Eine ungewöhnliche Begegnung - Katie Fforde - E-Book

Eine ungewöhnliche Begegnung E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

Als die 30-jährige Hetty ihren Freund auf frischer Tat mit einer anderen ertappt und überdies auch noch ihren Job verliert, kommt ihr das Angebot wie gerufen, für eine Weile den leer stehenden Landsitz ihres Großonkels Sam zu hüten. Wie Hetty feststellen muss, hält das wunderschöne Anwesen jedoch so manche Überraschung bereit. Und dann taucht eines Tages auch noch Sams Erbe, der raubeinige Connor, mit einem ungewöhnlichen Ansinnen dort auf ...

Eine wunderschöne Liebesgeschichte zum Träumen und Lachen, von Bestsellerautorin Katie Fforde.

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Danksagungen

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

Über das Buch

Als die 30-jährige Hetty ihren Freund auf frischer Tat mit einer anderen ertappt und überdies auch noch ihren Job verliert, kommt ihr das Angebot wie gerufen, für eine Weile den leer stehenden Landsitz ihres Großonkels Sam zu hüten. Wie Hetty feststellen muss, hält das wunderschöne Anwesen jedoch so manche Überraschung bereit. Und dann taucht eines Tages auch noch Sams Erbe, der raubeinige Connor, mit einem ungewöhnlichen Ansinnen dort auf …

Über die Autorin

Katie Fforde hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, die in Großbritannien allesamt Bestseller waren. Ihre romantischen Beziehungsgeschichten werden erfolgreich für die ZDF-Sonntagsserie "Herzkino" verfilmt. Katie Fforde lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England.

Offizielle Website: http://www.katiefforde.com/

Katie Fforde

EINEUNGEWÖHNLICHEBEGEGNUNG

Aus dem Englischen vonIngrid Krane-Müschen

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1997 by Katie Fforde

Titel der englischen Originalausgabe: »Stately Persuits«

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2001/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: © shutterstock/Ruth Black/nagib

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau

Datenkonvertierung eBook: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4815-6

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meine Mutter,Barbara Gordon-Cummings,1912-1996

Mein Dank gilt meiner Lektorin Richenda Todd,Miranda Ward-Kirkby für eine Idee,Barbara John für ihre Hilfe bei der Recherche undwie immer meiner Agentin Sarah Molloy.

Prolog

Hetty summte vor sich hin, als sie den holprigen Feldweg zu Alistairs Cottage entlangfuhr. Sie liebte dieses Haus – ein richtiges Schmuckkästchen. Es hatte echte Sprossenfenster mit rautenförmigen Scheiben, einen überdachten Eingang mit einer verschnörkelten Kassettentür und Pfefferkuchenfachwerk bis zum Dach. Hetty hätte gern dauerhaft dort gelebt, und sie konnte kaum erwarten, es im Sommer zu sehen, wenn die Kletterrosen die Luft mit ihrem süßen Duft erfüllten. Alistair betrachtete es eher als vielversprechende Investition.

Hetty parkte den Wagen hinter Alistairs Porsche, stieg aus und holte eine Kiste mit Lebensmitteln von der Rückbank. Sie hatte all seine Lieblingssachen gekauft: entrahmten Gloucester-Käse mit Brennnessel aus einem bestimmten Käseladen in Covent Garden, schottischen Wildlachs, für den sie eine halbe Stunde angestanden hatte, und hausgemachte Schokoladentrüffel aus einer erlesenen Patisserie. In einer Isotasche hatte sie selbst gemachtes Eis. Nur auf diesem Weg konnte sie sich seine Lieblingssorte leisten, und sie verwöhnte ihn gern.

Sie hatte trotzdem alles zeitig geschafft, es war erst zehn Uhr. Das ganze wunderbare Wochenende in trauter Zweisamkeit lag vor ihnen, und auch das ruppige Januarwetter konnte ihre Laune nicht dämpfen. Sie liebte Winterspaziergänge, vorausgesetzt es gab heiße Crumpets mit Butter vor dem Kamin zur Belohnung. Sie hatte sowohl die flachen Kuchenbrötchen als auch Butter besorgt, für den Fall, dass Alistair es vergessen hatte.

Hetty besaß einen Schlüssel zum Cottage für Fälle wie diesen, wenn sie nicht zusammen herkommen konnten. Sie trat ein, stellte ihre Kiste ab und rief: »Alistair? Bist du da?«

Sie wusste, dass er zu Hause war, denn sein Wagen parkte draußen, und er stand nie früh auf am Wochenende. Vielleicht schlief er sogar noch, eine weiche Haarlocke auf der Wange und die Lider mit den langen, gebogenen Wimpern geschlossen, sodass sein Gesicht eine jungenhafte Unschuld hatte, von der nichts übrig blieb, wenn er wach war. Einen Moment wünschte sie, sie hätte nicht gerufen, sondern wäre auf Zehenspitzen die Treppe hinaufgeschlichen, um ihn mit einem Kuss zu wecken. Aber es war zu spät.

»Komm rauf«, rief er, eindeutig wach und vermutlich von Zeitungen umgeben. »Ich bin im Bett.«

Hetty lächelte nachsichtig und überlegte, ob er im Bett geblieben war, um sie hineinzulocken, oder einfach nur ausgeschlafen hatte. Sie wusste, er war gestern Abend bei einem halb geschäftlichen Dinner gewesen, darum hatten sie nicht zusammen herkommen können. Wenn es spät geworden war, war er sicher müde.

Sie stieg die Wendeltreppe hinauf, drückte die Klinke der Schlafzimmertür und trat ein.

Nicht halb gelesene Samstagsbeilagen umschmiegten Alistair, sondern die Arme einer großen, schlanken, blonden Frau, ein paar Jahre älter als Hetty und ein paar Klassen abgebrühter.

Als Hetty eintrat, fuhr das Paar nicht schuldbewusst auseinander, wie die Konvention es doch eigentlich vorschrieb. Sie blieben, wo sie waren, und Alistair hatte der Frau trotzig den Arm um die Schultern gelegt.

Hetty starrte sie an, unfähig, das Bild zu deuten, das sich ihr bot und das um so bizarrer schien, als sie den Eindruck hatte, dass die beiden sie erwartet hatten. Halb rechnete sie damit, dass sie plötzlich aus dem Bett springen und ihr verkünden würden, sie habe irgendeinen obskuren Preis gewonnen. Aber nichts dergleichen. Sie blieben einfach liegen und erwiderten ihren Blick, Alistair selbstzufrieden, die Blondine mehr als nur ein bisschen unbehaglich.

Hettys Unfähigkeit, das Offensichtliche zu glauben, verflog, stattdessen stellte sich das Gefühl ein, sie habe sich eine schwere Grippe gefangen. Ihr war schwindelig, und der Fußboden schien sie mit enormer Kraft zu sich hinunterzuziehen. Sie erkannte, wenn sie sich nicht vorsah, würde sie in Ohnmacht fallen.

»Tut mir Leid, dass wir dich so damit überfallen, Hetty«, sagte Alistair, »aber zwischen uns war ja nie etwas Ernstes, und alle guten Dinge müssen irgendwann enden. Das hier schien der beste Weg, es dir beizubringen.«

»Ah ja?«, hörte Hetty sich sagen. »War dir das Telefon zu konventionell? Du fandest nicht, dass du es beiläufig hättest in die Unterhaltung einfließen lassen können, als wir gestern zusammen zu Mittag gegessen haben?«

Alistair schüttelte in aller Gelassenheit den Kopf. »Ich hatte eine wichtige Besprechung am Nachmittag, da konnte ich wirklich keinen zusätzlichen Ärger gebrauchen.«

Hetty fühlte keine Wut, sie wurde die personifizierte Wut, so heiß und tödlich wie das weiß glühende Zentrum eines Vulkans. Sie trat ohne bewussten Entschluss an das Bett und fegte das Federkissen zu Boden.

»Hey«, sagte die Frau. »Hören Sie, es tut mir Leid … aber … was tun Sie denn da?«

Alistair schlief unter Leinenlaken – nichts Synthetisches durfte seine Haut je berühren, mit Ausnahme, stellte Hetty wie aus großer Distanz fest, der blonden Haarpracht an seiner Seite. Eins dieser Laken, ein Erbstück von seiner Mutter, bedeckte ihn und seine Bettgenossin auch jetzt. Es hatte ein eingesticktes Monogramm in einer Ecke und breite Säume an Kopf- und Fußende. Sie hatte persönlich zwei Stunden damit verbracht, es zu bügeln, weil sie es irgendwie versäumt hatte, es in die Wäscherei zu geben. Wie aus dem Nichts tauchte die Erinnerung auf, dass das Laken im oberen Drittel ein winziges, sorgsam gestopftes Loch aufwies.

Sie hätten eigentlich gewarnt sein sollen, als Hetty das Federbett wegzog, aber Alistair und seine Freundin rechneten nicht mit Tätlichkeiten. Hetty riss ihnen das Laken mühelos aus kraftlosen Fingern, was der Blondine einen entsetzten Schrei und Alistair ein empörtes »Hey!« entlockte.

Doch sie brauchten sich ihrer Blöße nicht zu genieren, Hetty würdigte sie keines Blickes, sondern packte das Laken, schlug die Zähne in den weichen Stoff und riss mit den Händen daran, mit den fließenden Bewegungen eines Zauberers, der bunte Taschentücher aus seinem Mund hervorzieht. Der Laut, mit dem das antike Leinen zerriss, hatte etwas wunderbar Befriedigendes und übertönte Alistairs Protestschreie und die Vorhaltungen der Blondine. Erst als das Laken in zwei Hälften zu ihren Füßen lag, hob Hetty den Kopf.

Die Frau hatte das Federbett aufgehoben und verkroch sich darunter. Alistair war wütend aus dem Bett gesprungen und kam auf sie zu.

»Du kleines Miststück! Das ist eine Antiquität, die du da ruiniert hast. Und du wirst es kunststopfen lassen!«

Auf ihrer Zorneswolke fühlte Hetty sich erhöht, unüberwindlich. Trotzdem wich sie Alistairs wütendem Angriff lieber aus, verließ das Schlafzimmer und schloss die Tür. Dann rief sie: »Du bist ein Dreckskerl, Alistair! Ein Feigling und ein Dreckskerl! Du hast mir nicht gesagt, dass es aus ist, weil es dir zu viel Mühe gemacht hätte. Also hast du deine Freundin geholt, um dir dabei zu helfen.«

»Es besteht keine Notwendigkeit, ausfallend zu werden …«

»Es besteht vielleicht keine Notwendigkeit, aber es ist verdammt noch mal gerechtfertigt!«

Sie trat hastig den Rückzug an und lief die Treppe hinab, ehe Alistair seine seidenen Boxershorts gefunden hatte und die Verfolgung aufnehmen konnte. Sie verließ das Haus, ließ die Tür weit offen, fand den Schlüssel in der Manteltasche und schloss den Wagen auf.

Die blinde Wut ebbte ab. Sie brauchte ein paar Versuche, ehe der Wagen ansprang, und legte versehentlich den ersten statt des Rückwärtsgangs ein. Der Wagen machte einen Satz nach vorn und prallte gegen Alistairs Porsche.

Das war keine Absicht gewesen, und sie hatte nur die Stoßstange geküsst und wenig Schaden angerichtet. Aber es tat ihr so gut, dass sie ein Stück zurücksetzte und das Manöver mit mehr Gas wiederholte. Der nächste Aufprall hatte schon deutlich mehr Karacho. Beim dritten Mal fuhr sie Alistair eine richtige Beule in den Wagen, hörte aber ebenso ein unheilvolles Scheppern an ihrem eigenen. Sie setzte gerade zum vierten Versuch zurück, als Alistair in der Tür erschien.

Das Laken war schon schlimm genug, aber sie konnte es sich wirklich nicht leisten, die Reparatur seines Porsche zu bezahlen. Besser er merkte nicht, was sie getan hatte, ehe sie weit weg war. Also legte sie den ersten Gang ein und floh.

Sie war den ganzen Weg von London hergekommen, es war ausgeschlossen, jetzt wieder zurückzufahren. Das Zornkorsett, das sie bislang aufrecht gehalten hatte, löste sich auf. Sie hatte zu zittern begonnen und würde in absehbarer Zeit in Tränen ausbrechen.

Ihre Eltern. Obwohl sie in der Nähe wohnten und Hettys Mutter in regelmäßigen Abständen Einladungen zum sonntäglichen Mittagessen aussprach, wenn Hetty und Alistair das Wochenende auf dem Land verbrachten, waren sie nie hingefahren. Alistair hielt Eltern für eine ausgesprochen anstrengende Spezies, die man außer in begründeten Ausnahmefällen – etwa finanziellen Engpässen – tunlichst meiden sollte. Darum wusste Hetty den Weg nicht, aber als sie auf die Hauptstraße zurückkam, fand sie ein Hinweisschild zu einer Ortschaft, die sie kannte. Sie war vielleicht zehn Meilen gefahren, als ihr Auto zu streiken begann.

»Bring mich nur hin«, flehte sie, als Dampf aus dem Kühler aufzusteigen begann. »Bitte, egal wie, aber bring mich hin.«

Der Wagen tat sein Bestes, aber er war ein altes Gefährt, ein betagter Ford Escort, dessen Anschaffung sie ihre gesamten Ersparnisse gekostet hatte und dessen Unterhalt inzwischen den Großteil ihrer liquiden Mittel aufzehrte. Er war nicht daran gewöhnt, als Angriffswaffe missbraucht zu werden, und auch wenn er ihr treu ergeben war, gab er doch kurz vor dem Ziel den Geist auf.

Hetty schaffte es gerade noch, an den Straßenrand zu rollen, und stieg dann hastig aus, für den Fall, dass der Wagen explodierte. Dann rannte sie den Weg zum Bungalow ihrer Eltern hinab und hämmerte an die Tür. Ihre Mutter öffnete. »Hallo, Liebling. So eine Überraschung. Hast du Alistair mitgebracht?«

Hetty öffnete den Mund und fing an zu schluchzen.

1. Kapitel

»Jetzt wirst du doch sicher zurechtkommen, nicht wahr, Liebling«, sagte Hettys Mutter. Es war mehr ein Befehl als eine Frage.

»Wenn nicht, dann ist es deine Schuld«, murmelte Hetty, als sie das Köfferchen ihrer Mutter im Kofferraum des Clio verstaute.

»Was sagst du?« Ihre Mutter kam wieder zum Vorschein, nachdem sie irgendetwas auf der Rückbank abgelegt hatte.

»Nichts.« Hetty rang sich ein Lächeln ab. »Ich werde bestens zurechtkommen.«

»Ganz bestimmt.« Mrs Longden sprach, als habe es daran nie den geringsten Zweifel gegeben. »Das Geld sollte vorläufig erst einmal reichen, Samuel scheint damit reichlich gesegnet. Aber lass mich wissen, wenn es knapp wird. Und ich werde dir ein Auto besorgen. Dann kannst du Samuel besuchen und bist hier nicht so isoliert.« Sie sah den schmalen Weg entlang, der durch den ehemaligen Park des großen Landsitzes führte. Der Weg war von wundervollen Bäumen gesäumt, aber man konnte weit und breit kein anderes Haus sehen. »Nun, du wirst nicht wirklich isoliert sein …«

Sie wussten beide, dass das gelogen war.

»Ich sagte doch, ich komm' zurecht«, wiederholte Hetty. »Und wenn du jetzt nichts losfährst, bleibst du in Guildford im Berufsverkehr stecken.«

Hetty war nicht gerade glücklich darüber, mitten im Nirgendwo in einem verfallenen Landhaus ausgesetzt zu werden, wo es vermutlich spukte, aber da das nun mal ihr Schicksal war, wünschte sie, ihre Mutter ließe sie allein, damit sie sich damit vertraut machen konnte.

»Im Laden im Dorf gibt es alles, was man sich nur denken kann, und du kannst auf Samuels Namen anschreiben lassen. Er hat gesagt, das sollst du. Und es sind nur zehn Minuten zu Fuß.« Da ihre Mutter niemals irgendwohin zu Fuß ging, musste diese Einschätzung nicht unbedingt richtig sein. »Und es sind so reizende Leute.«

Mit »reizend« meinte Hettys Mutter »gebildet« und »der Mittelschicht angehörend«. Beim Kauf einer Flasche Milch und eines Pakets Cornflakes hatte sie in Erfahrung gebracht, dass die Ladenbesitzer aus London kamen und kurz vor dem letzten Börsenkrach aufs Land geflüchtet waren, um die Annehmlichkeiten des Stadtlebens gegen ländliche Idylle zu tauschen.

»Ich weiß. Du hast es mir schon gesagt. Ich werde vorbeigehen, wenn du weg bist«, sagte Hetty. »Ich brauche Katzenfutter.«

Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Hm. Samuel hätte die Katze erwähnen sollen. Nun ja, sie sieht steinalt aus. Ich bin sicher, sie lebt nicht mehr lange.« Sie öffnete die Fahrertür. »So, jetzt muss ich aber wirklich los.«

Nach diversen Abschiedsküssen, längerem Schlüsselsuchen und Türenschlagen sah Hetty den Wagen ihrer Mutter schließlich davonfahren. Sie seufzte tief, und dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihre Mutter daran zu erinnern, das Telefon wieder anschließen zu lassen. Mist! Sie rang ein heftiges Gefühl von Verlassenheit nieder und ging zurück ins Haus.

Der Landsitz war seit der Zeit der Rosenkriege im Familienbesitz der Courtbridges, war in ununterbrochener Linie vom Vater an den Sohn gegangen, bis im Ersten Weltkrieg drei männliche Erben ums Leben kamen und das Erbe an das entfernteste, dünnste Zweiglein des Stammbaums fiel. Diese Linie war längst nicht so fruchtbar. Hettys Großonkel Samuel, der vor einer schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Operation stand, war nur ein entfernter Verwandter des letzten Erblassers gewesen. Und sein Erbe wiederum war nicht nur genealogisch in weiter Ferne, sondern auch geographisch. Das letzte Mal hatte er sich aus einem Winkel der Welt gemeldet, der vormals Teil der UdSSR gewesen war.

Hettys Mutter war das einzige Familienmitglied, das wusste, wer wen geheiratet hatte und wer zu wem in welchem Verwandtschaftsverhältnis stand. Sie hatte ein ausgeprägtes familiäres Pflichtbewusstsein, und als ihr Onkel – »Er ist eigentlich gar nicht mein Onkel, Liebling, sondern ein Cousin dritten Grades, aber die Generationen sind alle durcheinander geraten.« – krank wurde, war Hettys Mutter diejenige, an die er sich gewandt hatte. Er hatte sie gebeten, mit seinem Quasi-Neffen Kontakt aufzunehmen und ihn zu bitten, herzukommen und nach dem Haus zu sehen. Auf keinen Fall dürfe es länger als ein paar Tage leer stehen.

Aber nach tagelangen Kämpfen mit Telefon und Fax, die ihr nichts weiter einbrachten als trommelfellgefährdende Piepstöne, hatte sich selbst Mrs Longdens Entschlossenheit erschöpft. Als sie den Hörer schließlich resigniert einhängte, wandte sie sich zu Hetty um.

»Ich glaube sowieso nicht, dass er gekommen wäre. Er kommt nie zu Familienfesten, sonst hätten wir ihn kennen gelernt. Vermutlich ist er zu sehr damit beschäftigt, Geld zu machen, um seine Pflicht zu tun.« Dann hatten sich ihre Augen plötzlich verengt. »Du weißt doch eigentlich im Moment sowieso nichts Rechtes mit dir anzufangen, Liebling. Du könntest dich nicht vielleicht ein Weilchen um das Haus kümmern? Es ist ein wundervolles altes Haus in einer malerischen Gegend. Kannst du dich noch erinnern, als du dort Brautjungfer warst? Du warst damals enorm beeindruckt von dem Haus.«

»Mutter, ich war fünf Jahre alt …«

Und so kam es, dass Hettys Leid in Form einer abrupt beendeten Beziehung des anderen Freud' wurde.

»Wenn du schon nicht glücklich sein kannst, dann kannst du dich wenigstens nützlich machen«, hatte ihre Mutter gesagt, als Hetty Einwände erhob. Nachdem sie drei Wochen versucht hatte, Hetty »aus dem Sumpf zu ziehen«, hatte sie alle Hoffnung fahren lassen, ihre Tochter je wieder lachen zu hören.

Hetty hatte all ihre wohlmeinenden Bemühungen über sich ergehen lassen, aber sie dachte, wenn sie sich noch länger ein strahlendes Lächeln für die Freundinnen ihrer Mutter abringen musste, während sie mit ihnen Essen auf Rädern verteilte oder den Verkaufsstand der Fraueninitiative bemannte, dann hätte sie wirklich Grund, allem ein Ende zu bereiten. Und nachdem sie die Unabhängigkeit ihrer Wohnung in London zusammen mit ihrem Job und Alistair aufgegeben hatte, fand sie es schwierig, wieder zu Hause zu leben. Diese Möglichkeit, ungestört zu leiden, hatte durchaus ihren Reiz. Sie willigte ein, das Haus zu hüten, bis ihre Mutter den Erben aufgespürt hatte oder ihr Onkel Samuel weit genug genesen war, um heimzukommen.

Das Haus hatte ein bisschen Fürsorge bitter nötig, dachte sie, als sie in die Küche zurückkehrte. Das Bild, das sich ihr bot, war grauenhaft genug, um sie von ihrem Kummer abzulenken.

Die Küche war voll gestopft mit antiken Küchenutensilien, noch voller gestopft mit Gerümpel und besaß keinerlei moderne Annehmlichkeiten.

Mannigfaltige Schränke reihten sich an den Wänden auf, sodass es so gut wie keine Arbeitsfläche gab. Manche der Schränke waren aus billigem Kunststoff, andere mochten unter den diversen Farbschichten Nadelholz verbergen, einer, der ziemlich verschrammt war, war aus Mahagoni. Sie alle verband eine dicke Staubschicht, und sie waren so mit Geschirr voll gestopft, dass man die Türen nur mit Brachialgewalt schließen konnte.

Ein großer Küchentisch, die einzige horizontale Fläche außer dem Abtropfbrett der Spüle, stand voll mit allem möglichen Zeug. Salztöpfe aus Steingut, rostige Brotkörbe, ein paar Milchkannen aus Kupfer, Bonbongläser und ein Butterfass, das nicht dort stand, um dem Raum Charakter zu verleihen, sondern weil niemand es je weggeräumt hatte, geblümte Keksdosen, antike Vorratsgläser und eine altmodische Schreibmaschine – möglicherweise ein früher Prototyp – rangelten Schulter an Schulter mit einem Gestell billigen Bistrobestecks und einem Berg Stapelkisten aus Plastik. Antiquitätenmesse meets Tupperware-Party. Selbst in ihrem Zustand tiefer Depression konnte Hetty sich angesichts dieses bizarren Stilllebens ein Lächeln nicht verkneifen.

Unter all dem Plunder mochten sich ein paar Schmuckstückchen verbergen, dachte Hetty, die ein paar hundert Pfund brachten, wenn man sie den richtigen Londoner Geschäften anböte. Und in diesen antiken Schränken und Vorratsgläsern wimmelte es vermutlich von Rüsselkäfern, Mehlwürmern, Silberfischen und Bohrasseln. Da sie hier ihre einsamen Mahlzeiten zubereiten musste, würde sie sich des Problems bald annehmen müssen. Nur gut, dass sie nicht so pingelig war wie ihre Mutter, die sie so bedenkenlos dazu verurteilt hatte, in dieser Mischung aus Trödelladen und Insektenzoo zu leben.

Jetzt war sie jedenfalls hier, also musste sie irgendwie damit zurechtkommen. Hetty wandte den Blick vom Tisch ab und nahm den Herd in Augenschein.

Wo einst ein gewaltiger Kohleofen über die Küche und ein Heer von Mägden geherrscht hatte, stand jetzt ein Herd irgendeines obskuren Fabrikats. Er wirkte verloren unter dem Rauchabzug seines um ein vielfaches größeren Vorgängers, lief aber im Gegensatz zu diesem mit Öl und war auf kleinster Flamme eingeschaltet geblieben, damit die Wasserrohre nicht einfroren. Nach einer längeren Experimentierphase war es Hetty und ihrer Mutter gelungen, ihn auf volle Kraft hochzufahren. Während sie mit Hähnen und Reglern herumhantierten, hatten sie die Tür des untersten Ofens weit geöffnet, und eine alte Katze war herausgetaumelt. Nachdem sie die Milch getrunken hatte, die Hetty ihr augenblicklich hinstellte, verschwand sie wieder dahin, woher sie gekommen war, und blieb die ganze Nacht dort.

Jetzt ließ Hetty den Blick über die Küche schweifen, um festzustellen, ob die Katze wieder aufgetaucht war. Sie wollte ihr ihre restlichen Cornflakes anbieten. Aber sie lag immer noch im Ofen.

Da ihr selbst diese wenig tröstliche Gesellschaft verwehrt blieb, nahm Hetty die Teller und Cornflakesschälchen, die sie und ihre Mutter gebraucht hatten, und stellte sie in die rissige Porzellanspüle. Es hatte etwas unendlich Deprimierendes, das Geschirr von zweien abzuwaschen, wenn man allein war.

Und der Zustand der Küche trug nicht gerade dazu bei, sie aufzuheitern, obwohl hier nichts war, das sich mit gründlichem Saubermachen und ein paar Möbelkäufen nicht beseitigen ließ. Für einen Rittersaal war der Raum zu klein, dachte sie, aber er eignete sich hervorragend als Familienküche – vorausgesetzt, die Familie war etwa so kinderreich wie die der Trapps.

Aber wie dem auch sein mochte – Selbstmitleid brachte sie nicht weiter. Sie wusste nicht so recht warum, jedenfalls holte sie Luft und entließ die ersten Töne von »Little Girl Blue« in die staubige Luft.

Im Gegensatz zu ihrer Stimme, die eingerostet war, war die Akustik der Küche sehr gut. Die hohe Decke, überzogen mit einer Patina aus Staub, Fliegendreck und Spinnweben, verlieh den leisen Klängen ein angenehmes Echo.

Es war so lange her, seit sie zuletzt gesungen hatte. Bevor sie ihr Elternhaus verlassen hatte, um nach London zu ziehen, war es ein Hobby. Sie hatte mit einer Freundin zusammen gesungen, vorzugsweise Jazz, aber eigentlich auch alles andere bis auf Oper. Sie führten die örtlichen Carol Singers an, veranstalteten regelmäßig ein offenes Singen im Altersheim oder sonst wo und hatten einen Heidenspaß dabei.

Aber Alistair hatte gleich zu Beginn ihrer Beziehung deutlich gemacht, dass er ein Opera-buffa-Liebhaber war. Amateure (und zu dieser Kategorie zählte Hetty eindeutig) waren ihm unerträglich. Seither hatte sie lediglich im Auto gesungen, und das auch nur, wenn sie alleine fuhr. Doch seit dem bedauerlichen Hinscheiden ihres Autos und dem katastrophalen Ende ihrer Beziehung hatte sie weder Gelegenheit noch Lust gehabt zu singen.

Sie wünschte, sie hätte eine etwas weniger melancholische Nummer ausgewählt, summte aber weiter und trat ans Fenster, um festzustellen, ob der Schmutz eher innen oder außen an den Scheiben haftete. Ihr feuchtes Papiertaschentuch wurde schwärzlich, doch es bewirkte keine erkennbare Besserung des Durchblicks. Der Dreck war also beidseitig, und das Efeu, das an der Mauer wucherte, hatte sich weit aufs Glas vorgewagt. Was sie brauchte, war ein tatkräftiger Fensterputzer aus dem Ort, der das Efeu zurückschnitt und die Scheiben polierte. Da solche Figuren aber so fiktiv waren wie der Weihnachtsmann, würde sie sich auf die Suche nach Eimer, Putzlappen und einer Leiter begeben müssen.

Als ihr Lied zu Ende war, spähte sie in den Ofen. »Komm raus, Miez«, rief sie. »Komm und sag deiner Tante Hetty guten Tag. Zeig mir, dass du noch lebst.« Ein steifer kleiner Katzenleichnam würde sie schnurstracks zurück in die Abgründe der Depression befördern.

Die Katze tat ihr den Gefallen und streckte vorsichtig eine Pfote heraus. Doch obwohl es im Ofen langsam heiß wurde, wagte sie sich nicht in die Küche hinaus. Hetty konnte sie gut verstehen. Sie hatte den Ofen die ganze Nacht auf voller Kraft laufen lassen, doch der einzige spürbare Temperaturunterschied zwischen der Küche und der freien Natur bestand darin, dass der eisige Februarwind hier drinnen nicht wehte.

»Na, komm schon.« Sie streckte die Hand aus. »Komm raus und erzähl mir, wer dich gefüttert hat.«

Die Katze miaute fast lautlos, ließ sich dazu herab, die Hand zu beschnüffeln, und ehe Hetty wusste, wie ihr geschah, hatte das Tier sich ihre jeansbekleideten Beine bis zu ihrer Schulter hinaufgekrallt. Sehr lautes Schnurren drang ihr ins Ohr. Hetty war ein wenig überrumpelt, aber immerhin dankbar, dass sie wegen der Kälte jedes Kleidungsstück trug, das sie mit hergebracht hatte. Sie stellte fest, dass die Katze extrem schlechte Zähne hatte.

»Ich glaube kaum, dass es im Laden Mundwasser für Katzen gibt, selbst wenn das Sortiment so wunderbar ist, wie Mum behauptet«, sagte sie. »Aber ich sollte trotzdem mal hingehen.«

Die Katze blieb auf ihrer Schulter, während sie sich auf die Suche nach ihrer Handtasche machte. Es war eine warme, tröstliche, wenn auch etwas schwere Präsenz. Hetty summte in der Tonlage des Schnurrens. Man konnte es kaum als singen bezeichnen, doch das Wiedererwachen ihrer Stimmbänder hob ihre Laune.

Hetty befreite sich von der Katze und zog die Barbour-Jacke ihres Vaters an, die sie ohne sein Wissen geborgt hatte, und begab sich dann über den baumgesäumten Weg zu der kleinen Ansammlung von Cottages, die zusammen mit dem Dorfladen, der Kirche, der ehemaligen Schule und dem Pub die präsentable Hälfte des Örtchens ausmachte. Die Sozialwohnungsbauten, Autowerkstätten und Gewerbebetriebe hatte man außer Sichtweite des erhaltungswürdigen Ortskerns errichtet.

Am Ende der Allee hielt Hetty an und sah zum Haus zurück. Als sie am Abend zuvor angekommen waren, war es schon dunkel, darum war dies die erste Gelegenheit, um es nach mehr als zwanzig Jahren wieder in Augenschein zu nehmen.

Drei ungleiche Giebel aus graugoldenem Stein reckten sich gen Himmel. Aus einem ragte ein Erker mit drei Fensterreihen hervor, gekrönt von einem brustwehrartigen Balkon. Das war vermutlich der jüngste Teil des Hauses, aus der Zeit, da der Wollhandel den Reichtum ebenso wie die Schafherden der Gegend anschwellen ließ. Offenbar hatte die Familie ihren Wohlstand aller Welt zeigen wollen. Sie stellte sich die fein gekleidete Dame des Hauses im sechzehnten Jahrhundert vor – die eine auffällige Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hatte -, die seine Lordschaft aufforderte, den Erker anbauen zu lassen, damit sie ein sonniges Plätzchen zum Sticken hatte.

Der mittlere Giebel war breiter und flacher, der ursprüngliche Kern des Hauses, wo sich die Halle und die Küche befanden. Er stand seit dem finsteren Mittelalter und war, nach der Küche zu urteilen, seither kaum verändert worden. Der dritte Giebel war kleiner und hatte ebenfalls einen Erker, der die Morgensonne für das einstige Damenzimmer einfing, das inzwischen zum Wohnzimmer degradiert worden war. Dachpfannen im gleichen Graugoldton lugten zwischen dem dichten Efeu hervor, das bis zu den Schornsteinen hinaufrankte, die in Dreiergruppen zusammengedrängt standen. Wann waren sie wohl zuletzt gefegt worden?, fragte sie sich.

Es war kein Haus für Puristen. Zu viele ungenehmigte Veränderungen waren vorgenommen worden, als dass man seine Geschichte deutlich hätte ablesen können. Es war kein perfektes Beispiel irgendeiner Epoche. Aber für Leute, die das Geheimnisvolle mochten, die gern rätselten, was wann und wo angebaut worden war, war es das reinste Paradies. Das letzte Mal hatte Hetty das Haus an einem warmen Sommertag gesehen. Ein riesiges Zelt war im Garten errichtet worden; es war die Hochzeit irgendeines Vetters. Hetty, die kleine Brautjungfer im Laura-Ashley-Rüschenkleid, war mit ihrer Partnerin durch das Haus gestreift und hatte gedacht, wie riesig und geheimnisvoll es doch war. Seltsamerweise war es mit den Jahren nicht kleiner oder weniger geheimnisvoll geworden.

Das Dorf, das sie gute zwanzig Minuten später erreichte, zeigte deutliche Anzeichen vom Kampf ums nackte Überleben. Die Schule, die dem Pub gegenüber auf der anderen Seite der Wiese stand, war kürzlich in ein privates Wohnhaus umgewandelt worden, wie man an den Blumenbeeten im Schulhof und dem schmiedeeisernen Schild »Die alte Schule« unschwer erkennen konnte.

Die Kirche, in der sie damals Brautjungfer gewesen war, war noch in Betrieb, genau wie der Pub. Doch immer mehr Leute zogen in die Nähe ihrer Arbeitsstätte, und ihre Cottages wurden als Wochenendhäuser an Londoner Yuppies verkauft, die es eher selten in die Kirche zog. Samuel hatte den Niedergang der ländlichen Gesellschaft beklagt, als sie ihn besucht hatten.

»Bald wird es in jedem Haushalt zwei Autos und keine Kinder geben«, hatte er gemutmaßt. »Und niemand gibt sein Geld mehr im Ort aus. Ich hoffe nur, diese jungen Leute im Laden können sich halten.«

»Die jungen Leute« taten jedenfalls ihr Bestes, doch die Bekanntmachungen, die im Schaufenster aushingen, schienen Samuels Befürchtungen zu bestätigen: Der Ortsverband der Fraueninitiative war mit dem des nächsten Dorfes fusioniert, der Pastor hatte Pflichten in anderen Gemeinden, und der Bus kam nur noch zweimal pro Woche. Kein Wunder, dass alle zwei Autos und keine Kinder hatten, dachte Hetty und öffnete todesmutig die Ladentür.

Selbst wenn sie nicht gerade an einer komplizierten Herzfraktur litt, war Hetty eher schüchtern. Die Vorstellung, einen kleinen Lebensmittelladen zu betreten, hätte sie normalerweise zwar nicht nervös gemacht, doch Hettys Mutter glaubte fest an den Grundsatz, dass geteiltes Leid halbes Leid ist, dass es also umso besser sei, je mehr Leute man daran teilhaben ließ, und sie hatte beim Dorfladen vermutlich keine Ausnahme gemacht. Jeder, angefangen von den Eigentümern bis hin zum Vertreter auf der Durchreise, der für ein Sportmagazin und ein Päckchen Zigaretten angehalten hatte, war mit Sicherheit über alles im Bilde, denn ihre Mutter hatte eine tragende Stimme. Ohne Zweifel hatte sie einen detaillierten Bericht über Hettys gemeinen, lüsternen Boss abgegeben, der sie schamlos verführt, ihr Herz gebrochen und dabei auch gleich noch ihre Karriere ruiniert hatte. Und deswegen erforderte selbst der Einkauf von ein paar Dosen Katzenfutter ein gerüttelt Maß an Mut.

Doch sie fühlte sich ohnehin schon so elend, überlegte Hetty, dass die öffentliche Demütigung es auch nicht mehr schlimmer machen konnte. Und es bestand immerhin die klitzekleine Chance, dass ihre Mutter ausnahmsweise einmal den Mund gehalten hatte. Es wäre doch eine Schande, die Katze grundlos verhungern zu lassen.

Trotz dieser aufmunternden Gedanken hatte sie immer noch das Gefühl, sie betrete das Wartezimmer beim Zahnarzt, als sie die Tür öffnete und das altmodische Glöckchen ihre Ankunft mit einem beklagenswerten Mangel an Diskretion ankündigte. Es fiel jedoch niemand über sie her, und Hetty konnte fast unbemerkt hineinschlüpfen.

Der Laden war in zwei Bereiche aufgeteilt. Der eine war ein gewöhnlicher Supermarkt mit allen lebenswichtigen Grundnahrungsmitteln: Brot in Scheiben, Dosensuppen, Corned Beef und Kekse. Die andere Hälfte war ein Feinkostladen für anspruchsvolle Yuppies. Hier war das Schlachtfeld des Überlebenskampfes – wenn dieser Laden unterging, dann lag es nicht daran, dass er nicht mit sonnengetrockneten Tomaten und Porcini sein Bestes gegeben hätte.

Schinken aus der hauseigenen Räucherkammer lagen auf Porzellansäulen, hausgemachte Würste mit Trüffeln und getrockneten Preiselbeeren lagen fett neben Schalen mit Kalamata-Oliven und Schafskäse aus der ortsansässigen Molkerei. Olivenöl in Weinflaschen, Arborioreis in Leinensäcken und Naturschokolade aus hundert Prozent echtem Kakao, alles appetitanregend in Weidenkörben präsentiert. Weiter gab es einen Stapel in Seidenpapier gewickelter Brotlaibe, dunkelbraun, gesund und kernig, gleich neben einem Berg Vollwert-Ciabattas, echten französischen Baguettes und einem Korb voller Croissants.

Die Eigentümer hatten sich offenbar zum Ziel gesetzt, jeden Geschmack zu treffen, den der einheimischen Bevölkerung, deren Kinder ihre Baked Beans gern schön orange gefärbt hatten, und den der ernährungsbewussten Wochenendler, die esoterischere Ansprüche stellten.

Der Mann hinter der Ladentheke war groß und gut aussehend. Er trug einen Strohhut und eine blau gestreifte Schürze und lächelte Hetty strahlend an, als sie hereinkam, statt augenblicklich danach zu fragen, wie sie hatte zulassen können, dass dieser Mistkerl ihr all diese furchtbaren Dinge antat. Ein gutes Zeichen. Entweder war er mit einem Mindestmaß an Taktgefühl gesegnet, oder ihre Mutter hatte nicht sämtliche Geheimnisse ihrer Tochter ausgeplaudert.

Sie sagte guten Morgen, nahm einen der Körbe – aus Weidengeflecht statt dem sonst üblichen Draht – und streifte die Regale entlang, bemüht, Interesse für irgendetwas aufzubringen, das ihre Mutter als nahrhaft bezeichnet hätte. Hetty verspürte kein Bedürfnis nach ausgewogener Kost – sie wollte Kummerfutter: heiß, süß und kalorienreich. Sie ergriff eine Dose Pilzsuppe als Zeichen ihres guten Willens, dann entdeckte sie die Raviolikonserven.

Sie überlegte gerade, ob die Katze eine bestimmte Futtermarke bevorzugte, als eine hübsche Frau in einem weißen Overall und einer langen Schürze herüberkam und ihre Hand ergriff.

»Hallo, ich bin Angela Brewster. Sie müssen Hetty Longden sein. Sie sind hergekommen, um nach dem Herrenhaus zu sehen?« Hetty schüttelte die Hand und nickte. »Ihre Mutter sagte, Sie seien hier. Wir sind ja so erleichtert, dass sich jetzt jemand um das Haus kümmert. Es steht schon viel zu lange leer. Außerdem hat mein Sohn keine Lust mehr, die Katze zu füttern.«

Hetty lächelte. »Er war das also? Das war sehr freundlich. Meine Mutter und ich wussten nicht, dass es eine Katze gibt, bis wir die Ofentür geöffnet haben und sie herausspaziert kam.«

»Typisch Katze, die kommen immer irgendwie zurecht.«

»Vielleicht können Sie mir sagen, wie sie heißt und welche Futtersorte sie mag?«

»Sein Name ist Clovis, und er mag die billigste Marke.« Sie nahm eine Dose in die Hand. »Leider.«

Das Glöckchen an der Tür klingelte wieder, und eine athletische Frau mit einem dichten Schopf grauer Haare und gesunden roten Apfelbäckchen trat herein. »Oh, da kommt Mrs Hempstead, ich werde Sie bekannt machen«, murmelte Angela. »Sie ist eine der Führerinnen.«

»Führerinnen?«, fragte Hetty verständnislos. Sie flüsterte genau wie Angela. »Wen führt sie und wohin?«

Angela schüttelte verwirrt den Kopf. »Sie macht die Führungen im Herrenhaus. Während der Besuchszeiten.«

Hetty entsann sich vage, dass ihre Mutter erwähnt hatte, das Haus sei im Sommer für Besucher geöffnet. »Ach so. Nun, ich glaube kaum, dass ich bis dahin noch hier sein werde.«

Angela schien überrascht. »Nein? Ich dachte, Ostern sei früh dieses Jahr? Jedenfalls sollten Sie sich von Mrs Hempstead nicht überfahren lassen«, fuhr sie fort. »Sie meint es gut, aber sie kann manchmal ein bisschen dominant sein, und sie scheint zu glauben, das Haus gehöre ihr. Sie ist eine eifrige Heimathistorikerin und lebt schon seit Ewigkeiten hier. Sie wird Sie fürchterlich herumkommandieren, wenn Sie nicht … Mrs Hempstead! Wie gut, dass Sie gerade vorbeikommen. Dies ist Hetty Longden. Sie ist hergekommen, um sich um das Haus zu kümmern.«

Hetty ließ sich zu der Frau führen und überlegte immer noch, was Angelas Bemerkung über Ostern zu bedeuten hatte.

Mrs Hempstead ergriff Hettys Hand und überprüfte ihren Händedruck zweifellos auf Anzeichen verborgener Charakterschwächen. »Meine Güte, Sie sind ja noch so jung!«

»Vierundzwanzig«, sagte Hetty.

Mrs Hempstead schnalzte mit der Zunge. »Und was wissen Sie über die Arbeit, die ein so großes historisches Bauwerk mit sich bringt?«

»Nichts.«

Mrs Hempstead stieß die Luft aus. »Nun ja, Sie sind bestimmt immer noch besser als dieser schreckliche Neffe. Sie werden wenigstens keinen Rummelplatz daraus machen wollen.« Sie betonte das Wort so vielsagend, um glasklar zu machen, dass sie in Wirklichkeit »Lasterhöhle« meinte.

»Ahm, nein«, sagte Hetty. »Ich bleibe nur hier, solange der Onkel meiner Mutter krank ist.«

Mrs Hempstead schüttelte das Haupt, als prophezeie sie das Ende der Welt. »Er ist ein alter Mann, der ein ausschweifendes Leben geführt hat. Seine Uhr kann jederzeit ablaufen.« Ehe Hetty reagieren konnte, richtete Mrs Hempstead ihre Aufmerksamkeit auf die Wurstschneidemaschine. »Ich hätte gern ein halbes Pfund durchwachsenen Räucherschinken, sehr dünn geschnitten.« Sie wandte sich wieder an Hetty. »Ich werde natürlich tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen. Aber es wird nicht leicht für Sie werden. Ein Mädchen in Ihrem Alter.«

Hetty, die in letzter Zeit kaum genug Initiative hatte aufbringen können, um sich die Haare zu bürsten, stellte plötzlich fest, dass die Herausforderung sie reizte. »Oh, ich weiß nicht. Ich denke, ich komme schon zurecht …«

Mrs Hempstead schürzte die Lippen. »Zurechtkommen wird nicht ganz reichen. Und Ostern ist früh dieses Jahr.«

Hetty floh, während Mrs Hempstead über den Rand ihrer Brille hinweg den Ziegenkäse inspizierte. Sie fand sich beim Katzenfutter wieder und füllte ihren Korb mit einer recht beeindruckenden Anzahl an Konserven, ehe sie auf die Gefriertruhe stieß. Die Gefahr, von Mrs Hempstead herumkommandiert zu werden, hatte ihren Kampfgeist aus dem Koma erweckt. Vielleicht wird es mir einfach zu langweilig, das Opfer zu sein, überlegte sie.

Sie wollte den Laden gerade verlassen, als ein schlammbespritzter weißer Sportwagen vorfuhr und in einem gewagten Winkel einparkte. Eine blonde Frau in Lederhosen und einem auffälligen Hut stieg aus. Hettys Stimmung versank wieder in dem Abgrund, aus dem sie sich gerade befreit hatte. Niemand würde so eine Frau verlassen, dachte sie traurig. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, dass sie für genau so ein schillerndes Wesen mit langen Beinen verlassen worden war. Hettys Beine waren nicht gerade kurz, aber sie machten sie auch nicht groß. Und wenn ihr Haar in der Sonne auch heller wurde, hatte es zu dieser Jahreszeit doch eine langweilige braune Farbe. Außerdem hätte sie dringend zum Frisör gemusst. Doch mehr als sich sauber zu halten und sich die Zähne zu putzen hatte Hetty nicht für ihre Erscheinung getan, seit Alistair aus ihrem Leben verschwunden war.

Um sich von diesem deprimierenden Thema abzulenken, legte sie sich zurecht, was sie ihrer Mutter sagen würde bezüglich der Frage, wann das Herrenhaus fürs zahlende Publikum geöffnet wurde. Voraussetzung dafür war allerdings, dass das Telefon wieder angeschlossen wurde oder aber sie eine Telefonzelle fand.

Doch sie wusste, ihre Mutter konnte im Grunde nichts dafür. Onkel Samuel war ein reizender, großzügiger Gentleman, der jedoch sehr ausweichend sein konnte, wenn es darum ging, sich zeitlich festzulegen.

Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war anlässlich der Hochzeit des entfernten Cousins, für die Courtbridge House festlich geschmückt worden war, hatte Onkel Samuel sie ein »einnehmendes kleines Ding« genannt. Sie war entsetzt gewesen, in der sicheren Annahme, er habe sie beobachtet, als sie eine der Erdbeeren vom Büfett stibitzt hatte. Erst Jahre später war ihr aufgegangen, dass er ihr ein Kompliment gemacht hatte.

Seither hatte sie ihn zweimal wiedergetroffen, einmal zu einer anderen Hochzeit, dann bei einer Beerdigung. Sie mochte ihn sehr, zweifellos auch deswegen, weil er eine so hohe Meinung von ihr hatte.

Hetty hatte ihn zusammen mit ihrer Mutter besucht, ehe sie nach Courtbridge House gekommen war, wenige Tage bevor er an der Prostatadrüse operiert werden sollte. Sein Anwalt war ebenfalls dort und hatte ein Dokument aufgesetzt, das Hetty eine beschränkte Handlungsvollmacht erteilte.

»Du musst Schecks ausstellen können, Liebes«, hatte Onkel Samuel erklärt, als sie andeutete, dass ihr so viel Verantwortung unheimlich sei. »Sonst wirst du nicht zurechtkommen. Du wirst auch meine Post öffnen müssen. Ich habe so ein Gefühl, es könnten ein paar Rechnungen dabei sein. Die Telefonleute haben schon Krach geschlagen.«

»Sie können nur Schecks bis zu zweitausend Pfund ausstellen«, erklärte der Anwalt, sein ernster Gesichtsausdruck schien sie zu warnen, sich die Sache nicht zu Kopf steigen zu lassen. Er reichte Hetty seinen Kugelschreiber. »Im Moment steht ein nettes Guthaben auf dem Konto, und dabei wollen wir es auch belassen.«

»Hetty muss an das Konto herankönnen, wann immer sie Geld braucht«, widersprach Onkel Samuel. »Es ist so reizend von ihr, dass sie mir aus der Klemme hilft. Ich will nicht, dass sie darben muss.«

»Nun, alle vertretbaren Verfügungen sind zulässig«, stimmte der Anwalt zu.

»Und so horrend kann die Telefonrechnung doch wohl nicht sein«, fügte Hettys Mutter hinzu.

Samuels Augen nahmen plötzlich einen uralten, müden Ausdruck an, und Hetty hatte den Verdacht, dass das durchaus seine Absicht war. »Es könnten andere Aufwendungen entstehen«, bemerkte er. »Hetty, wenn ich dich einen Moment sprechen könnte …«

Doch in diesem Moment trat die Krankenschwester auf den Plan. Bislang hatte sie all die Besucher auf ihrer Station anstandslos toleriert, doch jetzt sagte sie: »Ich fürchte, ich muss Sie jetzt alle bitten zu gehen. Der Patient braucht Ruhe.«

»Oh, natürlich«, sagte Hettys Mutter. »Wiedersehen, Samuel. Hetty wird dich besuchen, sobald sie ein Auto hat.«

Hetty sah zu Samuel und bemerkte, dass seine Augen nicht länger abwesend wirkten, sondern fordernd. Er hatte ihr etwas sehr Wichtiges zu sagen. Doch statt sie zurückzuhalten und es zu sagen, schenkte er ihr nur ein schuldbewusstes Lächeln und ergab sich dem höflichen Kommandoton der Schwester.

2. Kapitel

Nach der Begegnung im Laden war Hetty kämpferischer Stimmung und stiefelte entschlossenen Schrittes nach Hause. Es war eine ziemliche Enttäuschung festzustellen, dass das Gutshaus immer noch genauso düster wirkte, wie sie es vor einer Stunde verlassen hatte. Doch als sie ein Paket mit durchwachsenem Räucherschinken aus ihrer Einkaufstasche holte, wurde sie an Mrs Hempstead erinnert, und sie spürte, wie ihre Lebensgeister sich regten – eine Erinnerung an die Hetty, die sie vor Alistair gewesen war.

Früher war sie häufig als quirlig und überschäumend vor Energie bezeichnet worden. Sie zuckte immer zusammen, wenn jemand das sagte, es klang so sehr nach einem Schokoriegel. Aber es stimmte schon. Sie konnte keiner Herausforderung widerstehen und ließ sich von neuen Ideen manchmal gar zu sehr mitreißen. Sie bezweifelte, ob sie so lange bei der Unternehmensberatung geblieben wäre, wenn sie sich nicht in ihren Boss, Alistair Gibbons, verliebt hätte. Aber es war nun einmal passiert, und so war sie geblieben, bis er sie wegen einer älteren Frau verließ.

Sie versuchte gerade, Onkel Samuels alternative Kochmöglichkeit – einen Zwei-Flammen-Campingkocher – in Gang zu bringen, als sie ein Klopfen an der Hintertür vernahm. Nach ein paar Fehlversuchen stemmte Hetty die Tür auf. Es war die Blondine mit dem Sportwagen.

»Hi! Ich bin Caroline.« Die Frau lächelte. »Darf ich reinkommen? Ich wollte mir das Haus schon seit Ewigkeiten mal richtig anschauen, und als ich hörte, dass Sie allein hier sind, dachte ich mir, das ist die perfekte Gelegenheit.«

Hetty trat automatisch zurück, und Caroline fegte an ihr vorbei in die Küche.

»Hier.« Caroline kramte in den Taschen ihrer glänzenden Lederjacke herum und förderte schließlich ein Schokoladenei von Cadbury's ans Licht. »Ich hab Ihnen was mitgebracht. Genau das Richtige für ein gebrochenes Herz.« Hettys sinkender Mut sackte noch ein bisschen tiefer. Diese langbeinige Schönheit wusste alles und war gekommen, um sie gönnerhaft zu bemitleiden. »Tut mir Leid.« Caroline sah tatsächlich so aus, als täte es ihr Leid. »Das hätte ich nicht sagen sollen.«

Hetty seufzte resigniert. »Weiß das ganze Dorf Bescheid?«

Caroline setzte sich an den Küchentisch und schüttelte den Kopf. »Ich glaub nicht. Aber Ihre Mutter hat es Angela Brewster erzählt, und Angela mir. Nicht, weil sie den Mund nicht halten könnte, sondern weil sie weiß, dass ich Expertin bin.« Sie holte ein zweites Schokoladenei hervor und begann, das Stanniol abzupellen. »Ich ziehe Scheißkerle an wie schwarze Klamotten Katzenhaare.« Caroline fuhr mit der Hand über ihr bislang noch makelloses schwarzes Lederhosenbein. »Aber selbst wenn sie es jedem erzählt hätte, niemand würde sich dran erinnern. Alle sind viel zu sehr mit der bangen Frage beschäftigt, was Sie hier wohl anstellen werden.«

»Oh, ich werd überhaupt nichts anstellen. Ich hüte einfach das Haus, bis mein Großonkel aus dem Krankenhaus kommt.«

»Wie langweilig! Und schlecht für Sie, Liebes. Sie werden eingehen vor Kummer, wenn Sie hier einfach nur wohnen, ohne irgendwas zu tun.« Caroline wischte ein bisschen gelbweiße Kremfüllung ab, die ihr aufs Kinn getropft war. Das passte nicht so recht zu dem Image, das das perfekte Make-up, der lässig geknotete Hermes-Schal und die gigantischen, täuschend echt wirkenden Goldohrringe ihr gaben. »Was ich vermutlich wirklich meine, ist, dass ich vor Langeweile eingehen würde, wenn ich nichts täte. Mein Mann – übrigens kein Scheißkerl – ist ziemlich häufig auf dem Kontinent, und ich muss mich irgendwie beschäftigen, damit ich mich nicht in Schwierigkeiten bringe. Oder jedenfalls sagt er das.«

Hetty war sich noch nicht ganz sicher, ob diese Frau unglaublich aufdringlich und distanzlos war – eine jüngere, modernere Version ihrer Mutter – oder unwiderstehlich sympathisch. Jedenfalls schien sie nicht überheblich.

»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen da helfen kann«, sagte sie, um sich abzusichern. »Ich meine, die einzige Unterstützung, die ich brauchen werde, sind Reinigungskräfte. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie an einer Putzstelle interessiert sind.«

Caroline schüttelte den Kopf. »Nicht besonders, nein. Obwohl ich eigentlich eine ziemlich gute Putzfrau bin, wenn ich mir Mühe gebe. Aber ich will keinen Job, sondern ein Projekt.« Das Glitzern in ihren Augen hatte etwas höchst Beunruhigendes.

»Was meinen Sie damit?«

»Ich brauche etwas, worin ich mich so richtig verbeißen kann. Und das sind Sie.«

Hetty wimmerte unwillkürlich.

»Oh, keine Bange. Ich bin keine Kannibalin. Ich will sie nur retten, Ihr gebrochenes Herz kurieren und Sie als stärkere Frau zurück in die Welt entlassen.«

O mein Gott, dachte Hetty verzweifelt und betrachtete die Frau, die es sich an ihrem Küchentisch gemütlich gemacht hatte. Da bin ich hergekommen, um meiner Mutter zu entfliehen, nur um in die Klauen dieser Frau zu geraten, die noch viel tyrannischer ist. Das nannte man wohl vom Regen in die Traufe kommen.

»Möchten Sie eine Tasse Tee oder so?«, fragte sie höflich, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Caroline nickte. »Diese Eier sind so dermaßen eklig süß, ich brauch was zum Nachspülen. Was haben Sie denn da?«

Hetty durchforstete die Kiste mit Lebensmitteln, die sie aus Hampshire mitgebracht hatte, und fand Instantkaffee. »Pulverkaffee oder Teebeutel. Nichts Ausgefallenes, fürchte ich.« Caroline stand vermutlich auf Lapsang Souchong oder Rose Pouchong oder solches Zeug.

»Tee, gut durchgezogen, bitte.«

Während Hetty Tee kochte, stand Caroline auf und streifte umher, nahm hier und da einen Gegenstand in die Hand und stellte ihn mit kleinen überraschten Ausrufen wieder ab. »Igitt!«, rief sie plötzlich unter vernehmlichem Geklapper. »Rattendreck!«

Hetty brach auf der Stelle der Schweiß aus. Achtlos ließ sie Teebeutel und Löffel fallen und eilte zu ihr hinüber. »Nein«, sagte sie dann. »Kaffeebohnen. Sie sind mir gestern hingefallen.«

»Tut mir Leid.« Caroline war ein bisschen kurzatmig vor Erleichterung. »Ich hab überreagiert.«

»Schon gut.« Hetty hatte selber weiche Knie. »Sie sehen irgendwie unheilvoll aus, wenn sie so verstreut sind. Und dieses Haus hat irgendwas an sich, das einen verleitet, immer gleich das Schlimmste zu befürchten.«

Caroline setzte sich wieder. »Aber es hat jede Menge Potenzial.«

Hetty reichte ihr einen Becher Tee. »Sie klingen wie ein Immobilienmakler.« Aus Familienloyalität fühlte sie sich verpflichtet, etwas Positives über das Haus zu sagen, aber die Fakten verurteilten sie zum Schweigen.

»Es hat ein Weilchen leer gestanden, und da bleibt es nicht aus, dass der Staub ein wenig akkumuliert«, sagte Caroline, und das war ein meisterhaftes Understatement. Sie nippte an ihrem Becher. »Also, wollen wir jetzt die Führung machen oder erst Ihren Liebeskummer hinter uns bringen?«

Hetty verbrühte sich den Gaumen und hätte um ein Haar ihren Becher fallen lassen.

»Es muss nicht sein«, fuhr Caroline fort, als sie Hettys Entsetzen erkannte. »Die Führung schon, darauf bestehe ich, aber Sie müssen mir nichts erzählen. Obwohl es hilft.« Sie verzog das Gesicht. »Glauben Sie mir, Liebes, ich weiß, wovon ich spreche. Bevor ich Jack getroffen habe, hatte ich wenigstens drei katastrophale Beziehungen.«

»Ist das wahr? Das kann ich kaum glauben.« Aber Hetty war besänftigt. Caroline mochte umwerfend aussehen, aber sie war feinfühlig. Wie ein Model auszusehen bedeutete vermutlich nicht zwangsläufig, eine Zicke zu sein.

»O doch. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich Jack nicht begegnet wäre.« Hetty war durch ihren eigenen Schmerz sensibilisiert, und sie erkannte einen Ausdruck tiefer Traurigkeit in Carolines Augen. Caroline lächelte. »Soll ich vielleicht anfangen?«

»Natürlich ist es verrückt, bei einem Mann zu bleiben, der einen schlägt, aber er war so sexy und aufregend. Schließlich habe ich dann aber doch Vernunft angenommen«, schloss Caroline ihre Beichte und gähnte ungehemmt. »Jetzt bist du dran.«

Hetty hatte beabsichtigt, Caroline die zensierte Fassung zu erzählen, ohne den Schmerz, die Verlorenheit, das Gefühl, verstoßen worden zu sein, nicht wert, geliebt zu werden. Sie hatte in den vergangenen Wochen die Erfahrung gemacht, dass die Menschen nur bereit sind, sich anderer Leute Probleme anzuhören, wenn man sie amüsant erzählte. Wochenlange Praxis mit alten Schulfreundinnen, den Bekannten ihrer Mutter und ehemaligen Kolleginnen hatte ihre Geschichte zu einer geistreichen, witzigen kleinen Anekdote geschliffen, die es ihren Zuhörern erlaubte, mitfühlend zu lächeln. Nur ihrer Schwester hatte sie die ungeschönte Fassung erzählt.

Doch weil Caroline so ehrlich gewesen war, verzichtete sie auf die scherzhaften Bemerkungen und ließ sich zumindest andeutungsweise anmerken, wie verletzt sie war. Und so berichtete sie Caroline, wie sie, die junge Juniorsekretärin im Schreibbüro, im Bett des Mitinhabers der Unternehmensberatung gelandet war.

Es hatte angefangen, als seine Sekretärin in Urlaub ging. Er hatte es vorgezogen, sie um Hilfe zu bitten, statt eine Aushilfe zu nehmen. (»Denn meine Arbeit ist wichtig, und ich will keine dämliche Blondine, die um Punkt fünf den Griffel fallen lässt und nur ihr Make-up im Kopf hat.«) Eigentlich war es eine enorme Zumutung, aber da sie ihn seit ihrem ersten Arbeitstag in der Firma insgeheim anhimmelte, hatte sie sich die zusätzliche Arbeit aufhalsen lassen. Nachdem seine reguläre Sekretärin zurück war, lud er Hetty zum Dank für ihre »effiziente und intelligente Unterstützung« zum Mittagessen ein. Doch ein unvorhergesehener Termin kam dazwischen, und er hatte sie überredet, stattdessen mit ihm zu Abend zu essen. Ihre Schwärmerei und seine eleganten Komplimente machten sie so blind, dass sie gar nicht auf die Idee kam, sich zu fragen, warum er ihre Mittagsverabredung nicht einfach auf einen anderen Tag verschoben hatte.

»Natürlich war ich unheimlich geschmeichelt«, fuhr Hetty fort. »Und als er fragte, ob ich Lust hätte, gelegentlich das Wochenende mit ihm in seinem Cottage zu verbringen, wusste ich, was er wollte, und ich war selig. Ich hab' sofort angefangen, die Pille zu nehmen.«

»Warst du noch Jungfrau?«

Sie nickte. »Die Letzte in England, schätze ich. Irgendwer hätte mich unter Denkmalschutz stellen sollen.«

»Hast du's ihm gesagt?«

»Ich hatte das Gefühl, das musste ich. Er hätte es ja so oder so gemerkt.«

»Und hat er anständig reagiert? Nicht gelacht, hoffentlich?«

»O nein. Er hat mir gesagt, es gäbe keine frigiden Frauen, nur schlechte Liebhaber.«

Jetzt lachte Caroline. »Wie herrlich! Wer so etwas im Ernst sagen kann, muss ein Holzkopf erster Klasse sein.«

Hetty nickte.

»Und war er ein guter Liebhaber?«

»O ja, ich denke schon. Sehr erfinderisch. Er hat ständig irgendwas mit meinen Füßen gemacht.«

»Du klingst nicht so wahnsinnig überzeugt.«

»Doch, es war in Ordnung.«

Carolines Brauen fuhren ungläubig in die Höhe, aber sie hakte nicht nach. »Also vermisst du den Sex?«, fragte sie stattdessen.

Hetty schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Nicht den Akt selbst jedenfalls. Das hat es nie so richtig gebracht für mich, aber ich vermisse das Schmusen, die Nähe.«

Caroline schwieg einen Moment. »Und was passierte dann?«, fragte sie schließlich.

Hetty sah auf ihre Finger hinab, die sich um ein leeres Fischpastetenglas gekrallt hatten. »Wir waren am Wochenende in seinem Cottage verabredet. Er lag mit einer anderen – älteren Frau im Bett. Aus irgendeinem Grunde fand er, das sei der beste Weg, mir zu sagen, dass es aus ist.«

»Scheiße«, hauchte Caroline. »Was hast du gemacht?«

»Ich habe das antike Leinenlaken von seiner Mutter mittendurch gerissen und bin ihm ein paar Mal in seinen Wagen gefahren.«

»Oh, gut gemacht! Er war bestimmt fuchsteufelswild, was?«

»Über das Laken, ja. Den Wagen hab ich ihm ramponiert, während er sich anzog, und bin abgedüst, ehe er es gemerkt hat.«

»Wenigstens bist du kämpfend abgegangen.«

»Ja. Allerdings hat mein Auto dabei einen Totalschaden davongetragen …« Hetty seufzte. »In gewisser Hinsicht verstehe ich ihn sogar. Sie war all das, was ich nicht bin. Schlank und distinguiert. Ich bin pummelig und naiv.«

»Gegen ein bisschen Babyspeck ist überhaupt nichts einzuwenden …«

»Wärmsten Dank, aber ich hab die Pubertät inzwischen hinter mir.«

Caroline schien erleichtert über dieses Aufflackern von bissigem Humor. »Was ich meinte, war, dass man sich rundliche Formen gut leisten kann, wenn man noch so jung ist.«

»Und ich werde für diesen Bastard Alistair sowieso keine Diät machen.«

Caroline reichte ihr das Schokoladenei. »Gut für dich. Und du bist ohne ihn ohnehin besser dran. Oder nicht?«, fragte sie.

Hetty zuckte die Achseln und versuchte, ihr Recht zu geben. Sie rollte das Ei zwischen den Handflächen.

»Ich sehe schon, ich werde meine liebe Mühe mit dir haben«, sagte Caroline. »Aber ich werde eine unerbittliche Feministin aus dir machen, ehe du es merkst, und die Männer werden dich anflehen, für dich über Glasscherben laufen zu dürfen.«

»Tut Jack das für dich?«

»Ähm … nein. Aber ich bin auch schrecklich in ihn verliebt, also hat er es nicht nötig. Was wirst du wegen des Autos unternehmen?«

»Meine Mutter wird mir früher oder später eins besorgen, aber ich kann auch gut zum Laden laufen.«

»Unsinn, du brauchst einen Wagen, solange du in diesem alten, riesigen Kasten lebst.«

»So groß ist er nun auch wieder nicht«, versicherte Hetty. »Die Entfernung zwischen Küche und Wohnzimmer ist weniger als eine Meile.«

Caroline bedachte sie mit einem Stirnrunzeln. »Ich meinte, dass es so weit außerhalb ist. Du brauchst ein Transportmittel. Warum lässt du Jack nicht nach einem passenden Wagen für dich suchen?«

»Oh, ich kann doch nicht …«

»Doch. Er sammelt Autos wie andere Leute streunende Katzen. Er kann den Gedanken einfach nicht ertragen, dass sie ungekauft und einsam auf dem Hof der Autohändler zurückbleiben. Lass ihn doch. Er kommt bald nach Hause, und es wäre so eine Freude für ihn.«

»Na ja, aber es darf nicht teuer sein.« Jacks streunende Autos hatten vielleicht alle einen Stammbaum.

»Das wird es nicht, ich verspreche es dir.« Sie sah auf ihre Cartier-Uhr und stand auf. »Mist! Jetzt habe ich keine Zeit mehr, das Haus anzuschauen. Wenn ich jetzt nicht fahre, verpasse ich meine Putzfrau, und ich hab' sie seit Wochen nicht bezahlt, die Ärmste.« Sie hängte sich ihre übergroße Ledertasche über die Schulter. »Aber ich werde jemanden für dich suchen, der dich diesen Alistair vergessen lässt«, kündigte sie an.

»O nein, bitte nicht!«

Caroline lachte. »Nun, ich werde es nicht tun, wenn du wirklich nicht willst. Und sind wir mal ehrlich, geeignete Kandidaten sind ziemlich rar hier in der Gegend. Aber wirklich, die beste Methode, über einen Mann hinwegzukommen, ist, einen anderen zu finden. Du weißt, was man sagt: Wenn man vom Pferd fällt, muss man sofort wieder in den Sattel steigen.«

»Such mir ein Pferd, und ich werde mein Bestes tun«, sagte Hetty und sah ihrer neuen Freundin fest in die Augen.

Caroline kicherte leise. »Jetzt muss ich wirklich los. Es ist wunderbar, dass wir uns kennen gelernt haben. Ich komme wieder, und nächstes Mal bring ich was zu essen mit. Hast du eine Mikrowelle?«

»Nein. Meine Mutter und ich haben gestern Abend nachgeschaut.«

»Ich leihe dir meine alte«, bot Caroline an. »Ich habe jetzt eine, die sprechen kann.«

»Das ist wirklich furchtbar nett …«

»Unsinn. Sie steht sowieso nur im Weg rum. Mark Twain hat gesagt, es gibt keine selbstlosen Handlungen. Wenn du mir erlaubst, dich zu retten, erweist du der ganzen Gemeinde einen Dienst. Von Jack ganz zu schweigen.«

Als Hetty wieder allein war, fühlte sie sich völlig erledigt, aber gleichzeitig aufgeheitert. Caroline war witzig und sympathisch, und war es auch unwahrscheinlich, dass sie ihr gebrochenes Herz kurieren konnte, so brachte sie doch wenigstens ein bisschen Licht in die Düsternis.

Hetty machte sich auf den Weg zum Hauptportal des Hauses und fand einen Poststapel auf der Fußmatte. Und weil Samuel sie instruiert hatte, seine Post zu öffnen, legte sie die Telefonrechnung zur sofortigen Überweisung beiseite und sortierte den Rest. Einiges wanderte umgehend in den Papierkorb, aber es blieb immer noch ein beachtlicher Stapel übrig.

Sie holte tief Luft, ehe sie den ersten Brief öffnete. Sie war Samuels Haussitter, nicht seine Sekretärin, und »Persönlich/vertraulich« bedeutete gewöhnlich genau das. Aber weil sie versprochen hatte, es zu tun, suchte sie sich einen Brieföffner und schlitzte den Umschlag auf.

Jeder Brief von einer Bank verursachte Hetty nervöse Magenbeschwerden. Dieser hier hätte wohl selbst den hartgesottensten Betrüger nach seinem Valium greifen lassen. Samuel hatte offenbar einen riesigen Kredit aufgenommen.

Bei der Durchsicht unserer Unterlagen haben wir festgestellt, dass Ihre monatliche Rate noch nicht eingegangen ist, schrieb die private Kreditgesellschaft. Wir möchten in aller Höflichkeit daran erinnern, dass bei Zahlungsrückständen die vereinbarte Vertragsstrafe geltend gemacht wird. Es folgte eine verwirrende Aufstellung von Zahlen mit effektivem Jahreszins, Prozentsätzen und Ratenverrechnungen, die mit einer schweißtreibenden Summe endete. Samuel konnte doch unmöglich eine so hohe monatliche Rate vereinbart haben?

Sie durchwühlte ihre Tasche nach dem Zettel, auf den der Anwalt Samuels Kontostand notiert hatte. Das Guthaben reichte etwa für drei Raten, erkannte sie. Aber waren es nur Zinsen, oder wurde mit den Raten auch Kapital zurückgezahlt? Das musste sie herausfinden. Wie dem auch sein mochte, sie hatte genug, um sich die Kredithaie für ein Weilchen vom Hals zu halten, aber kein Geld für andere Ausgaben.

Sie würde zur Bank gehen müssen und die Situation erklären. Samuel hatte vermutlich noch andere Konten, und sie musste darum bitten, dass man ihr etwas Geld für die laufenden Kosten auf das Konto überwies, über das sie verfügen durfte. Wirklich, wenn sie gewusst hätte, welche Verantwortung damit einherging, hätte sie Courtbridge House seinem Schicksal überlassen.

Hetty hatte die Teebecher gespült und überlegte, ob sie den Rest des Hauses erkunden oder ihren Koffer packen und verschwinden sollte, als es an der Hintertür klopfte.

Wer konnte das sein? Sie fühlte sich belagert. Bei ihrem Glück war es vermutlich ein Vertreter für Patiotüren oder – sie musste lächeln – Gebäudeversicherungen. Sie hoffte, es sei Caroline, die für ihren Rundgang zurückkam.

Doch auf der Schwelle stand ein Mann – groß, breitschultrig, aber schlank. Nicht gerade gut aussehend, aber freundlich, mit dunklen Augen, Brauen und Wimpern und einer Unmenge dunkler Haare. Er trug einen riesigen dicken Zopfmusterpullover, ausgebleichte Jeans und schwere Stiefel.

Ehe er auch nur Hallo sagen konnte, schossen zwei kleine Hunde an ihm vorbei ins Haus und rissen ihm ihre Leinen aus den Fingern. Hetty und der Mann folgten ihnen zur Wohnzimmertür, an der sie aufgeregt kratzten. Hetty öffnete sie hastig, und beide Hunde sprangen aufs Sofa und fingen an, darin herumzugraben, bellten entzückt, während sie mit den Hinterpfoten Kissen auf den Boden beförderten. Im nächsten Moment ließen sie sich nieder, wedelten mit den Schwänzen und grinsten zu Hetty und ihrem Besucher hinüber.

»Machen Ihre Hunde das immer?«, fragte Hetty erstaunt.

Der Mann lachte. »Nein, nie. Aber das hier sind nicht meine Hunde, sondern Ihre. Oder genauer gesagt, Samuels.«

»O mein Gott«, hauchte Hetty.

»Ich bin Peter Lassiter. Ich wohne auf der anderen Seite des ehemaligen Guts, hinter dem Wald. Ich hatte Samuels Hunde zu mir genommen. Aber als ich gehört habe, dass Sie hier allein sind, dachte ich, Sie hätten sie vielleicht gern bei sich.« Er zögerte, als er Hettys verwirrte Miene bemerkte. »Wenn Sie sie nicht wollen, kann ich sie gern wieder mitnehmen.«

»Nein, nicht nötig. Ich werde froh sein über ihre Gesellschaft, aber ich verstehe mehr von Katzen.«

»Die beiden hier haben ihren eigenen Kopf, aber glücklicherweise meinen sie es immer gut und stellen nie anderer Leute Federvieh nach oder ähnlich peinliche Dinge.«

»Was für Hunde sind es?«

Peter Lassiter sah Hetty ernst an. »Kleine braune.«

Hetty lächelte wider Willen. »Verstehe. Und wie heißen sie?«

»Talisker und Islay. Nach Samuels bevorzugten Malt Whiskeys.«

»Ah.«

»Tja, damit wären die Hunde und ich vorgestellt …«

»Oh, Entschuldigung. Hetty Longden.« Sie hob vage die Hand, nicht sicher, ob ein Händedruck angezeigt war.

Er schnappte sich ihre Hand und schüttelte sie. Seine war groß, warm und schwielig – sie hatte etwas enorm Tröstliches. »Hallo.«

Hetty lächelte. Er war nett, dieser Mann. Und war sie auch noch viel zu verletzt, um auch nur im Traum daran zu denken, irgendetwas anderes als einen Freund in ihm zu sehen, hätte Caroline ihn sicher als durchaus akzeptables Pferd angesehen, um ihr nach ihrem Sturz neues Selbstvertrauen einzuflößen.

»Möchten Sie Kaffee oder Tee oder so?«

»Sehr gern.«

»Dann geh ich und koch welchen.«

»Möchten Sie vielleicht, dass ich inzwischen schon mal das Feuer anzünde?«, fragte Peter. »Dieses Haus wird schrecklich feucht, wenn man nicht jeden Tag ein Feuer macht im Winter. Eigentlich bis zum Frühsommer.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen. Und ich wäre dankbar, wenn Sie es anzünden. Wir haben Zentralheizung zu Hause, und ich war nicht bei den Pfadfinderinnen.«

Er hatte ein sympathisches Lachen. »Ich bin überzeugt, Caroline könnte Ihnen beibringen, mit trockenen Orangenschalen ein Feuer in Gang zu bringen. Sie leitet die hiesige Wichtelgruppe. Pfadfinderinnen.«

Hetty wandte sich abrupt um. »Doch nicht die Caroline, die ich heute kennen gelernt habe? Blond, todschick, fährt einen Sportwagen?«

Er nickte. »Genau die. Sie sollten sie in ihrer Uniform sehen: schwarze Nylonstrümpfe, und der Rock endet fünfzehn Zentimeter über dem Knie. Sie hat nie Mühe, für ihre Veranstaltungen freiwillige Helfer zu finden, die Väter reißen sich darum. Vor allem, wenn es irgendwas mit Wettrennen zu tun hat.«

Hetty musste lächeln. »Darauf wette ich.« Plötzlich kam ihr ein grässlicher Gedanke. »Hat sie Sie hergeschickt?«

»Nein, ich hab sie heute früh noch gar nicht gesehen. Ich habe im Laden gehört, dass Sie hier sind«, wiederholte er.

Hetty vergaß ihre Manieren. »Und hat man Ihnen dort auch erzählt, dass ich an gebrochenem Herzen leide?«

»Nein. Tun Sie das?« Seine buschigen Brauen hoben sich, mitfühlend und fragend zugleich.

Hetty hätte sich treten können. Der einzige Mensch, dem ihre Mutter die traurige Geschichte nicht anvertraut hatte – und sie hatte nichts Besseres zu tun, als das sofort nachzuholen. Sie nickte. »Ja. Und an heftigen Anfällen von Indiskretion.«

»Wie wär's, wenn Sie einfach den Kaffee machen, und ich kümmere mich ums Feuer? Ich verspreche, ich werde nicht eine einzige unangenehme Frage stellen.«