Erinnerungen II - Georg Papke - E-Book

Erinnerungen II E-Book

Georg Papke

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Beschreibung

ERINNERUNGEN II: Hier ist nun bereits der zweite Teil, meine Kinder ermutigten mich dazu. Ich möchte darin erzählen, was mir in der damaligen DDR so alles begegnete. Wie ich mich aus den Fängen der Stasi befreien konnte und mir letzlich die Flucht nach Westdeutschland gelang. Anstatt 350 Meter über die Mauer , musste ich einen Umweg von 3500 Kilometer machen, um in die Freiheit zu gelangen. Nur wenn man es selbst erlebt hat kann man ermessen, wieviele Fallstricke es manchmal im Leben gibt. Wer will, mag es lesen.

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Gerne erinnere ich mich an die Jugendzeit, doch die hat meistens einen älteren Bruder:

Die Lebenszeit!

Da gibt es manchmal fast unüberwindbare

Fallen, Gräben und Mauern.

Die gilt es unbeschadet zu überwinden.

INHALTSVERZEICHNIS

1.00 Anklam

1.01 Unser Neustart

1.2 Flüchtlinge

1.3 Nebenverdienst

1.04 Johann und Krischan

1.05 Jochen

1.06 Unsere Verwandtschaft

1.07 Vater aus Gefangenschaft

1.08 Mein Lohn

2.00 Meine Schulzeit

2.01 Einschulung

2.02 Höhere Schule

2.03 Schule nach 1945

3.00 Berufsfindung

3.01 Die Eignungsprüfung

4.00 Meine Lehrzeit

4.01 Tischlerlehre

4.02 Freizeitbeschäftigung

4.03 Gesellenprüfung

5.00 Ein schwerer Unfall

6.00 Das nachträgliche Abi

6.01 ABF

6.02 Mein erster Fasching

6.03 Der 17. Juni

6.04 GST-Lager an der Ostsee

6.05 Ein trauriges Ereignis

6.06 Buchenwald

6.07 Erster Besuch im Westen

6.08 20 Mark West

6.09 Arbeitseinsatz

6.10 Mein erster Auslandsurlaub

6.11 Das ABI

7.00 Mein Architekturstudium

7.01 Das Hochschulstudium

7.02 Zimmersuche

7.03 1.Praktikum

7.04 Wieder Zimmersuche

7.05 Das 2. Praktikum, Teil 1

7.06 2.Praktikum, 2.Teil

7.07 2. Praktikum, 3.Teil

7.08 Leipziger Messe

7.09 Sommerurlaub in Prerow

7.10 Insel Hiddensee

8.00 Flucht meiner Eltern

8.01 Rückmeldung

9.00 Hochschulfasching

10.00 Das Diplom

10.01 Die Diplomarbeit

10.02 Tollwutgefahr

10.03 Diplomfeier

11.00 Ab in die Praxis

11.01 Versuchsbau Leipzig

11.02 Forschungsabteilung Berlin

11.03 Ein Verkehrsunfall

11.04 Bauleitung

12.00 Der Mauerbau

13.00 Neue Situation

14.00 Drastische Einschnitte

15.00 Lage in Berlin

15.01 Meine persönliche Lage

15.02 Freizeitaktivitäten

16.00 Die Einladung

17.00 Neue Arbeitsstelle

17.01 Baustelle Fennpfuhl

17.02 Verbesserungs-Vorschlag

18.00 Der Stasi-Mann

19.00 Der Spitzel

20.00 Der Nachschlüssel

21.00 Reisepass und Visa

22.00 Abschied von Berlin

22.01 Zufällige Begegnung

22.02 Mein Trabi

23.00 Die Abreise

24.00 Die Hinfahrt

24.01 Nach Prag

24.02 Nach Budapest

24.03 Nach Bukarest

25.00 Sofia

25.01 Aufnahme in Sofia

25.02 Das Jugoslawien-Visum

25.03 Flug nach Warna

26.00 Warna

26.01 Tante Anna

26.02 Die Vision

26.03 Fahrt nach Nessebar

27.00 Nessebar

27.01 Zimmersuche

27.02 Nessebar

27.03 Nachtleben in Nessebar

28.00 Die Rückreise

28.01 Zurück nach Warna

28.02 Zurück nach Sofia

29.00 Freitag der Dreizehnte

29.01 Abfahrt in Sofia

30.00 Belgrad

30.01 Die Deutsche Botschaft

30.02 Im Zug nach Hause

31.0.0 Endlich zu Hause

1.00 Anklam

1.01 Unser Neustart

Unsere Flucht aus Pommern vor den Polen endete im Oktober 1945 in Anklam. Denn natürlich hatte Mama die nächsten Verwandten angesteuert. Und das waren Onkel Willi und Tante Trude Raschke in Anklam.

Onkel Willi war gelernter Elektriker und während des Krieges von Mackensen nach Anklam versetzt worden, weil er bei den ARADO-Flugzeugwerken beschäftigt war.

Hier bewohnten sie mit ihren Kindern Ingrid, Gerhard, Gertrud und Hannelore eine Doppelhaus-Hälfte, die gerade für ihre Familie ausreichend groß war. Bernhard war noch vor 1945 zum Krieg eingezogen worden und noch nicht wieder zurück.

Zunächst kam unglaubliche Freude auf - sogar auf beiden Seiten. Wir wurden herzlich empfangen und freundlich aufgenommen. Doch bald stellte sich heraus, dass wir viel zu viele Leute waren für das kleine Haus. Ganz abgesehen von der Versorgung. Denn Onkel Willi war der einzige Verdiener.

Darauf rückten die Nachbarn, Familie Westschal, etwas näher zusammen und nahmen Onkel Franz, Tante Martha , Horst, Anneliese und Günther bei sich auf. Onkel Franz fand auch bald selbst Arbeit.

Oma mit Arno und Manfred Reffke machten sich bald auf nach Dortmund zu Tante Elly. Dort gab es eine weitere Gruppe Verwandtschaft. Tante Elly mit ihrem Udo und Klaus Reffke, der Jüngste von der verstorbenen Tante Anna, waren hier schon gelandet. Und Bernhard Raschke wohnte inzwischen auch in der Nähe.

So hatte sich die Lage bei uns etwas entspannt. Aber trotzdem waren täglich immer noch zehn Mäuler zu stopfen! Das Essen war rationiert, reichte aber vorne und hinten nicht.

Das war für uns eine schreckliche Zeit.

Wer was zu tauschen hatte, konnte sich auf dem Schwarzmarkt wenigstens Lebensmittel besorgen. Die Bauern verdienten sich dabei goldene Nasen, sogar im Kuhstall lagen schon Perserteppiche – erzählte man sich! Aber wir Flüchtlinge hatten ja nichts anzubieten, also konnten wir auch nichts tauschen.

Zu essen gab es bei uns morgens eine Suppe aus einer geriebenen Kartoffeln, dazu eine trockene Scheibe Brot. Die Suppe schmeckte grausam! Zu Mittag war meistens auch nur eine dünne Gemüsesuppe auf dem Tisch. Und am Abend ein paar Pellkartoffeln mit Soße.

Besser wurde unsere Versorgung erst, als Onkel Willi Arbeit bei der russischen Kommandantur bekam, die in der Mühle direkt neben Onkel Willis Schrebergarten einquartiert war.Es gab bei den Russen fast immer Graupen mit Fleisch. Da staubte er täglich eine 10-Liter- Kanne Essensreste von den Russen ab. Obwohl in den Resten, die wir bekamen natürlich kein Fleisch mehr war, schmeckte es wenigstens noch danach.

Die schwere Kanne musste ich dann immer jeden Abend nach Hause holen. Onkel Willi hatte im Laufe des Tages geschickt die volle Kanne in seinen Schrebergarten geschmuggelt. Der Weg war mindestens 2 km bis nach Hause. Und die volle Kanne war schwer, aber zwischendurch konnte ich wenigstens schon mal naschen, das entschädigte. Der Weg von der Mühle führte am Friedhof vorbei. Genau gesagt, war der Weg über den Friedhof etwas kürzer, den nahm man gewöhnlich. Natürlich wählte ich zuerst den längeren Weg, aber das ging über meine Kräfte. Darauf probierte ich es über den Friedhof zu gehen, aber das war sehr unheimlich. Wenn es stockdunkel war und der Wind durch die Bäume wehte, war es richtig gruselig. Zudem hatte ich in einem Anklamer Heimatbuch von Geistern gelesen, die nachts auf dem Friedhof ihr Unwesen treiben sollten.

So war es jedes Mal eine neue Mutprobe für mich. Aber ich nahm mir vor, mich einfach nicht einschüchtern zu lassen und keine Angst zu haben.

Tatsächlich stellte sich jedes Mal heraus, dass ein Schatten eben nur von einem Grabkreuz und ein eigenartiger Schrei von einem Kauz stammte. Jedenfalls war ich hinterher immer stolz auf meinen Mumm und - dass ich noch lebte!

So behielt ich meine Route über den Friedhof bei.

1.02 Flüchtlinge

Anklam war also nun unsere neue Heimat. Das war schon eine enorme Umstellung von einem Bauernhof mit allen Freiheiten nun hier beengt zur Untermiete unter einer Dachschräge!

Hier verbrachte ich die nächsten 7 Jahre. Außerdem bin ich hier von der 5. bis zur 8. Klasse zur Grundschule gegangen.

Das war eine schreckliche Zeit.

Unsere Mutter war mit uns 3 Kindern alleine, denn unser Vater war noch bis 1947 in Gefangenschaft in Frankreich. Wir wohnten im nicht isolierten Dachboden, wo es im Winter immer sehr kalt wurde. Morgens war Raureif an der Decke über dem Bett!

In die Schule ging ich in Holzpantoffeln, denn Lederschuhe hatten wir keine. Damit bekam man jedes Mal nasse Füße vom Schnee im Winter. Mit der Zeit machte ich aus der Not eine Tugend. ich befestigte mir einen dicken Draht längs unter die Sohlen und so konnte ich wie auf Schlittschuhen gleiten. Meine Schlittschuhe waren leider bei den Polen geblieben.

Langsam ging es auf das erste Weihnachtsfest 1945/46 zu. Aber an Geschenke war nicht zu denken. Eines Tages fand ich auf einer Müllkippe eine glasierte und mit Blumen bemalte 5 cm große Keramikscheibe. Die brachte mich auf einen glorreichen Gedanken. Wie schön würde die in einer Puppenstube als Tisch wirken!? Und Marlies, meine kleine Schwester würde sich bestimmt darüber freuen.

Gedacht, getan!

Im Keller bei Onkel Willi fand ich viel Schreinerwerkzeug und auch so manches Material. Regelmäßig ging ich nun heimlich in den Keller und

Schnell hatte ich eine Puppenstube von etwa 70 x 70 cm zusammen gebaut. Alle Wände wurden nun tapeziert mit alter Tapete, die ich bei Onkel Willi entdeckt hatte. Auch ein Fenster baute ich ein. Es bestand aus einer Plexiglasplatte, auf die ich dünne Holzstäbchen geleimt hatte als Rahmen. Sah schon richtig gut aus! Natürlich fand ich auch Tüll-Abfälle, aus denen ich Gardinen schnitt. dann ging es an die Möbel. Zum Schluss hatte ich zu dem runden Keramiktisch mit Mittelfuß auch noch ein paar Sessel geschnitzt und zusammen geleimt . Ein Schrank ergänzte das Mobiliar.

Genau zum Heiligen Abend war ich fertig und stellte die Puppenstube unter den Weihnachtsbaum. Nicht nur meine Schwester, auch alle anderen, besonders aber meine Mutter, wunderten sich. Denn keiner hatte etwas von meiner Bastelei mit bekommen. Nur mit Onkel Willi bekam ich Zoff! Hatte ich doch sein Werkzeug stumpf gemacht und auch einige seiner Materialien verarbeitet. Aber das steckte ich locker weg. Letztlich musste aber auch er feststellen, dass das für mich, einem 11-jäjrigen eine tolle Leistung sei.

Und natürlich fehlte es immer noch am Essen und an der Kleidung. In Holzpantoffeln gingen wir das ganze Jahr sogar in die Schule. Zur Freizeitbeschäftigung nagelte ich mir einen dicken Draht längs unter die Pantoffel und so hatte ich sogar einen Schlittschuh-Ersatz.

Aus einem Hosenbein einer alten Damenhose von Tante Hermine aus Berlin nähte Mama mir eine ganze Hose. Man kann sich vorstellen, wie sie aussah. Sie saß zwar sauber, aber sie war aus vielen Kleinteilen zusammengeflickt. So hatten wir den strengen Winter doch noch einigermaßen überstanden

Besser war der Sommer zu ertragen. Wenigsten fror man nicht. Dafür konnte ich etwas zur Versorgung der Familie beitragen. Ein Schulfreund hatte mir eine Angel geliehen. Der zeigte mir auch die besten Stellen an der Peene, wo man gut angeln konnte. So war ich jeden Tag unterwegs, um zu angeln. Meine Mutter war froh, dass es auch mal etwas anderes auf den Tisch gab.

Am unangenehmsten war, dass wir als Flüchtlinge überall als Fremde angesehen wurden. Von den Nachbarjungen wurden wir mit Peitschen gejagt und man beschimpfte uns als „Flüchtlinge“, die hier nichts zu suchen hätten.

Das Wort „Flüchtling“ werde ich nie vergessen!!! Es ist für mich das schlimmste Schimpfwort, das ich mir vorstellen kann, denn es ruft in mir sofort alte unangenehme Erinnerungen wach.

.

Dann kam der Herbst und meine Mutter lief mit den anderen Frauen auf jedes abgeerntete Getreidefeld, um Ähren zu sammeln.

Ich hatte entdeckt, dass es in der Peene viele essbare Fische gab. Ein Freund lieh mir eine Angel und so brachte ich eine Zeit lang ganze Fisch-Mahlzeiten nach Hause. Das bereicherte den kargen Speiseplan etwas.

Im Herbst wurden dann an den Wochenenden, wenn die abgeernteten Kartoffelfelder freigegeben waren, Kartoffeln nach gesammelt.

Man nannte das „Stöpseln“.

Sonntag schon morgens um 4 Uhr fuhr man im Dunkeln mit einem alten Handwagen los. So wie es leicht hell wurde stürzte man sich auf den Acker.Doch wenn man sich dann bei Licht umsah bemerkte man, dass bereits mehrere 100 Leute ebenso schnell gewesen waren. Da wir uns einigermaßen auskannten, wussten wir wie man an die Sache heran gehen muss. Zuerst wurde quer zu den ehemaligen Reihen gehackt, bis man eine einträgliche Reihe gefunden hatte. Denn wenn man eine Reihe erwischte, wo jemand nicht gründlich gehackt hatte, gab es einen ganz schönen Ertrag. In ein bis zwei Stunden war der ganze Acker wie umgegraben. Leute die später kamen gruben ihn dann glatt noch einmal um und fanden tatsächlich auch immer noch ein paar einzelne Kartoffeln!

1.03 Nebenverdienst

Im Frühjahr 1946 forderte die Bäuerin Frau Lankow unsere Schulklasse zum Rüben verziehen an. Herr Lankow war noch in Gefangenschaft, so wie mein Vater. Der Hof lag am südlichen Stadtrand in Richtung unserer Siedlung.

Lankows Hof

Die Arbeit war für einen Städter zwar recht ungewohnt, ja sogar recht schwer, es gab aber dafür ein gutes Mittagessen.

Das war für mich natürlich sehr wichtig. Und weil ich mich in der Landwirtschaft noch von zu Hause her recht gut aus kannte, machte es mir sogar richtig Spaß. Obwohl ich zu Hause immer gesagt hatte, dass ich nie Bauer werde. Nach zwei Tagen war unser Arbeitseinsatz zu Ende. Da nahm mich Frau Lankow beiseite und fragte mich ob ich nicht Lust hätte, an Wochenenden bei ihr weiterhin zu arbeiten.Dafür bekäme ich Mittagessen und 2 Mark pro Tag. Die könnte ich am Ende in Naturalien zu Friedenspreisen einlösen. Was bedeuten sollte war mir aber überhaupt nicht klar. Außerdem könnten wir bei ihr täglich einen Liter Milch holen. Das war verlockend, denn unser Essen war zu der Zeit noch recht bescheiden. Ich sagte also zu.

Während andere Kinder an den Wochenenden Zeit hatten zum Spielen und sich zu erholen, arbeitete ich in der Landwirtschaft. Somit war ich der einzige Verdiener der Familie und darauf war ich richtig stolz! Denn für die Familie war ein wenig Geld und Milch sehr wichtig.

Dann kamen die Sommerferien. Frau Lankow bot mir an, auch in den Sommerferien dort zu arbeiten. Ich nahm an, denn die Ferien waren ohnehin langweilig, besonders wenn man kein Geld hat, um zu verreisen. Nach kurzer Zeit fragte mich Frau Lankow, ob ich abends noch etwas länger bleiben könnte, dafür dürfe ich auch bei ihr Abendbrot mit essen. Von den Knechten wusste ich, dass das Abendbrot sehr gut war. Das war verlockend, also blieb ich. Obwohl der Tag dadurch natürlich enorm lang wurde, denn vor 193° Uhr gab es nie Abendbrot.

Als letzte Arbeit musste ich jeden Abend noch die frische Milch zentrifugieren. Zu dem Zeitpunkt hatten sich die Knechte meistens schon in irgend eine Ecke zurück gezogen, wo sie ganz sicher auch etwas Essbares hatten.

Als ich die fette Sahne so laufen sah, knurrte mein Magen noch stärker! Da spürte ich, wie „meine Großmutter“ - so nannte ich meine innere Stimme - zu mir sagte: „Junge bediene dich doch, die Anderen tun es doch auch“! Tatsächlich, die anderen Leute auf dem Hof hatten alle auch irgend eine kleine Zwischenmahlzeit, das merkte ich.

Gesagt, getan!

Ich nahm mit der linken Hand einen kleinen Messbecher, ließ Sahne hinein laufen und trank, Dabei gab es aber ein Problem. Die Zentrifuge gab nämlich ein lautes Geräusch von sich. Man konnte also genau hören, wenn ich aufhörte zu drehen. Deshalb drehte ich, während ich trank, mit rechten Hand die Kurbel im regelmäßigen Tempo weiter. So merkte es keiner.

Jetzt ging es mir viel besser. So war auch die lange Zeit bis zum Abendbrot locker zu überstehen.

Mein schlechtes Gewissen war zu ertragen, denn Frau Lankow sah wohlgenährt aus und kam jeden Abend schon frisch geduscht zum Abendbrot!

Während der Sommerferien fragte mich Frau Lankow wieder, ob ich jetzt nicht Lust hätte eine Zeit lang ganz zu kommen. Wenn ich dann schon um 6.00 Uhr, statt um 7.00 Uhr da wäre, dürfte ich sogar mit frühstücken!

Das war natürlich hart aber auch verlockend. Sollte ich also von 6.00 Uhr morgens bis abends 20.00 Uhr in der Landwirtschaft arbeiten? Aber mit unserem Frühstück war es bis Mittag fast nicht auszuhalten.

Ich sagte zu!

Ihr Vertrauen zu mir war so groß, dass sie mir die Schlüssel für die Vorratskammern anvertraute. Ich musste mich um die Futtermittel für die Tiere kümmern. Ihren Knechten traute sie scheinbar nicht, denen gab sie die Schlüssel für die Futterkammern nicht in die Hand. Wahrscheinlich hatte sie gemerkt, dass schon zu viel Futter unter der Hand verschwunden war. Nun hatte ich auch eine gute Grundlage für den schweren Tag. Denn die Arbeit mit den Akkordfrauen auf dem Felde war meistens recht anstrengend für mich, immerhin war ich ja erst 12 Jahre alt.

Viele Feldarbeiten waren sehr schwer, denn dort arbeiteten sog. Akkordfrauen. Das waren Feldarbeiterinnen, die meist gegen guten Lohn Arbeiten im Akkord machten. Solche Frauen gehörten hier auch zum Stammpersonal. Mit denen musste ich manchmal mit arbeiten. Egal, ob Unkraut hacken, Rüben verziehen oder im Sommer Garben binden, - ich war verständlicher Weise immer etwas langsamer. Schließlich war ich erst 12 Jahre alt. Aber die Frauen waren fair zu mir. Wenn sie erkannten, dass ich zurück blieb, griffen sie von links oder rechts einfach in meine Reihe ein. Und schon waren wir wieder auf gleicher Höhe. Jedenfalls kamen wir immer zugleich am Ende an.

Im Sommer war Getreide zu ernten. Die Selbstbindemaschine mähte und bündelt zwar die Garben, warf sie aber offen wieder ab, weil es keinen Bindfaden für die Maschine gab.

Die mieseste Arbeit war dann das Binden dieser Garben mit der Hand. Diese Arbeit kannte ich noch von Pommern. Denn bei uns wurden die Garben nie mit Bindfaden, sondern immer mit einem Seil aus Halmen gebunden. Und wenn die Halme zu kurz waren, was z.B. bei Gerste oft der Fall war, nahm man die doppelte Menge Halme in die Hand und machte durch einen raffinierten Knoten eine doppelte Seillänge. Um die Garbe gelegt, erneut einen Knoten gemacht und die Enden unter das Seil geschoben und schon war die Garbe gebunden. Man musste aber richtig stramm binden, sonst bestand die Gefahr, dass die Garben wieder aufgingen.

Ich hatte diese Arbeit zu Hause nicht nur gesehen, sondern beherrschte sie auch perfekt, so fiel es mir auch nicht schwer hier richtig mitzumachen.

Wenn dann aber das gemähte Korn schon einen Tag in der Sonne gelegen hatten, waren die Distelstrunke dazwischen recht angriffslustig, besonders auf bloße Arme und Beine. Am Ende waren meine Arme und Beine zwar dunkelbraun, aber total voller kleiner Narben.

Beim Getreide einfahren war dann sogar Frau Lankow dabei. Sie war, wie früher bei uns in Pommern meine Mutter, die Laderin. Ich hatte dann immer die Ehre mit ihr auf dem Wagen zu stehen und zu Laden, wie früher mit meiner Mutter. Jetzt kam mir das Gelernte von früher zu Gute, was Frau Lankow sofort erkannt hatte.

In Mecklenburg fuhr man das Getreide aber nicht in Scheunen, sondern baute daraus große Mieten irgendwo auf dem Feld, wo aber Stromanschluss war. Denn man betrieb die Dreschmaschine mit Elektromotoren. Im Herbst zog man dann mit einer ganzen Dreschkolonne dort hin und hat vor Ort gedroschen. Freilich musste man sich dazu gutes Wetter aussuchen. Das machte immer rechten Spaß, weil dann auch viele fremde Helfer dabei waren.

Einmal bekam ich eine ganz ungewöhnliche Aufgabe: Auf einem Acker, unweit unseres Feldes, war Mohn angebaut und gerade gemäht und in Hocken gesetzt.

Mohn stand hoch im Kurs bei der Bevölkerung, weil man daraus Öl pressen lassen konnte. Folglich wurde gestohlen, wie die Raben und das sogar am helllichten Tag! Deshalb musste das Feld bis zum Einfahren Tag und Nacht bewacht werden. So war auch ich einen Tage zur Wache eingeteilt. Aber würde mich jemand überhaupt akzeptieren? Ein 12-jähriger Junge gegen meist Erwachsene, die dazu noch selten alleine kamen.

Meine Chance, der Aufgabe gerecht zu werden, verlangte also eine besondere Taktik: Ich versteckte mich hinter einer Hocke nahe der Straße und wartete bis jemand auf das Feld kam. Dazu hatte ich mir eine Peitsche gebastelt aus einer Antennenlitze. Wenn man die richtig schwang, pfiff sie ungeheuerlich. Genau in dem Moment, wo sich die Leute an den Hocken zu schaffen machen wollten, sprang ich heraus, fuchtelte mit meiner Peitsche und schrie ganz laut nach meinen Helfern - die es aber gar nicht gab. Ich hatte Erfolg, denn der Überraschungseffekt war so groß, dass ich jeden „Angriff“ abwehren konnte.

Gott sei Dank wurde der Mohn bald trocken und dann eingefahren.

1.04 Johann und Krischan

Aber auch mit dem Ochsengespann, Johann und Krischan, musste ich manchmal auf dem Feld arbeiten. Meistens war Eggen angesagt. Das war gar nicht schwer. Allerdings hatte ich Mühe den langsamen Ochsen nach zu kommen. Denn ich hatte keine festen Schuhe, sondern Holländer an Wir nannten sie immer Oderkähne. Sie waren zwar warm, weil man morgens ein Büschel Heu oder Stroh hinein legte. Aber sie waren für mich kleinen Steppke zu unhandlich und klobig. Am Abend waren sie dann meistens recht schwer, weil im Laufe des Tages immer eine Menge Erde hinein gefallen war.

Wichtigstes Mittel, um die Ochsen gehorsam zu machen, war und ist das Vertrauen. Ich streichelte sie öfter mal oder gab ihnen eine Handvoll Grünes zu fressen, wenn Pause war. Dafür gehorchten sie mir meistens recht gut.

Wenn es aber auf Mittag oder auf den Feierabend zu ging, dann konnten die Tiere schon mal ganz schön stur sein. Anstatt auf dem Acker zu wenden, um noch eine Runde zu drehen, versuchten sie schon mal einfach den Heimweg anzutreten.

Mir war dann manchmal zum Heulen zu Mute! Da half dann nicht mal mit einem Prügel auf den Hintern oder gar vor den Kopf zu hauen. Für den Fall hatte ich meine Peitsche aus Antennenlitze, mit der ich sie dann doch am Bauch recht empfindlich treffen konnte. Eigentlich hatte ich die beiden aber doch sehr lieb gewonnen und arbeitete sogar gerne mit ihnen, denn sie hatten einen behäbigen und ruhigen Schritt, trotz ihrer massigen Körper.

Da ich aber keine Lederschuhe hatte trug ich Holländer. Das sind aus einem Stück Holz gefertigte Holzschuhe, in die man eine Handvoll Stroh steckt, damit es wärmer ist und sie besser passen. Das muss schon komisch ausgesehen haben, ich kleiner Knirps mit solchen riesigen Oderkähnen! Am Abend hatte ich nur noch Strohreste und Erde in den Schuhen.

Nur, wenn es auf Feierabend zu ging und wir zufällig Richtung Hof gingen, wollten die Ochsen einfach nicht mehr umdrehen. Dann musste ich schon mal mit meinem Prügel ein paar Hiebe direkt von vorne austeilen. Aber wir blieben immer gute Freunde, auch wenn ich mich manchmal bis zur Weißglut geärgert hatte.

Dazu fällt mir ein recht einprägendes Erlebnis ein:

Ich arbeitete schon lange nicht mehr bei Lankows, als mir ein Knecht von Lankows mit dem Ochsengespann an einer Feldweg-Kreuzung begegnete. Als ich sie sah, rief ich :„Johann“! „Krischan“! Sofort drehten beide die Köpfe herum, erkannten mich und kamen stur mit samt ihrem Wagen und Kutscher gemächlich auf mich zu, obwohl sie eigentlich hätten geradeaus gehen sollen. Der Kutscher konnte schreien, an der Leine ziehen und mit seiner Peitsche draufschlagen, es half nichts. Sie gingen einfach in meine Richtung weiter!

Erst bei mir blieben sie stehen und ließen sich von mir streicheln.

Der Knecht, der die Zusammenhänge natürlich nicht kannte, war so wütend, dass er mir vor lauter Zorn dafür einen ordentliche Hieb mit der Peitsche überzog. Das war zwar sehr ungerecht und schmerzhaft, aber ich konnte es ihm gar nicht übelnehmen, denn er kannte mich nicht und auch nicht die Umstände.

So wurde mir meine Tierliebe dabei geradezu zum Verhängnis.

Wie im Fluge verging der Sommer 1946 und schon begann wieder die Schule.

1.5 Jochen

Inzwischen machte es mir richtig Spaß, bei Frau Lankow zu arbeiten. Besonders, weil mir dabei viele früher gesehene Arbeiten leicht fielen.

Aber da stellte sich ein Problem ein. Auf Lankows Hof arbeitete eine ganze Tagelöhnerfamilie, die dem Hof genau gegenüber wohnten. Der stramme Sohn hieß Jochen und war in meinem Alter. Bisher war er auf dem Hof wohl der Hahn im Korb gewesen, allerdings war er etwas faul. Nun sah es so aus, als wenn ich ihm den Rang ablaufen könnte, denn Frau Lankow gab mir Funktionen, die er scheinbar früher hatte. Und das nahm er mir fürchterlich krumm.

Dummerweise gingen wir in der Schule in die gleiche Klasse und auch dort verstand er es, sich viele Freunde zu machen. Jeden Tag verteilte er seine Pausenbrote unter seinen Freunden Er selbst war ein stämmiger Bursche, dem man ansah, dass er in gutem Hafer stand. Er nutzte seine Stellung in der Klasse und begann mich täglich zu schikanieren. Meistens konnte ich ihm geschickt ausweichen weil ich recht wendig war. Denn ich wollte keine körperliche Auseinandersetzung, weil ich fürchtete den Kürzeren zu ziehen.

Doch eines Tages, es war kurz vor Unterrichtsbeginn, stand er genau an einer engen Stelle zwischen zwei Bankreihen, wo ich vorbei musste. Er packte mich und wollte mich zu Boden werfen. Ich konnte mich dem nicht mehr entziehen und so begann eine riesige Rangelei. Natürlich waren alle auf seiner Seite. Zuerst gaben ihm alle gute Ratschläge, griffen aber fairerweise nicht ein. Denn sie waren sicher, er würde mit mir Hänfling schon alleine Fertig werden. Bei dem Gerangel hatte ich ihn aber durch meine Wendigkeit in den „Schwitzkasten“ bekommen. Ich hielt ihn so geschickt, das ich je nach Belieben mehr oder weniger zudrücken konnte.

Auf meine beständigen Fragen, ob er jetzt Ruhe geben würde, antwortete er natürlich mit: „Lass Du mich nur los, dann bekommst Du von mir Prügel!“

Also drückte ich wieder kräftiger zu. Dabei hätte ich eigentlich selbst gerne aufgehört.

Mit der Zeit sahen aber alle ein, dass er mit mir nicht fertig werden konnte und waren plötzlich auf meiner Seite. Dafür beschimpften sie ihn jetzt!

Aber es griff immer noch keiner in unseren Kampf ein. Mir blieb keine andere Wahl, als die Stellung zu halten, bis unser Klassen- Lehrer Erdmann kam.

Herr Erdmann war ein korrekter Lehrer, der wohl sofort erkannt hatte, worum es hier ging. Deshalb bestrafte er weder mich noch Jochen, wir wurden lediglich beide ermahnt.

Jochen saß nicht weit von mir in der Bank. Er murmelte ständig irgendwelche Drohungen und zeigte mir heimlich immer wieder die Faust. Ich war gespannt, was wohl nach der Stunde geschehen würde!? Ich wollte mich aber keinesfalls täglich erneut auf einen solchen Kampf einlassen, da würde ich sicher irgendwann den Kürzeren Ziehen.

Aber es kam unerwartet ganz anders!

Alle starken Schüler kamen in der Pause reihenweise zu mir und boten mir ihren Beistand an. Das war für mich das wichtigste Ergebnis des Kampfes. Damit hatte ich gewonnen. Ab jetzt ging ich manchmal absichtlich hämisch lächelnd ganz nahe an Jochen vorbei. Er schimpfte zwar jedes Mal wie ein Rohrspatz, tat mir aber nie mehr etwas.

Ich zog daraus die Konsequenz, dass man sich im Leben eben nicht alles gefallen lassen darf, sonst ist man immer der Verlierer!

Man muss sich auch mal richtig und konsequent durchsetzen können!

1.6 Unsere Verwandtschaft

Die einstige Verwandtschaft aus dem Umkreis von früher ca. 10 km aus Mackensen, Neuendorf, Karolinental und Lauenburg war jetzt auf ganz Deutschland verstreut.

Wir waren hier in Anklam bei Raschkes gelandet.

In Dortmund war ein zweiter Stützpunkt unseres „Clans“. Hier wohnte hauptsächlich Verwandtschaft von meinem Vater, die auch gelegentlich bei uns in Mackensen zu Besuch kam. Gearbeitet, wie die Schwestern von Mama haben die aber bei uns nie.

Tante Ida Wittke mit Lothar aus Karolinental waren ein paar Wochen nach uns aus Pommern geflüchtet und gingen auch nach Dortmund.

Onkel Franz und Tante Martha Knaack aus Mackensen mit Horst, Anneliese und Günter blieben wie wir zuerst in Anklam. Später zogen sie auch nach Dortmund.

Eine dritte Verwandtschaftsgruppe gab es dann noch bei Reutlingen, in Süddeutschland. Nämlich Tante Emma Bock mit Liesel, Siegfried und Hilla waren von Neuendorf nach 1945 hierher verwiesen worden. Onkel Herbert und Tante Grete Geffe mit Hiltrud und Volkmar hatte es von Lauenburg nach Leverkusen verschlagen. Tante Emma Langosch mit Martin und Karin aus Lauenburg fanden bei Lübeck ihr neues Zuhause. Später floh auch Tante Käthe mit Werner, Martin und Rosel aus Mackensen. Sie landeten in Bad Kösen bei Naumburg in Thüringen.

1.7 Vater aus Gefangenschaft

Im Frühjahr 1947 kam endlich mein Vater aus der französischen Gefangenschaft. Er ließ sich nach Dortmund entlassen und rief uns von dort an. Gerne wäre er dort geblieben. Er bat uns telefonisch, doch auch nach Dortmund zu kommen.

Aber meine Mutter lehnte ab.

Ich erinnere mich nicht mehr an die Gründe. Aber mit Sicherheit fühlte sich unsere Mutter hier in Norddeutschland wohler als im Sauerland. Und dazu noch ein Umzug der Familie; das war ihr wohl zu viel. Lange Rede kurzer Sinn: Wir blieben in Anklam. Also musste mein Vater schweren Herzens auch nach Anklam kommen. Im Nachhinein gesehen war das ein gravierender Fehler. Aber zu dem Zeitpunkt gab es ja noch keine getrennte deutsche Staaten, sondern nur Besatzungszonen. Überall musste aufgebaut werden, denn die meisten deutschen Städte waren zerbombt. Auch konnte man kreuz und quer reisen, ohne einen Unterschied zu sehen.

Doch nun stand mein Vater mit leeren Händen da, denn er war gelernter Bauer. Was ist schon ein Bauer ohne Hof? Und als Tagelöhner wäre mein Vater nie gegangen, so wie Onkel Franz. Der machte Fahrdienste mit Pferd und Wagen bei einem kleinen Bauunternehmer.

Zuerst begann mein Vater auch auf dem Bau, aber als Handlanger, um wenigstens etwas Geld zu verdienen. Der Job war nicht nur hart, sondern auch erniedrigend. Steine und Mörtel auf den Bau schleppen, wenn so ein junger Maurer-Schnösel rief!

Denn Bau-Kräne gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht. Man machte ihm vom Arbeitsamt den Vorschlag, auf einen anderen Beruf umzuschulen. Also ließ er sich zum Maurer ausbilden, so richtig auch mit Berufsschule. Die Entlohnung als Umschüler war besser als bei Lehrlingen und es dauerte auch nur 1 1/2 Jahre. Dabei kam ihm zu Gute, dass er schon mit Onkel Alfred Wittke, gelernter Maurer, und seinem Bruder Willi oft gemauert und dabei viel gelernt hatte. Ich möchte gar nicht wissen, wie schwer ihm das gefallen sein muss, denn er war immerhin schon über 40 Jahre alt.

Auf dem Bau war aber nach dem Krieg sicher noch lange gute Arbeit, also war wenigstens mit gutem Verdienst zu rechnen.

Unsere Versorgungslage war aber immer noch katastrophal. Was es auf Marken gab, war zu wenig und auf dem Schwarzmarkt konnte man zu der Zeit Lebensmittel nicht mal für Geld bekommen. Und zu tauschen hatten wir Flüchtlinge ja immer noch nichts. Was blieb uns anderes übrig, als zu stehlen.

Ich erinnere mich noch ganz genau, dass mich mein Vater einmal mitnahm. Wir schlichen nachts auf einen Kartoffelacker. Die Kartoffeln hatten schon angesetzt, waren aber noch nicht ganz reif. Mein Vater erklärte mir nun, dass wir von jeder Staude nur eine Kartoffel entnehmen würden. Danach machten wir das Loch wieder sauber zu. Das schadete der Staude in der Regel gar nicht, denn dadurch wurden die verbliebenen Kartoffeln entweder um so größer oder die Staude entwickelt aus dem vorhandenen Ansätzen noch eine neue Kartoffel nach. Das war eben Bauernschläue oder besser gesagt Bauernwissen.

So hatten wir eigentlich keinem geschadet. Aber uns war in der Not geholfen. Das haben wir freilich nur einmal gemacht.

Dann konnte man bei Lankows Akkord-Arbeiten übernehmen, um Zuckerrüben heraus zu machen. Für ein bestimmtes Stück Land bekam man einen entsprechenden Betrag. Wer das noch nie gemacht hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie schwer diese Arbeit ist! Mit einem gabelartigen Rübenheber wuchtet man zuerst die Rüben aus der Erde. Das muss mit einem einzigen Ruck erfolgen, sonst kann man es gleich lassen. Dabei muss man aufpassen, dass die Wurzeln nicht abbrechen. Denn darin steckt der meiste Zucker. Bei trockenem Boden bekommt man die Rüben überhaupt nicht heraus. Wenn der Boden zu nass ist verkleben die Werkzeuge und die Schuhe.

Rübenheber

Die Rüben legt man schön in einer Reihe. Dann schlug man mit einer Machete das Kraut sauber ab. Es durfte aber kein Kraut an der Rübe bleiben, auch durfte man nicht zu viel abschlagen. Das ist später genau am Kraut zu sehen und führt zu Abzug bei der Abrechnung! Dafür gab es zwar gutes Geld, aber jeder war froh, wenn solche Wochenende herum waren.

1.07 Mein Lohn

Zu dem Zeitpunkt hatte ich bei Frau Lankow gerade aufgehört. Denn nun begann für mich der Ernst des Lebens, die Schreinerlehre.

Ganz feierlich eröffnete sie mir nun, dass ich jetzt ausgezahlt werden würde. Und damit ging sie mit mir in den Stall.

Ich war gespannt!!!

Als wir in den Schweinestall kamen griff sie das größte Ferkel und drückte es mir in den Arm.

So, dass ist Dein Lohn für die gewissenhafte Arbeit!

Etwas verlegen nahm ich es in den Arm und ging damit nach Hause. Wie ich den doch relativ langen Berg hinauf gekommen bin, ist mir total entfallen. Ich war immer nur darauf bedacht, das Ferkel fest zu halten und zu beruhigen. Dabei habe ich bestimmt ständig auf das Tier eingeredet. Jedenfalls brachte ich es heil nach Hause. Dann, kurz vor der Haustüre beschlich mich ein ganz anderer Gedanke.

Was würde mein Vater sagen!?

Was wollten wir eigentlich mit dem Ferkel, wir hatten doch nicht mal einen Stall!?

Aber da hatte ich meinen Vater unterschätzt. Er baute mit Onkel Willis Genehmigung am Gartenhaus einen kleinen Anbau und schon konnte die Schweinezucht beginnen!

Nach einem Jahr war dann das Schwein schlachtreif und es wurde geschlachtet, wie früher auf unserem Hof in Mackensen.

Mir war früher der Schlachttag immer zuwider gewesen wegen des Geruchs. Jetzt aber war es ein wirkliches Fest!

Damit ging es uns dann endlich etwas besser.

2.0 Meine Schulzeit

2.01 Einschulung

In Mackensen bin ich 1940 eingeschult worden. Es gab aber auf dem Lande in der Regel zu wenig Klassenzimmer, so dass immer Klassen 1 und 2, 3 und 4 5 und 6, 7 und 8 miteinander Unterricht hatten. Klar, dass da natürlich nicht gerade viel heraus kommen konnte. Als ich in der 4. Klasse war bot sich eine besondere Chance.

Zu der Zeit wurden an allen Schulen des Landes jedes Jahr die besten Schüler für eine „höhere Schule“ ausgesucht. Diese höhere Schule war im 3. Reich die NPEA. Was eine National Politische Erziehungs-Anstalt war wussten wir aber damals eigentlich nicht.

Im Internet erfuhr ich jetzt, dass es in ganz Deutschland von Pommern bis nach Baden-Württemberg 1934 davon etwa 37 Einrichtungen gab.

2.02 Höhere Schule

1943 wurde ich von der Mackensener Dorfschule vorgeschlagen für den Besuch einer solchen höheren Schule. Ich glaube, dass die Eltern auf diese Entscheidung kaum einen Einfluss hatten, denn es war ja von oben angeordnet. Von sich aus wären meine Eltern sicher nie darauf gekommen.

Ab Herbst 1943 musste ich nach Köslin an der Ostsee und wurde dort in einem Internat untergebracht. Wir bekamen einheitliche Uniformen, was wir recht schick fanden. Ich erinnere mich aber an weitere Einzelheiten nur noch in Bruchstücken. Komisch, als ich 1992 durch Köslin ging, hatte ich keinerlei Erinnerungen an diese Stadt!? Das lag wohl auch daran, dass wir damals sehr wenig Ausgang hatten.Dabei hatte ich nicht versucht etwas zu verdrängen. Es war einfach gar nicht in meinem Gedächtnis gespeichert. Ich werte es als Zeichen, dass diese Zeit für mich nicht sehr wichtig war.

Auch die Gebäude und die Umgebung habe ich nicht wieder erkannt. Erst durch Information aus dem Internet konnte ich manches rekonstruieren:

Die Aufnahmeprüfung damals betrug eine Woche. Neben den üblichen Arbeiten und Prüfungen gab es viel Zeit zum Malen eines Bildes aus der Phantasie. Ich schaffte offensichtlich die Aufnahme-Prüfung.

Die Schulklassen hießen Züge. Die Lehrer nannten sich Erzieher und wir wurden Jungmannen genannt. Vormittags war Unterricht in den wichtigen Hauptfächern, wie Mathe, Deutsch, Bio, Chemie und Physik. Auch Völkerkunde und Ethik wurde unterrichtet.

Der Nachmittag war vorwiegend dem Sport gewidmet, das sollte den Gemeinschaftsgeist stärken und die Jugend ertüchtigen. Sportarten waren: 100-m-Lauf, 400-m-Lauf, Weitsprung, Hochsprung, Keulen werfen (im übertragenen Sinne auch Handgranaten!), 100-m-Schwimmen, aber auch Schießen war dabei.

Eigentlich versprach das, eine recht spannende Zeit zu werden. Doch als dann der Winter kam, fand ich alles so fremd, kalt und leer! Mir fehlte einfach die heimische Atmosphäre, die Wärme am Kachelofen, an dem man abends zu Hause mit der ganzen Familie gemütlich saß und gebratene Äpfel aß. Auch nicht die Nähe zu gleichaltrigen Freunden konnte das aufwiegen. Hier gab es nur eine Zentralheizung, die eine ungesunde trockene Wärme erzeugte und an die man sich nicht setzten konnte. Schnell holte man sich eine Erkältung besonders von der trockenen Luft. Dazu kam, dass das Essen manchmal schrecklich schmeckte. Am meisten hasste ich Kohlrabi-Gemüse, das total holzig war.

Nach und nach wurde mein Heimweh so groß, dass ich oft heimlich weinte. Schließlich war ich ja auch erst 9 Jahre alt und noch nie länger von zu Hause weg gewesen. Das lähmte mich derart, dass ich nach einem halben Jahr, im Frühjahr 1944 wieder heim wollte.

Und das war mein Glück!

Um eine riesige Erfahrung reicher, aber wieder zu Hause, ging ich weiter in Mackensen zur Schule, bis dann im Februar 1945 die Ostfront über uns hinweg rollte und die Russen das Land besetzten.

2.03 Schule nach 1945

Im Oktober 1945 sagte unsere Mutter zu uns, dass nun hier für uns kein Platz mehr sei. Pommern würde nun polnisch sein. Also flüchteten wir nach Westen und landeten in Anklam. Dort ging ich ab Herbst 1945, weiter in die 5. Klasse der Grundschule. Es fehlte an Lehrern, denn die alten wollte man nicht wegen ihrer Gesinnung. Und neue Schulbücher gab es ja auch nicht. Neue Lehrer waren ja noch nicht ausgebildet. Aushilfs-Lehrer waren nicht gut ausgebildet. Da hat man einfach alte, schon lange pensionierte Lehrer wieder eingestellt. Wir hatten zuerst einen ganz alten Herren, der uns mündlich Gedichte bei brachte. Er las immer eine Vers vor und die Klasse musste dann den Text so lange wiederholen, bis ihn alle begriffen hatten. Ich erinnere mich noch z. B. an Des Sängers Fluch , Die Brücke am Tayvon John Meynard und vor allem an Gedichte vom Heimatdichter Fritz Reuter De Tiegerjagd und die auf Plattdeutsch! Das Gedicht hat mich so beeindruckt, weil ich mir immer genau vorstellen, wie er mit dem Tiger gekämpft hat.

Am Ende der 5. Klasse bekamen wir deshalb am 13.7.46 auch nur den ersten Nachweis in Form eines Zettels mit dem Text:

„Georg Papke wird in die 6.Klasse versetzt.“

Ein Zeugnis gab es nicht. Erst mit der 6. Klasse ab August 46 bis Juli 47 war der Unterricht wieder normal und regelmäßig.

Zufällig war ich in eine Klasse geraten, die vor 1945 schon auf dem Sprung ins Gymnasium war. Die Jungen waren alle etwa einen Kopf größer,wohl genährt,viel besser angezogen und auch viel kräftiger als ich . Sie kamen zumeist aus immer noch recht wohlhabenden, einheimischen Familien! Dadurch ergaben sich natürlich wieder große Differenzen. Doch da musste ich durch und ich strengte mich an, obwohl ich nebenbei immer noch bei Lankows arbeitete.

Das 6.Schuljahr endete mit einem Zeugnis. Und das konnte sich sogar sehen lassen, denn mein Durchschnitt war 2,07! Das stärkte mein Selbstbewusstsein ungemein. Mit dem Ergebnis war ich zwar kein Spitzenkönner, aber gutes Mittelmaß und wenigstens einigermaßen fleißig, was die betreffende Lehrerin, zu honorieren wusste.

Ich war jedenfalls zufrieden.