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Kluge, überraschende und genaue Beobachtungen und neue Sichtweisen rund um die Themen „Geschlecht“, „Gender“, „Jenseits von Geschlecht“. Yoko Tawada betrachtet Sprache und Wörter, den Alltag, literarische Werke, die Körper (doch was ist der Körper, was die Seele?) und Historisches aus verschiedenen Kulturen. Ihre Perspektive ist die einer „poetischen Ethnologin“. Nichts bleibt diesem Blick selbstverständlich, kleinste Dinge werden aufmerksam betrachtet und so beschrieben, dass unser Alltagsverständnis in Frage gestellt ist, wir die „Welt mit neuen Augen sehen“. Yoko Tawada hat sich immer wieder mit Verwandlungen beschäftigt, mit Zwischenwesen, Zwischenzuständen jenseits von Geschlecht. Ihr Buch wirft erfrischende, erweiternde Lichter auf die teils polemisch geführte Gender-Debatte und auf vieles aus dem Leben mehr.
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Seitenzahl: 126
Yoko Tawada
Eine Zungengymnastik
für die Genderdebatte
Überraschende und genaue Beobachtungen rund um die Themen „Geschlecht“, „Gender“, „Jenseits von Geschlecht“ in der Sprache, in verschiedenen Kulturen, im Alltag.
Yoko Tawada betrachtet Sprache und Wörter, den Alltag, literarische Werke, die Körper (doch was ist der Körper, was die Seele?) und Historisches aus verschiedenen Kulturen. Ihre Perspektive ist die einer „poetischen Ethnologin“. Nichts bleibt diesem Blick selbstverständlich, kleinste Dinge werden aufmerksam betrachtet und so beschrieben, dass unser Alltagsverständnis in Frage gestellt ist, wir die Welt „mit neuen Augen“ (Die Welt) sehen.
Yoko Tawada hat sich in ihren Romanen, Gedichten und literarischen Essays immer wieder mit Verwandlungen beschäftigt, mit Zwischenwesen, Zwischenzuständen jenseits von Geschlecht. Ihr Buch wirft erfrischende, erweiternde Lichter auf die teils polemisch geführte Gender-Debatte und auf vieles aus dem Leben mehr.
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Zum Buch
Eine Zungengymnastik für die Genderdebatte
Abwesenheit der dritten Person
Gender als Textilien, Gender als Landschaft
Unbewohnbarkeit der Diversität
Zugabe im E-Book: »Eine leere Flasche«
Zur Autorin
Impressum
Wir gehen meistens davon aus, dass es weder eine weibliche noch eine männliche Zunge gibt. Selbst ein Zungenpiercing gendert nicht die Zunge, im Unterschied zu den Ohren, deren Schmuck in Europa und Asien lange als weiblich galt, oder zu den Lippen, die heute noch hauptsächlich bei Frauen angemalt werden. Kein anderes Organ ist so genderneutral und gleichzeitig so erotisch konnotiert wie die Zunge.
Die nackte, feuchte Oberfläche der Zunge erinnert an die der inneren Organe wie die der Lunge oder des Magens, die meistens im intimen Innenraum des Körpers verborgen bleiben. Aber die Zunge zeigt sich schamlos, zumindest versuchen wir nicht, sie zu verstecken. Die vor dem Mund wie eine Sperre vorgehaltene Hand symbolisiert heutzutage sogar eine Unterdrückung der Pressefreiheit. Besser ist es, dem Diktator die Zunge rauszustrecken als den Mund zu halten.
Gehört aber das blutig rote, feuchte Organ zu unserem inneren Leben oder doch zum äußeren?
Dass der Wunsch nach einem Geschlechtswandel heutzutage nicht allein mit Hilfe von Schminke, Schmuck, Frisur oder Kleidung vollzogen wird, sondern relativ schnell eine Hormontherapie oder eine geschlechtsangleichende Operation ins Visier nimmt, lässt sich nicht nur auf die Entwicklung der Medizin zurückführen. Ich beobachte eine Verschiebung der Wahrnehmung, besonders der Grenze zwischen dem Innenraum und dem Außenraum des eigenen Körpers. Der Wunsch nach einer Transformation entsteht aus dem Unwohlsein aufgrund einer Unstimmigkeit zwischen dem Inneren und dem Äußeren. Das „Äußere“ besteht aus unendlichen Schichten wie bei einer Zwiebel. In der Psychoanalyse besteht das Innere aus verdrängten Erinnerungen, und das Äußere wäre deren Äußerungen durch Symptome oder Träume. Im Feminismus ist die äußere Welt die patriarchalische Gesellschaft, in der jüngsten Bewegung des Geschlecherwandels der eigene „falsche“ Körper, der verändert werden muss/kann.
Das Sinnbild „in einem falschen Körper geboren zu sein“ hat sich rasant verbreitet in den letzten Jahrzehnten. Fast jeder Dokumentarfilm über Transpersonen verwendet dieses Sprachbild. (Das Wort „trans“ sollte eigentlich ein Adjektiv sein, das wegen seiner fremdländischen Herkunft nicht dekliniert wird. Jedoch kann ein Mensch wie ich, der den Ausdruck „lila Blume“ stilistisch befremdlich findet und deshalb immer „lilafarbige Blume“ sagt, die Lücke zwischen „trans“ und „Person“ nicht ertragen und benutzt das mittlerweile verbreitete Wort „Transperson“. Viele grammatikalisch inkorrekten Wörter haben im Laufe der Jahre Staatsbürgerschaft bekommen. Das Gleiche gilt für das Wort „Transfrau“ und „Transmann“.) Mag sein, dass das Sprachbild der Mehrheit zugänglich ist, denn das Gefühl, in einem „falschen“ Körper zu leben, kennen viele Menschen. Er sei zu füllig, zu alt oder zu unauffällig. Und jeder Mensch darf/muss ihn korrigieren. In einer Selbstoptimierungsgesellschaft muss auch der Körper in Richtung eines Ideals bearbeitet werden. Die Korrektur des falschen Körpers belebt die Wirtschaft. Ich gehe auf eine Einkaufsstraße in meiner Nachbarschaft und wundere mich darüber, dass das meistverkaufte Produkt „Selbstoptimierung“ heißt: Modeladen, Fitness-Studio, Friseur, Apotheke, Nagelstudio, Yoga, Sonnenstudio, Coaching.
Es gibt hier und dort auch einen Werbespot, in dem verschiedenst geformte Körper präsentiert werden. Ich verstehe die gute Absicht, Vielfalt akzeptieren und ihre Schönheit verstehen zu wollen. Aber ein schlechter Nachgeschmack bleibt doch auf meiner Zunge, genau wie jener, den ich spürte, als ich einen amerikanischen Werbespot sah, in dem die vier Hautfarben wie auf einer Malpalette präsentiert wurden. Freilich gibt es mehr Hautfarben als vier, abgesehen davon, dass ein Native American niemals rot und ein Japaner nie gelb aussieht. Müssen wir uns derartig kategorisieren lassen, um die Politik der Vielfalt zu verteidigen? Unterstützt nicht gerade diese Art des Katalog-Denkens die Ideologie der Menschen, die gegen die Vielfalt gestimmt sind? Sie sagen, dass sie „weiß“ sind, aber wer ist schon papierweiß? Könnte ein Leipziger vielleicht weiß sein, weil er aus der Stadt der Bücher stammt, oder eventuell ein Slowene, weil dort die meisten Papiere in Europa produziert werden?
Muss man sich einem Buchstaben zuordnen, H, L, G, B, T, Q, um die Vision der Vielfalt darzustellen und dafür zu stehen?
Es ist kein neues Phänomen, dass wir von einem schönen Körper träumen und an unserem eigenen Körper basteln. Schon durch die einfache Körperpflege sehen wir nicht mehr naturbelassen aus. Daher kann die körperliche Transformation eine banale, harmlose Performance sein, wenn sie nicht der Gesundheit schadet. Warum klingt aber die Vorstellung, in einem falschen Körper geboren zu sein, so traurig wie das Seufzen eines Kindes, das in eine falsche Familie hineingeboren zu sein glaubt?
Als Jugendliche in den 1970er Jahren wollte ich keinen Rock tragen. Das Kind dachte nicht, dass es kein Mädchen sein wollte. Es gibt ein Redemuster, dem ich häufig in Interviews mit Transpersonen begegne: „Wenn ich jetzt zurückblicke, wollte ich nie mit Puppen spielen und immer Fußball spielen.“ Der Wille eines Kindes wird, gerade weil er ohne Reflexion und Ideologie vorhanden war, später als authentischer Beweis zitiert.
Was mich betrifft, verweigerte ich nicht die japanische Version der Barbie-Puppe, „Rika-chan“, als ich sie von Verwandten geschenkt bekam. Ich integrierte sie in meine Figurentruppe, mit der ich für mich Theater spielte. Ein Saurier (auf der Straße gefunden), ein Frosch (ein Kundengeschenk von der Apotheke) und ein Bärchen (selbst ausgeschnitten aus Papier) waren schon dabei. Die japanische Barbie passte nicht ganz dazu, sie wurde aber akzeptiert.
Ich identifizierte mich niemals mit der Barbie-Puppe, aber auch nicht mit dem Frosch, obwohl dieser mir viel vertrauter vorkam als sie. Meistens war ich damit zufrieden, die Regisseurin dieses Figurentheaters zu sein, die gleichzeitig die Handlung bestimmen durfte, also eine Art Drehbuchautorin. Eine Theaterbühne, auf der mehrere Gender gleichzeitig auftreten, könnte die erste meiner Gender-Bühnen gewesen sein.
Mich interessieren zuerst kleinere, oberflächliche, flüchtigere Unterschiede, die inszeniert und wahrgenommen werden. Denn was für ein Geschlechtsorgan ein Mensch hat, ist von außen nicht zu sehen. Viel wichtiger ist die Hautoberfläche, zum Beispiel die Haut des Beins. Ist sie behaart oder nicht? Es wird heutzutage überall fleißig rasiert aus Angst vor der Unterstellung zu vieler Gemeinsamkeiten mit Primaten, und diese Angst ist bei Frauen größer als bei Männern, genauer gesagt, fürchten sich Männer vor dem Tierhaften in einer Frau, während Frauen insgeheim denken, eine Prise Wildnis als Gewürz schade nicht bei den Männern, die sonst zu glatt oder fad wirken könnten. Die Bezeichnungen „Frauen“ und „Männer“ hier sind selbstverständlich nicht biologisch gemeint.
Die Frage, wie viel Körperhaare erwünscht bzw. akzeptiert sind, hängt von der Zeit und Kultur ab, und daher sollten wir das Phänomen als vergängliche Mode entspannt betrachten. In den 1980er Jahren waren im deutschen Sommer mehr Körperhaare zu sehen als heute, zumindest, soweit ich es als Studentin in Hamburg beobachten konnte. Die Körper in Tokyo waren damals weniger haarig. Die Inszenierung der Geschlechtsmerkmale funktioniert nur in der Relation zu einem anderen Geschlecht, und macht somit die Existenz des imaginären, anderen Geschlechts bewusst.
Ich erinnere mich an eine Szene in der Hamburger S-Bahn, in der ein junger Mann zur Frau, die ihm gegenübersaß, sagte: „Rasiere doch deine Beine!“ Die Frau antwortete selbstbewusst in einer damals üblichen feministischen Heiterkeit: „Rasiere doch deine eigenen Beine!“ Warum denke ich, dass diese Szene heute eher unwahrscheinlich ist?
Die Vorstellung von weiblichem und männlichem Bein verändert sich schnell und unterscheidet sich von Kultur zu Kultur. Wir bestehen auf die Selbstbestimmungsrechte, dabei können wir nicht einmal selbst bestimmen, wann und wo wir geboren werden. Und selbst wenn wir das zugewiesene Geschlecht später korrigieren können, haben wir nur eine bescheidene Wahl zwischen dem, was in einem schmalen Streifen der Zeit und des Orts als weiblich gilt, und dem, was als männlich gilt.
Aber die Beschränktheit hat auch eine gute Seite. Weil der Spielraum so überschaubar und bescheiden zu sein scheint, kann selbst ein kleines Körperteil, das bei der Reproduktion gar keine Rolle spielt, wirkungsvoll das Gender markieren. Zum Beispiel die Wimpern. Die Unterschiede zwischen den Wimpern einer Frau und denen eines Mannes sind nicht groß, vor allem nicht angeboren. Die Augen einer Frau, die ihre Wimpern so lässt, wie sie sind, und sie nicht künstlich betont, könnten heute schon als unweiblich eingestuft werden. Umgekehrt könnten die zu lang gewachsenen Wimpern bei einem erwachsenen Hetero-Mann zu einem Problem werden. Die Episode, die ich jetzt erzählen möchte, liegt schon einige Jahre zurück: Beim Ehemann einer Freundin wuchsen die Wimpern wegen medizinischer Augentropfen plötzlich lang und dicht. Zuerst sah es aus, als würde er sich über den neuen Ausdruck seiner Augen amüsieren, die an Elvis Presley erinnerten, aber dann war er von den Gedanken erschrocken, dass er „missverstanden“ werden könnte. Ich verstand nicht sofort, was er mit dem Wort „missverstanden“ meinte. Umso schlimmer überfiel mich die Erkenntnis: Als Hetero-Mann hat er Angst, dass sein Körper Signale sendet, die auch auf Männer attraktiv wirken könnten. Es kann zu jeder Zeit passieren, weil menschliche Körper – auch ohne Augentropfen – nicht auf die künstliche Grenze zwischen Frau und Mann achten. Eine weiche, leicht gelockte Strähne im Gesicht eines Mannes oder seine feuerroten Lippen nach einem scharfen, thailändischen Essen könnten durchaus Anziehungskraft haben, die als weiblich angesehen werden kann. Daher müssen diejenigen, die auf keinen Fall missverstanden werden wollen, leider ständig aufpassen, und es gibt sogar Ängstliche unter ihnen, die, um sich vor einem „Missverständnis“ zu schützen, schwulenfeindliche Witze erzählen. Eine klassische Schutzmaßnahme. Ich frage mich aber, was ist so schlimm daran, missverstanden zu werden? Unsere Körper werden ständig missverstanden, und gerade in Irritationen und Verwirrungen wird ihre Anziehungskraft verstärkt.
Die Wimper ist nicht immer ein „Frauenthema“ gewesen und wird in Zukunft wahrscheinlich auch nicht ein solches bleiben.
In einem Artikel aus der Zeitung „Der Standard“ vom 6.7.2021 steht: „Im alten Ägypten, später im antiken Griechenland und auch bei den Römern war es üblich, sich mit Kohle und Ruß die Wimpern dunkler zu färben. Das Abschminken muss eine ziemliche Prozedur gewesen sein. Der antike Schminktrend hatte aber nicht nur ästhetische Gründe. Die alten Ägypter glaubten etwa, dass sie so böse Geister fernhalten könnten. Deshalb wurden sogar Neugeborenen die Wimpern gefärbt.”
Am Anfang dieses Artikels werden die Männer als Betroffene miteinbezogen, allerdings stehen sie in Klammern: „Ein bezaubernder Wimpernaufschlag ist schönheitsbewussten Frauen (und Männern) seit Jahrtausenden viel Mühe wert. Und wie bei allen Schönheitsidealen gilt auch hier: Wer ihnen nicht von Natur aus entspricht, der muss halt tricksen!”
Heutzutage würde niemand über die Existenz von Mascara für Männer überrascht sein. Die Werbung für ein solches Produkt spricht ohne jede Zuschreibung wie „trans“ oder „homo“ ihre Zielgruppe an: „Unsere ausdrucksstarke Wimperntusche ist für Männer vorgesehen, die keine Angst vor einer fundamentalen Veränderung haben.“
Ausgerechnet durch Mascara – durch etwas, was vergänglich und äußerlich ist – soll etwas Fundamentales verändert werden. Die jüngste Revolution des Gender hat in der Tat etwas Oberflächliches im guten Sinne: Sie nimmt das Aussehen des Menschen ernst, sie will die Oberfläche des Körpers, die der Sprache oder auch die der Toilettentüren ändern. Auch die Vagina oder die Gebärmutter treten an die Oberfläche, insofern, als sie für eine individuelle Entscheidung erreichbar und durch ein Operationsmesser verän-derbar geworden sind wie die Wimpern.
Mich fasziniert immer wieder die Tatsache, dass die Augenpupillen an sich weder weiblich noch männlich aussehen. Dabei glauben wir fest, dass gerade der Glanz der Pupillen eine starke sexuelle Anziehungskraft ausübt. Marilyn Monroe wusste, dass das nicht der Fall ist. Betrachten wir einige Fotos von ihr: Was wir als den Ausdruck ihrer Augen wahrnehmen, ist bloß die Linie der Wimpern. Die Augen sind fast geschlossen, sodass sie kaum zu sehen sind.
In Japan wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zum ersten Mal Mascara importiert. Zuerst waren es nur Schauspielerinnen, die sie verwendeten. 1937 wurde die Mascara auch für bürgerliche Frauen erhältlich, verschwand aber sehr bald wieder wegen des Zweiten Weltkrieges. In der Nachkriegszeit und in den Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders, in denen wieder fleißig geschminkt wurde, galt die Augenschminke eher als übertrieben, im schlimmsten Fall als anrüchig. Erst um die letzte Jahrhundertwende kam das Wort „Mejikara“ (die Kraft der Augen) in Mode, und die Augen wurden stärker geschminkt. Das Wort „Mejikara“ bezieht sich allerdingt nicht nur auf Frauen, meint auch nicht die erotische Anziehungskraft der Augen. Vielmehr bezeichnet es die Wirkung und die Ausdrucksstärke der Augen. Ein älteres Wort mit einer vergleichbaren Bedeutung, „Ganriki“, wird zum Beispiel im traditionellen Kabuki-Theater durch auffällige Augenschminke („Mebari“/„Kumadori“) unterstützt. In dieser Form des Theaters spielen ausschließlich männliche Schauspieler, die auch sämtliche Frauenrollen übernehmen. Die Augen der männlichen Figuren werden stärker betont und stilisierter geschminkt als die der weiblichen Figuren. Die Wimpern sind meistens nicht als solche erkennbar.
Kumadori
Die biologisch männlichen Schauspieler, die auf Frauenrollen spezialisiert sind („Onnagata“), üben ihre Genderrolle auch im Alltag. Es wird von ihnen nicht verlangt, keine Frau zu heiraten oder kein Kind zu zeugen. Sie unterziehen sich keiner Hormontherapie, geschweige denn Operationen. Die Weiblichkeit erreichen sie eher dadurch, dass sie beim Essen ihre Essstäbchen weiblich heben und nicht männlich. Der japanische Ausdruck „Hashi no agesage“ heißt wörtlich übersetzt „Heben und Senken der Essstäbchen“ und bedeutet jede kleine Körperbewegung im Alltag, die ernst zu nehmen ist. Magnus Hirschfeld interessierte sich während seines Japan-Aufenthaltes für die männlichen Frauendarsteller im traditionellen Kabuki-Theater und versuchte, sie in drei Kategorien aufzuteilen: Die Hetero-Männer, die die Frauenrollen beruflich spielten, die Transvestiten und die Homosexuellen (Hirschfeld „Weltreise eines Sexualforschers im Jahre 1931/32“ Frankfurt/M 2006. S.73). Die Kategorisierung könnte unzutreffend sein, da diese Theaterform aus einer Zeit stammt, in der gleichgeschlechtliche Sexualität bei heterosexuellen Männern nicht ungewöhnlich war, sondern gewöhnlicher als zu anderen Zeiten und in einem bestimmten Kontext sogar als Norm galt.
Bild: Sagimusume (Reiherjungfrau), getanzt von Onnagata Akifusa Guraku
Zurück zum Thema der weiblichen und die männlichen Wimpern. In den japanischen Ukiyoe-Portraits von Frauen habe ich nie Wimpern gesehen. Erst am Anfang der Moderne tauchten die durch die Schminke betonten Wimpern in den Abbildungen auf.
Ukiyoe-Portrait
Heutzutage hat jedes Mädchen und jede Frau in einem Manga lange Wimpern, besonders in denen der Gattung des „Shojo-Manga“ (Manga für Mädchen), die seit den 1950ern in Japan produziert und gelesen wird. Im ersten Manga, das innerhalb dieser Gattung ein breites Publikum fand, „Ribon no kishi“ (Ritter der Schleife, erste Veröffentlichung 1953) von Tezuka Osamu, hat die Hauptfigur Prinzessin Saphire lange Wimpern.
In der zeitgenössischen japanischen Literatur, wenn sie eine gewisse Nähe zur Manga- und Pop-Kultur hat, wachsen Wimpern als Schönheitsideal in die Länge. Hier ein Beispiel: „… über den großen, großen mandelförmigen Augen lange, dichte Wimpern, die, wenn sie die Lider niederschlug, zarte Schatten werfen.“ (Banana Yoshimoto „Tsugumi“, Original 1989, deutsche Übersetzung 2006 Zürich).