtschaften schätzungsweise 45 Billionen Dollar aus Indien ab, wodurch Dutzende Millionen von Bauern Hungersnöte erlebten. Die Vertreibung der Menschen von ihrem Land war ein gewaltsamer globaler Vorgang, der zur gleichen Zeit überall auf der Welt stattfand. Die Bauern in Indien waren ebenso Opfer des kolonialen Prozesses der Einhegung der Allmende zur Schaffung von Privateigentum wie die in England.
Nach dem englischen Common Law bedurfte die Einhegung einer Allmende der einhelligen Zustimmung der gesamten Gemeinschaft. Keine Behörde hatte das Recht, die Allmende zu veräußern oder einzuzäunen. Selbst ein einziges Mitglied konnte die Einhegung blockieren. Dieses Recht war grundlegend und unveräußerlich.
Zwischen 1628 und 1631 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Bauern und den Gutsherren, die versuchten, sich das Land anzueignen. Das Parlament begann mit der Verabschiedung von Gesetzen zur Einhegung der Allmende und zur Aushöhlung der individuellen Rechte und verabschiedete zwischen 1770 und 1839 3.380 Gesetze, um dieses Ziel zu erreichen. Es brauchte zwei Jahrhunderte der Gewalt, um die Allmende in England einzuhegen.
Lockes (1632–1704) Abhandlung über das Eigentum war in erster Linie eine Rechtfertigung für die Einhegung der Allmende und die Schaffung von Privateigentum auf Grundlage des »zivilisatorischen Mythos« des Kolonialismus. Demnnach seien die Ureinwohner primitiv und müssten »verbessert« werden. Hinzu kam der »Schöpfungsmythos« des Kapitalismus, die Schaffung der Illusion, dass »Kapital«, ein totes Konstrukt, eine schöpferische Kraft sei und Wohlstand schaffe. Locke nutzte die Erfindung der »Primitivität« der indigenen Landnutzung auf der Schildkröteninsel, um die Schaffung von Privateigentum durch die Aneignung ihres Landes und die Einhegung der Allmende zu rechtfertigen. So schreibt er in seiner zweiten Abhandlung: »Denn ich frage, ob in den wilden Wäldern und der unkultivierten Einöde Amerikas, die der Natur ohne jede Verbesserung, ohne Ackerbau oder Viehzucht überlassen sind, tausend Morgen den bedürftigen und unglücklichen Einwohnern so viele Annehmlichkeiten des Lebens bieten wie zehn Morgen gleichwertiges Land in Devonshire, wo sie gut kultiviert sind.«
Die indigenen Völker Amerikas haben jahrhundertelang Landwirtschaft betrieben, ohne einen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Dass sie der Natur keinen Schaden zufügten, ist keine »Primitivität«, sondern ökologische Raffinesse und Nachhaltigkeit. Als er den kolonialen Mythos von der Primitivität der indigenen Völker schuf, entwickelte Locke auch den »Schöpfungsmythos« des Kapitals, um die Einhegungen in England zu rechtfertigen.
Locke schrieb, dass Eigentum dadurch entsteht, dass man der Natur Ressourcen entnimmt und sie mit »Arbeit« vermischt. Für Locke war »Arbeit« nicht die biologische und physische Arbeit der Frauen und Bauern. Die Schaffung von Eigentum beruht auf der fiktiven »geistigen« Arbeit, die sich in der Kontrolle des Kapitals manifestiert. »Geistiges Eigentum« und Patente auf Saatgut sind die Fortsetzung dieser falschen Annahme, dass Kapital, ein totes Konstrukt, die schöpferische Kraft der Produktion sei, während die wirklichen schöpferischen Kräfte – die Natur und die Menschen – als tote und träge Inputs definiert werden.
Mutter Erde als Grundlage des Lebens verschwand als schöpferische Kraft. Die Arbeit von Frauen, indigenen Völkern und Bauern verschwand als schöpferische Quelle für die Produktion der Lebensmittel, die wir essen, und der Kleidung, die wir tragen. Lebendige Ökonomien, die auf Gemeingütern gründen, verschwanden, als Land angeeignet und der von der Erde und den Menschen geschaffene Reichtum ausgebeutet wurde.
Heute finden eine neuerliche Einhegung der Allmende und Landraub statt. Die Tech-Barone sind die neuen Grundbesitzer und Feudalherren des digitalen Zeitalters. An der Spitze des neuen Tech-Feudalismus und Kolonialismus steht Bill Gates, der sich zum größten Grundbesitzer Amerikas gemausert hat und in den USA fast 100.000 Hektar Ackerland besitzt. Gates kauft Land nicht nur als hochwertigen »Vermögenswert«, um es dem Portfolio von Cascade Investments hinzuzufügen. Es ist Teil der Diversifizierung des Portfolios. Land, digitale Landwirtschaft und Labornahrung (Impossible Foods), »pflanzliches« Fleisch, sind die neuen Investitionen. Vor allem strebt Gates die Kontrolle über Land an, um die Zukunft von Lebensmitteln und Landwirtschaft, dem wichtigsten Aspekt der Realwirtschaft, zu kontrollieren. Dies hat schon Hernry Kissinger erkannt: Lebensmittel können als Waffe eingesetzt werden; wer Lebensmittel kontrolliert, kontrolliert die Menschen. Der Landraub im digitalen Zeitalter wird als »Hilfe für Familienbetriebe« hingestellt, »die man von der teuren Last des Landbesitzes befreit und ihnen Kapital für die Betriebsausgaben zur Verfügung stellt.«
Seit der Grünen Revolution bestimmen die Konzerne, was ein »lukrativer Betrieb« für den Landwirt ist. Doch die Kleinbauern verschuldeten sich und verloren ihr Land. In extremen Fällen verloren sie dann sogar ihr Leben, weil sie Selbstmord begehen mussten. Ich sehe die Epidemie von Selbstmorden unter den Bauern in den letzten Jahren sowohl als Folge der Hoffnungslosigkeit, in einem Teufelskreis der Verschuldung gefangen zu sein, als auch als Zeichen des Verlustes und des Schmerzes, der daraus resultiert, dass sie gezwungen sind, sich von ihrem Land, von Mutter Erde, von Mati Ma/Dharati Ma zu trennen. Während Tech-Barone wie Gates uns mit neuen Konstrukten wie »Dematerialisierung« ablenken, versuchen sie wie die frühen Kolonisatoren, die reale Wirtschaft zu kontrollieren: Land, Saatgut, Landwirtschaft und Nahrung. Die Kontrolle über die Ressourcen, die das Leben erhalten, ist die Kontrolle über das Leben. Für Milliardäre ist dies ein sehr profitables Geschäft und eine gute Investition. Aber für die Bauern ist es eine neue Schuldenfalle.
Gates kontrolliert jetzt das Saatgut von 773.000 Sorten, das während der Grünen Revolution von den Bauern gesammelt wurde und in den öffentlichen Genbanken der CGIAR lagert. Er versucht, eine CGIAR zu schaffen und zu kontrollieren, in der die Stimmen der Bauern und Länder nicht zählen. Gates hat Gates Agricultural Innovations, auch bekannt als »Gates Ag One«, gegründet, um die Vorstellung von der Zukunft der Ernährung und der Landwirtschaft zu kontrollieren.
Überall auf der Welt sind die Menschen aufgewacht und haben erkannt, dass große industrielle Landwirtschaftsbetriebe und Nahrungsmittelsysteme die Gesundheit des Planeten und unsere Gesundheit zerstören und dass wir kleine Betriebe brauchen, die mehr Lebensmittel anbauen, die biologische Vielfalt und die Erde erhalten und regenerieren und mehr Menschen ernähren. Um das Lebensmittelsystem schneller von dem gewalttätigen, nicht nachhaltigen Pfad von Immer-Größer abzubringen, brauchen wir eine neue Sichtweise auf »Nachhaltigkeit«. Gates »Ag One soll armen Bauern, vor allem in Afrika und Südasien dabei helfen, die Werkzeuge, Technologien und Ressourcen zu erhalten, die sie brauchen, um sich aus der Armut zu befreien«, heißt es. »Wenn jeder Acker mehr Nahrungsmittel produzieren kann, ist das eine gute Nachricht für die Landwirte. Aber es bedeutet auch, dass wir weniger Fläche auf der Erde für Ackerland nutzen müssen, was wiederum gut für die Wälder und Ökosysteme ist.«
Das waren die Behauptungen, die gemacht wurden, als die Grüne Revolution im indischen Punjab eingeführt wurde und jetzt in Afrika durch AGRA, die Allianz für die Grüne Revolution in Afrika. Ich habe jedoch in meinem Buch The Violence of the Green Revolution (Die Gewalt der Grünen Revolution) gezeigt, dass die Bauern im Punjab in eine Schuldenfalle geraten sind. Wie Tim Wise in seinem Beitrag zeigt, hat AGRA den Hunger in Afrika verursacht.
Auch die Behauptung, die industrielle Landwirtschaft produziere mehr Lebensmittel, ist falsch. Die industrielle Landwirtschaft produziert nährstofflose Waren, keine Lebensmittel. Wie Navdanya gezeigt hat, ist der »Ertrag« nicht das richtige Maß. Was zählt, ist der Nährwert pro Hektar. Die biologische, regenerative ökologische Landwirtschaft ist der bewährte Weg, um den Nährwert pro Hektar zu erhöhen, indem Gifte beseitigt werden. Er schützt das Land durch die Regeneration des Bodens, der Artenvielfalt und des Wassers. Sie intensiviert die biologische Vielfalt und die Ernährung, nicht Chemikalien und Gifte.
Gates setzt sich über jahrhundertealte Kenntnisse und Praktiken der nachhaltigen Landwirtschaft hinweg und fördert die digitale Landwirtschaft mit Partnern des Giftkartells. In Gates Ag One werden die Mythen der Grünen Revolution fortgeschrieben, nach denen die chemisch-industrielle Landwirtschaft mehr Nahrungsmittel hervorbringe: »Die amerikanische Landwirtschaft wird heute umgestaltet, da die Landwirte neue Technologien und Big Data einsetzen, um ihre Ernten zu verwalten. Das kann zu besseren Erträgen bei geringerem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden führen. Das wiederum bedeutet weniger Auswirkungen auf die Umwelt.« In einer Weltwirtschaft, die auf dem Mythos des grenzenlosen Wachstums und der grenzenlosen Gier basiert, gibt es keine Grenzen. Es besteht ein ständiger Bedarf nach mehr Land für den Anbau von mehr Rohstoffen.
In den Amazonas wird eingedrungen, nicht um Nahrungsmittel anzubauen, sondern um GVO-Soja für Biokraftstoffe und Tierfutter anzubauen. Gates Ag One ist ein Plan, eine Handvoll Pflanzen auf sehr großen Farmen mit den Einsatz von Drohnen und Robotern, intensivem Chemikalieneinsatz und GVOs anzubauen, um »Rohstoffe« aus Kohlenhydraten und Proteinen für Labornahrung zu produzieren. Der Landraub bedeutet das Ende der Landwirte, das Ende echter Lebensmittel, die vom Land kommen und uns ernähren. Die mit Gates verbundene Cottonwood Ag ist eines der Gründungsmitglieder einer neuen Koalition von Landbesitzern, Betreibern und Umweltgruppen mit dem Namen Leading Harvest, die der Welt eine globale Monokultur nicht nachhaltiger industrieller Landwirtschaft aufzwingen will, indem sie daran arbeitet, »überprüfbare Standards für nachhaltige Landwirtschaft« zu entwickeln und eine Art Nachhaltigkeitsgütesiegel zu schaffen, das bescheinigt, dass ein bestimmter Betrieb die Umweltstandards erfüllt.
Unsere Arbeit in Navdanya hat gezeigt, dass ernährungssouveräne Landwirte, die regenerative ökologische Landwirtschaft, fairen Handel und lokale Kreislaufwirtschaft betreiben, mehr Lebensmittel ohne Chemikalien anbauen, weniger Wasser brauchen, indem sie auf dürreresistente, nährstoffreiche Lebensmittel wie Hirse und auf ökologische Landwirtschaft umsteigen und die Einkommen der Landwirte steigern können, wenn sie aufhören, teure Chemikalien zu verwenden und im unfairen, von Konzernen kontrollierten Handel eingebunden zu sein.
Landwirte brauchen Freiheit, Fairness und Gerechtigkeit. Die Landwirte von Navdanya verdienen zehnmal mehr als die Landwirte, die chemische Rohstoffe produzieren, indem sie ihre Saatgutfreiheit, ihre Nahrungsmittelfreiheit und ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit bewahren. Anstatt den von Bauern und Ökologen geforderten Weg der Saatgut-, Ernährungs- und Bodensouveränität zu unterstützen, will Gates die Landwirtschaft weiter fragmentieren, die Kontrolle weiter zentralisieren und weiter eine Scheinwissenschaft der Nachhaltigkeit fördern.
Ein industrielles, globalisiertes Lebensmittelsystem führt dazu, dass die Bauern nur ein bis fünf Prozent dessen erhalten, was der Verbraucher bezahlt. Anstatt dafür zu sorgen, dass die Landwirte faire Preise für die Lebensmittel erhalten, die sie anbauen, um uns zu ernähren, will Gates sie in neue Systeme, Kontrollen und Abhängigkeiten einbinden und sie in eine Null-Budget-Wirtschaft drängen, in der sie nichts für die Nahrung, das Essen und die Gesundheit erhalten, die sie der Gesellschaft liefern. Stattdessen, so die Gruppe Leading Harvest, »werden die Landwirte für Nachhaltigkeit bezahlt… Es wird Anreize geben für Dinge wie den Einsatz von weniger Wasser, weniger Chemikalien und die Speicherung von mehr Kohlenstoff.« Mit anderen Worten: Landwirte werden nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln bezahlt, und die Anreize werden nicht für landwirtschaftliche Systeme als Ganzes gelten, sondern für Fragmente des Systems, die mit der neuen »Netto-Null«-Klimalösung verknüpft werden können: Die Emissionen können fortgesetzt werden, wenn es dafür einen »Ausgleich« gibt. Dies ist eine globale Ernährungsund Agrardiktatur. Auflagen unter solchen Bedingungen verletzen demokratische Prinzipien und die Menschenrechte. Landwirte werden von der Sorge um die Erde geleitet. Die Kultur der Erdpflege muss respektiert und belohnt werden. An »Klimasünden« wie laufende Emissionen Auflagen zu knüpfen, ist moralisch und ethisch falsch. Sie sind das zeitgenössische Äquivalent zum »Ablass« der katholischen Bischöfe und Priester. Umweltverschmutzung verstößt gegen ökologische Prinzipien. Konditionalitäten,* die auf falscher Wissenschaft und falschen Lösungen beruhen, werden die Gewalt gegen das Land, die Erde und die Bauern beschleunigen. Aber natürlich werden sie für Gates neue Märkte, neue Einnahmen und neue Gewinne schaffen.
Gates sucht nach neuen Formen des Lagaan-Eintreibens bei den Landwirten durch eine chemieintensivere Landwirtschaft, mehr »Bija Lagaan« durch GVO und patentiertes Saatgut und neues »Daten-Lagaan« durch die Einbindung der Landwirte in die digitale Landwirtschaft. Er hat Daten als das neue Gold bezeichnet. Aber die Tech-Milliardäre bekommen das Gold und das Land. Und die Bauern verlieren ihr Land, ihre Lebensgrundlage und ihr Leben. Seine dystopische Vision ist es, durch die Kontrolle komplexer Saatgut-, Wissens-, Landwirtschafts- und Lebensmittelsysteme Vielfalt, Gesundheit und Freiheit auszulöschen. Er setzt das Monokultur-Paradigma industrieller Landwirtschaftsbetriebe gewaltsam durch, das die krankmachenden globalisierten Nahrungsmittelsysteme weiter aufrechterhält.
Auf der ganzen Welt – von Australien bis Amerika und von Indien bis Afrika – haben sich indigene Völker gegen Landraub gewehrt. Alle unsere Kämpfe um Entkolonialisierung und Autonomie waren Bewegungen zur Verteidigung von Mutter Erde und unserer Rechte, die wir durch sie haben. Die indischen Kleinbauern haben sich seit Beginn der Kolonialisierung gegen Landraub gewehrt. In den Regionen im Nordwesten Indiens wehrten sich die Bauern gegen Zamindari und behaupteten sich als unabhängige Eigentümer und Kleinbauern. Die Bauernschaft führte 1857 die erste Freiheitsbewegung Indiens gegen die Briten an und beendete die Herrschaft der East India Company. Die Krone setzte ab 1857 innerhalb von zehn Jahren zehn Millionen Menschen fest.
Bauernbewegungen unter der Führung von Sir Chotu Ram, dem Landwirtschaftsminister der Nordwestprovinzen, verteidigten ihre Landrechte durch den Land Alienation Act von 1900 in den Nordwestprovinzen. Im Jahr 1984 führten die Bauern des Punjabs den Widerstand gegen die Versklavung durch die Grüne Revolution und die Bedrohung ihres Landes und ihrer Freiheit an. Auch der Kampf der heutigen Bauern dient der Verteidigung ihres Landes. Wie sie sagen, »unser Kampf ist für den Boden und die Seele (›jameen our jameer‹) von Indien.« In den Fußstapfen Gandhis, der 1930 den Dandi-Marsch für das Salz-Satyagraha (ziviler Ungehorsam gegen die britischen Gesetze zum Salzmonopol, die es den Indern verboten, Salz herzustellen) begann, haben die Landwirte einen Mitti-Satyagraha (Boden-und-Land-Satyagraha) gegen die von Konzernen kontrollierten Lebensmittel- und Landwirtschaftssysteme und die Gesetze, die ihnen aufgezwungen werden sollen, überall dort gestartet, wo das Blut der Bauern zur Verteidigung von Land und Boden seit der Kolonialzeit bis heute vergossen wurde.
Indigene Völker Amerikas haben die Land-Zurück-Bewegung ins Leben gerufen. Die Land-Zurück-Bewegung stellt unsere Beziehung zu Mutter Erde wieder her, überwindet die koloniale Trennung, fordert die Souveränität des Landes und all seiner Wesen als lebendige Mitglieder einer Erdfamilie zurück. Sie verkörpert die Land-Souveränität durch die Rückforderung unserer Allmende und unseres Potentials, als Gemeinschaft zu leben.
Wird die Zukunft von den neuen digitalen Zamindars geprägt sein, oder werden wir zu Mutter Erde, Dharti ma, zurückkehren und uns daran erinnern, dass wir als Kinder zu ihr gehören? Werden wir ihre Anweisungen befolgen, um sie zu schützen und damit auch die Zukunft der Menschheit? Andernfalls wird unser Planet von denjenigen geprägt werden, die neue Wege finden, um die Geldmaschine zu betreiben, indem sie alte koloniale Systeme des Landraubs nutzen, während Kleinbauern ihr Land aufgrund von Schulden und Hypotheken durch kapitalintensive industrielle Methoden verlieren. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die Milliardäre der Welt haben »den Großen Reset« ausgerufen und sagen uns: »Ihr werdet nichts besitzen, und ihr werdet glücklich sein.«
Sie schließen sich nicht der Bewegung zurück zu Mutter Erde an, zu der sie gehören und die nicht ihnen gehört. Sie sagen nicht, dass sie den indigenen Gemeinschaften das Land zurückgeben, das sie ihnen weggenommen haben. Ihre Version des »Großen Reset« heißt nicht, wie die indigenen Kulturen als eine Erdfamilie zu leben, frei von Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Hierarchien.
Sie meinen nicht die Wiedereinführung der Allmende, wenn sie sagen, dass wir nichts besitzen werden. Vielmehr bedeutet es: »Wir werden alles besitzen: euer Land, eure Nahrung, euren Körper und euren Geist.« Sie meinen eine noch weitgehendere Kolonialisierung und Privatisierung, auch der Allmende des Lebens an sich, die jetzt durch invasive digitale Technologien forciert wird.
Bei Leading Harvest geht es um die nächste Stufe der Extraktivierung, um Forderungen an die Erde und die Bauern. Es geht nicht darum, für das Land zu sorgen und eine reiche Ernte zu haben und ihre Gaben als Gemeingut zu teilen. Es ist eine Agenda mit dem Ziel der endgültigen Einhegung aller Gemeingüter, der Privatisierung der letzten Ressource und aller lebensspendenden Prozesse des Planeten. Aber wir haben eine Wahl. Wir können unsere lebendige Intelligenz nutzen und nach Hause zurückkehren, zur Erde zurückkehren, zum Land zurückkehren, um gemeinsam mit dem Land schöpferisch zu sein.
Wir müssen uns wieder dem Land, dem Boden zuwenden, um unsere wahre Identität wiederzuerlangen, die ökologische Grundlage unseres Seins. Alles, woran wir uns erinnern müssen, ist das »Gesetz der Rückführung«, das heißt, dem Land mit Liebe und Dankbarkeit etwas zurückzugeben. Durch den Boden und das Land sind wir mit anderen Wesen verbunden. Wenn wir uns um das Land kümmern, kultivieren wir die Erdgemeinschaft und schaffen Hoffnung und Gerechtigkeit. Wir befriedigen alle unsere Bedürfnisse, ohne anderen ihren Anteil an den Gaben des Bodens vorzuenthalten.
Die Ausbeutungssysteme beanspruchen immer mehr Land, um den Bedarf von immer weniger Menschen zu decken. Deshalb leiden eine Milliarde Menschen an Hunger. Immer mehr Menschen sind obdachlos und auf der Flucht. Wir können unseren ökologischen Fußabdruck verringern und müssen niemanden hungern lassen. Meine Arbeit im Dienst an der Erde durch Navdanya in den letzten Jahrzehnten hat mich gelehrt, dass wir mehr für mehr Menschen produzieren, wenn wir von einer extraktiven Wirtschaft zu einer Wirtschaft der Fürsorge und des Gebens übergehen. Wenn wir dem Gesetz der Dankbarkeit gehorchen, dem Gesetz der Rückführung, – welches das Gesetz des Landes ist, – wird der Boden fruchtbarer, die Artenvielfalt nimmt zu, wir bauen mehr und gesündere Lebensmittel an und können mehr mit anderen teilen.
Das Land ist für alle da und liefert alles, was wir brauchen: unsere Nahrung, Kleidung, Unterkunft und sogar unsere Identität. Wir können unsere Bedürfnisse und die Bedürfnisse aller mit einer Kreislaufwirtschaft erfüllen, die auf Solidarität, Fürsorge und Großzügigkeit beruht. Die Schaffung lokaler, lebendiger Wirtschaftssysteme, die im Land verwurzelt sind, ist heute ein ökologisches, ethisches, gerechtes und überlebenswichtiges Gebot. Die Rückbesinnung auf das Land ist der Weg, um sich nicht in dem von Gates und anderen Philanthrokapitalisten geschaffenen Netz der Macht zu verfangen.
* Der metabolische Riss oder Riss im Stoffwechsel bezeichnet das Abreißen der wechselseitigen Beziehung von Natur und Mensch.
* Konditionalität bezeichnet im Rahmen einer Staatsschuldenkrise und in der Entwicklungszusammenarbeit die mit Kreditzusagen oder Zahlungen verbundene Erteilung von Auflagen durch Gläubigerinstitutionen oder Geberstaaten.
Vandana Shiva
Agrikultur ist die Kultur des Landes. Der Respekt und die Pflege des Bodens haben die Gesellschaften über Jahrtausende hinweg am Leben erhalten. Unterschiedliche landwirtschaftliche Systeme wurden in verschiedenen ökologischen Klimazonen und in einer Vielzahl von Biomen kultiviert, von Mooren über Küstengebiete und Wüsten bis hin zu Regenwäldern. Diese Vielfalt und Eigenständigkeit bilden die Grundlage für eine echte Freiheit der lebenden Systeme: Natur, Kultur, Saatgut, Landwirtschaft und das Wissen, welches all das umfasst. Die Natur kennt keine Monokulturen, Kulturen kennen keine Homogenität und Uniformität. Das war die Landwirtschaft, die wir geerbt haben, bevor die Industrialisierung Einzug hielt.
Indigene Gemeinschaften haben im Laufe der Zeit die ausgeklügeltsten Anbausysteme entwickelt. Die australischen Aborigines schufen »das größte Anwesen oder den größten Garten der Erde«, indem sie seit mehr als 60.000 Jahren Reis, Gerste, Wüstenrosinen, Wildtomaten, Jamswurzeln, Grünpflanzen, Küferklee, Grassamen, Nardoo (eine Farn-Art, Anm. d. Ü.), Bogong-Motten (als Proteinquelle, Anm. d. Ü.) und Bunya-Nüsse kultivieren.1
Die indigenen Völker des Amazonas waren Gärtner und Agroforstwirte, die zwischen den Bäumen Getreide anbauten. Jennifer Watling, Archäologin an der Universität von São Paulo in Brasilien, fand Beweise dafür, dass Millionen von Bewohnern des Amazonasgebietes den Boden und die biologische Vielfalt sorgfältig bewirtschafteten, um beides reichhaltiger zu hinterlassen.2 Kate Evans sagt, die Amazonaswald-Bewirtschaftung »ähnelt sehr der Agroforstwirtschaft, Bewirtschaftung des Bodens, Förderung von Palmen und wahrscheinlich auch anderen Nutzpflanzen.«3 In den Anden bauten die indigenen Völker bereits vor 5.000 bis 9.000 Jahren Erdnüsse, Baumwolle und Kürbisse an.4 Andenbauern in Peru und Bolivien züchteten mehr als 4.000 Kartoffelsorten, die zusammen mit Mais, Quinoa, Kürbis und Bohnen angebaut wurden.5 Um 1265 n. Chr. legten aztekische Bauern schwimmende Gärten auf den Seen Chalco und Xochi-Milco an, die Tenochtitlan, ihre Hauptstadt, umgaben.6
Die amerikanischen Ureinwohner begannen vor etwa 7.000 Jahren mit dem Ackerbau. In Mittelamerika züchteten sie vor 6.000 Jahren aus wildem Mais eine Vielzahl von Maissorten.7 Um das Jahr 1000 n.Chr. hatten die amerikanischen Ureinwohner eine komplexe Landwirtschaft entwickelt, die auf drei Hauptkulturen – Mais, Bohnen und Kürbis – beruhte und zur Züchtung einer Vielzahl anderer Pflanzen führte, die wiederum eine Vielfalt von Zusatzkulturen lieferten.8
Im Nahen Osten, dem Land des fruchtbaren Halbmonds, reichen die frühesten Aufzeichnungen über den Ackerbau 23.000 Jahre zurück.9 In Syrien wurde bereits vor 9.000 Jahren Getreide angebaut, und noch früher wurden Feigen kultiviert. Prähistorische kernlose Früchte, die im Jordantal entdeckt wurden, deuten darauf hin, dass Feigenbäume bereits vor etwa 11.300 Jahren angepflanzt wurden.10
In Asien entwickelten sich die landwirtschaftlichen Systeme vor 40.000 Jahren.11 Die Ursprünge des Reis- und Hirseanbaus gehen auf etwa 6.000 v.Chr. zurück. Im Laufe der Zeit verwandelten indische Bauern ein wildes Gras, Oryza sativa, in 200.000 Reissorten12 und entwickelten eine große Vielfalt von Kulturpflanzen mit mehr als 30.000 Sorten und mehr als 10.000 angebauten Arten.13
Wie Sir Albert Howard in seinem Buch Landwirtschaftliches Testament feststellte: »Was heute auf den kleinen Feldern in Indien und China stattfindet, geschah vor vielen Jahrhunderten. Die landwirtschaftlichen Praktiken des Orients haben den größten Test bestanden – sie sind fast so beständig wie der Urwald, die Prärie oder der Ozean.«14
Ein Jahrhundert chemieintensiver industrieller Landwirtschaft hat das Klimasystem unseres Planeten zerrüttet, Millionen von Arten zum Aussterben gebracht, den Boden veröden lassen und die Wassersysteme zerstört.
Vor hundert Jahren wurden die von der IG Farben – die wir heute als »Giftkartell« kennen – hergestellten Chemikalien, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg und in den Konzentrationslagern während des Holocausts eingesetzt wurden, als Agrarchemikalien in die Landwirtschaft verkauft.15
Diese Chemikalien fanden in den 1960er-Jahren beste Voraussetzungen, als der Dritten Welt von der Weltbank, der US-Regierung, der Ford Foundation und der Rockefeller Foundation die Grüne Revolution aufgezwungen wurde. Riesige Flächen mit Monokulturen vernichteten die evolutionäre Vielfalt und die über Jahrtausende entwickelte Innovation.16
Das von den Bauern über Jahrtausende hinweg entwickelte und gezüchtete Saatgut wurde in neu gegründeten Institutionen wie dem Internationalen Reisforschungsinstitut (IRRI) auf den Philippinen und dem Internationalen Zentrum für die Verbesserung von Mais und Weizen (CIMMYT) in Mexiko gesammelt und gelagert. Diese Institutionen sind zur Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) herangereift, die Bill Gates nun als »One CGIAR« übernommen hat. One CGIAR soll in sein neuestes Projekt »Gates Ag One« oder »One Agriculture« eingegliedert werden, das darauf abzielt, das Saatgut der Welt zu kontrollieren. Jeder Versuch, diese Übernahme des Saatguts der Bauern zu verhindern und ihr Erbe zu bewahren, wurde gnadenlos vereitelt, wie im Fall des bedeutenden indischen Wissenschaftlers Dr. R. H. Richharia.17
So haben wir heute riesige Monokulturen von auf Chemie eingestellten Saatgutsorten der Grünen Revolution zusammen mit den damit verbundenen Auflagen, also Krediten und Subventionen. In den 1990er-Jahren hat das Giftkartell nach der Einführung von Chemikalien in der Landwirtschaft schnell die Gentechnik als Mechanismus zur Patentierung von Saatgut eingeführt. Es modifizierte und patentierte das Saatgut der Bauern, das in der CGIAR und anderen Genbanken verwahrt wird, indem sie einfach das giftige Bt-Gen oder das Roundup-Ready-Gen einfügten.18
In Die Bill & Melinda Gates Foundation und die Allianz mit dem Internationalen Reisforschungsinstitut beschreibt Chito Medina, ein führender Vertreter des Kampfes der Bauern für Saatgut-, Nahrungsmittel- und Wissenssouveränität auf den Philippinen, wie diese Bewegungen die Schließung von CGIAR-Institutionen wie dem IRRI fordern.
Monokulturen von gentechnisch verändertem Mais, Soja, Baumwolle und Raps haben sich auf Millionen von Hektar ausgebreitet. Die Monokulturen haben sich zusammen mit dem Einsatz von giftigen Chemikalien intensiviert. Die Landwirtschaft wurde von der Ernährung abgekoppelt, und Nutzpflanzen wurden zu bloßen Rohstoffen, die hauptsächlich als Biokraftstoffe und Tierfutter verwendet werden. Infolgedessen sind die Bewegungen für Saatgut- und Nahrungsmittelfreiheit, die sich gegen die globalisierte industrielle Landwirtschaft wenden, stärker geworden.19
Protestmärsche der Zivilgesellschaft, Volksversammlungen und das Tribunal gegen Monsanto20 machten die unzähligen toxischen Auswirkungen und die Verstöße gegen Auflagen des multinationalen Unternehmens weithin bekannt. Monsantos langjähriger Partner MoBay und der Pharmariese Bayer kauften den Konzern schließlich auf, um ihn aus dem Schussfeld der Öffentlichkeit zu nehmen.21 Erfahrung und Forschung haben gezeigt, dass Agrarökologie auf der Grundlage von Biodiversität, Saatgutfreiheit und Nahrungsmittelfreiheit für die Zukunft der Ernährung und der Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist.22 Der bahnbrechende Bericht der Vereinten Nationen über die internationale Bewertung des landwirtschaftlichen Wissens, der Wissenschaft und der Technologie für die Entwicklung (IAASTD) hat gezeigt, dass weder die Grüne Revolution noch GVO die Welt ernähren und dabei den Planeten bewahren können.23