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Kunstfälscher und Hochstapler erschüttern unsere festgefügten Überzeugungen von dem, was wahr und was falsch sei. Denn die Übergänge zwischen Täuschung und Verwandlung, Sein und Schein sind oft fließend. Wenn Wolfgang Beltracchi Bilder der klassischen Moderne echter malen kann als die Originalkünstler, wenn Gert Postel, gelernter Postbote, jahrelang unbehelligt als Oberarzt in der Nervenklinik amtiert, wenn eine Republik ein Königsschloss neu aufbaut, obwohl sie gar nicht weiß, wie sie es nutzen soll – was sagt das über unser Selbstverständnis? Burkhard Müller geht aufsehenerregenden Fälschungen und Verwandlungen der jüngeren Vergangenheit nach, durch die plötzlich sehr zweifelhaft erscheint, was einst als eherne Gewissheit galt. Bilder, Häuser und Leute können immer auch etwas ganz anderes sein, als wir glauben.
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Seitenzahl: 249
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BURKHARD MÜLLER
Fälschungen, Verwandlungen
Geschichten von Bildern, Häusern und Menschen
Reihe zu Klampen Essay Herausgegeben von Anne Hamilton
Burkhard Müller, geboren 1959, ist Dozent an der Technischen Universität Chemnitz. Er schreibt regelmäßig für die »Süddeutsche Zeitung« und »Die Zeit«. 2008 erhielt er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Im zu Klampen Verlag sind in den vergangenen Jahren erschienen: »Schlussstrich. Kritik des Christentums« (2004), »Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte« (2005), »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten« (2006), »Lufthunde. Portraits der deutschen literarischen Moderne« (2008) und »Verschollene Länder. Eine Weltgeschichte in Briefmarken« (2013).
Cover
Titel
Reihe zu Klampen Essay
Vorwort
Wolfgang Beltracchi
oder warum die Kunst den Zweifel braucht
Karl Waldmann
oder vom Tod eines Autors, der nie gelebt hat
Dein gemartertes Antlitz
Eine Pilgerfahrt zum heiligen Grabtuch in Turin
Gert Postel
oder die Einsamkeit des Hochstaplers
Troja im Chiemgau
Schicksale eines Pferdes
Die Rückkehr der steinernen Glocke
Dresden und seine Frauenkirche
Paläste für die Republik
Berlin – Potsdam – Braunschweig
Großmut an Fremden
Ein Besuch in Głogów
Camp
oder wie sich Ironie in einen Tatbestand verwandelt
Impressum
Fußnoten
DIESES Buch hat seinen Autor überrascht. Es ist hervorgegangen aus einer Reihe von Begegnungen, die sich im Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr ergeben haben. Spät habe ich das Muster darin erkannt. Dabei zog die eine die andere nach sich. Es ging los mit dem Kunstfälscher Beltracchi, dessen erhellender Wert für Kunst und Kunstmarkt mir auf Anhieb einleuchtete. Als der entsprechende Artikel im »Merkur« erschien (dem ich bei dieser Gelegenheit danken möchte, dass er drei der hier versammelten Texte abgedruckt hat, noch ehe ihr Zusammenhang sichtbar geworden war), meldete sich bei mir Gert Postel, der jahrelang trotz fehlender Qualifikation als psychiatrischer Oberarzt gearbeitet hatte, und wünschte sich, dass ich auch über ihn etwas schriebe. Und es kam die Nachricht, dass in diesem Jahr das Turiner Grabtuch aus der Versenkung geholt und ausgestellt würde – sie hätte mich sonst kaum berührt, aber plötzlich sah ich in diesem Tuch etwas, das mir vorher entgangen war.
Als diese drei beisammen waren, nahm das Buch seinen Lauf. Thomas Steinfeld, Redakteur der »Süddeutschen Zeitung«, war dem Fall Karl Waldmann auf die Spur gekommen, einem Collagen-Künstler, der nie gelebt hat, und nahm mich mit zu Ausstellung und Pressekonferenz. In einem oberbayerischen Internat gab sich ein bronzenes Pferd, das jahrzehntelang unbehelligt im Schulhof gestanden hatte, jäh als Nazi-Plastik zu erkennen und versetzte die Öffentlichkeit in Wallung. Hier fand die Metamorphose ganz im Auge des Betrachters statt.
Und ebenso verhielt es sich mit dem Phänomen des »Camp«, das Susan Sontag schon vor fünfzig Jahren beim Namen genannt und damit recht eigentlich ins Leben gerufen hatte: die liebevollironische Betrachtung von Kulturschaffenden und ihren Werken, die sich selbst sehr ernst nahmen und es darum nie erfahren durften, dass ihr Charme in ihrer Gebrechlichkeit lag. Auch hier waren es Bilder und das Gespräch mit ihrem Künstler Jan Kummer, was mir unverhofft weiterhalf.
Und dann natürlich Gebäude! Sie dauern am nachdrücklichsten, oder scheinen es wenigstens; aber gerade darum taugen sie als Zeugen der Veränderung. Neu erstandene Königsschlösser in Demokratien; eine verschwundene Kirche, zurückgeholt in eine säkulare Gemeinschaft; eine dem Erdboden gleichgemachte Stadt des geschlagenen und verjagten Feindes, an deren Wiederbringung der Sieger die Mühe vieler Jahre wendet – was hat das alles zu bedeuten?
»Fälschungen, Verwandlungen« lautet der Titel. Nicht »Fälschungen« allein, denn bliebe es bloß bei ihnen, so stünde im Zentrum unbefragt das Echte, sei es, dass es zur Verteidigung, sei es, dass es zu seiner Bestreitung herausfordert, und die Oberhand hätten Neugier, Empörung und Schadenfreude. Das Echte aber ist immer das Fraglichste. Alles, was da ist, hält sich gern für echt, aus dem einfachen Grund, weil es nun mal so und nicht anders sei. Aber anders wird es dennoch immer, es verwandelt sich, manchmal offenkundig und manchmal hinterrücks; gerade das sind die interessantesten Fälle, in denen sich dann nicht selten Schreck und Verwunderung einstellen. Um ihren Augenschein geht es hier.
Ich danke Anne Hamilton, meiner Lektorin seit vielen Jahren und Gefährtin so manchen Buchs. Ohne sie und ihre Idee hätte es dieses Buch nicht gegeben.
Februar 2016
oder warum die Kunst den Zweifel braucht
ZWEI Tage hatten die Interviewer vom »Spiegel« sich Zeit genommen für das Ehepaar Wolfgang und Helene Beltracchi. Weniger schien nicht angemessen für diesen größten Fall von Kunstfälschung der Nachkriegszeit, ja aller Zeiten. Die beiden Beltracchis sind rechtskräftig zu mehreren Jahren Haftstrafe verurteilt, genießen aber das Privileg des offenen Vollzugs und wirken recht entspannt.
»Lieben Sie Kunst?« wollen die zwei Herren vom »Spiegel« wissen. Und Beltracchi antwortet, wie damals der Bundespräsident Gustav Heinemann, als die Presse von ihm wissen wollte, ob er sein Vaterland liebe: »Ich liebe meine Frau.« Die nächste Frage rückt ihm schon dichter auf die Pelle: »Sind Sie ein Künstler?« »Natürlich.« Das kann der »Spiegel« so nicht auf sich beruhen lassen und setzt nach: »Was ist ein Künstler?« Was Wolfgang Beltracchi darauf erwidert, scheint eine bloße Tautologie und vollzieht doch eine entscheidende Verschiebung: »Einer, der Kunst macht.« So unscheinbar wie möglich ist damit der Akzent vom Sein des Künstlers aufs Machen der Kunst verlagert worden. Das zieht, kaum überraschend, die nächste Erkundigung nach sich: »Aber wann ist etwas Kunst?« Hier nun sieht sich Wolfgang Beltracchi zu einer etwas längeren Auskunft genötigt. »Für den Zyniker definiert sich Kunst über Geld. Das ist natürlich eine ganz traurige Aussage. Ein Künstler aber ist jemand, der kreativ tätig ist.« Da scheint es nun wieder im Kreis herumzugehen, denn was hieße »kreativ«? Beltracchi aber fügt schmunzelnd (so stellt man sich vor) hinzu: »Lesen Sie mal ein Buch von Beuys. Dann wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Kunst ist.«
So viel jedenfalls wird klar: Zu den Zynikern rechnet Beltracchi sich nicht. Eher schon den Beuys, der für solche Verwirrung gesorgt hat. Und besonders schlecht zu sprechen ist er auf Damien Hirst, der den Kunstmarkt als solchen für Kunst erklärt hat – zahlt dieser doch für ein Stück Superkitsch wie Hirsts diamantbesetzten Schädel Summen, die mental nur verkraftet, wer das Ganze als Performance bucht. Gegenüber einem Windhund wie Hirst und einem Schamanen wie Beuys wünscht sich Beltracchi als aufrechter Schöpfer abzusetzen. Hier fängt es eigentlich an, interessant zu werden. Der »Spiegel« aber, der schon zwei Tage hinter sich hat und ermüdet ist, spricht an diesem Punkt seine klassische Entlassungsformel: »Frau Beltracchi, Herr Beltracchi, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.«
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Bestraft worden sind die zwei als Kriminelle. Dagegen legen sie nicht ernsthaft Beschwerde ein, sie finden es schon in Ordnung, dass sie im Knast sitzen, wenngleich sie anmerken, dass sie dort erst auf Verbrecher im engeren Sinne getroffen seien, »Mörder, Kinderficker, Totschläger«, wie sie ihren Interviewern zu Protokoll gegeben haben. Als Betrüger hat man sie verurteilt. Betrug definiert sich strafrechtlich als die Vorspiegelung falscher Tatsachen, um sich (oder einem anderen) einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Juristisch ist das alles eindeutig.
Aber der große Kunstfälscher übt eine Strahlkraft aus, die anderen Straftätern, welche nach demselben Paragraphen abgeurteilt werden, doch fehlt. Keiner mag den Finanzier, der Kleininvestoren um ihre Ersparnisse prellt. Ein Hacker, der die Sicherheitsvorkehrungen des Internets austrickst, erzeugt ein gewisses kühles, wenn auch nicht unfreundliches Interesse daran, wie er es geschafft hat, das System zu schlagen – und das System wird ihn, wenn es schlau ist, nach erbrachtem Gesellenstück in die eigenen Reihen holen, damit er seinesgleichen das Handwerk legt, wie einen zum Förster bekehrten Wilderer. Beim Geldfälscher horcht jeder auf: das ist nicht mehr lustig! Er mag als Handwerker noch so Bedeutendes geleistet haben, sein Werk bedroht unmittelbar das Barvermögen jedermanns, und entsprechend schlägt ihm Abscheu entgegen. Wer Waren mit falschem Markennamen vertreibt, wird in Maßen noch als Gefahr wahrgenommen, wenn es dabei z.B. um Medikamente geht, für die er den Qualitäts-Standard nicht garantieren kann; sobald es sich aber lediglich um Klamotten und Handtaschen handelt, denken sich die meisten Leute nicht viel mehr als: selber schuld. Selber schuld sind die plagiierten Firmen, die sich in ihrer Gier so viel extra für ein bloßes Logo zahlen lassen wollen, dass es zum Unterschleif geradezu herausfordert; selber schuld sind aber auch die Käufer, die meinen, dass sie den wahren Jakob auch als billigen Jakob kriegen könnten.
Juristisch also wie gesagt ist es klar genug, worin hier Vorspiegelung und Rechtswidrigkeit bestehen: dass der Urheber behauptet, das Bild, welches er selbst gemalt hat, stamme vielmehr von einem weit höher geschätzten Meister als ihm, und dafür einen Betrag kassiert, der beträchtlich über dem liegt, was er bekäme, gäbe er das noch so schöne Werk als das Produkt von eigener Hand aus, das es ist.
Woher aber rühren dann das Unbehagen und die Faszination, die der Kunstfälscher auslöst, der, wie selbst seine Gegner es widerwillig formulieren, große Fälscher? Ich glaube, dass hier verschiedene Quellen zusammenfließen; und dass sich die Erinnerung an mehrere Figuren vereint, die in der jüngeren Geschichte halb, aber eben nur halb in Vergessenheit geraten sind, um nun in dieser Kompositgestalt neu aufzuleben, nicht ohne freudiges Wiedererkennen.
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Zunächst verkörpert sich in Wolfgang Beltracchi und seiner Frau Helene, die in jeder Hinsicht als seine vollauf gleichberechtigte Partnerin (oder Komplizin) firmiert, der Typus des Hippies. Man schaue sich die Fotos dieses stattlichen Paares an: Beide haben sie Haare von einer wallenden Länge und Menge, wie man es heute bei einem Mann nur noch als spezielles Markenzeichen registriert und bei einer Frau jenseits eines bestimmten Alters eher unpassend findet. Man darf natürlich so herumlaufen, wie man heutzutage alles darf; aber wir glauben doch Bescheid zu wissen, was es mit solchen den Sechzigern und Siebzigern verhafteten Gestalten auf sich hat. Beltracchi macht auch durchaus keinen Hehl daraus, dass dies seine prägende Phase war; der 1951 Geborene verdiente sein Geld damit, sich in Amsterdam in all seiner malerischen Locken- und Textilpracht von Touristen fotografieren zu lassen. Es müsse, sagt er launig, eine unendliche Menge solcher Schnappschüsse geben, in denen er nicht als Subjekt, sondern als Objekt der Kunst auftrat. Als Akteur übte er sich ins Reich der Kunst zunächst recht anspruchslos ein, indem er die Flohmärkte mit Antiquitäten versorgte. Der Flohmarktkunde denkt nicht historisch; er fühlt sich heimisch im Zweierlei von »Jetzt« und »Früher«. Dem ließ sich im Angebot leicht entsprechen. Die Hippies rebellierten nicht eigentlich gegen die ältere Konvention, sie kündigten ihr heiteren Sinns die Gefolgschaft, wobei ihr Widerspruch ohne Nebensätze auskam. Die beiden Beltracchis hingegen verwirren den nostalgisch-herablassenden Blick, der sich auf sie richtet, durch ihre wache Präsenz. Ungebunden sind sie, doch nicht blöde; bestimmt in dem, was sie wollen und tun, und dennoch keineswegs spießig. Mögen sie auch ihre Haftstrafen abbüßen, sie sind erkennbar freie Menschen.
Zweitens tritt der Fälscher das Erbe des Hochstaplers an. Der Hochstapler ist ein paradoxes Phänomen: Er untergräbt die Hierarchie der Gesellschaft, in der er sich bewegt, indem er sich ihr bis zur völligen Selbstaufgabe fügt. So müssten die herrschenden Klassen mit ihm eigentlich recht zufrieden sein – wenn er die Angleichung nicht, statt als osmotischen Prozess, vielmehr aufgrund einer bewussten Berechnung vollzöge. So entlarvt er die scheinbare Naturwüchsigkeit der sozialen Rollen als etwas, das gewollt und willkürlich ist und sich folglich auch ändern ließe. Das Unnachahmliche, das die Elite für sich in Anspruch nimmt, macht er als nachahmlich durchschaubar und gibt so das bedenklichste Beispiel. Der Hauptmann von Köpenick bewies, dass gebügelte Uniform und schnarrende Stimme genügen, um das vollgültige Inbild preußischer Autorität zu verkörpern. Wo man dem Lügner aufs Wort glaubt: auf welche Wahrheit des Ganzen lässt sich schließen? Bestürzen muss daran, dass die ideale Erfüllung des Erforderten gerade dem frech-devoten Unbefugten gelingt. Verhaltensforscher sprechen von »überoptimalen« Signalen: Alle Möwenjungen picken nach einem roten Punkt auf dem Schnabel der Elterntiere und werden daraufhin gefüttert. Bietet man den Jungen eine Attrappe mit einem noch viel röteren und größeren Punkt dar, picken sie nach diesem noch viel stürmischer und übersehen ihre tatsächlichen Eltern, von denen allein sie doch was zu fressen kriegen. So kann eine Fälschung sich leicht als der überoptimale Doppelgänger des Originals bewähren. Und ganz zu Recht bildet sich Wolfgang Beltracchi viel darauf ein, dass die Witwe von Max Ernst ein Gemälde, das in Wirklichkeit von ihm stammte, begeistert als das beste Bild ihres verstorbenen Mannes rühmte. Beltracchi war es seiner Künstler- und Ganovenehre schuldig, ihr da voll und ganz recht zu geben.
Zum dritten setzt Beltracchi eine Tradition fort, die in den ästhetischen Debatten des 18. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielte, mit der Moderne und was ihr folgte aber ihre Stellung sukzessive eingebüßt hat: die des Kunstrichters. Es muss, so sah es dieses aufgeklärte Zeitalter, gewisse objektive, jedoch notwendig in der subjektiven Kategorie des Geschmacks vermittelte Kategorien dafür geben, was Kunst sei und was nicht, und was das jeweilige Einzel-Kunstwerk tauge. So etwas lässt sich der Kunstbetrieb inzwischen nicht mehr gefallen. Ist es übertrieben zu behaupten, dass Kunstkritik in einem emphatischen Sinn heute gar nicht mehr existiert? In den Bereichen von Theater, Literatur und Film hat sich eine annähernd unabhängige kritische Instanz bis auf die Gegenwart erhalten, die neben dem Gradmesser des ökonomischen Erfolgs und nicht selten gegen ihn ihre Position verteidigt. Was jedoch die bildende Kunst betrifft, so drückt sich ihre Wertschätzung primär und nahezu ausschließlich in den für sie notierten und gezahlten Preisen aus. Sie verdanken sich einem fieberhaften Hype, der sich, wenn schon nicht ohne Absicht, doch im Großen und Ganzen so blind vollzieht wie bei den Aktienkursen. Die Experten in ihren dienstfertigen Katalog-Artikeln registrieren es nur noch als vollzogenes Faktum. Es ist, was im Grunde alle wissen (wenngleich es die meisten zynisch verbrämen), eine branchenbeherrschende Schande.
Und wie führt Beltracchi dieses scheinbar verjährte Amt des Kunstrichters neuerlich ein? Er sorgt ganz unverhofft für einen neuen Maßstab. Dieser wurzelt einerseits in seinem persönlichen Urteilsvermögen, ist aber andererseits strikt nachprüfbar; und erfüllt damit in musterhafter Weise die alte doppelte Anforderung an das ästhetische Urteil, im Subjektiven das Objektive zu geben, nämlich: wie leicht oder wie schwer es ist, einen Künstler zu fälschen. Zu beurteilen vermag das nur er, aus langer Erfahrung; aber sehen kann es jeder, der will. Ganz unten auf dieser Skala steht Jackson Pollock, der sich so leicht nachahmen lässt, dass es schon keinen Spaß mehr macht. Vermeer? »Könnte ich auch.« Rembrandt? »Genauso.« Leonardo? »Noch viel leichter, aber unverkäuflich.« Und wer wäre wirklich schwer nachzumachen? »Bellini.« An Bellini als Führer der Hitliste hätten wir nun eigentlich nicht gedacht. Aber es muss was dran sein, wenn dieser altgediente Praktiker es sagt. Beltracchi mischt die Karten des Kanons neu, und zwar indem er ein einziges, leicht einzusehendes, universal brauchbares Kriterium heranzieht; es muss den auf seine Rallyes und Konjunkturen bauenden Kunstmarkt schwer verstören.
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Viertens und vor allem aber ist Beltracchi der Künstler Alten Stils: jener, den der Spießer im Sinn hat, wenn er davon spricht, dass Kunst von Können komme und den er als Schöpfer von Dürers »Kleinem Rasenstück« hoch verehrt: jener, der den Pinsel selber führt und dem keiner hilft, wenn ihm das misslingt.
Ja, es entscheidet sich am Pinsel, diesem Sinnbild des nicht erweiterten Kunstbegriffs. Ihn schwingt Beltracchi unverzagt. Von seiner Festnahme, also dem Augenblick seines Sturzes, erzählt er die folgende Geschichte: Er, seine Frau und die beiden halbwüchsigen Kinder (die von der genauen Tätigkeit ihrer Eltern nicht wussten) wurden von der Polizei überwältigt, in die hilflose Durchsuchungshaltung mit gegrätschten Armen und Beinen gezwungen, abgetastet und gefragt, ob sie Waffen bei sich hätten. »Waffen? Nur, wenn Sie einen Pinsel als Waffe betrachten«, lautete Helenes Antwort. Stolz und Demut liegen darin. So muss es geklungen haben, als Christus dem Pontius Pilatus erwiderte, sein Reich sei nicht von dieser Welt.
Das Beirrende an Beltracchi liegt darin, dass er sein jeweiliges Ur- und Vorbild, den anderen Künstler, eben nicht kopiert. Die bloße täuschende Kopie eines schon vorhandenen Bildes (also der Leistungshorizont des Geldfälschers) könnte zwar mit einer gewissen Anerkennung ihres Virtuosentums rechnen, bliebe aber doch im Mechanischen stecken. Sie würde einen Fälscher auch nicht ernähren, da der Standort des Originals ja feststeht und damit der sekundäre Status des Abklatschs.
Was Beltracchi statt dessen tut, ist weniger Nachahmung als Nachempfindung. Er sucht nach einer »Lücke« im Werk, die ihn einlässt. Es bedeutet nicht nur, dass er zu rekonstruieren versucht, wie belegte, aber verlorene Bilder hätten aussehen können, sondern dass er imaginiert (man ist geneigt zu sagen: sich ausmalt), welche Gemälde sozusagen nur zufällig nicht entstanden sind. Er studiert die Werke des Künstlers, dem er nachstrebt, versetzt sich in dessen schöpferische Seele und schickt sich an, die Schwünge der Farbe mit demselben physischen und psychischen Duktus wie jener auf die Leinwand zu werfen. Große Bedeutung hat es für ihn, dass er sein Gemälde im gleichen Zeitrahmen fertigstellt, den auch der andere Maler sich dafür gesetzt hätte. Wenn er für ein Zweistundenbild vier Stunden bräuchte, so hat er erklärt, dann müsste sich die Differenz als ein verräterischer Gestus des Zauderns ausdrücken. Sobald er sich entschließt, das Werk eines Künstlers auf seine Weise zu ergänzen, dann schlüpft er in ihn hinein, wird zu ihm – und steht doch gleichzeitig reflektierend daneben, eine Doppelung, von der man nicht weiß, wie, nur, dass sie so offenkundig funktioniert. Wie das vor sich geht, hat er für das »Rote Bild mit Pferden« dargestellt, mit dem er an das überlieferte Werk des Expressionisten Heinrich Campendonks anschließt. (Das Bild existierte, ist aber verschollen.)
»Wie das Gemälde tatsächlich ausgesehen hat, weiß niemand. Campendonk hat es nicht beschrieben. Bekannt sind jedoch seine enge Freundschaft mit Franz Marc und August Macke, seine aufrichtige Bewunderung für Wassily Kandinsky und dass er sich mit den Kunsttheorien der drei auseinandergesetzt hat. Seine ersten Sindelsdorfer Bilder sind noch stark am Kubismus seiner französischen Malerkollegen orientiert, danach beginnt er innerhalb des Blauen Reiters seinen eigenen Weg zu gehen. (…) Jedenfalls war 1914 ein besonderes Jahr in Campendonks Schaffen, und so hätte das ›Rote Bild mit Pferden‹ für diesen Maler von ähnlicher Bedeutung sein können wie der berühmte, ebenfalls 1914 entstandene ›Sechste Tag‹.
Um diese Veränderungen zu markieren, legte ich das Bild geschlossener an, als es Campendonk in seinen Gemälden bis dahin zu tun pflegte, und gestaltete die Formensprache komplexer und detaillierter. Gleichzeitig sollte die Transparenz der Farben auf seine Hinwendung zur Glasmalerei verweisen. Aus all dem entstand die Darstellung einer Gruppe grasender Pferde in einer friedlichen, paradiesgleichen Umgebung, und ich glaubte, meinem Hauptanliegen nahegekommen zu sein; ein Gemälde zu schaffen, das von innen her leuchtet.«
Man beachte, wie hier die zwei sonst scharf gegeneinander abgesetzten Tätigkeitsfelder des Künstlers einerseits und des Kunsthistorikers bzw. -kritikers andererseits bruchlos ineinander übergehen. Als Kritiker registriert er Geschichte und Einflüsse; als Künstler legt er an, gestaltet und sorgt für das innere Leuchten. An der Grenzlinie beider Aktivitäten steht der Halbsatz »Um diese Veränderungen zu markieren …«. Der Weg verläuft hier genau umgekehrt, wie man es vom genuinen Künstler erwartet. Dieser beginnt mit dem kreativen Akt, und allenfalls hinterher lässt sich festhalten, dass hier bestimmte Änderungen eingetreten sind; auch er selbst vermag es dann zu sehen. Dass solche Umkehr gelingt, ohne dass sie in die Unmittelbarkeit des Ausdrucks verräterische Störungen und Stockungen einträgt, muss man als ein mehr denn virtuoses Talent, muss man als das spezifische Wunder Beltracchi bezeichnen. Noch ohne damit die Frage nach seinem Künstlertum abschließend zu beantworten, darf man doch hier schon behaupten, dass ein solcher Grad des Fälschertums jedenfalls eine größere Seltenheit bedeutet als selbst die große Kunst.
Und nur nebenbei sei erwähnt, was Beltracchi für Campendonk geleistet hat: Dieser war vorher unter den Expressionisten einer der eher weniger bekannten gewesen. Erst Beltracchis Schöpfungen bzw. die Auktionen, auf denen sie losgeschlagen wurden, verschafften ihm größere Aufmerksamkeit; es war die Rede von einem »Höhepunkt der Auktion« und einem »Schlüsselwerk der Moderne«. Die Preise für den Maler stiegen um etwa das Dreifache. Davon hat sich Campendonk sozusagen bis heute nicht erholt; auch nach Beltracchis Entlarvung ist die in Heller und Pfennig ausgedrückte Wertschätzung erhalten geblieben. Der Künstler (oder doch der Kunsthandel) steht tief in der Schuld des Fälschers. Der falsche Ruhm war der unentbehrliche Trittstein zum echten, oder jedenfalls zum unbestreitbaren Faktum des mittlerweile gezahlten Marktpreises.
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Was besagt all dies über das Wesen der Kunst, der zugrunde liegenden Original-Kunst? Die Preise für Kunst jeder Art haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen explosionsartigen Anstieg erlebt, alle naselang wird ein neues teuerstes Gemälde aller Zeiten versteigert; die Einhundert-Millionen-Grenze für ein einzelnes Bild ist längst geknackt. Wie gut, fragt sich der Laie, der weder Kunstgeschichte noch Betriebswirtschaft studiert hat, muss ein van Gogh oder Klimt sein, dass ein Stück Leinwand von ihnen, kleiner als ein durchschnittlicher Schreibtisch und manchmal an einem halben Vormittag angefertigt, solche Summen erzielt? Überschüssiges Kapital sucht sich neue Anlagesphären und findet sie mit besonderer Begeisterung dort, wo kein wie immer gearteter Gebrauchswert dem Tauschwert Schranken der Verhältnismäßigkeit setzt – das ist natürlich auch ein Grund. Gerade die nachgewiesene Nutzlosigkeit der neuzeitlichen Kunst begünstigt den entgrenzten Phantasiepreis. Eine Rolle spielt ferner die absolute Rarität. Sie kann es aber nicht allein sein; die Preise auch für seltenste Briefmarken oder Münzen bewegen sich deutlich unterhalb davon.
Vor allem ist es so, dass hier der Künstler persönlich den Kopf herhalten muss, viel mehr als ein römischer Kaiser, dessen Profil eine Goldmünze ziert. Was als die These vom »Tod des Autors« vor etlichen Jahren in der Literatur für Wirbel gesorgt hat, ist im Bereich der Kunst nie angekommen. Dort bürgt noch immer der Name ganz unmittelbar für den Rang des Werks. Die Vorstellung vom Genie als dem Ausnahmemenschen überträgt sich direkt auf das von ihm Hervorgebrachte. Die Überzeugung, dass beides ineinander gestiftet sei, Persönlichkeit und Werk, schreibt sich vom Zeitalter der Romantik her; sie hat sich in der Moderne als stabiler erwiesen, als man es deren sachlichem Habitus zugetraut hätte. Der Künstler, da hilft nichts, beglaubigt sich als Genie.
Erst Beltracchi entflicht auf skandalöse Weise dieses Ineinander. Er tut es, indem er den praktischen Nachweis führt, dass das betreffende Werk auch ohne den Nährboden der Persönlichkeit nicht nur entstehen, sondern auch bestehen kann. Alle Gutachter haben sich im Fall Beltracchi katastrophal blamiert: Das »Unechte« haben sie nicht herausgefunden.
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Es ist kein Zufall, dass Beltracchis Hauptaktionsfeld in der Klassischen Moderne liegt und weder in der älteren noch in der jüngsten Kunst. Bei der älteren Kunst liegt der Anteil des rein Handwerklichen am Werk, des »Meisterlichen«, so hoch, dass Beltracchi hier sozusagen nur kollegial hätte tätig werden können. Natürlich gibt es da auch Hindernisse bei der Beschaffung alter Rahmen, Leinwände usw. Doch vor allem wird er es so empfunden haben, dass z.B. ein zweitrangiger Rubens mit starker Werkstattbeteiligung unter seinem Niveau gewesen wäre. Hier hat das Geniale der Genie-Imitation keine Chance, zum Vorschein zu kommen. Die wesenhafte Übereinstimmung von Ur- und Nachbild erreicht hier nahezu einhundert Prozent, was reizlos ist. Umgekehrt geben seinen speziellen Talenten die modernen Konzept- und Bastelkünstler nichts zu tun. Jeff Koons zum Beispiel lässt malen, denn, wie er sagt: »Öl schafft Vertrauen« – ein Satz, dem man gern genialen Zynismus bescheinigen möchte. Zu Recht lehnt Beltracchi es ab, so etwas nachzumachen: Das würde ihn zum Domestiken erniedrigen, dem nichts als der legitimierende Auftrag fehlt. (Beltracchi hat es abgelehnt, seine Bilder als Konzeptkunst in Umlauf zu setzen, das wäre ihm wider die Fälscherehre gegangen.) Und die Bastler, die das untergegangene Atlantis aus hundert Millionen abgebrannten Streichhölzern nachschaffen, gleichen spielenden Kindern, die man ja auch nicht fragt, was sie können, denen man nur zusieht in ihrer tiefen manischen Versunkenheit, seinerseits träumend. Da beträgt die Überschneidung mit den Möglichkeiten des Virtuosen ziemlich genau null Prozent – reizlos auch das.
Aber jene Sattelzeit, jene entscheidende Umbruchsphase, als es die Künstler auf die eigene Kappe nahmen, das Neue kraft ihrer wie auch immer unzulänglichen charakterlichen und maltechnischen Voraussetzungen hervorzubringen, jene Kunst-Pubertät zwischen 1890 und 1950 mit ihren schmerzlich improvisierten Formen, die so persönlich und qualvoll waren wie Akne auf einem jungen Gesicht (von dem man allenfalls ahnt, dass es sich anschickt, ein schönes zu werden) – die bot sich dem geschulten und geschickten Maskenbildner an. Man betrachte zum Beispiel, was Max Ernst vollbracht hat, ein Künstler, den Beltracchi besonders gern zur Vorlage nahm. Er hatte keine akademische Ausbildung genossen, seine Art zu malen weist gewisse technische Defekte auf; und es gibt Leute, die geringschätzig behaupten, Max Ernst wisse noch nicht mal, wie herum man einen Pinsel hält.
Aber er erfand Tricks, wie sich mit minimalem Aufwand die Anmutung alter Meister aus dem 16. Jahrhundert erzielen ließ, die Frottage etwa, bei der Strukturen auf die Bildfläche durchgerieben wurden, oder die Décalcomanie, bei der man einen farbgesättigten Schwamm auf die Leinwand drückt und schmatzend wieder abhebt, wodurch sich verblüffende Grotten-Effekte ergeben. Das war schon von Max Ernst selber eine inspirierte Frechheit gewesen: die Vortäuschung malerischer Akribie, wo es in Wahrheit auch ein summarischer Handgriff tat. Beltracchi musste diese bereits vorproduzierte Frechheit dann nur noch zur Potenz erheben.
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Tote Künstler haben den Vorteil und Nachteil, dass sie nicht nachliefern können und die Zahl ihrer Werke dauerhaft konstant bleibt – und das, obwohl doch alles am kapitalistischen Markt auf das unbegrenzte Wachstum hinauswill. Der Markt kann sich, soweit es die alte Kunst betrifft, grundsätzlich nur auf dem Weg der Preissteigerung ausdehnen, wovon er auch reichlich Gebrauch macht. Aber diese Option genügt nicht: Es sind einfach immer zu wenig Objekte verfügbar. Von Vermeer wird es, ungeachtet seines suggestiven Namens, immer nur die altbekannten rund drei Dutzend Bilder geben.
So muss der Kunstmarkt zwei sich ausschließende Dinge auf einmal wollen: dass die Kunstwerke ihr erstaunliches Hochpreisniveau halten, indem sie ihre Unvermehrbarkeit im pathetischen Kultus des verstorbenen Genies verkünden; und dass ihre Anzahl aber trotzdem unter der Hand und irgendwie anwachsen möge, damit sich zu diesen paradiesischen Konditionen eine deutlich erhöhte Zahl von Geschäften machen lasse.
Unter solchen Verhältnissen wird die Fälschung nicht nur ermöglicht, wie herumliegendes Geld zum Einstecken animiert, sondern geradezu flehentlich herbeigerufen. Die Fälschung liefert dem Kunstmarkt, der an diesem inneren Widerspruch schwer leidet, die ersehnte Ausdehnung der Geschäftsgelegenheiten. Doch wohlgemerkt nur, solange das Ganze nicht auffliegt. Dass Beltracchi bei zunehmender Keckheit über Jahre ungestört hat prosperieren können, hängt damit zusammen, dass der Kunstmarkt es selbst gar nicht so genau wissen wollte, was echt und was falsch war. Anrüchig mag es gewesen sein, dass der Experte Werner Spies, der die Echtheit bescheinigte, am Verkaufsgewinn beteiligt wurde (mit immerhin acht Prozent) – unverständlich ist es nicht. Er wurde dafür belohnt, dass er den glühenden paradoxen Wunsch erfüllte, es möge von dem, von dem es unter keinen Umständen mehr geben soll, trotzdem immer mehr geben.
Der unenttarnte Fälscher ist der große Wohltäter des Markts und Betriebs, ihr Gleitmittel, wo es hart auf hart geht und zu stocken droht. »Du betrügst zwar«, hat Helene Beltracchi im Interview erklärt, »aber es gibt doch gar kein richtiges Opfer.« Im Gegenteil, solange alles gutgeht, gibt es nur Nutznießer: Keiner hat Geld verloren, alle haben welches gewonnen. So können ja auch Banken zehnmal so viel Geld, wie sie als Eigenkapital besitzen, verleihen, vorausgesetzt, niemand thematisiert diesen (im Prinzip bekannten) Umstand ausdrücklich. Das geschieht ganz regelmäßig und legal. Unangenehm wird es erst, wenn »someone calls the bluff«. Dann will plötzlich jeder sein Geld zurück, das nicht da ist, eine Panik entsteht, und es muss der Staat einspringen, um den Kollaps des Systems abzuwenden. Im Fall des aufgeflogenen Fälschers allerdings geschieht dies nicht, sondern es bleibt jeder auf seinem Schaden sitzen; und alle sind sich einig, dass, was er getan hat, bloß illegal war.
Aber erst, wenn er auffliegt. Bis dahin sind Markt und Fälscher sich insgeheim einig: Nichts ist letztlich so unimitabel, wie es tut, lässt sich doch alles über den einheitlichen Leisten des Marktpreises schlagen. Tut man dem Galeristen oder Kunsthändler, der den Fälscher von ferne erblickt, Unrecht, wenn man behauptet, er grüße ihn mit einem Augurenlächeln? Doch wenn es auffliegt, sind sie beide dran, und sie vermögen dann einander auch keinen Trost zu spenden.
Es bleibt Markt und Betrieb nichts übrig, als den heimlich Benötigten und Ersehnten öffentlich zu verleugnen und abzuwehren. Drei Mittel sind es, die sie gegen ihn, wie halbherzig auch immer, zum Einsatz bringen: die Stilkritik; die Provenienzforschung; und die Materialprüfung. Die Stilkritik hat im Fall Beltracchis ein Fiasko erlebt, von dem sie sich so schnell nicht und vielleicht nie wieder erholen wird. Was die Provenienz angeht, also den möglichst lückenlosen Nachweis des Verbleibs eines Kunstwerks von seiner Entstehung bis zur Gegenwart, konnten die Beltracchis mit ihren frei erfundenen historischen Sammlungen straffrei ein Theater von erstaunlicher Unverfrorenheit abziehen. Es genügte an einem bestimmten Punkt, dass sie ein altes Wohnzimmer nachstellten, mit Fotokopien der von ihnen mittlerweile verkauften Gemälde schmückten (kam ja sowieso alles schwarzweiß rüber), Helene Beltracchi mit Rüschenbluse und Häubchen als Großmutter posierte (was offenbar keinem auffiel) und das Ganze mit einer altertümlichen Kamera festgehalten wurde.
Zum Verhängnis wurden den beiden schließlich Fehler beim Material: Eine Farbtube, auf der »Zinnweiß« stand, enthielt in Spuren ein Titanweiß, das zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht auf dem Markt war. Sie fielen am Ende einer Fehldeklarierung zum Opfer. Man wird dieses Endes nicht recht froh. Es ist, als wäre Caesar, statt den Dolchen der Senatoren, einer Lebensmittelvergiftung erlegen. Sie sind über etwas gestürzt, was sich zu ihrem Können rein zufällig verhielt.
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Beltracchi, wie gesagt, ist ein entspannter Typ auch in widriger Lage. Er trägt seinen Anspruch so lässig vor, dass man ihn leicht übersehen kann. Sonst sollten weitere Kunstkreise doch erschrecken. Denn was er zuletzt von sich behauptet, das ist nicht nur, er sei so gut wie die von ihm Nachempfundenen, sondern besser. Man überlege sich, was das bedeutet.