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Emily hat ein großes Geheimnis: Sie ist halb Mensch, halb Meermädchen! Emily Wndsnap lebt mit ihrer Mutter auf einem Segelboot am Meer, aber sie war noch nie im Wasser. Als sie endlich einen Schwimmkurs besuchen darf, fühlt sie sich wie in ihrem Element – aber da ist auch ein seltsames Ziehen in den Beinen. Als sie nachts heimlich schwimmen geht, passiert es dann: Emily wird zu einem Meermädchen! Natürlich darf das keiner erfahren. Emily muss ihr großes Geheimnis schützen. Heimlich macht sich Emily auf, die faszinierende Welt unter Wasser zu erkunden. Der erste Band der erfolgreichen Serie für alle Mädchen ab 10 Jahren, die auch davon träumen, eine Meerjungfrau zu sein Bei Antolin gelistet Alle Bände über Emily Windsnap: Band 1: Das Geheimnis Band 2: Das Abenteuer Band 3: Die Entdeckung Band 4: Die Rückkehr Band 5: Die Reise Band 6: Die Bestimmung
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Seitenzahl: 249
Liz Kessler
Das Geheimnis
Emily hat ein großes Geheimnis: Sie ist halb Mensch, halb Meermädchen!
Emily Windsnap lebt mit ihrer Mutter auf einem Segelboot am Meer, aber sie war noch nie im Wasser. Als sie endlich einen Schwimmkurs besuchen darf, fühlt sie sich wie in ihrem Element – aber da ist auch ein seltsames Ziehen in den Beinen. Als sie nachts heimlich schwimmen geht, passiert es dann: Emily wird zu einem Meermädchen! Natürlich darf das keiner erfahren. Emily muss ihr großes Geheimnis schützen. Heimlich macht sich Emily auf, die faszinierende Welt unter Wasser zu erkunden.
Der erste Band der erfolgreichen Serie für alle Mädchen ab 10 Jahren, die auch davon träumen, eine Meerjungfrau zu sein
Alle Bände über Emily Windsnap:
Band 1: Das Geheimnis
Band 2: Das Abenteuer
Band 3: Die Entdeckung
Band 4: Die Rückkehr
Band 5: Die Reise
Band 6: Die Bestimmung
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Als Liz Kessler im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte, hatte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt werden würde. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen Emily Windsnap und die Feenfreundin Philippa sind internationale Bestseller und haben sich weit über sechs Millionen Mal verkauft. Für ihren Roman Als die Welt uns gehörte wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet.
[Widmung]
[Motto]
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
LESEPROBE
Wir schwammen weiter an [...]
3. Kapitel
Für Frankie, Lucy und Emily
Und für Dad
Kommt, liebe Kinder, lasst uns ziehen;
Tief hinab in die See.
Es rufen die Brüder vom Ufer her;
Es blasen die Winde herein vom Meer;
Es rollen die wilden Wellen herein;
Es scheinen weiße Pferde zu sein,
Die spielen und toben und schäumen.
Lasst uns, Kinder, lasst uns ziehen.
Dorthin, dorthin!
aus: Der verlassene Meermann von Matthew Arnold
Könnt ihr ein Geheimnis bewahren?
Ich weiß ja, dass jeder Geheimnisse hat, aber meins ist anders. Es ist irgendwie unheimlich. Manchmal habe ich Albträume. Ich träume, dass jemand herausfindet, was mit mir los ist, und ich deshalb in einen Zoo oder ein wissenschaftliches Versuchslabor gesperrt werde.
Angefangen hat alles in der siebten Klasse, als wir zum ersten Mal Schwimmunterricht hatten. Es war der erste Mittwochnachmittag an meiner neuen Schule, und ich freute mich schon riesig darauf. Meine Mum kann Schwimmen nicht ausstehen. Früher hat sie jedes Mal das Thema gewechselt, wenn ich sie fragte, warum ich es nicht lernen dürfe.
»Aber wir leben doch auf einem Boot!«, hielt ich ihr immer vor. »Wir sind von Wasser umgeben!«
»Mich kriegst du da nicht rein«, erwiderte sie. »Sieh dir nur die Dreckbrühe an. Du weißt doch, wie es immer aussieht, wenn die Ausflugsschiffe hier waren. Also hör auf herumzuquengeln und hilf mir beim Gemüseputzen.«
Schon in der Grundschule hatte sie mich die ganzen Jahre über nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen. Sie behauptete einfach, es sei ungesund. »So viele Menschen im gleichen Wasser«, sagte sie und schüttelte sich, »für uns ist das nichts, nein danke.«
Und damit basta. Ende der Diskussion. Im Sommer vor dem Schulwechsel hatte ich sie dann endlich rumgekriegt. »Also gut, also gut«, sagte sie schließlich und seufzte. »Ich geb’s auf. Aber versuch bloß nicht, mich da reinzubekommen.«
Ich war noch nie im Meer gewesen. Ich hatte sogar noch nie in der Badewanne gebadet. Ich bin kein Dreckspatz oder so was – ich dusche jeden Abend. Aber auf dem Boot ist einfach nicht genug Platz für eine Wanne, deshalb war ich noch nie mit dem ganzen Körper unter Wasser gewesen.
Bis zu dem ersten Mittwoch in der siebten Klasse.
Mum kaufte mir eine neue Badetasche, extra für den Badeanzug und das Handtuch. Auf der einen Seite war eine Frau abgebildet, die kraulend durchs Wasser schnitt. Ich sah mir das Bild an und stellte mir vor, ich würde bei den Olympischen Spielen gewinnen, mit einem Badeanzug von Speedo und einer schwarzen Schwimmbrille wie die von der Frau.
Nur, dass es dann nicht ganz so lief.
Als wir ins Schwimmbad kamen, schickte uns ein Mann mit einer Trillerpfeife und weißen Shorts zum Umziehen, die Mädchen in einen Raum und die Jungs in einen anderen.
Schnell zog ich mich in einer Ecke um. Ich wollte nicht, dass jemand sah, wie dürr ich war. Meine Beine sind dünn wie Stecken, und sie sind fast immer mit blauen Flecken und Schrammen bedeckt, die ich mir hole, wenn ich auf The King of the Sea klettere oder von Bord gehe. Das ist unser Boot. Die König der Meere – ein ziemlich hochtrabender Name für ein kleines Segelboot mit gammeligen Tauen, abblätternder Farbe und Betten, die so schmal sind wie ein Lineal. Aber egal. Wir nennen sie meistens einfach die King.
Julie Crossens lächelte mir zu, als sie ihre Kleider in dem Spind einschloss. »Dein Badeanzug gefällt mir«, sagte sie. Er ist einfach nur schwarz und hat einen weißen Streifen um die Taille.
»Mir gefällt deine Bademütze«, sagte ich und lächelte zurück, als sie ihr Haar unter die enge, rosafarbene Bademütze schob. Ich stopfte meinen Pferdeschwanz unter meine Mütze. Meistens trage ich mein Haar offen, aber heute hatte Mum gewollt, dass ich es zusammenband. Es ist mausbraun und war immer kurz, aber zurzeit lasse ich es wachsen. Inzwischen ist es ein bisschen länger als bis auf die Schultern.
Julie und ich sitzen manchmal nebeneinander. Wir sind aber nicht richtig befreundet. Meine beste Freundin war Sharon Matterson, aber sie ist auf die katholische Schule gekommen, auf die Virgin Mary. Ich bin auf der Brightport Highschool. Julie ist die einzige Mitschülerin, von der ich mir vorstellen könnte, enger mit ihr befreundet zu sein. Ich glaube allerdings, sie will lieber die Freundin von Mandy Rushton sein. In den Pausen sind sie immer zusammen.
Mir macht das nichts. Nicht wirklich. Außer, wenn ich den Weg zur Cafeteria nicht finden kann – oder zu ein paar von den Klassenzimmern. Es wäre vielleicht netter, sich zu zweit zu verirren. Brightport High ist fast zehnmal so groß wie meine Grundschule! Sie ist wie ein riesiger Irrgarten, es gibt Millionen von Jungen und Mädchen, die alle zu wissen scheinen, was sie wollen.
»Kommst du, Julie?« Mandy Rushton stand zwischen uns und hatte mir den Rücken zugekehrt. Sie warf mir einen kurzen Blick zu, dann flüsterte sie Julie was ins Ohr und lachte. Julie sah nicht auf, als sie vorbeigingen.
Mandy wohnt am Pier, wie ich. Ihre Eltern betreiben die Spielhalle, und ein Stockwerk darüber haben sie eine Wohnung. Wir waren ganz gut befreundet, bis ich meiner Mutter letztes Jahr dummerweise erzählte, dass Mandy mir gezeigt hatte, wie man bei den Spielautomaten Freispiele gewinnen kann. Ich hatte echt nicht vorgehabt, sie in Schwierigkeiten zu bringen, aber – na ja, sagen wir mal, ich bin in der Spielhalle nicht mehr gerade gerngesehen. Genauer gesagt, Mandy hat seitdem nicht mehr mit mir geredet.
Und jetzt sind wir in der gleichen Klasse auf der Brightport High. Na super. Als ob es nicht schlimm genug ist, in einer neuen Schule anzufangen, die so groß ist wie eine Stadt.
Ich zog mich allein fertig um.
»Okay, passt auf, 7c«, sagte der Mann mit der Trillerpfeife. Er wollte, dass wir ihn Bob nennen. »Könnt ihr denn alle schon ganz gut schwimmen?«
»Klar doch – wir sind schließlich keine Babys mehr!«, raunte Mandy höhnisch vor sich hin.
Bob drehte sich nach ihr um. »Na gut, willst du den Anfang machen? Lass mal sehen, was du kannst.«
Mandy trat an das Becken. Sie steckte den Daumen in den Mund. »Hey, seht mal her, ich bin ein Baby. Iss tann nich swimmen!« Dann ließ sie sich seitwärts ins Wasser fallen. Immer noch mit dem Daumen im Mund tat sie so, als würde sie untergehen, während sie dabei ganz übertrieben wie ein kleines Hundchen durch das Becken paddelte.
Die halbe Klasse lachte, als sie das Beckenende erreichte.
Bob lachte nicht. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Das findest du wohl sehr komisch? Raus mit dir. Auf der Stelle!«, rief er. Mandy stemmte sich heraus und grinste, während sie sich vor der Klasse verbeugte.
»Dummes Ding.« Bob reichte ihr ein Handtuch. »Setz dich an den Rand und schau zu.«
»Was?« Mandy hörte auf zu grinsen. »Das ist aber ungerecht! Was hab ich denn gemacht?«
Bob ließ sie einfach stehen. »So, wir fangen noch mal an. Wer kann schon gut und vernünftig schwimmen?«
Ungefähr drei Viertel der Klasse hoben die Hand. Ich war schon ganz wild darauf, ins Wasser zu kommen, aber ich traute mich nicht, die Hand zu heben. Nicht nach dem Vorfall eben.
»Gut.« Bob nickte ihnen zu. »Ihr könnt reingehen, wenn ihr wollt – aber nur ins Flache, hört ihr?«
Er wandte sich dem Rest der Klasse zu, die fröstelnd am Beckenrand aufgereiht stand. »Ich kümmere mich um diese Gruppe.«
Nachdem er sich umgedreht hatte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich mischte mich doch unter die Gruppe, die ins Wasser durfte! Ich war ja noch nie geschwommen, deshalb hätte ich das nicht tun sollen, aber ich hatte einfach das Gefühl, dass ich es konnte. Und das Wasser lag so verlockend vor uns, glatt und ruhig, als ob es den Atem anhielt und darauf wartete, dass jemand hineinsprang und es zum Leben erweckte und Kreise und Wellen erzeugte.
Fünf tiefe Stufen führten ins Becken hinunter. Ich trat auf die oberste, und warmes Wasser kitzelte mir die Zehen. Noch ein Schritt, und das Wasser wallte mir um die Knie. Noch zwei Stufen, dann stieß ich mich ab ins Wasser.
Ich tauchte den Kopf ein und holte weit aus mit den Armen. Während ich den Atem anhielt und tiefer tauchte, umfing mich die Stille des Wassers, sie rief nach mir und zog meinen Körper durch die seidige Ruhe. Es war, als wäre ich in meinem Element.
»So muss es aussehen, genau!«, rief Bob, als ich zum Luftholen nach oben kam. »Du bist ja ein richtiges Naturtalent!«
Dann wandte er sich wieder den anderen zu, die mir mit zusammengekniffenen Augen und offenen Mündern zusahen. Mandys Augen warfen mir hasserfüllte Blicke zu, als Bob sagte: »So möchte ich euch alle am Schuljahrsende schwimmen sehen.«
Und dann passierte es.
Gerade glitt ich noch wie ein Fliegender Fisch dahin. Eine Minute später fuhr es mir plötzlich in die Beine. Es fühlte sich an, als ob mir jemand die Schenkel zusammengeklebt und meine Schienbeine in Gips gelegt hätte! Ich versuchte zu lächeln, während ich zum Rand paddelte, aber meine Beine waren zu einem Betonblock erstarrt. Ich konnte meine Knie, meine Füße, meine Zehen nicht mehr spüren. Was ging da vor sich?
Eine Sekunde später ging ich fast ganz unter. Ich schrie. Bob tauchte ins Wasser, in seinen Shorts und dem T-Shirt, und schwamm auf mich zu.
»Meine Beine«, stieß ich hervor und schnappte nach Luft, »ich kann sie nicht mehr fühlen!«
Er legte mir seine große Hand unters Kinn und schwamm auf dem Rücken mit mir zum Rand zurück. »Keine Sorge«, sagte er und sah beim Schwimmen hinter sich. »Das ist nur ein Krampf. Kann jedem passieren.«
Wir erreichten die großen Stufen am Seitenrand und setzten uns auf die oberste. Sobald ich zur Hälfte aus dem Wasser war, begann das komische Gefühl nachzulassen.
»Jetzt lass mich mal einen Blick auf deine Beine werfen.« Bob hob mich auf den Beckenrand. »Kannst du das linke hochheben?« Ich machte es.
»Und das rechte?« Kinderspiel.
»Tut was weh?«
»Ist wieder vorbei«, sagte ich.
»Dann war es einfach ein Krampf. Ruh dich doch hier ein bisschen aus und komm wieder rein, wenn du dich sicher fühlst.«
Ich nickte, und er kehrte zu den anderen zurück.
Aber ich hatte etwas gespürt, das er nicht gesehen hatte. Und ich hatte etwas gesehen, das er nicht bemerkt hatte. Und ich hatte keine Ahnung, was es war, aber in einem war ich mir sicher – mich würde man nicht für eine Million in das Becken zurückkriegen.
Ich saß lang am Beckenrand. Alle anderen aus der Klasse gingen schließlich ins Wasser und fingen an herumzuplanschen. Selbst Mandy durfte wieder hinein. Aber ich wollte nicht zu nah dran sitzen, falls sie mich anspritzten und es wieder passieren würde. Sogar auf dem Heimweg von der Schule hatte ich Angst davor, vom Landesteg ins Meer zu fallen.
Die Anlegestellen sind alle an einer Seite des Piers. An unserem Anleger liegen noch drei andere Boote. Ein aufgemotztes weißes Motorboot und zwei größere Yachten. Aber auf keinem der Boote wohnt jemand.
Ich betrat den Landesteg. Wir haben so eine alte Holzplanke, die wir zum Boot hinübergelegt haben. Mum hat mich früher, als ich noch klein war, an Bord getragen, aber seit einer Ewigkeit kann ich es schon alleine. Nur heute ging es nicht. Ich rief vom Anleger her nach ihr.
»Ich trau mich nicht rüber«, rief ich, als sie vom Unterdeck nach oben kam.
Sie hatte sich ein Handtuch um den Kopf gewickelt und trug einen Morgenmantel aus Satin. »Ich mache mich gerade für meine Buchgruppe fertig.«
Ich stand wie festgefroren auf dem Landesteg. Um mich herum verschmolzen die Boote zu einer schwankenden Masse von Masten und Segeln. Ich starrte zur King hinüber. Das Segel war unten. Der Mast schaukelte mit dem Boot, Gischt glänzte auf dem Holzdeck. Mein Blick verschwamm, als ich mich auf die Reihe von Luken an der Seite des Boots und auf die schmale Metallreling konzentrierte, die um den Rand lief. »Ich habe Angst«, sagte ich.
Schließlich zog Mum den Gürtel des Morgenrocks enger und streckte mir ihren dünnen Arm entgegen. »Na komm, her mit dir.«
Als ich drüben war, zog sie mich an sich und drückte mich. »Verrückte Nudel«, sagte sie und zerzauste mir das Haar. Dann ging sie wieder hinein, um sich für ihre Gruppe fertigzumachen.
Mum hat immer irgendeine Gruppe am Laufen. Letztes Jahr war es Pilates-Training; jetzt ist es ihre Buchgruppe. Sie arbeitet in dem Antiquariat auf der Strandpromenade. Dort treffen sie sich auch. Der Laden ist übrigens ziemlich cool. Sie haben gerade ein Café eröffnet, in dem es dicke Milchshakes mit echten Früchten gibt und riesige Schokoladenpfannkuchen. Ich glaube, die Buchgruppe ist nur ihre neueste Ausrede dafür, sich mit ihren Freundinnen zu treffen und zu quatschen – aber so habe ich wenigstens meine Ruhe.
Mystik-Millie, die Wahrsagerin am Pier, kommt und leistet mir Gesellschaft. Millie ist in Ordnung. Manchmal probiert sie Reiki oder Shiatsu an mir aus. Einmal hat sie ihre Tarotkarten mitgebracht. Sie hat daraus gelesen, dass ich bald eine schulische Meisterleistung vollbringen und von allen Seiten gelobt werden würde. Am nächsten Tag war ich die Schlechteste im Diktat und musste zur Strafe dreimal in der Mittagspause nachsitzen, um aufzuholen. Aber das ist typisch Millie.
Zum Glück kamen heute im Fernsehen ihre zwei Lieblingsserien, also wusste ich, dass sie mich in Ruhe lassen würde. Das war mir gerade recht, denn ich wollte nicht gestört werden. Ich brauchte Zeit, um darüber nachzudenken, was ich tun sollte. Zweierlei wusste ich ganz genau. Erstens: Ich musste herausfinden, was im Schwimmbecken mit mir passiert war. Und zweitens: Ich musste mich irgendwie um die Schwimmstunden drücken, ehe es noch einmal passierte.
Ich konnte Mum in ihrer Kajüte hören, während ich im vorderen Zimmer auf und ab marschierte. »Liebst du mich auch wirklich? Willst du bei mir bleiben?«, übertönte sie ihre CD. Sie singt immer, wenn sie sich zum Ausgehen fertigmacht. Meistens stört es mich nicht – außer wenn sie so tut, als ob sie auf der Bühne stehen würde. An diesem Abend fiel es mir fast gar nicht weiter auf.
Ich hatte sie schon gefragt, ob ich vom Schwimmunterricht befreit werden könnte, und sie war ausgerastet. »Ich hoffe, du meinst das nicht ernst«, sagte sie mit einer Stimme, die unmissverständlich bedeutete, dass sie es sehr wohl ernst meinte. »Nach dem ganzen Theater, das du veranstaltet hast – kommt nicht in Frage, dass du jetzt aufgibst!«
Ich wanderte zum Gasofen in der Ecke des Wohnzimmers. Wir nennen es Salon, so heißt es auf Schiffen. Beim Auf-und-Ab-Gehen kommen mir normalerweise die besten Ideen, aber heute fiel mir absolut gar nichts ein. Ich marschierte an dem schäbigen alten Sofa mit der großen orangefarbenen Decke vorbei. Schritt rechts, Schritt links, knarr, quietsch, grübel, grübel. Nichts.
»Baby, sag mir lieber bald Bescheid, ich habe nicht unendlich Zeit«, trällerte Mum aus ihrer Kajüte.
Ich versuchte, meine Marschroute bis zur Küche auszudehnen. Sie wird eigentlich Kombüse genannt. Dort gibt es ein Spülbecken, einen winzigen Kühlschrank und zwei Kochplatten, die immer mit leeren Kartons und Flaschen vollgestellt sind. Mum besteht darauf, dass wir alles sammeln, trennen und zur Wiederverwertung bringen. Die Kombüse liegt mittschiffs, gegenüber vom Haupteingang und von ein paar Holzstufen. Bei den Stufen muss man aufpassen, weil die unterste locker ist. Meistens spring ich von der obersten herunter.
Ich wanderte durch die Küche und den Gang entlang, der zum Bad und zu unseren zwei Kajüten führt.
»Wie sehe ich aus?« Mum tauchte am Ende des Ganges auf. Sie trug neue Jeans und ein weißes T-Shirt, auf dem quer über der Brust in glitzernden Buchstaben BABY stand. Normalerweise hätte ich ja nichts dagegen gehabt, aber ich hatte mir zur gleichen Zeit ein ähnliches Shirt gekauft – und an ihr sah es besser aus!
»Toll.« Ein vertrautes lautes Klopfen auf dem Dach hielt mich davon ab, mehr zu sagen. Die Seitentür wurde geöffnet, und Mr Beeston steckte den Kopf herein. »Ich bin es nur«, rief er und sah sich im Boot um.
Mr Beeston ist der Leuchtturmwärter. Er kommt andauernd vorbei. Mir gruselt ein bisschen vor ihm – er schaut einen irgendwie aus den Augenwinkeln an, wenn er mit einem spricht. Und seine Augen sind verschiedenfarbig: Eines ist blau, das andere grün. Mum sagt, dass er sich wahrscheinlich einsam fühlt in seinem Leuchtturm. Er sitzt herum, schaut aufs Meer, macht das Licht an und hat mit anderen Menschen nur über Funk Kontakt. Deswegen schaut er so oft vorbei. Sie sagt, wir sollen freundlich zu ihm sein.
»Oh, Mr Beeston, ich bin gerade auf dem Weg zu meiner Buchgruppe. Wir warten darauf, dass Millie kommt. Kommen Sie doch kurz herein. Dann gehen wir ein Stück zusammen.« Mum verschwand durch den Gang, um ihren Mantel zu holen, während er durch die Tür kletterte.
»Und wie geht’s uns?«, fragte er und sah mich aus den Augenwinkeln an. Sein Mund war so schief wie seine Krawatte. An seinem Hemd fehlte ein Knopf, in seinem Mund ein Zahn.
Ich schüttelte mich. Mir wäre es lieber, Mum würde mich nicht mit ihm allein lassen. »Prima, danke.«
Er kniff die Augen zusammen und starrte mich weiterhin an. »Gut, gut.«
Zum Glück traf Millie eine Minute später ein, und Mum und Mr Beeston verließen das Boot.
»Es wird nicht spät, Liebes«, sagte Mum, gab mir einen Kuss auf die Wange und wischte dann mit dem Daumen darüber. »Im Backofen steht ein Auflauf. Lasst’s euch schmecken.«
»Hallo, Emily.« Millie betrachtete mich einen Moment lang eindringlich. Das macht sie immer. »Du wirkst beunruhigt und verwirrt«, sagte sie ausnahmsweise mal erstaunlich zutreffend. »Ich sehe es an deiner Aura.«
Dann schlug sie ihren schwarzen Umhang zurück und setzte Teewasser auf.
Ich winkte Mum und Mr Beeston nach, als sie den Pier entlanggingen. Am Ende des Piers bog Mr Beeston nach links ab, um durch die Bucht zu seinem Leuchtturm zu gehen. Die Straßenlaternen an der Strandpromenade waren schon an und bildeten bleiche gelbe Punkte am orange- und rosafarbenen Himmel. Mum bog nach rechts zum Buchladen ab.
Ich sah ihnen nach, bis sie außer Sicht waren, dann setzte ich mich zu Millie aufs Sofa. Wir aßen den Auflauf vor dem Fernseher und lachten zusammen über den Wettermann, der sich mit seinem Text verhedderte. Dann fing Millies erste Serie an, und sie sagte »Psst« und meinte das auch ganz ernst.
Ich hatte eine Stunde für mich.
Ich brachte die Teller in die Kombüse, schnappte mir einen Stift aus dem Marmeladenglas, holte einen Bogen von Mums teurem lila Schreibpapier aus dem Schrank im Wohnzimmer und verzog mich in meine Kajüte.
Dort schrieb ich Folgendes:
Liebe Mrs Partington,
bitte entschuldigen Sie Emily vom Schwimmunterricht. Wir waren beim Arzt, und er sagt, sie hat eine schlimme Allergie und DARF KEINESFALLS in die Nähe von Wasser. Überhaupt nicht. NIEMALS.
Mit freundlichen Grüßen,
Mary Penelope Windsnap
Ich stellte mich schlafend, als ich Mum heimkommen hörte. Sie schlich sich auf Zehenspitzen in mein Zimmer, küsste mich aufs Haar und strich mir eine Strähne aus der Stirn. Das tut sie immer. Ich mag das gar nicht. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir den Pony aus der Stirn streicht, aber ich wartete, bis sie draußen war, ehe ich die Fransen zurückschob.
Stundenlang lag ich wach. An meiner Zimmerdecke habe ich ein paar Sterne und eine Mondsichel, die im Dunkeln leuchten, und ich schaute zu ihnen hoch und versuchte, das, was geschehen war, zu verstehen.
Eigentlich wollte ich nur daran denken, wie seidig das Wasser gewesen war, als ich hindurchglitt – bevor alles schiefging. Ich konnte noch immer die Stille hören, die nach mir rief und mit mir spielte, als würden wir ein Geheimnis teilen. Aber jedes Mal, wenn ich mich dem Gefühl der samtenen Wärme auf meiner Haut überlassen wollte, schlich sich Mandys Gesicht ins Bild. Wie sie mich anstarrte. Ein paarmal schlief ich fast ein. Ich glitt ab in schreckhafte Halbträume – ich war in einem riesigen Becken, die ganze Klasse um mich versammelt. Sie zeigten auf mich, starrten mich an, schrien: »Monster! Monster!«
Ich würde nie wieder ins Wasser gehen können!
Aber die Frage ließ mir keine Ruhe: Was war im Wasser mit mir geschehen? Würde es sich wiederholen?
Und sosehr mir die Vorstellung Angst machte, so etwas Schreckliches noch einmal zu erleben, wusste ich genau, dass ich meines Lebens nicht mehr froh würde, bis ich die Antwort hatte. Und mehr noch, etwas zog mich magisch zum Wasser zurück. Es war fast so, als ob ich gar keine Wahl hätte. Ich musste es herausfinden – egal, wie sehr es mir Angst machte.
Als ich aus Mums Zimmer leises Schnarchen hörte, war ich fest entschlossen, die Wahrheit herauszufinden – bevor es jemand anders tun würde.
Ich kroch aus dem Bett und zog meinen Badeanzug an. Er war noch feucht, und ich zuckte zusammen und zog meine Jeansjacke darüber. Dann schlich ich mich an Deck und sah mich um. Der Pier lag vollkommen verlassen. Die Gästehäuser und Läden entlang der Strandpromenade standen als stille Silhouette aufgereiht vor dem Nachthimmel. Sie hätten auch aus einem Bühnenbild stammen können.
Der riesig große Vollmond schien wie ein Scheinwerfer über das Meer. Übelkeit stieg in mir hoch, als ich auf die Planke blickte, die zum Landesteg führte. Na los, es sind nur ein paar Schritte.
Ich biss die Zähne zusammen, ballte die Fäuste – und ging auf Zehenspitzen hinüber.
Ich lief bis zu den Pollern am Ende des Piers und sah zu der Strickleiter hinunter, die in das dunkle Wasser hing. Das Meer blinkte mich kalt an, wie zur Antwort schüttelte ich mich. Warum tat ich mir das an?
Ich wickelte mir eine Haarsträhne um den Finger. Das mache ich immer, wenn ich nachdenken will – wenn mir gerade nicht nach Marschieren zumute ist. Und dann verdrängte ich die Frage und meine Zweifel – und Mandys spöttisches Gesicht – aus meinen Gedanken. Ich musste es einfach tun, ich musste die Wahrheit wissen.
Ich knöpfte die Jacke zu. Ohne sie würde ich da nicht reingehen. Mit angehaltenem Atem kletterte ich auf die Strickleiter und schaute ein letztes Mal den verlassenen Pier entlang. Ich hörte das leise Rasseln der Masten, die in der Bucht klirrten, während ich vorsichtig in die Dunkelheit hinunterstieg.
Die letzte Sprosse der Strickleiter war noch ein ganzes Stück über dem Wasserspiegel, weil Ebbe war. Jetzt oder nie, sagte ich mir.
Und ehe ich es mir noch anders überlegen konnte, hielt ich mir mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu – und sprang.
Mit lautem Aufklatschen landete ich im Wasser und schnappte nach Luft, kaum dass ich wieder hochkam. Zuerst spürte ich gar nichts bis auf das eisig kalte Wasser. Was zum Teufel tat ich da eigentlich?
Dann fiel mir wieder ein, warum ich hier war, und ich begann mit den Beinen zu strampeln. Zuerst ein bisschen hektisch. Aber Sekunden später war die Kälte wie weggeschmolzen und meine Angst auch. Stattdessen überflutete mich mit den Wellen ein Gefühl von Ruhe. Mit salzigen Lippen und angeklatschten Haaren tauchte ich unter die Wasseroberfläche und schoss durchs Wasser, als wäre es mein Element.
Und dann geschah – ES. Panikartig schwamm ich zurück zum Pier. Nein! Ich hatte meine Meinung geändert – ich wollte es doch nicht.
Ich griff nach der Leiter, aber ich kam nicht dran. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Meine Beine klebten wieder aneinander und wurden wie aus Stein. Ich schnappte nach Luft und ruderte vergeblich mit den Armen. Nur ein Krampf, nur ein Krampf, sagte ich mir und wagte nicht zuzusehen, wie meine Beine allmählich ganz verschwanden.
Aber genauso plötzlich, wie es angefangen hatte, trat eine Veränderung ein; ich hörte auf, mich dagegen zu wehren.
In Ordnung, dann waren meine Beine eben miteinander verschmolzen. Auch gut, jetzt waren sie völlig verschwunden. Na und? Es war gut. Es fühlte sich … richtig an.
Sobald ich mich nicht mehr ängstigte, sank ich mit dem Kopf nicht mehr unter Wasser. Ich hörte auf, wie wild mit den Armen zu schlagen. Plötzlich war ich ein Adler, ein Flugzeug – nein, ein Delphin, der zum reinen Vergnügen durch das Wasser glitt.
Okay, inzwischen habt ihr es wahrscheinlich schon erraten oder vielleicht auch nicht. Das ist völlig egal. Wichtig ist nur, dass ihr versprecht, es niemandem zu erzählen.
Ich war zu einer Meerjungfrau geworden.
Das ist nicht gerade etwas, das einem jeden Tag passiert, oder? Den meisten Menschen passiert es überhaupt nie. Aber mir war es passiert. Ich war eine Meerjungfrau. Eine Nixe! Wie konnte so etwas überhaupt geschehen? Warum? Würde ich jetzt womöglich immer so bleiben? Die Fragen überstürzten sich in meinem Kopf, aber ich konnte nicht eine davon beantworten. Ich wusste nur, dass ich eine völlig neue Seite an mir entdeckt hatte und dass nichts in meinem Leben sich je so gut angefühlt hatte.
Da war ich also und schwamm wie – na ja, wie ein Fisch! Und irgendwie war ich ja auch ein Fisch. Meine obere Hälfte war wie immer: dünne Arme, mein Pony vom Meerwasser an die Stirn geklebt, schwarzer Speedo-Badeanzug.
Aber genau unter dem weißen Streifen, der um meinen Bauch lief, war ich jemand anderes, etwas anderes. Mein Anzug zerfloss, und stattdessen hatte ich schimmernde Schuppen. Meine Beine wurden zu einem langen, lila und grün schillernden Fischschwanz, mit dem ich anmutig wedelnd durch das Wasser glitt. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich anmutig gefühlt, daher war es ein ganz schöner Schock für mich. Als ich über der Wasseroberfläche mit dem Schwanz schlug, blitzte ein Streif in allen Farben des Regenbogens im Mondlicht auf. Mit der kleinsten Bewegung konnte ich durch das Wasser flitzen. Mit jedem Flossenschlag tauchte ich tiefer und tiefer.
Das Ganze erinnerte mich an unseren Schulausflug zum Aquadrom. Wir befanden uns in einem gläsernen Tunnel unter Wasser, und das gesamte Meeresleben war um uns herum. Man hatte das Gefühl, als ob man wirklich im Meer war. Nur dieses Mal war es echt! Ich konnte die Meeresalgen berühren, die im Wasser schwebten wie Perlenvorhänge, die von unten nach oben hingen. Ich konnte mit den dicken grauen Fischen, die sich zu Gruppen zusammengetan hatten und miteinander einen Unterwassertanz aufführten, um die Wette schwimmen.
Ich lachte vor Vergnügen, und eine Kette aus Luftblasen entschlüpfte meinem Mund und stieg an die Wasseroberfläche.
Es kam mir vor, als sei ich vielleicht fünf Minuten geschwommen, da merkte ich, dass der Himmel sich rosa zu färben begann. Ich geriet in Panik, als mir ein neuer Gedanke kam: Was war, wenn ich nicht zurückkehren konnte?
Aber kaum hatte ich mich aus dem Wasser hochgezogen, da wurde mein Fischschwanz weich. Ich hing an der Strickleiter und beobachtete fasziniert, wie die glänzenden Schuppen eine nach der anderen wegschmolzen. Ich hatte wieder Beine, und sie fühlten sich ganz komisch an. Taub, so wie sich der Mund anfühlt, wenn man beim Zahnarzt eine Spritze bekommen hat.
Ich krümmte und streckte die Zehen, um das Kribbeln in den Füßen loszuwerden. Dann machte ich mich auf den Heimweg und versprach mir, wiederzukommen – und zwar bald.
Bob, der Schwimmlehrer, stand vor mir und sprach in sein Handy. Ich konnte nicht hören, was er sagte. Jemand packte mich an den Schultern.
»Ist sie das?«, knurrte eine Stimme hinter meinem Ohr. Bob nickte.
Ich versuchte mich dem Griff des Mannes zu entwinden, aber er hielt mich zu fest an den Schultern. »Was wollen Sie?«, fragte eine piepsige Stimme, die aus meinem Mund kam.
»Als ob du das nicht wüsstest«, fuhr die knurrende Stimme mich an. »Du bist das Monster.« Er rüttelte mich an den Schultern.
»Ich bin kein Monster«, rief ich. »Bin ich nicht!«
»Hör auf, dich zu verstellen«, erwiderte eine Frauenstimme.
»Ich verstell mich doch gar nicht.« Ich wand mich unter den Händen, die mich an den Schultern gepackt hielten. »Ich bin kein Monster!«
»Emily, du liebe Güte«, sagte die Frauenstimme. »Ich weiß doch, dass du nicht wirklich schläfst.«
Meine Augen klappten auf, und ich sah Mums Gesicht nur Zentimeter über meinem. Ihre Hände lagen auf meinen Schultern, und sie schüttelte mich sanft. Ich setzte mich kerzengerade auf. »Was ist passiert?«
Mum ließ mich los. »Was passiert ist, du Schlafmütze? Dass du zu spät zur Schule kommst. Also los, hopp, hopp.« Sie zog den Vorhang an der Tür auseinander. »Und vergiss nicht, die Zähne zu putzen«, sagte sie noch, ohne sich umzudrehen.