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Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Dr. Johannes Cornelius nahm seine Frau Anne in den Arm. »So, mein Liebes, in dieser Saison wirst du entlastet«, sagte er zufrieden. »Frau Hansen hat eben angerufen. Sie kann morgen anfangen.« »Das geht aber schnell«, sagte Anne Cornelius nachdenklich. »Meinst du nicht, daß wir uns etwas überstürzt entschieden haben?« Sie hatte sich eigentlich gar nicht entscheiden können, als der Plan gefaßt wurde, eine Sekretärin einzustellen. Doch alle waren dafür gewesen, daß sie entlastet werden mußte. Die Insel der Hoffnung erfreute sich großer Beliebtheit. Die Anfragen von Kranken, von psychisch und physisch Erschöpften waren kaum zu bewältigen. Nichts fiel Anne Cornelius schwerer als Absagen zu schreiben, da manche Briefe doch einem Hilferuf gleichzusetzen waren. Aber leider waren die Räumlichkeiten begrenzt, und die Insel war nicht so groß, daß man noch mehr bauen konnte. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß man auf der Insel der Hoffnung nicht nur Genesung suchen, sondern auch finden konnte. Propaganda brauchten sie schon lange nicht mehr zu machen. Auf diesem himmlischen Stückchen Eiland ruhte der Segen Gottes. Das dachten Johannes und Anne Cornelius oft. Es waren auch eine beträchtliche Anzahl von Bewerbungen eingegangen, als Isabel die Annonce hatte einrücken lassen.
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Seitenzahl: 149
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Dr. Johannes Cornelius nahm seine Frau Anne in den Arm.
»So, mein Liebes, in dieser Saison wirst du entlastet«, sagte er zufrieden. »Frau Hansen hat eben angerufen. Sie kann morgen anfangen.«
»Das geht aber schnell«, sagte Anne Cornelius nachdenklich. »Meinst du nicht, daß wir uns etwas überstürzt entschieden haben?«
Sie hatte sich eigentlich gar nicht entscheiden können, als der Plan gefaßt wurde, eine Sekretärin einzustellen. Doch alle waren dafür gewesen, daß sie entlastet werden mußte.
Die Insel der Hoffnung erfreute sich großer Beliebtheit. Die Anfragen von Kranken, von psychisch und physisch Erschöpften waren kaum zu bewältigen. Nichts fiel Anne Cornelius schwerer als Absagen zu schreiben, da manche Briefe doch einem Hilferuf gleichzusetzen waren. Aber leider waren die Räumlichkeiten begrenzt, und die Insel war nicht so groß, daß man noch mehr bauen konnte.
Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß man auf der Insel der Hoffnung nicht nur Genesung suchen, sondern auch finden konnte. Propaganda brauchten sie schon lange nicht mehr zu machen.
Auf diesem himmlischen Stückchen Eiland ruhte der Segen Gottes. Das dachten Johannes und Anne Cornelius oft.
Es waren auch eine beträchtliche Anzahl von Bewerbungen eingegangen, als Isabel die Annonce hatte einrücken lassen. Und sie war es auch gewesen, die sich für Viktoria Hansen entschieden hatte. Es war die kürzeste Bewerbung gewesen, die eingetroffen war, und Isabel Schoeller, die nunmehr Annes Freundin geworden war, war nur ihrem Instinkt gefolgt, als sie diese herausgriff.
Irgendwie schien es in diesem Schreiben hindurchzuklingen, daß die Bewerberin von vornherein keine Hoffnung hatte, genommen zu werden. Nach Isabels Ansicht mußte sie wohl ein Mensch sein, der selbst dringend Hilfe nötig hatte.
Davon aber sagte sie nichts. Anne war ohnehin skeptisch, daß jemand die Voraussetzungen mitbringen konnte, die für diese Tätigkeit notwendig waren, denn auf der Insel der Hoffnung wurde die Korrespondenz nicht in kühlsachlichem Ton abgewickelt, sondern man war immer darauf bedacht, Anfragen im persönlichen Ton zu beantworten und Absagen, die wegen Platzmangels unumgänglich wurden, besonders diplomatisch abzufassen.
»Hoffentlich ist es kein Reinfall«, sagte Anne seufzend.
»Verlassen wir uns auf Isabels Intuition«, meinte Dr. Cornelius. »Morgen wissen wir mehr.«
*
Am nächsten Mittag kam Viktoria Hansen, mit dem gleichen Bus, der auch Mario, den Adoptivsohn von Dr. Cornelius, aus der Kreisstadt, wo er die Schule besuchte, heimbrachte.
Mario hatte die fremde Dame schon eingehend während der Fahrt gemustert und war doch ein bißchen erstaunt, als sie mit ihm ausstieg. Patienten, die nicht mit dem eigenen Auto kamen, wurden immer von der Bahnstation abgeholt.
Viktoria Hansen, mehr als mittelgroß, sehr schlank, hochbeinig, mit schmalem blassem Gesicht, das von honigblondem Haar umrahmt wurde, betrachtete den bildhübschen kleinen Jungen, der sie nun erwartungsvoll anblickte, forschend. Ihre großen, weit auseinanderstehenden graublauen Augen hatten einen melancholischen Schimmer.
»Sie möchten zur Insel?« fragte Mario.
Viktoria Hansen nickte zustimmend. Sie mußte unwillkürlich lächeln, als Mario fragte: »Hat man denn vergessen, Sie vom Zug abzuholen? Das passiert doch sonst nicht. Unsere Gäste sollen es bequem haben, und jetzt müssen wir noch ein Stück laufen.«
»Das macht mir nichts aus?« erwiderte Viktoria.
»Aber Sie haben einen Koffer und eine Tasche«, sagte Mario. »Darf ich den Koffer tragen?«
»Ich glaube, daß du dafür doch noch ein bißchen zu klein bist«, erwiderte Viktoria. »Es macht mir wirklich nichts aus. Ich bin auch kein Gast. Ich bin die neue Sekretärin.«
Mario hielt erst mal die Luft an. Er hatte schon ein sehr gutes Unterscheidungsvermögen. Das war eine Dame. Eine Dame wie Mami, Isabel und Fee.
»Dann wenigstens die Tasche«, sagte er. »Ich habe viel Kraft. Ich bin Mario Cornelius.«
Er sagte es voller Stolz, und längst schon hatte er vergessen, daß er mal einen anderen Nachnamen gehabt hatte.
»Ich heiße Viktoria Hansen.«
Sie überließ ihm die Tasche, die nicht allzu schwer war, und sehr weit hatten sie es auch nicht. Die Straße, die die Insel der Hoffnung mit dem Festland verband, war sehr gepflegt. Und die Luft war herrlich. Viktorias Lungen weiteten sich. Mit jedem Schritt fühlte sie sich freier, entfernte sie sich mehr von dem, was so erdrückend hinter ihr lag. Sie war dankbar, daß die Entscheidung zu ihren Gunsten ausgefallen war, von Herzen dankbar.
»Für Mami wird es gut sein, wenn sie eine tüchtige Hilfe bekommt«, sagte Mario. »Sie hat manchmal bis spät abends am Schreibtisch gesessen, und das war uns gar nicht recht. Aber wir haben so viel Anfragen und leider gar nicht viel Platz. Und man kann die Leute nicht vor den Kopf stoßen, die doch so gerne herkommen möchten. Hier ist es wunderschön. Finden Sie das auch?«
»Ja, es ist wunderschön«, antwortete Viktoria.
»Hier muß man gesund werden, gesund an Leib und Seele«, erklärte Mario eifrig.
»Das hast du schön gesagt.« Sie blickte zu ihm herab. Ein goldiges Kerlchen war das. Viktoria mochte Kinder.
»Wie alt bist du?« fragte sie.
»Bald sieben Jahre.«
»Und du gehst zur Schule?«
Er nickte. »Jeden Tag.«
»Bis in die Stadt mußt du da«, meinte sie gedankenvoll.
»Mit dem Bus ist das doch nicht schlimm.«
»Du hast keine Angst?«
»Aber warum denn? Mich kennt doch jeder, und mit Fremden geh ich nicht mit. Ich weiß genau, was es für Gefahren gibt. Mami und Papi reden mit mir darüber.«
Seine Eltern hätte sich Viktoria nun aber doch ein bißchen anders vorgestellt. Zwar sahen Dr. Johannes Cornelius und seine Frau Anne noch sehr gut aus, aber sie waren wohl eher im Alter von Großeltern. Viktoria wußte ja nicht, daß Mario ein Adoptivkind war und welches gütige Geschick ihm diese Eltern schenkte, die er über alles liebte.
Seine Eltern waren bei einem Bootsunglück ertrunken, er war von Daniel Norden gerettet worden. Hier auf der Insel der Hoffnung hatte er eine neue Heimat gefunden und Eltern, die den kleinen Sohn eines italienischen Gastarbeiterehepaares vorurteilslos liebten.
Für sie bedeutete er ebensoviel Glück wie sie für ihn. Mario war ein aufgeweckter Junge und so hübsch, daß er alle Herzen im Sturm eroberte, auch das Viktorias.
Ihr wurden diese ersten Schritte zur Insel leichter, weil das Kind neben ihr war. Viktoria wurde von Dr. Cornelius und seiner Frau freundlich empfangen. Man entschuldigte sich, daß sie nicht abgeholt worden war, damit, daß man sie erst mit dem Abendzug erwartet hätte. Man dachte dasselbe, was auch Mario gedacht hatte: Viktoria war eine Dame.
Ihre Kleidung war dezent und sehr geschmackvoll, nicht besonders modisch, aber bestimmt war sie nicht billig gewesen. Der Ring, den sie an ihrer linken Hand trug, war nicht protzig aber kostbar.
Als Isabel zür Begrüßung nahte, herrschte plötzlich eine knisternde Spannung. Isabel war sichtlich irritiert.
Viktoria entging das. Für sie waren alle ja noch fremd, doch Dr. Cornelius und Anne kannten Isabel genau. Ihnen war nicht entgangen, daß sie den Atem anhielt. Aber das war in Sekundenschnelle vorbei.
Isabel hielt sich nicht lange auf. Sie wollte mit ihrem Mann zu Mittag essen. Und auch auf die Familie Cornelius und die neue Sekretärin wartete bereits ein gedeckter Tisch.
*
»Was fehlt dir, Liebes?« fragte Dr. Jürgen Schoeller. »Du ißt ja gar nicht.«
»Ich denke nach«, erwiderte Isabel. »Dieses Gesicht habe ich schon gesehen.«
»Welches Gesicht?« fragte er konsterniert.
»Viktoria«, sagte sie leise vor sich hin. »Viktoria Hansen? – Nein, das war ein anderer Name.«
»Von wem sprichst du?«
»Die neue Sekretärin. Du weißt doch. Sie ist eben angekommen.«
»Jetzt schon? Ich dachte erst abends. Sollte ich sie nicht abholen?«
»Sie ist bereits da, ist mit dem Bus gekommen«, erklärte Isabel.
»Und jetzt gefällt sie dir nicht? Anne war ja ohnehin skeptisch.«
»Sie gefällt mir sehr.« Sie versank wieder in Schweigen. »Guter Gott«, rief sie dann aus, von ihrem Stuhl emporschnellend. »Viktoria Thorn!«
»Ich verstehe nichts, mein Schatz. Das mußt du mir schon erklären.«
»Du mußt es aber für dich behalten, Jürgen. Ich will nicht, daß Anne mißtrauisch wird«
»Besteht dazu ein Anlaß?«
»Man ist nicht frei von Vorurteilen. Anne liegt das Wohl der Insel am Herzen. Sie rackert sich dafür ab. Sie soll Viktoria unvoreingenommen kennenlernen.«
Isabel war eine bekannte Journalistin gewesen, bevor sie Dr. Jürgen Schoeller heiratete. Man hatte ihr nachgesagt, daß sie Gott und die Welt kenne und ein Gedächtnis hätte wie kaum jemand sonst.
»Hat sie was ausgefressen?« fragte Jürgen.
»Nein, das war eine rätselhafte Geschichte. Sie liegt Jahre zurück. Ich muß mich auch erinnern.«
»Dein Gedächtnis wird doch nicht nachlassen«, sagte er neckend.
»Alles kann ich auch nicht aus dem Ärmel schütteln. Aber vor allem möchte ich nicht, daß du auch skeptisch bist.«
»Ich verlasse mich immer auf dein Urteil, Liebes, das weißt du.«
»Urteil«, wiederholte Isabel. »Ja, das Urteil. Wegen Mangels an Beweisen. Viktoria und Stefan Thorn wurden wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.«
Dr. Jürgen Schoeller runzelte die Stirn. »Das gefällt mir nicht, Isabel.«
»Sie hatte mit dem Verschwinden ihres Mannes
nichts zu tun«, sagte Isabel. »Hans-Joachim Thorn verschwand spurlos, nachdem er geschäftliche Schwierigkeiten hatte.«
»Und wer ist Stefan Thorn?« fragte Jürgen.
»Sein Cousin. Man wollte Viktoria eine Affäre mit ihm anhängen. Ich werde mir die Unterlagen aus dem Archiv besorgen, wenn ich morgen nach München fahre.«
Er sah sie befremdet an. »Du wolltest doch erst übermorgen fahren«, sagte er.
»Nun fahre ich schon morgen. Ist doch gleich. Ich muß mich noch mal mit dieser Geschichte befassen, Jürgen.«
»Und unser Herzipoppel läßt du einfach in Stich?« fragte Jürgen.
Das Herzipoppel war ihr kleiner Sohn, aber Isabel war der Meinung, daß er auch bei Anne gut aufgehoben sei, wenn sie mal einen Tag nicht da wäre. Isabel war eine glückliche und liebevolle Mutter, aber sie wollte auch als solche ihrem Mann gefallen, und ab und zu brauchte sie eben mal ein paar neue Kleider.
Ihre Ansprüche hatte sie ohnehin schon weitgehend zurückgeschraubt, denn als blendend verdienende Journalistin hatte sie nur Modellkleider getragen. Davon war sie abgekommen und begriff auch gar nicht mehr, daß sie früher so viel Geld dafür ausgegeben hatte.
Nun aber sah sie zum zweiten Mal Mutterfreuden entgegen. Es mußte zügig gehen, das war ihre Meinung, denn immerhin war sie schon dreißig Jahre alt gewesen, als sie heiratete, und bei einem Kind sollte es nicht bleiben.
Die schicke, vielbewunderte Isabel hatte jetzt ganz andere Ideale als früher. Und nirgendwo wollte sie lieber leben als auf der Insel der Hoffnung, mit ihrem Mann und mit einer möglichst großen Familie.
Jürgen jedoch war besorgt um seine Frau. »Mutest du dir auch nicht zuviel zu, Liebes?« fragte er.
»Jetzt macht es mir doch noch nichts aus«, erwiderte sie. »Es ist doch erst der zweite Monat, und Jolly vermißt mich nicht, wenn er bei Anne ist.«
Wenn es nicht das Herzipoppel war, dann wurde der Kleine mit den vielen Vornamen Jolly gerufen. Er war ein rücksichtsvolles Kind. Mittags schlief er immer, bewacht von dem jungen Bernhardiner Pinky, der sich daran gewöhnt hatte, immer in gemessener Entfernung von dem kleinen Jolly zu bleiben.
Pinkys Bruder Barry war Marios Eigentum. Bora, die Bernhardinerhündin, die auf der Insel sieben Junge geworfen hatte, war zu aller Kummer gestorben. Aber ihre Hündchen hatten alle ein gutes Zuhause gefunden, was Mario sehr wichtig gewesen war.
Für Mario zählte an diesem Tage, daß Barry sich sogleich zu Viktorias Füßen niederließ. Ihm war das Beweis genug, daß sie in Ordnung war. Aber er selbst hatte das ja auch schon empfunden.
Nur Dr. Schoeller war jetzt skeptisch, da Isabel diese Andeutungen gemacht hatte.
»Hoffentlich gibt es keine Schwierigkeiten, Liebes«, sagte er nachdenklich. »Du weißt, wie Anne denkt. Auf der Insel darf keine Unruhe entstehen.«
»Hier kann doch gar keine entstehen«, erwiderte Isabel. »Hier klärt sich alles ganz von selbst.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Jürgen.
Viktoria arbeitete sich schon am Nachmittag ein. Es schien ihr gar keine Schwierigkeiten zu bereiten. Im Maschinenschreiben war sie perfekt. Von Mario hatte sie Hinweise bekommen, die sie beherzigte.
Anne war doch recht verblüfft, als Viktoria ihren ersten Ablehnungsbrief so diplomatisch verfaßte, bevor sie ihr noch Hinweise gegeben hatte.
So war es gar kein Problem, daß Anne sich anderntags dem kleinen Jolly widmen konnte. Sie war recht froh, daß Isabel nach München fuhr, denn sie hatte allerlei Wünsche, und sie kaufte nicht so gern ein wie Isabel.
»Hoffentlich kannst du eine Stunde abknapsen, um bei Fee vorbeizuschauen«, sagte Anne, als Isabel die lange Liste abholte.
»Das werde ich auf jeden Fall. Es wäre ja noch schöner, wenn ich München wieder verlasse, ohne ihnen wenigstens eine Stippvisite gemacht zu haben. Aber paß auf, daß Jürgen sich nicht aufregt, wenn ich ein bißchen später zurückkomme.«
Isabel kannte die Strecke ganz genau. Sie wußte, wann sie losfahren mußte, um nicht in den größten Verkehr hineinzukommen. Einmal im Monat fuhr sie nach München, mindestens einmal. Wenn dann auch Jürgen mal wegkonnte, verbrachten sie auch ein Wochenende bei ihren Freunden Daniel und Fee Norden.
Seltsam genug hatte diese Freundschaft begonnen, denn früher einmal schien es, als müsse Fee auf Isabel und Daniel auf Jürgen eifersüchtig sein, und es hatte ziemlich lange gedauert, bis sich die Lage klärte. Nun hegte schon lange niemand mehr den geringsten Zweifel, wer füreinander bestimmt war.
Viktoria saß schon an ihrem Schreibtisch, als Isabel losfuhr. Anne hatte indessen schon Fee angerufen, um ihr zu sagen, daß Isabel schon heute kommen würde, nur viel Zeit hätte sie wohl nicht. Fee freute sich dennoch.
Danny dagegen war betrübt. »Kommt Omi nicht mit?« hatte er gefragt, und als Fee das verneint hatte, schmollte er.
»Wir besuchen sie ja bald«, tröstete Fee.
Dr. Norden hatte indessen Hochbetrieb in seiner Praxis. Viele Patienten kamen mit Magenverstimmung, für die es keine richtige Erklärung gab. Mit den Medikamenten war er in solchen Fällen auch vorsichtig, da in letzter Zeit mehrmals vor bestimmten Präparaten gewarnt worden war.
Dann kamen auch drei Patientinnen, die Schwierigkeiten mit der Antibabypille hatten und sich Sorgen machten. Er wollte sie zu seinem Freund, dem Gynäkologen Dr. Leitner überweisen, aber wie so oft machte er die Erfahrung, daß sie von keinem anderen Arzt behandelt werden wollten.
Dr. Norden nahm sich vor, einmal mit Schorsch Leitner über seine Erfahrungen zu sprechen. Er gehörte nicht zu den Unbelehrbaren. Er handelte und behandelte nach bestem Wissen und Gewissen, aber nun, da doch schon manche Jahre vergangen waren, seit die Antibabypillen immer häufiger benutzt wurden, stellten sich auch manche Unverträglichkeiten heraus. Ein Frauenarzt konnte das bedeutend besser kontrollieren als ein Arzt für Allgemeinmedizin, wie er einer war. Und da er in solchen Fällen nichts gern auf die lange Bank schob, rief er Dr. Leitner an und fragte ihn, wann er mal eine halbe Stunde Zeit für ihn hätte.
Zwischen zwölf und halb ein Uhr, wurde ihm erwidert.
Daniel Norden sagte Fee Bescheid, daß er erst gegen halb ein Uhr, eher etwas später, zum Essen kommen würde.
»Isabel ist in der Stadt, schade, wenn du sie nicht treffen würdest«, meinte Fee.
»Ich könnte es überleben«, sagte er scherzend. »Ich muß unbedingt mit Schorsch sprechen.«
»Ein schwerer Fall?« erkundigte sich Fee besorgt.
»Rein informativ wegen der Pille«, erwiderte er. »Wir können noch darüber reden.«
Bei ihnen wurden Kinder nicht geplant. Sie wurden genommen wie sie kamen, wenigstens vorerst, da sie erst zwei hatten, Fee aber mindestens vier haben wollte. Wenn anderen schon Besitzstreben wichtiger war, warum sollten sie sich danach richten? Sie liebten ihre Kinder und wollten sich nicht nur skeptischen Gedanken hingeben, in was für eine Zeit sie hineinwachsen könnten. Jede Zeit hatte ihre Freuden und ihre Leiden, und auch Daniel stand auf dem Standpunkt, daß man der Natur nicht allzuviel ins Gehege kommen solle. Das könnte sich einmal bitter rächen, auch an der Gesundheit jener Frauen, die ganz auf Kinder verzichten wollten, obgleich ihr Körper die Bereitschaft zeigte, welche zu gebären.
Es gab überall ein Für und Wider. Auch für jene, die um jeden Preis ein Kind haben wollten. Dr. Norden beschäftigte sich viel mit dergleichen Problemen.
Er bestellte die drei Patientinnen für den Anfang der kommenden Woche nochmals wieder, ihnen offen zugebend, daß er sich erst neue Informationen beschaffen wollte.
Zwei verließen gemeinsam die Praxis und schwärmten von ihm.
Wo fände man denn schon einen Arzt, der auch zugäbe, daß er nicht allwissend sei, meinten sie übereinstimmend. Und bei ihm sei man eben am besten aufgehoben, weil er sich solche Mühe gäbe.
Das meinte Loni, Dr. Nordens Sprechstundenhilfe, auch. Er nahm sich Zeit für seine Patienten. Er fertigte sie nicht zwischen Tür und Angel ab, und selbst heute, da er doch die Verabredung mit Dr. Leitner hatte, der mit seiner Zeit auch geizen mußte, war das nicht der Fall.
Mit zehn Minuten Verspätung kam Dr. Norden in der privaten Frauenklinik an. Aber ganz pünktlich war auch Dr. Leitner nicht fertig geworden.
»Wo drückt denn der Schuh, Daniel?« fragte er.
»Welche Erfahrungen machst du mit der Pille?« fragte Daniel gezielt.
»Ich persönlich brauche sie ja nicht«, scherzte Schorsch, »und Claudia auch nicht. Wir sind froh, wenn wir ein Baby bekommen. Aber Scherz beiseite. Du willst wissen, welche Erfahrungen ich in der Praxis gesammelt habe. Nun, die unterschiedlichsten, muß ich zugeben. Manchen Frauen bekommt sie glänzend, anderen weniger, manchen gar nicht. Es hängt viel von der psychischen Verfassung ab. Manche schlagen sich mit Konflikten herum, daß sie möglicherweise keine Kinder mehr bekommen könnten, wenn sie sich dann welche wünschen. Und tatsächlich scheint das in manchen Fällen zur Unfruchtbarkeit zu führen.«
»Du meinst also, daß dabei die Psyche die Hauptrolle spielt?«
»Zumindest in den meisten Fällen, aber diese Meinung hast du doch auch schon vertreten, Daniel.«
»Gewiß, doch auch ich mache die unterschiedlichsten Erfahrungen und weiß manchmal nicht, welche Pille ich verschreiben soll. Bei einer Patientin treten Depressionen auf, seit sie die Pille nimmt, bei einer anderen, seit sie sie abgesetzt hat. Bei der dritten stellt sich ein übermäßiger Vitaminmangel ein. Bestätigst du meine Ansicht, daß da eine Veränderung im Stoffwechsel zu vermerken ist?«