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Die Superheldin von nebenan – Liz Kessler lässt Mädchenträume wahr werden! Jess hält sich für ein ganz normales Mädchen. Bis zu dem Tag, an dem mitten in der Geographiestunde ihr Arm verschwindet. Ihre beste Freundin Izzy will ihr unbedingt zeigen, wie großartig es ist, sich unsichtbar machen zu können. Was man damit für einen Spaß haben kann! Aber woher kommt die Fähigkeit? Ist Jessica jetzt eine Superheldin? Und kann sie ihren Freunden helfen, als diese in Gefahr geraten? Eine ebenso spannende wie bezaubernde Geschichte über Superkräfte und ihre ungeahnten Folgen – und die schöne Erfahrung, wirklich gute Freunde zu haben.
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Seitenzahl: 266
Liz Kessler
Die Superheldin von nebenan – Liz Kessler lässt Mädchenträume wahr werden!
Jess hält sich für ein ganz normales Mädchen. Bis zu dem Tag, an dem mitten in der Geographiestunde ihr Arm verschwindet. Ihre beste Freundin Izzy will ihr unbedingt zeigen, wie großartig es ist, sich unsichtbar machen zu können. Was man damit für einen Spaß haben kann! Aber woher kommt die Fähigkeit? Ist Jessica jetzt eine Superheldin? Und kann sie ihren Freunden helfen, als diese in Gefahr geraten?
Eine ebenso spannende wie bezaubernde Geschichte über Superkräfte und ihre ungeahnten Folgen – und die schöne Erfahrung, wirklich gute Freunde zu haben.
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Liz Kesslerträumte davon, Schriftstellerin zu werden, seit sie im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte. Nach einigen Jahren als Lehrerin und Journalistin machte sie diesen Traum wahr. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen Emily Windsnap und die Feenfreundin Philippa wurden zu internationalen Bestsellern.
Für ihren Roman Als die Welt uns gehörte wurde sie 2023 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis (Jugendjury) ausgezeichnet.
Es war an einem Freitagnachmittag während einer Doppelstunde Geographie, als ich zum ersten Mal feststellte, dass ich übernatürliche Fähigkeiten habe.
Ich wette, ihr findet, das klingt aufregend. Also, wenn ihr so was nie selbst erlebt habt, dann glaubt mir: Das ist es nicht. Es ist seltsam. Und unheimlich. Und wenn noch dazukommt, dass man keine Antwort parat hat, wenn man aufgerufen wird und die Auswirkungen der Küstenerosion auf prähistorische Gesteinsformation erklären soll, dann kann man auch noch gewaltig Ärger bekommen.
Aber ich greife vor. Fangen wir lieber beim Anfang an. Na gut, nicht beim eigentlichen Anfang. Das kommt später. Aber kehren wir wenigstens noch mal zurück in diese Geographiestunde.
Es war Mitte April und unzumutbar warm. Die Mittagspause hatte ich damit verbracht, mit meiner besten Freundin Izzy Williams Tratsch und Schokokekse auszutauschen und über Wochenendpläne zu reden, und wollte nun die Geographiestunde über mich ergehen lassen, als drei Dinge zusammenkamen, die mich total müde machten.
Nummer eins: die Schokokekse. Schokolade macht mich immer schläfrig.
Nummer zwei: Die Sonne war hinter einem Berg Wolken hervorgekrochen und strahlte wie ein Scheinwerfer direkt auf meine Bank.
Nummer drei: Miss Cooper verkündete, dass es in der heutigen Stunde um Küstenerosion und prähistorische Gesteinsbildung ging.
Ihr findet bestimmt auch, dass sich alles gegen mich verschworen hatte.
Tief im Hinterkopf konnte ich gerade noch Miss Coopers Stimme hören, die etwas von Klippen und Felsen und Gezeiten faselte. Eine Minute später befand ich mich schon halb in einem Traum und lag am Fuß ebendieser Klippen auf dem Sandstrand. Ein heftiger Stoß in die Rippen holte mich unsanft vom Strand zurück ins Klassenzimmer.
Ich warf Izzy einen finsteren Blick zu. »Wofür war das denn?«, zischte ich.
Sie sagte nichts. Stattdessen deutete sie mit einem Kopfnicken nach vorne. Miss Cooper starrte mich mit spitz zusammengezogenen Lippen an. »Nun?«, ließ sie sich vernehmen. Ich wischte mir ein bisschen Spucke aus dem Mundwinkel und sah mich hilfesuchend im Klassenzimmer um.
Ein paar wenige Gesichter drehten sich mitfühlend in meine Richtung. Die übrigen vermieden meinen Blick eher. Sie kannten das.
»Tut – tut mir leid, Miss. Ich habe Sie nicht ganz verstanden. Könnten Sie die Frage bitte noch mal wiederholen?«
Miss Cooper spitzte die Lippen noch mehr, so dass ihr Mund praktisch verschwand. »Nach der Stunde zu mir«, sagte sie knapp, dann wandte sie sich ruckartig von mir ab und deutete auf Heather Berry in der ersten Reihe. »Heather, vielleicht kannst du antworten?«
Typisch.
Da ihr Heather Berry wahrscheinlich nicht kennt, stelle ich sie mal vor. Sie ist sozusagen das Gegenteil von mir.
Ich: klein und unscheinbar. Lange braune Haare, mit denen nichts anzufangen ist, weil sie nur runterhängen; graugrüne Augen, die man praktisch gar nicht wahrnimmt, wenn man sich nicht darauf konzentriert.
Heather: die Größte der achten Klasse, absurd schlanke Figur, unfassbar glänzende blonde Haare und Augen, die so leuchtend blau sind, dass ich mich gelegentlich schon gefragt habe, ob sie farbige Kontaktlinsen trägt.
Ich: meistens in ausgefransten Jeans mit normalem T-Shirt oder schlabberigen Pullovern, die ich mal samstagnachmittags beim Stöbern in einem Secondhandladen rausgefischt habe.
Heather: trägt immer die neuesten Designer-Stücke – so trendy, dass sie die angesagten Klamotten schon hat, bevor sie überhaupt in sind.
Ich: eher kurze Aufmerksamkeitsspanne, tendenziell mehr Interesse an Schiffe versenken mit Izzy als daran, aufmerksam der Lehrerin zuzuhören – daher bekomme ich häufig Ärger. Außer in Englisch, meinem Lieblingsfach. Unser Englischlehrer, Mr Martins, ist cool. Er hat den längsten Schnauzbart der Welt, einen total kahlen Kopf und tatsächlich fünfundzwanzig Ohrringe in jedem Ohr. Außerdem sind seine Stunden manchmal echt interessant und er findet anscheinend, dass ich vernünftige Dinge von mir gebe.
Heather: wahrscheinlich bei allen Lehrern die beliebteste Schülerin. Immer aufmerksam, immer bereit zu helfen. Kapitän der Basketballmannschaft und Klassensprecherin der Achten. Ständig umringt von ungefähr fünf Mädchen, die ihr an den Lippen hängen und jede ihrer Bewegungen nachmachen, und mindestens fünf Jungs, die alle ihr Freund sein wollen. Sieht jeden von oben herab an, der nicht zu ihrem Fanclub gehört.
Ihr habt wohl erraten, dass Heather nicht gerade meine Lieblingsmitschülerin ist.
Sie drehte sich um und warf mir einen abfälligen Blick zu, als sei ich etwas, das versehentlich an ihrer Schuhsohle kleben geblieben war, dann wandte sie sich wieder der Lehrerin zu.
Während Heather sich in aller Ruhe daranmachte, die Auswirkungen der Küstenerosion auf prähistorische Gebiete zu erläutern, dachte ich krampfhaft über eine Strategie nach, um bis zum Ende der Stunde wach zu bleiben.
Ich riss eine Seite aus meinem Konzeptheft, schrieb rasch Was hab ich verpasst? drauf und steckte Izzy den Zettel unter der Bank zu.
Izzy faltete die Notiz auf und las sie. Sie fing an zurückzuschreiben. Dann strich sie es wieder aus, zerknüllte den Zettel und kaute am Ende ihres Stiftes herum.
O-oh.
Wisst ihr, Izzy und ich sind befreundet, solange ich zurückdenken kann. Ich kenne sie ungefähr so gut wie mich selbst. Manchmal sogar besser. Und ich weiß, wenn sie am Ende ihres Stiftes herumkaut, rumort irgendwas in ihr. Das einzige noch schlechtere Zeichen ist, wenn sie die Brille abnimmt und am Ende von einem der Bügel herumkaut. Izzy hat ungefähr fünfzig Brillen, die sie je nach Outfit wechselt. Heute war ein Schultag, also hatte sie die blaue auf, die zur Schuluniform passt.
Ich riss noch eine Seite aus meinem Konzeptheft. Was ist los?, schrieb ich.
Izzy las die Notiz. Dann nahm sie die Brille ab und kaute am Bügel herum.
Doppelt o-oh.
Schließlich setzte sie die Brille wieder auf, kritzelte etwas auf das Stück Papier und schob es mir wieder zu.
Kann ich jetzt nicht erklären. Auf dem Heimweg.
Ich weiß nicht was, aber irgendwas an dieser Notiz machte mich fast noch unsicherer als die Aussicht auf meine Strafpredigt von Miss Cooper.
Izzy wartete in der Garderobe auf mich.
»Was hat sie gesagt?«, fragte sie, während sie mir meinen Mantel reichte und wir hinaus auf den Schulhof traten.
»Nur der übliche Du-musst-deine-Arbeit-ernster-nehmen-Vortrag«, sagte ich, zog meinen Mantel an und hängte mir die Tasche über die Schulter.
»Hätte schlimmer sein können«, meinte Izzy.
»Ja.« Miss Cooper war dafür bekannt, dass sie die Schüler eine Stunde dabehielt, um Artikel aus National Geographic zu kopieren und die Gesteine und Karten auf ihrem Displaytisch hin und her zu schieben; ich war also noch mal glücklich davongekommen.
»Also, was war das, was du mir vorhin nicht sagen konntest?«, fragte ich. Izzy hatte mich nicht einmal richtig angesehen, seit wir aus dem Schulgebäude gekommen waren.
Sie blickte sich verstohlen um, als würden wir beobachtet. Dann deutete sie mit einer Kopfbewegung zum Park und zog mich über die Straße. »Da drüben«, sagte sie.
Wir gingen oft durch den Park nach Hause. Im Sommer stand gewöhnlich ein Eiswagen vor dem Tor, und mitten im Park gab es einen See. Dort warfen wir den Enten die Krusten von unseren Pausenbroten zu.
Am Ufer des Sees setzten wir uns auf eine Bank.
»Izzy, was ist los?«, fragte ich. »Du machst mich ganz nervös.«
»Ich mache dich nervös?«, sagte sie mit einem Lachen. Kein Ha-ha-du-bist-vielleicht-komisch-Lachen, versteht ihr. Eher ein Hier-sitze-ich-mit-einer-Verrückten-und-weiß-nicht-wie-ich-da-rauskomme-ohne-dass-sie-merkt-dass-ich-Angst-habe-Lachen.
»Izzy«, sagte ich bestimmt, »ich bin deine beste Freundin. Wenn was nicht stimmt, kannst du es mir doch sagen.«
Sie wandte sich ab und nickte. Schließlich sah sie mich an. »Vorhin in Geographie ist was Seltsames passiert«, sagte sie zögernd.
»Du meinst, dass ich eingeschlafen bin und Ärger bekommen habe? Das ist doch nicht seltsam, es passiert die ganze –«
»Nicht das«, sagte sie. Sie deutete auf meinen Arm. »Dein Ellbogen.«
»Mein Ellbogen?«, wiederholte ich, hob den Arm und sah ihn mir an. »Was soll denn mit meinem Ellbogen nicht in Ordnung sein?«
»Jetzt nichts mehr«, sagte Izzy. »Aber vorhin, da ist … ist er …«
»Ist er was?«
Izzy holte Luft. »Er ist verschwunden«, sagte sie.
»Mein Ellbogen ist verschwunden«, wiederholte ich.
Izzy nickte. »Und nicht nur dein Ellbogen. Da hat es angefangen, aber dann hat es sich über den ganzen Arm ausgebreitet.« Sie zögerte und beugte sich zu mir. »Etwas Unheimliches war da im Gange.«
Es war wohl eindeutig etwas Unheimliches im Gange. Meine beste Freundin fing an zu spinnen. »Was ist passiert?«, fragte ich.
»Ich glaube …« Sie beugte sich noch näher und warf einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass wir allein waren. Dann senkte sie die Stimme und redete weiter, und diesmal lief mir bei ihren Worten ein Schauer über den Rücken.
»Ich glaube, du warst im Begriff, unsichtbar zu werden.«
Dass einem die beste Freundin so was sagt, erwartet man nicht gerade, wenn man an einem Freitagnachmittag um fünf nach vier im Park sitzt. Und auch nicht zu irgendeiner anderen Zeit an irgendeinem anderen Nachmittag, um genau zu sein.
Ich starrte Izzy an und suchte nach Worten, die sich vielleicht zu einem Satz zusammenfügen würden, der im weitesten Sinn als angemessene Antwort angesehen werden konnte. Schließlich sagte ich: »Waaas?«
Was weder als Satz noch als angemessene Antwort durchging, aber mehr fiel mir nicht ein.
Immerhin hatte Izzy den Anstand, zu erröten. »Hey, lass den Boten am Leben, okay? Ich sage nur, was ich gesehen habe.«
»Oder was du nicht gesehen hast, das trifft es wohl eher«, erwiderte ich.
Izzy lachte. Ich sah sie finster an. Sie wurde ernst.
»Hör mal, wahrscheinlich habe ich mich getäuscht«, sagte sie. »Ich meine, bestimmt hat es am Licht gelegen oder so was. Du weißt schon, die Sonne hat mich geblendet.«
»Ja, wahrscheinlich.«
Izzy lachte wieder. Diesmal sah ich sie nicht finster an. »Überleg mal, ich hab echt gedacht, du wirst unsichtbar!«, sagte sie.
Ich entspannte mich allmählich und lachte ebenfalls. »Stimmt. Verrückt, was?«
»Bescheuert! Was bin ich nur für eine Idiotin. Wenn ich genau darüber nachdenke, bin ich sicher, dass es das Licht war. Die Sonne hat dich direkt angestrahlt. Das war es eindeutig, sonst nichts.«
»Gut. Ich bin froh, dass wir das klargestellt haben«, sagte ich, kramte in meiner Tasche und zog meine Brotbüchse heraus. »Und, füttern wir jetzt die Enten oder was?«
Wir warfen unsere Brotreste in den See und sahen zu, wie die Enten angeflogen kamen. Sie quakten laut bei ihrer Wasserlandung und stürzten sich auf das Brot.
Wir lachten und tratschten und quatschten die ganze Zeit. Wie sonst auch. Als wir das Brot verteilt hatten, beschlossen wir, uns am nächsten Tag zu treffen und uns zu schreiben, sobald wir zu Hause waren. Ganz wie sonst auch.
Ja, wenn ihr uns beobachtet hättet, wäre euch kein Unterschied zu sonst aufgefallen.
Ihr hättet nur festgestellt, dass etwas anders war, wenn ihr in meinen Kopf geschaut hättet.
Ihr müsst wissen, dass Izzy auf etwas gestoßen war, das ich nicht aussprechen wollte. Ich hatte mich in letzter Zeit oft seltsam gefühlt. Vor allem, wenn ich müde war. Ich konnte dieses Gefühl nicht wirklich in Worte fassen. Wenn ich es versucht hätte, wären wahrscheinlich Worte wie ›wuschig‹ oder ›wackelig‹ oder ›seltsam‹ dabei herausgekommen.
Ich hab es euch ja gesagt: nicht viele Anhaltspunkte. Ich wusste nur, dass ich mich in letzter Zeit nicht ganz normal fühlte. Und Izzys Worte hatten mich gezwungen, es zuzugeben.
Nicht laut. Dazu war ich noch nicht bereit. Aber vor mir selbst. Und das war schlimm genug.
Nach dem Abendessen ging ich sofort in mein Zimmer. Ich sagte Mum und Dad, ich wolle meine ganzen Schularbeiten vor dem Wochenende erledigen, das genügte, um sie mir vom Hals zu halten.
In Wirklichkeit wollte ich jedoch versuchen, irgendwie zu beweisen, was Izzy da behauptet hatte. Sie hatte gesagt, es habe angefangen, als ich eingeschlafen sei, deshalb dachte ich mir, ich müsse mich einfach nur hinlegen und eindösen und abwarten, was passiert.
Ich schlüpfte aus den Schuhen und zog die Vorhänge zu. Dann legte ich mich aufs Bett und schloss die Augen. In meinem Kopf drehten sich die Fragen im Kreis. Wenn Izzy nun doch recht hatte? Wenn tatsächlich etwas Seltsames mit mir passierte? Was dann?
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich, nicht an das zu denken, was Izzy gesagt hatte. Es war verrückt. Es war unmöglich. Ich zwang mich zu gähnen und versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich müde sei. Nach ein paar Minuten stellte ich fest, dass ich tatsächlich ziemlich müde war. Ich merkte, dass ich eindöste. Das war’s. Jetzt würde ich es herausfinden. Ich musste nur …
Doch dann fiel mir etwas auf: Wie sollte ich merken, was mit meinem Körper geschah, wenn ich einschlief? Sobald ich die Augen aufmachen würde, um zu sehen, was passierte, würde ich ja nicht mehr schlafen!
Es gab nur einen Weg, wie ich vorgehen konnte.
Ich ging wieder nach unten. Mum und Dad hatten es sich im Fernsehzimmer gemütlich gemacht.
»Kann Izzy bei mir übernachten?«
»Ich dachte, du wolltest deine ganzen Schulaufgaben machen«, sagte Mum.
»Ich bin schon fast fertig.«
»Das ging ja schnell«, sagte Dad und zappte mit der Fernbedienung durch die Sender.
»Izzy kann mir helfen. Wir könnten den Rest gemeinsam machen. Außerdem ist doch Freitag. Morgen ist schließlich keine Schule.«
Dad sah Mum an und zuckte die Schultern. »Warum nicht?«, sagte er.
»Aber nur wenn ihre Eltern einverstanden sind«, setzte Mum hinzu.
Ich war schon aus der Tür und mitten in einer SMS an Izzy. »Danke!«, rief ich zurück.
Ich weiß nicht, ob ihr es je versucht habt, aber es ist gar nicht so einfach, sich zum Einschlafen zu zwingen – jedenfalls drei Stunden vor der normalen Schlafenszeit und während euch einer anstarrt.
»Mach die Augen zu!«, rief Izzy zum siebzehnten Mal.
»Ich kann nicht schlafen, wenn du mich anstarrst!«
»Aber darum geht es doch! Wie soll ich beobachten, was passiert, wenn ich dich nicht ansehe?«
Ich seufzte und setzte mich auf. »So klappt das nicht«, sagte ich. »Ich bin nicht mal müde.«
»Sollen wir joggen gehen?«, schlug Izzy vor.
Ich sah sie mit einem Blick an, der hoffentlich das richtige Maß an Entsetzen und Abscheu ausdrückte.
»Ich überlege nur, was dich müde machen könnte.«
»Ich hab ’ne Idee«, sagte ich und fuhr meinen Laptop hoch.
Izzy reckte den Hals und sah mir über die Schulter, während ich tippte. »Was hast du vor?«
»Mediathek im Internet«, erklärte ich ihr. »Ich suche nach einem Nachrichtenprogramm.«
»Ah, gute Idee. Etwas über Politik oder das Wetter oder Geschichte.« Dann deutete sie auf den Bildschirm. »Wie wär’s damit?« Sie zeigte auf eine Sendung, die Finanzkriege hieß und beschrieben wurde als ›eingehender Blick auf Großbritanniens ökonomische Strategien in den 1930ern‹.
»Das müsste wirken«, stimmte ich zu und startete die Sendung.
Es wirkte Wunder. Innerhalb von fünf Minuten fielen mir die Augen zu.
Fast unmittelbar danach hörte ich, wie mein Name gerufen wurde und jemand meinen Arm packte und mich schüttelte. Erschrocken riss ich die Augen auf. Ich setzte mich auf und starrte Izzy an. Sie hatte immer noch meinen Arm gepackt und ihre Fingernägel gruben sich in meinen Pullover.
Ich streckte mich und gähnte. Izzy ließ meinen Ärmel los.
»Und?«, fragte ich. »Ist was passiert? Warum hast du meinen Arm geschüttelt?«
»Um dich aufzuwecken«, sagte sie und wich meinem Blick aus. Ehe ich dazu kam, sie darauf hinzuweisen, dass ich in den zwanzig Sekunden, in denen meine Augen geschlossen waren, nicht eingeschlafen sei, setzte sie hinzu: »Aber ich habe ein bisschen gebraucht, um ihn zu finden.«
»Ich schätze mal, dass du ihn dann doch aufgespürt hast und er wie üblich an meiner Schulter hing?«, erwiderte ich so beiläufig wie möglich.
Endlich sah Izzy mich an. »Dein Arm war komplett unsichtbar«, sagte sie.
Ich starrte sie an. »Mein Arm …«, sagte ich lahm.
»War unsichtbar, genau. Sogar beide. Und deine Füße auch.«
»Meine Füße auch«, wiederholte ich und nickte langsam.
»Dein Kopf wurde auch schon durchsichtig«, fuhr Izzy fort. »Da habe ich dann deinen Namen gerufen. Es wurde allmählich unheimlich.«
»Allmählich unheimlich?«
»Ja, mehr als unheimlich«, gab Izzy zu.
Ohne ein Wort saßen wir da … wie lange? Fünf Minuten? Eine Stunde? Keine von uns wusste, was sie sagen sollte. Was nicht überraschend war. Wüsstet ihr es?
Stattdessen setzten wir abwechselnd dazu an, merkten, dass wir immer noch keine Worte für das fanden, was da vor sich ging, und schlossen den Mund wieder.
»Wir brauchen einen Plan, eine Strategie«, sagte ich schließlich.
Izzy lächelte. Endlich sprach ich ihre Sprache. Izzy liebt Strategien. Sie kommen gleich nach neuen Notizbüchern oder ihrem Schachclub.
Ihr müsst wissen, dass Izzy und ich so was wie Seelenschwestern sind – und gleichzeitig völlig gegensätzlich. Sie macht sich nicht viel aus Secondhandläden und ich raste nicht aus bei Regalen voller Schreibwaren, aber wir lassen gerne beides über uns ergehen, wenn es bedeutet, dass wir den Samstagnachmittag gemeinsam in der Stadt verbringen können. Außerdem verstehe ich nicht, was aufregend daran sein soll, Pferd und König und Läufer über ein Schachbrett zu bewegen. Nichts liebt Izzy mehr. Umso besser, dass wir Tom kennen.
Tom Johnson ist ein Junge, mit dem ich aufgewachsen bin. Unsere Mütter waren auf derselben Entbindungsstation, und Tom und ich sind am selben Tag geboren. Toms Großeltern leben auf Jamaika, und sein Vater war damals gerade auf Besuch bei ihnen, weil Tom eigentlich erst drei Wochen später kommen sollte, daher war seine Mutter ziemlich lange auf sich gestellt und freundete sich mit meiner Mutter an. Seitdem sind unsere Mütter gute Freundinnen geblieben.
Ich glaube, sie hatten so eine Vorstellung, dass Tom und ich eines Tages heiraten würden, wenn sie uns oft genug zusammen in die Krabbelgruppe schickten. Tom ist süß. Seine dunkle Haut sieht super aus, genauso wie seine braunen Augen und die verrückten schwarzen Rastalocken. Er ist kleiner als ich. Er ist sogar der kleinste Junge in der Klasse. Aber er gleicht das durch ein Riesenhirn aus. Er liebt Apparate und Computer und Mathe. Und ganz besonders Schach. Was cool ist, es bedeutet nämlich, dass ich nicht mit Izzy in den Schachclub muss. Es bedeutet weiter, dass auch sie gute Freunde sind und wir drei oft zusammen abhängen.
Das nur nebenbei. Izzy hatte ein Notizbuch aus ihrer Tasche geholt. Sie schlug es auf, schrieb das Datum in die rechte obere Ecke und unterstrich es.
Izzy ist mit allem sehr genau.
»Lass uns erst mal eine Liste machen«, sagte sie. »Oder vielleicht ein Ablaufdiagramm.« Sie lächelte. »Ja, ein Diagramm. Das macht Spaß.«
»Meine Gliedmaßen verschwinden eins nach dem anderen, und du findest, dass man das als Spaß bezeichnen kann?«
»Total! Wenn wir erst mal rausgefunden haben, warum das passiert, dann musst du nur rauskriegen, wie du es zügeln kannst, damit du kontrollieren kannst, wann es eintritt.«
»Ach! Das ist alles? Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Komm schon, denk mal drüber nach. Du hast eine Superkraft!«
Ich lachte. »Superkraft? Ich würde das nicht gerade –«
»Jess, du kannst unsichtbar werden! Was soll das sein, wenn nicht eine Superkraft?«
»Tja … okay, vielleicht schon.«
Izzy grinste. »Siehst du! Und wenn du es zu beherrschen gelernt hast, wer weiß, was du damit anstellen kannst? Du könntest herumlaufen und gute Taten vollbringen. Du könntest eine Superheldin werden!«
»Wow! Immer mit der Ruhe. Einen Schritt nach dem anderen, okay?«
»Okay«, gab Izzy nach. Dann fügte sie etwas hinzu, das mir die ganze Sache in einem besseren Licht erscheinen ließ. Und es erinnerte mich daran, warum sie meine beste Freundin ist. »Du bist doch nicht allein mit der Sache«, sagte sie. »Ich bin immer bei dir. Ich helfe dir, dahinterzukommen. Was auch passiert, es wird alles gut werden. Okay?«
Ich nickte nur. Ich traute nämlich meiner Stimme nicht.
»Und wenn wir der Sache erst mal auf den Grund gegangen sind, dann machen wir uns einen Spaß draus«, fuhr sie fort. »Und vielleicht ab und zu auch Superheldentaten.«
Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Vielleicht hatte sie ja recht. Wenn ich die Sache irgendwie unter Kontrolle bekam und unsichtbar werden könnte, wann ich wollte, dann könnte es vielleicht wirklich Spaß machen. Und ich könnte vielleicht wirklich ab und zu eine gute Tat vollbringen.
Izzy kritzelte in ihr Notizbuch. Ich sah ihr über die Schulter und las mit. »Strategie für angehende Superheldin?«
Izzy zuckte die Schultern. »So nennen wir es vorerst mal.«
Ich nahm das Notizbuch und schrieb selbst ein paar Punkte auf.
Schritt 1: Herausfinden, warum es passiert.
Schritt 2: Lernen, es zu kontrollieren.
Schritt 3: Superkraft für gute Taten einsetzen.
Schritt 4: Spaß haben.
»Na siehst du?«, sagte Izzy mit einem Lächeln. »Du denkst schon wie eine mögliche Superheldin.«
Ich klappte meinen Laptop wieder auf und zog einen zweiten Stuhl an meinen Schreibtisch.
Izzy setzte sich neben mich. »Was machen wir?«, fragte sie.
»Schritt eins.« Ich rief eine Suchmaschine auf, überlegte kurz, wie ich es formulieren sollte, dann tippte ich Unsichtbar werden in die Suchzeile.
»Wow!«, rief Izzy aus, während wir auf den Bildschirm starrten. Es wurden 57843521 Ergebnisse angezeigt. »Wo um Himmels willen sollen wir anfangen?«
Ich zuckte die Schultern. »Mit dem ersten?«
Ich klickte auf den ersten Link. Er führte auf eine Seite mit dem Titel ›Wie man unsichtbar wird‹. Genau genommen nicht nötig, weil ich das ja schon wusste. Aber vielleicht stand da ja etwas, das ich gemacht hatte, ohne es zu wissen.
Auf der Seite ging es um ausgeklügelte Tarnungsmethoden in James-Bond-Filmen. Wie ein internationaler Superagent kam ich mir nicht gerade vor, also klickten wir auf den nächsten Link: Unsichtbar sein: Tipps und Techniken.
»Hier steht, dass große mentale Anstrengungen nötig sind, um es zu erreichen. Das kommt irgendwie nicht hin. Ich hab es ja nicht mal versucht«, sagte ich, nachdem ich ein paar Abschnitte gelesen hatte.
»Hmm. Vielleicht hat der Autor eine andere Methode angewandt«, meinte Izzy.
Ich starrte sie an. »Eine andere Methode als was? Ich habe ja keine Methode.«
»Okay, schau mal. Er erklärt, wie man es macht.«
Wir lasen die Anleitung durch. Im Prinzip musste ich die Augen schließen, mir vorstellen, dass mein Körper unsichtbar wurde, immer wieder stumm das Wort ›unsichtbar‹ wiederholen und meinen ›Unsichtbar-Assi‹ – sprich Izzy – aufschreiben lassen, wie viel Prozent von mir noch sichtbar waren.
»Ich glaube, du wüsstest es, wenn du dir vorgestellt hättest, durchsichtig zu werden, und das Wort ›unsichtbar‹ ständig vor dich hin gesagt hättest«, gab Izzy zu bedenken. Sie hatte recht. Nächster Link.
»Die Angaben, wie man es macht, können wir vergessen«, sagte ich, während ich nach unten scrollte. »Wir müssen nicht wissen, wie es geht. Wir wollen wissen, warum.«
»Guter Plan«, stimmte Izzy zu. Wir überflogen die Liste.
»Wie steht’s damit?« Izzy deutete auf einen Eintrag weiter unten auf dem Bildschirm.
»Unglaubliche Berichte von Leuten, die plötzlich komplett unsichtbar wurden«, las ich laut vor. »Klingt vielversprechend.« Ich klickte den Link an.
Den ersten Abschnitt lasen wir gemeinsam.
Eine Frau namens Melanie aus Ventura in Kalifornien hatte ein seltsames Erlebnis, während sie daheim auf ihrem Wohnzimmersofa saß. Als sie einfach nur die Wand anstarrte, wurde sie, so glaubt sie, unsichtbar. Ihr Mann streifte durch das Haus und suchte nach ihr. Er ging sogar dicht an ihr vorbei, keinen Meter weit weg, und sah sie nicht. Der Vorfall hielt zehn Minuten an, dann war sie auf einmal wieder zu sehen.
Ich sah Izzy an.
»Du bist ganz bleich geworden«, sagte sie.
Wenigstens nicht unsichtbar, dachte ich.
Wir lasen weiter. Es gab mehrere Berichte von Menschen, die entdeckt hatten, dass sie unsichtbar geworden waren. Es hielt nie lange an und kam ohne Vorwarnung. Es passierte einfach – im Allgemeinen, wenn sie auf einer Party waren und das Gefühl hatten, von keinem beachtet zu werden. Um ehrlich zu sein, war ich von den Geschichten nicht überzeugt. Genauso wenig wie von dem Wissenschaftler, der angeblich etwas erfunden hatte, was er Elektrohelm nannte. Er setzte den Helm auf, trat in einen Schrank, berührte etwas an der Decke, was er ›Kontakt-Handschuhe‹ nannte, und – zack, zack – als er wieder aus dem Schrank kam, war er unsichtbar!
»Vor drei Jahren im Ferienlager hab ich jemanden im Entertainment-Zelt gesehen, der das gemacht hat«, sagte Izzy.
»Genau, da geht es um einen Zaubertrick, nicht um jemanden, der unsichtbar geworden ist, ohne zu wissen, warum oder wie.«
Wir klickten eine Seite nach der anderen an. Wir lasen von Hexengebräuen und Farbe, die unsichtbar macht; sahen Videos von Menschen, die sich langsam auflösten; Taschendiebe, die Geldbörsen klauten, ohne bemerkt zu werden – mit anderen Worten, nichts als Nepper, Schlepper, Bauernfänger.
»Das bringt uns nicht weiter«, sage ich seufzend.
Izzy nahm ihr Notizbuch. »Stimmt. Hör mal, warum vergessen wir Schritt eins nicht einfach und gehen zu Schritt zwei über?«
»Lernen, das Phänomen zu kontrollieren?«
Izzy nickte.
»Wie sollen wir das denn anstellen?«
»Das hab ich mir noch nicht überlegt.«
Eine Weile saßen wir stumm da. Dann hatte ich einen Einfall. »Soll ich mal alles aufzählen, was ich gemacht und gefühlt habe, während ich eingedöst bin, und du machst eine Liste davon? Dann kann ich vielleicht versuchen, alles noch mal zu wiederholen, ohne dabei einzuschlafen?«
Izzy riss die Augen auf. »Jess, du bist ein Genie. Das könnte klappen.«
Ich versuchte mich zu erinnern. »Okay, ich glaube, zuerst habe ich die Augen geschlossen.«
»Augen schließen«, wiederholte Izzy und schrieb eifrig mit.
»Dann bin ich schläfrig geworden.«
»Schläfrig werden.«
»Ich glaube, mein Puls ist etwas langsamer geworden.«
»Puls etwas langsamer werden lassen«, wiederholte Izzy.
Ich überlegte, was ich sonst noch empfunden hatte. »Das ist, glaube ich, alles.«
Izzy hörte zu schreiben auf und sah mich an. »Also, wir haben Augen schließen, schläfrig werden und langsamerer Puls. Sonst noch was?«
Ich schüttelte den Kopf. »Sonst fällt mir nichts ein.«
Izzy kaute am Ende ihres Stiftes herum. »Gar nichts?«
Ich überlegte weiter. »Halt mal! Das ist es!«, sagte ich.
»Das ist was?«
»Absolut nichts. Ich habe an nichts gedacht. Vielleicht muss ich das tun. Meinen Kopf leer machen. An nichts denken. Vielleicht werde ich dadurch unsichtbar!«
Izzy hörte auf, an dem Stift herumzukauen. »Versuch es«, sagte sie. »Kann nicht schaden.«
Ich legte mich aufs Bett und schloss die Augen. An nichts denken, an nichts denken.
Das Problem war nur, je mehr ich an nichts denken wollte, desto mehr fiel mir auf, dass mein Kopf in Wirklichkeit vor Gedanken wimmelte. In jeder Gehirnwindung saßen Gedanken, die so schnell herumsausten, dass ich sie nicht mal festnageln konnte, nicht mal wusste, um was es ging. Und damit aufhören konnte ich erst recht nicht. Mein Kopf kam mir wie die Überholspur auf der Autobahn vor. Geographiestunde. Felsformationen. Schularbeiten. Die Angst, wieder unsichtbar zu werden. Die Frage, warum das wohl passierte.
»Versuch dich zu entspannen«, drang Izzys Stimme durch die Überholspur.
Mich entspannen? Na klar! Ich wette, dass jeder, der gerade festgestellt hat, dass er unsichtbar werden kann, vollkommen entspannt ist!
Die Gedanken flitzten nur noch schneller.
Dann hatte ich eine Idee. Ich stellte mir jeden Gedanken als ein vorbeirasendes Auto auf der Autobahn vor. Sobald ein Auto an mir vorbeigesaust war, stellte ich mir vor, wie es in die Ferne davonfuhr und hinter dem Horizont verschwand, bis nach einer Weile keine Autos mehr da waren. Mein Kopf war leer.
»Es setzt ein!«, quiekte Izzy.
Ich riss die Augen auf. »Echt?«
Izzy deutete auf meinen Fuß. »Da hat es angefangen, ungefähr vor zehn Sekunden. Jetzt hat es wieder aufgehört.«
»Izzy, wir haben recht gehabt«, hauchte ich. »Ich muss nur den Kopf leer machen, dann werde ich unsichtbar.«
Izzy sah mich mit einem Funkeln an. »Los«, sagte sie. »Wir üben. Mal sehen, wie viel von dir wir verschwinden lassen können.«
Ich erwiderte ihren Blick. Wollte ich das wirklich? Was, wenn ich ganz und gar verschwinden würde? Und nie mehr zurückkam?
Mein Kopf war wieder voll mit Fragen. Aber das war ja Sinn der Übung. Zurzeit gab es nichts als Fragen, und wir brauchten Antworten.
»Okay«, sagte ich, legte mich wieder hin und schloss die Augen. »Los geht’s.«
Den halben Abend verbrachten wir damit, zu üben. Jedes Mal, wenn es mir gelang, stieß Izzy einen schrillen Schrei aus und ich erschrak so, dass meine Konzentration durchbrochen wurde. Nach einer Weile bekam sie ihr Kreischen jedoch in den Griff und ich mein An-nichts-Denken, und nachdem wir ungefähr zwei Stunden lang daran gearbeitet hatten, merkte ich, dass ich sogar die Augen öffnen konnte, ohne wieder sichtbar zu werden.
»Izzy, schau mal!«, sagte ich. Ich starrte auf meinen Körper. Oder besser: Ich starrte auf meine Schultern, die über einem großen Nichts schwebten, wo mein restlicher Körper hätte sein sollen.
Izzy klatschte in die Hände. »Unfassbar! Jetzt probier es mal, ohne die Augen überhaupt zu schließen.«
Ich holte Luft, ließ die Augen offen und machte die Sache mit den Autos, die am Horizont verschwinden und eine leere Stelle zurücklassen. Es war, als würde ich einen Teil meines Bewusstseins abtrennen und entleeren, während alles andere von mir noch funktionierte.
Meine Zehen und Fingerspitzen kribbelten leicht, als ob jemand ganz sanft Sand darauf rieseln lassen würde. Ich sah, wie sie verschwanden. Dann meine Arme und Beine. Kurz darauf war mein ganzer Körper verschwunden. Aber ich war noch da. Ich konnte Izzy sehen, die mich anstarrte – oder die Stelle, wo ich bis vor kurzem noch gewesen war.
Ich knipste den leeren Teil meines Bewusstseins wieder an. Allmählich wurde mein Körper wieder sichtbar.
Izzy nahm ihre Brille ab und putzte sie. Dann setzte sie sie wieder auf und stieß mit einem Pfeifen den Atem aus. »Das war ganz schön heftig«, sagte sie.
Ich nickte. »Total.« Mein Kopf war jetzt alles andere als leer. Hunderte von Ideen füllten ihn. Der Spaß, den wir haben könnten, der Unfug, den wir treiben könnten. Die Gags, die wir abziehen könnten.
»Weißt du was?«, sagte ich. »Dieser Unsichtbarkeitsunsinn fängt allmählich an, mir zu gefallen.«
Wir übten ungefähr eine Stunde lang weiter, bis ich die Unsichtbarkeit nach Belieben an- und abstellen und gleichzeitig sehen, reden und sogar im Zimmer herumgehen konnte. Das machte am meisten Spaß: mich hinterrücks an Izzy heranzuschleichen und ihr auf die Schulter zu tippen, wenn sie noch meinte, ich würde vor ihr sitzen.
Einmal hatten wir gerade noch Glück. Mum kam nach oben, während ich unsichtbar war. »Jetzt aber, Mädels, es ist längst Schlafenszeit. Ins Bett –« Sie verstummte. Sah sich im Zimmer um. »Wo ist Jess?«, fragte sie.
»Äh, sie ist … sie ist auf dem Klo«, stammelte Izzy.
Ich schlich mich leise an Mum vorbei – wobei ich darauf achtete, dass ich sie nicht berührte. Ich war ja nur unsichtbar, nicht unberührbar. Dann rannte ich über den Flur ins Badezimmer, schloss vorsichtig die Tür, drückte die Klospülung, machte mich wieder sichtbar und schlenderte auf mein Zimmer zu, als Mum auch schon auf den Flur hinaustrat.
»Da bist du ja«, sagte sie.
»Hi, Mum«, sagte ich harmlos.
»Ich habe Isabel gerade gesagt, dass ich finde, ihr solltet jetzt ins Bett. Es ist fast Mitternacht!«
»Du hast recht. Wir haben ziemlich viel gearbeitet«, sagte ich. »Ich bin müde.«
Mum gab mir im Vorübergehen einen Kuss. »Ihr seid ja so brave Mädchen«, sagte sie.
Ich biss mir auf die Lippe, denn ich hatte schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Aber meine Begeisterung überwog. Ich konnte es kaum erwarten, meine neuen übernatürlichen Kräfte in der Welt da draußen auszuprobieren.
Am nächsten Morgen wurde ich früh wach. Ich beugte mich aus dem Bett und sah, dass Izzy in ihrem Schlafsack auf der Luftmatratze lag und ein Buch las.
»Du bist ja wach«, sagte ich.
»Konnte nicht schlafen.«
»Ich auch nicht.«