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Der beste Freund des Menschen Über menschliche Spurensicherung kann Hundekommissar Jackie nur lächeln. Als seine Menschen, darunter Kommissar Lukas Jansen, eine Leiche finden, findet sein feines Näschen sofort die Spur des Täters. Er kann sogar sagen, was er zu Mittag gegessen hatte. Jackie versteht die menschliche Sprache gut, andersherum wird es schwieriger. »Was ist denn, Jackie, kläff hier nicht rum«, erhält er als Antwort, als er Lukas über den Täter erzählt. Jackie muss den Täter selbst finden und seine menschlichen Kollegen dazu bringen, ihn zu fangen und in den Zwinger zu stecken, wie er das Gefängnis nennt. Er ist zwar gegen Käfighaltung, auch bei Menschen, bei Mördern macht er gern Ausnahmen. Der Jack-Russell-Terrier schaltet außer seinen Humanassistenten seine vierbeinigen Freunde ein, denn auch die Hunde haben ein ausgedehntes Informationsnetzwerk, zum Beispiel über U-Tube, den Urinkanal, wo Nachrichten an Pfosten gepostet werden. Seine Freunde Trippel X und Teddy liefern ihm Hinweise, wo der Täter wohnt, mit wem er verkehrt, wie er zu finden ist. Wie das seinen Menschen beibringen, die das alles nicht verstehen? Da hat ein Hund durchaus seine Möglichkeiten, und Jackie führt Lukas zu wichtigen Zeugen. Seine Recherchen führen ihn zu einem Mörder, der ein Rudel Vierbeiner auf dem Gewissen hat. Auch hier ist er seinen Menschen weit voraus. Jackie erzählt aus seiner eigenen Sicht, wie der Hund zum Menschen gekommen ist, und was mit der Domestizierung des Menschen alles schiefgelaufen ist. Geduld ist gefragt, bis die Menschen verstanden haben, was zu tun ist. Das Einzige, das Jackie von der sofortigen Lösung des Kriminalfalls abhält, ist die läufige Hündin Leonie, deren Spur die des Mörders überlagert und ihn ein wenig irritiert. Jackie gelingt nicht nur die Überführung des Täters, er löst damit sogar einen alten Fall, an dem Lukas lange laboriert hat. Kommissar Spürnase erzählt diesen Krimi, der lose zur Lukas-Jansen-Reihe gehört, in der ersten Hundeperson. Machen Sie sich auf einen spannenden und unterhaltsamen Fall gefasst!
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
Kommissar Spürnase
Ein Hund ermittelt
Nick Stein
IMPRESSUM
1. Edition, 2021
© 2021 All rights reserved.
Mörliehäuser Str. 5
37186 Moringen
www.nick-stein.com
Hrsg: K. Bodenstein
Was sagt ein Hund, wenn er eine Leiche findet?
»Wow.«
Frisches Aas interessiert Menschen immer am meisten. Mein menschlicher Kollege Lukas kommt dann mit ein paar anderen in weiß gekleideten Leuten dorthin, läuft ein paarmal um das tote Fleisch herum und gibt Laut.
Dieses Vorgehen soll einer verstehen. Natürlich weiß ich, was sie bei einer Leiche bezwecken; sie wollen wissen, warum sie tot ist, und suchen nach Spuren und Hinweisen. Eine Kippe dort, ein Stück Metall hier. Und dann quatschen sie endlos darüber.
Einem Terrier wie mir ist das naturgemäß kein Geheimnis. Nase an den Boden, und nach einer Weile weiß ich alles. So geht Spurensicherung wirklich.
In diesem Fall war der Täter ein dicker und sehr hoher Mensch, der gern diese Glimmdinger in der Schnauze hatte, zu viel Schwein frisst und Mengen an vergorenem Getreide säuft. Sein letztes Fressen war vier Stunden her, es war diesmal Kalbfleisch mit einem Stück Schweinehintern und konzentriertem Milchfett gewesen, mit Kartoffeln und Erbsen. Der Mensch hatte dreißig Meter weiter an einen Zaun gepinkelt, es war alles frisch und viel zu süß.
Er nahm außerdem einige Chemikalien zu sich, deren Namen ich nicht kannte. Er schwitzte, wog einhundertdreißig Kilo, hatte Zucker im Urin und beginnenden Prostatakrebs.
Außerdem trug er ein beigefarbenes Kopffell, vor allem hinten und vorn unten am Schädel, Teile davon waren ausgefallen und lagen neben der Stelle, wo er hingepinkelt hatte. Womöglich hatte er sich das Fell gerauft, das machten sie manchmal. An den Füßen hatte er einen ungesunden Pilz wachsen, wie seine Spuren verrieten.
Ich hatte den Mann sogar schon mal getroffen, in einem dieser Häuser, wo sie dieses vergorene Zeugs trinken, mir aber etwas Richtiges gaben. Frisches Wasser.
Lukas bellte gerade einem Weibchen etwas zu, dem mit den roten Locken, das mich immer an eine Pudeldame erinnerte, die frisch vom Friseur kam.
Ich fragte mich, ob Lukas jemals verstehen würde, was ich ihm in ein paar Minuten über den Fall mitteilen konnte. Sie begreifen ja leider weniger von uns als wir von ihnen.
Am Aas selbst machten sich zwei Menschen zu schaffen, die sich in weiße Säcke gehüllt hatten und nach nichts rochen. Irgendetwas Sakrales, nehme ich an. In diesem Stadium durften nur sie das Aas und seine Sachen berühren und Dinge mit ihm anstellen. Die Schnauze aufklappen, die Augenlider anheben, die Vorderbeine bewegen, das Brandloch in der Brust begutachten. Erst wenn diese Priester fertig waren, durften die anderen Menschen ran.
Ich war mit meinen Ermittlungen fertig und sah den Leuten zu, wie sie ihre meist unnützen und dummen Untersuchungen durchführten, anstatt einfach mal in der Gegend herumzuschnüffeln, bevor die Spuren nachließen. Hoffnungslos.
Wie oft hatte ich Lukas schon gesagt, was er tun sollte! Aber er immer nur, »Ja, ist ja gut, Jackie, guter Hund, sei ruhig«, solche Dinge.
Ich musste ihm was zeigen. Das Stück Metall, das der Dicke durch den jetzt toten Menschen geballert hatte, mit diesen Knallrohren, die fast bei jedem Aas eine Rolle spielten. Ich hatte es natürlich längst gefunden.
Ich zog Lukas am Bein und sagte ihm, was Sache war.
»Was ist denn, Jackie? Siehst du nicht, dass ich hier zu tun habe? Was willst du? Hast du Hunger?«
Er hatte wie immer keine Ahnung. Ich zog weiter, er reagierte nicht.
Ich lief zu der Stelle, wo das Ding lag, und rief ihm zu, was hier zu sehen war. Nichts. Ich griff zu meinem letzten Mittel und imitierte die Geräusche von den Fahrzeugen, die sie mit den rot-blauen Leuchtdingern oben drauf machten.
»Heul doch nicht so rum, Jackie! Was ist denn da? Warte, ich komme.«
Genervt wie so oft, als ob ich ihn von seinen Aufgaben ablenken würde. Dabei nahm ich ihm wie immer seine Arbeit ab.
»Hey! Kommt bitte alle her und seht mal, was Jackie hier gefunden hat!«, rief er den anderen zu. »Guter Hund! Warte, kriegst gleich ein Leckerchen! Brav!«
Eine weiß eingewickelte Frau steckte das blutige Stück Eisen, das ich entdeckt hatte, in eine Tüte. So eine wie die, in der Lukas meine Snacks für zwischendurch für mich mit sich trug. Ich ließ mir gleich zwei geben, denn das hatte ich als Chef-Ermittlerhund auch verdient.
Die Menschen wollten natürlich die Bösen fangen. Die kamen dann in einen Zwinger. Ich war mal mit Lukas in so einee Zwingeranstalt gewesen, in der ganz viele böse Menschen in ihren Käfigen saßen und fluchten. Eigentlich bin ich ja gegen Käfighaltung, aber in diesem Fall? Wenn sie für Hunde oder auch Menschen gefährlich wurden, mussten sie selbstverständlich weggesperrt werden.
Ich legte mich wieder auf meinen Beobachtungshügel, der Fall war ja praktisch gelöst. Der Dicke musste in den Zwinger, und fertig. Nur hatten die Menschen das noch nicht verstanden, sie rätselten daran herum, was passiert war, anstatt ihre Nasen einfach mal aufzusperren.
Beim Dösen kam ich ins Nachdenken. Seit der Domestizierung des Menschen sind es nun zwanzigtausend Jahre her, und was haben sie dazugelernt? Gut, vieles von dem, wozu wir sie angestupst hatten, beherrschten sie dann nach einigen Generationen. Die Sache mit dem Feuer zum Beispiel.
Mein Großvater hatte mir das erzählt. Bello der Große, einer der ersten, die sich entschlossen, den Menschen zu zähmen, hatte wieder und wieder nach Blitzeinschlägen Stöcke mit Flammen zu den Zweibeinern getragen. Anfangs waren sie vor Angst geflohen, bis Bello ihnen eine Rentierkeule ans Feuer legte. Der Duft lockte sie an, und nachdem er das dreißigmal wiederholt hatte, nutzten sie schließlich ihre Hände dazu, das von da an immer so zu machen. So hatte Bello den ersten Schritt zur Einbeziehung des Menschen in die Zivilisation getan.
Ich bin übrigens einer, der in direkter Linie von Bello dem Großen abstammt, und stolz darauf.
Die Hände sind das Einzige, das die Zweibeiner uns voraushaben, und deswegen brauchten wir sie. Mit unserem Mund können wir einiges ausrichten, nur Sachen herzustellen fällt uns damit schwer.
Menschen beherrschten damals so gut wie gar nichts. Sie konnten nicht rennen, sie konnten kein Wild zu Boden reißen und es totschütteln oder ihm die Kehle durchbeißen, sie konnten keinen Fährten anständig folgen. Wie viele von ihnen hatten meine Vorfahren verhungern oder Gras und völlig vergammeltes Aas fressen sehen, das niemand anderes mehr anrühren mochte, bevor wir sie dazu anleiteten, das Wild, das wir auf sie zutrieben, mit Stöcken und Steinen zum Stillstand zu bringen!
Einiges haben sie bis heute nicht verstanden. Ich glaube, sie sind sogar geruchsblind. Die Vielfalt der Welt um uns, die mannigfachen Dimensionen des Duftes, die vielen Nachrichten in der Luft und im Urin, all das entgeht ihnen. Sie vermögen nur extrem starke Gerüche wahrzunehmen, die alle feineren Aromen mit ihrem Gestank überstrahlen. Erbärmlich, was für einen Geruchsmüll sie täglich produzieren. Tja. Aber wem sage ich das.
Wir haben das alles im Urin.
Oder nehmen wir die Sprache. Wir begreifen so ziemlich alles, was sie sagen, einige von uns können mehrere tausend ihrer Worte verstehen. Und was kriegen sie von dem mit, was wir berichten? »Was ist denn, Jackie?«, war die Standardantwort auf alles, egal was ich Lukas und seinem Rudel erzählte. »Willst du raus? Hast du Hunger oder Durst? Fressi, Fressi? Musst du Häuflein?«
Sonst fällt ihnen zum Leben nicht kaum etwas ein. Fressen und kacken, mehr geht in ihren Kopf nicht rein. Weder hören sie, was in der Umgebung alles gesprochen und gerufen wird, noch riechen sie irgendetwas. Ob draußen eine läufige Frau vorbeigeht, ob der Nachbar Ratten gesehen hat oder ob eine Katze ihr Unwesen treibt, davon bekommen sie nichts mit. Olfaktorisch tot, blind und taub.
Gut, sehen können sie einigermaßen. Weil sie so hoch sind. Manchmal erspähen sie Dinge oder Beute, die weiter weg ist und die wir selbst nicht wahrgenommen haben. Ich glaube, sie können sogar mit dem Wind sehen. Hilfreich, denn die beste Spürnase versagt, wenn die Luft aus der falschen Richtung kommt.
Der Reichtum der Welt entgeht ihnen. Was wir auf einem Flecken Rasen alles entdecken, was jeder bessere Zaunpfahl an sozialen Nachrichten enthält, davon bekommen sie gar nichts mit.
Ich nahm mir vor, den anderen an den Straßenbäumen, Laternen und Zäunen, unseren sozialen Netzwerken, eine Nachricht zu hinterlassen, ob jemand den dicken Totmacher gesehen hatte und wo er steckte. Irgendjemand weiß immer etwas. Man muss doch nur mal am nächsten Hydranten oder einem anderen Zugang schnuppern. Einem Portal des internen Pipi-Netzwerks, kurz Internet. Da erfährt man alles, ungelogen. Klar, es wird dort viel Quatsch gechattet, wer mit wem und so weiter, aber eben auch die wichtigen Sachen.
Mein Mensch und seine Helfer waren fertig. Er war eine Art Rudelboss bei ihnen, die rote Pudeldame und ein Altrüde mit hellgrauem Fell und einer Art qualmender Kaustange im Mund gehörten zu ihm, die Leute in Weiß wohl auch.
»Lasst den jetzt gleich in die Rechtsmedizin bringen. Die Kugel, die mein kluger Hund gefunden hat« – na also, geht doch, dachte ich – »schickt ihr direkt zum Labor. Hinnerk, ruf bitte die Spurensicherung an, wegen der Fuß- und Reifenspuren, Faserspuren und dem ganzen Kram. Wir fahren aufs Revier. Vielleicht können wir ihn anhand der Fotos identifizieren,« sagte er.
Die wollten schon wieder weg? Der Dicke war doch noch in der Nähe! Ich konnte seinen penetranten Schweißgeruch deutlich wahrnehmen, mehr als ein paar Laufminuten war er nicht weg, wahrscheinlich beobachtete er uns aus der Distanz.
Überhaupt, der Schweißgeruch. Was die Natur sich bei den Menschen allen einfallen lassen hat! Wir Hunde schwitzen nicht, wir stinken auch nicht, Menschen dagegen riechen meilenweit gegen den Wind, wie Fuchsrüden. Was für eine merkwürdige Idee der Natur, Körperflüssigkeit aus der nackten Haut austreten zu lassen, voll mit wertvollen Substanzen und Salzen! Wo es doch reicht, den Mund aufzumachen und die Zunge raushängen zu lassen, am besten beim Laufen im Wind. Herrlich!
Klar, wir haben unseren Eigengeruch, wie Rehe und Katzen und Mäuse. Oder Wildschweine, die so vorzüglich im Rohzustand riechen, als ob sie gebraten wären.
Menschen dagegen? Damit sie schwitzen können, haben sie ihr Fell verloren und müssen sich stattdessen mit Fellprodukten vom Schaf, aus Pflanzen oder anderen Sachen bedecken. Darin transpirieren sie dann noch mehr, und laufen können sie damit ebenfalls nicht. Eine glatte Fehlentwicklung der Natur, falls es jemand wissen möchte. Kuhhäute an den Füßen, die Krallen haben sich zurückentwickelt. Wie man damit laufen oder graben soll? Tja. Da fehlen einem die Worte.
Ich blieb stehen und teilte Lukas laut mit, dass der Stinker in Rufweite war. Dass er mir folgen solle, ich würde ihn hin- und den Täter überführen.
»Was ist denn los mit dir, Jackie? Wo willst du hin? Ist da eine Katze oder was? Komm mit zum Auto, Hund, wir müssen auf die Wache, den Fall aufklären!«
So sind sie. Die Spuren erkalten lassen, damit sie sich irgendwo mit Kaffee und Kuchen vollstopfen können und dabei unentwegt zu quatschen, was das Zeug hält.
Ich sah rüber zur Quelle des Schweißgeruchs und jaulte meine Erkenntnis erneut klar und deutlich heraus, jeder Hund oder Wolf hätte sofort gewusst, worauf es jetzt ankam.
Mein Lukas leider nicht. Ich schnüffelte kurz an ihm. Er dachte an sein Weibchen und seine Welpen. Aha, schloss ich. Darum ging es ihm.
Ich bin ja nicht so. Mein leckeres Essen wartete schon auf mich. Nicht das in der Schale, was Lukas mir hinstellte, sondern der Rest Eichhörnchen aus dem Park hinter dem Polizeihaus, gut vergraben am Rande des Teichs und inzwischen perfekt gereift. Lecker!
Bis dort waren es zwei Laufstunden. Wenn ein Mensch zu etwas gut ist, dann als Taxi. Nachdem Hasso der Graue in alter Vorzeit den Vorfahren unserer jetzigen Menschen gezeigt hatte, wie man einen Baumstamm ins Laufen brachte und dass sie sich davon gefälligst ein paar Scheiben abschneiden sollten, um daraus Räder zu machen, hatten sie das jetzt, zwanzigtausend Jahre später, endlich begriffen und verfeinert. Jetzt hatten wir so coole Kutschen mit den dazugehörigen Lenkern, wie es uns geziemte. Es hatte lange genug gedauert, bis sie ahnten, was wir brauchten.
Hasso gehört nicht zu meinen direkten Vorfahren. Aber die Kleine, die ich ab und zu mal im Park traf, halb Pudel, halb Schnauzer, hatte ihn als Ahnen. Was für eine Kombination das wäre! Vielleicht schaffte ich es irgendwann, sie zu gemeinsamen Nachkommen zu überreden.
Ich setzte mich auf meinen Stammplatz, Lukas musste auf dem Kutschbock Platz nehmen und die Lenkarbeit machen, während ich kontrollierte, ob er auch die richtigen Wege nahm, und gleichzeitig den Wildbestand überprüfte.
Nach kurzer Fahrt fuhren wir am Dicken vorbei, der unbeteiligt geradeaus schaute, als ob er mit dem Mord nichts zu tun hätte. Ich machte Lukas darauf aufmerksam, aber er kapierte mal wieder kein Stück.
»Nimm die Pfoten da runter, Jackie, und kläff den Mann nicht so an! Der hat dir nichts getan! Runter!«
Beschweren war sinnlos, ich grunzte kurz und enttäuscht auf und setzte mich wieder. Klar hatte der mir nichts getan, das wäre ihm auch nicht gut bekommen. Ich hatte schon mehr als eine Wade zerfleischt, trotz des ekligen Schweißgeruchs. Nicht mir, sondern dem Stück Aas hatte er was angetan. Aber wie hatte mein weiser Vater, der wie ich selbst Jack hieß, doch immer gesagt? Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben. Dann musste der selbsternannte Homo sapiens eben laufen, wenn er die einfachsten Zusammenhänge nicht verstand.
So ein Mensch hat etwa den Intelligenzquotienten eines halbwüchsigen Welpen, sagt man. Es reicht fürs Notwendige, darüber hinaus – na ja. Probleme können sie nur mit den vielen Dingen lösen, die sie um sich haben, Tausende von Sachen und Geräten. Und dann sind sie noch stolz darauf, dass sie mit solchen Unmengen an Kram klarkommen, anstatt sich auf ihre Nase zu verlassen.
Inzwischen haben sie sich mit uns eingerichtet. Wir haben es heutzutage bequem, sie dienen uns Essen und bequeme Schlafplätze an und kommen sogar mit, wenn wir draußen laufen wollen. Und für lange Strecken haben wir jetzt diese lauten und stinkenden Kutschen, mit denen sie uns zu unseren Zielen bringen. Meistens. Manchmal kutschieren sie auch einfach so in der Gegend rum, ohne Ende und Pausen und kommen ganz woanders an, nicht dort, wo die Action ist.
Gut sind sie als Hundemasseure. Sie kommen mit ihren Fingern an Stellen, wo keine Pfote auch nur ansatzweise kratzen, kraulen oder streicheln kann. Das sind sie, die Vorteile der Zivilisation.
Jetzt brachte mich Lukas zu meiner Dienststelle. Ich bin Hundehauptkommissar und brauchte meine Decke dort zum Nachdenken. Die besten Ideen hat man im Schlaf, in der Traumwelt kommt auf man Zusammenhänge, die einem sonst nicht auffielen. Wir waren da, Lukas öffnete mir die Türen, ich legte mich hin und rollte mich zusammen, damit mich das Geplapper und der Geruch von Torte und Kaffee nicht störte.
Und schon hatte ich es. Ich hatte etwas übersehen oder besser gesagt, überrochen. Natürlich! Das Aas, der tote Mensch, gehörte ebenfalls zu einem von uns, ich hatte die Spuren gerochen, aber nicht weiter nachgedacht. Seine Besitzerin war eine Berner Sennenhündin, drei Jahre alt. Sie hatte ihre heiße Phase gerade hinter sich, weshalb ich mir darüber nicht weiter den hübschen Schädel zerbrochen hatte. Wenn ich die fand, würde ich bald wissen, wer der Tote war. Lukas konnte den Mörder dann zu seinem Zwinger bringen; dafür hatte ich ihn schließlich.
Die drei Menschen in meinem Raum machten das, was sie immer taten, wenn sie nicht damit weiterkamen, mir bei der Aufklärung eines Falles zu helfen. Sie quatschten durcheinander, tranken ein bitteres rote Gebräu und aßen süße Sachen, die mich nicht hinter dem Ofen hervorlocken konnten.
Ich hörte nur noch mit einem Ohr zu, das ich ab und zu aufstellte, wenn ich etwas nicht verstanden hatte, und stellte mich schlafend. Denn manchmal entdeckten sogar Menschen bestimmte Sachverhalte. Wie gesagt, sie sind höher als Hunde und sehen deshalb weiter. Das mit dem höher meine ich übrigens nur als Längenmaß. Sie selbst leiten daraus immer höher entwickelt ab. So kann man sich täuschen!
Hinnerk lud sich ein weiteres Stück Ostfriesentorte auf seinen Teller, Svantje goss frischen Tee über die Kluntjes in den blau bemalten Tassen. Es knisterte und knackte. Ein Geräusch, bei dem die Welt komplett in Ordnung war.
»Nichts ist in Ordnung«, fand Lukas. »Wir wissen nicht, wer der Tote ist, geschweige denn, wer ihn umgebracht hat. Bis die Ergebnisse von der Projektiluntersuchung zurück sind, vergehen Tage. Was hat die Spurensicherung denn noch gefunden? Und wann bekommen wir den Obduktionsbericht?«
»Fußspuren, Reifenspuren, von einem E-Fahrrad, und eine Menthol-Kippe«, berichtete Hinnerk. »Wobei die Fußspuren von etwa zehn verschiedenen Leuten stammten und zeitlich nicht einzuordnen waren. Eine davon lag über den Reifenspuren, war also jünger. Das E-Bike war ein Husqvarna, die Reifen waren so gut wie neu. Und die Kippe war eine Marlboro Blue Fresh, mit Lippenstiftspuren daran, aber ohne verwertbare Fingerabdrücke. Der Lippenstift wird noch ausgewertet.«
»Das Projektil war ein Neun-Millimeter-Geschoss«, steuerte Svantje bei. »Der Tote hatte kein Portemonnaie und keine Schlüssel bei sich, nur einen Zehn-Euro-Schein und drei Münzen. Ein Euro fünfzehn, um genau zu sein.«
Sie trank einen Schluck Tee, machte aber mit der Hand Zeichen, dass da noch etwas kam.
»Seine Schuhe waren aufschlussreich«, fuhr sie fort. »Unter dem Dreck von dem Weg, wo wir ihn gefunden haben, klebte Lehm, und darunter etwas Streusplitt. Vielleicht können wir darüber herausfinden, wo er hergekommen ist. Womöglich wohnt er dort in der Nähe.«
»Was ist mit der Gesichtserkennung? Hat das jemand mit der Einwohnermeldebehörde abgecheckt?«, fragte Lukas.
»Mache ich gleich«, antwortete Svantje. »Moment.«
»Und ich rufe noch mal bei der Spusi an«, entschloss sich Hinnerk. »Vom Handy aus. Ich gehe mal kurz nach draußen.«
Beide verließen den Raum, Hinnerk mit seiner Pfeife in der Hand, Svantje mit der leeren Teekanne. Lukas stand auf und füllte Wasser aus einer Flasche in eine Schale.
»Was meinst du denn, Jackie?«, fragte er. »Du findest doch immer etwas«, erinnerte er mich, während er die Schale vor mich hinstellte und mir zum Aufwachen einen Keks vor die Nase hielt. Einen richtigen, den die Menschen nicht durften, nicht so einen billigen Zuckerkram, mit dem sie sich begnügen mussten.
Ich schnaubte. Natürlich hatte ich ihm in den entscheidenden Fällen die richtigen Spuren aufgezeigt, wozu ist man schließlich Hundehauptkommissar. Aber ich roch, was er meinte. Er dachte an meinen zweiten Fall, bei dem ich statt einer Leiche erst ein Kaninchen und dann zwei zugeknotete Gummibeutel mit menschlichem Samen darin gefunden hatte, die er als Beweismittel zu Haus in seinen Kühlschrank gelegt hatte, woraufhin er mit seinem Weibchen mächtig Krach bekommen hatte.
Ich trank erstmal was, das half immer. »Wir müssen die Berner Sennenhündin finden«, sagte ich.
»Ist ja gut, Jackie, sei brav. Nicht bellen. Wir gehen gleich eine Runde«, versprach er, obwohl ich gar nicht musste. Manchmal ist es echt zum Verzweifeln. Andererseits hatte ich eine Ahnung, wo die schöne Sennerin in etwa wohnte, ich würde ihn hinbringen. Vielleicht kam er dann auf den richtigen Trichter.
Er ging wieder an seinen Tisch und hielt die Sache wohl vorerst für erledigt. Ich brauchte dringend eine Strategie, wie ich ihn auf die entscheidende Spur führen konnte, bevor die anderen Menschen ihn wieder mit ihren Vermutungen ablenkten.
Gerade kam Hinnerk zurück und roch nach Kartoffelfeuer, nur ohne Kartoffeln, die ich bei solchen Gelegenheiten gerne ausgrub. Diese Traditionen geraten leider mehr und mehr in Vergessenheit.
»Tja«, sagte er. Das tat er immer, wenn er eine Überraschung in petto hatte. »Die Spusi hatte tatsächlich was. An der Kippe waren Spuren von einer Plastiktüte, am Filter. Werner Reemtsma meinte, der Filter war noch heiß, als sie eingetütet worden ist.«
Fast zeitgleich war auch Svantje wieder eingetreten und hatte mitgehört. »Dann muss die Täterin oder eine Zeugin nur Momente vor uns am Fundort gewesen sein«, schloss sie aus seinen Worten. »Denn sonst wäre die Kippe ja schon kalt gewesen, als sie in die Tüte kam, oder?«
Hinnerk grinste, Lukas schüttelte langsam den Kopf.
»Der Typ war schon länger tot, als die Spusi dort ankam«, sagte er. »Spricht nicht dafür.«
»Dann kam die Kippe von einer Zeugin, die vor Ort war. Vielleicht hat die was gesehen, oder sie kannte den Toten«, vermutete sie.
Hinnerk wollte gerade zu einer Rede ansetzen, als bei ihr der Groschen fiel. »Ach, Quatsch«, sagte sie. »Ich hab’s. Das Plastik war gar nicht vom Beweismittelbeutel, sondern einer anderen Tüte. Da drin ist die Kippe aufbewahrt worden, und der Täter hat sie da rausgenommen und als falsche Spur für uns ausgelegt. Damit wir nach einer Frau mit einem bestimmten Lippenstift suchen, die so etwas raucht. Da will uns einer verarschen.«
»Außerdem sind Mentholzigaretten inzwischen bei uns verboten«, warf Lukas ein. »Außer in der Schweiz, vielleicht sind die von da. Schränkt den Kreis der Täter schon mal ein.«
Hinnerk, der sich um seine Pointe gebracht sah, zog einen Flunsch. »Oder Täterinnen«, erwiderte er. »Von mir aus auch TäterInnen oder Täter*innen. Vielleicht sogar Täter:innen.«
Ich wunderte mich, wie er so schwierige Wörter überhaupt aussprechen konnte. Er hätte doch schlicht ›der dicke Verbrecher‹ sagen können. Aber Menschen machen es sich eben immer viel zu kompliziert, wo das Leben doch so einfach war.
Lukas schien das egal zu sein. »Finden wir schon raus«, fand er. »Eine falsche Spur ist nämlich eine richtig gute Spur. Denn wenn wir die vermeintliche Täterin finden, sind wir an der Person, die sie reinlegen will, schon einen großen Schritt näher dran.« Er wandte sich an Hinnerk.
»Und? Gibt es weitere Informationen dazu? Typ der Tüte, Fingerabdrücke auf dem Filter, DNA im Lippenstift? Du weißt doch noch etwas.«
Ich roch, dass Hinnerk das lieber von sich aus gesagt hätte und sich in eine passive Position gedrängt fühlte. Das mochte er nicht, schließlich war er älter als Lukas. Das Alter schien bei Menschenrudeln eine gewisse Rolle zu spielen.
»Tja«, sagte er wieder. »Eine Polypropylen-Tüte mit einem Zellophananteil. Angeblich werden die oft für das Eintüten von Briefmarken verwendet, meinte Reemtsma.«
»Aha. Ein Briefmarkensammler«, schloss Svantje daraus.
Wieder so eine Sache bei den Menschen. Sie interessierten sich für Hobbys, Vorlieben und andere merkwürdige Tätigkeiten. Ich hatte schon öfter beobachtet, dass meine menschlichen Helfer Leute, die ihnen sympathisch erschienen, weil sie ähnliche Neigungen hatten, nicht so schnell in den Zwinger steckten. Immer für eine Überraschung gut, selbst mein Lukas.
»Möglich«, meinte er. »Sonst noch was? Typ des Lippenstifts, sonstige Hinweise?«
»Ja. Das war ein Becca Ultimate, in rosa-beige. Wird nicht so häufig gekauft, sagte Johanna Kleinschmidt.«
Dieses Weibchen kannte ich. Eine Kollegin von Lukas, die oft diese weißen Sachen anhatte, genau wie Werner Reemtsma. Die zwei sollten Spuren sichern, wurde immer gesagt. Dass eine von den beiden mal die Nase an den Boden gehalten hätte, wäre mir aufgefallen. Die hatten noch nie eine richtige Spur aufgenommen. Dicke tun und nichts dahinter, wie immer bei den Menschen.
Was nimmt man nicht alles in Kauf, damit einem die netten Mitarbeiter nicht abhanden kamen!
»Das Meldeamt kennt den Kerl nicht«, berichtete Svantje. »Ich habe gleich mal beim KTI nachgefragt, das mit der Analyse des Projektils kann dauern. Zwei Wochen.«
So kamen wir hier nicht weiter. Es wurde Zeit, aktiv zu werden. Ich schlenderte zur Tür und sah Lukas fragend an.
»Oh je«, sagte er. »Wir schieben eine Pause ein, Leute. Ich fürchte, Jackie muss mal raus. Seht doch in der Zwischenzeit mal das Vermisstenregister durch. Irgendwo wird der Typ doch fehlen, zu Haus, bei der Arbeit, im Vermisstenregister, was weiß ich.«
Er stand auf, nahm seine Leine und machte sich an mir fest, damit er den Weg nicht verlor. Menschen sind ganz schlecht in sowas, sie verlaufen sich leicht, weshalb wir sie lieber an der Leine führten.
»Bis nachher«, sagte er zu den anderen. »So wie er aussieht, kann das eine Weile dauern. Und checkt bitte, ob es hier Briefmarkensammler gibt, Clubs, Treffen, Austausch, Facebook-Gruppen. Ihr wisst schon.«
Er öffnete die Tür und folgte mir. Jetzt konnte es losgehen.
Gleich hinter dem Revier liegt ein kleiner Park mit einem Teich. Ein beliebter Treff für Hunde, die mit ihren Menschen hierher kommen, außerdem ein ausgezeichnetes Klo und damit ein Infozentrum.
Schon am ersten Pfahl, einem rotweißen runden Pfeiler, der mitten auf einem Pfad stand und verhinderte, dass Menschen da mit ihren Drehgestellen oder Kutschen reinfuhren, fand ich eine Nachricht von Fifi, einer kleinen Pudeldame, Mitte dreißig in Hundejahren, die regelmäßig hierherkam.
Mia ist allein zu Haus, jemand muss sich um sie kümmern, ihr Mensch ist weg, ohne Bedienung kommt sie nicht raus, hatte Fifi an den Pfosten gesprüht. Ihr Urin roch etwas zu sauer, sie aß zu viel Fleisch. Ich sprühte ihr diese Erkenntnis weiter oben an den Pfahl. Gesunde Ernährung ist so wichtig!
Wo lebt Mia denn, fragte ich mit dem zweiten Strahl. Wir könnten uns mal wieder treffen, Fifi, was meinst du?
Ich umrundete den halben Teich, bevor ich die nächste Message fand, auf U-Tube, kurz für den Urinschlauch, mit dem wir Nachrichten absonderten.
Mache mir Sorgen um meine Nachbarin Mia, sie jault den ganzen Tag und kommt nicht raus. Jemand muss ihr was zu essen und trinken besorgen, hatte Nino gepostet, ein bulliger französischer Bulldoggenmann, der zwar nicht gut laufen, aber umso besser riechen konnte. Wer helfen kann, soll bei mir vorbeikommen und Laut geben.
Ich dachte mir meinen Teil. Mia musste die nette Berner Sennenhündin sein, die ich am Aas erschnüffelt hatte.
»Lukas, komm, wir müssen dahin«, sagte ich meinem Menschen und zog ihn in die richtige Richtung.
»Zieh nicht so, Jackie! Wo willst du denn hin? Schau mal hier, das schöne Laub, da kannst du schön Häufchen machen!«
Menschen denken eben immer nur an das Eine. Häufchen.
Ich ließ diese Aktion bewusst aus, denn mein Begleiter würde ungeduldig werden, wenn ich damit durch war. Er verstand ja nichts, ich musste ihm mit anderen Mitteln zeigen, wo es langging.
Ein paar Minuten später waren wir raus aus dem Park und in der Sauerbruchstraße, einer Sackgasse. An einer Stelle roch es tatsächlich etwas sauer, als ob sich dort jemand erbrochen hätte. Nino wohnte im vorletzten Haus, und er war da, wie ich seinen Spuren entnahm.
Am Pfosten eines Zauns hatte er etwas gepostet. Ruft mich raus, wenn was wegen Mia ist. Ich komme dann. Aber laut, mein Diener ist schwerhörig.
Ich rief ihn.
»Jackie, was ist bloß los mit dir? Ich muss zurück aufs Revier! Was willst du denn hier?«
Das war natürlich Lukas, wie immer ohne Checkung. Dafür antwortete Nino aus dem Haus. »Moment, bin gleich da!«
Tatsächlich öffnete eine Minute später ein steinalter Mensch die Haustür, und der Hund im Haus stürmte heraus, schnell für eine französische Bulldogge. Ich fragte mich gerade, wann er über seine eigenen krummen Beine stolpern würde, als er schon am Tor war.
»Hör zu! Hör zu!«, hatte er unterwegs bereits laut gerufen. Dann beschnüffelten wir uns ein wenig, zur Bestätigung, dass alles in Ordnung war. Ich nahm seinen Respekt wahr, dass er es geschafft hatte, einen leibhaftigen Hundekriminalhauptkommissar herbeizurufen.
Er teilte mir etwas mit. Mia wohnt gegenüber. Lass sie uns mal gemeinsam rufen. Vielleicht bemerkt sie ja einer der Menschen und macht endlich die Tür auf, damit sie raus kann.
Ich postete zurück. Okay, wir rufen sie, dann laufe ich rüber und alarmiere sie von dort aus. Los, jetzt!
»Ruhig, Nino!«, rief der alte Mensch, der langsam in Zweibeinerart angewackelt kam.