Elektrisch nach Italien - Nick Stein - E-Book

Elektrisch nach Italien E-Book

Nick Stein

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Beschreibung

Mit wenig Reichweite ins Blaue Ein modernes Abenteuer: Langsam reisen, an unbekannte Orte gelangen, mit dem Ungewissen unterwegs sein: Mit einem E-Auto in einem Land mit wenig Ladesäulen kein Problem. Wo Goethe mit der Kutsche an Poststationen halten musste, damit die Pferde Heu bekamen, muss der elektrisch Reisende eine fortwährende Schnitzeljagd zu verborgenen Ladestationen machen, die ihn an ganz neue Orte führen. Doch die wahre Reise findet im Kopf statt. Folgen Sie dem Autor durch malerische Landschaften, wunderbare Cafés und Restaurants, aber auch durch Geschichte, fremde Dimensionen und die Irrwege von Sprache, Gesellschaft und Weltanschauung. Denn fürs Laden braucht man Zeit, oder anders gesagt: Es gibt einem Zeit - zum Nachdenken, für Gespräche, zum Schweifen und Streifen durch Themen, die sonst links liegenbleiben. Und statt ständig umherzufahren, um ja keine Sehenswürdigkeit zu verpassen, bleibt man lieber mal am Pool des Ferienhäuschens oder vor einem Buch und begibt sich auf eine ganz andere Reise. Lassen Sie sich von Nick Stein nach Italien und in fremde Welten entführen!

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Elektrisch nach Italien

Elektrisch

Nach Italien

Eine Abenteuerreise

durch Raum und Zeit

Nick Stein

Ein schöner Tag wiegt einen schlechten Monat auf.

– Toskanisches Sprichwort

Elektrisch nach Italien

Die gute Nachricht: Ein Land, das Italien mit elektrisch angetriebenen Panzern angriffe, hätte null Chancen auf Erfolg. Die andere gute Nachricht: Nie lernt man das Land selbst in seinen abgelegensten Winkeln besser kennen als mit einem kleinen E-Auto.

Wir Deutsche klagen gern über einen Mangel an Ladestationen. Vor allem die Leute, die kein E-Auto haben und es so ins rechte schlechte Licht setzen wollen. Wir klagen sowieso gern, wir Deutschen, Jammern und Aufregen gehören zum germanischen Standardhandwerk. Aber stimmt das auch? Haben wir wirklich zu wenig Stationen?

Bisher hatten meine Frau Petra und ich bei einigermaßen übersichtlicher Planung kaum darüber klagen können, keine Ladestation oder die angesteuerte besetzt zu finden. Inzwischen hat jede zweite Autobahnraststätte außer teuren Toiletten von Sanifair auch einige Anlaufstationen für FahrzeugführerInnen (was für ein schönes deutsches Wort!) wie uns, und es werden immer mehr. Von dreien sind zwar zwei für uns oft nicht brauchbar, weil der eine Typ, genauso häufig gestreut wie der andere, nur für wenige japanische Autos verwendbar und fast immer unbesetzt ist, und weil der andere Ladeanschluss mit einfachem Wechselstrom für uns viel zu langsam ist. Und die viel zu vielen Tesla-Stationen, in der Hoffnung auf massive Verkäufe überdimensioniert geplant, kann niemand außer Musk-Fans nutzen. Wann kommt endlich die Standardisierung? Aber nein, ich wollte mich ja nicht beklagen oder herumjammern.

Beklagen mussten wir uns einmal in Fallingbostel am Rand der Lüneburger Heide. Mutig hatten wir diesen Ort eingeplant, weil unser Strom auf der Fahrt nach Hamburg bis dorthin reichen sollte. Eine E-Tanke hatten wir rechtzeitig vorher für uns auserkoren, in einer Umgebung, wo wir mit unseren Hunden auch eine halbstündige Runde drehen konnten. Nur lag diese Station, die zu einer Industriefirma gehörte, am Wochenende hinter deren Zaun und war dadurch für uns unerreichbar. Eine zweite in der Stadt akzeptierte unsere Karte nicht. Wir mussten uns zu einer sehr langsamen begeben und dort eine Stunde laden, um ganz vorsichtig zurück zur Autobahn und einer elektrischen Oase zu fahren. Seitdem fahren wir den Akku nie leerer als zwanzig Prozent.

Unser günstig erworbener Hyundai Kona der ersten Generation lädt leider nur einphasig, was beim Strom aus der Steckdose dann zu anderthalb Tagen Ladezeit und beim Typ CCS immer noch zu etlichen Stunden führt. Also kommt für uns nur der Gleichstrom-Anschluss CCS Typ zwei in Frage, aber davon gibt es meist nur einen. Einer davon, auf der Rückfahrt von Bella Italia in Salzburg, war ausgerechnet von einem Tesla besetzt. Denn die können bei uns, wir aber nicht bei denen. Aber dazu kommen wir noch!

In Deutschland läuft das Laden meist ganz leidlich. Eine halbe Stunde halten und einen Kaffee trinken oder die Hunde Gassi führen, schon ist man wieder auf achtzig Prozent und kann weitergleiten, mit optimal 110 Stundenkilometern, was den Akku, die Landschaft und vor allem das Klima schont. Deshalb fahren wir ja elektrisch, wenn wir nicht gleich von zu Haus aus zu Fuß loswandern.

Für unsere Fahrt aus dem Göttinger Umland nach Arezzo hatten wir zwei Tage eingeplant; am ersten wollten wir bis ins Südtirolerische bis nach Trient, am zweiten dann früh los Richtung Toskana, denn wir mussten am Nachmittag noch meine Tochter Maja vom Flughafen in Florenz abholen. Eine logistische Herausforderung.

Wir fuhren abwechselnd. Erste Station: Hammelburg, denn über Nacht hatten wir den Kona vor unserer Solarscheune auf die volle Ladung mit einer Reichweite von fast 350 km gebracht. Eine Stadt, die ich sonst nie kennengelernt hätten. Petra kannte den Ort, denn dort gibt es eine Erdfunkstelle, wo sie mal gearbeitet hat, und wir fuhren auch gleich an den vielen großen und kleinen Mickymausohren im Osten der Stadt vorbei. Erdfunkstellen fangen Signale von Satelliten auf, und Petra hatte den Mitarbeitern dort besseres Englisch beigebracht, denn gelauscht wird immer noch in diesem Idiom.

Die Ladestation lag auf dem Parkplatz eines Autohändlers und war frei. Zeit genug, um ins Zentrum zu wackeln, dort beim Italiener mit Blick auf den Marktplatz und dessen schönem historischen Brunnen den ersten Cappuccino zu uns zu nehmen. Schon hier: Weinberge, sogar ein Bio-Winzer, der Hotelier am Markt war ebenfalls einer. Schöne Architektur, nette Stadt, freundliche Menschen. Zwar verliefen wir uns auf dem Rückweg, schwer in einer Kleinstadt, aber dafür war der Akku wieder fast voll. Sechzehn Euro, das muss ein Benziner erst einmal schaffen!

Petra schaffte es bis Giengen an der Brenz – nie gehört, es liegt kurz vor Ulm. Eine neue Ladestation, diesmal von der Firma Fastned, wofür wir in der herrschenden Julihitze erstmal eine neue App runterladen mussten, um hier auf dem Autohof neben der Autobahn laden zu können. Dafür können wir, sollten wir auf weitere Stationen dieser Firma stoßen, dann ohne weitere Fisimatenten (Visité ma tente – kommen Sie doch einfach mal in mein Zelt, deutsches Frollein, dann werden wir schon etwas einfädeln, frei nach dem Sprachgebrauch während der französischen Besatzung des Rheinlandes), also ohne weiteres Gefummel einfach durch Einstecken loslegen.

Anstellen konnten wir dort nichts, weder spazieren gehen noch uns zum Kaffee hinsetzen. Immerhin konnten wir an einer nahen Tanke neues Wasser für unterwegs kaufen. Ansonsten: Warten, bis der Akku bei 80 Prozent angekommen war. Danach wird’s langsam mit dem Zuladen, es lohnt nicht, auf eine volle Ladung zu warten, das Ladetempo nimmt kontinuierlich ab. Somit kann man eigentlich immer nur sechzig bis siebzig Prozent nachladen, denn man will nicht mit leerem Akku irgendwo liegenbleiben, sondern steuert eine Station an, wenn man bei 20 Prozent oder knapp darunterliegt. Denn wer weiß: Vielleicht ist die nächste Station kaputt oder besetzt, und dann kann es passieren, dass man mit einer langsamen Station vorliebnehmen muss und stundenlang an einen öden Ort gebunden ist. Womit wir nichts gegen Bad Fallingbostel sagen wollen, fahren Sie mal hin in den Heideort. Es ist schön dort, wenn man es nicht eilig hat. Mit viel Glück kann man Wölfe sehen.

Das Laderegime reduziert die tatsächliche Reichweite somit auf 200 km, und der Beifahrer muss schon ab einer Restladung von 100 km schauen, wo denn wohl die nächste unbesetzte Station liegt, und wo es Alternativen gäbe.

Die eingebaute Karte für Ladestationen im Kona lebte eher in einer Phantasiewelt. Manche Stationen, die sie vorgab zu kennen, gab es gar nicht oder sie waren langsam, anders als angegeben. Andere, vor allem neuere, kannte sie nicht, man konnte sich schlichtweg nicht drauf verlassen. Also blieb uns nur eine App auf dem Handy, in unserem Falle die von EnBW, die ziemlich verlässlich ist und mit der auch bezahlt werden kann. Nach unserer Rückkehr hat Hyundai allerdings ein Update hochgeladen, jetzt kennt das Auto fast alle Stationen. Geht doch!

Wie sagte doch mein Fahrlehrer in den Siebzigern: Vorausschauend fahren! Das gilt besonders, wenn man über die Alpen will, denn bei langen Anstiegen geht der Leistungsverbrauch hoch, man kommt lange nicht so weit, wie die Anzeige behauptet. Also will vorher sorgfältig geplant werden.

Unsere Route sollte durch Österreich führen, aber nicht über München und durchs untere Inntal, sondern an Füssen vorbei ins obere Inntal. Kleinere Straßen, wenige Stationen: Ein wenig wie ein Kamelritt durch die Wüste. Wenn die ersehnte Oase dann nicht da oder trocken ist, ist die Reise vorbei. In den Alpen soll es ja inzwischen auch wieder Geier geben.

Wir hatten uns eine Station bei Reutte in Tirol ausgewählt, nicht so weit über die Grenze, und es passte: Die Station gab es, und sie war frei, ganz wunderbar. Ein Albaner in der Raststation backte uns eine Pizza, seine Tochter kochte uns einen Kaffee. Wir konnten etwas einkaufen und uns umsehen, denn mit draußen Rumlaufen war nichts: Während der ganzen Fahrt durch die Alpen regnete es in Strömen, und ich wurde beim Ein- und Ausstöpseln trotz Herrenstockschirm ordentlich nass.

Mit unserer neuen Wegzehrung, einer Rolle Kekse und einer Flasche Wasser, und um insgesamt vierzehn Euro für Snacks und Ladung ärmer machten wir uns auf den Weg Richtung Brenner, einen langen Anstieg hinauf. Würden wir es schaffen? Denn viele Stationen waren auf der App nicht zu sehen, doch die Hoffnung lebte: Vom Brenner hinab konnten wir rollen und vielleicht sogar Energie zurückgewinnen. Rekuperieren, wie es das Auto nennt. Denn statt zu bremsen oder zurückzuschalten, wie vom Verbrenner gewohnt, schalten wir heute über eine Wippe den Elektromotor von Antrieb auf Erzeugung, wenn es schön bergab geht oder wir vor einer Ampel halten müssen. Ganz wie in der Formel eins, wo das KERS heißt. Auf langen Abfahrten steigt dann die Reichweite sogar. Dafür schleicht man mit neunzig oder hundert sicher den Berg hinab, gibt so anderen ein gutes Beispiel und geht doppelt energiegeladen in den Urlaub. Man sieht auch viel mehr von der Landschaft!

Dennoch, es reichte nicht, und wir mussten in Vitipeno, dem Südtiroler Sterzing, nachladen. Zwar noch im deutschen Sprachraum, aber schon in Italien. Wir mussten runter von der Autobahn, denn direkt an der Autostrada gibt es in Bella Italia so gut wie gar keine Stationen. Wir blieben nur kurz, nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt, und genossen den Blick auf die Alpen und das Schloss Sprechenstein vor uns, durch die immer noch verregnete Frontscheibe.

Überhaupt: die italienische Autostrada. Sie ist zum größten Teil mautpflichtig und damit eine wichtige Einnahmequelle für den Staat. Das hat Konsequenzen: An jeder Auf- und Abfahrt müssen aufwändig Brücken und Mautstationen gebaut werden. Dabei werden Flächen verbraucht, die um ein Vielfaches größer sind als jedes noch so großzügige Autobahnkreuz; die Kosten, die dafür aufgewendet werden, fressen vermutlich die Mauteinnahmen mehr als auf, abgesehen von den Ökosünden Flächenverbrauch und Umweltversiegelung. Wahrscheinlich sind einige Prozent der Fläche Italiens für solche Mautstationen draufgegangen. Und da solche Monster kostspielig sind, gibt es nur wenige Auf- und Abfahrten an der Autostrada, mit großen Abständen zwischen ihnen. Da es nun an der Autobahn selbst keine Ladestationen gibt, muss man rechtzeitig runter. Also die Abfahrt dreimal über Brücken umrunden, gefühlt fünfmal, bezahlen, eine Ladestation abseits der Autobahn finden und beten, dass sie frei und heil ist, dann wieder hin zum Highway, bezahlen, zurück kreiseln und sich wieder in mehrfacher Hinsicht geladen auf den Highway begeben.

Die meisten Ladestationen im Land, wo die Zitronen blühen, sind einfache Wechselstromanlagen und damit für uns ungeeignet. DC-Stationen gibt es nur wenige, meist an großen Einkaufszentren, versteckt in einer unromantischen Ecke. Immerhin kann man die Ladezeit in klimatisierten Räumen verbringen und vielleicht käuflich eine Badehose, einen Snack oder ein Getränk erwerben. Wir haben in unserem Urlaub sehr viele Einkaufszentren kennengelernt, an denen wir sonst völlig ahnungslos vorbeigefahren wären. Sie mögen alle gleich aussehen, aber dann frage ich mich: Sehen die Berge, die Flüsse, die Seen und die Städte und Dörfer nicht auch irgendwie alle gleich aus? Scheint im Urlaub nicht auch dieselbe Sonne wie zuhause? Natürlich. So gesehen, haben wir ganz neue Seiten von Italien entdeckt.

Von Vitipeno aus nach Trient war es nicht mehr weit, und dort hatten wir ganz in der Nähe des Hotels an der Autobahn eine geeignete Station ausgespäht, diesmal in einem Industriegebiet. Das Hotel hatte leise und gemütliche Zimmer, wir waren rechtschaffen müde, gönnten uns nur ein Bier und verschoben das Laden auf die Frühstückszeit. Was hieß, dass ich früher aufstehen und mit dem Auto die gut versteckte Station finden musste. Sie verbarg sich hinter einer Tankstelle und hinter Lastwagen an einem Imbiss. Es fühlte sich an wie ein gelungenes Geocaching, bis ich einen Kleinlaster entdeckte, der sich an dieser weit und breit einzigen Station breitmachte. Er würde doch nicht etwa...? Mordlüstern schlich ich mich mit dem letzten Rest Strom an.

Nein. Die Station war frei, der stand da nur so rum. Ich wackelte zu Fuß zurück zum Hotel, endlich einmal genug Schritte für einen frühen Morgen, meiner Pulsuhr zur Freude und appetitbildend bei mir, und nach dem Frühstück konnten wir zu zweit zurückpilgern und das mittlerweile gut gefüllte Auto abholen. Weiter ging’s, erst zurück zum Auschecken ins Hotel und dann gen Süden, auch wenn die Ladung bis zum Ziel in Arezzo nicht reichen würde.

Für die letzte Ladung nahmen wir uns eine Station bei Bologna vor, die wir gerade noch gut erreichen konnten, ohne den Speicher komplett zu entladen. Nur blöd, dass wir die richtige Ausfahrt im wuchernden Straßengewirr um Bologna verpassten, das zur Hälfte aus Autobahnkreuzen und zur anderen aus Mautstationen besteht; jetzt mussten wir noch weit über zwanzig Kilometer bis zur nächsten Abfahrt fahren und dann wieder über die Landstraße zurück, denn eine andere freie Station gab es nicht, so weit, wie ein Albatros fliegt.

Dafür wurden wir mit schönen Straßennamen im Zielort belohnt, Casalecchio di Reno. Hinter der Via Marilyn Monroe lag unser Ziel, die Via John Lennon. Wir waren mal wieder in einem großen Einkaufszentrum gelandet, ach was, in einem unübersehbar riesigen Outlet, größer als der Vatikan! Es gab ein Café, aber draußen zu sitzen kam wegen der Hitze nicht infrage. Also schlichen wir uns durch die gekühlten Läden, bei der Gelegenheit noch nach einer weißen Hose suchend, die ich auf einer späteren Party unbedingt tragen sollte. Dort, in einem Ort nahe Nizza und einen Monat später, sollten alle Damen bitte schön in schönen langen Kleidern und alle Herren in weißen Hosen, keine Jeans, bitte, und weißen Hemden aufschlagen, so die vorgeschlagene Choreografie für einen siebzigsten Geburtstag.

Das klappte, wir fanden eine, die perfekt passte und trotzdem nur zwanzig Euro kosten sollte und nicht mal aus China kam. Ich bekam von meiner Frau gleich noch ein Shirt dazu vorgeschlagen, ein kanariengelbes, das ihr wegen der drei verschiedenen bunten Knöpfe sehr gut gefiel und das auch nur elf Euro kosten sollte. Zusammen mit der Hose ein wahres Schnäppchen! So gefällt einem der Italienurlaub, zumal das Auto dann vollgeladen war und wir in einem Rutsch bis in unser vorbestelltes Feriendomizil nahe Chiani bei Arezzo durchhuschen konnten.

Apropos Straßennamen. Bei der Suche nach Ladestationen hatte mir meine Karte da und dort Straßennamen auf Chinesisch angezeigt. Das kann ich zwar lesen, schließlich habe ich über dreißig Jahre im Land der Mitte gelebt, wundern wollte ich mich trotzdem. Ich meine, bei uns im Dorf haben wir auch keine Straßennamen auf Guatemaltekisch oder Ivorisch, warum also in der Toskana auf Chinesisch? Dann fiel mir Prato ein, eine schöne alte Stadt nahe Florenz, wo ich dasselbe schon einmal gesehen hatte. Die Ansiedlung von über 25.000 Chinesen dort hatte vor etlichen Jahren einen guten Grund gehabt. In China wurden (und werden) gnadenlos alle Shirts, Hemden, Hosen und Kleider kopiert, die im Westen gut und teuer waren. Ein T-Shirt von Prada, das in Italien 280 Euro kostete, wurde in Shanghai für drei bis vier Euro angeboten, gut nachgemacht und vermutlich auch noch staatlich gefördert: Denn auch die westliche Textilindustrie sollte in die Knie gezwungen werden, wie andere Zweige vor ihr.

Nur ließen sich diese Waren nicht einfach nach Europa exportieren, da war der Zoll vor, der gern auch mal in größeren Aktionen falsche Uhren mit einer Straßenwalze plattmachte, tick, tick, tick, krach und Ende Gelände.

Was tun? Statt der Waren exportierte China nun die Hersteller, meist Leute aus der Fälscherhauptstadt Wenzhou in der Provinz Zhejiang, und siedelte sie direkt neben Gucci, Prada und Versace an (wobei mir zwei junge Texanerinnen ins Gedächtnis kamen, die vor einem dieser Outlet-Läden gestanden hatten; die eine schwärmte von Gatschi, die andere zog Wörsässes vor, also Gucci und Versace auf Texanisch statt auf Chinesisch). China durfte den fleißigen Zuwanderern Stoffe liefern, und schon machten sie dort billige Chinaware made in Italy, und viele westliche Händler bedienten sich dort gern, ohne Gewissensbisse. Hatte nicht schon Lenin gesagt, dass die Kapitalisten ihnen noch das Seil verkaufen würden, mit dem die Kommunisten sie aufhängen würden? Bei den Chinesen kommt dazu, dass wir zur Hinrichtung dann auf jeden Fall ein billiges Baumwoll-Shirt aus Wenzhou mit dem Aufdruck Prada tragen werden.

Mir fällt dabei immer eine andere Weisheit ein, die gern mal zitiert wird. Gib dem Armen keine Fische, sondern eine Angel und lehre ihn Fischen. Schön, gut und sehr edel. Wobei Teil zwei heutzutage dann lauten würde, bring den Chinesen westliches Wirtschaften bei, leg dein eigenes Fangschiff still und geh ans Band arbeiten, dafür liefert der ehemalige Arme dir für sehr viel Geld die Fische, die du vorher umsonst fangen konntest; und Teil drei, jetzt musst du etwas anderes essen, denn durch massive Überfischung wird im Meer jetzt fast gar nichts mehr gefangen. Heuschrecken als Mahlzeit werden ja inzwischen genauso angeboten wie Bienen.

Inzwischen sind allerdings viele der asiatischen Wahl-Pratoainer (Prätorianer? Pratoer? Auf Italienisch heißen sie Pratesi) wieder zurück ins Reich der Mitte gegangen, die Straßennamen sind geblieben. Wie die Italiener damit zurechtkommen, bleibt mir ein Rätsel.

Während diese Erinnerungen auf der Fahrt an mir vorbeizogen, eifrig mit meiner Liebsten geteilt, um auch mal zu Wort zu kommen, waren wir glücklich in Chiani angelangt. Allein, unsere Sorgen waren damit nicht erledigt. Denn wir mussten ja noch meine Tochter Maja aus Firenze vom Flughafen abholen, weitere gut hundert Kilometer hin und auch wieder zurück. Das erforderte weitere Elektronen für die Löcher in unserem Speicher. Also nichts mit einem eigentlich dringend benötigten Poolaufenthalt! In Arezzo sollte es fünf Ladestationen geben, die nächsten vier beim Eurospin, einem Casino nebst Läden, das laut Plan unser Fixpunkt für die nächsten Tage werden sollte. Nichts wie hin zum Eurospin!

Die Stationen entpuppten sich als schlappe Wechselstromanlagen. Für zehn kW würden wir drei, vier Stunden benötigen, und selbst das würde nicht annähernd reichen. Das Auto war fast leer, und Firenze so weit entfernt wie ein Jupitermond. Und die Zeit drängte!

Wir mussten ins Risiko gehen. Es gab zwei Stationen auf dem Weg zum Flughafen, nur etwa dreißig Kilometer entfernt, wie immer abseits der Autostrada: am Arno, der fast komplett ausgetrocknet war und vor sich hin verweste, im Städtchen Terranuovo Bracchiolini. An diesem Ferienort waren wir früher immer achtlos vorbeigefahren, dabei gab es hier ein Café mit einer blonden Bedienung, die mich enorm an Giulia Gwinn aus unserem Frauenfußballteam erinnerte; fast hätte ich Mannschaft geschrieben, das Wort Frauschaft ist ja noch gar nicht in unseren Sprachraum vorgedrungen.

---ENDE DER LESEPROBE---