4,99 €
Fear your shadows of the past, because they can destroy you. Ich bin ein verdammter Geist. Aus vielerlei Gründen. Wenn die Nacht hereinbricht, erwacht meine Welt zum Leben: der Untergrund. Hier regieren die Brutalität und das Blut, denn es geht um Macht und Geld. So viele Verstoßene haben unter der Stadt Zuflucht gefunden, jedoch bin ich keiner von ihnen. Ich bin hier, weil ich feige bin. Mehrmals in der Woche blute ich für meine verschissenen Sünden, um Wiedergutmachung zu leisten. Aber es ist noch lange nicht genug. Jede Wunde, jede Narbe und jeden Schmerz habe ich verdient. Kämpfen ist mein Leben. Doch für sie versuche ich, meinen Dämonen entgegenzutreten. Aaliyah. Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass sie ebenfalls mit ihren kämpft? Seit unserer ersten Begegnung will ich sie. Dieser Anziehung zwischen uns kann ich mich unmöglich entziehen und so breche ich einmal mehr die Regeln. Sie ist die unnahbarste und gleichzeitig schärfste Frau unterhalb Vancouvers. Ihr Licht funkelt und erhellt in tristen Momenten meine Dunkelheit. Aaliyah weiß sehr genau, was sie will und ich gehöre nicht dazu. Denn f*ck: Geister sieht man nun mal nicht! Doch ich wäre nicht ich, wenn ich einfach aufgeben würde … Band 4 der Vancouver Underground-Reihe – blutig und schwer zu ertragen! Vorwissen aus der Bad Boys of Vancouver Reihe (FCKNG New Year - Band 2 - Xavier McLane und FCKNG X-mas - Benedict Thiago Ramirez) ist für dieses Buch notwendig. FCKNG Halloween - Ty Sanguinar sollte nicht ohne Vorkenntnisse der anderen Bände gelesen werden. Die Vancouver Underground-Reihe von Marina Ocean Band 1: FCKNG New Year - Xavier McLane (ebenso Teil der Bad Boys of Vancouver - Reihe) Band 2: FCKNG X-mas - Benedict Thiago Ramirez Band 3: FCKNG Valentine - Pete Tremblay Band 4: FCKNG Halloween - Ty Sanguinar Hinweis: Für das beste Leseerlebnis wird empfohlen, die Reihenfolge einzuhalten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Vancouver Underground-Reihe 4
Marina Ocean
Impressum
© / Copyright: 2023 Marina Ocean
Marina Oceanc/o Autorenservice GorischekAm Rinnergrund 14/58101 Gratkorn
Österreich
1. Auflage
Umschlaggestaltung: Nessuno Mass https://www.instagram.com/nessunomass
Lektorat, Korrektorat: Grace C. Node, Kate Novella
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Im Falle des E-Books erwirbt der Käufer lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem Buch befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Autorin Marina Ocean die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Alle Charaktere in diesem Buch sind frei erfunden und eine Ähnlichkeit mit anderen lebenden oder bereits verstorbenen, sowie etwaigen bereits bestehenden, fiktiven Personen wäre zufällig und ist somitkeinesfalls beabsichtigt.
Erwähnte Marken oder Titel dienen lediglich der Beschreibung. Die Rechte hierzu liegen ausschließlich bei den Markenbetreibern oder den Rechteinhabern der jeweiligen Titel.
Inhalt
Fear your shadows of the past, because they can destroy you.
Ich bin ein verdammter Geist. Aus vielerlei Gründen.
Wenn die Nacht hereinbricht, erwacht meine Welt zum Leben: der Untergrund. Hier regieren die Brutalität und das Blut, denn es geht um Macht und Geld.So viele Verstoßene haben unter der Stadt Zuflucht gefunden, jedoch bin ich keiner von ihnen. Ich bin hier, weil ich feige bin.
Mehrmals in der Woche blute ich für meine verschissenen Sünden, um Wiedergutmachung zu leisten. Aber es ist noch lange nicht genug. Jede Wunde, jede Narbe und jeden Schmerz habe ich verdient. Kämpfen ist mein Leben. Doch für sie versuche ich, meinen Dämonen entgegenzutreten.
Aaliyah.
Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass sie ebenfalls mit ihren kämpft?
Seit unserer ersten Begegnung will ich sie. Dieser Anziehung zwischen uns kann ich mich unmöglich entziehen und so breche ich einmal mehr die Regeln.Sie ist die unnahbarste und gleichzeitig schärfste Frau unterhalb Vancouvers. Ihr Licht funkelt und erhellt in tristen Momenten meine Dunkelheit. Aaliyah weiß sehr genau, was sie will und ich gehöre nicht dazu. Denn f*ck: Geister sieht man nun mal nicht! Doch ich wäre nicht ich, wenn ich einfach aufgeben würde …
Band 4 der Vancouver Underground-Reihe – blutig und schwer zu ertragen!
***
Für alle, die verstoßen oder vergessen wurden.
***
Hinweise der Autorin:
1.
Dieses Buch sollte nicht ohne Vorkenntnisse der folgenden Bücher gelesen werden:
- (Band 1) FCKNG New Year - Xavier McLane sowie
- (Band 2) FCKNG X-mas – Benedict Thiago Ramirez
Die Vorgeschichte ist essentiell, um die Handlung von FCKNG Halloween – Ty Sanguinar bestmöglich nachvollziehen zu können.
2.
Weiter spreche ich an dieser Stelle eine deutliche Warnung aus! In den letzten FCKNG Bänden habe ich darauf verzichtet. Bei diesem Buch kann ich es nicht.
Mir ist bewusst, dass die enthaltenen Inhalte einer subjektiven Wahrnehmung unterliegen. Jeder empfindet dargestellte Szenen etwas anders und man kann von Triggerwarnungen in Büchern halten, was man möchte.
Fakt ist:
Solltest du Probleme mit sensiblen Inhalten, mit Gewalteinwirkung auf Personen oder Folterszenen haben, muss ich an dieser Stelle empfehlen, zu einer anderen Lektüre zu greifen. Bitte nehmt die Warnung ernst.
Allen anderen wünsche ich ein spannendes Lesevergnügen, um den Kreis zum Anfang dieser Reihe
FCKNG New Year – Xavier McLane zu schließen.
10 Jahre zuvor
Panisch zerre ich an den Fesseln, mit denen meine Handgelenke über dem Kopf fixiert wurden, bis mich sein mahnender Blick trifft. Mein Atem geht keuchend vor Angst, während ich diesen Bastard vor mir mustere, der mich höhnisch angrinst. Ich hasse ihn, verachte ihn. Er ist der letzte Abschaum, weil er mir das hier immer und immer wieder antut.
Soeben hat er mir Blut abgenommen, welches er nun mit einem Schnelltest untersucht.»Braves Mädchen, das sieht gut aus. Du hältst dich an unsere Abmachung. Kein Schmerzmittel erkennbar.«
Tränen beginnen heiß in meinen Augenwinkeln zu brennen, als ich mich seelisch auf die Qual vorbereite, die gleich folgen wird. Ich weiß, wie es sich anfühlt und es treibt mich jedes Mal von neuem an meine Grenzen. An die Grenzen des Vorstellbaren und Erträglichen.
Im Hintergrund spielt leise immer wieder das Lied Comptine d’un autre été in Endlosschleife - sein Lieblingslied. Ich hasse es. Dabei frage ich mich, wie er es geschafft hat, eine so wunderschöne Melodie in etwas derart Hässliches zu verwandeln. Sie trügt darüber hinweg, welch grausames Spiel er gleich wieder beginnen wird.
Mein Puls schießt in die Höhe, während ich nach links sehe. Sie ist die Nächste, wenn auch auf eine vollkommen andere Art und Weise als ich. Nachdem er sich an mir abreagiert hat, muss sie leiden. Ihre blonden schulterlangen Haare hängen ihr ins Gesicht und ich sehe, wie sehr sie bereits zittert. Vor Wut und Angst, vor Hilflosigkeit und Hass. Ich darf nicht zittern, denn das macht ihn nur noch wütender und wäre darüber hinaus lebensgefährlich für mich. Daher unterdrücke ich es, so gut ich kann.
Warum? Warum wir? Weshalb macht er das mit uns? Aus welchem Grund lebt er diese grausamen Neigungen an uns aus und verlangt, dass die jeweils andere zusieht? Ich komme jedes Mal zu dem gleichen Schluss: weil er wahnsinnig ist.Immer und immer wieder denke ich über die gleichen Fragen nach. Eine Träne löst sich aus meinem linken Augenwinkel und rinnt über meine Wange. Allein dafür hasse ich ihn noch mehr. Und mich ebenso.
Ich will nicht weinen, will ihm nicht die Genugtuung verschaffen, zu sehen, wie sehr ich unter ihm leide. Diese Missgeburt darf niemals wissen, wie sehr es mich quält. Mich überkommt Trotz. Ich will das nicht mehr!
Ein Impuls, der zu rasender Stärke in mir heranwächst – vollkommen aus dem Nichts kommend. In diesem Moment baut sich ein Widerstand in mir auf, der mein inneres Feuer auflodern lässt. Es ist nur ein kurzer Gedanke, aber er wird präsenter, drängender. Mir wird erst warm, dann glühend heiß, als sich Unbeugsamkeit in mir regt. Plötzlich brennt die Aufmüpfigkeit so heiß in mir, dass ich glaube, beinahe verglühen zu müssen, als sie wie ein Crescendo weiter anschwillt. Es ist der Augenblick, in dem ich mir schwöre, dass er mich niemals brechen wird, ganz egal, was er noch macht. Er kann mich noch so oft demütigen, mich verletzen. Aber niemals wieder werde ich ihm die Macht über mich geben, dass seine Grausamkeiten mich an den Rand des Wahnsinns treiben. Ich werde einen Ausweg aus dieser Hölle finden und ihm entkommen, zusammen mit ihr. Ich werde ihn nie wieder so tief in mich lassen, dass er meine Seele berührt! Nie wieder werde ich ihm erlauben, sie zu schänden. Und im besten Falle werde ich damit einen Weg finden, ihm sein geliebtes Spielzeug wegzunehmen, seinen Schatz, seinen Rubin und dafür sorgen, dass seine Welt zusammenbricht! Dann werde ich ihm alles nehmen. Sein widerliches Grinsen, seine Macht und seine Befriedigung.
»Bereit?«, fragt er mich breit grinsend und kommt auf mich zu. Als ob man dafür bereit sein könnte und er weiß auch verflucht genau, dass ich es nicht bin. Ich will und werde es niemals sein. Aber ab heute schiebe ich die Wut vor, um den Schmerz in die Schranken zu weisen.
Der Bastard kniet sich zu mir runter auf den Boden. Während ich ihn hasserfüllt anstarre, hebt er seine Hand an meine Wange und wischt mir fürsorglich die Träne mit dem Daumen weg. Seine Berührung versengt mir die Haut, wobei die Übelkeit stärker wird. Doch ich darf nicht würgen. Wenn ich ihn beleidige, wird es nur noch schlimmer werden, weil er sich dann bei seinem Werk extra viel Mühe gibt. Er versucht, mich nach seinen Wünschen zu formen, bis ich treu gehorche.
»Freust du dich auf den Schmerz, meine Hübsche? Darauf, dass ich dir gleich den Verstand nehme und dich an den Abgrund treibe?«, fragt er und ich kann nicht verhindern, dass mein Atem noch schneller wird. »Ja, du freust dich. Und weißt du was? Ich mich ebenso. Ich kann es kaum erwarten, dich schreien zu hören«, faselt er weiter. Irgendwann, das schwöre ich, bringe ich ihn um. Eigenhändig, qualvoll und bestialisch. Eines Tages werde ich mich für all das rächen, dann wird meine Stunde kommen.
Doch jetzt greift er zum Knebel, sieht mich auffordernd an. »Mund auf, Simona«, fordert er, doch ich bin nicht schnell genug. »Wird’s bald?«, knurrt er, zerrt an meiner Lippe. Ein Stich durchzuckt mich, als sie reißt und zu bluten beginnt. Daher gehorche ich, lasse zu, dass er mir das dicke Tuch umlegt und es an meinem Hinterkopf verknotet. Weiß ich doch, dass ich es brauchen werde, auch wenn es widerlich riecht und noch ekliger schmeckt. Der Stoff ist muffig und der Geruch bringt mich jetzt doch zum Würgen, als dieser mir in die Nase steigt. Sein missbilligendes Schnalzen mit der Zunge lässt mich wissen, dass er es wahrgenommen hat. Die Erinnerung versetzt mich bereits in Trance. Eine Schutzfunktion meines Körpers, um auszublenden, was gleich geschehen wird. All das ist mir so vertraut und das Einzige, was mir nun noch helfen wird, einigermaßen bei Verstand zu bleiben.
Dann spreizt er meine Beine, fixiert sie mit Seilen rechts und links in dafür vorgesehenen Ösen. Mein Herz rast, als ich ihn beobachte. Die Übelkeit wird unerträglich, die Angst lähmt mich. Er kratzt mir über den inneren Oberschenkel und ich keuche auf. Schweißperlen treten mir auf die Stirn.»Genieße es, meine Hübsche«, freut er sich. Ein schriller Pfiff folgt als Startsignal aus seinem Mund. Ihr Kopf dreht sich langsam in unsere Richtung, was er mit Genugtuung registriert. Sie hat keine Wahl. Wenn sie nicht zusieht, wird ihre Strafe umso härter ausfallen. Dann wird er sie förmlich zerreißen, wenn er sie gleich … Auch das wäre nicht das erste Mal.Der Bastard fasst sich erregt an den Schritt, seine Augen leuchten auf, als er mich daraufhin eine ganze Weile betrachtet. Ich werde ihm den Schwanz abschneiden, schwöre ich mir. Irgendwann ...Anschließend packt er das Ding, wie ich es nur immer wieder nenne und beugt sich über mich. Er ist mir so nah, sein übelriechender Atem landet auf meiner Haut im Gesicht, mein Magen rebelliert. Und als mich der Schmerz zu überrollen beginnt, beiße ich unkontrolliert auf den Knebel und brülle auf.
Schwer atmend wische ich mir das Blut vom Mundwinkel, welches langsam über meine Haut rinnt. Die Wunde brennt, doch ich bin so mit Adrenalin vollgepumpt, dass ich es kaum registriere. Der Kerl ist ein verdammt harter Hund und doch weiß ich, dass er keine Chance gegen mich haben wird. Ich mache ihn platt, so wie alle anderen vor ihm auch.
Mein Blick fixiert seinen, meine Muskeln spannen sich erneut an. Wir tänzeln umeinander herum, ehe er zum Angriff übergeht. Darauf habe ich gewartet.
Ich ducke mich weg, vollführe eine Drehung und führe einen Sidekick aus. Mit dem Spann voran schlage ich ihm gewaltvoll den Fuß auf den Oberkörper. Damit habe ich ihn auf Höhe der Niere erwischt, was ihn augenblicklich fluchend einknicken lässt, jedoch greift er blitzschnell an mein Fußgelenk und dreht mir das Bein herum. Mir bleibt nur noch, rasend schnell zu reagieren, mich um meine eigene Achse zu drehen, um einer Verletzung zu entgehen. Mit Schwung rolle ich mich in der Luft herum, springe ab und ziehe ihm dabei meinen anderen Fuß mit voller Wucht gegen die Halsschlagader. Treffer! Zwar komme ich anschließend unsanft mit dem Rücken auf der Matte auf, doch mein Gegner geht ebenfalls zu Boden. Nur mit dem Unterschied, dass ich innerhalb von zwei Sekunden wieder auf den Beinen bin, er hingegen ist chancenlos und bleibt benommen liegen. Ein Raunen geht durch die Menge. Der Ringrichter zählt ihn an und wenig später ist klar, dass er nicht mehr aufstehen wird.
Meine Körperspannung fällt in sich zusammen, als die Sanis auf den Ring zustürmen, seine Vitalfunktionen checken und dann nicken. Okay, er wird wieder. Aber selbst wenn es nicht so wäre, würde das hier auch keinen kratzen. Wir sind Abtrünnige des Systems, Aussätzige und Abschaum. Einer mehr oder weniger von uns macht keinen Unterschied und er wäre nicht der Erste, der bei einem Fight in diesen Hallen umkommt. Bei uns ist der Tod des Gegners nicht das Ziel eines Kampfes, aber es kommt vor. Diesmal scheint er jedoch noch mal Glück gehabt zu haben, dass ich ihm bei meiner Aktion nicht das Genick gebrochen habe.
Der Ringrichter kommt auf mich zu, packt mein Handgelenk und reckt meine Hand nach oben. Schnaufend lasse ich es geschehen und die Menge beginnt zu grölen, was in der Arena eine besondere Akustik verströmt. Die lauten Stimmen dröhnen hallend von den Steinwänden des Underground wider, was einen zusätzlichen Effekt hat. Der Herzschlag beschleunigt sich nachweislich durch das Grollen, wodurch die Masse noch lauter wird. Ein Effekt, der sich mehrfach potenziert und auch vor mir nicht Halt macht. Daher peitscht mich nicht nur der überlegene Sieg auf. Die Menge um mich herum verursacht ebenfalls ein Hochgefühl. Jeder Sieger in dieser Halle fühlt sich wie ein verfluchter Gott, wenn er das hört.
Adrenalin brandet erneut in mir auf, denn die Siegesprämie gehört damit mir. Für den nächsten Monat ist mein Überleben gesichert.
Eine der umstehenden Ladys, die dem blutigen Kampf etwas Anmut verleihen, drückt mir schmatzend einen Kuss auf die Wange, doch ich beachte sie gar nicht. Stattdessen reiße ich mich von ihr los, hebe die Absperrung des Rings an und tauche darunter hindurch. Ich springe auf den Boden und laufe zum Wettschalter hinüber.
»Glückwunsch, Ty!«»Danke! Wie viel war heute drin?«»2.800 für dich.« Claire zählt ein paar Scheine ab und reicht mir diese dann rüber. »Ob ich in nächster Zeit bei den Highlight-Fights überhaupt noch mal ein anderes Gesicht sehen werde?«»Nicht, wenn es nach mir geht.«
Ich stecke die Scheine in den Hosenbund und suche die Menge ab, denn ich habe gesehen, dass sie nicht auf der Empore war.
»Wo ist Aaliyah?«, frage ich Claire, doch sie zuckt nur mit den Schultern. »Eben war sie noch hier. Sie hat dir zugesehen«, lässt sie verlauten und zwinkert mir zu. Ihren Kommentar ignorierend, wende ich mich ab. Anschließend gehe ich hinüber zu den Umkleiden. Dort genehmige ich mir erst einmal eine ausgiebige Dusche und ziehe mir anschließend etwas Bequemes an. In Joggingkleidung begebe ich mich auf die Suche nach ihr, denn die restlichen Fights sind mir egal. Auf dem Weg treffe ich noch auf Bane. Wohlwollend schlägt er mir auf die Schulter.»Glückwunsch, Mann! Den hast du ja ordentlich vernichtet.«»Genauso wie du vorhin deinen Gegner.« Ich grinse ihn an.»Mit uns beiden legt man sich wohl besser nicht an«, flachst er, was mich zum Lachen bringt.»Nein, das stimmt wohl.« Tatsächlich sind Bane und ich derzeit die besten Kämpfer im Untergrund. Er hat sich gut gemacht, seit er vor ein paar Monaten wieder eingezogen ist. Diesmal zusammen mit seiner besseren Hälfte.»Übermorgen Training?«, fragt er mich noch und ich stimme ihm zu.»Klar. Gleiche Zeit wie immer.« Damit verabschieden wir uns. Ich denke, er ist heute Abend genauso durch wie ich und möchte nur noch auf die Couch. Vermutlich massiert ihm Aurora gleich die Füße. Ein schnaubendes Lachen entringt sich bei dieser Überlegung meiner Kehle, als ich mir einen Weg durch die Menge bahne. Schade, dass ich nicht mal in den Genuss einer solchen Behandlung komme, denn leider habe ich kein passendes Gegenstück. Bevor ich den Gedanken jedoch weiterverfolgen kann, konzentriere ich mich auf unsere Chefin.
Ich finde sie in ihrem Büro, wo sie gerade telefoniert. Im Türstock bleibe ich stehen, verschränke die Arme vor der Brust und betrachte sie. Ihrem angespannten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, scheint sie über den Anruf alles andere als glücklich zu sein. Ihre feuerroten Haare mit den unzähligen geflochtenen Zöpfen fliegen immer wieder um ihren Kopf, wobei sie sich umdreht und vehement etwas in den Hörer spricht. Als sie endlich auflegt, seufzt sie.»Ärger?«, frage ich, doch sie winkt ab.»Nichts, was sich nicht lösen lässt.«»Okay. Falls du mich brauchst ...«»Ich habe alles im Griff. Ruh dich aus«, entgegnet sie und lächelt mich an, doch es erreicht ihre Augen nicht. Sie ist die taffste Frau, die ich kenne, doch ich sehe es ihr genau an, wenn sie Sorgen hat. Das Problem ist, dass Aaliyah alles mit sich alleine ausmacht. Denn auch wenn ich einer ihrer engsten Vertrauten bin, lässt sie uns nur das wissen, was wir wissen müssen. »Morgen habe ich einen Auswärtstermin.«»Ich kann dich begleiten, wenn du möchtest.«»Nein, danke. Ich werde spätestens abends zurück sein.«»Mir gefällt es nicht, wenn du allein draußen bist, das weißt du.«»Übertreib es nicht. Ich kann sehr gut auf mich aufpassen.« Ihre Stimme hat einen scharfen Unterton angenommen.»Aber es ist mein Job, di...«»Ich gehe allein«, schneidet sie mir das Wort ab. Damit ist die Diskussion beendet. Ergeben senke ich den Kopf und deute ein ganz wie du möchtest an. Anschließend drehe ich mich um und laufe zurück in meine Unterkunft. Thema beendet, denn sie hat das letzte Wort. Immer.
Mein Handy vibriert und ich ziehe es aus der Tasche. Eigentlich bin ich gerade auf dem Weg zum Training, doch das muss anscheinend warten. Ein Blick aufs Display verrät mir, dass ich zum Einstieg beordert werde. Es kommt nicht oft vor, denn die Wachen dort machen einen verdammt guten Job. Es muss also etwas Gravierendes sein, wenn sie mich brauchen und das Problem nicht allein lösen können. Ich werfe mein Sportzeug in den Trainingsraum hinein und ziehe die Tür direkt wieder hinter mir zu. Es ist mein privater Raum, der rund um die Uhr für mich zur Verfügung steht. Aaliyah hat ihn einrichten lassen, daher weiß ich, dass niemand dort meine Sachen anrühren wird. Anschließend wende ich mich um und beeile mich, im Laufschritt zum Einstieg zu kommen.
Kurz bevor ich den Eingangsbereich erreiche, kommt aus einer anderen Richtung Maverick angerannt. In diesem Moment wird mir klar, dass etwas absolut nicht stimmt. Doch ich komme nicht mehr dazu, ihn anzusprechen, denn in diesem Augenblick geht neben uns die Eingangstür auf. Einer der Wachmänner tritt uns entgegen und sieht mich an.
»Es tut mir leid, aber wir haben keine andere Möglichkeit gesehen, als euch zu alarmieren.«»Was ist los?«, frage ich angespannt, doch meine Frage wird von einer lauten Stimme überdeckt, einer weiblichen Stimme, die mir verdammt bekannt vorkommt.
»Verfluchte Scheiße, wag es nicht, mich anzufassen! Ich habe Nein gesagt.«Ohne auf eine Erklärung zu warten, drücke ich mich am Wachmann vorbei und bin entsetzt. Aaliyah ist verschwitzt, ihre Kleidung blutig und ihre geflochtenen Zöpfe sehen aus, als hätte man ihr einzelne Haarsträhnen herausgezogen.»Shit! Nicht schon wieder«, höre ich Maverick hinter mir fluchen und renne in diesem Moment schon auf Aaliyah zu. Ich sehe sofort, dass sie mit ihren Kräften vollkommen am Ende ist. Sie stößt den Wachmann neben sich halbherzig beiseite, obwohl dieser ihr sogar seine Hand reicht, um sie zu stützen. Doch unsere Chefin ist zu stolz, um sich helfen zu lassen.
»Himmel!«, rufe ich aus.Schwer atmend dreht sie sich in meine Richtung, doch selbst das scheint zu viel für sie zu sein. Ihre Augenlider flattern und kurz darauf geben ihre Knie wie in Zeitlupe nach. Ich erreiche sie in letzter Sekunde, um ihren geschwächten Körper aufzufangen.
»Ty«, murmelt sie leise. »Sag ihnen, dass …« Sie schnauft kraftlos » … ich … keine Hilfe … brauche.«
»Ist okay, ich bin da«, spreche ich beruhigend auf sie ein. Mit einem beherzten Griff lege ich sie mir auf die Arme. In diesem Moment hat auch Maverick uns erreicht, checkt ihre Temperatur und zieht eines ihrer Augenlider nach oben, um ihre Pupille anzusehen.
»Krankenstation. Sofort!«, bestimmt er.
»Vor fünf Minuten kam sie in diesem Zustand hier an. Sie ist sogar aus dem Einstiegsschacht gefallen und uns vor die Füße gerollt. Ich habe keine Ahnung, was mit ihr wieder passiert ist, aber sie wollte sich partout nicht helfen lassen,« informiert uns einer der Wachmänner mit frustriert gerunzelter Stirn.»Ist in Ordnung. Ihr habt das Richtige getan, uns zu informieren«, sage ich. Der Wärter am Eingang nickt mir zu und macht dann Platz, damit ich Aaliyah in die Katakomben tragen kann. Wenig später bette ich sie auf eine Liege der Krankenstation. Maverick macht sich daran, eine Spritze aufzuziehen und ich will Aaliyah schon aus ihrer Kleidung schälen, um ihre Verletzungen begutachten zu können, doch Mav stoppt mich.
»Ty, raus hier!«»Aber, ich will dir doch nur …«»Verpiss dich!«, grollt er mich an. Ich werfe einen Blick auf Aaliyah, dann wieder auf ihn. »Spreche ich Chinesisch?«Augenblicklich hebe ich ergeben die Hände und trete den Rückzug an. Dann drehe ich mich um und verlasse zügig den Raum. Natürlich ziehe ich auch die Tür hinter mir zu, doch davor bleibe ich stehen. Ich verstehe, dass es mir nicht zusteht, sie ausgezogen zu sehen, aber ich hatte doch nie vor … verflucht! Ich wollte ihm nur helfen, damit es schneller geht.
Es dauert eine verfickte halbe Stunde, bis Maverick endlich aus dem Behandlungsraum tritt. Unnötig zu erwähnen, dass ich bis dahin das reinste Nervenbündel bin.
»Wie geht es ihr?«, will ich besorgt wissen, als er leise die Tür hinter sich zuzieht.»Besser.« Das ist alles, was er sagt.»Was ist da passiert, Mav?«»Sie wird wieder. Mehr musst du nicht wissen.«»Das klingt so, als wüsstest du mehr. Sag mir, warum sie schon wieder so ausgesehen hat!«»Das kann ich nicht und das weißt du.«»Spuck es aus, Mav! Ich will wissen, wer das war. Wer hat sie so fertig gemacht?«Maverick blickt mir lange in die Augen, sagt allerdings keinen Ton. Und als ich vermute, dass er doch noch reden wird, dreht er sich lediglich von mir weg.
»Maverick!«, grolle ich unheilvoll und reiße ihn am Arm herum, doch er schüttelt nur den Kopf. Mir ist klar, dass er Dinge über sie weiß, die ich vermutlich nie erfahren werde. Dabei wünsche ich mir, dass ich derjenige wäre, der alles über sie weiß. Zur Hölle, ich mache mir brutale Sorgen um sie und ich schwöre mir, ich drehe diesem Wichser, der sie so zugerichtet hat, den Hals um. Egal, wer es ist. Das bekomme ich raus!
»Schalt einen Gang zurück. Es ist ihre Sache, nicht deine.«»Warum, Mav? Du weißt etwas und siehst trotzdem zu, wie sie laufend in Gefahr gerät? Sie sieht ja nicht zum ersten Mal so aus. Irgendwann wird sie noch umgebracht!«»Wenn sie wollte, dass wir etwas unternehmen, würde sie es sagen.«»Du spielst mit ihrem Leben, verdammte Scheiße!«, schreie ich.»Falsch. Ich lasse ihr ihren Willen und ihre Selbständigkeit. Etwas, das du ihr ebenfalls zugestehen solltest. Sie ist erwachsen und kann selbst entscheiden, welches Risiko sie bereit ist, einzugehen.«Sekundenlang sehe ich ihn ungläubig an. Wie kann er einfach wegsehen, wenn sie so aussieht? Wie kann er so tun, als wäre nichts gewesen? Bedeutet sie ihm denn gar nichts? Etwas an dieser Situation stimmt nicht. Mav würde niemals zusehen, wenn sich jemand in Gefahr … In diesem Augenblick fällt es mir wie Schuppen von den Augen. »Scheiße, du hast was mit ihr!«, kombiniere ich. »Du siehst weg, weil sie dich dafür ranlässt?« Entgeistert sehe ich ihn an, doch er schnaubt nur.»Mach dich nicht lächerlich!« Wieder dreht er sich von mir weg.»Verkauf mich nicht für blöd!«»Ty, mach dich locker. Du bist auf dem Holzweg.«»Lüg mich gefälligst nicht an!«»Ich lüge nicht!«, schleudert er mir daraufhin entgegen und wirbelt bei seinen Worten wieder zu mir herum. »Also hör auf, so etwas zu behaupten. Du solltest es besser wissen, Ty. Diese Frau hat nur Augen für einen einzigen Mann.«»Und der wäre?«»Nun hör du auf, mich zu verarschen.«»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Für welchen Mann und warum weiß ich davon nichts? Vielleicht ist er es, der sie …«»Du bist wirklich blinder, als ich dachte. Aber das tut nichts zur Sache. Du wurdest bisher nicht von ihr informiert, weil du verflucht noch mal nicht alles wissen musst. Sie hat ihre Gründe. Also hör auf, nachzubohren. Wenn sie es für richtig hält, wird sie es dir sagen. Von mir erfährst du jedenfalls nichts. Und jetzt tu mir einen Gefallen und geh mir nicht weiter auf den Sack!« Seine Nasenflügel blähen sich auf, als er die Standpauke beendet. »Aaliyah braucht jetzt Ruhe. Komm nachher wieder.« Damit dreht er sich endgültig um und stapft davon.
Noch einmal blicke ich auf die Tür, hinter der sich Aaliyah befindet. Ich will einfach dort hineingehen und ihre Hand halten, doch Maverick hat natürlich Recht. Sie braucht Ruhe. Meine Frustration frisst mich auf, denn gleich zwei Dinge gehen mir gerade nicht aus dem Kopf, während ich mich schweren Herzens umdrehe und zum Trainingsraum gehe. Ich brauche dringend Zeit für mich, um den Kopf freizukriegen. Aber es will mir nicht gelingen, die Grübeleien abzustellen. Mein Gedankenkarussell dreht und dreht sich, während ich mich umziehe und an den Boxsack herantrete.
Ich verstehe Maverick nicht. Er kann doch nicht einfach so tun, als wäre alles normal, wenn sie immer wieder so fertig zurückkommt, auch wenn ihr heutiger Zustand noch einmal eine ganz andere Qualität hatte als sonst. Es wird schlimmer und Maverick verschließt die Augen davor. Schon klar, er ist darauf spezialisiert, den Schaden zu begrenzen. Aber wie wäre es denn mal, wenn man bei der Ursache ansetzt? Das kommt ihm gar nicht in den Sinn. Und warum? Nur, weil es um unsere Chefin geht? Müsste er da nicht erst recht reagieren? Bei jedem anderen würde er es tun. Bei ihr hingegen mischt er sich nicht ein. Hat er etwa Angst vor ihr?
Es ist doch klar, dass ich mir unendliche Sorgen um sie mache und ich möchte wirklich gerne wissen, welcher Gefahr sie sich da aussetzt. Vor allem: warum? Welcher Kerl behandelt sie so? Und wieso lässt sie das zu? Dieser Punkt wurmt mich mehr, als ich es zugeben möchte – es scheint tatsächlich einen Kerl in ihrem Leben zu geben. Aaliyah hat nie Männerbesuch, da bin ich mir sicher. Wo also kommt der Typ plötzlich her, von dem mein Freund da gesprochen hat und wieso weiß Maverick davon und ich nicht? Doch ich kann mir die Frage selbst beantworten. Vermutlich hat er ihr irgendein Verhütungsmittel gegeben.
»Fuck!« Bei meinem Fluch schlage ich auf das Leder ein und fühle mich dennoch keinen Deut besser. Daher setze ich ein weiteres Mal mit einer Kombination nach. Rechts, links, rechts, rechts links, bevor ein Sidekick mit dem Schienbein folgt. Ich sollte mich zuerst aufwärmen, doch mein Puls geht durch die Decke, wenn ich mir vorstelle, wie ein Kerl seine dreckigen Hände auf Aaliyahs Körper …
»Ahhh! Verfluchte Scheiße!«, brülle ich und dresche weitere Male auf den Sack ein. Ich weiß, dass es mir nicht zusteht. Ich weiß, dass ich nie auch nur ansatzweise für sie infrage käme oder ihr überhaupt das Wasser reichen könnte. Niemals würde sie mich wählen, weil ich meilenweit unter ihr stehe. Ich bin ihr zu Diensten, sorge für ihren Schutz und agiere als ihre rechte Hand. So mancher Kerl würde sich den Arm dafür abhacken lassen, um ihr auch nur einmal so nahezukommen, wie ich es oft bin. Selbstverständlich bin ich dankbar, dass ich diesen Stand bei ihr habe und dennoch ... begehre ich so viel mehr.
Ich wünschte wirklich, es gäbe irgendwann eine Chance und dass sie eines Tages mehr in mir sehen würde, als nur den Mann an ihrer Seite, der seinen Scheißjob erledigt. Ja, das wäre die Erfüllung meiner sehnlichsten Träume, die in weitere Ferne rückt als ohnehin schon. Und ich verachte mich selbst dafür, dass ich diese Gefühle für sie hege. Ich verachte mich zutiefst, dass ich es überhaupt wage, über ein solches Szenario nachzudenken.
Allerdings kann ich es nicht abstellen. Daher hasse ich mich für die leise Hoffnung, die ich insgeheim hege; die einfach nicht verschwinden will. Genau diese sticht nun ohne Vorwarnung mit einem spitzen Messer auf meine Seele ein. Immer und immer wieder. Sie tötet meinen Traum, doch dieser leistet weiterhin erbitterten Widerstand, was mein Herz in lauter Einzelteile zerspringen lässt. Der Schmerz, die Wut und die Enttäuschung rauben mir den Atem, während ich versuche, sie durch vollkommene Verausgabung am Sandsack auszuhebeln. Ein kläglicher Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist. Denn als meine Muskeln nach rund drei Stunden Training zu zittern beginnen und kurz darauf vollkommen versagen, ist der Schmerz in meiner Brust immer noch da. Er verhöhnt mich, lacht mich aus und suhlt sich in der Blutlache, zu der mein Herz mutiert ist. Ein Wunder, dass es überhaupt noch schlägt.
Atemlos sinke ich auf die Knie, setze mich auf die Matte und lasse keuchend den Kopf hängen. Ja, ich habe mich selbst bekämpft und natürlich verloren. Wie so oft. Gleichzeitig frage ich mich, wie ich so dumm sein konnte, den Kampf überhaupt aufzunehmen? Gegen mich hat noch niemand gewonnen, weshalb also sollte ausgerechnet ich es also schaffen, gegen mich selbst zu gewinnen? Ich schnaube. Meine Gedankengänge haben etwas von einer gespaltenen Persönlichkeit. Aber wen wundert das schon, wenn man bedenkt, dass sich mein Leben vor langer Zeit tatsächlich geteilt hat. Der daraus entstandene irreparable Schaden zeichnet mich aus, macht mich zu dem, der ich heute bin. Nach wie vor habe ich mit der Vergangenheit nicht abgeschlossen, auch wenn ich diesen Weg selbst gewählt habe. Der Weg eines Feiglings.
Jede Feigheit hat allerdings ihren Preis. Dies ist scheinbar meiner.
Zu meinen Aufgaben gehört es auch, dafür Sorge zu tragen, dass in unserem unterirdischen Stripclub, dem Honey, alles läuft. Zwar haben wir dort Security, dennoch muss ich zwischendurch nach dem Rechten schauen. Ich stelle sicher, dass dort alles nötige vorhanden ist, was gebraucht wird. Und den ein oder anderen Gast habe ich schon persönlich hinausbegleitet, was im Anschluss jeweils ein unangenehmes Gespräch nach sich gezogen hat. Unser Stripclub im Untergrund darf nur von den Bewohnern der Siedlung genutzt werden, denn er ist auch gleichzeitig eine Art Bordell. Da ist Vorsicht geboten. Wir stellen sicher, dass niemand Unbefugtes Zutritt hat, um jegliches Risiko überschaubar zu halten. Für den Besuch gelten strenge Regeln. Keine Werbung nach draußen, gepflegtes Auftreten und regelmäßige Gesundheitschecks sind Pflicht.
Nachdem ich mit Penny, der Teamchefin und Bedienung des Honeys, alles besprochen habe, drehe ich mich um und laufe hinüber zu den Unterkünften. Aaliyah sah eben immer noch überhaupt nicht gut aus, als sie von der Krankenstation herübergelaufen ist. Als ich sie eben im Augenwinkel bemerkt habe, wäre ich am liebsten sofort zu ihr gegangen. Eine Nacht sowie den heutigen Tag hat sie auf der Krankenstation verbracht.
Sie wirkte fahrig, geschwächt und zerstreut, so als wäre sie nicht Herr ihrer Sinne. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie Schmerzen hätte. Es war nur ein flüchtiger Gesichtsausdruck, aber ich habe ihn deutlich gesehen, dafür kenne ich sie inzwischen gut genug. Auch wenn sie das nicht wahrhaben will, aber ich kann sie lesen. Natürlich weiß ich längst nicht alles über sie, allerdings sehe ich auf den ersten Blick, wie es ihr geht. Doch sie spielt immer die Harte. Hat sie Angst, sich mir anzuvertrauen? Bei den anderen kann ich es verstehen, aber vor mir muss sie nicht die Starke spielen. Ob sie das jemals verstehen wird? Niemals würde ich über sie urteilen.Ich habe keine Ahnung, was dieser Frau widerfahren ist, aber sie ist vermutlich das verschlossenste und abweisendste Wesen, das ich kenne. Vielleicht finde ich sie deshalb so faszinierend.
Sie trägt einen unsichtbaren Schutzschild aus Unnahbarkeit und Arroganz um sich herum, und hält dadurch jeden auf Abstand. Noch nie ist sie jemandem - insbesondere Kerlen - zu nahe gekommen. Keinen hat sie je angebaggert oder irgendwem schöne Augen gemacht. Damit gehört sie zu den wenigen aus unserer Kolonie.
Ich gebe zu, dass ich kein Kostverächter bin und gerne mitnehme, was man mir anbietet. Aber sie … Aaliyah ist so etwas wie der Heilige Gral. Beinahe alle Männer aus diesen Gewölben stehen auf sie, aber noch nicht einer durfte ihr an die Wäsche gehen. Zumindest wüsste ich von niemandem, denn seit ich ihr persönlicher Leibwächter bin, hat sie mich jedes Mal informiert, wenn ihr ein Typ zu nahe gekommen ist. Ich passe auf sie auf, lasse niemanden an sie heran.
Man munkelt bereits, dass sie lesbisch ist, doch ich weiß es inzwischen besser. Manchmal reagiert sie auf mich. Dann kann ich deutliches Interesse sehen, wenn ihr Blick über meine Muskeln gleitet. Es ist dieses kurze Verlangen, das in ihren Augen auflodert, die wenigen Sekunden, wenn sie sich dabei auf die Lippe beißt, weil sie glaubt, ich würde es nicht wahrnehmen. Auch wenn sie sich das offenbar nicht eingestehen will, sehnt sie sich nach einem Mann. Ich habe es gesehen. Und zwar nicht nur einmal. Allerdings kann ich nicht einschätzen, ob ihr generell ein starker Männerkörper fehlt, oder ob es vielleicht sogar ich bin, der sie anzieht. Letzteres kann ich jedoch nicht wirklich glauben und es steht mir auch nicht zu, sie danach zu fragen. Es wird einfach irgendein Mann sein, der ihr fehlt. Schätzungsweise verbietet sie sich aber diese Option, weil sie sich keine Schwäche leisten kann. Als unsere Patin trägt sie die Verantwortung der ganzen Siedlung auf ihren Schultern.
Derzeit ist das allerdings nebensächlich, denn ich mache mir ernsthaft Sorgen um sie. Ich glaube, ich bin neben Mav der Einzige, der in den letzten Monaten einen Draht zu ihr aufgebaut hat. Sie ist immer unnahbar, doch es gibt Augenblicke, in denen sie bei uns beiden auftaut. Ich fühle mich daher verpflichtet, sie aufzufangen, wenn es ihr nicht gut geht, möchte ihr Freund sein. Das wollte ich schon, als ich damals in diese Katakomben kam und sie zum ersten Mal gesehen habe. Es hat mich Jahre gekostet, ihr so nahezukommen.
Jetzt stehe ich vor ihrer Tür und klopfe, aber im Inneren rührt sich nichts. Daher mache ich mich erneut bemerkbar.
»Aaliyah?«, frage ich, doch aus ihrer Unterkunft kommt keine Antwort. Ich will mich gerade umdrehen und später noch einmal wiederkommen, doch in diesem Moment höre ich ein Geräusch hinter der Tür. Es ist nichts, was ich näher benennen könnte, doch da war etwas.
»Aaliyah? Bist du da?«, rufe ich erneut, aber ich bekomme wieder keine Reaktion. Plötzlich habe ich ein ganz ungutes Gefühl. Ich kann es nicht beschreiben, aber die Unruhe in mir wächst und ich drücke die Klinke herunter. Zu meiner absoluten Überraschung ist die Tür offen. Niemand, wirklich niemand, lässt hier unten seine Tür unverschlossen! In dieser Siedlung rennt der letzte Abschaum herum und keiner traut dem anderen bis dahin, wo er sehen kann. Ein Grund mehr, nach ihr zu schauen, wenn sie derart neben der Spur ist, dass sie vergessen hat, abzuschließen.
Vorsichtig drücke ich die Tür einen Spalt breit auf.
»Aaliyah, hörst du mich?« Nichts. Absolut kein Laut dringt aus ihrer Bleibe. Daher schlüpfe ich hindurch und sehe mich um, während ich leise die Tür hinter mir schließe. Das ungute Gefühl in mir wächst. Natürlich sollte ich nicht hier sein, zumindest nicht ohne ihre Erlaubnis. Ich darf mich daher nicht wundern, wenn ich gleich ein Messer im Rücken habe, somit schleiche ich äußerst angespannt voran. In ihren privaten Räumen duldet sie niemanden, nicht einmal mich. Meine Umgebung habe ich dementsprechend jederzeit im Blick.
Ihre kleine Wohnung, wenn man die Löcher, in denen wir hier hausen so bezeichnen möchte, ist aufgeräumt, beinahe schon klar strukturiert. Damit lebt sie absolut konträr zu meinem Lebensstil. Bei mir herrscht das Chaos, die Unordnung. Früher war das anders, aber als mein ganzes Leben den Bach runterging, sparte ich mir das Aufräumen. Wozu auch? Es kann jeden Moment vorbei sein, weshalb sollte ich mich da mit solchen Banalitäten wie Ordnung befassen?
Je weiter ich in ihr kleines Reich vordringe, desto lauter wird plötzlich das Rauschen. Es hielt schleichend Einzug und erst jetzt nehme ich es bewusst wahr. Wasser. Eindeutig Wasserrauschen. Zielstrebig steuere ich das kleine Bad am Ende der Wohnung an. Unsere Unterkünfte, die wie Höhlen in den Stein gehauen wurden, sind alle gleich aufgebaut, daher finde ich mich ohne Weiteres zurecht.
Auch hier klopfe ich an die Tür.»Aaliyah?«
Einen Moment lausche ich, dann entscheide ich mich, auch hier die Tür zu öffnen, da ich keine Reaktion erhalte.
»Ich komme jetzt rein«, warne ich sie vor, dann drücke ich auch hier vorsichtig die Klinke nach unten. Heißer Wasserdampf schlägt mir entgegen, als ich sie wenige Zentimeter öffne. Wieder warte ich einen Moment, dass ein Veto kommt, doch es bleibt aus. Stattdessen meine ich, so etwas wie ein Schluchzen durch das Geräusch des prasselnden Wassers hindurch zu hören.
Meine Eingeweide ziehen sich bei der vorhandenen Geräuschkulisse zusammen, daher traue ich mich, die Tür weiter zu öffnen. Und dann sehe ich Aaliyah. Sie sitzt in der Duschwanne vollkommen in sich zusammengesunken. Das Wasser prasselt von oben auf die herab. Sie hat noch ihre blutverschmierte Kleidung von eben an und ist bereits vollkommen durchnässt. In ihrer Hand befindet sich ein Klappmesser, welches sie mit hängendem Kopf anstarrt.
Sofort wird es mir gleichzeitig heiß und kalt, als ich die Klinge in ihrer Hand wahrnehme. Ihre Schultern beben geringfügig, während ich mich vorsichtig nähere.
»Aaliyah?«, spreche ich sie leise an und gehe langsam auf sie zu, weil ich nicht weiß, in welcher Verfassung sie ist. Ich habe diese Frau noch nie weinen gesehen. Und da ich keine Lust habe, die Waffe gleich zwischen den Rippen stecken zu haben, bin ich mehr als wachsam. Doch sie rührt sich nicht einmal, sieht mich auch nicht an. Ich stelle das Wasser ab, knie mich neben sie und versuche, ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Schminke ist verlaufen und sie hat inzwischen die Augen geschlossen. Wasser tropft von ihrer Nasenspitze sowie dem Kinn. Mir zerreißt es förmlich das Herz bei ihrem Anblick.
»Gib mir das Messer«, flüstere ich und strecke die Finger aus. Vorsichtig lege ich meine Hand auf ihre, greife nach der Waffe. Sie lässt es geschehen, öffnet sogar bereitwillig die Hand und ich nehme den Holzgriff an mich, klappe die Klinge ein und stecke das Ding in meine Hosentasche am Hintern. Sicher ist sicher. Anschließend streiche ich ihr über die Wange, wobei sie ihre Stirn in Falten legt, doch sonst rührt sie sich nicht. Auch ihre Augen bleiben geschlossen. Sie weint auch nicht mehr, sitzt einfach nur da.
»Willst du darüber reden?«, frage ich sie sanft, doch sie schüttelt kaum merklich den Kopf. Zumindest eine Reaktion in ihrem verstörten Zustand, denke ich und atme leise aus. Anschließend hole ich ein großes Handtuch von der Stange, lege es ihr um und ziehe sie besorgt an mich. Ich hebe sie hoch, bette sie auf meine Arme und trage sie aus dem Bad. Vorsichtig setze ich mich mit ihr aufs Bett, halte sie weiterhin fest. Dass sie dabei auch meine Kleidung komplett durchnässt, ist mir total egal.
»Du musst aus den nassen Sachen raus«, sage ich leise. »Sonst holst du dir den Tod.« Sie antwortet auch jetzt nicht. »Soll ich dir helfen? Ich schwöre, ich mache auch die Augen zu.« Immer noch reagiert sie nicht. Sie ist total apathisch und ich habe nicht den blassesten Schimmer, was mit ihr los ist. Da sie jedoch keine Anstalten macht, sich abzutrocknen oder auszuziehen, übernehme ich das für sie. Zuerst rubbele ich sie mit dem Handtuch etwas ab, trockne auch die Haare ein wenig. Dann knöpfe ich das Langarmshirt über ihrer Brust auf und versuche, den nassen Stoff nach oben zu ziehen.Das löst ihre Starre und sie springt panisch von meinem Schoß. Jetzt sieht sie mich mit großen Augen an und zischt: »Fass mich nicht an!«, wodurch ich sofort beschwichtigend die Hände hebe.
»Du musst dich umziehen, Aaliyah.«Doch sie schüttelt nur den Kopf. Immer und immer wieder.
Ich stehe auf, gehe langsam auf sie zu, doch sie weicht zurück. Einen Moment verharre ich, dann gehe ich einen weiteren Schritt auf sie zu. Danach noch einen.
»Was ist los?«Wieder entgegnet sie mir nur ein Kopfschütteln.»Du kannst mit mir reden«, beschwichtige ich sie, doch wieder habe ich das Gefühl, dass sie mich gar nicht hört. »Was ist passiert?«, versuche ich es erneut.
»Ich kann nicht …«»Was kannst du nicht?«»Reden.« Dabei bricht ihre Stimme.
»Okay. Du musst nicht reden. Aber bitte zieh dich um.«
Jetzt sieht sie mich endlich wieder an, doch in ihren Augen liegt so viel Schmerz, dass es mir beinahe das Herz zerfetzt. Mit den nassen Sachen, den feuchten Haaren sowie dem bekümmerten Gesichtsausdruck sieht sie so hilflos und verletzlich aus, dass ich sie am liebsten in meine Arme schließen und nie wieder loslassen möchte.
»Würdest du …«Als sie nicht weiter spricht, hake ich nach.»Was soll ich machen?« In diesem Moment würde ich alles für sie tun.Tief atmet sie durch, dann setzt sie erneut an. »Würdest du bitte rausgehen?«
Ich stocke, betrachte sie einen Moment. Ein irrationaler Stich durchzieht bei ihren Worten meinen Brustkorb.»Ich möchte dich in diesem Zustand eigentlich nicht alleine lassen.«
»Bitte. Ich brauche … nur ein paar Minuten.«Zögerlich nicke ich dann doch. »Soll ich draußen warten?«.
Wieder schüttelt sie den Kopf. »Kannst du in einer halben Stunde wiederkommen?«, fragt sie leise und diesmal bin ich es, der nickt.»Sicher. Ich bin gleich wieder da. Schließ jetzt ab, ja?«Sie nickt. Ein letzter Blick auf sie, ob ich wirklich gehen soll, dann drehe ich mich um und laufe zur Tür. Leise schließe ich diese nach mir und sehe auf die Uhr. Dabei bleibe ich nervös hinter der zugezogenen Tür stehen und lausche noch einen Moment. Doch als ich das Schloss klicken höre, gehe ich schließlich zu meiner Behausung. Dort tigere ich unruhig mehrere Minuten durch die Bude. Weil ich nicht weiß, womit ich mich ablenken soll, räume ich zumindest ein paar umherliegende Klamotten vom Boden weg und schaffe so ein wenig Ordnung. Dann ziehe ich mich ebenfalls um, bevor ich mit noch mehr Fragezeichen im Kopf etwas später wieder vor ihrer Tür stehe. Viel zu früh zwar, aber ich halte es keine Minute mehr bei mir aus.
Leise klopfe ich. »Aaliyah? Ich bin’s.«
»Moment«, höre ich von innen und atme erleichtert aus. Sie wirkt gehetzt, aber etwas gefasster. Und die Tatsache, dass sie mir direkt antwortet, beruhigt mich sofort.
Kurz darauf geht die Tür auf. Sie sieht furchtbar aus. Ihr Make-up ist noch immer verschmiert, doch mich stört das nicht. Ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass sie mich einmal hinter ihre Fassade blicken lässt. Kümmerlich und verloren steht sie vor mir. Sie trägt jetzt weite Joggingkleidung, die sie gegen die feuchten, blutverschmierten Sachen getauscht hat.
Ich trete ein und sie dreht sich um, hebt die nassen Klamotten auf, die sie mitten im Raum hat liegen lassen und trägt sie ins Bad. Dabei bemerke ich einen frischen, roten Fleck auf der Hose. Aus einem Reflex heraus halte ich sie am Arm fest und sie zuckt zusammen, während ich ihren inneren Oberschenkel eingehend in Augenschein nehme.
»Das ist Blut«, kommentiere ich den Fleck und frage mich, warum mir das eben nicht schon aufgefallen ist. Doch da ihre Kleidung mehrere Blutflecke aufgewiesen hat, muss mir das frische entgangen sein.
Sofort wird sie rot, entreißt mir ihren Arm und stürmt ins Bad. »Ich habe meine Tage«, erklärt sie, ohne mich anzusehen und ist kurz darauf aus meinem Sichtfeld verschwunden.
Shit! Ich Idiot! Ich hätte zwar schwören können, dass der Fleck tiefer an der Hose war, aber was weiß ich schon?
Als sie wiederkommt, hat sie eine frische Jogginghose an. Aaliyah läuft mit gesenktem Kopf an mir vorbei, doch ich halte sie sanft am Arm fest, drehe sie anschließend zu mir zurück und lege meinen Finger unter ihr Kinn. Dabei drücke ich es leicht nach oben, damit sie mich ansieht. Ich streiche ihr erneut über die Wange, hebe sie auf meine Arme, trage sie zum Bett und lege sie hin.
»Brauchst du etwas? Schmerztabletten oder eine Wärmflasche?«, frage ich, als ich mich über sie beuge. »Schokolade?«, setze ich nach und biete ihr an, auch diese für sie zu besorgen.
Lange sieht sie mich an, als könnte sie nicht fassen, was ich sie gerade gefragt habe, doch ich meine das ernst.
»Eine Sache gäbe es, ja.«»Dann raus damit.«»Könntest du … dich eine Weile neben mich legen? Nur einen Moment«, fragt sie und senkt wieder den Kopf. Mein Herz macht einen Satz und sofort steigt das Adrenalin in mir. Sie will, dass ich mich …?
»Natürlich. Rutsch mal ein Stück«, spricht mein Mund bereits aus, was mein Kopf noch nicht erfasst hat. Mit einem großen Schritt bin ich neben ihr, ziehe sie in meine Arme und Aaliyah schmiegt ihren Kopf an meine Brust. Fasziniert und gleichzeitig geschockt wage ich es kaum, mich zu rühren, doch als sie sich an meiner Seite entspannt, gönne ich mir selbst einen tiefen Atemzug. Ich kraule ihren Rücken, streichele ihren Arm und genieße es viel zu sehr, so nah neben ihr zu liegen. Sie riecht himmlisch und würde es ihr nicht so beschissen gehen, wäre ich im siebten Himmel. So jedoch konzentriere ich mich darauf, einfach für sie da zu sein. Und Aaliyah rührt sich kein einziges Mal mehr. Ihr gleichmäßiger Atem trifft sachte auf meinen Hals und verursacht bei mir eine Gänsehaut, doch ich möchte keine Sekunde davon missen. Das hier ist einfach perfekt! Sie derart nah an mir zu spüren, ist alles, was ich je wollte. Was ich jemals zu träumen gewagt habe und die Tatsache, dass sie mir inzwischen genug vertraut, um neben mir zu liegen, kann ich kaum fassen.
»Superman«, murmelt sie plötzlich und ich sehe sie überrascht an.»Was hast du gesagt?«, hake ich nach, doch sie reagiert nicht mehr. Anscheinend träumt sie bereits. Daher verbuche ich es als wirren Traum, während ich sie fester an mich ziehe.
Stundenlang halte ich sie, bis sie schließlich eingeschlafen ist und selbst am nächsten Morgen liegt sie noch genauso da. Die letzten Stunden waren anstrengend und genial zugleich, da ich nicht wirklich geschlafen habe. Geruht trifft es mehr, denn ich habe die ganze Zeit über sie gewacht.
Es mag selbstsüchtig klingen und ich verachte mich für diesen Gedanken, aber das hier war vermutlich die beste Nacht meines bisherigen Lebens. Gleichzeitig weiß ich, dass es auch die letzte beste Nacht gewesen sein wird, denn auf eine Wiederholung werde ich wohl kaum hoffen dürfen.
14,5 Jahre zuvor
Mit gehorsam strengem Gang betrete ich das Büro des Hauptmanns, nehme Haltung an und salutiere, so, wie es von mir erwartet wird.»Sie können sich rühren, Soldat«, spricht mich der Hauptmann auf Ukrainisch an. Inzwischen beherrsche ich die Sprache fast perfekt. »Schließen Sie die Tür und setzen sich.« Ich tue, was er mir aufgetragen hat und nehme vor seinem Schreibtisch auf einem Stuhl Platz. »Wie lange sind Sie nun schon beim ukrainischen Militär?«, fragt er und schlägt dabei eine Akte auf. Vermutlich ist es meine.»Seit eineinhalb Jahren, Sir«, entgegne ich.»Und fühlen Sie sich bei uns wohl?«»Jawohl, Sir«»Nun, Sie leisten gute Dienste.«»Danke, Sir.«»So gute, dass man vorhat, Ihnen ein Angebot zu unterbreiten.«»Sir?«»Mich erreichte kürzlich ein Gesuch der Special Operation Forces, dass für eine geheime Militäraktion ein neues Gesicht gesucht wird. Jemand Unbekanntes, der als verdeckter Ermittler in eine kriminelle Organisation eingeschleust werden soll. Ich bin mir sicher, Sie hätten das Zeug dazu. Die Frage ist jedoch: Trauen Sie sich das zu?« Vermutlich fällt mir in diesem Moment alles aus dem Gesicht und ich fühle mich unfähig, ihm zu antworten. »Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Schlafen Sie eine Nacht darüber. Ich will Ihnen nichts vormachen. Die Sache ist gefährlich. Aber wenn Sie Ihren Job genauso gut machen, wie in ihrer bisherigen Einheit, steht Ihnen eine große Zukunft bevor, Soldat.«Wie es passieren konnte, dass ich zu dieser Ehre komme, entzieht sich meiner Kenntnis. Als ich vor eineinhalb Jahren nach meiner Flucht aus Vancouver in der Ukraine gestrandet bin, haben sie keine großartigen Fragen gestellt. Ich brauchte einen Job, sie brauchten Soldaten. Es war reiner Zufall, dass man mich auf der Straße rekrutiert hat. Seither habe ich mich immer bemüht, ihren Anforderungen zu genügen, habe sogar weit darüber hinaus gearbeitet. Wenn Sie einhundert Liegestützen gefordert haben, habe ich einhundertzwanzig gemacht. Wenn es darum ging, sich für Drecksarbeit freiwillig zu melden, habe ich Extraschichten geschoben. Ich tat alles, um mir den Respekt zu verdienen. Was soll ich sagen? Offenbar werden meine Bemühungen heute honoriert.»Es ehrt mich sehr, dass Sie mir diese wichtige Aufgabe zutrauen, Sir.