Spring of Love - Marina Ocean - E-Book

Spring of Love E-Book

Marina Ocean

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Beschreibung

Sinnliche Geschichten für sonnige Tage und atemberaubende Nächte. Perfekt für den Frühling. Inhalt: • Irische Liebe • Frühlingsküsse • Lost in your arms • Kirschblütenküsse • Osterunfall mit Folgen • Flitterwochenküsse • Spring means Love, Baby! • Hochzeitsküsse Diese Veröffentlichung enthält überarbeitete Geschichten und Gedichte aus der Seasons Reihe (ehem. Buch Spring Lovestories) sowie auch neue Schriftwerke.

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Seitenzahl: 301

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Die Seasons Reihe von Marina Ocean und Nova Cassini

Summer of Love - Band 1

Autumn of Love - Band 2

Winter of Love - Band 3

Spring of Love - Band 4

Impressum

© Copyright: 2023 Marina Ocean & Nova Cassini

Marina Ocean & Nova Cassini

c/o Autorenservice Gorischek

Am Rinnergrund 14/5

8101 Gratkorn

Österreich

[email protected]

[email protected]

1. Auflage

Umschlaggestaltung: Marina Ocean

Bildquelle: Adobe Stock

Lektorat, Korrektorat:

Britta Schmeinck, Nika Sakraf, Kat Lawrence,

Simone Reuß, Kate Novella, Lina Struck, Nova Cassini, Marina Ocean

Druck und Distribution im Auftrag der Autoren:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

Germany

ISBN Softcover: 978-3-347-99990-9

ISBN Hardcover: 978-3-347-99991-6

ISBN E-Book: 978-3-347-99992-3

Diese Veröffentlichung enthält überarbeitete Geschichten und

Gedichte aus der Seasons Reihe (ehem. Buch Spring Lovestories)

sowie auch neue Schriftwerke.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autoren unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem Buch befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Autorinnen Nova Cassini und Marina Ocean die Inhalte Dritter nicht zu eigen machen, für die Inhalte nicht verantwortlich sind und keine Haftung übernehmen.

Alle Charaktere in diesem Buch sind frei erfunden und eine Ähnlichkeit mit anderen lebenden oder bereits verstorbenen, sowie etwaigen bereits bestehenden, fiktiven Personen wäre zufällig und ist somit keinesfalls beabsichtigt.

Erwähnte Marken oder Titel dienen lediglich der Beschreibung. Die Rechte hierzu liegen ausschließlich bei den Markenbetreibern oder den Rechteinhabern der jeweiligen Titel.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Irische Liebe

Frühlingsküsse

Lost in your arms

Kirschblütenküsse

Osterunfall mit Folgen

Flitterwochenküsse

Lara

Jacob

Lara

Jacob

Lara

Spring means love, Baby!

Hochzeitsküsse

Leseempfehlung

Danksagung

Über die Autorinnen

Spring of Love

Cover

Titelblatt

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Irische Liebe

Leseempfehlung

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Irische Liebe

»Jetzt warte doch mal, Ivy!«

»Nein! Wozu?«

»Weil es mir unendlich leidtut und ich es dir erklären möchte.«

Höhnisch lache ich auf. Es tut ihm leid? Es tut ihm leid? Für wie blöd hält der mich eigentlich?

»Das hättest du dir vorher überlegen sollen, bevor du mit dieser Stripperin rumgemacht hast. Also spar dir deine Erklärungen, denn ich will sie nicht hören.« Mir schießen Tränen in die Augen und ich hasse mich selbst dafür, dass ich es nicht geschafft habe, es bis in meine Wohnung hinauszuzögern. Dass ich jetzt vor ihm auch noch schwach werde, geht überhaupt nicht.

»Bitte, Ivy.« Inzwischen hat mich Kevin erreicht und fasst mich am Handgelenk. »Es war ein Ausrutscher und wird nie wieder passieren. Ich schwöre es dir!«

»Lass mich gefälligst los«, gifte ich ihn an. Eine Träne rinnt meine Wange hinunter. Ich bleibe stehen, drehe mich zu ihm um und sehe ihm wild atmend entgegen. »Es wird ganz sicher nicht wieder vorkommen, da du mich ab jetzt nicht mehr betrügen kannst.«

»Hör doch auf mit diesem Aufstand und lass uns in Ruhe darüber reden«, kommentiert er meinen Gefühlsausbruch. Wie sehr ich ihn dafür verachte!

»Aufstand? Ernsthaft?« Checkt der eigentlich noch irgendwas?

»Ja, du benimmst dich, als wäre das der Weltuntergang. Es ist doch nur passiert, weil ich zu viel getrunken hatte.« Jetzt versucht er auch noch, sich herauszureden.

»Halt deine elende Klappe, Kevin! Ich habe an meinem Jungesellinnen-Abschied ebenfalls getrunken. Bin ich deshalb gleich mit dem nächstbesten Kerl in der Kiste gelandet? Nein!« Wutentbrannt drehe ich mich wieder um. Dass er es überhaupt gewagt hat, mir so etwas anzutun. Ich bin absolut fassungslos, weiß gar nicht, was ich dazu noch sagen soll.

»Bei Männern ist das auch etwas vollkommen anderes. Müssen wir das unbedingt hier auf der Straße besprechen?« Fast wirkt er genervt und ich frage mich, ob er das tatsächlich ist. Wenn ja, wovon? Von dieser Situation? Weil es unbequem wird? Von mir? Oder etwa von meiner Reaktion? Plötzlich wird mir klar, dass wir uns in den letzten Jahren wohl weiter voneinander entfernt haben, als ich das jemals für möglich gehalten hätte. Langsam frage ich mich ernsthaft, warum ich diesen Kerl eigentlich so sehr liebe? Im Moment wünsche ich mir nur, dass ihn eine höhere Macht für das, was er mir angetan hat, buchstäblich in der Luft zerreißt.

»Verschwinde!« Wütend und zutiefst verletzt entreiße ich ihm meinen Arm und renne los.

»Ivy, bleib stehen!«

Ich denke gar nicht daran. Ganz im Gegenteil, ich laufe sogar noch schneller. Der Bürgersteig fliegt nur so unter mir dahin, während mir die Tränen die Sicht verschleiern. Mein Herz blutet in der Brust. Dieser Verrat ist so unfassbar für mich, dass es mir immer noch wie ein übler Scherz vorkommt. Ich wollte ihm gerade seine Lunchbox auf der Arbeit vorbeibringen, weil er die heute Morgen in aller Eile vergessen hatte. Als ich jedoch in der Firma gehört habe, wie er sich über den Ausrutscher mit seinem Kollegen unterhalten hat, der nebenbei auch einer seiner besten Freunde ist, fiel mir buchstäblich alles aus dem Gesicht. Alle seine Kumpels waren dabei und haben es gesehen, wie er mich mit diesem Flittchen hintergangen hat. Wie er erst auf der Tanzfläche mit ihr rumgemacht und anschließend mit ihr verschwunden ist. Diesen Scheißkerl will ich nie, nie wieder sehen! Es wundert mich wirklich, dass er alles hat stehen und liegen lassen; dass er mir trotz Arbeitszeit hinterherläuft. Auf der anderen Seite gilt es ja nicht jeden Tag, seine Beziehung zu retten. Dass er sich das jedoch sparen kann, scheint er nicht verstehen zu wollen.

»Ivy, verdammte Scheiße!«, höre ich ihn hinter mir fluchen und ich schluchze auf. Ich hasse ihn! Abgrundtief. Es tut so unglaublich weh.

Natürlich liebe ich ihn noch immer, auch wenn ich es so gern abstellen würde, doch das geht nun einmal schlecht. Daher werde ich fast wahnsinnig, als ich darüber nachdenke, wie diese Stripperin wohl ausgesehen haben mag. Sicher war sie gertenschlank und damit so ganz anders als ich. Ich bin von schlank weit entfernt, habe bestimmt zehn Kilo zu viel auf den Rippen. Allerdings ist das noch lange kein Grund, mich so zu verletzen! Dennoch nagt die Unsicherheit an mir und ich frage mich, was den Ausschlag zu seiner Untreue gegeben hat? Findet er mich etwa nicht mehr anziehend genug, dass er die andere vögeln musste? Aber warum hat er mir dann überhaupt einen Antrag gemacht?

Mein Herz springt mir beinahe aus der Brust, während meine Lungenflügel brennen und die Beine schmerzen. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal so gerannt bin. Vermutlich beim Sportunterricht in der Schule, was knapp fünfzehn Jahre zurückliegt. Wie sehr uns unser Sportlehrer damals gequält hat …

Es fühlt sich an, als würde ich um mein Leben laufen und gewissermaßen ist das ja auch so. Er soll es bloß nicht wagen, mir noch einmal zu nahe zu kommen. Ab heute werde ich mich und mein Herz vor ihm schützen und ich schwöre mir selbst, dass dieser Kerl nie wieder auch nur ansatzweise in meine Nähe kommen wird.

Bereits einige Meter vor der Haustür, krame ich in meiner Manteltasche nach dem Schlüssel und habe ihn sogleich in der Hand. Atemlos haste ich die drei Treppenstufen hoch, die am Haus hinaufführen, stoppe, stecke den Schlüssel ins Schloss und schließe auf. Daraufhin schlüpfe ich eilig hinein und werfe die Tür hinter mir sofort wieder zu. Keine Sekunde zu früh, wie sich herausstellt, denn nun höre ich ihn wild gegen die Tür hämmern.

Ein paar Schritte trete ich zurück, haste hinauf in die Wohnung und werfe auch dort die Tür hinter mir ins Schloss. Ich verriegele meine Wohnungstür, stelle die Klingel ab, die er jetzt auch schon mehrfach betätigt hat und sinke dann an der Wand im Flur zu Boden. Wie unglaublich froh ich bin, derzeit noch meine eigenen vier Wände zu haben, in die ich mich zurückziehen kann, ist für mich kaum in Worte zu fassen. Nicht auszudenken, wenn ich schon mit Sack und Pack bei ihm eingezogen wäre … Dann hätte ich ihm in der jetzigen Situation nicht entkommen können; hätte mich mit ihm auseinandersetzen müssen. Natürlich habe ich die ganze Zeit schon mehr oder weniger bei ihm gewohnt, war täglich bei ihm und habe erst kürzlich meine Wohnung gekündigt. In ein paar Tagen hätte ich die wenigen Habseligkeiten aus meiner Bude zu ihm geschafft. Doch auch wenn es jetzt mein vermeintliches Glück ist, dass ich hier zwischen gepackten Umzugskartons sitzen kann, so gnadenlos holt mich bei ihrem Anblick auch die unglaubliche Wucht der bitteren Realität ein. Es ist aus, alles ist aus! Das war es wohl mit meiner Beziehung und noch dazu sitze ich in ein paar Wochen auf der Straße. Wo soll ich denn jetzt hingehen?

Von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt, rolle ich mich zusammen. Die Verzweiflung in mir wird übermächtig und dann erlaube ich mir selbst, den Tränen freien Lauf zu lassen. Auf dem Fußboden zusammenzubrechen, hat etwas Befreiendes. Es ist keine Lösung, aber es hilft erst einmal, den Druck auf meiner Brust zu lindern.

Ich weine meinen Schmerz heraus, versuche, den Verrat an meiner Person zu verkraften und gebe mich der Traurigkeit hin. So lange bis ich keine Tränen mehr habe und meine Augen richtig brennen. Vollkommen verausgabt und noch zu schwach zum Aufstehen, bleibe ich einfach liegen. Und während ich noch die weiße Wand vor mir anstarre, spüre ich schon, wie meine Lider plötzlich schwer werden und ich langsam und kraftlos in einen traumlosen Schlaf übergleite.

***

»Das war die letzte«, stöhnt meine Freundin Anna neben mir, als sie noch eine der braunen Kisten in der Garage meiner Eltern abgestellt hat.

»Danke! Ich wüsste echt nicht, was ich ohne dich gemacht hätte«, gestehe ich ihr mit gesenktem Blick. Seit dem Vorfall von vor acht Wochen, habe ich mich eigentlich nur in einem Schneckenhaus verschanzt. Meine Eltern hatte ich gebeten, die Hochzeit abzusagen. Gott sei Dank hat sich meine Mutter umgehend darum gekümmert, ohne großartige Fragen zu stellen. Das war auch überhaupt nicht nötig, denn allein mein momentan verwahrloster Anblick und meine vor Bitterkeit triefende Stimme haben eigentlich alles gesagt, was man hätte wissen müssen.

Anna ist bei mir aufgetaucht, hat mich erst einmal dazu genötigt, ein heißes Bad zu nehmen und mir anschließend dabei geholfen, die Umzugskartons aus meiner Wohnung zu schaffen. Ich selbst wäre dazu alleine vermutlich nicht in der Lage gewesen und hätte den Übergabetermin der Schlüssel mit meinem Vermieter zu eintausend Prozent verpasst!

»Ach, papperlapapp! Du hättest das Gleiche für mich getan.«

Definitiv! Für sie würde ich vermutlich durchs Feuer gehen, wenn ich müsste.

»Und du willst wirklich fliegen?«

Apathisch nicke ich und frage mich, ob ich das tatsächlich möchte. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, aber ein Tapetenwechsel klingt zumindest in meinen Ohren irgendwie verlockend und sinnvoll. Natürlich renne ich davon, das ist mir bewusst, aber ich halte es hier nicht eine Stunde länger aus. Also habe ich wohl keine wirkliche Wahl.

Kevin schreibt mir mehrmals täglich, ist sogar bei meinen Eltern aufgetaucht und hat mich gesucht. Natürlich kann er sich denken, dass ich nach der Wohnungsübergabe erst einmal hier untergekommen bin. Zum Glück haben sie ihn nicht reingelassen und mich abgeschirmt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Das mit Kevin ist aus und vorbei. Mit ihm bin ich ein für alle Mal durch, denn so etwas kann ich nicht verzeihen. Niemals!

Anna kommt auf mich zu, nimmt mich in den Arm und drückt mich fest, während ich meine Mutter aus der Haustür kommen sehe.

»Na, ihr zwei? Seid ihr schon fertig? Ich dachte, ich könnte euch noch etwas helfen.« Ihr irischer Akzent ist inzwischen kaum noch zu hören, für mich ist er jedoch immer noch sehr präsent.

»Nein, Frau Schneider. Das Auto ist bereits ausgeladen«, verkündet Anna stolz, während sie mich aus ihrer Umarmung entlässt.

»Dann kommt noch mal rein. Ich mache uns einen Tee, bevor wir Ivy zum Flughafen fahren.«

Das werde ich vermissen. Ich weiß es schon jetzt, denn das wohltuende Heißgetränk meiner Mutter hat immer etwas Tröstendes an sich. Seit ich denken kann, hat sie Tee gekocht, wenn es mir schlecht ging und er hat mich bisher jedes Mal von innen gewärmt. Meist Hagebuttentee, weil ich den am liebsten trinke, aber auch diverse Früchtetees finden sich in ihrem Schrank.

Mit Vorfreude und gleichzeitig unglaublichem Wehmut, folge ich ihr zusammen mit Anna ins Haus, lasse mir in der Küche eine Tasse von ihr reichen und entscheide mich auch diesmal für Hagebutte. Anna füllt sich frisch getrocknete Pfefferminzblätter in ihr Tee-Ei. Anschließend setzen wir uns, gießen wenig später das perfekt temperierte Wasser in die Tassen und warten geduldig, bis unsere Getränke durchgezogen sind.

Langsam führe ich die Tasse zum Mund, rieche bereits den wärmenden, leckeren Geruch und nippe an der heißen Flüssigkeit. Es wird vermutlich für eine lange Zeit das letzte Mal sein, dass mich der vertraute Duft und das liebevolle Gefühl von zu Hause einhüllen.

***

Etwa sieben Stunden später befinde ich mich bereits im Landeanflug. Der rund zweistündige Flug nach Dublin hat mich aufgewühlt, obwohl ich versucht habe, ein wenig zu schlafen. Die Betonung liegt jedoch auf versucht, denn wirklich funktioniert hat es nicht. Also habe ich mich damit begnügt, die Augen zu schließen und zumindest so zu tun, als würde ich selig im Land der Träume schlummern.

Ob aufgrund Vorspiegelung falscher Tatsachen, damit mich mein Sitznachbar möglichst in Ruhe lässt, oder um mich selbst zu beruhigen, kann ich nicht sagen. Vermutlich beides.

Denn auch wenn ich mich auf diesen Trip gefreut habe, weil ich endlich meine Oma wiedersehe und ebenso, damit ich zu Hause allem entkomme, kann ich trotzdem nicht leugnen, dass ich meine Eltern sowie meine Freundin vermisse. Schon am Flughafen hätte ich einfach nur heulen können, weil ich wusste, dass ich länger bleiben werde. Bescheuert eigentlich, denn mir stehen alle Türen offen. Wenn ich wollte, wäre es möglich, noch heute Abend einen Flieger zu buchen, der mich zurückbringt. Aber ich will es gar nicht. Und diese Tatsache verwirrt mich ungemein. Auf der einen Seite möchte ich nur noch nach Hause, mich wieder in meinem Schneckenhaus verkriechen und auf der anderen Seite bin ich froh, Deutschland für ein paar Wochen entkommen zu können. Dass ich Kevin entfliehen kann, um meinen Kopf frei zu bekommen, ist absolut notwendig.

Der Druck auf meinen Ohren verstärkt sich und erinnert mich schmerzhaft daran, weshalb ich meine Oma nicht viel öfter besucht habe. Es hat einen Grund, warum ich so selten fliege. Die Ohrenschmerzen beim Landeanflug sind für mich jedes Mal die reinste Qual und ich muss mich schwer zusammenreißen, dass ich mir den Leidensdruck nicht anmerken lasse. Am liebsten würde ich schreien vor Schmerz, weil mein Innenohr offensichtlich unfähig ist, den Druckausgleich zu vollziehen. Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, bei wie vielen Ärzten ich deswegen schon war, aber keiner konnte mir bisher helfen. Mein Körper scheint fürs Fliegen nicht gemacht zu sein.

Was habe ich nicht alles versucht. Von Trinken über Essen war vieles dabei, sogar Gummibärchen zu naschen, habe ich probiert. Es hilft kein Schlucken, kein Kaugummi kauen und auch keine abschwellenden Nasentropfen, die mir ein Arzt einmal als Geheimtipp verschrieben hat. Ja, selbst beim Autofahren spüre ich den Druck im Ohr, wenn ich nur minimale Berge rauf und wieder hinunterfahre. Was der rasante Abfall der Maschine in der Luft mit meinem Innenohr anstellt, wenn ich das Autofahren über landschaftliche Hügel schon nicht vertrage, kann sich sicherlich jeder denken.

Zusätzlich macht sich auch noch dieses flaue Gefühl im Magen breit, das ich so unglaublich hasse. Meine Hände greifen nach der Lehne links und rechts neben mir. Die Fingernägel bohre ich in den weichen Stoff, bis sie auf das harte Metall darunter treffen und sich ein unangenehmer Druck auf den Fingerkuppen ausbreitet. Meine Atmung wird hektischer, mein Puls beginnt zu rasen und ich habe das Gefühl, dass mein Innenohr jeden Moment platzen könnte, falls sowas überhaupt möglich ist ... Anatomisch gesehen habe ich davon keine Ahnung und ich will es mir auch gar nicht vorstellen.

Ich konzentriere mich auf den Schmerz, versuche ihn wegzuatmen und ziehe mit Sicherheit jede Menge seltsamer Blicke auf mich. Bestimmt fragen sich alle, ob ich noch ganz klar bei Verstand bin oder vielleicht Flugangst habe, die mir das Leben zur Hölle macht, doch mit solchen Lappalien kann ich mich gerade nicht beschäftigen. Sollen sie denken, was sie wollen. Ich habe momentan wirklich ganz andere Probleme, als mir darüber Gedanken zu machen, was die Leute von mir halten.

Der Schmerz nimmt noch einmal zu, steigert seine Intensität um ein Vielfaches, während das Flugzeug erneut tief nach unten sackt und sich gleichzeitig mein Magen hebt. Mir wird schlecht. Das unbändige Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen wird übermächtig und als ich denke, dass ich es nicht mehr aushalte, spüre ich eine warme Hand, die sich vorsichtig auf meine legt. Ich schnappe nach Luft, öffne die Augen und merke erst jetzt, dass ich sie fest zusammengekniffen hatte.

Mein Blick fällt auf die Finger, die sanft meine Hand drücken, und ich folge dem Arm, der offensichtlich zu meinem Sitznachbarn gehört. Immer weiter nach oben schaue ich, bis ich bei einem Paar grüner Augen lande, die mich mitfühlend mustern.

Ein aufmunterndes Lächeln begegnet mir, während mich die Hand beruhigend tätschelt, doch ich bekomme es kaum mit, denn das intensive Grün dieser interessanten Augen, nimmt nun meine komplette Wahrnehmung gefangen. Ich schlucke, spüre einen stechenden Schmerz durch meine Ohren schießen und zucke zusammen. Dabei entziehe ich dem Mann neben mir die Hand und fasse mir leidgeplagt auf mein Ohr, während ich wieder hektisch nach Luft ringe. Nur zwei Sekunden später setzt die Maschine auf dem Boden auf und ich sinke erschöpft in mich zusammen. Benommen wische ich mir ein paar Schweißperlen von der Stirn und muss einen weiteren stechenden Schmerz in meinem Innenohr über mich ergehen lassen. Ich höre kaum noch etwas, habe das Gefühl, man hätte mir Watte in die Ohren gestopft, doch zumindest bin ich wieder auf der Erde angekommen. Während die Maschine auf ihre Parkposition rollt, fange ich an, mich etwas zu entspannen. Der Flugkapitän verabschiedet sich von uns und die Passagiere klatschen, da er uns wieder heil auf den Boden gebracht hat. Alle zollen Beifall, außer mir, denn ich bin total ausgelaugt. Mir tut das sehr leid, da ich ebenfalls dankbar bin, doch vor lauter Kraftlosigkeit fühle ich mich nicht in der Lage, mich zu rühren. Bei der Rückreise, das schwöre ich mir, nehme ich den Bus und die Fähre. Egal, wie lange ich mit diesen Verkehrsmitteln unterwegs sein werde.

Die Erschöpfung macht sich nun deutlich bemerkbar und ich atme tief ein und aus, entspanne mich langsam und beobachte wie in Trance, dass die ersten Fluggäste aufstehen und ihre Sachen zusammenraffen. Ich bin fix und fertig, komme nur in Zeitlupe zu mir und beginne erst jetzt, meine Umgebung wieder wahrzunehmen. Doch erst als mich die Stewardess am Arm berührt und mich fragt, ob alles in Ordnung ist, finde ich ins Hier und Jetzt zurück. Die anderen Passagiere haben das Flugzeug offensichtlich schon verlassen, inklusive meinem Sitznachbarn und ich bin wohl die Letzte, die sich aus ihrem Sitz erhebt. Noch etwas verwirrt, greife ich nach dem Handgepäck und eile daraufhin Richtung Ausgang. Zum Glück haben wir eine Gangway. Hätten die anderen jetzt im Shuttlebus auf mich warten müssen, wäre es noch mal peinlich geworden.

Eilig laufe ich durch den grauen Tunnel, dessen Boden bei meinen Schritten gefährlich schwankt und beeile mich, die Gepäckausgabe zu suchen. Als ich am Band ankomme, ist es nur noch mein Koffer, der dort einsam und alleine seine Runden dreht. Ich steuere direkt auf ihn zu, hebe ihn vom Kofferband und zucke erneut zusammen, als mein Ohr nun versucht, sich den Gegebenheiten am Boden wieder anzupassen. Mein Innenohr schmerzt, doch ich muss weiter, kann mich damit nicht lange aufhalten. Stattdessen suche ich den Mietwagen-Schalter, hole mein Auto ab und verlasse kurz darauf den Flughafen. Zusammen mit dem Wissen, dass mich die Ohrenschmerzen noch tagelang begleiten werden.

***

»Nun hör aber auf! Ich werde doch noch einkaufen gehen können«, echauffiert sich meine Großmutter.

»Selbstverständlich kannst du das, Oma. Aber jetzt bin ich doch da und kann es dir abnehmen. Du musst doch nicht alles alleine machen. Außerdem kann ich mich dann ein wenig einbringen, wenn ich schon bei dir unterkomme.«

»Das ist doch selbstverständlich, Ivy! Ich freue mich sehr, dass du mich besuchst. Trotzdem musst du das nicht tun.«

»Ich weiß. Aber ich möchte es gerne. Lass mich dir helfen«, bitte ich und meine Oma seufzt geschlagen auf, als sie sich einen Stuhl zurechtrückt und sich kurzerhand daraufsetzt.

»Also gut. Wenn du unbedingt möchtest …«

»Auf jeden Fall! Entspann dich so lange. Du könntest in der Zeit stricken oder fernsehen.«

»Die Stricknadel hatte ich tatsächlich seit Jahren nicht mehr in der Hand.« Verträumt schwelgt sie in Erinnerungen und ich nehme mir vor, ihr so oft wie möglich zur Hand zu gehen, so lange ich hier bin, damit sie sich wieder ihrem Hobby widmen und ein paar Knäuel Wolle verarbeiten kann. Daher ziehe ich mir eine Jacke über und greife zu einem Korb.

»Brauchst du etwas Bestimmtes?«, möchte ich noch wissen.

»Das Mehl ist fast leer und Graupen könntest du auch mitbringen. Dann koche ich uns nachher davon eine Suppe mit geräuchertem Fleisch.« Lächelnd blickt sie mich an und ich merke bereits jetzt, wie mir bei dieser Vorstellung das Wasser im Mund zusammenläuft. Die Gerichte meiner Oma habe ich definitiv vermisst. Keine kocht so lecker wie sie. Bei Oma schmeckt es halt doch immer noch mal etwas anders als zu Hause.

»Das klingt super!«, freue ich mich. »Dann bis gleich.«

»Bis gleich, Ivy.«

Ich nehme den Ersatzschlüssel vom Haken und bin wenig später schon zur Tür hinaus. Meine Oma wohnt am Ortsrand und ich genieße es, durch die Natur zu schlendern, bevor ich hinunter zum Ortskern komme. Vorbei an saftig grünen Wiesen, Hochlandrindern und kleinen Steinmauern führt mich mein Weg. Dabei passiere ich einen idyllischen Bachlauf und verträumte Bruchsteinhäuser. Hier scheint die Zeit wirklich stehen geblieben zu sein. Alles ist noch so ursprünglich, wie es bereits vor Jahrzehnten war. Es fahren nur wenige Autos und wenn man einen Ort für eine Auszeit sucht, dann ist dieser hier mit Sicherheit nicht die schlechteste Möglichkeit dafür.

Nach etwa einer Viertelstunde biege ich ab, um ins Zentrum zu gelangen, wo sich auch ein kleiner Tante-Emma-Laden befindet. Ich war ewig nicht hier, trotzdem sieht alles genauso aus wie damals. Die alten Reklame-Schilder vor dem Laden, die bunten Nachbarhäuser, nichts hat sich verändert.

Auch, als ich den Laden betrete, stehen alle Regale noch genau so, wie ich es in Erinnerung habe. Daher finde ich mich relativ gut zurecht. Alles ist logisch aufgebaut und vorbildlich sortiert. Nachdem ich das Mehl in meinen Korb gelegt habe, suche ich die Graupen. Konzentriert gehe ich am Regal entlang und als ich sie gefunden habe, muss ich mich strecken, um an das Päckchen zu gelangen. Gerade so erreiche ich es, nehme es herunter und lese kurz die Beschreibung. Dabei laufe ich weiter und stoße prompt gegen eine breite, männliche Brust.

»Hoppla!«, höre ich jemanden sagen. Das Graupenpäckchen gleitet mir aus den Fingern und ich verliere dummerweise auch noch das Gleichgewicht. Doch die Reaktion des Mannes ist offensichtlich mehr als gut, denn ich habe kaum bemerkt, dass ich falle, da hat er auch schon den Arm nach mir ausgestreckt und mich aufgefangen. Sanft lande ich in seinen Armen, was man jedoch von dem Päckchen nicht gerade behaupten kann. Mit einem dumpfen Geräusch schlägt es auf dem Boden auf, dabei reißt die Verpackung auf und hunderte von Graupen verteilen sich über dem Fußboden. Du lieber Himmel, ist mir das peinlich!

Augenblicklich laufe ich rot an und schiele zu der freundlichen Dame hinüber, die hinter der Kasse steht und sicher bereits das Alter meiner Oma erreicht hat. Schmunzelnd holt sie Kehrschaufel sowie Besen und kommt anschließend zu uns herüber, während ich zum ersten Mal meinen Retter ansehe.

Dabei trifft mich beinahe der Schlag, denn ich schaue in grüne Augen, die mir seltsam bekannt vorkommen. Mein Hirn versucht, einen Zusammenhang herzustellen, doch ich brauche einige Sekunden, bis ich kapiere, dass es der Typ aus dem Flugzeug ist, der direkt neben mir gesessen hat. Umso peinlicher ist es mir, da er mich schon das zweite Mal in einer unangenehmen Situation zu sehen bekommt.

Wie fies können Zufälle sein? Ich meine, wie groß ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass ich in diesem kleinen Ort und ausgerechnet in diesem Laden den Mann treffe, der im Flugzeug neben mir gesessen hat? Der muss doch denken, dass ich nicht ganz dicht bin! Erst benehme ich mich beim Landeanflug äußerst seltsam und dann renne ich ihn hier über den Haufen.

»Sorry!«, murmele ich vor mich hin und winde mich aus seinem Griff. Dabei lächelt er mich unglaublich sympathisch an, lässt mich jedoch direkt wieder los.

»Alles in Ordnung?«

Ich nicke. Ja ich glaube schon. Kurz checke ich meinen Körper und sehe an mir nach unten. Jap, alles noch dran.

»Geht es Ihnen besser?«, möchte er von mir wissen. Dabei hat er den gleichen irischen Akzent wie auch meine Mutter und mir fällt erst jetzt auf, dass er deutsch mit mir spricht. Überrascht sehe ich ihn an, bis mir wieder einfällt, dass er mit dem gleichen Flugzeug aus Deutschland gekommen ist wie ich.

»Äh, ja. Danke.«

»Das ist schön.« Ungefragt greift er ins Regal, nimmt ein neues Päckchen Graupen und reicht es mir. An das nächste wäre ich auch sicher nicht mehr herangekommen. Da er jedoch zwei Köpfe größer ist als ich und darüber hinaus auch deutlich längere Arme besitzt, stellt es für ihn kein Problem dar, mir eine Packung herunterzuholen. Ich frage mich, wie die ältere Frau das macht, wenn ich schon nicht drankomme. Dabei fallen mir die Graupen wieder ein, die noch immer über dem Boden verteilt liegen.

Schnell nehme ich das neue Päckchen entgegen, lege es in den Korb und stelle diesen auf dem Boden ab. Anschließend bitte ich die Frau, mir das Kehr-Set zu geben. Wenn ich schon so eine Sauerei mache, dann ist es das Mindeste, dass ich sie auch wieder entferne.

Dankbar reicht sie mir Schaufel sowie Besen und ich sehe ihr an, dass sie sich beim Bücken ziemlich schwergetan hätte. Für mich dagegen ist es ein Leichtes, die Bescherung innerhalb von ein paar Sekunden wieder zu entfernen. Sie geht indessen zurück zur Kasse.

Doch als ich in die Knie gehe, zucke ich mal wieder zusammen, da mich ein heftiger Schmerz im Innenohr ereilt. Nachwirkungen des Fluges, das weiß ich. Unangenehm ist es trotzdem jedes Mal aufs Neue.

Als ich fertig bin, steht der Mann jedoch noch immer bei mir. Er versucht noch nicht einmal, zu verbergen, dass er mich die ganze Zeit beobachtet hat, als ich auf Knien vor ihm herumgerutscht bin.

»Vielleicht sollten Sie damit doch mal zum Arzt gehen.« Er deutet auf mein Ohr, doch ich winke ab.

»Sind nur Ohrenschmerzen vom Fliegen. In ein paar Tagen wird es wieder gehen.«

»Sind Sie sicher?« Sein zweifelnder Blick spricht Bände, denn er scheint ernsthaft besorgt zu sein.

»Ich war damit schon oft beim Arzt. Man kann dagegen aber scheinbar nichts tun.« Er mustert mich noch einen Moment, wobei ich mit den Schultern zucke. Im Folgenden scheint er das Thema auf sich beruhen zu lassen, schließlich kann er mich schlecht zwingen, erneut zum Arzt zu gehen.

»Hi. Ich bin Patrick!«

Etwas irritiert beäuge ich seine ausgestreckte Hand, die er mir jetzt entgegenhält, greife dann allerdings doch zu.

»Ivy«, stelle ich mich vor.

»Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Ivy.« Galant rückt er näher und gibt mir dann einen Handkuss. Dabei beobachte ich ihn, wie er sich vor mir verbeugt und frage mich, was hier gerade passiert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon jemals einen Handkuss bekommen habe. Okay, abgesehen vielleicht von dem eines Freundes im Kindergarten, der während eines Spiels welche verteilt hat. Das liegt jedoch Jahre zurück.

Ehrlich gesagt habe ich überhaupt keine Ahnung, wie ich auf diese Geste reagieren soll. Mein Kopf entschließt sich wohl dazu, erst einmal rot zu werden.

»Wohnst du hier im Ort?«, möchte er nun wissen und übergeht damit meine offensichtliche Verlegenheit relativ schnell. Noch dazu duzt er mich plötzlich, was ich jedoch erst einmal ignoriere.

Ich mustere seine stattliche Figur, lasse meinen Blick über die leicht rötlichen Haare streifen bis ich an seinen Lippen hängenbleibe. Volle, begehrenswerte Lippen, deren Anblick mich noch mehr verwirren, weil ich auch von ihnen kaum noch wegsehen kann. Genauso wie zuvor bei seinen Augen. Dabei wäre ein Mann derzeit das Letzte, was mich interessieren sollte.

»Ähm, ja. Meine …« Jetzt schließe ich kurz die Lider, räuspere mich und atme einmal tief durch, bevor ich mich erneut an ihn wende. »Meine Großmutter lebt hier«, erkläre ich dann mit deutlich gefestigterer Stimme.

»Ach, wirklich? Wie heißt sie denn?«

»Ainie Wa…«

»Walsh.« Fällt er mir ins Wort, als ich gerade den Nachnamen aussprechen will. »Wirklich? Du bist eine ihrer Enkelinnen?«

»Richtig.«

»Warum habe ich dich hier noch nie gesehen?«

»Nun, aus bekannten Gründen fliege ich ungern.« Es ist mir unangenehm, daher lenke ich schnell von meinem gesundheitlichen Problem der Ohren ab. »Sie scheinen meine Oma zu kennen?«

Jetzt lacht er. »Hier kennt jeder jeden, Ivy. Und bitte, können wir das mit dem ›Sie‹ sein lassen?« Liebenswürdig sieht er mich an und ich stimme zu. Warum auch nicht. Wir dürften ungefähr im selben Alter sein. Es gibt daher keinen Grund, uns weiter zu siezen, zumal es das im Englischen sowieso nicht gibt.

»Ich sehe regelmäßig nach ihrem Boot und bringe ihr ab und an auch mal ein paar Lebensmittel vorbei.«

»Oh, das ist wirklich nett von Ihnen ... äh ... von dir«, korrigiere ich mich. Dann stocke ich. »Das Boot hat sie noch?«, frage ich dann leicht verunsichert und er nickt.

»Ich habe ihr angeboten, es soweit fit zu machen, dass sie es gut verkaufen könnte. Aber sie will es behalten. Es scheint ihr sehr wichtig zu sein.«

Das Boot hat meinem Opa gehört und ich habe mitbekommen, dass es ihr nach seinem Tod lange Zeit sehr schlecht ging. Ich denke, sie kann sich deshalb nicht davon trennen, weil es ihr das Gefühl gibt, dass immer noch ein Stück von ihm hier ist. Doch auch ich habe wundervolle Erinnerungen daran. Als kleines Kind hat er mich mit zum Fischen aufs Meer genommen. Wenn ich auf dem alten Kutter zugegen war, sind wir jedoch immer ohne Fisch nach Hause zurückgekehrt. Ich kann einfach keine Tiere töten, schon als Kind habe ich darauf bestanden, sie wieder zurück ins Meer zu werfen, um ihnen die Freiheit wiederzugeben. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich daran denke.

»Möchtest du es sehen?«, fragt er mich nun vorsichtig und ich nicke.

»Das wäre wundervoll!«, antworte ich und strahle ihn an.

»Dann warte ich draußen auf dich«, meint er noch und nickt mir zu, woraufhin ich den restlichen Einkauf erledige und noch ein paar Utensilien in den Korb lege. Als ich im Anschluss zur Kasse gehe, bestehe ich natürlich darauf, auch das Päckchen der verunglückten Graupen mit zu bezahlen. Danach hänge ich mir den Korb in die Armbeuge und verlasse den Laden. Patrick wartet draußen und spaziert anschließend mit mir zum Hafen.

Mir stockt der Atem, als ich den kleinen Fischkutter sehe. Patrick hält ihn offensichtlich wirklich gut in Schuss. Die Lackierung ist tadellos und das Deck ist blitzblank. Ich stelle den Korb mit den Einkäufen am Steg ab und gehe auf das schmale Holzbrett zu, über das man auf das Boot gelangt. Mit einem schnellen Satz bin ich auf dem Boot und Patrick folgt mir. Ich öffne die Tür, trete ein und lasse meine Hände über das hölzerne Steuerrad gleiten. Auch hier ist kein Krümel Staub zu finden und das Holz glänzt, als wäre es frisch lackiert und gewachst worden. Dazu dieser urtypische Geruch nach Öl, Holz, Fisch und Meer, der mich geradewegs in meine Kindheit zurückversetzt.

»Es ist richtig schön.«

»Wir können damit auch rausfahren, wenn du magst.«

»Du hast dafür einen Führerschein?«

»Vermutlich gibt es hier niemanden über 16, der keinen Bootsführerschein besitzt.« Zwinkernd beugt er sich über mich und stützt sich dabei im Metallrahmen der Tür ab.