Eine Handvoll Heldinnen - Hera Lind - E-Book + Hörbuch
SONDERANGEBOT

Eine Handvoll Heldinnen E-Book

Hera Lind

3,8
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Augen zu und dem Herzen folgen

Katja lebt nur für Mann, Tochter, Hund und Haushalt, und einen Job wuppt sie auch noch nebenbei. Alle halten das für selbstverständlich, und keiner dankt es ihr. Erst die originelle Nachtklubbesitzerin Erna zeigt ihr, dass man für Dienstleistungen jeder Art auch Anerkennung erwarten kann. Und so ist Erna eine von fünf Heldinnen, durch die sich Katjas Leben plötzlich ändert …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 459

Veröffentlichungsjahr: 2015

Bewertungen
3,8 (36 Bewertungen)
13
10
7
6
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über den Roman

Ausgerechnet eine übergewichtige Nachtclubbesitzerin öffnet Katja Richter an ihrem zwanzigsten Hochzeitstag die Augen: Göttergatte Albert hat außer einem Riesenego null zu bieten. Trotzdem hält Katja für ihre Tochter Juli ein intaktes Elternhaus aufrecht, doch die beschert ihr kurz vorm Abi ein Enkelkind. Und zwar von ihrem blinden Freund Jonas. Nach dieser Nachricht kann Katja schlecht weiter Alberts Hemden bügeln. Zum Glück hält das Schicksal eine Handvoll Heldinnen bereit, die sie bei einer mutigen Entscheidung unterstützen. Und wieder einmal beweist sich, dass Frauenfreundschaften mehr wiegen als jeder Macho dieser Welt.

Über die Autorin

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit ihren zahlreichen Romanen von Die Champagner-Diät und Verwechseljahre bis Verwandt in alle Ewigkeit sensationellen Erfolg hatte. Auch mit ihren Tatsachenromanen Der Mann, der wirklich liebte, Drachenkinder und Tausendundein Tag eroberte sie die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrer Familie in Salzburg.

HERA

LIND

Eine Handvoll

Heldinnen

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2015 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München

Autorenfoto | © Regina Hügli

Covergestaltung: t.mutzenbach design, München

Covermotiv: Shutterstock.com (Fears, Qilli, Godsend, Elena.Efremova, LivDeco, Dinni91)

Satz | Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-15037-2 V003

www.diana-verlag.de

Für Petra

1

»Nebenan, is det besetzt oder wat?« Die Sonne verfinsterte sich. Ich schreckte hoch.

»Ähm … Also, im Moment nicht.«

»Denn kann ick mir also den Liegestuhl nehmen?« Ein Flusspferd im grün gemusterten Badeanzug nahm mir die Sicht. Die massige Gestalt mit der rauchigen Stimme flößte mir Angst ein.

»Ja, bitte. Weggegangen, Platz vergangen.« Hastig räumte ich Alberts Klamotten von der Liege und ließ sie unter meinem Liegestuhl verschwinden. War ja nicht so appetitlich, was mein Göttergatte da hinterlassen hatte: seine ausgebeulte Dreiviertelhose, ein grelles Hawaiihemd, Socken, Sandalen, Schnorchel, Flossen … und eine nasse Badehose.

Das Flusspferd schnaufte. Es schien von den Fluten des Ozeans direkt neben mir angespült worden zu sein. Und es sprach berlinerisch. Ich beobachtete das Einparkmanöver: Es ließ sich rückwärts in den Liegestuhl plumpsen, der daraufhin gefährlich ächzte und bis zum Fußboden durchhing.

Doch die dicke Frau hatte es geschafft. Ihr Bauch wölbte sich wie ein Medizinball, ihre vergleichsweise dünnen Beine waren braun gebrannt, und ihre fleischigen Zehen steckten in rosa Strandlatschen. Sie entledigte sich ihrer quietschbunten Strandtasche, steckte sich eine Zigarette an und gab mir die Hand:

»Tach. Anjenehm. Ick bin die Frau Doktor.«

Wie jetzt? Frau Doktor? So sah die aber echt nicht aus.

»Wat kieken Se so? Det is mein Name! Erna Doktor! Musst ich noch nicht mal ’ne Doktorarbeit für schreiben!« Ihr raues Lachen ging in Husten über.

Ich musste grinsen. Humor hatte sie. Und was blieb mir auch anderes übrig, als beherzt ihre fette Pranke zu schütteln? Obwohl ich eigentlich nur meine Ruhe haben wollte.

Denn immer, wenn Albert im Fitnessstudio seine Muskeln stählte, genoss ich die freie Stunde wie eine Mutter, die ihr schwer erziehbares Kind für eine Stunde im Hort unterbringen kann. Ich fühlte mich herrlich frei. Zumal ich gerade in einen Roman vertieft war, mit dem ich lieber allein sein wollte. Er handelte von einer jungen, gut aussehenden, ledigen Amerikanerin, die sich gern von einem jungen, gut aussehenden, ledigen Multimillionär verhauen lässt. Warum ich dabei rote Ohren bekam, war mir schleierhaft. Ich verdeckte schnell den Einband und tat so, als läse ich das Alte Testament in griechischer, hebräischer oder lateinischer Sprache.

»Angenehm«, behauptete ich und schob die Geschichte von der ausgepeitschten Amerikanerin unter mein Handtuch. »Und ich bin Katja Richter.«

»Denn sind wa ja beede zwee kluge Weibsbilder«, stellte das Flusspferd fest.

»Wie?«

»Na, Doktor und Richter. Da müssen andere lange für studieren.«

»Stimmt.« Mir entfuhr ein verdutztes Lachen. »Das klingt allemal vornehmer als die vielen Handwerkernamen: Schneider, Müller, Meier …«

»… Bäcker, Bauer, Koch, Schmied und wie sie alle heißen«, fuhr Frau Doktor fort.

»Schulz, Breuer, Fischer …«

»… Köhler, Metzger, Fleischhauer!«

»Gärtner, Schuster, Kaufmann!«

Wir hauten uns die Namen nur so um die Ohren wie bei einem Tischtennismatch. Die Unterhaltung begann mir richtig Spaß zu machen.

»Aber keen Mensch heißt ›Financial Analyst‹ oder ›Assistant Manager‹«, berlinerte das pfiffige Flusspferd neben mir.

»Oder ›Beauty Stylist‹«, fing ich den Ball auf.

»Nee, wa? ›Nagel-Else‹ schon eher. Oder Hure«, sagte Erna unverblümt. »Juten Tach, ick heeße Hans Heinrich Hure.«

Ich musste lachen. »Kommt ein Mann zum Standesamt und sagt: ›Ich möchte meinen Namen ändern.‹ Kennen Sie den?«

»Nee. Erzählnse ma.«

»Ich heiße Klaus Penner.«

»Na?«

»Ich möchte lieber Peter Penner heißen.«

»Der is jut!« Frau Doktor lachte, dass der Liegestuhl nur so wackelte. »Aber ick schwöre, ick kannte eine, die war sojar Ärztin, wirklich jetzt, die hieß Dr. Ficker. Und dann hat se einen Dr. Penner jeheiratet, und weil Ordnung sein muss, hat se den Doppelnamen Penner-Ficker in ihren Pass eintragen lassen.«

Ich starrte sie an. »Im Ernst?!«

»Dr. Penner-Ficker. War meine Hausärztin in Ballin. – Und wo kommse her, Sie Ulknudel?«

Ulknudel, dachte ich. Der is jut. Det biste selba, wa.

»Das Gegenteil von Berlin. Eine winzige Kleinstadt in Bayern.«

»Wie heeßt det Kaff?«

»Freilassing.«

»Na, det hört sich ja nach Ende eines langen Strafvollzugs an«, bemerkte die dicke Frau Doktor amüsiert. »Wie ’ne freijelassene Ehefrau sehen Sie aber nicht aus!«

War sie nun eine wortgewandte Humorzone oder eine spaßbefreite Kampfemanze?

Der Liegestuhl ächzte, als sie versuchte sich aufzurichten und mir ins Gesicht zu sehen. Frau Doktor spielte mit ihren pink lackierten Zehen. »Schöne Seen, schneebedeckte Berge und glückliche Kühe hamse da, wa? Det is ’ne Bildabuchidylle, wie se am Wannsee nich schöner sein kann.«

»Ja. Nur stiller.«

»Denn versteh ick überhaupt nicht, warum Sie jetzt im Mai hier in Ägypten Urlaub machen!« Sie stieß sich mit den Füßen ab, um ein bisschen Bewegung in ihre Hängematte zu bringen.

Ich überlegte, wohin ich fliehen konnte, ohne die redselige Frau Doktor allzu sehr zu brüskieren. Ich wollte wirklich nur hier sitzen. Na gut … und mit roten Ohren meine Geschichte von der ausgepeitschten Amerikanerin weiterlesen.

»Mein Mann wollte mal mit mir alleine Urlaub machen«, hob ich zu einer Erklärung an. »Wir hatten gerade zwanzigsten Hochzeitstag.«

»Na, denn gratulier ick aber!« Sie stützte sich auf den dicken Ellbogen und musterte mich von der Seite. »Oder soll ick lieber sagen: ›Herzliches Beileid‹?«

Eigentlich traf die Berliner Schnauze den Nagel auf den Kopf.

Ich ließ mich demonstrativ in meinen Liegestuhl zurücksinken und schob mir meinen Sonnenhut übers Gesicht. Die ausgepeitschte Amerikanerin löste sich gerade in Luft auf. Mist! Dabei kniete sie doch gerade nur mit einem Höschen bekleidet vor dem Multimillionär und wartete auf weitere Anweisungen, während beide von vierzigstimmiger (unter uns: o-ber-gei-ler) Chormusik von Thomas Tallis beschallt wurden: »Spem in alium« – Lateinisch für »Hoffnung auf einen anderen.«

»Ick willse ja nicht stören«, behauptete das Flusspferd und rauchte.

Was eigentlich sehr in meinem Sinne war. So, Ende der Sprechstunde.

»Wo ist denn der werte Jatte immer so!?« Die dicke Berlinerin wollte mich leider doch stören.

Der Jatte, den sie hatte, fiel vom Blatte, zitierte ich stumm aus Heinz Erhardts Gedicht »Die Made«. Das traf aber leider nicht zu. Schade für die Made.

»Im Fitnessstudio.« Seufzend richtete ich mich wieder auf. »Er trainiert zweimal täglich. Die Zeit nutze ich gern, um zu LESEN.« Letzteres betonte ich ausdrücklich. Lesen. Buch. Mund halten. Das Alte Testament ist gerade sehr spannend.

Doch sie wollte sich nicht an die Spielregeln halten.

»Ick amüsier mir ja prächtig, wenn ick sehe, wie Ihr Mann immer den Bauch einzieht, sobald wat Frisches daherkommt«, demütigte sie mich weiter und stieß ein glucksendes Lachen aus. »Det hilft dem ollen Jatten aber ooch nicht mehr. Det Testosteron is schon wat ranzig.«

Sie hatte wirklich Humor, wenn auch sehr schwarzen.

Während sie weitere Zigaretten auspackte, damit die auch mal an die frische Luft kamen, fächerte sie sich Sauerstoff zu. Stirnrunzelnd sah ich zu ihr hinüber.

»Sie sind ja eine scharfe Beobachterin!« Alles, was recht war. Ich durfte über meinen Albert ablästern, so viel ich wollte. Unsere gemeinsame Tochter Juli und ich, wir durften uns über seinen albernen Fitnesswahn und seinen übermäßigen Eiweißkonsum amüsieren, die meinen kurzbeinigen, stämmigen Albert auch nicht attraktiver machten, aber seine Muskeln anschwellen ließen wie überstrapazierte Autoreifen. Aber von fremden Dickhäutern mit ausgeblichener Nassfrisur im Nachbarliegestuhl konnte ich mir das nicht unwidersprochen gefallen lassen. Ich hatte den Mann schließlich geheiratet, nicht sie. Keiner hatte mich dazu gezwungen – im Gegenteil! Meine Eltern hatten mir sehr von ihm abgeraten. Was noch stark untertrieben ist: Sie hatten mich seinetwegen enterbt und jeglichen Kontakt zu mir abgebrochen! Die gnadenlose Frau Doktor drehte gerade ihr Skalpell in einer offenen Wunde. Dabei lächelte sie süffisant und beugte sich verschwörerisch zu mir herüber, wodurch ihr mächtiger Busen aus dem Doppel-D-Körbchen rutschte wie ein in sich zusammenfallendes Salzburger Nockerl vom Dessertteller.

»Der kiekt zwar dauernd nach Frischfleisch, hat aber trotzdem kurze Beene und ’ne Glatze. Und diese Janzkörperbehaarung! Mit dem hat der liebe Jott ooch keen Mitleid mehr.«

Na, mit Frau Doktor schien er noch nie welches gehabt zu haben! Albert würde über sie sagen: »Schon lang jenseits der Knuspergrenze.« Aber dass schon Wildfremden auffiel, wie Albert jedem Bikini nachstarrte?

Ich schämte mich bereits seit zwei Wochen für ihn und floh Tag für Tag in mein schattiges Eck am Rande der Hotelanlage, um nicht weiter aufzufallen. Unsere Auftritte im Restaurant, in dem Albert dreimal täglich das Büfett abräumte und alles Essbare auf seinen Eiweißgehalt untersuchte, waren schon peinlich genug. Gut, dass wir morgen wieder abreisen würden! Verspannt lag ich auf meiner Liege. Dieser letzte Nachmittag hatte eigentlich nur mir gehören sollen! Ich wollte vor dem letzten Sonnenuntergang am Meer noch einen Blick auf letzte Schatten von Grau erhaschen, mich heimlich in die Grauzone zwischen Erotik und Fantasie flüchten.

Erna Doktor tätschelte meine Hand. »Machen Sie sich nichts draus, Frau Richter! Wenn Sie mich fragen, haben Sie sich für Ihr Alter zehnmal besser gehalten als Ihr Mann. Sie sind ’ne richtig schöne Frau, aber det merkt der olle Gorilla ja nicht mehr mit seinem vernagelten Jagdinstinkt.« Sie trommelte sich auf die Brust und stieß ein paar gutturale Urschreie aus, woraufhin sich die benachbarten Sonnenanbeter zu uns umdrehten.

Jetzt hatte sie mich erst recht in Verlegenheit gebracht. Ich spürte, wie rot ich unter meiner Bräune wurde. Meine Ohren hatten die Farbe der exotischen Früchte angenommen, die hier morgens, mittags und abends auf dem Büfett lagen.

»Na ja, ich bin schließlich viel auf den Beinen so als berufstätige Frau mit Kind, Hund und Haushalt«, wiegelte ich ab. »Mein Mann benutzt das große Auto, meine Tochter neuerdings meinen Kleinwagen, und ich mache die Einkäufe mit dem Fahrrad …«

Ja, ich hätte gut in einen Rosamunde-Pilcher-Film gepasst, in dem die properen Heldinnen mittleren Alters grundsätzlich mit einem Fahrrad über die Straßen holpern, wobei sie vorne im Körbchen ein struppiges Arrangement aus Gemüse und Blumen balancieren und hinten im Körbchen einen struppigen Dackel.

Als berufstätige Gattin eines selbstzufriedenen Machos und Mutter einer kratzbürstigen »Kaktusblüte« war das Leben für mich eher vermintes Gelände statt Ponyhof. Trotzdem: Ich genoss es, meine Lieben zu umsorgen und zu bekochen, sogar den Hund. Aber was bedeutete ich meinen Lieben und dem Hund, die ich umsorgte und bekochte? Okay, der Hund nahm mich noch wahr. Aber ich fühlte mich oft unsichtbar und nicht genügend geschätzt. Wie eine Daunenjacke, die einem erst dann fehlt, wenn es stürmt und schneit.

»Sie brauchen das gar nicht so kleinzureden!« Erna stützte die Ellbogen auf ihren delligen Schenkeln ab. Plötzlich kam mir ihr mächtiger Hängebusen mütterlich-tröstend vor. Am liebsten hätte ich mich diesem Flusspferd an den Hals geworfen und Rotz und Wasser geheult.

»Ick beobachte Sie jetzt seit Tagen«, raunte sie mir mit ihrer verrauchten Stimme zu. »Herr Richter macht den großen Macker, und Frau Richter versucht, ihm alles recht zu machen. Sie rennt ihm hinterher, bringt ihm Wasser, legt ihm das Badelaken zurecht, cremt ihm den haarigen Rücken ein und massiert ihm die Füße. Hoffentlich verwöhnt er Sie auch so.«

Langsam nervte sie mich mit ihren stichelnden Bemerkungen. Ich schluckte trocken.

Nein. Die Antwort war ein klares Nein. Also wenn er mir die Füße massierte, dann nur, um zwanzig Sekunden später zur Sache zu kommen. Zu seiner Sache, wohlgemerkt! Auf die Idee, mich zu verwöhnen, kam er gar nicht. Immer drehte sich alles nur um Albert. Er war der Nabel der Welt. Leider auch meiner Welt.

»Da bin ick froh, det ich keen Mann hab. Den Meinen hab ick schon lange in’ Wind jeschossen«, winkte Frau Doktor ab. Ihre Oberarme winkten gleich mit.

Aha, na, das hätte ich mir denken können. Einen HERRN Doktor an ihrer Seite gab es also nicht.

»Wenn ick ’ne Dienstleistung für’n Kerl tu, dann verlang ich dafür ’ne anjemessene Gegenleistung«, grunzte sie zufrieden. »Also praktischerweise Geld.«

Vielleicht war sie Köchin oder so? Oder Putzfrau? Aber im Prinzip hatte sie recht.

Komisch. So hatte ich das noch nie gesehen: dass es sich in unsere Ehe so eingeschlichen hatte, dass ich die Dienstleisterin war und Albert der Pascha. Seit wann war das eigentlich so? Am Anfang war Albert doch so ein charmanter, witziger Kerl gewesen!

»Na ja, jeht mich ja nüscht an.« Nach dieser reichlich späten Erkenntnis ließ sich die Dicke schnaufend nach hinten plumpsen.

Ja. Das ging sie wirklich nichts an. Doch anscheinend war sie immer noch nicht fertig. Nachdenklich zog sie an ihrer nächsten Zigarette, blies Rauchringe in die Luft und sagte:

»Ick frag mich nur, wat der Gegenwert ist. Ich meine, ist er wenigstens witzig oder steinreich? Oder berühmt? Wat hat er, wat andere Kerle nicht haben? Außer ’n Riesen-Ego? Ick muss ja weinen, wenn ick Sie so sehe.«

Ja. Da konnte sie sich lange fragen. Ich war jetzt fertig mit meiner Ehe-Analyse. Albert war genauso wenig reich, witzig, berühmt oder außergewöhnlich wie ich. Er war auch kein Traumprinz mehr – weder schlank noch spontan, noch schwarz gelockt, sondern feist und bräsig, körperbehaart und glatzköpfig, eben ein echter Macho. Nur, wahrscheinlich war ich nicht ganz unschuldig daran. Ich hatte ihn grenzenlos verwöhnt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Damals wollten meine Eltern nicht, dass ich ihn nehme, und was hatte ich getan? Das Gegenteil. Aus Trotz und jugendlichem Leichtsinn.

Ich setzte meine Brille wieder auf. Ehrlich gesagt wollte ich schon noch erfahren, wie es jetzt weiterging mit der Amerikanerin. Denn was sie wirklich auf jeder fünften Seite hatte, war gigantischer Sex. Erst stundenlanges Prickeln, dann ein Vorspiel der besonderen Art und schließlich jede Menge multipler Orgasmen. Und Haue obendrein.

Wenigstens in Romanen wollte ich raffinierte Erotik genießen wie ein Fünf-Gänge-Menü. Bei uns zu Hause war eher ein Schnellimbiss angesagt, wenn nicht ein Drive-in-Besuch: Albert rauf, Albert rein, Albert grunz, Albert raus, Albert runter, Albert schnarch.

Wenn ich Pech hatte, vergaß er Schritt fünf vor Schritt sechs und schlief auf mir ein.

Dafür schenkte er mir – beziehungsweise sich – zum Geburtstag, Muttertag und Hochzeitstag Reizwäsche. Und zum Valentinstag auch. Und hielt sich für den Rosenkavalier persönlich. Der alte Ochs auf Lerchenau!

»Na, wenn man vom Teufel spricht!« Erna wies mit dem Kinn in die Richtung, aus der sich Albert wie ein kampfbereiter Stier näherte. Er hatte einen roten Schädel, wie immer, wenn er gerade vom Krafttraining kam, und ein Handtuch hing um seinen kräftigen Nacken. Sein Feinripphemd war schweißdurchtränkt, schwarzes Achselhaar quoll büschelweise daraus hervor und verströmte einen entsprechenden Geruch.

Interessantes Intermezzo: Stier trifft Flusspferd. Er schnaubte, und das Weiße in seinen Augen war blutunterlaufen. Auf in den Kampf, Torero!

»Aha. Hast du meinen Platz also vergeben.« Missmutig starrte Albert auf die dicke Erna, die es gewagt hatte, sein Terrain zu besetzen. Sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen und versuchte zu erklären, warum ich es nicht geschafft hatte, seine Liege gegen die Fremde zu verteidigen.

»Im Schatten war sonst nichts mehr frei.« Rasch reichte ich ihm die Wasserflasche aus dem Kühler. »Hast du gut trainiert? Geht es dir jetzt besser?«

Albert trainierte nämlich gegen schlechte Laune. Er nannte das »abreagieren«.

Albert setzte die Flasche an den Mund und trank sie auf einen Zug leer. Dann warf er sie mir in den Schoß, als wäre ich eine Mülltonne auf zwei Beinen.

»Wir haben noch was vor.« Er sah in Richtung Hotel: Abreagieren, Teil zwei.

»Wieso isn det IHR Stuhl?«, erwiderte Erna ungerührt. »Ick geh ma davon aus, der Stuhl gehört dem Hotel, und für det bezahl ich jenauso jut wie Sie.«

Albert würdigte sie keines Blickes.

»Komm, Katja!«

»Wie jetzt?«, ereiferte sich das Flusspferd. »Wo will er denn hin?«

»Das geht Sie einen feuchten Kehricht an!«

Paarungsbereit, wie er war, drehte Albert sich um und stapfte davon. Es war völlig ausgeschlossen, ihm jetzt nicht zu folgen. Außer, ich wollte am letzten Tag einen Riesenkrach heraufbeschwören.

Pflichtschuldig rappelte ich mich auf, krabbelte unter den von Erna gefährlich ausgebeulten Liegestuhl und holte Alberts Hab und Gut hervor. Nachdem ich unsere Sachen zusammengerafft hatte, tippelte ich hinter meinem Mann her. Schließlich war heute Endspurt – Ehe vollziehen und Kofferpacken waren angesagt. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. In einer Stunde öffnete das Büfett.

»Ick gloobe, ick erblinde«, ätzte Frau Doktor hinter mir. »Det macht die wirklich. Liebe geht anders. Aber so blöd war ick ooch mal.«

2

»Ich kann nicht glauben, dass der schöne Urlaub schon wieder vorbei sein soll«, maulte Albert, als wir im Morgengrauen ins Taxi stiegen. »Warum haben hart arbeitende Menschen wie ich nur sechs Wochen Urlaub im Jahr?«

Albert war Bankdirektor bei uns im Ort. Die Filiale war klein, und so hart arbeitete er auch wieder nicht. Das Wort Doppelbelastung war ihm fremd.

»Zum Airport«, befahl er dem ägyptischen Taxifahrer knapp. »Warum ist das Leben so ungerecht? Guck dir mal die Luxusjachten an! Die gehören alle reichen Erben. Und ich? Ich hab nix geerbt, nur mein Leben lang geschuftet.«

Ich unterdrückte den unschönen Gedanken, dass ich sehr wohl etwas geerbt hätte, nämlich ein hübsches Landhotel, wenn ich nicht aus Trotz und jugendlichem Leichtsinn Albert geheiratet hätte. Meine Eltern wollten es nicht in seine Hände fallen lassen, sodass auch ich leer ausgegangen war. Selber schuld! Seit zwanzig Jahren galt es auszulöffeln, was ich mir selbst eingebrockt hatte.

Milde lächelnd legte ich meine Hand auf seine. »Bestimmt sind diese Erben auch nicht glücklicher als wir. Du weißt doch: Das Glück, das einem in den Schoß fällt, ist viel weniger wert als das Glück, das man sich erarbeitet.«

Diesen Spruch hatte ich mal irgendwo gelesen und fand ihn sehr zutreffend. Übersättigt sein, gelangweilt sein ist schlimmer als krank sein. »Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Das hat schon Goethe gesagt.«

Aber Albert wollte von Goethe nichts hören. »Scheißdreck«, fluchte er.

Albert in seiner jetzigen Form hatte ich mir auch erarbeitet, ich dumme Nuss!

»Komm, Albert, wir haben doch so viel!«, versuchte ich seine Laune zu heben. »Wir haben beide einen Job, eine wunderschöne, gesunde Tochter, die gerade ihr Abitur bestanden hat, ein Haus und einen Hund, und wir wohnen in einer der schönsten Regionen Europas mit lauter netten Nachbarn in einer geschmackvollen Siedlung …« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, spürte jedoch selbst, wie lahm das klang. Ein Geschmack nach alter Sack machte sich in meinem Mund breit, und ich schluckte tapfer. »Und morgen fährst du wieder mit deinem tollen Auto in deine Bank und bist der Herr Direktor, alle tanzen nach deiner Pfeife …«

»Jaja, Hauptsache, der Mann ist gesund, die Frau hat Arbeit, und zu fressen hat der Hund«, murrte Albert. Dann bellte er den Taxifahrer an: »Do you have a wife? Children?« Als dieser höflich nickte, sagte Albert verächtlich: »Arme Sau.«

»Albert, bitte!«

»Hoffentlich hat der Flieger keine Verspätung«, nörgelte Albert weiter. »Juli hat doch den Wagen reparieren lassen und holt uns ab? Dann kann ich wenigstens heute Abend noch trainieren gehen.«

Durch unsere frühe Abreise war mein Göttergatte heute noch nicht dazu gekommen, und ein untrainierter Albert war ein schlecht gelaunter Albert.

»Wo wollen denn die ganzen Deppen hin? Etwa alle nach Salzburg?«, war dann auch das Erste, was er blaffte, als wir in die kühle Abflughalle traten. Alle Abfertigungsschalter waren besetzt, und die Angestellten arbeiteten fieberhaft, um dem Ansturm gerecht zu werden. Na klar. Es war ein Charterflug – sehr früh und deshalb billig. Hatten wir selbst gebucht. Als »Hochzeitstagsreise«. Toll, Albert.

Kleinkinder weinten vor Müdigkeit, junge Eltern mühten sich mit Windelpaketen, Rucksäcken, Kinderwägen und Übergepäck, aber die meisten Touristen standen einfach nur gelangweilt und unausgeschlafen mit ihren Cowboyhüten und Sonnenbränden herum und schoben ihre Koffer zentimeterweise vorwärts. Der Anblick so vieler Kaugummi kauender Touris verschlug auch mir den Atem. Sie erinnerten an eine Herde Kühe.

»Wieso müssen die bloß alle so furchtbar aussehen? Wer hat die gezwungen, sich so in die Öffentlichkeit zu begeben?«, sagte Albert laut, und ich zuckte zusammen. Andererseits: Wohin das Auge sah: Dreiviertelhosen, ausgelatschte Sandalen, kleinkarierte Kurzarmhemden, die sich über Bierbäuchen spannten, und dazu diese ätzenden Baseballkappen, grauenhaften Piercings und Tätowierungen. Guter Geschmacksah anders aus. Zuchtbulle Albert murmelte was von »grässliches Gesocks« und nahm mit gesenkten Hörnern Kurs auf den First-Class-Schalter, obwohl wir natürlich nur Holzklasse gebucht hatten. Typisch Albert: grundsätzlich das Billigste buchen, aber dafür das Beste erwarten. Und gleichzeitig auf alle anderen herabsehen. Aber beim Italiener vollmundig »Due vino rosso« bestellen, zum Kellner »Capisci?« sagen und sich unheimlich weltmännisch fühlen. Was musste so ein Kellner nur denken, der schon seit zwanzig Jahren in Deutschland lebte? Ich stellte mir vor, wie es wäre, ein deutsches Restaurant in Italien zu betreiben, relativ gut Italienisch zu können und mir dann Bestellungen anhören zu müssen wie: »Zwei Birrää mit Kartöff und Schweinebröt, kapiero?«

Albert war ein Stier im Porzellanladen. Und ich hatte diesen Stier in mein Leben gelassen. Auf dem er jetzt herumtrampelte. Vor dieser Situation hatte ich mich schon gefürchtet. Gerade hatte ich insgeheim noch über Piercings gelästert, aber jetzt wünschte ich mir, Albert hätte einen Nasenring, an dem ich ihn vom First-Class-Schalter wegziehen könnte.

»Albert, nicht!«, protestierte ich schwach, hoppelte aber folgsam mit unseren Rollkoffern hinterher. Ich war es längst gewohnt, dass Albert sich überall vordrängelte. Andere Menschen waren grundsätzlich »Gesocks«, besonders wenn es sich um Ausländer handelte. Dass wir in diesem Land selbst Ausländer waren, schien ihm nicht bewusst zu sein.

Albert knallte unsere Pässe und Tickets auf den Tresen. Freundlich, aber bestimmt wurden wir von einem jungen Mann ans Ende der Schlange gewinkt, von der wir gerade kamen. Ich schaute zu Boden und hoffte, dass niemand dieses peinliche Manöver mitbekommen hatte. Mein Leben mit Albert bestand eigentlich nur aus Fremdschämen.

»Es ist doch immer das Gleiche auf diesen gottverdammten Flughäfen«, schimpfte Albert. »Die am Erste-Klasse-Schalter feilen sich die Fingernägel, während hier der Mob tobt.«

»Albert, es ist gut jetzt!«, sagte ich dermaßen unfreundlich, dass ich mich an seiner Stelle schon ein wenig gefürchtet hätte. Doch Albert war völlig schmerzfrei. Dafür drehten sich einige Passagiere bereits befremdet zu uns um.

Vor uns stand ein junges Liebespärchen, das gerade Abschied voneinander nehmen musste. Voller Zärtlichkeit schauten die beiden sich an und küssten sich immer wieder innig. Für eine Sekunde dachte ich an Albert und mich vor zwanzig Jahren: So hatten wir uns auch mal abgeknutscht. Dieses Leben mit dem jungen, übermütigen Albert schien mir Galaxien weit entfernt zu sein.

»Sucht euch ’n Zimmer«, maulte der Albert von heute und rammte dem jungen Mann fast seinen Schalenkoffer in die Hacken. »Kann man ja kaum mit ansehen, dieses Abgeschlecke hier!«

Dennoch fixierte er das spärlich gekleidete Mädchen ungeniert und ließ seine Blicke immer wieder über ihr Spaghettiträgerhemdchen gleiten, unter dem sich erigierte Brustwarzen abzeichneten. Auch ihre schlanken, langen Beine in den kurzen Shorts fanden seine Aufmerksamkeit. Sie versteckte ihr Gesicht an der Schulter ihres Freundes. Albert deutete das als Flirtversuch und wurde gleich zwei Zentimeter größer.

Ich wollte wieder im Boden versinken. Mit Blicken entschuldigte ich mich bei den jungen Leuten. Ich hatte inzwischen eine ganze Palette von Entschuldigungs-Blicken parat, angefangen von »Er meint es nicht so« über »Er kann nichts dafür« bis hin zu Petrus’ berühmtem Verleugnungsschwur »Ich kenne des Menschen nicht«.

Das Mädchen war vielleicht so alt wie Juli, achtzehn oder neunzehn.

Ach, was freute ich mich auf meine wunderbare Tochter! Wäre sie nicht gewesen, hätte ich mich bestimmt schon von Albert getrennt. Aber ich wollte ihr ein intaktes Elternhaus bieten, hielt das für meine oberste Pflicht. Man trennt sich doch nicht einfach so vom Vater seines Kindes, nur weil er in die Breite geht, unaufmerksam und egoistisch wird und sein Leben dem Kraftsport weiht. Ich meine, er misshandelte mich ja nicht. Er sagte »Spatzl« zu mir und schenkte mir Reizwäsche. Er lobte meine Kochkünste und tätschelte mir im Vorbeigehen den Hintern. Auch eine Form der Anerkennung! Schließlich hatten wir uns vor zwanzig Jahren bei unserer Hochzeit versprochen, in guten und schlechten Zeiten beieinanderzubleiben. Und das hier waren ja wohl eindeutig gute Zeiten, oder etwa nicht?

Zentimeterweise rückte die Schlange vor.

Hoffentlich hatte Juli inzwischen ihr Abitur bestanden! Ich schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus. Dass ich sie ausgerechnet jetzt im Stich gelassen hatte, in ihrer Prüfungsphase, lag einzig und allein an Albert. Schließlich war unser zwanzigster Hochzeitstag, und da gab es überhaupt keine Diskussion, capisci?

In Wahrheit war er wahnsinnig eifersüchtig auf die engen Bande zwischen meiner Tochter und mir. Juli und ich waren beste Freundinnen, da passte kein Blatt dazwischen. Wir kuschelten uns oft abends auf dem Sofa zusammen, und sie vertraute mir ihre geheimsten Gedanken an. Albert fühlte sich oft außen vor und glaubte, wir würden uns über ihn lustig machen. Was nicht immer ganz von der Hand zu weisen war. Je mehr er sich wie ein Pascha aufführte, desto mehr hielten Juli und ich zusammen. Und ja, wir lachten auch über ihn. Ich meine, das war doch immer noch besser, als über ihn zu weinen oder ihn zu vergiften oder so!

Mein Möchtegernbodybuilder war eins zweiundsiebzig klein und wirkte durch seine antrainierte Muskelmasse wie ein pummeliger Schlumpf. Besonders, wenn er seinen blauen eingelaufenen Bademantel anhatte, was bei ihm eigentlich ständig der Fall war. Wenn ich morgens in Seidenbluse, Kostüm, Seidenstrümpfen und Pumps aus dem Haus ging, lag er noch im »Morgenmantel« vor dem Fernseher. Und wenn ich abends aus dem Büro und vom Einkaufen kam, bot sich mir dasselbe Bild. Manchmal fragte ich mich, ob meine »bessere Hälfte« überhaupt zwischendurch zur Arbeit ging. Aber aufgrund der verschwitzten Hemden, die ich täglich auf dem Badezimmerfußboden fand und des immer kleiner werdenden Stapels gewaschener und gebügelter Hemden in seinem Schrank ging ich mal davon aus.

»Nie und nimmer würde ich so einen Mann heiraten wie Papa!«, sagte Juli oft. Und ich kam dann nicht umhin zu murmeln: »Ich auch nicht, wenn ich noch mal die Wahl hätte.«

Nach außen hin waren wir natürlich die perfekte Familie. Albert wollte sich sogar für die nächsten Bürgermeisterwahlen aufstellen lassen. Mit mir und Juli als schmückendem Beiwerk. Es kamen stressige Zeiten auf uns zu. Gut, dass ich im Urlaub noch einmal etwas Kraft getankt hatte. In Gedanken lag ich immer noch unter meiner Lieblingspalme am Ende des Pools, mit Hut, Sonnenbrille und meinem Lieblingsroman, träumte von einem gut aussehenden Multimillionär, der mich gleich auf sein Zimmer entführen würde, wo mich wieder irgendeine erotische Überraschung erwartete, während nebenan eine Haushälterin Kanapees kreierte und oben auf dem Dach der Hubschrauber samt Pilot wartete, um mich zum nächsten sinnlichen Abenteuer zu fliegen … Wohl wissend, dass das alles sehr an den Schamhaaren herbeigezogen war. Ich hatte schon wieder rote Ohren.

»Hallo! Träumst du? Her mit dem Pass, Katja!«

Endlich waren wir dran.

»Wo möchten Sie sitzen – am Fenster oder am Gang?«

»Ich am Fenster, meine Frau am Gang. Die muss ja dauernd aufs Klo. Und der Platz in der Mitte muss frei bleiben.«

»Das können wir leider nicht garantieren.« Die Mitarbeiterin schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Maschine ist ausgebucht.«

Maulend und kopfschüttelnd riss Albert die Bordkarten an sich. »Ein Scheißladen ist das hier! Wie soll man das bei den engen Sitzen bitte schön vier Stunden lang aushalten?«

»Sie hätten Business- oder erste Klasse buchen können«, konterte die Angestellte mit einem Zahnpastalächeln, das auf viele Trainingsstunden schließen ließ. »Da gibt es eine Komfortzone für solche Ansprüche.«

Hatte sie »Ansprüche« gesagt oder »Kotzbrocken«? Der Tonfall ließ eher Letzteres vermuten.

»Wissen Sie, was das kostet?«, herrschte Albert sie an.

»Ja. Ich arbeite hier. Der Nächste, bitte!«

Ich entschied mich für den Petrus-Blick: »Ich kenne des Menschen nicht«, und schlenderte möglichst unbeteiligt davon. Vielleicht konnte ich mir eine Bunte kaufen, mal schauen, was sich inzwischen so bei Königin Maxima getan hat mit ihren drei Wonneproppen und dem holländischen Meister Proper.

Wir mussten noch durch die Sicherheitskontrolle, wo Albert sich wieder mit den Mitarbeitern anlegte, weil er seinen Gürtel mit der dicken Goldschnalle nicht ablegen wollte, und ich hoffte mal wieder, nicht mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Überall wurde schon getuschelt. Ekel Albert schien seinen Auftritt aber eher zu genießen, als sich dafür zu schämen. Er stand gern im Mittelpunkt.

Er fand, alle Menschen müssten aufhören zu atmen, wenn er den Raum betrat. Und da er nicht der Dalai Lama war oder sonst irgendwie durch Nächstenliebe, Heiligkeit oder Prominenz auffiel, spielte er eben den Kotzbrocken. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass kleine Männer sich gerne durch irgendwas hervortun. Indem sie Kriege anzetteln und grausame Völkermorde betreiben. Albert benahm sich zum Glück »nur« daneben.

Ich kam mir vor wie die Mutter eines Schwererziehbaren. Nur dass leider kein Gattenamt kam, um ihn mir wegzunehmen: »Guten Tag, wir haben gehört, hier wohnt ein schwer erziehbarer Gatte, mit dem Sie nicht mehr fertigwerden? Die Nachbarn haben uns verständigt. Wir nehmen ihn mit und stecken ihn ins Gattenheim. Dort gibt es speziell ausgebildete Erzieher. Wenn er sich gebessert hat, können Sie ihn wieder abholen.«

Was ich natürlich nie tun würde. Wie hatte die dicke Erna geunkt? Freilassing! Ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie sehr ich es genießen würde, von ihm befreit zu sein.

Der Lautsprecher knackte, es wurde zum Einsteigen aufgerufen. Albert drängelte sich sofort vor.

»Bitte lassen Sie Familien mit kleinen Kindern zuerst einsteigen« verhallte ungehört.

Ich wollte mich hinten anstellen, aber Albert pfiff mich zu sich her: »Nachher sind wieder alle Zeitungen weg und die Fächer fürs Handgepäck belegt!«

Kaum saßen wir, hielt Albert eine vorbeieilende Stewardess an: »Die Süddeutsche und einen Kaffee.«

Die Stewardess war aber gerade noch mit den Gepäckfächern beschäftigt.

»Der Einsteigevorgang ist noch nicht beendet. Unser Service beginnt nach dem Start!«

»Was bildet die Saftschubse sich ein!«, murmelte Albert, nachdem sie weitergehastet war. »Los, dann hol du mir wenigstens die Süddeutsche. Und ’ne Bildzeitung. Du sitzt am Gang!«

Um des lieben Friedens willen musste ich mich also wieder nach vorne arbeiten, um mir dort eine Zeitung vom Stapel zu nehmen, was mir tadelnde Blicke eintrug. So, Albert, für heute reicht es!, dachte ich. Dabei war es noch nicht mal sieben Uhr.

Während Albert die Zeitung bereits auf ein Vierfaches ausgebreitet hatte und fingerleckend umblätterte, quetschte sich eine weitere Passagierin schnaufend auf den Mittelsitz. Oh. Diese kraterartigen Oberschenkeldellen kannte ich! Ein ausladender Hintern zerknüllte den Kulturteil, und billiges Veilchenparfum umnebelte mich. Das Flusspferd hatte rückwärts eingeparkt. Wie schön.

»So sieht man sich wieder, wa?!«

»Ja. Das ist ja ein Zufall!«

»Na, denn ma juten Morgen, Frau Richter.«

»Guten Morgen, Frau Doktor!«

Albert ließ abrupt die Zeitung sinken und starrte auf die vermeintliche Akademikerin, die sich neben ihn gezwängt hatte. Blankes Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er meine Freundin von gestern erkannte. Diesmal trug sie keinen Badeanzug, sondern ein rosa T-Shirt mit der Aufschrift »Emanze«, das sich an ihre Speckringe schmiegte.

»Ick weeß, watse denken«, schnaufte sie. »Kennen Sie den? Sitzt ’n Mann in der Sauna und hat ›Rumbalotte‹ uffn Penis tätowiert. Sacht sein Nebenmann: Wieso steht’n da ›Rumbalotte‹? Sacht der, det heeßt nich Rumbalotte, det heeßt ›Zu Ruhm und Ehre der baltischen Flotte!‹«

Albert ächzte fassungslos, schien sich aber vor weiteren verbalen Angriffen ihrerseits zu fürchten. Er verschanzte sich hinter dem Wirtschaftsteil.

Nach dem Start kamen die Damen mit dem Getränkewagen und fragten mit professioneller Freundlichkeit, was wir zu trinken wünschten.

»Bestell mir’n Kaffee«, kam es hinter der Zeitung hervor.

»Für mich und meine Freundin bitte einen Piccolo«, flötete Frau Doktor.

»Der kostet aber fünf Euro extra.«

»Det isser mir wert.« Frau Doktor knallte einen Zehner auf das Tischchen und prostete mir zu. »Auf uns! – Ick freu mir!«

»Ick mir ooch.« Jetzt berlinerte ich auch schon! Wir strahlten uns gerade an, als Albert sich über Ernas wogenden Busen beugte und mich anzischte: »Bestell mir noch ’n Kaffee!«

»Aber wieso, du hast doch schon einen?«

»Ich will noch einen!«

»Kinder, die wat wollen, kriegen wat auf die Bollen«, deklamierte Erna amüsiert.

»Dir steht doch auch einer zu!«, beharrte Albert. »Na los, den nehm dann ich!«

»Na, wenn det so ist … kann er meinen auch noch haben. FROLLEIN!« Erna hielt die Stewardess am Rockzipfel fest. »Zwei Kaffee stehn uns noch für lau zu, sacht der Herr gerade! Also heißen Kaffee, aber für lau.« Sie lachte schallend.

Genervt kippte die Stewardess das schwarz dampfende Heißgetränk in zwei weitere Pappbecher, und Erna bedankte sich freundlich und stellte sie mit schwabbelnden Oberarmen auf Alberts Tischchen. Dort standen jetzt drei Kaffeebecher. Für seine Süddeutsche war nun beim besten Willen kein Platz mehr.

»Was soll ich denn damit!«

»Janz wie der Herr befohlen haben.« Erna klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. »Na, denn ma juten Kaffeedurst. Sie ham ja noch viel vor heute, wa.«

Ich mochte die Frau.

Leider gerieten wir in diesem Augenblick in ziemliche Turbulenzen. Der Flieger fiel in ein gefühlt zehn Meter tiefes Luftloch. Ein Kreischen hallte durch die Kabine, nur Erna jauchzte, als säße sie in der Achterbahn. Ich klammerte mich instinktiv an ihren stabilen Oberarm. Alle drei Kaffeebecher vor Albert schwappten über und ergossen sich heiß dampfend über seine Kronjuwelen. Erna und ich versuchten die Bescherung mit unseren Papierservietten aufzutupfen, was Albert erst recht in Rage brachte. Noch immer schwappte der Kaffee in den drei Bechern. Zwei davon riss er hoch, sodass sein weißes Polohemd auch noch besprenkelt wurde.

»Shit! Fuck!«, fluchte er und kämpfte mit der Zeitung. »So tu doch was!«, giftete er mich an.

Ich nahm ihm die Zeitung weg.

Und Erna nahm einen genüsslichen Schluck von ihrem Sekt: »Katja, det is wie ’n Orjasmus, nur schöner!«

Ich hatte da schon lange keine Vergleichsmöglichkeiten mehr, aber die dicke Erna musste es ja wissen.

Ich ließ mir den Schaumwein ebenfalls munden, und so gerieten wir in immer bessere Laune, während die von Albert kontinuierlich sank. Neben der weichen Pufferzone Erna fühlte ich mich gleich viel sicherer. Er konnte im Moment nicht viel tun, außer auf seinem Fensterplatz zu schmollen. Und das tat er dann auch. Die Süddeutsche klebte auf seinem nassen Schoß. Und die Bildzeitung lag auf seiner Glatze. Dahinter stellte er sich schlafend.

3

»Wie happta euch eigentlich kennenjelernt?«, wollte Erna nach dem zweiten Piccolo wissen. Ich wollte nicht so recht raus mit der Sprache, so in Alberts Anwesenheit, aber sie versetzte mir mit ihrem fleischigen Ellbogen einen Stoß in die Seite und flüsterte verschwörerisch: »Is am Pennen!«

Ich erzählte es ihr. »Meine Eltern hatten ein kleines nettes Familienhotel am Waginger See …«

»Wat? Am Vagina-See?«, johlte Erna begeistert.

»Okay, also an einem bayerischen See. Und in den Ferien habe ich als einzige Tochter dort mitgearbeitet: Frühstück servieren, Betten machen, Zimmer putzen, dann Küchendienst und abends wieder servieren.«

»Ach so, nee is klar.«

»Meine Eltern wollten mich darauf vorbereiten, es einmal selbst zu führen. Es war ein harter Job für ein junges Mädel wie mich, aber er wurde mir versüßt: Der junge schwarz gelockte lustige Kerl an der Bar, den meine Eltern für die Sommersaison eingestellt hatten, hieß Albert Richter und war genau mein Typ: schlank und durchtrainiert, temperamentvoll und witzig.«

»Det muss aber lange her sein«, murmelte Erna betroffen, während ich mich in schönen Erinnerungen verlor.

»Geschickt hat er mit den Flaschen jongliert und rasend schnell raffinierte Getränke gezaubert, sodass alle von ihm begeistert waren: die Gäste und die Mädels aus dem Ort, die abends extra zu uns an die Bar kamen. Wenn er dahinter stand, angestrahlt von Scheinwerfern, kam er mir vor wie der Traumprinz schlechthin. Ein Adonis!«

»Wie dieser David von Michelangelo in Florenz? Der besteht ja nur aus Muskeln und Samensträngen …«, ließ Erna mich an ihrer gesunden Halbbildung teilhaben.

»Albert hatte schon eine Banklehre und bei uns im Hotel gejobbt, um sich das BWL-Studium in München zu verdienen. Ich hab ihn angehimmelt, und da die Konkurrenz groß war, tat ich alles, um ihn zu erobern. Keines von uns Mädchen hat seine Begeisterung verhehlt. Wir haben uns um ihn geschart wie Tauben um einen Mann, der im Park Toastbrot verfüttert. Albert hat mal die eine, mal die andere Dorfmaid mit auf den Heuboden genommen, und ich habe mir die Augen ausgeheult. Meine Mutter hat zusätzlich Salz in die Wunden gestreut und behauptet, er wär ein selbstverliebter Schönling, ein Blender.«

»Na wo se recht hat, hat se recht.«

»›Du bist ja nur eifersüchtig‹, hab ich gesagt, doch sie kannte keine Gnade: ›Glaub ja nicht, dass der schöne Albert in dich verliebt ist!‹, hat sie gesagt, und daraufhin mein Vater: »Der will doch nur das Hotel! Du bist so verknallt, dass du nicht mehr klar denken kannst.«

»Ja, det passiert leida imma wieda, wa …«

»Das tat unglaublich weh, und ich habe meine Eltern dafür gehasst, dass sie mir nicht zutrauten, er könnte sich wirklich in mich verliebt haben. Sie erreichten das genaue Gegenteil: Ich habe alles drangesetzt, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich habe ihn bedient, ihm Essen gebracht, seine Hemden gebügelt, sein Zimmer geputzt und sein Bett gemacht – einschließlich Knick im Kopfkissen! Als Albert sich am Ende für mich entschieden und die anderen Dorfmaiden abserviert hat, habe ich meinen Eltern insgeheim die Zunge rausgestreckt: So. Ich bin es doch wert! Wir verloben uns, nur damit ihr es wisst! Alles nur aus kindlichem Trotz und verletzter Eitelkeit.«

»Det haste schön jesaacht.«

»Doch meine Eltern blieben hart: ›Er hat es nur auf das Hotel abgesehen‹, hat mein Vater immer wieder gesagt, und meine Mutter: ›Der wird dir nicht treu bleiben, der hat an jedem Finger eine andere!‹ Dass sie es nur gut mit mir meinten, verstehe ich erst jetzt, zwanzig Jahre später: Jetzt, wo ich selbst Mutter einer Achtzehnjährigen bin. ›Dieser Mann ist kein Umgang für dich! Ein Luftikus, ein Egoist, selbstverliebt und geltungssüchtig. Der möchte immer nur Spaß haben, aber das Leben besteht nicht nur aus Spaß.‹«

»Nee. Det is wahr. Aber det weeßte als dumme kleene Jans noch nich.«

»›Doch!‹, habe ich damals stumm geschrien, wahrscheinlich auch lauthals. ›Das Leben ist sehr wohl ein Spaß, ihr alten Spießer! Mit Albert ist alles traumhaft, und ihr gönnt ihn mir nur nicht!‹ – ›Sieh doch nur das dicke Auto, das er fährt, obwohl er es sich eigentlich nicht leisten kann.‹ – ›Na und?! Er liebt mich eben und will es mir schön machen im Leben! Er will mir was bieten!‹ So ging das hin und her. Wir sind mit dem teuer geleasten Auto nach Paris gebrettert. Albert nannte es ›Die Sonne putzen‹«, erzählte ich Erna flüsternd. »Doch meine Eltern haben mich gewarnt: ›Nimm die rosarote Brille ab! Spätestens wenn es ernst wird und ihr einer geregelten Arbeit nachgehen, ein Haus abbezahlen und Kinder erziehen müsst, wird er sich drücken.‹ Ich hab die Augen verdreht und fand ihr Gerede oberspießig. Von wegen, sie wollten nur mein Bestes, aber das würden sie nicht bekommen! Und da habe ich es Albert gegeben.«

»Und denn warste schwanger. Det is doch immer det alte Lied.«

»Ja. Meine Juli hat sich angekündigt. Also haben wir ganz schnell geheiratet. Ich war mir sicher: Mit Albert an meiner Seite wird das Leben nie langweilig. So ein Mann wie Albert hat mich irgendwie aufgewertet. Aus der braven Bürgerstochter wurde eine flippige Rebellin. Meine Eltern sind nicht mal zur Hochzeit gekommen und haben das Hotel schließlich an Fremde verpachtet. Damit haben sie sich ihre Rente gesichert. Ich war zu Tode beleidigt und wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Die Unterstellung, Albert würde mich nicht meinetwegen, sondern nur aus Berechnung lieben, hat mich damals bis ins Mark getroffen. Ich war ohnehin nicht besonders selbstbewusst, und das hat mir den Rest gegeben. Oh, ich wollte es ihnen beweisen! Wir würden so was von glücklich werden, auch ohne den Segen und die Kohle meiner spießigen Eltern! Wir würden in Saus und Braus leben, Reisen machen und Spaß haben – wir brauchten ihr blödes Hotel nicht! Die Fronten haben sich dann so verhärtet, dass wir seit zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr haben. Sie haben ihr Enkelkind Juli noch nie gesehen.«

Mit zitternden Fingern griff ich nach meinem schal gewordenen Sekt.

»Aber det is ja janz fürchterlich!« Erna sah mich fassungslos an. »Dann hat der Kerl dich also deine Eltern und dein Erbe gekostet.«

So drastisch hatte mir das noch niemand gesagt.

»Das Problem ist: Ich habe Albert geheiratet, als ich noch nicht wusste, wer ich bin. Leider habe ich mich nie gefragt, was mir außer diesen herrlich blauen Augen und dem dicht gelockten Haar eigentlich an diesem Mann gefällt. Er war schon immer ein Aufreißer. Selbst wenn man ihm beide Augen ausstechen würde – er würde trotzdem eine Möglichkeit finden, anderen Frauen nachzuschauen.«

»Und?« Erna stupste mir ihren weichen Ellbogen in die Seite. »Nu sachma ehrlich. Isser det wert?«

»Ich weiß nicht …« Hilflos zuckte ich die Achseln. »Früher dachte ich es jedenfalls. Aber früher haben wir uns auch noch geliebt …«

Erna schüttelte den Kopf. »Wenn de da mal nicht was verwechselst, Kindchen.« Sie schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ick war ooch mal verheiratet, der Mann hat mich fast um den Verstand gebracht, zwee kleine Kinder haben wir gehabt und keinen Groschen mehr. Er ist abgehauen und hat mich wochenlang alleingelassen, da musste ich erfinderisch werden.«

Ihre dicken kleinen Hände hatte sie über dem Bauch gefaltet, sodass der »Emanze«-Schriftzug jetzt nicht mehr zu lesen war.

»Soll ick dir mal meine Geschichte erzählen?«

Na ja. Wir hatten ja noch gut zwei Stunden. Jetzt hatte ich die Wahl: Bord-Programm oder live?

Ich bin immer für live. Frauen sind was Spannendes.

4

Sie war gelernte Altenpflegerin, verheiratet mit Spacko, einem Lastwagenfahrer, lebte am Stadtrand von Berlin und hatte Eigenheim und Einrichtung auf Pump, als die beiden nach und nach pleitegingen. Spacko traf sich immer öfter mit zwielichtigen Gestalten auf Autobahnraststätten und ließ Erna mit den Kindern und Schulden im Stich. Manchmal blieb er wochenlang weg. Angeblich war er auf Tour, doch sie hatte keinen Überblick mehr. Sie fand nur die Mahnungen und Rechnungen im Briefkasten, und auf ihrem Konto herrschte totale Ebbe.

»Ick wusste nicht mehr, wat ich den Kindern aufs Brot schmieren soll außer olle Margarine. Und jeden Tag gab es Nudeln mit Maggi, sonst nüscht. Ick hab meinen ganzen Schmuck verkauft und am Ende sogar den Ehering.«

So sah die dicke Erna gar nicht aus. An jedem ihrer fetten Finger prangte ein dicker Ring, der so eingewachsen aussah, dass sie ihn nie wieder abbekommen würde. Ich starrte sie neugierig von der Seite aus an. Was war das Geheimnis ihres Erfolgs? Während sie erzählte, zerfetzte ich vor lauter Aufregung meine Serviette: Ernas Kinder brauchten Schulbücher, Essen, Klamotten und Geld für Klassenfahrten, Sport und Freizeit. Spacko drückte sich. Zahlte nicht. Blieb verschwunden. Die Schulden für das Haus und die Einrichtung wuchsen. Da erwachte Ernas Kämpfernatur.

»Ich hab mich gefragt, was kannste, Erna, was biste.« Erna knabberte Nüsschen.

»Und?«

»Ich hab gelernt, wie man alten Leuten den Hintern abwischt, wie man sie wäscht und eincremt und ihnen das Leben ein bisschen nett macht. Aber davon wirste ja in diesem Land nicht reich.«

»Nein.« Das fand ich übrigens total ungerecht. »Der Beruf der Altenpflegerin kann gar nicht hoch genug bezahlt werden«, bemerkte ich empört. »In kaum einem Beruf ist so viel körperlicher und seelischer Einsatz gefragt. Und dann die Verantwortung!«

»Det kannste laut sagen.«

Sagte ich auch.

»Wenn man bedenkt, wie unverhältnismäßig viel Geld beispielsweise Banker verdienen, die doch nur mit Geld hantieren!« Ich warf einen Blick auf Albert, aber der schnarchte friedlich.

»Det stimmt. Alte Menschen sind dir komplett ausgeliefert. Die haben oft niemanden mehr. Wenn du einmal am Tag in ihre Wohnung kommst, jeht für die die Sonne uff.«

Ich sah Erna von der Seite an und stellte sie mir als Sonne vor.

»Du musst erfinderisch, geduldig, liebevoll und jeschickt sein, immer stark und positiv.«

Auf einmal sah ich Erna mit ganz anderen Augen. Sie versank nicht in Selbstmitleid. Sie war autark, stark wie eine Löwin. Inzwischen vielleicht auch eine etwas aus dem Leim gegangene Raubkatze, die es nicht mehr nötig hat zu rauben, weil man ihr den Fraß vor die Füße wirft.

»Die alten Leutchen waren oft einsam, traurig und verwirrt. Die Bude war dunkel und hat jestunken. Ick hab die Fenster ufjerissen und Licht rinjelassen, und denn hab ich die Menschen jewaschen und ihnen Streicheleinheiten jejeben. Die haben mir einfach leidgetan.«

Ich nickte. »Kann ich mir vorstellen.«

»Also jut, det konnte ich«, berlinerte Erna weiter. »Als ich da jesessen bin mit den zwei Kindern, zwölf und zehn Jahre alt, und Spacko sich vertschüsst hat, hab ich überlegt … Anjebot und Nachfrage. Wer könnte deine Streicheleinheiten und dein Entertainment sonst noch brauchen? Wer würde gutes Geld dafür bezahlen?«

»Ja?« Gespannt sah ich sie von der Seite aus an.

»Und dann hab ich mich selbstständig gemacht.«

»Als Altenpflegerin?«

»Im weitesten Sinne, ja. Ick hab eine Anzeige aufjejeben: ›Frau Doktor macht Hausbesuche. Privat.‹«

»Oh.« Ich schluckte.

»Das Telefon stand nich mehr still!«

»Einfach nur: Hausbesuche?«

»Ja!« Erna knabberte Nüsschen, als gäbe es kein Morgen, und ich schob ihr bereitwillig meine hin.

»Ick hab mir ’n bisschen nett jemacht.«

Mampf, stopf, krümel.

»Damals war ich ja noch halbwegs jung und ansehnlich.«

Ich versuchte mir das vorzustellen.

»Und denn bin ich einfach zu der Adresse gefahren, mit der U-Bahn oder mit ’m Bus, und hab da jeklingelt und jesaacht, hier bin ick! Sie wünschen?«

Ich starrte sie an. »Und was … ähm … wurde so gewünscht? Doktorspiele vielleicht?«

»Det war so unterschiedlich, da würdest du von selbst nie draufkommen!«

»Nämlich?«, fragte ich dämlich. Sofort sah ich wieder die Amerikanerin vor mir, die sich von einem Multimillionär verhauen ließ. Aber das war doch alles frei erfunden!

Doch Erna erzählte mir von menschlichen Grundbedürfnissen. Und von der Marktlücke, die sie entdeckt hatte.

»Da gab es welche, die wollten nur eine Stunde den Rücken jekratzt kriegen.« Erna lachte und weidete sich an meinem erstaunten Gesicht.

»Den Rücken …?«

»Ja, wer fasst denn alte Leute noch an?«

»Ähm … Ich weiß nicht …?«

»Alt sein heißt ja nicht, keine Sehnsucht nach Hautkontakt mehr zu haben. Ick hab Männer erlebt, die fingen bei der ersten Berührung an zu weinen! Frau Doktor, so jeduldig wie Sie hat mich seit zwanzig Jahren keener mehr gestreichelt!«

Ich nickte. »Aber die wollten doch sicher nicht alle nur den Rücken gekratzt kriegen?«

»Nee, det is klar. Die wollten noch andere Sachen jekratzt kriegen. Aber ick hab so vielen alten Leuten den Hintern gewischt und den Pimmel jewaschen, da war det für mich keine so große Überwindung. Die Leute ham bezahlt. Ick war wieder wer. Die Kinder hatten zu essen und wat anzuziehen und die nötigen Schulbücher und Hefte. Keener hat mehr mit dem Finger auf sie gezeigt.«

Ich schluckte schwer, gleichzeitig stellte ich fest, dass sie mir immer sympathischer wurde.

»Wenn du im Prinzip nix gegen Menschen hast und keine Bedenken, sie anzufassen, verlierst du schnell die Scheu.« Erna riss auch noch die dritte Nüsschentüte auf, die von Alberts Klapptischchen zu ihr gerutscht war.

»Überleg doch mal, was ein Zahnarzt alles machen muss«, sagte sie schmatzend. »Eklig, wa? Oder ein Urologe oder Fußpfleger. Ick finde, sogar Friseure müssen oft Schäbiges sehen und anfassen. Aber der Blick aufs Honorar nimmt ihnen den Ekel. Es ist nur eine Frage der Einstellung, reine Jewöhnungssache. Det is alles.«

»Und was … ähm …«

»… wollten die Leute noch so alles?« Erna grinste mich an.

»Na ja, jetzt, wo du das Thema schon mal angeschnitten hast …«

So bald würde ich nicht wieder so kurzweilige Dinge zu hören bekommen!

»Natürlich wollten die meisten Sex. Ick bin ja nicht blöd. Aber die wenigsten wollten einfach nur rein und raus, wisch und weg. Das wollen meist junge Kerle, und die waren nicht meine Zielgruppe. Die gehen wirklich mal eben in den Puff und suchen sich jedes Mal neues Frischfleisch.« Sie nahm einen Schluck Sekt. »Ick hab mir janz viel Zeit für jeden genommen und wirklich zujehört: Wat will der, wat braucht der, wat traut der sich nicht zu sagen …«

Ich traute mich auch nicht mehr, etwas zu sagen.

»Die haben alle heimlich Fantasien, und wenn du die bedienst, biste janz vorn dabei.« Sie sah mich triumphierend an: »Du musst gar nicht viel machen, sondern denen nur was ins Ohr flüstern. Schließlich heißt es ja Ohr-Jasmus.«

Jetzt bekam ich wirklich heiße Ohren.

Erna fischte das letzte Nüsschen aus der Tüte und warf es ein.

»Du kannst stundenlang an einem Kerl rummachen. Aber wenn du dabei an die nächste Müllabfuhr denkst oder an den letzten Elternabend, merken die det. Und dann fällt der schönste Piepmatz wieder in sich zusammen.«

Sie zerknüllte die Nüsschentüte und wischte sich die Krümel vom Busen.

»Aber wenn du dich wirklich in die reinversetzt, total auf die eingehst, ihnen zuhörst und im richtigen Moment das Richtige sagst, gehen die ab wie ’n Zäpfchen.« Sie lachte und wischte sich die Hände an der Hose ab.

»Die Kinder haben Abitur jemacht und studiert.« Erna sah mich lächelnd an. »Wenn die eine Familie ernähren wollen, haben sie andere Möglichkeiten.«

Ich nickte beeindruckt. »Und dein … Spacko? Hat der nichts gemerkt?«

»Oh, det is noch so ’n Kapitel für sich!« Erna stieß ein verächtliches Lachen aus. »Mein Spacko hat sich bei seinen Stippvisiten natürlich gewundert, dass bei uns der Kühlschrank wieder voll war, die Kinder neue Sachen hatten und ich sogar irgendwann einen Kleinwagen, mit dem ich zu meinen Kunden fuhr. Da blieb er wieder zu Hause und saß jeden Tag im Bademantel vor dem Fernseher.«

Oje. Welch schreckliche Parallelen! Mir wurde heiß. War es bei uns auch schon so schlimm?

»Mein Spacko hatte nichts Besseres zu tun, als mich von einem Kumpel beschatten zu lassen. Ick hab schon lange kein Verständnis mehr für Männer, die mit Veränderungen nicht klarkommen. Det Leben ändert sich eben! Der Kumpel hat dann bei Spacko Meldung gemacht: Deine Alte geht auf den Strich. Dabei bin ick nie auf den Strich gegangen, ich war nie eine billige Straßennutte, sondern hab nur meine Dienste anjeboten – anjefangen von erotischen Massagen bis hin zu angewandter Fantasie. Manchen habe ich einfach nur was zu essen mitgebracht, anderen die Fußnägel geschnitten oder die Haare. Blumen habe ich denen hingestellt oder den Wintermantel in die Reinigung gebracht. Ick hab die alten Männer spüren lassen, det se noch wat wert sind. Aber det war meinem Spacko egal. Er hat mich windelweich geprügelt, damals. Ich hatte so ein blaues Auge, dass ich zwei Wochen nicht auf die Straße konnte.«

»Und die Kinder? Haben die nichts gemerkt?«

»Doch. Die haben natürlich zu mir gehalten. Meine Tochter hat ihn angezeigt.«

»Wow. Wie mutig!«

»Erst bin ich mit den beiden in ein Frauenhaus, und er hat versucht, mich zurückzuholen. Stell dir vor, er hat mir sogar anjeboten, mich gegen eine gewisse finanzielle Beteilijung zu ›beschützen‹!«

»Das heißt, er wollte dein Zuhälter sein? Dein eigener Mann?«

»Jenau! Aber da war er bei mir an der falschen Adresse.«

»Hast du dich scheiden lassen?«

»Viel zu spät, leider. Aber … ja. Das war die reinste Befreiung. Und ab diesem Zeitpunkt ging’s mir wieder richtig jut. Eins hab ich damals ein für alle Mal gelernt: Nimm einen Kerl nicht aus Schuldjefühlen, nimm ihn nicht aus Mitleid … und nimm ihn nicht aus Versehen!«

Sie sah mich schräg von der Seite an. »Und nicht aus Trotz.«

Seufzend schloss ich die Augen. Das Bordprogramm war vorbei. Ich spürte eine sanfte Erschütterung. Wir waren wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet.

5

Noch am Kofferband – Albert, die Hände in den Taschen seiner Dreiviertelhosen, gähnend und betont gelangweilt und ich rotfleckig und angeregt vom Sekt und dem interessanten Gespräch mit Erna – entdeckten wir hinter der sich öffnenden Glastür den rot gelockten Schopf unserer Juli. Ich konnte es kaum erwarten, ihr um den Hals zu fallen.

»Albert, ist das okay für dich? Könntest du auch meinen Rollkoffer vom Band nehmen?« Aufgeregt trat ich von einem Bein aufs andere, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren. »Ich will zu Juli!«

»Kommt ja gar nicht infrage! Im Gegenteil! DU bringst meinen Koffer mit raus«, befahl Albert. »Ich muss sofort wissen, was mit meinem Auto ist.«

Schon latschte er von dannen. Ich stand am Kofferband und kämpfte mit den Tränen. Albert wollte nicht etwa wissen, wie Julis Abiturprüfungen verlaufen waren! Nein, er interessierte sich nur für sein Auto!

»Na, Katja? Isser nu’n Arschloch oder isser eins?!«

Die dicke Erna näherte sich von hinten und legte ihre Hand auf meinen Arm. »Pass ma uff, Kleene. Ick weeß ja nich, ob du das überhaupt möchtest, aber hier ist meine Telefonnummer.« Sie steckte mir ihre Karte zu, goldene Schrift auf schwarzem Grund, und ich ließ sie in meine Handtasche fallen, ohne in der Eile einen Blick darauf zu werfen.

»Wenn du mal ’ne alte Freundin zum Reden brauchst.«

»Danke.« Ich wandte mich ab, um den ersten Koffer zu stemmen. Hartschale, silbern. Mit Golfaufklebern. Alberts Golfsack musste noch vom Sperrgepäck abgeholt werden. Erna half mir. Ihre vielen Armreifen klirrten. »Mädchen, wat haste den verzogen!«

Höflichkeitshalber kritzelte ich ihr auch noch meine Handynummer auf ihre Bordkarte, in der festen Überzeugung, dass sie die bestimmt verlieren würde. Urlaubsbekanntschaften erledigen sich ja meist schnell, und das mit gutem Grund. Von wegen Freundin! Ich hatte genug Freundinnen. Na ja, Bekannte, Kolleginnen, Nachbarinnen. Das reichte. Aber keine davon hatte mir jemals etwas ähnlich Berührendes erzählt wie Erna vorhin auf dem Flug. Man wahrte gern den schönen Schein.

Gleichzeitig irritierte mich, dass Frau Doktor ausgerechnet mir, einer Wildfremden, ihr ganzes Leben auf die Nase gebunden hatte. Und warum mischte sie sich so in mein Privatleben ein? Ich wollte mich doch gar nicht von Albert trennen, geschweige denn scheiden lassen. Mein Mann schlug mich nicht, erpresste mich nicht, ließ uns nicht hungern, verschwand nicht wochenlang und hetzte auch keine Spitzel auf mich. Er war nur dann und wann etwas … unsensibel. Ich wollte ihn nur etwas … ändern. Bei passender Gelegenheit würde ich ihn ganz höflich bitten, nicht immer so ruppig zu sein: »Schatz, das geht mir nahe, wenn du so grob bist. Ich möchte dich freundlich einladen, auch einmal nach meinen Bedürfnissen zu fragen. Du streichelst mich nie. Ich verlange ja nicht, dass du mir ständig die Sterne vom Himmel holst, aber ein kleiner Blumenstrauß würde mich durchaus freuen. Oder mal Frühstück ans Bett, ein gemeinsamer Sonntagsspaziergang. Und wenn du mir zuliebe deinen ausgeblichenen alten Bademantel gegen ein appetitlicheres Kleidungsstück eintauschen würdest, hätte ich auch nichts dagegen. Liebling, das sind alles nur Kleinigkeiten. Deswegen müssen wir doch keinen Eheberater aufsuchen!«