Fatima - Jürgen Alberts - E-Book

Fatima E-Book

Jürgen Alberts

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Der berühmte Magier Augusto Benini versteht sich auf das Handwerk des Täuschens und Verzauberns. Bei einem Gastspiel in Lissabon erfährt er von einer Marienerscheinung in dem portugiesischen Dorf Fátima, bei der 25 Jahre zuvor sogar die Sonne getanzt haben soll. Bald steht für ihn fest, daß dort die katholische Kirche eine fromme Inszenierung zum Ausbau ihrer Macht veranstaltet hat. Beninis Ehrgeiz ist gepackt: Er will das christliche Wunder mit den Mitteln seiner Kunst entzaubern. Fatima ist ein fesselnder Roman über Illusionen, Aberglauben und darüber, in welche Gefahren sich einer begibt, der für ein wenig Aufklärung sorgen will. Denn viele haben etwas dagegen: die Staatsführung, ein Kardinal, das Opus Dei… Wer beherrscht die besseren Tricks? Das Buch basiert auf gründlich recherchierten Fakten rund um das "Wunder von Fátima". Zugleich führt es den Leser in eine Welt voller Täuschungsmanöver und überraschender Wendungen.

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JÜRGEN ALBERTS

Fatima

Ein katholischer Schelmenroman

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia

© 110th / Chichili Agency 2015

EPUB ISBN 978-3-95865-710-6

MOBI ISBN 978-3-95865-711-3

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur Chichili Agency reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Kurzinhalt

Der berühmte Magier Augusto Benini versteht sich auf das Handwerk des Täuschens und Verzauberns. Bei einem Gastspiel in Lissabon erfährt er von einer Marienerscheinung in dem portugiesischen Dorf Fátima, bei der 25 Jahre zuvor sogar die Sonne getanzt haben soll. Bald steht für ihn fest, daß dort die katholische Kirche eine fromme Inszenierung zum Ausbau ihrer Macht veranstaltet hat. Beninis Ehrgeiz ist gepackt: Er will das christliche Wunder mit den Mitteln seiner Kunst entzaubern.

Fatima ist ein fesselnder Roman über Illusionen, Aberglauben und darüber, in welche Gefahren sich einer begibt, der für ein wenig Aufklärung sorgen will. Denn viele haben etwas dagegen: die Staatsführung, ein Kardinal, das Opus Dei… Wer beherrscht die besseren Tricks?

Das Buch basiert auf gründlich recherchierten Fakten rund um das “Wunder von Fátima”. Zugleich führt es den Leser in eine Welt voller Täuschungsmanöver und überraschender Wendungen.

Der Autor

Jürgen Alberts studierte nach dem Abitur (1966) in Tübingen und Bremen Germanistik, Politik und Geschichte und promovierte 1973 am Fachbereich Kommunikation und Ästhetik der Bremer Universität zum Thema "Massenpresse als Ideologiefabrik am Beispiel BILD".

Er arbeitete als freier Mitarbeiter für den WDR und das ZDF und lebt heute als Schriftsteller in Bremen. Er schrieb Drehbücher, Hörspiele und 1969 den Roman NOKASCH U.A. sowie 1980 DIE ZWEI LEBEN DER MARIA BEHRENS, bevor er sich auch mit Kriminalgeschichten zu beschäftigen begann.

Gemeinsam mit Fritz Nutzke (Pseudonym für Sven Kuntze) veröffentlichte er 1984 den mit Science-Fiction Elementen durchsetzten Kriminalthriller DIE GEHIRNSTATION und ein Jahr darauf als Alleinautor die Fortsetzung DIE ENTDECKUNG DER GEHIRNSTATION.

Nach dem Roman TOD IN DER ALGARVE (gemeinsam mit Marita Kipping) schrieb Alberts den Polizeiroman DAS KAMERADENSCHWEIN, in dem es um den Fall eines Bremer Kommissars geht, der sich gegen die Weisungen seiner Kollegen als Nestbeschmutzer betätigt, weil er hartnäckig in einem Fall von Polizeigewalt gegen einen Verdächtigen ermittelt.

In seinen weiteren Romanen DER SPITZEL, DIE CHOP-SUEY-GANG und DIE FALLE befasste sich Alberts in den darauffolgenden Jahren immer eingehender mit dem Innenleben der Bremer Polizei und ihrer Führung, bis schließlich mit KRIMINELLE VEREINIGUNG 1996 der zehnte Roman der später so bezeichneten Serie "Bremen Polizei" vorlag.

1987 veröffentlichte Alberts den semi-dokumentarischen Roman LANDRU, in dem es um mögliche politische Hintergründe zum Fall des französischen Frauenmörders Henri Desire Landru (1869 - 1922) geht, der zu Beginn dieses Jahrhunderts wegen Mordes an zehn Frauen verurteilt und hingerichtet wurde.

1988 erschien Jürgen Alberts' Kriminalroman ENTFÜHRT IN DER TOSKANA, den er gemeinsam mit Marita Alberts schrieb, ebenfalls mit seiner Frau schrieb er den Griechenland-Krimi GESTRANDET AUF PATROS.

Von 1990 bis 1991 und von 2001 bis 2005 war Jürgen Alberts einer der Sprecher der "Autorengruppe deutsche Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT"

Preise:

1988 Glauser - Autorenpreis deutsche Kriminalliteratur für "Landru"

1990 CIVIS-Preis des WDR und der Freudenbergstiftung für "Eingemauert"

1994 Deutscher Krimi Preis für "Tod eines Sesselfurzers"

1997 Marlowe Preis der Deutschen Raymond Chandler-Gesellschaft für "Der große Schlaf des J.B. Cool"

«Ich, glaube, dass Newton an dem Busen eines Mädchens nichts anderes sah, als eine krumme Linie, und dass ihm an ihrem Herzen nichts merkwürdig war, als sein Kubikinhalt. Bei den Küssen seines Weibes denkt ein echter Chemiker nichts, als dass ihr Atem Stickgas und Kohlenstoffgas ist. Wenn die Sonne glühend über dem Horizont aufsteigt, so fällt ihm nichts weiter ein, als dass sie eigentlich noch nicht da ist. Die Gegend ist dem Mineralogen nur schön, wenn sie steinig ist, und wenn der alpinische Granit von ihm bis in die Wolken strebt, so tut es ihm leid, dass er ihn nicht in die Tasche stecken kann, um ihn in den Glasschrank neben die anderen Fossile zu setzen - wie traurig diese zyklopische Einseitigkeit.»

Heinrich von Kleist an Adolfine von Werdeck,

Paris, 29. Juli 1801

1

Löschen Sie das Licht», befahl Augusto Benini, «ich will etwas sehen.»

Nach und nach wurden die glitzernden Kronleuchter ausgeschaltet, die mit goldenen Blättern verzierten Wandlampen erloschen, Glühfäden glimmten nach. Nur die vierzehn hohen Kerzen gaben dem Restaurant ein wenig Helligkeit. Benini überprüfte jede einzelne von ihnen. Befühlte den Mechanismus im Kerzenständer. Langsam glitt sein Zeigefinger den elektrischen Kontakt entlang.

«Senhor Benini, wir können die Gäste nicht mehr länger warten lassen.» Der Oberkellner drängte.

«Ich schon», gab Benini zurück und ließ sich nicht unterbrechen. Nach ein paar Minuten rief er: «Licht an!» Die roten und weißen Blumen, die er auf den runden Mitteltischen drapiert hatte, würden im Laufe der Nacht ihre Farbe ändern. Zwei riesige Sträuße künstlicher Tulpen, die von einem holländischen Handwerker so exzellent gearbeitet waren, dass keiner der Gäste sie nicht für echt hielt. Ihn störte eine Pflanze, die zu gerade herausragte. Mit sicherem Griff bog er sie zurecht.

Vor dem «Tavares» wurde es laut. Das Lissaboner Restaurant in der Nähe der Praça Camões war für diese Premierenfeier geschlossen. Zutritt nur mit der violett umrandeten Einladungskarte. Der Oberkellner, dessen Schnauzbart hin- und her tanzte, kleine Schweißperlen auf der schmalen Nase, sah sich hilfesuchend nach dem Besitzer um, der aufgeregt jede Bewegung des Magiers verfolgte. Sie tuschelten miteinander.

Augusto Benini wandte sich seiner schwarzen Katze zu. Er holte hinter einem Vorhang das Piedestal hervor. Mit einem gewaltigen Satz sprang die Katze hinauf, drehte sich einmal, zweimal um sich selbst, rollte sich dann ein. Benini wartete geduldig, bis das große Tier richtig lag. Die ausgelassenen Premierengäste verlangten Eintritt. Sie trommelten an die Scheibe. Der Oberkellner faltete die Hände. Langsam erhob sich der Besitzer des «Tavares» und ging auf Benini zu.

«Wird es noch lange dauern, verehrter Meister?», fragte er mit sanfter Stimme Sein Englisch klang wie das Anschlagen einer Harfe.

«La gatta frettolosa fece i gattini ciechi», Benini lächelte, «ich wünsche keine blinden Augenblicke. Noch ein paar Minuten.» Der Besitzer entfernte sich, demütig.

Augusto Benini stand schweigend im hohen Raum, in dem sich die feine Lissaboner Gesellschaft traf. Nur die Decke mit ihrem goldglänzenden Stuck hatte er nicht in seine Dekoration einbeziehen dürfen. Die weißen Tücher, die er für die Ausübung seiner Wassertricks brauchte, waren an langen Stahlseilen aufgehängt. In Gedanken ließ er die nächste Stunde Revue passieren. Das Büfett hatte er mit keinem Blick gewürdigt. Es würde exquisit sein. Die Kerzen, die Blumen, die Spiegel, die eine viertel Stunde später Bilder freigeben würden, die explosiven Stühle, die Katze, die auf ihrem Piedestal schlief:

«Wo ist Jeremy?», fragte er leise.

Der schwitzende Oberkellner zuckte mit den Achseln. Auch der Besitzer schüttelte den Kopf. Sein Manager, der ihn seit mehr als zehn Jahren begleitete, hatte die Eigenheit, die wichtigsten Momente zu verpassen. Nicht dass er seiner Anwesenheit bedurft hätte. Es wird ihm entgehen, wenn die ersten Gäste hereinkommen, wie sie sich umsehen, wie sich ihr Erstaunen ausdrückt, wie sie etwas zu ergründen suchen und doch nicht wissen, wonach sie suchen müssen.

In jedem Land war das Erstaunen verschieden. Die Italiener hielten die Spannung nicht aus, spitze, kleine Schreie, die Deutschen verhielten sich ruhig und applaudierten dann um so heftiger, die Schweden ließen sich nichts anmerken, bis sie ihrer Verwunderung durch exaltiertes Klatschen freien Lauf gaben. Benini hatte in den langen Jahren seiner Karriere eine Typologie des Erstaunens zusammengetragen. Das fast andächtige Zusehen der Belgier, große Gesichter, offene Münder, sich gegenseitig versichernd, dass sie nicht träumten. Das verdutzte Grinsen der Engländer, die bis zum Schluss skeptisch blieben, als hätten sie bemerkt, wie ein Trick funktionierte. Wie würden die Portugiesen sein? Augusto Benini wartete gespannt.

Vor der Tür nahm der Tumult zu.

Der hagere Besitzer des «Tavares» flehte den Magier an, nun doch bitte die Türen öffnen zu lassen. Schließlich stehe draußen, und er sagte das ganz feierlich, die Macht von Lissabon. Er sagte nicht die Mächtigen, nicht die feine Gesellschaft, nicht die Reichen, die sich leisten konnten, soviel für ein Dessert auszugeben, wie ein portugiesischer Bauer im Monat verdiente.

Augusto Benini erwiderte nichts. Er war konzentriert. Überlegte ein letztes Mal die Reihenfolge, den Ablauf seiner zweiten abendlichen Vorstellung. Auf diese Präsentation kam es noch mehr an als auf die Premiere im «Coliseu», die ein vollkommener Erfolg geworden war. Er hielt für die Premierenfeier stets ein Sortiment von Tricks bereit, ein paar handfeste Überraschungen, von denen man noch sprach, wenn er das Land verlassen hatte und schon wieder in einer anderen Hauptstadt auftrat.

Während der Vorstellung im ausverkauften «Coliseu» hatte es einige unsichere Lacher gegeben, die ihm ungewohnt vorkamen, ihn irritierten, er wollte ihnen nachgehen, es war an Stellen gelacht worden, an denen kein Lacher vorgesehen war. Er würde das mit Julia besprechen, seiner portugiesischen Assistentin. Das musste geändert werden. Augusto Benini hob den rechten Arm und verschwand hinter dem Vorhang aus golddurchwirktem rotem Brokat.

Als würde der Schieber eines Bienenkastens geöffnet, strömten die Besucher herein, ungestüm, laut, erregt gestikulierend. Die weißen Pelze der Damen schimmerten, die grünen Uniformen der Militärs mit ihren lackierten Ehrenzeichen, zwei kirchliche Würdenträger in schlichtem Schwarz, mit dicken, rotfunkelnden Ringen.

Sie hatten die Katze entdeckt.

Zeigten mit Fingern auf sie.

Das Piedestal war hoch genug, dass die Premierengäste auf einen Stuhl hätten steigen müssen, um sie zu streicheln. Die schwarze Katze spielte in Beninis Vorstellungen eine wichtige Rolle. Mal war sie auf ihrem Platz, plötzlich verschwunden, dann wieder anwesend. Ein Blick genügte. Ein winziger Blick zu ihr hinauf. Die Zuschauer erschraken. Eine kurze Irritation. Niemand hatte bemerkt, wie sie verschwand. Und niemand bemerkte, wie sie wieder auf ihren hohen Sockel kam. Den Einfall zu dieser Verblüffung hatte Benini bei Lewis Carroll gefunden, die «cheshire cat» aus «Alice in Wonderland». Der Trick, sie unbemerkt von der Bühne verschwinden und wieder erscheinen zu lassen, war sehr simpel, die Wirkung phänomenal.

Augusto Benini genoss die Szene. Sie waren gekommen, um sich illusionieren zu lassen, um dem Magier zu huldigen. Sein internationaler Ruf hatte tagelang vor seinem ersten Auftritt für Schlagzeilen gesorgt. Als Probe seines Könnens war er mit verbundenen Augen durch die Stadt gefahren, in Begleitung des obersten Polizeichefs von Lissabon. Eine Aktion, die er auch schon in anderen Städten durchgeführt hatte. Die Presse berichtete ausführlich.

Auch der Polizeichef, dessen Körpergeruch während der Autofahrt immer süßlicher, penetranter wurde, war zur nächtlichen Feier eingeladen. Der feiste Portugiese hatte im Wagen kein Wort mit ihm gesprochen. Ängstlich. Starr auf die Straße konzentriert. Er rechnete jede Sekunde mit einem Unfall. Mit beiden Händen klammerte er sich an den Elfenbeingriff des Benz. Benini hatte ihn während der kleinen Reise genüsslich beobachtet.

«Wann wollen Sie mit der Vorstellung beginnen?», fragte der Besitzer des «Tavares», als er hinter den Vorhang trat.

«Sie hat schon begonnen», sagte Benini und wies auf die hohen Kerzen, die mit einem kurzen Knall zu metallenen Schwertern wurden. Sofort setzte Applaus ein. Der Besitzer ließ den Magier stehen und verbeugte sich, als gelte der Applaus ihm.

Dann hob er die Stimme zu einer kleinen Ansprache. Eine besondere Freude, in diesem festlichen Rahmen, die ehrwürdigen Gäste, die Tradition des Hauses, der ganz besondere Künstler, der selbstverständlich zum Ehrenmitglied des Restaurants ernannt werde...

In diesem Augenblick explodierte ein Stuhl.

Gelächter, Beifall.

Der Besitzer wirkte leicht verstört.

«Er wird Sie nachher persönlich begrüßen, denke ich», nun stotterte der sonst so selbstsichere Chef des Hauses, «wenn er seine Anwesenheit nicht schon...»

Die Katze war verschwunden.

Die Gäste hatten das Büfett kaum beachtet, die gefüllten Champagnergläser standen unberührt. Niemand wollte auch nur einen Trick verpassen.

Augusto Benini erkannte sie sofort. Die Frau in der rotseidenen Stola. Isabela. Sie war ihm vor vielen Jahren nachgereist. Isabela. Wie kam sie zu einer Einladung? Benini glaubte nicht an Zufälle. Der leichte Silberblick. Die schwarzwelligen Haare. Konnte sein Manager wissen, dass er diese Frau kannte? Isabela. Seit damals war sie noch schöner geworden. Benini hätte beinahe seinen Auftritt verpasst. Mit einer eleganten Begrüßung trat er vor den Vorhang. Er konnte den Blick nicht von Isabela nehmen.

«Ich dachte, Sie wären stumm», sagte eine Dame in gurrendem Ton.

«Nein, nein», erwiderte Augusto Benini, «ich kann sprechen. Nur leider nicht die Landessprache. Aber das wird sich ändern. Ich habe schon begonnen zu lernen. Bemvindo com muito gosto.»

Er verbeugte sich.

So hatte er es immer gehalten, wenn er in ein Land kam, dessen Sprache er nicht beherrschte. Augusto Benini, der stumme Magier, das erhöhte seine Attraktivität. Während der Vorstellung sprach nur seine Assistentin. Der Text war ausgefeilt, exzellent übersetzt, die Pausen in Sekundenlänge angegeben.

«Ach, die Katze», sagte Benini, jetzt wieder in Englisch, «wo ist sie nur hin? Keine Angst, sie findet immer wieder zurück.» Er lächelte ein wenig, als er zum leeren Piedestal hinauf schaute. Isabela stand mit dem Rücken zum Büfett, sah ihn aber nicht an. Die Portugiesen schienen, wie die Spanier, ihr Erstaunen kaum verbergen zu können.

Aufregung.

Sie hatten entdeckt, dass die weißen Tulpen plötzlich violett waren.

Augusto Benini nahm sich ein paar Stückchen in Limonensaft gegarten Fisch und ein wenig Salat.

«Wir kennen uns.» Jetzt stand er neben Isabela. Dieser Blick.

«Wirklich? Woher?»

«Später», erwiderte Augusto Benini, «lassen Sie uns später reden.» Er wollte nicht verpassen, wenn sein Publikum die großen Wandspiegel in Augenschein nahm, die nun Bilder zeigten. Meisterwerke von Tizian und Rembrandt, da Vinci und El Greco. Bisher hatte sie niemand bemerkt. Es wurde Zeit, die Katze wieder erscheinen zu lassen.

«'Welchen Trick werden Sie diesmal enthüllen?», fragte ein rundlicher Herr im weißen Smoking, «ich war in Paris dabei, als Sie der Presse offenbarten, wie das mit den drei Tennisbällen in der kleinen Flasche funktioniert.»

«Wer weiß», gab Benini zurück. Er bedankte sich für das Interesse an seiner Arbeit. Es war nicht das erste Mal, dass jemand ihn auf die Enthüllung eines Tricks ansprach.

Entgegen der Gewohnheit aller Magier, niemals zu verraten, wie ein Trick funktionierte, beschäftigte Augusto Benini die Phantasie seines Publikums wochenlang damit, einen noch nie gesehenen Vorgang zu erklären. Zum einen wurde gerätselt, welches seiner vielen Kunststücke er preisgäbe, zum anderen hielt sich in der Presse die Debatte, was die Leser und die Zuschauer gerne erklärt haben wollten. Benini spielte mit den Erwartungen.

«Ich hätte eine Frage», ein Mann, dessen kurzgeschnittenes Haar an einen Strafgefangenen erinnerte, stellte sich dem Magier in den Weg.

«Bitte, heute keine Fragen journalistischer Art. Es ist doch bekanntgegeben worden, dass ich morgen für Interviews zur Verfügung stehe.»

«Ich weiß», sagte der Mann, dessen Äußeres nicht ins «Tavares» passte. Sein Anzug leicht abgeschabt, die Krawatte locker geknotet. «Mich würde nur eins interessieren: Warum sind Sie so lange Portugal ferngeblieben?»

Benini zögerte ein wenig, bevor er antwortete.

«Ich hatte meine Gründe. Aber wollen wir nicht später, oder morgen, ich meine…“

Ein neuerlicher Applaus unterbrach das Gespräch.

Der Polizeichef hielt statt eines Champagnerglases eine Kerze in der Hand.

Sofort bildete sich ein Kreis.

«Ich hab doch gar nichts gemacht», sagte er ängstlich.

In diesem Moment löste der Magier eine Kaskade von kleinen Verblüffungen aus. Die Blicke wanderten hin und her. Ein Aquarium mit buntschillernden Fischen, ein Springbrunnen aus einer Weinflasche, die Wassertricks. Augusto Benini goss jedem Gast das Getränk ins Glas, das er am liebsten trank. Immer aus derselben Karaffe.

Die Katze saß wieder auf ihrem Sockel. Sie schlief.

«Sie wollten etwas über die Gründe sagen...» Der Mann nutzte einen Augenblick der Ruhe.

«Morgen, morgen können Sie mich alles fragen! Bitte, haben Sie Verständnis »

Augusto Benini mochte zudringliche Fragesteller, besonders wenn es sich nicht um Journalisten handelte. Wenn sich einer abspeisen ließ, interessierte er ihn nicht mehr.

Die Gäste amüsierten sich, redeten laut über diesen und jenen Trick. Sie tranken wenig, immer bereit, sich weiter überraschen zu lassen. Benini hatte seine Atmosphäre verbreitet: die andauernde Gespanntheit, etwas Ungewöhnliches zu erleben. Die Augenblicke des Surprise, die Erwartung des Schocks.

«Hatten Sie keine Angebote aus Portugal, bei Ihrem Renommee?»

«Ich habe hier eine große Enttäuschung erlebt. Reicht Ihnen das?»

«Keineswegs», sagte der Mann, der Benini vorkam wie der ungeratene Sohn einer reichen Familie. Die kurzen Haare ließen zwei Narben am Kopf erkennen. Sein Englisch war in Oxford poliert.

«Es war an einem 12. Oktober, das weiß ich genau. Ich habe nie wieder an einem 12. Oktober gespielt, das steht in meinen Verträgen», der Magier senkte die Stimme, als gelte es, die illusionierten Gäste nicht zu stören, «ich stand auf der Bühne eines städtischen Theaters, und nicht ein Zuschauer war erschienen. Nicht einer. Wir haben schnell abgebaut. In der gleichen Nacht habe ich Portugal verlassen. Ich war damals noch nicht so bekannt wie heute ...» Augusto Benini zeigte das Lächeln, das er auf der Bühne einsetzte, wenn anscheinend ein Trick misslungen war.

«Wann war das?» Der Kahlgeschorene flüsterte jetzt.

«Lange her, sehr lange her., Entschuldigen Sie mich.» Der Magier ließ den Mann stehen, denn er sah, dass, Isabela das «Tavares» verlassen wollte. Er nahm ihre Hand. «Schön, dass Sie gekommen sind... Sie wollen doch nicht gehen... Der Höhepunkt steht erst bevor.»

«Leider müssen wir uns verabschieden, wir haben eine lange Fahrt vor uns», radebrechte der Jüngling, der seinen Arm um Isabelas Schultern legte. Isabela blickte Benini nicht an. Als sei sie gekommen, ohne anwesend sein zu wollen.

«Ich werde mir Ihre Show noch des Öfteren ansehen», der Jüngling trug einen Binder, der silbrig glänzte, blaue Sternmotive, «so etwas sieht man selten, sehr selten.»

«Und Sie?», fragte Benini. Er ließ Isabelas Hand nicht los.

«O ja, auf jeden Fall. Ich habe mich gut amüsiert. Und ich weiß, wovon ich spreche. Ich stehe selbst auf der Bühne » Der Magier wollte die beiden nicht gehen lassen, aber sein Manager bat ihn, sich den anderen Gästen zu widmen.

«Da hinten wartet seit geraumer Zeit der Bürgermeister, seine Tochter möchte ein Autogramm haben.»

Der Magier verharrte einen Augenblick. Vielleicht war es doch nicht Isabela, dachte er. Es war selten vorgekommen, dass er Gesichter verwechselte. Schon um die Skeptischen im Publikum zu beobachten, diejenigen, die reserviert blieben, genau hinschauten, für deren Verblüffung er besonders gerne arbeitete, prägte er sich Gesichter ein. Ein kleines Merkmal genügte. Ein Muttermal, ein schmaler Mund, ein Ohrläppchen, das größer war als das andere. Es bereitete ihm Vergnügen, die Zweifler auf die Bühne zu holen, damit sie aus der Nähe sahen, dass sie nichts erkennen konnten. Zweifler nannte er seine Lieblinge

Dann kamen die Pflichtübungen: Autogramme, Händeschütteln, freundliche Worte in vielen Sprachen, wieder Autogramme auf dem Foto, das ihn als Vierzigjährigen zeigte. Die immer gleiche Frisur, der Pagenschnitt, wie ein Fenster für seine bräunlich grünen Augen, die an die Farbe tropischer Gewächse erinnerten. Die Falten auf der Stirn, um Nase und Mund, überschminkte er. Vor einigen Wochen war er einundfünfzig geworden.

Genau siebzig Minuten nach Öffnung der Türen ließ Benini das Licht löschen. Die spitzen Lacher verstummten, ebenso die schrillen Gespräche. Der Magier stellte sich vor sein Publikum. Die vielen Spiegel im Raum zeigten ihn von allen Seiten. Die Katze erhob sich auf ihrem hohen Sockel.

Die Assistentin Julia erklärte, dass Benini nun verschwinden werde, aber keine Sorge, man könne ihn jeden Abend im «Coliseu» bewundern. Niemand lachte, die Gespanntheit war zu groß. Zusammen mit dem Manager legte sie eine portugiesische Fahne über den Zauberer.

Hinter dem Vorhang schlug jemand einen Trommelwirbel.

Die Kerzen flackerten. Ein Lichtblitz.

Jeremy und Julia rissen die Fahne hoch.

Augusto Benini hatte sich entmaterialisiert.

2

Einen solchen Ansturm hatte der Portier des «Avenida Palace» lange nicht erlebt. Dabei versah er schon mehr als dreißig Jahre den Dienst an der Drehtür des ehrwürdigen Hotels. Operndiseusen, Schlangenbeschwörer, aufgetakelte, mondäne Damen und angetrunkene ältere Herren, die meist den Austritt verpassten und eine weitere Runde Drehtür laufen mussten, junge Schnösel, die nicht das Geld für eine Nacht besaßen - er hatte gelernt zu unterscheiden. Die Herrschaften, die sich jetzt an der Rezeption tummelten, gehörten zu den schlimmsten Zeitgenossen. Er nannte sie Verleumder.

«Sie werden sich ein wenig gedulden müssen», sagte Jeremy Snow in den Hörer, «aber ich komme rechtzeitig hinunter.» Dann legte er auf. Jeremys großer Auftritt. Er durfte auswählen, arrangieren, vorlassen und abweisen, er durfte regulieren, wer mit dem großen Magier wann und wie lange sprach. Am zweiten Tag ließ Benini stets seine Vorstellung ausfallen, um auszuruhen und sich völlig der Presse zu widmen. Sein Manager dirigierte die Bittsteller. Ein wenig gedulden, er ließ die Worte nachklingen, das gehörte zum Konzept. Warten steigerte die Emotionen, die Gespanntheit, die Aufmerksamkeit, Warten schuf die gewünschte Atmosphäre. Schon lange hatten sie aufgehört, alle Journalisten zu einem gemeinsamen Pressetermin einzuladen. Jeder wurde einzeln hereingebeten, mit ein paar Details versorgt, die er exklusiv bekam. Ihre Eitelkeit musste bedient werden. Jeremy nannte sie nützliche Feinde.

Augusto Benini war gerade aufgewacht. Er hasste diesen Tag, dieses andauernde Wiederholen von tausendmal gegebenen Antworten. Am liebsten hätte er Jeremy gebeten, ihn mit Unpässlichkeit zu entschuldigen. Konnte er nicht einmal allein die gierige Meute abspeisen? Fotos gab es genug von ihm. Wahrscheinlich wollten diese einfallslosen Amateure wieder, dass er mit seiner Katze posierte. Benini sah auf die Uhr. Noch eine Stunde, bis die Langeweile begann. Er zog' an der grünen Kordel.

«Meine Herrschaften, Mister Snow wird gleich hier sein. Ich bitte um etwas mehr Ruhe und Contenance, Sie befinden sich nicht auf dem Cais do Sodré. Mister Snow lädt Sie zu einem Kaffee und einem Cognac in den Blauen Salon. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.»

Der Portier sah den Verleumdern nach, ungehobelte Horde, die ihn nie eines Blickes würdigte. Nun wurden sie auch noch eingeladen. Werden sich besaufen. Und wenn die Kritiken schlecht waren, wer bekam es zu hören? Natürlich er. So war es immer gewesen. Eine Operndiseuse hatte ihm geschworen, nie wieder nach Portugal zu kommen, es sei denn, sie brächte einen von diesen Kritikern um.

«Ich hoffe, der französische Cognac ist zu Ihrer Zufriedenheit, meine Herrschaften. Wir wollen es so halten. Ich habe hier Nummern, die Sie ziehen dürfen, damit bestimmt sich die Reihenfolge der Interviews.» Der Manager trug bei seinem großen Auftritt einen silbergrauen Blazer mit rosafarbenem Einstecktuch und seidener Fliege. Der weit heruntergezogene Backenbart war gestutzt und auftoupiert. Er überblickte die nützlichen Feinde - die Schar war ausgesprochen zahlreich - prägte sich die Gesichter ein, er wusste, welcher wichtig war und welcher nur ein Provinzblatt vertrat. Benini hatte ihm den Trick gezeigt, mit dem man Nummern in einer gewünschten Reihenfolge verteilen konnte. Das fiel niemandem auf. Nur einen der Anwesenden kannte der Manager nicht. Ein Mann mit kurzgeschnittenem Haar. Snow ging auf ihn zu: «Welche Zeitung?» Ohne zu antworten, zog der Mann eine Nummer. Es war eine blaue 22.

Im Bett studierte Augusto Benini die Einladungsliste für die Premierenfeier. Jeremy hatte hinter jedem Namen sorgsam aufgeführt, warum er wen zu der nächtlichen Show ins «Tavares» gebeten hatte, auch Titel und Profession waren notiert. Das Frühstück im «Avenida Palace» ließ nichts zu wünschen übrig. Es half ein wenig, den Tag der Amateure zu überstehen. Die Lissaboner feine Gesellschaft hatte klangvolle Namen, ganz anders als in London oder Paris. Adelstitel, Reynolds de Brandão, Doppel-, ja Tripelnamen. In Paris hieß jemand Colbert oder Landru, damit hatte es sich. Isabela konnte der Magier auf der Liste nicht entdecken.

Eine halbe Stunde später saß ihm im Empfangszimmer der Suite ein Redakteur von «0 Século» gegenüber. Er spreizte beim Notieren den kleinen Finger ab.

«Ich kenne keinen Blinden, der Auto fahren kann», wiederholte er, «und Sie sind nicht blind. Es gibt nur eine Möglichkeit: Sie haben etwas gesehen, als Sie durch Lissabon gefahren sind.»

Augusto Benini nahm sich eine kleine Zigarre aus dem silbernen Kästchen, das auf dem Beistelltisch stand. Dieses Grandhotel wusste, welchen Service seine prominenten Gäste bevorzugten, sie hielten sogar seine Lieblingsmarke bereit. In aller Ruhe knipste er das eine Ende ab und steckte sich die Zigarre kunstvoll an. Ein gemütlicher Raum, ein gemütlicher Sessel und das dumme Gesicht dieses Redakteurs.

«Nun ja, Sie haben keine Erklärung dafür, wie ich es schaffe, ohne etwas zu sehen Auto zu fahren. Aber das heißt doch nicht, dass ich blind bin. Zwischen Sehen und Nichtsehen gibt es eine Menge Möglichkeiten.»

Der Magier liebte das Spiel, mehr Verwirrung zu stiften als Klärung. Nur selten war jemand auf der richtigen Spur. Er begeisterte die Amateure durch Verwirrung. Gab ihnen Rätsel auf. Wie hatte sein Lehrer in Ascona gesagt? «Il tempo tutto cancella. Il tempo non aspetta nessuno.» Manchmal wiederholte er diese Sätze und ließ sie in die Landessprache übersetzen. Der Redakteur notierte eifrig: Zeit, Geschwindigkeit, Verblüffung.

Im Sonnenlicht reflektierte der bläuliche Nebel der Zigarre.

«Ich verstehe», gab der Redakteur selbstbewusst von sich. Der Magier sah, dass sein Gegenüber nichts verstand. Er ließ es ihn nicht merken.

Julia übersetzte, was der Magier von sich preisgab: die Kindheit in der italienischen Schweiz, der strenge Vater, ein erfolgloser Versicherungsvertreter, der zu Hause von seinen Siegen berichtete, der Zauberlehrer Agostini, der ihm beibrachte, wie man Milch in eine Tüte goss, ohne dass sie feucht wurde. Er beherrschte diese Sätze, ohne sich konzentrieren zu müssen. In Gedanken war er bei einem Trick, der daraus bestand, Wasser aus einem Stück Eisen zu pressen.

«Noch eine Bitte. Unsere Leser hätten gerne ein Foto von Ihnen und Ihrer Katze.»

Der Manager ließ den Fotographen eintreten. Benini sah aus dem Fenster. Wie gerne würde er jetzt auf der Praça Rossio sitzen, einen schwarzen Kaffee trinken und vor sich hin dösen.

Aber er musste posieren.

Das Magnesiumlicht flammte auf.

Die Katze öffnete nicht einmal die Augen.

Die Nummer Zwei war einer Journalistin von «A Lanterna» zugeteilt worden. Sie liebte die Wassertricks. Hatte auch eine Theorie über das plötzliche Auftauchen des fünfhundert Liter Aquariums, mitsamt den buntschillernden Fischen. Sie freute sich, dass der Magier nachdenken musste, bevor er antwortete. Sie zeigte ihre Freude, ihr rechter Fuß wippte, als wolle sie zum Tanzen aufgefordert werden.

Julia übersetzte, dass Beninis Mutter, eine schweigsame Sardin, ihn gegenüber dem Vater verteidigt hatte, ihr Sohn würde Uhrmacher werden und sei noch nie eine Minute zu spät gekommen. Kurz vor seinem Tod erfuhr Francesco Petri, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Er starb am Weihnachtstag 1910, erschreckt von einem Trick seines ältesten Sohnes - damals hieß er noch Carlo -, der einen Stuhl explodieren ließ.

«Ist die Katze immer die gleiche? Ich habe im «Tavares» genau hingesehen. Mal war ihr Fell ein wenig heller, mal kam es mir dunkler vor?» Augusto Benini zog an seiner Zigarre. Er versuchte, eine komische Antwort zu geben, aber es fiel ihm nichts ein. Also antwortete er mit seinem Standardsatz.

«Katzen mögen es gar nicht, wenn sie verschwinden. Das geht nicht nur meiner Cheshire so.» Die Journalistin freute sich über das Zitat, wollte es auf jeden Fall in ihrem Artikel verwenden. Mittels einer Vorrichtung am Stuhl gab der Magier im Vorzimmer Jeremy ein Zeichen. Kurz darauf erschien er.

«Wünschen Sie ein Foto von Senhor Benini?», fragte der Manager in näselndem Ton.

Die Journalistin bedauerte, dass ihre Interviewzeit beendet war.

«Ja, ich hätte gerne eins, allerdings von ihm und der verschwundenen Katze.»

Sie lachte und zeigte ein schlechtes Gebiss.

Benini posierte.

Ohne Katze.

Das Magnesiumlicht flammte auf.

Wie viele von diesen Fotos gab es wohl? Immer der gleiche Gesichtsausdruck, der romantischverträumte Blick, still, konzentriert. Die Pagenfrisur, die er schon in seiner Jugend getragen hatte, die graue Samtjacke mit den farbigen Schnüren. Ein ernster Herr, knapp über fünfzig, der seinem Publikum Rätsel aufgab. Wo lag das Geheimnis dieses Magiers?

«Sehr wichtig», raunte Jeremy Benini zu, als er die Journalistin hinausbegleitete, «Dr. Chorias kommt von <A Ordem>, ein sehr einflussreicher Mann.»

Nummer drei, dachte Benini. Er blinzelte Julia zu. Ein verschmitztes Lächeln. Diesmal würde er die Geschichte erzählen, wie er ausgerissen war, um Agostini, den Zauberlehrer in Ascona, zu besuchen.

Dr. Chorias verbeugte sich, sprach seine Bewunderung aus, zollte Applaus für ausgezeichnete Leistungen, er habe noch nie einen Zauberer gesehen, der mit einem solchen Tempo auf der Bühne arbeite.

«Ich habe alle Großen in Europa erlebt. Ich sage, Benini ist der Größte.»

Dann setzten sie sich.

«Welchen Trick werden Sie denn verraten, Senhor Benini?» Sein Englisch war ohne Akzent.

«Das weiß ich leider noch nicht. Aber auch wenn ich es wüsste, Sie kennen mich doch, ich werde es erst am Ende meines Gastspiels im <Coliseu> verraten.»

«Aber ein kleiner Hinweis für unsere Leser könnte die Spannung erhöhen.»

«Ich gebe Ihnen das Versprechen, dass Sie als erster in, sagen wir, vierzehn Tagen einen Hinweis bekommen »

Dieses Verfahren hatte der Magier zusammen mit seinem Manager schon in verschiedenen Städten ausprobiert, eine wunderbare Wirkung ging davon aus: Kaum hatte eine Zeitung begonnen, etwas zu berichten, zogen die anderen nach.

«Was halten Sie vom Krieg, Senhor Benini?»

«Wie kommen Sie darauf?» Den Magier überraschte diese Frage.

«Wundert es Sie nicht, dass Portugal bisher verschont geblieben ist?»

Benini zuckte mit den Schultern. Julia saß auf ihrem kleinen Sessel und träumte vor sich hin.

«Ich bin Schweizer und ein ziemlich unpolitischer Mensch. Ich weiß nur eins, dieser Krieg wird die Völker wieder ein Stück unzivilisierter machen.»

«Unsere Liebe Frau von Fátima hält die Hand schützend über Portugal, wir beten alle zu ihr für den Frieden. Und das Wunder von Fátima», Dr. Chorias strahlte den Magier an, «ist sogar Ihren Zauberkünsten überlegen.»

Benini ließ sich erklären, wer die Frau von Fátima sei. Dr. Chorias war Katholik, das verlangte seine Zeitung von ihm. Wieder so ein Wunderglaube, dachte Benini. Aber warum sollten in Portugal nicht ebenso viele Abergläubische leben wie in den USA!

«A Ordern» hatte bereits während der Vorstellung fotografieren lassen. Dr. Chorias bat allerdings um ein signiertes Bild des Magiers für seinen Neffen.

«Und vergessen Sie bitte nicht: Wir sind die erste Zeitung, die erfährt, welchen Trick Sie bekanntgeben wollen!» Der Magier versprach es.

«Zeit zum Essen», sagte Benini aufatmend, als der Redakteur gegangen war, «ich habe einen Hunger, als hätte ich die ganze Woche nichts bekommen. Julia, ich lade Sie ein.» Die portugiesische Assistentin war verlegen.

«Ich bin nicht, ich...» Zum ersten Mal an diesem Tag geriet sie ins Stocken. Benini gefiel die Frau. Feuerrotes Haar, das in gekräuselten Löckchen herunterhing, ein kräftig geschminkter Mund, ein leichter Gang.

Immer wenn er in einem Land auftrat, dessen Sprache er nicht beherrschte, musste eine Assistentin gefunden werden. Der Manager suchte per Inserat und Agentur geeignete Schauspielerinnen, ließ sie vorsprechen. Die letzte Auswahl traf Benini selbst. Er saß in einem abgedunkelten Raum und hörte sich die Stimmen an. Er traf seine Auswahl ohne Zögern. Julias leichter Alt war genau richtig für die jedes Kunststück begleitende Erzählung. Natürlich ging der direkte Kontakt zum Publikum verloren, aber je länger das Engagement dauerte, desto besser wurden die Assistentinnen. Als spräche Benini durch sie zu seinen Zuschauern. In Stockholm hatte er nach sechs Wochen den Text phonetisch so gut erfasst, dass er es wagte, die letzten Vorstellungen selbst zu bestreiten: Der Magier und sein Manager mussten alleine speisen, da Julia eine andere Verabredung hatte.

Lange blieb Benini schweigsam, er hatte genug geredet. Journalisten zu begeistern war ebenso schwierig, wie einen Abend lang auf der Bühne zu arbeiten. Der von «0 Século» war ein Ekel gewesen, er behauptete, alle Tricks schon einmal gesehen zu haben. Seit Houdini habe es nichts Neues auf dem Gebiet der Magie gegeben.

«Kannst du herausfinden, wer diese Frau war, die gestern Abend so früh die Feier verließ? Ich glaube, dass ich sie kenne.»

Jeremy feixte: «Kaum ein Tag seit deinem ersten Auftritt hier und schon kennst du wieder eine interessante Frau.» Benini schnitt das rosasaftige Fleisch an.

«Ich kenne sie, ganz sicher, ich glaube nicht, dass ich mich irre. Sie ist mir vor Jahren nachgereist. Ihr Name ist Isabela.»

«Soll ich sie zu einem nächtlichen Souper bitten?», kicherte Jeremy, nachdem er einen großen Schluck Wein getrunken hatte.

«Ich würde gerne wissen, warum sie so tat, als hätte sie mich nie gesehen.»

«Es ist viele Jahre her, dass du in Portugal warst. Vielleicht bist du nicht so beeindruckend gewesen wie heute.»

Ein anderer Gedanke beschäftigte Benini gleichermaßen, aber über den sprach er nicht mit seinem Manager. Dr. Chorias von «A Ordern» hatte in einem Punkt recht gehabt, Lissabon war eine gute Wahl für ein längeres Engagement, weil hier kein Krieg war. Als sie die Angebote durchsahen, hatte dies für den Magier eine Rolle gespielt, obwohl die Gage nicht ganz seinen Forderungen entsprach.

Der Krieg hatte ihn erreicht, und er konnte es nicht vergessen, als mitten in einer Vorstellung in Frankreich die Soldaten den Kirmesplatz stürmten und Jagd auf junge Frauen machten. Er musste seine Assistentin schützen, indem er ihr befahl, einen Anzug zu tragen und sich einen Schnauzer zu malen. Seit drei Jahren gab es diesen Krieg, und er breitete sich immer weiter aus. Augusto Benini glaubte nicht an Zufälle, auch dieser Krieg war kein Zufall gewesen, sondern eine Folge von erklärbaren Ereignissen. Die gewalttätigen Deutschen rächten sich für die demütigende Niederlage im letzten Krieg. Hitler führte einen Kampf um Vorherrschaft; am meisten jedoch interessierte Benini die Tatsache, dass der Führer sich von Astrologen beraten ließ. Das musste in den Ruin führen.

«Wissen Sie, es gibt ein Bedürfnis nach Illusionen, es ist der Wunsch, verzaubert zu werden, von mir aus auch betrogen», dozierte der Magier am Nachmittag, als ein Journalist. vom «O Mensageiro» ihn befragte, «ich habe immer wieder festgestellt, dass manche Leute davon überzeugt sind, dass ich wirklich zaubern kann. Dem ist natürlich nicht so. Nur weil sie sich nicht erklären können, wie etwas funktioniert, muss ich noch keine übernatürlichen Kräfte besitzen.»

Julia hatte den Kopf ein wenig zurückgelehnt, sie übersetzte mit fester Stimme. Während der Mittagspause hatte sie sich umgezogen, sie war eine Spur zu elegant. Der schmächtige Journalist musterte sie, wollte gar nichts mehr von dem Magier wissen.

Nachdem sein Vater beerdigt war, kehrte Beninis Mutter nach Sardinien zurück. Sie verlangte von ihm, dass er fortan die Familie unterhalte.

«Diese Menschen im Tessin sprechen alle Italienisch, aber sie sind keine Italiener», sagte sie. Der neunzehnjährige Carlo beruhigte sie. Seine Zauberei werde genug abwerfen. Sie ließ ihn gewähren.

«Ich muss Ihnen gestehen, dass meine Kunst so viel abwirft, dass ich mir eine bescheidene Villa auf Sardinien bauen lassen konnte.» Benini schaffte es nicht, die Aufmerksamkeit des Journalisten zurückzugewinnen. Er sah seine Augen, hellbraun das eine, leicht bläulich das andere, eine schöne Irritation, die Julia offensichtlich gefiel. Er erhob sich.

«Ein Foto brauchen Sie auch, oder?»

Benini räusperte sich.

Der Journalist schaute nicht auf.

Als könne er mit Julia sprechen, ohne etwas zu sagen.

Jeremy kam herein.

«Das Interview ist beendet. Benötigen Sie weitere Unterlagen?» Er zog den Schreiber aus dem Sessel, musste ihn hinausdrängen. Der Magier verabschiedete sich, beinahe unfreundlich.

Er bat Jeremy um eine kleine Unterbrechung.

«Julia, wir müssen miteinander sprechen. Warum haben die Leute gelacht, als ich gestern Abend mit dem Fahrrad auf der Bühne erschien? Was hast du da gesagt? Im Text steht: Hier kommt Benini, diesmal auf zwei Rädern und nicht auf zwei Beinen. Ist das so komisch für portugiesische Ohren?»

Sie errötete.

Immerhin ließ er eine verschleierte Frau auf diesem silbernen Fahrrad hochschweben. Auch da hatte es noch Lacher gegeben.

«Senhor Benini, das ist nicht komisch. Aber wenn einer auf dem Fahrrad kommt, dann denkt man hier, er ist... wie soll ich das ausdrücken ... ein Liebhaber von Männern.»

Benini war empört.

«Warum hast du das nicht während der Proben gesagt, das ist unverzeihlich! Julia, ich muss dich bitten, der Arbeit mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn in der Presse steht, ich sei homosexuell, wäre das entsetzlich.»

Der Magier rief Jeremy herein. Sie besprachen die diffizile Situation. Der englische Manager, der ein untrügliches Gespür dafür hatte, was Presseleute herauszufinden suchen, war ebenfalls alarmiert.

«Ich lasse mir noch heute etwas einfallen, wie wir kontern können, Carlo. Eine dumme Geschichte.» Sie durften die anderen Journalisten nicht warten lassen, aber von nun an war Benini sehr konzentriert. Zum ersten Mal hatte er Angst vor dem nächsten Tag. Auf jeden Fall würde die Fahrradnummer ersatzlos gestrichen. Sollte das Publikum nichts zu lachen haben. Nicht auf seine Kosten.

Am nächsten Morgen ließ sich, Benini die Schlagzeilen vorlesen.

«Der Zauberer, der gar nicht zaubern kann»

«Ein Magier muss die Zeit überwinden.»

«Benini und die Jungfrau von Fátima.»

Als Jeremy begann, die Artikel auszuschneiden, unterbrach ihn der Magier.

«Hab ich dir eigentlich erzählt, was Amateure auf Italienisch heißt? Nein? Dilettanti.»

Jeremy hatte sich diesen Witz schon mehrfach anhören müssen. Er passte nicht auf alle nützlichen Feinde.

3

Die schwere Limousine sah aus wie ein weißes Schiff, bereit, über jeden Ozean zu fahren. Der Chauffeur hielt den Wagenschlag auf und ließ den Magier einsteigen. Seine devote Haltung passte zur mausgrauen Uniform, auf der goldene Litzen glänzten.

Augusto Benini auf dem Weg zum Reichtum.

«Ich lasse Sie abholen, sagen wir gegen elf» - die Stimme eines Mannes, der so viel Geld in seinem Leben verdient hatte, dass er ein eigenes Stadtviertel in Lissabon hätte aufkaufen können. Über seine Herkunft wurde gerätselt. War er ein armenischer Franzose oder ein arabischer Grieche? «Ich konnte leider nicht zur Premiere kommen, habe auch die anschließende Feier verpasst. Man hat mir Wunderdinge erzählt. Deshalb würde ich Sie gerne ein paar Stunden bei mir haben.» Öl war das Zaubermittel, mit dem er sein Geld verdiente. Öl, verschifft an die Stellen, wo es gebraucht wurde. Während der Fahrt auf den riesigen Tankern vervielfachte sich sein Preis.

Augusto Benini sah die Stadt jetzt ganz entspannt. Während er mit verbundenen Augen an der Seite des Polizei-präsidenten gefahren war, hatte er sich konzentrieren müssen. Im Rückspiegel beobachtete er den Chauffeur, der ein gerötetes Muttermal am Kinn hatte. Hätte er nicht mit ein wenig Schminke diesen Fleck überdecken können?

Lissabon war eine Mischung aus verschiedenen Städten und Kontinenten, als gebe es hier Rom und Buenos Aires, Paris und Kairo gleichzeitig. Vieles erinnerte an London, rote Telefonhäuschen und Briefkästen, Doppeldeckerbusse. Benini hatte in den ersten Tagen seines Gastspiels einen kleinen Teil erkundet, die unterschiedlichen Stile waren schon auf engstem Raum auszumachen. Wie immer, wenn er in eine unbekannte Stadt kam, ließ er sich treiben. Ohne Manager und Assistentin, versteckt hinter einer Sonnenbrille, mit grauem Bowler, war er losmarschiert, um sich zu verlaufen. Wie in jeder Stadt erwartete er, irgendwann einen schon bekannten Ort zu entdecken, und war immer froh, wenn er Unbekanntes sah. Häuser, die glanzvoll herausgeputzt waren, neben abbruchreifen, in denen es lautstark zuging; Häuser, die an maurische Königszeiten denken ließen, neben modernen, in denen gerechnet und verdient wurde.

Der Chauffeur beschleunigte, als sie auf der Hafenstraße nach Cascais waren. Diese Straße hatte Benini bei seinem Spektakel ausgelassen. Er blickte hinüber zur riesigen Christusstatue auf der anderen Seite des Tejo, die an Rio de Janeiro erinnerte. Es kam häufiger vor, dass die Reichen ihn einluden, die Mächtigen, die feine Gesellschaft. Benini war das durchaus recht, denn so erfuhr er ohne Umschweife, wie man auf sein Gastspiel reagierte. Es sprach sich schnell herum, ob er akzeptiert wurde oder nicht. Diese Herrschaften versteckten sich nicht hinter Floskeln.

Die Villa des Milliardärs lag in einem Park, direkt oberhalb der Bucht. Grasland mit symmetrisch angeordneten Baumreihen, europäische und afrikanische Gewächse. Die Zufahrt schlängelte sich in leichten Kurven bis zu dem dreiflügeligen Gebäude. Der Kiesweg glitzerte. Augusto Benini verzog keine Miene, als der Chauffeur die Limousine stoppte und er eine Zeitlang warten musste, bis der Wagenschlag geöffnet wurde. Erst als aus dem hohen Portal ein Mann trat, beeilte sich der Fahrer, den Magier aussteigen zu lassen.

«Das ist ein begnadetes Fleckchen Erde, das Sie da ausgewählt haben», begann Benini und reichte dem Mann die Hand, „man könnte direkt Lust bekommen, auf ein paar Tage hier einzuziehen.»

«Ich bin nicht der, für den Sie mich halten», antwortete der Mann lächelnd, «Sie sprechen mit seinem Referenten.» Benini stutzte. Ein Referent, der so aussah wie der Milliardär selbst?

«Ich darf Sie durch das Haus führen. Senhor Lossenkian wird gleich bei uns sein.»

Die Villa glich eher einem Museum als einem Wohnhaus. Weite Hallen, große, lichte Räume, die voller Bilder hingen. Jeder Stil war hier vertreten. Skulpturen, Plastiken, Möbel, die dazu passten. Der Referent hielt sich nicht mit Erläuterungen auf, sondern ging mit raschen Schritten durch die Säle, gewohnt, in diesem Ambiente zu arbeiten.

Herzlich willkommen», rief Lossenkian, der fast einen Kopf kleiner war als sein Sekretär, ein Gesicht mit Vollbart. Benini verglich die beiden Männer, stellte fest, dass wohl häufiger das Bild des Referenten in den Zeitungen verwendet wurde als das des Milliardärs. Er wollte danach fragen.

«Schön, dass Sie Zeit gefunden haben. Es ist mir eine ganz besondere Ehre, Sie ein wenig... was halten Sie von meiner Neuerwerbung?» Der Milliardär, der einen seidenen Bademantel in den Blaufarben des Mittelmeeres trug, zeigte auf ein Ölgemälde. Zwei sich liebende Zentauren vor erotischer Landschaft.

«Finden Sie es anziehend?», fragte Lossenkian, der liebkosend über das Gemälde strich, «ich wollte es schon lange besitzen. Ein Rubens, kein bekannter allerdings Die beiden haben es mir angetan, seitdem ich das Bild zum ersten Mal in Rotterdam ausgestellt sah. Gefällt es Ihnen?»

Augusto Benini trat ein paar Schritte zurück, brauchte einen Moment, um eine Antwort zu formulieren. Der Milliardär beeindruckte ihn mit seinem eckigen Schädel, der gezackte Scheitel war pomadisiert, das Gesicht sonnenverbrannt, keine Falte auf der Stirn.

«Was darf ich Ihnen bringen lassen? Ich hab eine Idee.» Der Milliardär schnippte mit dem Finger. Benini sah, dass ihm an der rechten Hand nur die Hälfte des Ringfingers geblieben war. «So ein Bild braucht Liebe. Ich habe immer nur Kunst gekauft, die mich beeindruckt hat. Ganz gleich, ob sie wertvoll ist oder nicht. Wenn wir Zeit finden, sollten wir ein bisschen spazieren gehen. Aber wir können uns auch die Blumen in der Estufa ansehen. Oder die Münzen? Ich habe gehört, dass Sie ein Freund von Jazz sind. In der Zeitung steht, Sie wollen das Wunder von Fátima lösen. Das wäre eine Aufgabe für einen Mann Ihres Könnens.» Lossenkian legte den seidenen Bademantel ab, hängte ihn über einen Stuhl. Er trug ein schwarzweißgestreiftes Badekostüm. Als wolle er einem Maler Modell stehen. «Sie begeistern sich für Fátima? Ich auch. Es ist das einzige Wunder, das wir in Portugal haben.»

Was diese Amateure alles in den Zeitungen schreiben, dachte Benini, der sich nun an die Schlagzeile erinnerte.

«Glauben Sie, dass man siebzigtausend Menschen täuschen kann?», fragte der Milliardär und stellte sich in Pose. Als wolle er eine seiner griechischen Statuen nachahmen.

«Man kann eine Million Menschen täuschen, aber Eintritt müssten sie schon bezahlen.»

Lossenkian lachte.

«Sie glauben nicht daran?»*

«Woran?»

«An das Sonnenwunder. Das haben siebzigtausend Menschen gesehen. Wie die Sonne ins Tanzen geriet.» Der Milliardär tänzelte ein wenig vor seinem Gast auf und ab, dann schlug er ein Rad. Der Magier klatschte Beifall. «Sie können das nachlesen, in meiner Bibliothek. Ich habe alles sammeln lassen, was es darüber gibt. Ein großartiges Wunder.»

Augusto Benini erwiderte, die Nazis hätten die ganze Welt glauben gemacht, dass nun für immer Frieden sei, aber dabei den Krieg vorbereitet. «Ein Täuschungsmanöver ganz anderen Ausmaßes.»

Lossenkian nahm seinen Gast an der Hand.

Durch einen Gang gelangten sie ins Freie.

Der Pool hatte die Größe eines Handballfeldes.

«Brauchen Sie eine Badehose? Bedienen Sie sich.» •

Lossenkian war wie Quecksilber. Der Magier musste sich erst daran gewöhnen. Er hatte gelesen, dass der Milliardär manchmal an mehreren Orten gleichzeitig auftauchte. «Welche Sprachen können Sie lesen? Ich lasse Ihnen die Bücher heraussuchen, Sie können gleich heute beginnen. Bis jetzt gibt es keinen Wissenschaftler; der eine Erklärung für den Sonnentanz gefunden hat.»

Augusto Benini wies bescheiden darauf hin, dass er Schweizer sei.

«Wir sprechen immer ein Idiom mehr als unsere Gesprächspartner.»

«Aber Armenisch können Sie nicht! Schwimmen wir?»

Das Bad war angenehm. Der Magier paddelte wie ein Dackel, Lossenkian schlug vor, um die Wette zu schwimmen. Benini lehnte ab. Das Wasser duftete, es war einer Essenz angereichert.

«Ich setze zehntausend Pfund aus, wenn Sie das Rätsel lösen. Nein, sagen wir, das Doppelte.» Dann tauchte der Milliardär, schwamm unter Wasser, fast eine Minute lang.

Kein schlechter Nebenverdienst, dachte der Magier. Fátima, der Name klang rätselhaft. Ein himmlisches Wunder, ein christliches, mit einem arabischen Namen.

Als sie aus dem Wasser stiegen, ließ Lossenkian Portwein mit Champagner und Limonensaft servieren.

«Die meisten würden so etwas ablehnen. Aber sie haben es auch nicht gekostet. Um diese Uhrzeit mag ich diese Mixtur am liebsten. Ich habe ihr den Namen <Morgentau> gegeben. Was halten Sie davon? Trinken Sie erst mal.»

Sie stießen an.

Es schmeckte süß und bitter, prickelnd und schwer.

«Gibt es etwas, das Sie sich nicht leisten können?», fragte Benini, den das Bad erfrischt hatte.

«Ja, sicher», antwortete der Milliardär, «meine Schulden. Die übersteigen mein Vermögen bei weitem.» Benini schmunzelte über diese Koketterie. Lossenkian fragte, ob der Magier bereit sei, eine Gala in seinem Stadthaus zu geben, ähnlich der Premierenfeier.

«Lassen Sie uns nicht über Geld sprechen. Ich unterzeichne einen Blankoscheck, und Sie setzen die Summe ein.»

Benini hatte noch nie ein solches Angebot erhalten. Nicht ungeschickt, dieser Milliardär. So mancher würde in bescheidener Selbsteinschätzung eher zu wenig kassieren als zu viel. Benini war großzügig in dieser Beziehung. Die Bibliothek zu nutzen kam ihm gelegen, so konnte er ab und zu die Annehmlichkeiten dieser Villa genießen.

«Wie machen Sie das, mit verbundenen Augen durch die Stadt zu fahren? Ich würde es gern mal versuchen.» Der Magier lehnte sich zurück, lächelte milde. «Es ist ein Trick, nicht wahr? Man kann Straßen nicht auswendig lernen. Jede Kurve, ohne anzuecken, das .ist nicht möglich. Also, wie geht es?»

Lossenkian schenkte die Gläser wieder voll. Sein bärtiges Gesicht und seine verwegenen Augen ließen ihn wie einen Piraten aussehen. Einer, der es gewohnt war, Schiffe zu versenken. Benini schwieg. Er mochte dieses Spiel, kannte seit vielen Jahren auch die überraschendsten Nachfragen, wusste die Fallen zu meiden, die feingesponnenen Netze.

«Sie haben den Polizeichef bestochen. Aber nein, ich kenne den Mann persönlich, er ist integer. Einer der wenigen, wohlgemerkt. Ich habe mit ihm telefoniert. Er war völlig davon überzeugt, dass Sie, ohne etwas zu sehen, den Wagen durch die engen Straßen gesteuert haben.»

Augusto Benini sah auf das ruhige Wasser des Swimmingpools. Obwohl ein paar Kilometer vom Meer entfernt, konnte er das Rauschen der Wellen hören. Wie angenehm das alles war Er liebte das Meer, hasste jedoch die Sandstrände. Salzige Luft wehte herüber.

«Oder haben Sie den Wagen manipuliert? Das wäre eine Möglichkeit. Alle schauen auf Sie, aber keiner hat den Benz untersucht. Ist es so?»

Der Magier wehrte ab: «Der Wagen ist vorher von einem Mechaniker begutachtet worden. Keinerlei Eingriffe.»

Lossenkian nahm einen Schemel, setzte sich darauf, band sich ein Handtuch um den Kopf. Er spielte blinder Chauffeur, brummte das Motorengeräusch, die Hände fest am Steuer Jetzt beschleunigte er. Trat aufs Gaspedal.

«Und nun ein Unfall.»

Bremsenquietschen. Er ließ sich vom Schemel fallen.

Mit der rechten Hand zog er das Handtuch vom Kopf und blinzelte Benini zu.

«Ich könnte es nicht.»

Der Magier nickte.

«Weil Sie den Trick nicht kennen. Ich kann Ihnen so viel verraten: Man muss in der Lage sein, einen Zufall herzustellen, so, dass jeder glaubt, es handle sich wirklich um einen Zufall. Chi tiene la padella dal manico la gira come vuole.»

Lossenkian schüttelte den Kopf.

«Sie können doch nicht alles inszenieren!»

Benini ließ sich nicht davon abbringen. Es gehe um die Vorspiegelung von Zufällen, um das Vortäuschen von Handlungen, die so nicht geschehen, den Zuschauern immer einen Schritt voraus. Lossenkian unterbrach ihn.

«Sie wollen mir also den Trick nicht verraten?»

Benini lächelte.

Zwei erfolgreiche, fast gleichaltrige Männer in einem paradiesischen Garten, keiner, der dem anderen etwas neidete. Benini hoffte, dass der Milliardär ihn nicht fragte, was der Trick kosten würde. Auch das hatte er schon erlebt.

«Ich will nicht unhöflich sein, Senhor Lossenkian...»

«Nennen Sie mich John, bitte, es würde mich freuen.»

«Ich heiße Carlo.»

«Nicht Augusto?»

«Nein, Carlo.»

«Aber auf den Plakaten steht Augusto!»

«Ich heiße Carlo. Augusto Benini ist mein Künstlername Ich habe ihn ausgewählt, weil darin alle Vokale vorkommen »

Der Milliardär erhob sich, dehnte seinen Rücken.

«Wollen wir reiten?»

«Bitte nicht.»

«Tennis spielen, vielleicht?»

«No sports.»

«Können Sie Schach?»

«Wenn Sie verlieren können.»

Sie spielten, ohne ein weiteres Wort zu wechseln.

Ein stummer Kampf. Als brauchten sie den Vergleich, das Kräftemessen.

Augusto Benini war kein Theoretiker, kannte die besonderen Regeln schwieriger Kombinationen nicht, erfand aber mitten im Spiel oft eine Wendung, die den Gegner so verblüffte, dass er einen falschen Zug machte.

John Lossenkian spielte nach einer anderen Methode. Er führte schnelle Angriffe durch, um so viele Figuren wie möglich zu schlagen. Blitzkrieg, effektiv.

Die Partie ging remis aus.

Lossenkian schlug vor, nach dem Lunch ein wenig hinauszufahren.

«Verfügen Sie über mich! Aber ich will Ihnen gleich sagen, ich möchte Ihnen eine Augenbinde umlegen, und dann setzen Sie sich ans Steuer. Ich vertraue Ihnen voll und ganz.»

«Das wird nicht gehen. Ich muss nach dem Lunch zurückkehren, schließlich habe ich heute Abend Vorstellung. Wollen Sie nicht kommen?»

Benini sah auf das Schachbrett.

«Ich habe Gäste, Carlo.»

«Die können Sie mitbringen. Ich lasse Ihnen eine Loge reservieren, und wenn Sie wollen, hole ich Ihre Gäste auf die Bühne, das haben die meisten noch nicht erlebt.»

«Ertappt», sagte Lossenkian schnell, «so machen Sie es. Sie lenken ab. Warum wollen Sie mir nicht eine Probe Ihres Könnens geben? Ich hätte gerne gewusst, ob Sie blind durch die Gegend fahren können. Und dann kommt, ganz überraschend, diese Einladung Ihrerseits.»

Augusto Benini verteidigte sich, er müsse am Nachmittag ausruhen und sich auf die abendliche Vorstellung konzentrieren. «Wir können gerne ein andermal dieses Experiment zusammen wiederholen. Nur heute nicht.» Zum Lunch gab es Mariscos: Seespinne, Hummer, Langusten. A la nature, gekocht oder gegrillt. Sie tranken Vinho verde, der im silbernen Kübel kühl gehalten wurde.