Er fand seine große Liebe - Patricia Vandenberg - E-Book

Er fand seine große Liebe E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Es war Ende Januar. In der Nacht war wieder irrsinnig viel Schnee gefallen, wie Fee Norden gleich nach dem Aufstehen von der guten Lenni gehört hatte. »Das kann doch nicht wahr sein«, sagte sie, »gestern hat es doch geregnet, und wir sind durch's Wasser gewatet.« »Und heute nacht hat es geschneit, und der Chef muß aufpassen, daß er mit dem Wagen durch die Schneemassen kommt«, sagte Lenni. »Ich habe zwar schon geräumt, aber da ist ja kaum ein Durchkommen. Das hätte wirklich nicht sein müssen.« »Aber auf die Naturgewalten haben wir keinen Einfluß, Lenni«, sagte Fee Norden, »wenn das auch noch möglich wäre, gäbe es nur noch Mord und Totschlag.« »Apropos Mord und Totschlag, den Mann, der seine Frau und seine Kinder umgebracht hat, den haben sie geschnappt«, sagte Lenni. »Ich habe es um sieben Uhr schon im Radio gehört. Endlich haben sie ihn. Man kann ja nicht in Ruhe leben, wenn man weiß, daß solche Irren herumlaufen.« »Es fragt sich, ob man ihn als Irren bezeichnen kann«, sagte Fee. »Ich hole jetzt die Zeitung rein«, sagte Lenni. »Wer weiß, was da wieder alles drinsteht.« Aber die Zeitung war noch nicht da. Der Schnee, der jetzt so schwer war, legte auch der lieben, gutbekannten Zustellerin Erschwernisse in den Weg. »Um Frau Meyer müssen wir uns auch mal kümmern«, sagte Fee. »Sie muß bald sechzig sein, und seit wir hier wohnen, trägt sie schon Zeitungen aus.« »Schon seit dreißig Jahren, wie sie mir erzählt hat«, warf Lenni ein. »Und bei Wind und Wetter. Der Mann hat Lungenkrebs, und die Kinder

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 139

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Norden Bestseller – 247 –

Er fand seine große Liebe

… doch es war ein weiter Weg dorthin

Patricia Vandenberg

Es war Ende Januar. In der Nacht war wieder irrsinnig viel Schnee gefallen, wie Fee Norden gleich nach dem Aufstehen von der guten Lenni gehört hatte.

»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte sie, »gestern hat es doch geregnet, und wir sind durch’s Wasser gewatet.«

»Und heute nacht hat es geschneit, und der Chef muß aufpassen, daß er mit dem Wagen durch die Schneemassen kommt«, sagte Lenni. »Ich habe zwar schon geräumt, aber da ist ja kaum ein Durchkommen. Das hätte wirklich nicht sein müssen.«

»Aber auf die Naturgewalten haben wir keinen Einfluß, Lenni«, sagte Fee Norden, »wenn das auch noch möglich wäre, gäbe es nur noch Mord und Totschlag.«

»Apropos Mord und Totschlag, den Mann, der seine Frau und seine Kinder umgebracht hat, den haben sie geschnappt«, sagte Lenni. »Ich habe es um sieben Uhr schon im Radio gehört. Endlich haben sie ihn. Man kann ja nicht in Ruhe leben, wenn man weiß, daß solche Irren herumlaufen.«

»Es fragt sich, ob man ihn als Irren bezeichnen kann«, sagte Fee.

»Ich hole jetzt die Zeitung rein«, sagte Lenni. »Wer weiß, was da wieder alles drinsteht.«

Aber die Zeitung war noch nicht da. Der Schnee, der jetzt so schwer war, legte auch der lieben, gutbekannten Zustellerin Erschwernisse in den Weg.

»Um Frau Meyer müssen wir uns auch mal kümmern«, sagte Fee. »Sie muß bald sechzig sein, und seit wir hier wohnen, trägt sie schon Zeitungen aus.«

»Schon seit dreißig Jahren, wie sie mir erzählt hat«, warf Lenni ein. »Und bei Wind und Wetter. Der Mann hat Lungenkrebs, und die Kinder helfen ihr auch nicht. Was soll sie da schon machen. Ihr Mann bekommt ja nur eine kleine Rente, weil er schon so lange krank ist.«

Das Radio lief. Dr. Norden hatte aufgehorcht. »Moment mal«, sagte er hastig, »das interessiert mich.«

Der Ansager sagte eben, daß Manfred Berchthold, der bekannte Industrielle, der gerade erst einen Orden bekommen hatte, auch einen riesigen Auftrag aus China bekommen hatte.

»Siehst du, die Reise hat doch was gebracht«, sagte Daniel zu seiner Frau. »Sie haben Eindruck gemacht durch ihr bescheidenes Auftreten. Darüber kann jetzt mancher nachdenken.«

Die Familie Berchthold wurde bereits seit zehn Jahren von Dr. Norden hausärztlich betreut, genau seit dem Tag, an dem sie ihr schönes Haus in der Villenkolonie bezogen hatten. An dem Tag hatten nämlich die beiden Kinder Daniela und Patrick, damals zehn und neun Jahre jung, die Masern bekommen.

Ihre überaus sympathische Mutter Annelie Berchthold hatte zuerst gemeint, sie hätten eine Allergie wegen der noch frischen Farben, und die Aufregungen des Umzuges von Norddeutschland nach München hätten auch noch dazu beigetragen. Aber es waren die Masern gewesen. Annelie Berchthold hatte den nächstbesten Arzt angerufen, und das war Dr. Daniel Norden gewesen. Sie hatte es niemals bereut. Er war der Hausarzt geblieben, und die Kinder liebten ihn.

»Dieser Mann ist ein Gewinn für unser Land«, sagte Daniel Norden, »er ist zukunftweisend. Ich mag diese Berchtholds. Keiner ist überspannt, sie sind eine intakte Familie.«

Dr. Norden hatte noch keine Ahnung, was dieses Ehepaar bereits durchgemacht hatte, bevor es einigermaßen zur Ruhe gekommen war. Was den Arzt beschäftigte, war die Tatsache, daß Annelie Berchthold immer Ende Januar unter unerklärlichen Depressionen litt. So auch in diesem Jahr, obgleich ihr Mann doch so erfolgreich gefeiert wurde.

Diesmal kam Daniela in die Praxis. Sie war ein bildhübsches Mädchen. Das lockige kastanienbraune Haar schmiegte sich um ein zartes Gesicht, das von großen violetten Augen belebt wurde.

»Was fehlt dir denn, Dani?« fragte Dr. Norden, als das Mädchen sein Sprechzimmer betrat. Er konnte sie so anreden, denn er kannte sie von Kindheit an, und Daniela hätte es sich schönstens verbeten, plötzlich von ihm mit Sie angeredet zu werden.

»Mir fehlt gar nichts«, sagte sie, »aber mit Mami ist es diesmal ganz schlimm, Dr. Norden, und jetzt weiß ich auch warum. Papi hat es mir gesagt, weil ich nun bald zwanzig werde.«

Sie saß ihm gegenüber und sah ihn mit diesen wunderschönen Augen an.

»Aber deine Mutter liebt dich, Dani«, sagte er nachdenklich. »Ich weiß es doch.«

»Ich weiß es auch, Dr. Norden, und ich möchte ihr so gern helfen. Ich hatte mit Papi ein langes Gespräch, von dem sie noch nichts weiß und Patrick auch nicht. Er ist nämlich ihr richtiges Kind.« Sie machte eine kleine Pause. »Haben Sie überhaupt so viel Zeit, mich anzuhören?«

»Ich nehme sie mir, Dani. Es ist für mich ein Notfall!«

»Für mich auch. Mami und Papi hatten nämlich vorher schon ein Baby. Es wurde entführt und ist nie mehr gefunden worden, wie das Lindberg-Baby, davon haben Sie doch sicher gehört. Ich habe nämlich neulich mal einen Film darüber gesehen, und da war Mami dann schon so merkwürdig.«

Dr. Norden war nun doch erschrocken. »Nun mal langsam, Dani«, sagte er, »wann sollte das gewesen sein?«

»Vor fast vierundzwanzig Jahren«, erwiderte sie. »Es dauert aber wirklich lange, wenn ich Ihnen alles erzähle. Es warten doch noch andere Patienten.«

»Nun, wie wäre es, wenn du heute abend zu uns kommen würdest. Ist das zu machen?«

»Ich habe ja schon öfter mal Babysitting bei Ihnen gemacht«, erwiderte Daniela. »Ich wäre nämlich auch froh, wenn ich mal mit Ihrer Frau darüber reden könnte. Ich meine, was mich betrifft. Man macht sich auch Gedanken, wenn man erfährt, daß man ein adoptiertes Kind ist.«

»Aber du brauchst dich wirklich nicht zu beklagen«, sagte Dr. Norden.

»Tue ich auch nicht, aber vielleicht kann ich jetzt Mami helfen, da sie doch einmal so einem armen Wurm, wie ich es gewesen sein muß, geholfen hat. Ja, ich weiß, daß ich wahnsinniges Glück hatte. Ich bin toll erzogen und auf das Leben vorbereitet worden. Und mein Gespräch mit Papi war einfach dufte. Aber ich verstehe auch, daß Mami nicht vergißt, was an diesem Januartag passiert ist. Sie macht sich doch dauernd Vorwürfe, daß sie mit auf den Ball ging und den Florian bei Agnes ließ.«

»Wir reden heute abend darüber, Dani. Das dauert wirklich zu lange«, sagte Dr. Norden. »Kannst du halb acht Uhr da sein?«

»Freilich. Wenn ich sage, daß ich zu Ihnen gehe, gibt es keine Probleme, und ich habe ja mein Auto und den Führerschein. Ich habe alles, und so bin ich meinen Eltern auch was schuldig.«

Er nickte. Um Daniela war ihm nie bange gewesen, aber bisher hatte er noch nicht gewußt, daß sie ein adoptiertes Kind war. Darüber hatten die Berchtholds nie geredet, das war für sie also auch nie ein Problem gewesen.

Aber Dr. Daniel Norden war sehr gespannt, was er darüber noch erfahren würde.

Er kam verhältnismäßig pünktlich nach Hause. Fee freute sicn.

»Wir bekommen heute noch Besuch, Feelein«, sagte er.

»Wen?«

»Dani Berchthold.«

»Bedeutet das, daß wir ausgehen? Dazu habe ich keine Lust. Schau dir meine Haare an.«

»Eitelkeit laß nach«, lachte er, »aber wir gehen nicht aus. Dani will uns nur etwas erzählen, und da sollten die Kinder dann schon schlafen.«

»Danny und Felix wollen sich die Tiersendung im Fernsehen anschauen«, sagte Fee. »Ich habe es ihnen erlaubt. Es ist zu blöd, daß so was immer erst nach acht Uhr kommt. Aber unsere Fernsehgewaltigen scheinen ja zu meinen, daß Kinder lieber mit Comics gefüttert werden wollen.«

»Vielleicht wollen das auch die meisten, Fee. Wir dürfen nicht von Danny und Felix auf andere schließen. Wo steckt Anneka?«

»Die schläft schon. Sie war beim Schlittschuhlaufen mit Dina und meint resigniert, daß sie niemals ein Eisstar werden wird, während Dina das große Talent hat.«

»Fragt sich nur, ob sie auch die Ausdauer hat.«

»Den Ehrgeiz hat die Mutter.«

»Dann kann ich das Kind nur bedauern, und mich freuen, daß unsere Anneka vorzeitig resigniert. Ich gehe noch mal zu ihr und schaue nach, ob sie sich nicht weh getan hat.«

Wie gut er doch seine Kinder kannte. Anneka schlief noch nicht. Sie weinte vor sich hin, keine heißen Tränen, aber doch Tränen der Enttäuschten.

»Na, was hat mein Schätzchen?« fragte Daniel, »dem Papi kannst du es doch sagen.«

»Mein Po tut weh, ich bin so oft gefallen, und es war so kalt. Eislaufen ist gar nicht so schön, wie ich es mir vorgestellt habe, Papi.«

»Man kann eben nicht gleich einen Doppelaxel springen, oder wie das sonst noch heißt, Übung macht den Meister, sagt man doch.«

»Aber Dinas Mutter hat gesagt, daß man ganz früh anfangen muß, wenn man mal die Dollars schaufeln will in einer Revue.«

»Willst du denn das, mein Schatz?«

»Ich möchte es so gern, damit du nicht mehr soviel arbeiten mußt, Papi, weil doch das Leben so teuer ist«, schluchzte Anneka.

»Du liebe Güte, ich arbeite doch gern, Kleines. Ich muß nicht, ich will, das ist ein Unterschied, und wenn ich dir mal meine ganz ehrliche Meinung sagen darf, ich finde es schlimm, wenn Eltern es wollen, daß ihre Kinder berühmt werden sollen, um Geld zu verdienen. Und ich will schon gar nicht, daß dir was weht tut, wenn es auch bloß der Po ist. Den reibe ich dir jetzt ein, und morgen ist alles wieder gut, einverstanden?«

»Du bist der allerbeste Papi von der ganzen Welt, und wenn Dina auch solchen Papi hätte und nicht nur so eine aufgedonnerte Mutter, dann wäre sie nämlich auch viel froher. Das kannst du glauben, aber die hat ja immer nur so blöde Onkels.«

Nun konnte Anneka, von ihrem heißgeliebten Papi so liebevoll getröstet, ruhig einschlafen. Danny und Felix saßen vor dem Fernseher und verhielten sich ganz ruhig.

»Es ist wirklich eine tolle Sendung, Papi«, sagte Danny, »aber man ist eigentlich doch zu müde, um noch richtig aufzupassen. Ich kann nicht verstehen, daß manche Kinder noch viel später fernsehen.«

»Das verstehe ich allerdings auch nicht«, sagte Daniel.

»Dafür pennen sie dann in der Schule vor sich hin«, stellte Felix fest. »Setzt du dich zu uns, Papi?«

»Wir kriegen noch Besuch«, erwiderte er.

»Wen denn?« fragte Danny.

»Dani Berchthold kommt. Wir haben etwas zu besprechen. Hat Mami das nicht schon gesagt?«

»Dani ist doch kein Besuch«, meinte Felix. »Das ist unsere Freundin.«

Ja, Dani war auch bei den NordenKindern beliebt. Und das wußten ihre Eltern. Sie hatten gar nichts dagegen, daß Dani ihren Besuch bei den Nordens so kurzfristig ankündigte.

»Es hat sich so ergeben, weil ich Dr. Norden zufällig getroffen habe«, erklärte sie. »Da hat er gemeint, ich könnte doch auch mal so zu ihnen kommen, ohne Babysitting zu machen. Er muß ja meistens abends noch Hausbesuche machen, und da freut sich seine Frau, wenn sie Gesellschaft hat.«

»Fee Norden ist eine reizende Frau«, sagte Annelie Berchthold leise, »und eine vorbildliche Mutter.«

»Das bist du auch, Mami«, sagte Dani weich.

Tränen stiegen in Annelies Augen. »Wir haben ja auch großes Glück mit unseren Kindern«, sagte sie.

Sie wußte noch nicht, daß ihr Mann ein so inhaltvolles Gespräch mit Dani geführt hatte. Sie hatte sich immer dagegen gesträubt, es Dani überhaupt zu sagen, und wenn Manfred zaghafte Andeutungen machte, daß Dani doch nun auch ins heiratsfähige Alter käme, hatte sie immer gesagt, daß es dann immer noch Zeit genug wäre, es ihr zu sagen.

Nun, jetzt, in diesen Januartagen, war sie wieder in einem Zustand, daß Manfred Berchthold ihr damit nicht kommen wollte, aber es beruhigte ihn, Dani eingeweiht zu haben und um ihre so vernünftige Reaktion zu wissen. Er mußte noch vor Danis zwanzigstem Geburtstag einige Tage nach Amerika fliegen, und er wußte, daß Annelie sich dann wieder zusätzliche Sorgen machen würde.

Patrick kam gerade vom Handballtraining zurück, als Dani das Haus verlassen wollte. Er war ein hochaufgeschossener Junge, sehr gutaussehend, und für seine gerade neunzehn Jahre sehr männlich wirkend. Er war seinem Vater ähnlich, und sie waren ein Typ, der in jungen Jahren älter wirkte, in älteren aber jünger.

»Wo willst du hin, Dani?« fragte er, und es klang Eifersucht in seiner Stimme. Er hing mit einer immensen Liebe an Dani, und auch deshalb hatte es Manfred für richtig befunden, Dani über ihre Herkunft aufzuklären.

»Ich bin bei den Nordens eingeladen«, erwiderte sie unbefangen.

»Ich kann dich hinbringen und auch abholen«, erklärte er sofort.

»Ich kann doch selbst fahren, Pat.«

»Es ist glatt«, erwiderte er.

»Aber du hast doch Hunger.«

»Auf die paar Minuten kommt es nicht an, Dani.«

»Mir ist es auch lieber, wenn Patrick dich hinbringt und abholt«, warf Annelie ein. »Dauernd steht in der Zeitung, was Mädchen abends passiert.«

Ihre Stimme bebte. Hätte Dani nicht schon soviel erfahren, hätte sie gelacht, aber sie ahnte, was ihre Mami bewegte.

»Wenn es dich beruhigt, Mami, soll Pat mich hinbringen und abholen. Länger als bis halb zehn bleibe ich sowieso nicht.«

Als sie das Haus verlassen hatten, sah Annelie ihren Mann verzeihungsheischend an. »Versteh mich bitte, Manfred«, sagte sie leise.

»Ich verstehe dich ja, Liebes, aber so ängstlich solltest du nicht sein. Dani ist ein sehr vernünftiges Mädchen und kein kleines Kind mehr.«

»Es ist der Monat, und morgen ist es vierundzwanzig Jahre her«, flüsterte sie, »ich kann es nie vergessen, Manfred.«

»Ich auch nicht, mein Liebes, aber du sollst dich nicht so grämen. Wir haben Dani, und Gott hat uns auch noch Patrick geschenkt.«

»Er liebt sie so sehr«, sagte Annelie leise. »Es ist schön, wie besorgt er um sie ist.«

Und eifersüchtig, ging es Manfred durch den Sinn. Aber Annelie sieht das nicht so wie ich. Sie merkt nicht, daß er Dani keinem andern gönnt.

Nun, immerhin war Dani nicht seine leibliche Schwester, aber Patrick war auch ein Jahr jünger als sie.

»Was denkst du, Liebster?« fragte Annelie leise.

»Das, was du vorhin gesagt hast, Annelie. Wir können dankbar sein, solche Kinder zu haben.«

Andere Gedanken wollte er verdrängen. Und zu seiner Freude hatte sich Annelies Gesicht nun entspannt.

»Es macht mich so froh, daß Dani so wählerisch in ihrem Umgang mit anderen ist«, sagte sie. »Aber es war wohl auch ein Glück für uns, sie zu bekommen, da wir die Eltern kannten und wußten, aus welcher Familie sie stammt.«

Das konnte Dani dann den Nordens erzählen, weil sie es von ihrem Vater erfahren hatte.

Sie begann bei dem Tag Ende Januar, an dem Florian Berchthold entführt wurde. Und sie erzählte es so, daß Daniel und Fee wie gebannt lauschten und dabei sogar meinten, ein Film rolle vor ihren Augen ab.

Manfred und Annelie Berchthold waren jung verheiratet und überaus glücklich. Sie stammten beide aus besten Familien, hatten ihre Ehe unter den günstigsten Voraussetzungen schließen können. Finanzielle Sorgen gab es nicht. Manfred hatte schon in jungen Jahren seinen Doktor gemacht und dann die Firma seines Vaters übernommen, als dieser an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben war. Aber er hatte es doch noch geschafft, das Unternehmen, das schon sein Vater und der Großvater aufgebaut hatten, wieder nach oben zu bringen, da der Krieg auch da viel Schaden angerichtet hatte.

Annelie hatte ein knappes Jahr nach der Heirat einen gesunden Sohn zur Welt gebracht, und das Glück schien vollkommen. Da sie aber auch gesellschaftliche Verpflichtungen hatten, wurde für den kleinen Florian ein Kindermädchen engagiert. Agnes hieß sie, stammte vom Lande und schien äußerst zuverlässig zu sein. Jedenfalls meinten Manfred und Annelie, den sechs Monate alten Florian auch einmal ein paar Stunden allein überlassen zu können, da auch die Haushälterin Magda anwesend war.

Aber als sie von dem Fest heimkamen, war Agnes mit dem Baby verschwunden. Magda war auch nicht da. Sie kam erst am nächsten Morgen, völlig aufgelöst und verzweifelt, weil sie mit der Nachricht, ihre Mutter läge im Sterben, aus dem Haus gelockt worden war.

Magda hatte den Schock nie verwunden, daß Agnes mit dem Kind verschwunden war, und obgleich die unglücklichen Eltern sofort die Polizei einschalteten, wurde keine Spur gefunden.

Magda litt unter schwersten Depressionen, wie auch Annelie, aber Annelie hatte einen Mann, der sie über alles liebte, und um dessentwillen sie dann immer wieder Kraft schöpfte. Magda verbrachte Jahre in einem Nervenkrankenhaus und starb, als das nächste Unglück das junge Ehepaar Berchthold erschütterte.

Manfreds Schulfreund Dierings war bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, und dessen Witwe, die nach siebenjähriger Ehe ihr erstes Kind erwartete, erlitt nach einer komplizierten Schwangerschaft eine Frühgeburt, an der sie starb, da sie keine Kraft mehr zum Leben hatte.

Das Kind wurde nach der Mutter auf den Namen Daniela getauft. Manfred wollte die Patenschaft übernehmen, aber da äußerte Annelie den Wunsch, das Baby zu adoptieren. Er erfüllte ihr diesen Wunsch gern, weil Annelie immer wieder zutiefst resigniert gesagt hatte, daß sie wohl kein Kind mehr bekommen würde. Mit Dani zog wieder Glück ein bei den Berchtholds, und das Wunder geschah, denn vierzehn Monate später wurde Patrick geboren, der dem entführten Florian unendlich ähnlich sah. Fotos, die Annelie von Florian aufbewahrt und schmerzvoll gehütet hatte, wurden später von Dani und Patrick als Fotos von Patrick bezeichnet.