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Emily hat ein großes Geheimnis: Sie ist halb Mensch, halb Meermädchen! »Stellt euch vor, ich kehre zurück nach Brightport! Dort habe ich früher gelebt, als ich noch nicht wusste, dass ich ein Meermädchen bin. Und ich habe einen Auftrag. Von Neptun höchstpersönlich. Dabei habe ich überhaupt keine Ahnung, wie ich ihn erfüllen soll …« Direkt an der Küste von Brightport soll ein neues, riesiges Wohngebiet gebaut werden. Das Bauvorhaben droht, die Unterwasserstadt der Meerleute zu zerstören. Emily bleibt nur wenig Zeit, um ihre Freunde zu retten … Der vierte Band der erfolgreichen Serie für alle Mädchen ab 10 Jahren, die auch davon träumen, eine Meerjungfrau zu sein Bei Antolin gelistet Alle Bände über Emily Windsnap: Band 1: Das Geheimnis Band 2: Das Abenteuer Band 3: Die Entdeckung Band 4: Die Rückkehr Band 5: Die Reise Band 6: Die Bestimmung
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Seitenzahl: 305
Liz Kessler
Die Rückkehr
Emily hat ein großes Geheimnis: Sie ist halb Mensch, halb Meermädchen!
»Stellt euch vor, ich kehre zurück nach Brightport! Dort habe ich früher gelebt, als ich noch nicht wusste, dass ich ein Meermädchen bin. Und ich habe einen Auftrag. Von Neptun höchstpersönlich. Dabei habe ich überhaupt keine Ahnung, wie ich ihn erfüllen soll …«
Direkt an der Küste von Brightport soll ein neues, riesiges Wohngebiet gebaut werden. Das Bauvorhaben droht, die Unterwasserstadt der Meerleute zu zerstören. Emily bleibt nur wenig Zeit, um ihre Freunde zu retten …
Der vierte Band der erfolgreichen Serie für alle Mädchen ab 10 Jahren, die auch davon träumen, eine Meerjungfrau zu sein
Alle Bände über Emily Windsnap:
Band 1: Das Geheimnis
Band 2: Das Abenteuer
Band 3: Die Entdeckung
Band 4: Die Rückkehr
Band 5: Die Reise
Band 6: Die Bestimmung
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Als Liz Kessler im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte, hatte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt werden würde. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen Emily Windsnap und die Feenfreundin Philippa sind internationale Bestseller und haben sich weit über sechs Millionen Mal verkauft. Für ihren Roman Als die Welt uns gehörte wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet.
[Widmung]
[Motto]
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Leseprobe zu ›Emily Windsnap – Die Reise‹
[Motto]
1. Kapitel
2. Kapitel
Dieses Buch ist allen Emily-Fans gewidmet, die mich angeschrieben und sich ein viertes Buch gewünscht haben.
Danke, dass ihr schlauer seid als ich und vor mir gewusst habt, dass Emily noch ein Abenteuer erleben wollte!
Wenn sonnig blau-lieblich die Stunden sind,
Dann gleite ich durch die See so grün:
Am Tage werden die ersehnten Gestade
Von mir nicht gesehen.
Doch wenn sich Dämmerung legt auf die Wogen,
Eine Muschel ich an die Küste trage.
Ich setze mich auf die Felsen droben
Und klage.
aus: Das Mondkind von Fiona MacLeod
Es war keine Nacht, in der man draußen sein wollte, wenn man das nicht unbedingt musste.
Scharfe Sturmböen pfiffen gellend um jede Ecke. Bäume bogen sich, ächzten und knickten gar um. Regen peitschte erbarmungslos aufs Pflaster.
Draußen auf dem Meer ging es noch schlimmer zu. Auf dem Wasser hatte der Sturm die Wogen zu riesigen Mauern, mächtig wie Hochhäuser, aufgetürmt. Die Wellen schäumten gierig wie riesige tollwütige Hunde.
Jeder, der sich mit der See auskannte, wusste, dass so ein Sturm nur eines bedeuten konnte: Neptun tobte.
Wenn jedoch trotzdem jemand so draufgängerisch oder verrückt oder mutig gewesen wäre, um in so einer Nacht draußen zu sein, hätte er in der Ferne zwei Gestalten sehen können, weit draußen auf dem Meer, wo es keinesfalls mehr sicher war. Ein Mann beugte sich über den Rand seines Fischerbootes und rief einer Frau im Wasser unter ihm etwas zu. »Nimm es. Nimm es. Halt es gut fest.«
»Was ist das?«, rief die Frau zurück, ganz laut, um sich trotz der donnernden Wellen Gehör zu verschaffen.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht verstehen!« Er beugte sich noch weiter heraus und fügte hinzu: »Wenn es sich wieder beruhigt hat, dann suche nach mir.«
»Wie?«, schrie sie, und sie wurde sowohl von Entsetzen geschüttelt als auch von den Wellen, die sie jetzt immer weiter auseinandertrieben.
Er deutete auf das Päckchen, das er ihr soeben gegeben hatte. »Die Muschel!«, glaubte sie zu verstehen. Und dann schrie er noch etwas, das klang, als habe er gesagt: »Es steckt ein Bann darin.« Ein Bann? Etwa wie ein Zauber?
Der Frau wurde bewusst, was sie hinter sich ließ, und der Schmerz darüber traf sie härter als die nächste Welle. »Was ist mit –«
Die Welle spülte die restlichen Worte fort – doch er wusste, was sie hatte fragen wollen.
»Ich kümmere mich um alles«, rief er. »Um alles. Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut. Geh jetzt. Geh, ehe es zu spät ist.«
Einen Augenblick später hätte der Beobachter gesehen, wie sie auseinandergerissen wurden. Beide verschwanden hinter den aufgetürmten Wellenbergen der brodelnden See. Und er hätte sich vielleicht gefragt, ob er sich das alles nur eingebildet hatte, denn in solch einer Nacht fuhr doch wirklich keiner hinaus.
Wenn er nicht unbedingt musste.
Ich weiß, ihr glaubt bestimmt, dass ich verrückt bin, wenn ich das jetzt sage, aber irgendwas an meinem Leben war in Unordnung.
Warum soll das verrückt klingen?
Weil ich zum ersten Mal im Leben mit Mum und Dad zusammen war, vereint auf unserer schönen Runduminsel, und weil meine beste Freundin Shona direkt um die Ecke lebte und ich meinen neuen Freund Aaron und seine Mutter ganz in der Nähe hatte. Mit unserem Leben war doch eigentlich nichts in Unordnung.
Echt. Absolut nichts. Dad musste nicht mehr aus dem Gefängnis befreit werden; keine Seeungeheuer wie der Krake versuchten mich zu Tode zu quetschen; kein Sturm, der unser Hausboot über den halben Planeten jagte – alles Sachen, die mir letztes Jahr passiert waren.
Inzwischen war ein Tag nach dem anderen angefüllt mit Sonne, Sand, Freunden, Lachen. Mein Leben war perfekt.
Warum war ich also die ganze letzte Woche jeden Morgen so unruhig und verunsichert aufgewacht? Ich verstand es einfach nicht.
Ich setzte mich im Bett auf, streckte mich und versuchte mich daran zu erinnern, was ich geträumt hatte. Fetzen einer wirren Ansammlung seltsamer Träume überschlugen sich in meinem Kopf, die ich jedoch nicht zusammensetzen konnte. Das Einzige, an das ich mich erinnern konnte, war das Gefühl, das sie hinterlassen hatten. Nicht direkt unglücklich – aber doch nicht, wie es sein sollte. Irgendwas stimmte einfach nicht.
Wie schon gesagt – verrückt. Was sollte denn nicht stimmen mit diesem Leben?
Aber da gab es etwas, und ich konnte es nicht einfach wegschieben. Und vor allem: Ich hatte das Gefühl, dass es Mum genauso ging. Wenn sie das Essen kochte oder las, hatte ich ein-, zweimal beobachtet, wie ihr Blick ganz trüb und abwesend wurde, als ob sie weit in der Ferne nach etwas suchte, etwas, das sie vermisste.
Ich glaube, tief im Inneren wusste ich, was an uns beiden nagte; ich wusste, was uns fehlte, sogar schon vor dem Gespräch mit Archie, das alles ändern sollte.
»Klopf, klopf, ich bin’s nur!« Ein vertrautes Trällern drang durch die Tür, gefolgt von einem vertrauten Poltern, und Mums beste Freundin Millie landete auf unserem Deck.
Die Fortuna, das Schiff, auf dem wir wohnten, lag vertäut in der Bucht, halb im Sand versunken, so dass das Unterdeck geflutet war. Da Dad ja ein Meermann ist und ich halb Meermädchen, halb Mensch bin, bedeutete das, dass wir beide im unteren Bereich herumschwimmen konnten. Mums Kajüte war oben, aber die verschiedenen Luken zwischen den Ebenen machten es uns leicht, gemeinsam hier zu leben. Und der lange Anlegesteg, der vom Strand zum Boot führte, erlaubte es, an Bord zu kommen, ohne schwimmen zu müssen – was es Millie sehr leichtmachte, uns zu besuchen, ohne sich mehr nass zu machen als die Füße.
Sie streckte den Kopf durch die Tür. »Jemand zu Hause?«
Ich schleppte mich aus dem Bett und schlurfte zur Tür, rieb mir die Augen und winkte sie herein. Nicht, dass man sie extra auffordern musste. Sie war schon drin und eifrig dabei, ihren Rock über der Luke auszuwringen.
»Deine Mutter schon auf?«, fragte sie.
Ich rieb mir immer noch die Augen und gähnte. »Nö, ich glaube, noch nicht. Warum?«
»Jemand kommt nach Hause!«, berichtete sie aufgeregt. »Hab so was gluckern hören.«
»Gluckern hören?«
»Na ja, ich versuche mir so was wie Meer-Slang anzugewöhnen«, erwiderte Millie mit gerunzelter Stirn. »Ich meinte, ich hab es munkeln hören. Archie kommt heute zurück!«
Jetzt erst fiel mir ihr Gesicht auf. Also, natürlich hatte ich ihr Gesicht ja bereits gesehen. Ich sah sie schließlich direkt an. Aber jetzt fiel mir auf, was anders war. Leuchtend blauer Lidschatten bis unter die Augenbrauen und eine dicke Schicht roter Lippenstift auf dem Mund – und auf den Zähnen auch ein bisschen. Ich wies sie darauf hin, und sie sah schnell in den Spiegel neben der Tür.
»Isch fascht schwei Wochen her«, sagte sie und wischte sich mit dem Ärmelaufschlag den Lippenstift von den Zähnen. »Er hat mir ja scho gefehlt!«
Archie ist Millies Freund. Er ist ein Meermann, und er war mit einem Auftrag in Sachen Neptun unterwegs.
»Ist das Mi-hillie-ie?«, trällerte Mum aus ihrer Kajüte. »Komm doch rein, Millie, und setz im Vorbeigehen schon mal den Kessel auf.«
Ich überließ die beiden sich selbst.
Eine halbe Stunde später war Mum angezogen und saß mit Millie im Salon – so nennt man das Wohnzimmer auf einem Schiff. Ich wollte weg, um mich mit Shona und Aaron zu treffen, aber Mum bat mich, gemeinsam mit Millie zu warten; ihr Zustand sei viel zu erregt, um sie allein zu lassen.
Ich wartete unten mit Dad. In der Schule war demnächst ein Gymnastik-Tag vorgesehen, und er half mir bei einer kniffligen Dreifach-Rückwärtsdrehung, die ich bei unserer Vorführung machen musste. Zwei makellose Drehungen schaffte ich leicht, aber bei der dritten verschluckte ich immer literweise Wasser.
Ich erholte mich gerade von meinem vierten Versuch, als ein scharfes Klopfen zu hören war.
»Archie!«, rief ich aus.
»Das bezweifle ich, Kleines. Hast du Archie schon mal anklopfen hören?«
Ich lachte. Archie würde wahrscheinlich viel eher an einem der Bullaugen auftauchen. Meermänner kommen selten an die Eingangstür.
Wir steckten beide den Kopf durch die Luke, um zu sehen, wer es war. Mum ging an die Tür. »Charles«, sagte sie kurz angebunden. »Wie nett, Sie zu sehen.«
Mr Beeston. Nicht gerade unser bester Freund. Also ehrlich, jemand, der euch euer ganzes Leben lang angelogen hat und euch nicht gesagt hat, wer ihr wirklich seid, der euch unter Drogen gesetzt hat, damit ihr euch nicht an die wahre Geschichte erinnern könnt, der euch ausspioniert hat, damit er Neptun von eurem Tun und Lassen berichten kann – so einer füllt euer Herz nicht gerade mit Zuneigung und Wärme, wenn ihr mich fragt, oder?
Dennoch, nach all den Katastrophen, die wir kürzlich durchgestanden hatten, hatte Neptun von uns allen verlangt, die Vergangenheit hinter uns zu lassen und einen Neustart zu machen. Seitdem hatten wir uns alle bemüht, freundlich und höflich miteinander umzugehen.
Mum hielt ihm die Tür auf. »Kommen Sie doch rein!«, sagte sie. »Wir trinken gerade Tee.«
»Also, äh, ich weiß nicht, ich will nicht, wissen Sie, ich möchte Ihnen nicht im Weg sein«, stotterte er, kam aber trotzdem herein und setzte sich auf das kleine Sofa mitten im Salon.
»Hallo, Emily«, sagte er, nickte mir zu und strich sich das Haar glatt.
»Hi«, sagte ich und machte kehrt, um wieder nach unten zu schwimmen, aber Dad gab mir einen Schubs.
»Nun geh schon rauf; du weißt doch, wir sollen höflich zueinander sein«, sagte er leise.
Mit einem Seufzer zog ich mich durch die Luke hoch. Sofort spürte ich das vertraute Kribbeln in meinem Nixenschwanz. Ich saß da und sah zu, wie er hin und her flutschte. Das Kribbeln wurde stärker, das lila-grüne Schillern verblasste, der Nixenschwanz wurde starr – und dann verwandelte er sich in meine Beine. Ich rieb sie, um das Kribbeln zu vertreiben. Es war immer so ein Gefühl wie eingeschlafene Beine, wenn ich mich aus dem Meermädchen zurückverwandelte, und für einen kurzen Moment waren meine Knie ganz wackelig. Deshalb stand ich nicht sofort auf.
»Soviel ich gehört habe, wird Archibald heute zurückerwartet«, sagte Mr Beeston zu Mum, während ich die Beine noch durch die Luke baumeln ließ. Er hatte es wohl auch gluckern hören. Was mich nicht überraschte. Er schien immer zu wissen, was gerade los war. Wahrscheinlich hatte er überall seine Spione sitzen.
Ich wusste ja, dass wir inzwischen Freunde sein sollten, aber ich traute ihm immer noch nicht über den Steg und verstand nicht, wie Mum und Dad ihm so leicht hatten vergeben können.
»Das habe ich auch gehört«, sagte Mum. Millie war aufgestanden, um sich noch mal im Spiegel zu überprüfen. Sie zupfte an ihrem Haar und strich ihr Kleid glatt und holte den Lippenstift schon wieder aus der Tasche, als von unten ein Geräusch kam.
»Das ist er!«, quietschte Millie. »Er ist wieder da!«
Wir rannten alle zur Luke und sahen nach unten. Und tatsächlich, zwei Sekunden später erschien Archie in dem großen Bullauge, das unser Unterwassereingang ist. Er sah herauf. Mit einem breiten Grinsen schüttelte er sich die dunklen Haare aus dem Gesicht und schwamm auf die Luke zu. »Hallo alle zusammen«, sagte er, sah dabei jedoch nur Millie an.
Mum lachte. »Na gut, kommt, wir trinken unseren Tee und lassen die beiden Turteltauben mal allein«, sagte sie.
Mr Beeston nickte Archie kurz zu. »Schön, dass du zurück bist, Archibald«, sagte er, dann folgte er Mum in die Kombüse, wie die Küche auf einem Schiff heißt.
»Für mich einen Earl-Grey-Tee«, rief Millie über die Schulter, ohne den Blick auch nur eine Sekunde von Archie zu wenden.
»Jetzt noch mal Klartext«, sagte Dad, als wir uns draußen zusammensetzten. Archie und Dad waren außerhalb des Schiffes im Wasser, wir anderen saßen auf dem Deck. »Du warst die letzten vierzehn Tage also in Brightport?«
Brightport ist mein Zuhause. Oder besser, mein ehemaliges Zuhause. Dort habe ich gelebt, bis wir auf die Runduminsel gezogen sind – den einzigen Ort auf der Welt, an dem Menschen und Meerleute ganz offiziell zusammenleben dürfen. Mit anderen Worten, der einzige Ort, an dem meine Eltern zusammenleben konnten. Es ist der zischigste Ort, den man sich vorstellen kann, man könnte sich nicht wünschen, an einem noch genialeren Ort zu leben – aber als mein Vater Brightport sagte, fuhr mir plötzlich ein dumpfer Schmerz in den Magen.
»Ganz recht«, erwiderte Archie. »Mir war gar nicht klar, dass es der Zielort meines Auftrags sein sollte, bis wir fast dort waren.«
Mr Beeston nickte ernst. »Nun, du weißt doch, wie streng Neptun darauf bedacht ist, seine Aufträge geheim zu halten. Diese Erfahrung habe ich jedenfalls immer wieder gemacht, seit ich für unseren König in Diensten bin.«
Archie ging nicht weiter auf ihn ein und fuhr fort: »Kräne und Bagger waren am Stadtrand gesichtet worden, unweit der Stelle an der Küste, wo unsere Meerleute leben. Die Leute von Schiffriff bekamen es mit der Angst zu tun, und Neptun hat uns hingeschickt, um herauszufinden, was da los ist.«
Da war er wieder, der Schmerz im Magen, nur noch heftiger als vorhin. Schiffriff war die Stadt der Meerleute, wo Shona gewohnt hatte. Wo ich anfangs auf die Nixenschule gegangen war. Die pure Erwähnung des Ortes reichte, schon wurde mir ganz mulmig; und dass da vielleicht was schieflief, machte die Sache doppelt schlimm.
»Und was hast du rausgefunden?«, fragte Dad.
»Die meisten Arbeiten finden auf dem Festland statt, was unsere Nachforschungen ziemlich eingeschränkt hat. Aber was wir rausgekriegt haben, ist, dass die Gemeinde Brightport dahintersteckt.«
»Und was machen sie?«, fragte Mum.
Archie sah sie an. »Tja, das kommt drauf an, wen man fragt. Wenn man nach den riesigen Plakatwänden geht, die man schon kilometerweit vom Meer her sehen kann, geht es um die Erschließung von brachliegendem Ödland. Aber wenn man jemand von den Meerleuten in Schiffriff fragt, sind sie dabei, ihre gesamte Stadt plattzumachen.«
»Was soll das heißen?«, fragte ich. »Die können doch Schiffriff nicht einfach zerstören, oder?«
»Kommt drauf an, wie weit sich das Bauprojekt erstrecken soll und wie viele Kräne und Bagger sie noch dort hinbringen. Sie sind Schiffriff schon gefährlich nahe, und die Arbeiten gefährden die angrenzende Küste. In den Außenbezirken von Schiffriff hat es fast täglich Erdrutsche gegeben. Zwei Familien haben bereits ihre Behausung verloren. Ganz Schiffriff kann einstürzen, wenn die Bauunternehmer zu gierig werden und versuchen, bei ihrem Erschließen tiefer in unsere Stadt einzudringen.«
»Aber das ist ja schrecklich!«, sagte ich. Ich dachte an die Meerleute, die ich in Schiffriff kannte, an die Schule, an die ganzen Schüler, die Eltern, die alten Meerleute.
»Allerdings«, stimmte mir Archie zu. »Die Meerleute stellen sich so gut es geht auf eine Katastrophe ein. Wortführer diskutieren bereits Pläne für eine großangelegte Evakuierung, falls nötig, aber sie wollen natürlich keine unnötige Panik verbreiten. Keiner weiß genau, was der Stadtrat von Brightport sich vorstellt, wie weit die Erschließung gehen soll, deshalb ist es schwierig, sich darauf einzustellen.«
»Kann denn Neptun nicht einschreiten?«, fragte Mum.
»Neptun hat oberste Alarmbereitschaft für das Gebiet ausgerufen«, erwiderte Archie. »Das bedeutet, dass ständig eine Einheit vor Ort ist, die beobachtet, was vor sich geht. Darüber hinaus kann nicht viel unternommen werden.«
»Kann nicht viel unternommen werden?«, stieß ich hervor. »Reden wir von dem gleichen Neptun? Er hat doch mehr Macht als jeder andere!«
»Jeder andere im Meer«, korrigierte Archie mich. »Zu Lande hat er keinerlei Macht, irgendwie gegen irgendjemanden einzuschreiten. Er kann nichts anderes tun, als die Lage zu beobachten und gegebenenfalls beschließen, wie man darauf reagiert und wann man das tut.«
»Und warum bist du dann zurückgekommen?«, mischte Mr Beeston sich ein. »Hast du dich etwa unerlaubt von deinem Posten entfernt? Wo Neptun doch angeordnet hat, dass du dort ständig gebraucht wirst –«
»Neptun hat angeordnet, dass irgendwer die ganze Zeit dort sein soll«, fuhr Archie fort. »Aber wir benötigen eine Einheit, die in der Lage ist, besser in der Gegend herumzukommen, als uns das möglich ist. Ich habe zwar ein paar Kontakte an Land, aber keinen, der wirklich herausfinden kann, was da los ist. Keinen, der ein bisschen Einfluss besitzt.«
»Du willst also nicht zurück?«, fragte Millie mit leichtem Beben in der Stimme.
Archie grinste ihr zu. »Nicht sofort, nein. Zum einen zieht Neptun es vor, dass ich mich auf der Runduminsel aufhalte und hier auf Ordnung achte. Und zum anderen – tja, wir benötigen dort einen anderen als mich. Jemanden, der auch in die Bereiche gelangen kann, die mir verschlossen sind.« Er wandte sich an Mr Beeston. »Jemanden wie dich.«
»Jemanden wie mich?«, fragte Mr Beeston. Er wurde krebsrot und wischte sich ein unsichtbares Stäubchen vom Revers. »Nun, gewiss, bei einem derart wichtigen Einsatz muss Neptun ja notgedrungen ein höchst fähiges professionelles Team versammeln, und ich muss sagen, wenn es mich auch nicht sonderlich überrascht, bin ich doch geschmeichelt und –«
»Was ich meine, ist, dass wir jemand benötigen, der halb und halb ist«, fiel Archie Mr Beeston ins Wort und unterbrach damit eine Rede, die wie die Dankesansprache für den Nobelpreis klang.
Mr Beeston ist wie ich. Halb Meermann, halb Mensch. Das weiß ich erst seit ein paar Monaten – aber ich wusste es ja nicht mal von mir, bis ich das erste Mal mit der Schule schwimmen ging.
»Wir brauchen jemanden, der sowohl Zutritt zur menschlichen als auch zur Meerwelt hat«, fuhr Archie fort.
Mr Beeston rümpfte die Nase und inspizierte erneut sein Revers. »Dann hast du mich also nicht ausgewählt aufgrund meiner langjährigen Treue, meiner höchst qualifizierten Arbeit und meines gewissenhaften Trainings? Sondern nur, weil ich Beine habe?«, stellte er fest.
»Und einen Fischschwanz«, warf ich ein. Er bedachte mich mit einem missfälligen Blick.
Archie griff in die Tasche, die er über der Schulter trug, und zog etwas heraus. »Unsinn, es ist nicht nur das«, sagte er. »Man braucht dich dort.« Er legte einen Stapel Schriftstücke auf das Deck.
Mr Beeston hob ihn auf. »Was ist das?«
»Einer meiner Kontakte zu Fischern hat mir das rausgeschmuggelt«, sagte Archie. »Lies es durch.«
Mr Beeston blätterte den Stapel durch. »Das sind doch nur Namenslisten«, sagte er.
»Lies mal, was obendrüber steht.«
Mr Beeston räusperte sich. »Wir, die Unterzeichnenden, sind der Ansicht, dass wichtige Arbeiten von Menschen und nicht von Computern durchgeführt werden sollten. High-tech-Entwicklungen dürfen nicht außer Kontrolle geraten. Setzt den Leuchtturmwärter wieder ein! Holt Mr Beeston zurück!«
Mr Beeston blätterte die Namenslisten durch. »Nun, ich –«, begann er. »Ich meine, also –« Er blickte auf und sah Archie an. »Und das ist kein Witz?«
Archie schüttelte den Kopf.
»Und Neptun braucht mich auch?«
»Genau.«
Mr Beeston richtete sich auf. »Tja, wenn das so ist«, sagte er. »Ich kann sie doch nicht enttäuschen. Ich muss nach Brightport zurückkehren.«
Und das war genau der Moment, in dem ich erkannte, warum ich jede Nacht so schlecht geträumt hatte und morgens so traurig aufgewacht war – und warum mein Inneres jedes Mal weh tat, wenn Brightport erwähnt wurde.
Ich hatte Heimweh. So einfach war das.
Mum wandte sich Dad zu. »Jake«, sagte sie, »ich – ich –«
Dad kam an die Bordwand geschwommen und streckte die Hand nach ihrer aus. Ich sah Mum an und erkannte den Ausdruck auf ihrem Gesicht. Er drückte das Gleiche aus wie das, was ich fühlte. Und zwar schon seit langem. Während der letzten Wochen hatte ich beobachtet, wie sie in die Ferne starrte – plötzlich wusste ich, was sie da suchte, was ihr fehlte.
»Sie will nach Hause«, sagte ich.
Dad warf mir einen Blick zu. »Wir sind doch zu Hause, Kleines«, sagte er mit einem nervösen Lachen. Dann wandte er sich Mum zu. »Oder?«
Ehe sie antworten konnte, mischte Archie sich ein. »Es gibt da noch etwas«, sagte er. »Ich hab nicht recht gewusst, wie ich fragen soll, aber vielleicht ist der Zeitpunkt gar nicht schlecht.«
Dad drehte sich nach ihm um. »Um was geht es?«
»Neptun fordert ein Team. Wenn es dort Ärger gibt, dann braucht er mehr als nur einen von uns vor Ort. Beeston ist gut gewählt, um Schiffriff unter Kontrolle zu halten, und wegen seiner Kontakte ist er ideal, um Informationen aus Brightport zu bekommen, vor allem, wenn er wieder als Leuchtturmwärter getarnt auftaucht.«
Mr Beeston trat von einem Fuß auf den anderen und strich sein Haar glatt. Doch ehe er wieder zu einer Oscar-Dankesrede anheben konnte, setzte Archie hinzu: »Ich habe dich als seinen Assistenten vorgeschlagen.«
»Mich?«, fragte Dad. »Neptun weist mir eine verantwortliche Stelle zu, obwohl – na ja, trotz meiner Vorgeschichte?«
Dad ist kein Verbrecher oder so was, aber er war im Gefängnis, weil er meine Mutter geheiratet hat. Ehen zwischen Meervolk und Menschen waren mal total gegen das Gesetz. Jetzt nicht mehr. Um genau zu sein, hatte Neptun inzwischen beschlossen, den Graben zwischen Menschen und Meerleuten zu schließen – und er hatte beschlossen, dass wir die Richtigen seien, um ihm dabei zu helfen.
Er hatte uns erklärt, dass wir zwei Welten zusammenbringen und die Menschen und die Meerleute überzeugen müssten, in Frieden miteinander zu leben. Und das war ja nun auch wieder so eine Sache: Wie sollten wir die Welt so verändern und erreichen, dass Menschen und Meerleute friedlich miteinander lebten, solange wir hier draußen auf dem einzigen Flecken der Welt wohnten, wo das sowieso schon der Fall war? Alles deutete auf die einzige Folgerung hin: Wir mussten einfach nach Brightport.
Archie redete immer noch mit Dad. »Neptun klammert sich nicht an die Vergangenheit«, sagte er gerade. »Er weiß, dass du treu und verlässlich bist.«
»Und mit einer Menschenfrau verheiratet«, sagte Dad.
»Genau. Das ist der springende Punkt. Einer von euch kann mehr darüber herausfinden, was mit den Leuten in Brightport los ist, und einer von euch behält die Dinge in Schiffriff im Auge. Mit euch beiden und Beeston sind wir vielleicht in der Lage, größeres Unheil von der gesamten Stadt abzuwenden.«
»Du willst aber nicht, dass ich alte Freunde ausspioniere, oder?«, fragte Mum.
»Auf keinen Fall! Beeston und Jake erledigen die Hauptarbeit. Halte einfach die Augen und Ohren offen, falls du was hörst, was den anderen entgangen ist; ich denke da an Sachen, die für die Meerleute in Schiffriff zum Problem werden könnten. Falls noch jemand umgesiedelt werden muss, möchten wir, dass sie es rechtzeitig erfahren, damit sie ihre Siebensachen zusammensuchen und selbst umziehen können, statt eines Morgens aufzuwachen und einen Bulldozer in der Behausung zu haben.«
»Glaubst du denn, dass so was wirklich passieren könnte?«, fragte Mum.
»Auf jeden Fall. Und ich sag euch noch was: Wenn ein weiteres Haus zerstört wird, dann bricht unter den Leuten echt Panik aus. Neptun mag es nicht, in eine Position gedrängt zu werden, in der er nicht mehr unter Kontrolle hat, was vor sich geht. Das ist er nicht gewohnt. Wenn diese Planungen größere Probleme verursachen, dann entschließt er sich womöglich, seine Macht zu demonstrieren, indem er eine Totalevakuierung anordnet – und das wollen die meisten Meerleute um jeden Preis vermeiden.«
Dad sah zu Mum hoch. »Was meinst du?«
Mum kaute zögernd auf dem Daumennagel herum. »Ich meine, dass man uns aufgetragen hat, Wege zu finden, wie die Menschen und die Meereswelt miteinander auskommen«, sagte sie. »Wenn die menschliche Welt etwas tut, das die Meerleute bedrohen könnte, dann müssen wir das verhindern.«
Dad ergriff ihre Hand. »Ich bin deiner Meinung«, sagte er. »Das könnte die erste Gelegenheit sein, die Anweisungen, die Neptun uns gegeben hat, praktisch anzuwenden.«
»Genau. Das hat Neptun auch gesagt.«
Dad sah Archie an. »Was meinst du? Was hat er gesagt?«
»Es sei allmählich an der Zeit, dass ihr euren Auftrag ausführt. Er lässt euch ausrichten, dass diese Sache eine Gelegenheit böte, zu beweisen, dass er die richtige Familie für den Job ausgesucht hat. Er hat gesagt, das sei euer erster Test.«
Dad blies sich gewaltig auf und nickte entschlossen. »Dann ist es beschlossene Sache«, sagte er. »Wir haben gar keine andere Wahl.«
Ich spürte, wie eine Blase der Erregung in mir aufstieg und in mir kribbelte und sich durch meine Kehle schlängelte. »Wir gehen nach Brightport zurück?«, fragte ich und hielt die Luft an, solange ich auf ihre Antwort wartete.
Mum und Dad sahen sich an und nickten. Dann drehte Mum sich nach mir um. »Ja, Liebling«, sagte sie und lächelte zum ersten Mal seit Tagen. »Wir fahren heim.«
Erst als wir beschlossen hatten, nach Brightport zurückzufahren, wurde mir klar, wie sehr ich es vermisst hatte. Auf einmal war es, als ob ein Teil von mir die ganze Zeit gewusst hätte, dass ich mich nach Hause sehnte. Ich hatte es aber zu unterdrücken versucht, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass es überhaupt im Bereich des Möglichen lag. Nachdem ich jetzt wusste, dass es auf jeden Fall klappen würde, konnte ich unsere Abreise kaum erwarten.
Es gab da nur zwei Probleme. Shona und Aaron.
Shona war meine beste Freundin. Die hatte ich kennengelernt, als ich damals entdeckte, dass ich zur Nixe wurde, wenn ich im Wasser war. Seitdem waren wir beste Freundinnen, und sie und ihre Eltern waren gemeinsam mit uns zur Runduminsel gekommen. Die Vorstellung, sie zurücklassen zu müssen – das war einfach undenkbar.
Aaron hatte ich erst vor kurzem kennengelernt. Er war halb und halb, wie ich. Abgesehen von Mr Beeston war er das einzige Halbwesen, das ich kannte – und Mr Beeston zählte meiner Meinung nach nicht. Aaron und seine Mutter hatten in einem unheimlichen Schloss weit draußen mitten auf dem Meer gelebt. Nachdem Aaron und ich Neptuns Fluch gebrochen hatten, indem wir seine alten Trauringe vereinten, befahl uns Neptun, uns aufzumachen und zu versuchen, die beiden Welten einander näherzubringen, wozu wir bisher aber noch nicht gekommen waren.
Was wir aber hoffentlich auf den Weg bringen konnten, wenn wir wieder in Brightport waren. Unsere erste Bewährungsprobe.
Das einzige Problem war nur: Ich konnte mir nicht vorstellen, irgendwas hinzukriegen, wenn Shona nicht bei mir war, ganz zu schweigen von einer bedeutenden Bewährungsprobe, die uns Neptun auferlegte! Shona hatte bisher jedes Abenteuer mit mir geteilt. Und Aaron – also, ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir beide Halbwesen waren, oder an dem, was wir zusammen durchgemacht hatten, aber ich konnte mir genauso wenig vorstellen, ihn zurückzulassen.
Ich schwamm im Bauch des Schiffes umher, vor und zurück, vom Bug zum Heck, und versuchte nachzudenken. Was sollte ich machen? Vor fünf Minuten war mir ganz schwummerig gewesen vor Freude, weil die Aussicht bestand, nach Hause zurückzukehren; jetzt hatte ich das Gefühl, in zwei Hälften gerissen zu werden.
Gerade wollte ich mich schon der trübsinnigen Hälfte überlassen, als eine vertraute Stimme von draußen nach mir rief. Ich schwamm an das Bullauge. Shona! Sie würde mich bestimmt aufmuntern. Das schaffte sie immer.
Ein Blick auf ihr Gesicht ließ mich allerdings annehmen, dass es diesmal vielleicht anders kommen würde.
»Shona, was ist denn los?«, fragte ich, als sie ins Schiff geschwommen kam, begleitetet von ein paar kleinen silbernen Fischen, deren Schuppen im Sonnenlicht schimmerten wie frisch geprägte Münzen.
»Ach Emily! Wir haben gerade das Neueste von Archie gehört.«
»Das mit Brightport?«, fragte ich. Sie hatte also schon erfahren, dass wir gehen würden. Das erklärte ihren unglücklichen Ausdruck.
Sie machte große Augen. »Woher weißt du das denn schon wieder?«
»Er war vorhin hier. Er hat uns von den ganzen Vorgängen dort erzählt und –«
»Ach Emily, du wirst mir ja sooo fehlen!«
»Ich weiß«, sagte ich. »Du mir auch. Aber wir bleiben doch in Verbindung, oder? Wir finden schon einen Weg.«
Shona nickte und schluckte eine Träne hinunter. »Das hoff ich doch. Allein der Gedanke, so weit weg von dir zu sein, ist schrecklich.«
»Finde ich auch ganz furchtbar.« Ich wollte unbedingt etwas Positives hinzusetzen, denn ich konnte es kaum ertragen, Shona so unglücklich zu sehen. »Vielleicht kannst du ja mal nach Schiffriff kommen?«
Shona runzelte die Stirn. »Wie? Was meinst du?«
»Na ja, du weißt schon. Vielleicht zu einem Besuch. Ich weiß ja, dass es Tausende von Kilometern weit weg ist von hier, aber –«
»Emily, das versuche ich dir doch die ganze Zeit zu sagen! Deshalb bin ich so verzweifelt – wir gehen nach Schiffriff zurück!«
Ich starrte Shona mit offenem Mund an. »Ihr geht zurück? Aber –«
»Archie hat bei uns einen Brief von meiner Tante Corella abgegeben. Sie sagt, dass es dort irgendwelche Zwischenfälle gibt. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber sie macht sich große Sorgen um ihre Behausung. Sie erwähnt, dass es allen so geht. Mum sagt, wir müssen nach Hause. Ach Em, du fehlst mir bestimmt ganz fürchterlich!«
Ich grinste. »Nein, tu ich nicht!«, sagte ich.
»Was meinst du? Wie kannst du so was sagen?«
Ich schnalzte mit der Schwanzflosse und schwamm einmal ganz um sie herum. Dann packte ich ihre Hände und lachte los. »Weil wir auch gehen!«
Shona starrte mich an. »Echt?«, fragte sie. »Du nimmst mich auch nicht auf die Flosse?«
»Ganz bestimmt nicht!«
Shona drückte meine Hände. »Emily, das ist ja sooo zischig!«, sagte sie und tanzte wild zuckend auf und ab. »Ich freue mich ja so! Du nicht auch?«
»Total!«, sagte ich. Und ich meinte es auch fast ganz aufrichtig so. Jetzt gab es nur noch ein Problem; nur eine Sache hielt mich davon ab, über die Neuigkeiten genauso glücklich zu sein wie Shona. Ich musste Aaron zurücklassen.
»Dad sagt, dass wir Ende der Woche abfahrbereit sein sollten.«
Aaron und ich saßen auf unserem Vorderdeck in der Sonne. Dad war unterwegs mit Archie und Mr Beeston, um unsere Reise zu planen. Mum und Aarons Mutter hatten sich so richtig angefreundet, seit wir alle hier gelandet waren, und sie waren zu einem Strandspaziergang aufgebrochen.
Ich sah Aaron verstohlen an. Er blickte aufs Meer hinaus und hatte noch nicht reagiert.
»Das bedeutet, dass wir nächste Woche schon weg sind«, fuhr ich fort. Immer noch keine Antwort. »Für immer«, fügte ich hinzu, falls er nicht ganz begriffen hatte, was ich ihm beizubringen versuchte. Dass wir uns ab nächster Woche wahrscheinlich nie wiedersehen würden.
Er drehte sich zu mir um und lächelte. »Okay«, sagte er.
Okay? Mehr nicht? Er hatte also sehr wohl verstanden, was ich sagte – aber es kümmerte ihn wohl nicht weiter.
Bitte. Dann kümmerte es mich auch nicht.
»Dann sehen wir uns davor vielleicht noch mal, vielleicht aber auch nicht«, sagte ich obenhin. »Wenn nicht, dann wünsche ich dir ein schönes Leben«, setzte ich hinzu und stand auf, um zu gehen. Ich bin nicht sicher, wohin ich eigentlich wollte. Ich glaube, ich hoffte, dass er mich zurückrufen würde, ehe ich mir darüber Gedanken machen musste.
Was er zum Glück auch tat.
»Emily!« Aaron grinste zu mir hoch und klopfte auf das Deck neben sich. »Setz dich.«
Ich setzte mich und verschränkte die Arme.
»Ich hab dich nur ärgern wollen«, sagte er.
»Wie meinst du das?«
»Indem ich so tue, als ob es mir nichts ausmacht, dass du gehst.«
Ich zuckte die Schultern.
»Also, um ehrlich zu sein, es macht mir nichts aus«, fuhr er fort.
Ich verdrehte die Augen und zuckte noch mal die Schultern. »Mir auch nicht«, sagte ich. »Ich wollte dich nur informieren, höflichkeitshalber.«
Aaron brach in Gelächter aus. »Emily! Kapierst du denn nicht? Der Grund, dass es mir nichts ausmacht, ist, dass wir mitkommen!«
Ich starrte ihn an und zwang mich, keine besondere Reaktion zu zeigen, falls er mich wieder auf den Arm nahm.
»Ehrlich«, sagte er, denn er konnte meine Gedanken lesen, wie es sonst nur Shona konnte.
Ich nahm die Arme wieder auseinander, hörte mit der Schulterzuckerei auf und merkte, dass ich lächelte. »Wie kommt’s?«, fragte ich.
»Deine Mutter ist gestern Abend zu uns gekommen und hat uns von euren Plänen erzählt, und meine Mum hat sofort entschieden, dass wir mit euch mitkommen.«
»Aber warum denn?«, fragte ich. »Seid ihr hier nicht glücklich?«
»Doch, klar sind wir das!«, sagte Aaron. »Wie könnte man hier nicht glücklich sein? Nur –« Er verstummte. Seine blassen Wangen wurden einen Hauch rot.
»Nur was?«, fragte ich.
»Na ja, weißt du …« Er sah zur Seite und pulte an einem lockeren Stückchen Holz an den Planken herum. »Nach allem, was ihr für uns getan habt. Für meine Mutter, um genau zu sein. Sie würde ohne deine Mutter nicht klarkommen.«
»Ach so, natürlich«, sagte ich. Also nur wegen seiner Mutter, die mit uns kommen wollte.
»Und außerdem«, nuschelte er, »ohne dich wäre es hier nicht das Gleiche.«
Ich grinste. »Echt?«
Er sah auf und grinste zurück. »Echt!«
Ich stand auf und hüpfte vom Deck zum Steg hinüber. »Komm mit«, sagte ich und ließ mich ins Wasser gleiten. Sofort fingen meine Zehen zu kribbeln an, während sich der Nixenschwanz bildete. »Lass es uns Shona sagen. Wer als Erster am Strand ist!«
»Versprich, dass du bald zu Besuch kommst, ja?« Mum zerdrückte eine Träne und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Millie trompetete laut in ein riesiges Taschentuch, das sie dann wieder in ihre Tasche stopfte. Sie hatte beschlossen, auf der Runduminsel zu bleiben, um mit Archie zusammen zu sein. Sie sagte, zwei Wochen Trennung seien schon mehr als genug gewesen, das würde sie sich nicht mehr zumuten. Wenn er hier gebraucht wurde, dann musste sie eben an seiner Seite bleiben. Es war irgendwie richtig niedlich. »Ich komme so oft zu Besuch, dass es euch bald zum Hals raushängt«, sagte sie und versuchte zu lächeln. Ihre Lippen zuckten jedoch, und schwarze Maskara-Schmiere lief ihr über die Wangen.
»Du würdest uns niemals zum Hals raushängen!«, sagte Mum.
Millie drückte Mum noch einmal die Hand, dann packte sie mich. »Komm her, umarm mich mal fest.« Sie nahm mich in die Arme und drückte mich so fest, dass ich zu ersticken drohte.
In dem Moment rief Dad aus dem Wasser nach uns. Er und Mr Beeston würden zuerst neben dem Schiff her schwimmen, bis wir aus der Bucht und am Bermuda-Dreieck vorbei waren. Danach hatte Archie eine Schar von Neptuns Delphinen angeheuert, die uns mitsamt der Fortuna mitziehen würden.
Archie machte bereits die Leinen los. Er würde uns erst mal ein Stück begleiten. Er gab Millie einen Kuss und wischte ihr sanft die Wangen ab – so dass er den Maskara jetzt an der Hand hatte. »Bin ja bald wieder da«, sagte er.
Und dann ging es los. Wieder auf die offene See hinaus. Mit Kurs auf Brightport.
Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, als wir uns Brightport näherten. Einerseits fürchtete ich, dass es inzwischen total anders aussehen würde. Andererseits stellte ich es mir genauso wie früher vor. Es war über sechs Monate her, seit wir es verlassen hatten, und so viel war inzwischen geschehen. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, überhaupt wieder zurückzukommen.
Aber das taten wir. Ich konnte die Stadt bereits in der Ferne liegen sehen, während uns die Delphine auf die Bucht zu zogen. Allmählich kam alles in Sicht: der Hafen, wo Mum und ich auf unserem Hausboot, der King of the Sea, gewohnt hatten; die Reihe von Läden und Gästehäusern entlang der Promenade; der Pier mit der Spielhalle am Ende, die von Mandy Rushtons Eltern betrieben wurde.