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Longlist Deutscher Buchpreis 2017: Die Versuchungen des Bibelübersetzers – Feridun Zaimoglu überrascht mit einem teutschen Roman 4. Mai 1521 bis 1. März 1522: Martin Luther hält sich auf der Wartburg auf. Gänzlich unfreiwillig, denn er ist auf Geheiß des Kurfürsten von Sachsen in Gewahrsam genommen worden. Dort sieht er sich größten Anfechtungen ausgesetzt, vollbringt aber auch sein größtes Werk: In nur zehn Wochen übersetzt er das Neue Testament ins Deutsche. Feridun Zaimoglu begibt sich in die Zeit, auf die Burg und in die Kämpfe, die der Verdolmetscher auszufechten hat. Dazu bedient er sich eines Ich-Erzählers, der zwar eine erfundene Figur, aber äußerst faszinierend ist: Landsknecht Burkhard, ein ungeratener Kaufmannssohn, ist Martin Luther zum Schutze an die Seite gestellt. Seine Perspektive ist es, die den Blick auf das Leben, das Streben und die Qualen des Reformators eröffnet. Burkhard selbst ist Katholik und Anhänger des alten Brauchs und sieht Luthers Wirken mit Sorge. Er will nicht abfallen, nicht mit der Sitte brechen und muss doch den, der dieses tut, schützen und bewahren. Ja, er muss Luther sogar begleiten, als dieser heimlich die Burg verlässt und sich bei Melanchthon in Wittenberg aufhält. Und er muss Luther beistehen, als ihn die sogenannte Teufelsbibel in schlimmste Teufelsvisionen stürzt. Mit klingender Sprache, erstaunlichem Kenntnisreichtum und dramatischer Zuspitzung erzählt Feridun Zaimoglu von einem großen Deutschen, einer Zeit im Umbruch und der Macht und Ohnmacht des Glaubens.
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Seitenzahl: 353
Feridun Zaimoglu
Evangelio
Ein Luther-Roman
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Oft plagte mich der Satan durch seine Erscheinungen, ganz besonders auf jener Burg, in der ich eine Zeit lang gefangen gehalten wurde.
Martin Luther
Anno Domini 1521
Hauptmann von Berlepsch, Burgvogt und mein Obriger, ruft, ich tret an zum Bericht. Hab Schloss und Riegel, Tor und Türen geprüft. Bin den Wehrgang abgegangen, hab in dunkle Ecken gestochen. Hab die Eseltreiber arg befragt, ob sich Kerle nach der Feste erkundigen. Hab in die Ledereimer zum Brandlöschen geschaut, prall voll. Hab es geschmeckt, Wasser ohne verdächtige Beigabe, sonst hätt ich längst gekotzt oder wär brüllend verreckt.
Der Hauptmann entlässt mich, ich schreit zum Tor, der Wächter Schrotter und der Wächter Herwig senken die Spieße. Ich zeig ihnen das Losungszeichen, sie bleiben wachsam.
»Rück heran«, sagt Schrotter, »möcht die Narbe an der Lippe sehen.«
»Hab nur eine hinterm linken Ohr«, ruf ich.
»Er ist es«, sagt Herwig, »sein Gesicht ist am Abtritt gedüngt und gewachsen.«
»Dich tret ich wund, da fällst du wie ein Ochse und rollst runter nach Eisenach«, sage ich.
»Bist du’s wirklich?«, sagt Schrotter und greift wie im Kinderspiel mit Grimm nach seinem Schwert. Dann lachen die Schalksnarren.
Ich bin keiner von ihnen. Bin ein gerauter Kerl, gehobelte, geschliffene Fresse. Kein Gesang und kein Weib macht mich weich. Solang der Himmel nicht einstürzt und mein Kopf nicht birst, kann ich das Eisen halten. Das ist mein Brot. Bin ein ungeratener Kaufmannssohn, entschied mich gegen den Vater für ein andres Leben.
Man spannt Kalbsfell über die Trommel und schlägt nur einmal darauf, da kommen die Hurenböcke und Zerlumpten schon hergelaufen. Das ist die Rotte der Knechte im Krieg. Der Obrist sprach mir und andren Knechten von der Kriegsgemeinde, von der Beschirmung des weiten Landes, über das der Fürst wacht. Wir wurden dahin und dorthin geschickt. Sturm und Schlacht, ich sah viele böse Stücke. Ich hab Hund fressen müssen, und Ratte und Pferdemaul und Klumpen Erde. Krieg ist Mannfresser. Bin in Fehden zerrieben worden. Hab etliches Volk gelöscht. Hab Kopf von den Achseln geschlagen …
Sie zügeln die Aufsässigen, mich können sie nicht bannen. Sie haben sich vor allen anderen der besseren Christlichkeit verschrieben. Schlüge ich einen Span vom Scheit, der Span wär klüger als die Kerle. Mich hassen sie wegen meiner zerschlitzten Montur, wegen meiner Landsknechtart. Ich bin am Verrichten, ich reiß mich los von ihrem Hohn. Was der Pöbel plaudert, beißt ein, ihr Wort beißt ein, ich darf’s nicht achten.
Ich klink die Tür auf: Bücher mit Schweinsledereinband, schwere Deckel hüten die schwefligen Worte, die Meister Martinus durch List dem alten Feind abgetrotzt. Man muss ins erste Saufen Gottes Namen sprechen, und also bewegt er stumm die Lippen und trinkt drei Schlucke. Im Schein der blakenden Tranlampe funkeln seine Augen auf. Er stellt die Füße auf den Walwirbel. Er legt das Papier vor sich hin. Kratzt mit der Feder Runen, als würd der Dämon der Macht ihm Zauberziffern in den Geist bluten. Hat er das zweite Gesicht? Er liest die Worte der fremden Völker. Malt er teutsche Gnadenbilder? Das Welsche ist verneint. Er mehrt durch Gebete seine Gabe. Was sah im Dornbusch der Gesandte Moses? Was sieht der Mönch, wenn in seinen Träumen ein kaltes Feuer brennt? Das Allerheiligste ist das Allerheimlichste. Frevelt er, wenn er Gott übersetzt? Der Herr braucht keine neuen Namen. Wir beten an den ungeschmückten Herrn. Am Rand der Welt trommeln die Barbarenstämme. Es klafft die Erde auf: Ich seh tief im Loch Hundezähne schimmern. Ein Tier wird aufsteigen, sagt er, und alles Wachs wird schmelzen und doch nicht erhellen den Himmel, den das Tier beschwört. Eine Knochenmühle wird die Welt. Er aber vergisst den Schmerz, vergisst den bellenden Leviathan, und übersetzt Gott ins Teutsche. Salbt er uns zu unserem Schutze? Seine Frommheit ist der falsche Fraß für den Hunger. Er und die Seinen quälen sich, um bald die anderen zu quälen. Sie sehen nur die Leiche an den Balken, blasen ihr durch die Zauberei Leben ein. Sammeln Worte im Maul, um sie auf Männer meines Glaubens zu speien. Er aber kratzt Runen, dass wir fallen.
Ich wetz das Eisen am Stein für den Stoß in die Kehle des Leviathan. Ich sprech das Wort des Heilands heilig. Wir alle verfaulen langsam, da wir warten auf die Wiederkunft. Schutzgeister sind zu Asche verbrannt.
In kommende Kämpfe mengt sich der Frater, ohne zu wissen, wen er zum Kampfe peitscht. Es werden die anderen sein, die Gott erhöht. Mir bleibt nur, mich zu gürten und dem Mönch den Überwurf umzutun, dass er nicht friert in den Nächten, da die Toten zu ihm sprechen.
Und er sagt: Das Gotteslamm entzündet mich. Es fährt hinein in die Unsinnigen, die Spinnweben fressen. Die ihre Zähne stumpf gemahlen haben. Draußen im Land erlöschen die Grableuchten. Meister Tod klopft auf Rippen und Gebein. Frater ruft: Gottes Majestät! Die Knechte drehen und wenden das teutsche Wort für Gott. Ein jeder ruft: Ich schneid mich los von Stricken. Ich reib das Kreuz aus Ruß und Schmier auf die Schläfen. Ich zieh als des Mönchs Gefolge in die Kriege … Ihr Verstand hängt ihnen wie eine schmutzige Schleppe am Arsch. Atemlose Diener, sie leben von hartem Brot und saurem Wein. Der Herr ist für sie ein wandelnder Rauch. Sie kauen Körner und verlachen mit Brei auf den Lippen Judas und den bösen Schächer. Sind nicht diese Kerle, sind nicht diese Weiber des Junkermönchs Luther unsinnige Kinder? Sie tun untertänig und rufen aber: Der Heilige Geist besteht aus einem Schwarm Tauben. Und also sind wir die Stücke der wahren Kirche Christi … Sie machen sich das Bild vom Herrn als das eines großen Entsetzens, als das einer Höhlung des Leibes.
Er aber ritzt Runen, als würd er stechen in Heilands Haut Laute, Gewinsel, Lästerung. Ich scheue sein Nachtwerk in der Schergenstube. Er verspricht die Zähmung der Nattern, des giftigen Getiers. Der Kettenhund auf dem Hof heult die Schatten der ziehenden Wolken an. Der teutsche Gott säubert uns die Angst aus der Brust. Dafür schütz ich den Ketzer.
Er streut Löschsand auf die Tintenstaben, wischt ab die Federspitze, stülpt die rote Lederkappe übers Haupt. Jetzt ist er vom Geist bewegt, morgen wird er wieder zürnen.
Der Meister hat sich in die Sache geschickt, den Kopf steckt er zwischen die heiligen Seiten. Es bedarf viel Schmierens, dass ich gesellig werd. Er hat’s gelernt, ich trotzte Bitt und Anruf, seine Beeiferung hat nicht geholfen, ich bleib in schmiegsamer Haltung erstarrt. Auf dem Teller das angebissene Hinterviertel vom Hasen mit Rüben.
»Hungerst du für den Herrn?«, sage ich.
»Es schmeckt heidnisch«, sagt er.
»Fleisch, Meister, nichts anderes als Fleisch.«
»Fällt der Schatten eines Götzendieners auf die Schüssel, aus der du schöpfst … ist das Essen dann verdorben?«
»Hier gibt’s keine Heiden«, sage ich kalt.
»Dies ist mir eine steinerne Kammer.«
»Du bist bewahrt und geschützt, Meister.«
»Strohsäcke hab ich faulig gelegen«, ruft er, »ich bin abgelebt unter den groben Sachsen. Mein Arsch grimmt bös, wenn ich mich dreh und wend. Und draußen geschieht ein Ding, dass es mich schaudert. Die Welt verschlingt sich selbst.«
»Dich frisst sie nicht«, sage ich, »was ist mit den Heiden?«
»Mir schien, als lösten sich Schatten von der Decke, da biss ich grad in die Hasenkeule.«
Ich zieh den Katzbalger, stürz durchs Loch, dass mir die Klappe auf die Waden fällt, schlag im Dunkeln nach beiden Seiten, spring durch die schlanke Stube: Ich bleib unbesiegt, weil kein Geist aus Fleisch und Atem mir entgegentritt.
Ich vernehm Meisters Wehruf und stürz zurück. Er liegt am Boden und windet sich, Stirn und Wangen röten, als wär er von Milben angefressen. Ich gieß ihm Wasser aufs Haupt, sein kochendes Blut lässt die Glieder schwellen, er wispert, ich neig ihm das Ohr zu, er spricht leis und stöhnend: »Wir sind das letzte Nest und die letzte Brut, nach uns wird alles verworfen. Wir werden sinken, das ist unser Los, wir sind die Reste, zerschlagenes Geschirr, Besitztum Gottes, das verrottet. Der Himmel ist nicht gnadenbringend. Hart sein, ausbluten, es leuchtet die Welt nur, wenn ein Prophet geboren wird, der Retter nimmt uns die Einsamkeit. Heiland, deinen Zeugnissen kehr ich mein Angesicht, auf dass es leuchte. Führe Christus uns in allen Heerritten, mein Herz umstrickt der Dämon nicht …«
»Spar dir dein Klugsein für morgen«, schrei ich und schüttel ihn hart, »sonst sinkst du bald ins Grab, Gott lohnt dich schon mit dem Himmelsbrot, friss heut den Hasen, hörst du, Frater, friss die Rüben, Türck und Heide sind verschanzt hinter den Bergen, die Warte ist die feste Burg, daran sie zerschellen, ich köpf jeden Geist, der dir die Wampe walkt, friss das bisschen und scheiß das bisschen, dann ist Ruh in der Seel, hörst du, Meister?«
»Ich bin auf diese Burg gebannt«, wispert er, »und mein Herz ist durch Sünden geschwert.«
»Steh auf«, sage ich.
»Dreikantiger Dreckskopf.«
»Der Has ist tot«, sage ich, »iss und werd satt.«
Junker Georgen, Mönch ohne Kutte, gebannt auf die Felsenfeste Warte, ist ein stößiger Stier, er wütet in der ersten Hitze. Meister Martinus speit aus den bösen Geist in prasselnden Stücken. Sein Maul fließt über, denn das Evangelium sticht ihn.
Der Wundarzt Neham Rosenhag ist ein Jud. Er hat Weinreben in der Pfanne entzündet, hat die Stuben ausgeräuchert. Die Bleiasche, die er auf den Harn streute, sank. Der Meister hat keine Elendsseuche.
Der Jud hält dem Hauptmann das Harnschauglas vor. »Traurigkeit«, sagt er, »daran leidet der Herr, Nelken und Moschus helfen, die juckende Flechte hat er nicht, man soll ihm nicht geben Vipern, die in Wein gesotten wurden.«
Jetzt macht der Mönch ein Getöse, er springt auf vom Stuhl, beißt dem Arzt fast den Kappenzipfel ab.
»Mich täuschst du nicht mit glatten Worten«, schreit er, »es vermorscht hier meine Tüchtigkeit, ich schlaf auf durchgefaulter Strohschütte, ich werd mich nicht verbittern, doch ich lass mich nicht belagern vom Pestbarbier! Papst, Jud und Türck sind Teufels Kotbröckchen, gespeichelt und gebacken.
Erzschlechte Brühe von Lotterleuten, das seid ihr Hebräer, der Türcken und Tataren Kundschafter, das seid ihr, man gebe euch Axt und Karst in die Hand und lasse euch Arbeit tun. Heilandsschächter, Aufschneider!«
Den Jud pack ich am Saum und zerr ihn aus Luthers Schergenstube. Der Hauptmann verfügt für den Rest des Tages Haft in der Zelle.
»Ist das gerecht?«, sagt der Jud.
»Pack dich, Bader«, sage ich und stoß ihn in Richtung Tor. Er kommt wieder, sonst hol ich ihn, ich kenn alle Unterschlupfe.
Der Hauptmann befiehlt mich nach draußen vor die Diele. Er schaut hoch zum Turmwart, der das Haupt neigt. Ich riech den nahenden Regen. Ich riech den Schweiß der Rösser.
»Was soll das Affenspiel?«, sagt er.
»Sein Darm ist träge«, sage ich, »es kommt ihm ein Reißen im Leib an.«
»Das geht mir an die Kehle.«
»Ja, Herr.«
»Er tobt«, sagt der Hauptmann, »wo bleibt die Gelehrtheit? Man muss den Schmerz verbeißen.«
»Mit Gunst zu melden«, sage ich, »das tut er.«
»Und doch wird er teufelsheftig.«
»Gegen die Trübnis helfen Rasereien. Was heraus ist, schwärt nicht mehr.«
»Wir schulden ihm Schutz und Schirm, unser Fürst hat’s befohlen. Hüt ihn gut.«
Ich klopf auf das Gehenk, verneige mich, steige die Stiege hoch, gehe verstohlen den Gang bis zum Gelass des Mönchs. Als ich über die Schwelle trete, schnellt er in die Höhe. Er sagt: »Der Arzt ist Flicker, der Teufel macht krank, er bläst ins Haus, er soll nicht an mir Anteil haben. Ich bin im Panzer des Gottesworts …«
Es liegt nicht an mir, zu schmeicheln, ich bin sein Wächter, ich schweige. Bald sitzt er reglos vor den aufgeschlagenen Büchern, er schläft den Hasenschlaf, er hat ein ungesundes Fieber.
Er fragt mich, was ich bei meinem Streifzug durchs Land der Bauern und Knechte sah.
Ich sage: »Ein Mann trieb durch Peitschenknallen Hexen aus dem Stall aus. Er sprach: ›Heut ist ein Hexentag, heut muss man sich vorsehen vor den Tückereien der Geister.‹«
»Bei der Kraft Gottes«, sagt der Mönch leise.
»Der Mann sprach: ›Dorn und Distel für den Teufel, das Korn für den Herrn.‹«
»Ein rechter Bauer.«
»Er hat Grabeserde auf drei Ecken des besäten Feldes verteilt, dass die Raupen aus der vierten Ecke hinauskriechen.«
»Übler Brauch«, ruft der Mönch, »ein Vaterunser hätt’s getan. Was noch?«
»Männer stritten sich deinethalben«, sage ich, »der eine sprach: ›Luther ist teutscher Apostel, der Heilige unserer Tage, ich stell mich an seine Seite, ich weiche nicht.‹«
»Und der andere?«
»Die anderen vier«, sage ich, »alles Kerle, die dich blind und blutig schlagen wollen.«
»Römlinge«, ruft er und steht auf, »was werfen die mir vor?«
»Der eine sprach: ›Das Mönchlein, der schlichte Mönch des Bettelordens, was hat er von Land und Leben gesehen?‹ Der zweite sprach: ›Er ist ganz vernarrt in seinen eigenen Sinn.‹ Der dritte sprach: ›Er lehrt den verjauchten Glauben. Luthers Wanst ist von vielen Narrheiten gebläht.‹ Der vierte …«
»Hält mich für eine Bestie der Leere«, sagt er, »lebt ich nach eigenem Witz, würd ich grollen. Dreck wärmt, sie bleiben hängen am Gebräuchlichen. Verheiß ich die Verderbnis? Bin ich in die Geheimnisse der Gottheit geweiht?«
»Du stellst dich widerborstig an, Meister. Man müsst dich mit fünfzig Eimern kalten Wassers übergießen.«
»Soll ich abfallen? Soll ich in den Heidenkult zurücksinken?«
»Du bist wacker im Streit«, sage ich, »aber fechte nicht mit dem Bader.«
»Der Heilsempfang ist dem Jud unmöglich«, ruft er.
Ein murrender Geist, zum Zanken aufgelegt. Er glaubt: Wenn wir die Hebräer lassen, fallen wir unter die Hufe der Türckenrosse.
Ich fall ihm in die Rede, ring mit ihm, bis er nachgibt. Der Bader darf ihn das nächste Mal gesund tasten. Der Jud, ich hass ihn nicht, ich lieb ihn nicht, er ist mir kein Gräuel. Dem Doktor aber wird das Maul runzlig. Gefallener Fürst der Schrift ist er, Meister der Zaubersprüche, die nicht wirken. An seiner Angst ist der Jud schuld, das sagt er. Der Herr ist zornig geworden, weil sein Lieblingsgeschlecht abfiel, das sagt er. Bricht die Radspeiche, frisst die Ratte ein Loch in den Kornsack, werden die Läuse fett im Grind: Der Jud, Mann des verkommenen Volkes, ist schuld. Wer kann wen überbösen: der Jud den Papst, der Papst den Jud? Der Mönch sagt: zwei Arme eines Leibes. Von Gott gelobt wird das Land uns Christen, zweifle nicht daran … Wer ist er, dass er mich mahnt? Ward er weise durch die Studien? Will er mit dem Knüppel den Feind strecken? Der Fürst lähmt meinen Arm, sonst schlitzte ich ihm die Zunge.
Der Frater Georgen drückt sich gegen die Klappe an der Wand, rutscht auf Knien durch den Durchschlupf ins nächste finstre Gelass. Er ruft: »Zerbirst die Stille, wenn ein Blinder schweigt?«
Ich rüttel an den Eisenstäben, ich klopf gegen die dünn geschabten Häute vor den Fenstern. Der Mönch wimmert, als würd er aus der Wunde bluten. Den Kännchenwein als nachtspätiger Schlaftrunk hat er nicht angerührt. Bald wird er zum Aborterker hoch über dem Burggraben steigen. Der Wind fährt stark in die Buchen, das Geprassel der Blätter macht ihn verrückt. Der Mönch verschnappt sich mit dem Maul, harter Tadel trifft ihn. Aber er gleicht nicht den Schnappsäcken, die mit wippender Feder am Hut daherschreiten. Er ist verwegen im Lästern, schüchtern im Gebet.
Ich lösch die Lichter, ich wisch mir die Gedanken aus dem Schädel, ich horch auf Laute, denn ich bin mir sicher: Der Feind lauert, er wird kommen, wenn nicht in dieser Nacht, so doch in einer anderen. Der Feind wird, da er den Ketzer stellt, dreinschlagen, bis ihm das Blut in die Schuhe rinnt. Eisen wetzt Eisen, ich wache über Luthers frommen Traum.
Der Hausschaffner bringt das Frühmahl: Rüben in heißer Asche gegart, warm im Teller, dass der Butterklumpen in der Schmelzpfütze schrumpft. Der Mönch möcht keine Gabel benutzen, sie gleicht der Forke des Teufels. Er klappt seinen Löffel auf. In die Laffe ist ein Stück von der Stirnsprosse des Einhorns eingelegt, sie schützt vor Vergiftung. Er isst nach feiner Art.
Wir Knechte fressen gehobeltes Kraut. Mit Herrenspeisen sind wir nicht vertraut. Wir kennen keine vier Gänge und keine Tischzuchten. Wir schneiden von der Kost nach unsrem Hunger, also schlingen wir alle Bissen. Ich schau ihn kurz an, er tarnt sich gut als Ritter. Die Platte, die er sich hatte zum Keuschheitsgelübde schlagen lassen, ist zugewachsen. Der Bart verhüllt Mund, Kinn und Backen. Die Laus kriecht ihm in Haufen jede Nacht hoch, beißt und schmaust, wie es ihr gefällt. Es geht ihm in der Früh ein Waschweib mit dem Kamm übern Kopf. Seine Strohschütte besprengt es mit Essig und Korianderwasser.
Der Meister hat gelernt, die Beinlinge an das Wams zu nesteln. Will er sich nicht fügen, wird er aus der Burg gesetzt. Dann leg ich den kalten steifen Leib ins Loch und deck ihn zu. Brotkrumen fallen auf den ungefegten Estrichboden. Er hebt sie auf und isst sie, er dankt dem Herrn für kleine und große Gaben. Würd des Ketzers Frommheit den Heiligen Vater milde stimmen? Papst und Kaiser haben ihn in Acht und Bann getan. In allen Gegenden, in allen Winkeln, spricht man von der lutherischen Sekte. Von dem Harnpropheten, der den Weinberg des Herrn verwüstet. Man soll ihn mit dem Stachelstock stäupen, bis die keusche Furcht ihn zur Umkehr zwingt. Lockern und lösen, bis der Christ zügellos in die Feuer fällt, das würd der Ketzer lehren. Der Mönch aber sagt: »Gott wird die hohen Zedern brechen, er wird die Mächtigen zu Boden schleudern.«
Ich acht den Frater, weil er vor dem Kaiser in Worms nicht widerrief. Auch wenn ihm die Läuse Perlen der Heiligen sind. Er wischt die Nas am Ärmel.
»Wer dir hilft, beisteht, anhängt, ist vogelfrei«, sage ich.
»Ich bin tausend Teufeln vorgeworfen«, sagt er.
»Du hast nicht widerrufen.«
»Ich beugte mich nicht.«
»Warst du versucht?«
»Vom Teufel?«
»Von ihm und anderen.«
»Dem, der verachtet ward vom Herrn, geh ich aus den Wegen«, sagt er, »die Herren von höchstem Stand wollten mir an den Hals. Dann lieber meinen Kopf. Lieber als Gott, der mich im Jenseits hängt, weil ich beigab … Willst du beim Schwert bleiben?«
»Bleibst du beim Wort, bleib ich beim Schinden«, sage ich, »ich bleib beim gemeinen Lauf. Es gibt Richtung der Fürst, dem ich dien.«
Der Mönchpfaff kann nur Wort und Schrift. Taugt er zum Leben? Kann nicht flicken noch schmieden. Kann nicht Steine klopfen noch melken. Kann nicht pflügen noch pflücken. Nicht stechen, nur Theologie spucken. Der Fürst hat mich gedungen und in dies fremde Nest gesetzt.
Was ich dem Mönch nicht verrat: Einen der vier Feindsinnigen schabt ich übel, weil er sprach: Hinter der Bestie Martin steckt der Sachsenfürst, man müsst beiden den Hals brechen. Das Pfaffenzupfen ist ihm schlecht bekommen. Ich bleib standhaft, ich widersteh.
hilft. Gott ist mit Braus in meine Welt eingebrochen, ich hör heftige Schläge und grässlichen Schall, es fließt mir aller Glaube und der Saft der Milz und der Lungen in die Erde, alles im Leib bricht und knickt und fährt ab, es frisst sich ein Loch in die Brust des Mönchleins, das zum Menschlein schrumpft. Zerfahren ist mein Werk, Gottes Gutheit siegt, kraft des Wortes, das nie verwelkt, bin ich nicht totgeschunden, nur ich steh schief und krumm in der Einsiedelei, man hat nach teutschem Brauch einen Grund von guten Steinen angelegt, und ich deck den Himmel darüber. Ich ward vor viele Herren gerufen, jetzt bin ich gescholten und versteckt, bin ins Rattennest gestoßen, ich wollt meine ganze Fertigkeit anwenden, dass ich bleib, was ich bin: Luther, Gottes Amtsmann, meines Herrgotts Mistvieh, sollen sie auf mich schlagen. Der böse Geist möcht, dass ich Gott hinausschleuder wie den schweren Stein, tät ich’s, würd ich zermalmt und zu Stücken zerhackt unterm Stein, es lägen Teufel und all seine verruchten Kinder darunter, und der Stein wär geschieden von dem Gott meiner Anbetung.
Mir gefällt nicht, dass du zagst. Kein Künder ist angenehm im Vaterland, kein Ruhm, kein Glimpf, hast du gedacht, du bleibst ungerauft? Wir wollen nicht Ehre gewinnen auf beiden Seiten, denn bei Johannes 7, 38 steht: »Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.«
Könnt ich doch den bösen Geist herausgraben aus der Haut! Sollt ich mich in den Mondschein stellen, dass die würgende Schlinge am Hals zerreiße? Sollen wir den Schweinen gleichtun und Eicheln im Walde fressen? Der Fürst zu Rom wurd geboren von einer Hur an der Wegscheide neben dem Baum, an dem sich Judas erhängte. Wir wenden uns ab. Mit altem Wasser taufen – niemals! Deine Zagheit ist zu scheiden von der Verzagtheit, zu der du neigst, weil die Zweifler Zweifel säen. Neuer Bund im Blut Jesu, das ist eine Lehr, die nimmermehr vergeht. Wir stecken zwischen den Kiefern eines wilden Tiers, Herr über die Gestirne, bewahre uns. Wir haben die Schlacht bestellt, der Heiland geb uns Sieg. Wir sind nach Jesaja das Schlachtopfer, das man mästet.
Mir zu Schutz und Trutz beigestellt ist ein harter Knecht, ich plauder vor ihm aus, was mir inwendig ist, ich lob mein Tintenhorn, ich lob meine Feder, er lobt Schwert und Axt, und er lobt den falschen Römerfürst. In Strumpf geschissen und Wurst gemacht! Glaubt doch jeder Knecht, dass er Sitz und Stimme besitzt bei Gott, man muss sie recken und strecken, die Säue, die Rottengeister, die auf dem Evangelio springen wie Ratten auf glühenden Kohlen. Wir tun Licht und Luft in den Glauben. Mein Zorn ist groß, Melanchthon, auf den Kriegsknecht mir zur Rechten, auf Rom und die Römlinge, sie mahnen mich, wer Vögel fangen will, muss süß pfeifen und nicht mit Knütteln dreinschlagen, ich will’s unterdessen verkühlen lassen, ich neig nicht zum wenigsten, aber zum meisten, ich gelob Besserung.
Christus sei unsre Munition, wir sind für Gott versiegelt, wir sind die wahre Gemeinde. Sie haben sich zerstreut, die alten Sünder, der Herr hat sie gestreut wie Samen in die Furchen Seiner Welt, und siehe, sie sind als Kotkörner aufgegangen. Ich lehr die Grammatik der Sitten, dass diese Welt der Schlechtigkeiten erlösche. Wann ist Erlösung? Dass ich mich der Zusagung des Herrn versicher, ist nicht List, noch ist’s mein tüftelnder Geist, der mir einen Klippdachsbau höhlt, ich will nicht reißen die Sünder hinab, ich will nicht baden die Christenmenschen rein. Alles in Gott beschlossen, das sing ich, ER begnadet, ER straft, und ich lobe Seine Gnade. Bald kommt Heiland mit seiner Königsmacht! Wort ist Fleisch worden, doch dies Fleisch ist verborgen. Bekenne darum, Bruder, und sag’s laut in den Gassen: Ich komme nicht mit Fingerzimbeln, nicht mit Rassel und Klapper, aber mit dem Schall der dröhnenden Trommel!
Bekenne, Melanchthon, und schrei’s aus in Wittenberg: Mir geht der Mund über vor Zorn. Ich beschmier mich nur dann mit Honig, wenn ich Bären fangen will! Paulus in Ephesus: Viele treten über und verbrennen ihre Bücher. So wuchs das Wort des Herrn. Amen.
Werden die Mauern halten, gibt’s einen Ansturm, rückt ein wildes Heer an, das frag ich mich bei Nacht und bei Tage, und der harte Knecht schaut mich still und denkt: Trägt Luther den Teufel auf der Achsel? Mir kräht der Arsch von den Zwiebeln munter, er hütet sich, mir zur Seite Tischgenoss zu sein. Für ihn ist Glaubenserneuerung Verrat an Vater und Vaters Vater, die alte Kirche ist die ewige Kirche.
Die alte Manier bindet die Volksleut, sehr zu meinem Kummer, der Kriegsknecht sieht nicht meine Nützlichkeit, wenn ich das Grauen minder, dass das Seelenlicht heller brenne, wird’s mir nicht gelohnt werden, ich leb hier im dunkelnden Land, lernten wir doch wieder das Erschauern, wie wir doch den strengen Schmerz missen, ohne zu wissen, dass er böses Verderben zeugt, lernten wir doch lieben eine neue Helligkeit, ein bisschen Licht von dem ersten Licht Christi. Die Kraft des Gottesgeistes sei bei dir und bei mir.
Es kam ein Jud namens Neham, er wollt mir das Gebrest wegtun durch Beschwörung und Zauberei, mich kam ein Schrecken an, dem Ketzer rinnt Schweiß und Schaum ab, mir war nur unwohl in seiner Nähe, schreibt nicht Augustinus: der grausame Eifer der Ärzte, die im Fleische nach grausamen Geheimnissen wühlen. Der Sohn des Neham heißt Mosse, was nimmt der Jud doch für Namen an. Ich weiß wohl, die schlechte Luft überträgt Seuchen, Gott hat uns in Wittenberg mit der Strafe der Pestilenz angegriffen, an den Enden der Gassen brannten große Feuer, das hab ich Mosses Vater Neham gesagt, er aber wollt mich dehnen und drücken, ich hab ihn vertrieben. Soll er Hobelspäne als Kopfputz tragen.
Der Herr will die Namen der Götzen, die sie anrufen, von ihrem Munde wegtun. Bin ich dem Jud fein oder feind? Der beschnittene Jud höhnt, und es gellt mir unerträglich in den Ohren. Die Judenheit, das sind tausendjährige Schläfer, haben sie doch den Gesalbten übersehen, weil sie träumten, und ihr Traum war vom verstockten Teufel gespendet. Aufgehoben sei die Heiligkeit des gottverlassenen Volkes. Unter meine Füße ihr Groll. Geheiligt sei unser Volk.
Melanchthon, streb in unsrem Geiste, ohne grobe Hader stürzt nicht das Sündenhaus. Mit Donnerwort wider die Kutte, Kapuze und Königskrone. In Rom schaut der Christ tief in die Hölle, an dem Papst sind Rüben und Sack verloren. Ich stritte nicht, wenn ich nicht wüsste um meine guten Teutschen, die seiner versprochenen Seligkeit anhängen. Er rühmt sich großer Streiche, Segen und Seligmachen werd ich ihm verderben. Er hat mich für einen Ketzer ausgeschrien. Was aber geschieht mir, da ich den Heiligen ins Herz schau? Die alte Gesetzlichkeit wird spröd und fad, denn Gottes Gewalt hat sich entzündet in der Welt. Die Quellen sind kenntlich. Blut und Schaden wird kommen durch Seine Hand, und die heillosen Namen werden gelöscht durch Seine Hand. Das, was sie deine Zimperlichkeit schimpfen, ist dein Herz in Jesus. Schimpflich an uns sei unser Zutrauen auf den Tag der Tage, da uns erlösend der Retter naht. Was steht denn obenan, wenn nicht der Herr?
Eine böse Feuchtigkeit ist im Mutterschoß. Mist und Rotz ist auch deshalb in jedem Manne. Das versteh ich, dies versteh ich, ich bekomm Ohrsausen vom vielen Kopfzermartern. Ich füll mir nicht mehr den Darm, das Fasten kommt mich nicht hart an. In Haderlumpen des Ritters gesteckt bin ich und bleib doch ein harter Sachse, der auf alle Tüftelei speit. Meine Waffe sei der Schweinsspieß.
Am Vorabend von Peter und Paul, aus der elenden Haft.
Martin Luther
Das Tollhäuschen steht an der Mauer in der Nähe des Predigertors. Der Affensinnige schlottert in der Kiste, drückt das Gesicht gegen die Fensterstäbe. Es droht keine Fährlichkeit, er ist ein scharrender Vogel, er ist ein gefallener Geist, er führt Luftstreiche aus. Man hat ihn mit Leichenbinden umwickelt. Die Bürger wollen Schaden und Schändlichkeit abwenden. Der Mönch lehrt: Die Scham ist der Wille des Fleisches zum Gesetz.
In Eisenach lieben die Leute das Mirakelspiel, die Mummerei, in Maßen. Sie streiten wider die Gespinste. Haupt und Glieder sind dem Jungen in der Torenkiste zerschrammt. Jäh wirft er sich mit einem Ruck nieder, stellt sich wieder ans Fenster, schreit besessen, unnützes Gespei. Die Weiber schlagen das Kreuz, was der Irre brüllt, ist für ihre frommen Ohren anstößig, er spuckt Flüche wie ein schlimmer Hurer. Kommt sein Ungestüm vom Teufel? Der Friede ist zerbrochen, es hebt an ein Schnauben und Raunzen. Die einen predigen: Wir werden im Himmel ernten. Die anderen wollen Teufels Beutestücke mit Eisen und Lanze niederringen. Den Weibern und den Kerlen ist das Herz ein Mühlstein in der Brust. Die Sünder sind in sich hinein verdreht. Vielleicht zahlt der Tobsüchtige das Angeld auf die Seligkeit.
Die feinen Herren tragen hölzerne Überschuhe, auf dass sie nicht einsinken in Schlamm und Schmutz. Trotz der Trippen spritzt Dreck auf ihre Waden. Das Beschütten der Gassen mit Unflat ward verboten. Dass die Leut ihre Unsauberkeit auf die Gasse leeren, macht sie zu Säuen. Der Rat hat’s verordnet, Aas vor der Tür auszuschaffen. Schweine suhlen sich in den Schmutzhaufen und Mistpfützen.
Ich folg den tiefen Radfurchen, ich acht darauf, dass ich nicht stolper und in die Kanalrinne tret. Ich acht darauf, nicht unter den Abtrittserkern zu laufen, es scheißen die Menschen zu jeder Zeit, ich seh blanke Ärsche zwischen Himmel und Erde. Es wird im Glockenturm geläutet, ich sprech das Vaterunser, das muss reichen. Ich seh Frauen mit Witwenbuckel hasten, ich seh Pfaffen hetzen, als wären sie Beute der Verdammnis. Die Kerle haben den Wolfshunger, sie staunen mich an, ich würd gern die kranke sengende Glut in ihren Augen löschen.
Gott ist außerhalb, darin ist seine Majestät. Der Teufel ist verstrickt, darin ist seine Kleinheit. Jeder Stümper, Wurzelgräber und Spielmann gibt sich als Weisen von Sachsen aus. Bescheißer in allen Winkeln. Wer ist ein Feind, wer will Luther brechen? Weil ich überall Heimtücke vermut, fall ich fast über spielende Kinder. Sie werfen Murmeln aus Ton nach dem Messer, das in der Erde steckt, je näher, je besser, ich hab ihr Spiel zertreten.
Ich weich in die Hengersgasse, die Frauen zupfen von den Leinen die Tücher, die sie zum Trocknen aufgehängt hatten, ich schleich Richtung Nadeltor und steh bald vor dem Haus des Blutvogts, hier ist’s still, hier hallen wenige Laute. Nach dem zweiten Klopfen geht die Tür auf.
Ein gestraffter und gestreckter Kerl ist der Henker. Nach Heidenart hat er das Haar gefettet, den Hirschfänger hält er in der Hand, als würd’s ihn zwicken, fleißig zu werden in seinem Handwerk. Ein übler Knecht mit kalter Natur. Helles Wasser, trübes Wasser, mir ist beides recht. Ich bin nicht hergelaufen, dass er mir eine Ergötzlichkeit gebe.
Ich folg ihm in die nächste Stube, Rauch hängt an der Decke, Rauch von der abwärtigen Küche, wir setzen uns an den Tisch. Mich sieht er das erste Mal in seinem Haus. Bring ich Unwill und Greuel, streich ich der Lüge eine weitere Farbe an, er will’s erfahren.
Ich leg ihm Münzen auf den Tisch, er schiebt sie auf die Mitte, er fragt, was mein Auftrag sei.
»Menschenschmalz«, sage ich, »ein Töpfchen Armesünderfett.«
»Für dich?«, sagt er.
»Ich knirsch nicht und bin nicht lose.«
»Für wen?«
»Für einen, der gesunden soll.«
»Woran leidet er?«
»An der Hurtigkeit des Gemüts«, sage ich, »früher fraß er Mus und Grütz. Heut zerreißt ihm die Kost den Leib.«
»Was frisst er?«
»Kleine und große Keulen aus der Bratenpfanne. Gehöhlter Weißkrautkopf, darin Kalbfleisch und gebrühte kleine Vögel.«
»Ein Ritter ist bei euch in Haft gesetzt«, sagt er.
»Wer hat’s vermeldet?«, sage ich und spann mich an.
»Tut er schwere Buße?«
»Er tut’s.«
»Fütter einen Ziegenbock mit Salbei, schlacht ihn in der fünften Woche, seih das Blut, trockne den Blutkuchen. Das muss er fressen vorm ersten und dem letzten Mahl. Ist die rechte Arznei gegen Traurigkeit.«
»Nein«, sage ich, »man hat ihm Zwiebeln in die Tasche eingenäht, hat ihn nicht von Taumelsucht befreit. Er wird den Blutkuchen nicht anrühren.«
Ich sitz mit einem Blutmann am Tisch, er gehört zu den Unehrlichen. Ich darf in seinem Haus keine Gemeinschaft halten. Er hat manch einen Frevler auf Wahrhaftigkeit geprüft, hat ihm Weihwasser eingeflößt, bis er platzte. Hat Augen ausgeglüht. Hat die Zunge hinten durch den Nacken gerissen.
Der Frevler ist Vogelfraß, der Henker Bürgers Arm. Übel riecht’s, die Leut schütten ihr Leibwasser auf die Gassen, sie rümpfen die Nas nicht so heftig wie beim Schinder der Räuber und Ketzer.
Er sagt: »Ein Landsknecht und ein Bäckerschwein wollen allzeit gemästet sein.«
Ist er zum friedlichen Geschäft nicht geneigt? Soll ich zum Vergeltungsschlag ausholen? Dann spricht er, dass er schlimmer sei als der Abdecker, der Gruben räumt, Ratten fängt, Kot und Mist ausfährt. Höllenfürst, der die Schädel türmt, dafür halten ihn die Ehrbaren.
Er sagt: »Ich hab jeden gebeten, dass er mir verzeiht, bevor ich ihn köpfte.«
Der Henker lässt die Faust aufs Tischholz krachen, er starrt mich an, er zeigt auf eine trockne Schlange neben den Münzen.
»Was ist das?«
»Hautriemen eines Gehenkten«, sagt er, »der Ritter soll sich damit gürten.«
»Gegens böse Aug hilft kein geräuchertes Kraut und keine Maulwurfspfoten«, sage ich.
»Das hilft«, ruft der Henker, »ich kannte eine mächtige Hexe, die hat den Wein des Abendmahls verwandelt in Teufelsbalg. Und die Hostie verkehrt zum Blutsud ihrer Öffnung.«
»Ich will das Fett, Blutmann. Gib mir den Tiegel.«
»Hast du Angst, dass ich dich verspuk?«
»Bist ein Ketzerrichter. Kannst martern und zerteilen. Kannst in die Seele dringen.«
Da ich ihm die Ehre nicht angefochten hab, lässt er mir meinen Willen, er steckt Fett und Haut in den Sack, den ich ihm vorhalt. Der Henker ist ein Hurenwirt, er versperrt Weibsbilder in Hütten, dass ihnen Christenmenschen zugehen. Dem Jud droht Entmannung, wenn er Dirnen beischläft. Der Henker verpfändet Mädchen, und wenn’s aber der Rat will, straft er eine Metze durch Haarabsengen.
Mir ist die Sünde spannenlang gewachsen, ich dämpf nicht die Brunst, ich mach davon nicht viel Prahlens. Ich handel um eine Magd, die eine verdunkelte Tugend hat. Der Hurentreiber lacht und sagt: »Das Mägdlein hat sein Magdtum verloren. Der Riemen hilft vor feindlichem Geschoss, wirst ihn brauchen.«
Ich stehl mich weg von ihm, sein Geheimnis duldet keinen Genossen. Ich werd nicht warten weich und gütig. Ich werd nicht sein ein rechter Zapf für die Flaschen.
Der Schlamm spritzt mir hoch im Dirnengässlein, Regen fällt ohn Unterlass, nässt mir Kappe und Schädel. Bei jedem Laut dreh ich mich um, blick fest auf Winkel und Wege. Was macht der Mönch in dieser Stunde? Es wachen über ihn zwei Wärter, die ein Krieger leicht übermannen kann. Würgt der Meister am üblen Brocken? Will er im Dunkeln Flöhe fangen? Dies Lamm, das ich schütz, bleibe unter Wölfen unversehrt, Herr. Soll die lose Rotte nicht in seine Einöde einfallen.
Ich leg dem Mädchen die Schmalzkrapfen im Sack vor die Füße. Es hat ein geschnäbeltes Gesicht, wenn es sich freut, wird’s zum gaggenden Vogel. Die kleine Kammer ist ein Verschlag im Stall, es riecht nach Rossdreck. Ich kenn sie unter dem Namen Else. Morsche Schwester, Hürlein ohne Arg. Sie zeigt mir eine wasservolle Schüssel.
»Wir Mädchen haben jedes ein Haar ausgerissen und ins Wasser gelegt«, sagt sie, »wes Haar als erstes kringelt, wird vor den anderen eine Braut. Bald werd ich gefreit.«
»Ja«, sage ich, »es soll dich ein Graf heimführen.«
»Das wär schön.«
»Kannst ihm zehn Buben schenken. Jedes Jahr gebären, bis du entzweireißt.«
»Häng mir nicht Unglück an«, ruft sie und bekreuzigt sich, »beschwör nicht den Geist, der mit Ruten in den Tümpel peitscht, bis dunkler Nebel steigt.«
»Hast du ihn je gesehen?«
»Ich leg mir drei Apfelkerne unters Kissen, ich bin geschützt.«
»Wovor?«
»Vorm Behextsein.«
»Bist schon behext«, sage ich.
»Bin ich nicht«, sagt sie, »hab einen Sud gekocht, aus vier Kräutern, und getrunken.«
»Was ist das für ein Gebräu?«
»Schwarzwurzel. Hirtentäschchen, Brennnessel und Prophezeikraut. Musst beim Trinken beten. Wer betet, ist vor Hex und Seuchen bewahrt.«
»Hilft’s gegen Schwindel?«
»Da braucht’s des gesungenen Gebets«, sagt sie. »Da muss man sprechen: Das Fleisch soll nicht schwellen noch schwären, das wünsch ich.«
»Gut. Hat jemand nach mir gefragt, oder nach einem Ritter auf der Warte?«
»Ich weiß von nix um mich rum«, sagt Else, »wenn ich den Rock schüttel, fällt’s ab, was am Vortag war, und allen gefällt’s. Sucht dich die Hex?«
Ich verbiet ihr das Maul, sie zwickt sich heimlich ins Fleisch, dass sie übern Schmerz Tränen vergießt.
Die Magd schürzt den Rock hoch, nestelt die Schambinde lose, auf der Bettstatt dreh ich sie auf den Bauch, wühl mich hinein, drück die Hand auf ihre Lippen nach dem ersten Aufschrei. Heimlich hastig. Ich fühl ihr hämmerndes Herz bei jedem Stoß. Ich will nicht in ihr quellen.
Dann gürt ich mich, greif eine Münze aus dem Beutel. Sie wäscht sich die Scham. Stellt mir einen Teller gebratene Apfelringe und zwei Stücke gerupftes Brot hin.
Vor dem behosten Weib hüt ich mich. Ich will meinen Samen nicht unnütz vergießen. Ein wenig Schande wärmt und macht gesunde Farbe. Man muss danach die große Anhänglichkeit des Weibes abwehren.
Ich sah: Mönch Martin peitschte sich mit einem Büschel Brennnesseln auf seinen Mannsstab, um zu erlöschen. Es folgte winselnde Reue über seine Schwachheit. Es fließt Blut durch seine Lenden, ich bin bar der Zweifel. Er wird nicht überbrodeln, auch wenn ihm das Weib nicht ohne Kitzel ist. Brunst und Drang verlegt er aufs Sprechen. Es tut ihm nicht übel, wenn er schweigt und brütet überm Papier, und was er an heiliger Tollheit vollbringt, lässt sich lesen am Tintenschmier an seinen Fingern.
Ist dies eine schändliche Liebhaberei? Sie sagten mir über ihn: Auf der Kanzel ist der Doktor keusch. Seine Kutte bestand aus vielen geflickten Lappen. Weiß ich, was er tut, wenn er das Gebetstuch weglegt? Jetzt, da ihn nichts bindet, hat er freien Lauf. Vor der Weiber Macht warnt auch er.
Hürlein Else legt den Hautriemen um den Hals, ich erklär die Zauberei, sie möcht ihn behalten. Die Kraft kehrt zurück, die zweite Münze bekommt sie nicht, ich schwäch mich auf andren Plätzen.
Sie kämmt ihr Haar, ein loses Haar lässt sie in die Schüssel fallen und lacht, als es sich flugs kringelt.
»Ich werd mit einem Schlag glücklich«, sagt sie.
»Das werden viele nach dem Backenstreich«, sage ich, »sie fallen um und schlafen.«
»Bin ich eine verlebte Bübin?«
»Bald hast du Schrunden und Makel allüberall.«
»Der Hurentreiber hält mich für hübsch.«
»Das ist ein tückischer Kolkrabe«, sage ich.
»Lügt er?«
»Die Pfaffen verheißen, dass uns vergeben wird, und halten hin die Schatulle. Der Blutvogt schmeichelt dir und greift ab dein Pfand der Hurerei.«
»Der neue Ritter in der Feste«, sagt sie, »wer ist das?«
»Was geht’s dich an?«
»Die Leute erzählen Geschichten. Die wollen wissen, dass er ein Sauleben geführt hat. Dass er’s weit gebracht hat in der bösen Wissenschaft. Dass er sich jede Nacht in den Bußsack hüllt und in der Asche wälzt. Weil ihm der Blitz ins Herz schlug …«
»Geschwätz«, sage ich, »Gerede.«
»Dass er blind und rückwärtsgeht, weil er möcht sich strafen.«
»Wenn’s so weitergeht«, sage ich, »wird der Henker mit Garnwickeln die Zeit vertreiben … Es sind nicht die Leut, es ist dein Herr und Meister, der redet. Er braucht nicht zu fürchten, dass er den eignen ehrlichen Namen veraast. Deshalb schwätzt er.«
»Verrat mir, wer der Junker ist«, sagt sie.
Ich greif ihr jäh an den Hals, drück zu, bis sie rot anläuft, lass los. »Frag ich dich, wann der Hauptmann dich stößt, Metze?«, ruf ich und lauf raus aus dem Haus.
Ich werd der Hur noch oft das Wieslein wässern. Sonst hätt ich ihr den Vogelhals umgedreht.
Welchen Tuches ist der Blutvogt? Es ist mit seinem guten Willen ein Dreck. Ein glühender Stein ist mir in der Brust gespalten, und die Stücke brennen mich. Die Magd gebärdet sich affensinnig, bald ist sie verblättert. Hat der Hauptmann in ihrer Schenkelmulde gelegen und den verbotenen Namen des Mönchs ausgeschwätzt, weil er Luther strafen will für die Bußpsalm von Brunst und Befleckung?
Ich weich den Geistern der Nacht, find das Wirtshaus an der gefällten Linde. Gesindel, Gelichter, vom Sturm losgerissene Spitzbuben mit tropfendem Schoß, Harnischpolierer, Pfannenflicker, die Beschwörungswesen treiben. Unter den Kappen und Mützen harte hohle Knochen. Ein Kerl hat Knötchen wie Hirsesamen am Gesicht, ein anderer ist vom Lampenrauch geschwärzt.
An einem Tisch sitzen die Unehrlichen: Schindergehilfen, die den Totenkarren beladen mit dem Treibgut der Hölle. Saueintuer, die den geräucherten Kern vom Aas fressen. Sie tragen Stiefel aus Hundeleder, es ist ihres niederen Stands würdig. Die Schinderknechte schlagen herrenlose Hunde, ziehen das räudig zerkratzte Fell ab. Ich seh mich vor, dass sie mir die Haut nicht gerben.
Der Mundschenk füllt den Becher, kaum dass ich sitz. Saufen ist eine Ehr. Trunken gesündigt, nüchtern gebüßt, das ist hier die rechte Weise, es will ein jeder auch den letzten Tropfen schnappen. Den sauren Wein hat der Wirt mit Pfeffer gewürzt, dass man durstig werde. Seine Knochen sind wie gespalten und falsch zusammengenagelt. Wer ihm Unehre andichtet, bricht nach einem letzten Herzschlag. Die üble Beißerei der Schinder endet, weil er sie mit Tritt und Schlag in die Nacht rausjagt. Das schwatzhafte Irrereden der Schandbuben schürt seine Mordlust. Es muss eine kleine Zeit geschwiegen sein, also trink ich und blick auf meine Hände. Ein grober Kegel spricht von dem Halbtier in der Tollkiste, ich werd wieder wach.
»Wer ist er?«, sage ich.
»Mein Bruder«, sagt er, »wer will es wissen!«
»Ich heiß Burkhard.«
»Nicht von hier.«
»Werd mich bald heimisch fühlen.«
»Wenn wir dich lassen«, sagt er.
»Ich greif zu, eh mir die Hände gebunden werden«, sage ich, »da zog ich her. Und hör dich von dem Jungen reden. Der ist nicht bös.«
»Auf abgeschnittene Nägel hat er gebrunzt und ist unsinnig geworden. War nie ein Nützling. Wurd zum Schädling verwandelt. Durch des Dämons Eingebung beging er die böse Tat …«
»Ich sah ihn in der Kiste flehen und schreien.«
»Der Pisswart fand ihn in der Dunggrube, im verkehrten Spiel. An seinen Fingern klebten Kadaverteile. Er zog ihn raus. Die Wächter haben ihn eingeschlossen. Zahl mir eine Trinkkanne. Hab alles Geld verzecht und verschlemmt.«
Ich kenn den Kerl: Er wurd wegen freventlichen Schwörens gestäupt. Das Brandmal auf seiner Wange zeigt an, dass der Zinker falschspielt. Ich schenk ihm eine halbe Kanne. Er soll nicht glauben, dass er meinen Willen bricht. Dass ich aus Weichlichkeit ihm allerhinterst ins Arschloch blas. Er grunzt beim Saufen, ich seh die bösen Male und Schnitte auf der Haut.