Feld der letzten Ernte - Kay Ganahl - E-Book

Feld der letzten Ernte E-Book

Kay Ganahl

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Beschreibung

Wo liegt das Feld der letzten Ernte? Welche Bedeutung hat es? Und: Gibt es dieses Feld überhaupt? Diese Fragen stellt sich der Leser wohl sofort. In der Geschichte Zum Feld der letzten Ernte wird er den Antworten zumindest näherkommen. Im Buch sind zahlreiche kürzere Texte Kay Ganahls in großer Vielfalt gesammelt: ein thematisches Kaleidoskop seines Schaffens. Es begegnen dem Leser politische und philosophische Essays, so Säen und Ernten. Ein Reflexionsversuch, zudem Sozialkritik, surrealistische Prosa und Gedichte wie Vampire in der S-Bahn. Ja, die Spannungsbreite in Form und Inhalt ist groß, denn es gibt auch Geschichten, Erzählungen, Märchen, Satiren, zumal eine Würdigung Heinrich Heines. Aber auch: Ich und Eyla, die Katze. Die fiktionalen und non-fiktionalen Texte zeigen auf es sei schon verraten , was uns Menschen im Innersten bewegt, nämlich vor allem die Ungewissheit darüber, woher wir kommen, wohin wir gehen und natürlich warum. Die große Frage ist, ob wir gut genug mit unseren Mitmenschen zurechtkommen.

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Seitenzahl: 201

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Feld der letzten Ernte

Kay Ganahl

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet!

© 2020 – Herzsprung-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Alle Rechte vorbehalten.

Taschenbuchauflage 2018

Cover gestaltet mit Bildern von © rasica (Straße)

und Subbotina Anna (Ähren) – Adobe Stock lizenziert

Gedruckt in der EU

ISBN: 978-3-96074-036-0 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-281-4 - E-Book (2020)

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

*

Inhalt

Nach meinem Tod

Eine Reportage über ein besonderes Ableben

„Vampire in der S-Bahn!“

Unsere Oma

Altes macht Neues oder: „Geschichtsperspektive“

Ich bin ein Troll

Bibis Weihnachtsgeschichte

Erzählung einer Liebe

Schöne Wächterin über das Zauberland

Lucies Freund

Erhoffte Rückkehr

Auf dem Waldpfad

Aus der Erinnerung gehoben

Der Mord an mir

... aus der Ungewissheit: Rettung!

Der schwarze Dampfer

Das Gebäude

zum frieden

Der Rettungszauber der Hexenschwestern

Zeitgeist

Säen und ernten

Zum „Feld der letzten Ernte“

Was ist das …?

Groß wie klein

Jagdfieber

Ich und Eyla, die Katze

Die bedeutende Falschnachricht

Sie fehlt mir sehr

Ein Liebesfraß

Eine Geschichte der Hörigkeit

Die Doppelgänger-Erzählung

Die Lücke für die Lüge

Lebensherbstlich

Theodor Fontane: Romancier im höheren Lebensalter

Heinrich Heine: Eine Würdigung

Meine Freiheit

Sag mal was

Erscheinung, neuer Mensch

Durch die Zone

Teil der Geschichte

Die Rede ist von Sex

Die Rockgruppe und der Anschlag

Ein Durcheinander

Zwei Begegnungen

GEFAKED Oder: Fassadenwelt

Wege der Information

Wir in der Welt der Politiker, der Nachrichtenproduzenten

Heiliger Abend: Demo in Solingen

Im Lehrgang herbstete es

Keine Ahnung?! Ein Fabrikantenschicksal

Klarheit über Sprache und Erziehung

NIX und die anderen

Politische Visionen

Zur Realität der Leistung in der Schule

Der Autor

*

Nach meinem Tod

Ich habe einen Roman geschrieben, der unfertig auf dem Schreibtisch liegt. Die Manuskriptseiten sind fein gestapelt, werden von einer Bogenlampe bestrahlt. Alle Vorhänge im Schreibzimmer sind zugezogen. Meine Frau Gitti könnte sich gerade in der Küche aufhalten und ein Schnitzel braten. Töchterchen Luiza hat sich mit Sicherheit vor wenigen Minuten zur Schule aufgemacht. Der Alltag ist alltäglich, er lässt sich nicht leicht verändern – Eingefahrenes bleibt einfach.

Natürlich ist mir der neue Roman immer noch wichtig! Rückblickend empfinde ich einen gewissen Stolz, das darf ich sagen. Denn ich habe mein ganzes Herzblut in ihn investiert. Viel Zeit und Mühe hat er gekostet. Aber ob der Roman, unfertig wie er ist, veröffentlicht werden wird? Da ich kein berühmter Schriftsteller bin, wird ein Fragment nicht gut beim Leser ankommen, vermute ich. Ich hoffe trotzdem sehr, dass die baldige Veröffentlichung erfolgt. Soll mein Verleger sich sputen – ich verlange es!

Leider kann ich ihm derzeit keine guten Ratschläge mehr erteilen oder ihn unter Druck setzen. Mir ist nicht danach. Wahrlich, ich bin in einer außergewöhnlichen Lage, da ich nicht mehr bin.

Nicht mehr bin?

Nun ja, recht einfach ist das. Tatsache: Heute habe ich meinen letzten Atemzug getan, ich glaube, dass ich im Augenblick jemand bin, den man als tot bezeichnen könnte. Oder?

Ich horche in mich hinein: aha! So ist das! Ich bin auf dem Weg. Das ist mir jetzt klar, jeder Zweifel kann ausgeschlossen werden. Mein Weg führt mich von der Erde fort, jedenfalls von ihrer Oberfläche mit Wald, Haus und Berg.

Mein letzter Atemzug hat mir keinen Spaß mehr gemacht, überhaupt waren die letzten Monate nur noch anstrengend. Die Krankheit hat mich langsam aufgefressen. Ich habe mich gefragt, wie lange diese ganze üble Zeit noch dauern wird.

Schade, dass ich keinen Sekundentod habe sterben dürfen!

Speziell dies lässt mich immer wieder ins Grübeln verfallen. Das sollen andere aber möglichst nicht mitbekommen! Momentan befinde ich mich auf dem Weg Nirgends, wo meine Zeit als Schriftsteller und Hobby-Blütenmacher nicht sonderlich gefragt sein dürfte, weshalb ich weder praktische Anleitungen, Berichte noch Dichtungen darbieten werde. Bislang hat mich auch keiner nach dieser Dienstleistung gefragt. Gern würde ich bald ein paar Märchen erzählen, doch die Personen (sind es Personen?), die hier, in dieser sphärischen Region materieller Deformation das Sagen haben, zeigen in meiner Gegenwart wirklich offen Desinteresse an meinen Werken.

Meine schönen Jahre als kreativer Mensch, gerade auch als mehr oder weniger erfolgreicher Blütenmacher, werde ich immer in Erinnerung behalten, egal wo ich mich aufhalte. Im Himmel. In der Hölle. Im Zwischenreich – hier, wo alles deformiert ist. Oder es nur zu sein scheint. Im Grunde sollte mir inzwischen das meiste, wenn nicht alles, gleichgültig sein oder es bald werden. Ich bin vielleicht nur mein eigener Gedanke. Jedenfalls bin ich nicht mehr!

Meine Zeit auf Erden ist vorbei, daran zu zweifeln, wäre unrealistisch! Möglicherweise habe ich als Erdenbürger meinen lieben oder weniger lieben Mitmenschen Probleme bereitet. Der Gedanke daran beunruhigt mich. Was mir damals als Selbstbewusstsein erschien, halte ich jetzt eher für Arroganz. Alte persönliche Erfolge kommen mir wie ein Reigen von Schattenketten vor, die nichts bedeuten. Hier, wo ich mich gerade aufhalte, braucht es allerdings eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, um durch die Sphäre zu kommen, die von diversen Personen, eben sicher bösen Geistern, nur so wimmelt. Sie wollen mich, eventuell durch Anwendung von Zwang und Gewalt, von hier entfernen. Oder bilde ich mir das nur ein?

Liebend gern würde ich sie alle umbringen!

Aber derartiges lässt sich hier nicht durchführen. Vielleicht werde ich meine Tätigkeit als erfolgloser Schriftsteller wieder aufnehmen. Da hätte ich einen seelischen Ausgleich, der mich wenigstens in mich hinein führt und wieder aus mir heraus führt. Ich liebe diese Tätigkeit.

*

Eine Reportage über ein besonderes Ableben

Meine Damen und Herren,

Zur Situation

Das hier ist mehr als eine Live-Reportage, viel mehr! Sie hören Unglaubliches! Ich fordere in diesen Augenblicken von Ihnen die Zeugenschaft, die Sie zunächst für unsinnig und völlig unrealistisch ansehen dürften. Er steht an einem Rand, wo die Leben nicht mehr viel gelten. Dort werden Menschen unmenschlich behandelt, viele von ihnen vielleicht automatisch, vielleicht auf Befehl, abgerufen und abgelebt. Es ist jedenfalls so, dass etwas in die Wege geleitet werden kann, das bei manchen Menschen zum tiefen Anzweifeln der Existenz führt – wahr ist zweifellos, an diesem Ort muss jeder aufpassen, wann, wie und wohin er geht.

Sie müssen wissen, offensichtlich herrscht an diesem Ort die totale Unsicherheit. Diejenigen, die nahe an diesem Rand andauernd die große Gefahr für meist unschuldige Leben bedeuten, sind widerwärtig. Sie haben viel Geduld und viel Geld, können in Ruhe organisieren. Wir sollten uns ein Bild von ihnen machen!

Es ist allgemein bekannt, dass sie den großen Hass haben, weil sie ihre Menschenliebe deaktivierten. Das macht sie eben auch sehr unberechenbar.

Sehen wir sie jetzt …? Direkt vor uns …? Jedenfalls kenne ich sie schon, kenne auch den, der jetzt hier steht …! Ich selbst bin es ja zum Glück nicht. Hier ist jemand … seht ihr ihn?

Er und sein Sterben

Ich erblicke ihn in ganzer Größe, und schon empfinde ich einiges Mitleid. Er wird wohl, noch vorsichtig formuliert, große Probleme bekommen. Tod? Leben? Was für Alternativen. Sein Tod ist nah. Es geht jetzt um wenige Minuten! Momentan starre ich auf ihn. Sein Körper verschwimmt vor meinen Augen. Weiß er, was ihm jetzt droht? Ich bin mir sicher, dass ich es weiß …

Sehr bald wirbelt etwas durcheinander. Ich kann meinen Sinnen kaum trauen.

Ist das hier ein böser Traum …?!

Oh, Haut wird abgezogen, genüsslich sogar, sie wird im Anderswo wieder – durchaus kreativ und produktorientiert – aufgezogen.

Das Anderswo stelle ich mir jetzt einmal mit viel Fantasie vor. Ja, dort, … dort muss sie, diese Haut, erst einmal bleiben. In einer Fabrik wird rasend schnell gearbeitet. Klar ist: Binnen weniger Minuten wird die Haut nur noch kleinformatig erhältlich sein. Die potenziellen Käufer – ja, die! – wird es mehr als verunsichern, sind sie doch viel Besseres gewohnt.

Aber sie nehmen – wie allgemein bekannt ist! – Minderqualität gerne hin. Die Nachfrage nach der Haut ist enorm. Mit ihr kann man gewinnbringend wirtschaften.

Vertrauliche Hinweise auf die oben geschilderte Fabrikation habe ich schon vor dem Erleben des Hier und Jetzt von einem Journalistenkollegen erhalten. Es sei ihm sehr gedankt!

Ich weiß deshalb auch – kann es mir bestens vorstellen – es sind Fetzen geflogen. Das Sterben war grausam-sachlich. Manche Körperteile sind jetzt wohl unauffindbar, da sie weit weg gelandet sein dürften, wo sie einsam liegen, als ob sie bedeutungslos wären.

Meine Sinne sind jetzt auf’s Äußerste gespannt. Alles versuche ich in mich aufzunehmen, unmittelbar! Tatsächlich …, lieber Zuhörer! Wirklich alles hier ist einfach nur real, grauenvoll. Ich übertreibe nicht. Ich weiß, was ich sehe und höre. Und sie hören, was sie hören: Sie verstehen, dass ich Reporter bin – der Zeuge eines brutal-unmenschlichen Vorgehens!?

Es stellt alle anderen Verbrechen in den Schatten! Da gibt es keinen Zweifel!

Von Beobachtungen und Beobachtern

Das Grauen ist unglaublich groß, und es steigt in mir der Drang auf, noch viel mehr wichtige Informationen zu erhalten. Aber andere Menschen auch … – und so habe ich gerade gehört, es sei alles normal vor Ort. Es sei der Hass, der triumphiere. Die Mordmaschinerie schlechthin. Die mir das gesagt haben, stehen weiter hinten. Es sind schmale, graue Beobachter der Schreckensszene, die ein lautes Lachen Mühe haben zu unterdrücken. Höre: „Wir haben gerade bestens gespeist!“

Höre ich recht? Sind sie nur Beobachter? Das kann gar nicht sein! Sie wissen schon nicht mehr genau, was hier vor Ort geschieht, wollen es auch nicht mehr wissen. Es ist ihnen ganz egal. So meine ich.

Jagd auf Menschen

Was ich begriffen habe, ist, dass die Sache inzwischen vollbracht ist, alles oder fast alles wurde erledigt.

Die Sache!?

Die Sache, von der hier zu sprechen ist, nennt sich Jagd auf Menschen. Das klingt schlimm. Pervers. Auch dies schon bedeutet einen Verfall der menschlichen Werte. Aber ich möchte hier nicht zu moralisieren anfangen, bleibe lieber bei der Selbsterfahrung, die hier und jetzt gerade abläuft und bleibe auch bei den Informationen, die mir Kolleginnen und Kollegen aus dem journalistischen Bereich überlassen haben. Sie sind sehr bestürzt. Wenn sie jetzt bei mir wären, würden sie wahrscheinlich zusammenbrechen …

Ich bleibe gefasst: Vor Tagen habe ich von Journalistenkollegen erfahren, dass der Tod der gejagten Menschen für den Jäger eine schöne Befriedigung darstellt. Beim Jagen und Erlegen bleibt es allerdings nicht, eben! Die Menschen werden verzehrt. Nach dem Erlegen der Menschen bricht unter den Jägern das große Glücksgefühl aus. Um die teilweise verzehrten Menschenleiber herum finden dann rituelle Feiern statt. Alles dabei scheint ein antizivilisatorischer Rückgriff in Zeiten und in Regionen der Erde zu sein, als primitive Völker sich an ihren Opfern labten. In unseren Zeiten ist es wahrscheinlich so, dass Menschen nach unbekannten Kriterien für die Jagden und das Erlegen ausgesucht und dann nach ebenso unbekannten Kriterien zum Verzehr ausgesucht werden.

Dabei ist es, wie man mir mitteilte, so, dass die Jäger, deren Identitäten ich nur zu gerne wissen würde, wohl meinen, alles über und von Menschen zu wissen.

Der Jäger gibt es viele.

Meine Journalistenkollegen halten die bürgerlichen Identitäten dieser Jäger fest unter Verschluss. Stets seien es ehrgeizige Zeitgenossen mit Vermögen, oft ganz unauffällig, die sich profilieren möchten. Sie meinen, nach eigenem Belieben alles tun zu können und die Weisheit gepachtet zu haben.

Göttlichen Wesen gleich, wollen sie über die kleinen Anderen herrschen, indem sie Menschenjagden durchführen.

Aber ich weiß eben nichts Beweiskräftiges, um vor Gericht gehen zu können. Meine Zeugenschaft hier und jetzt … na ja, mal sehen, was ich daraus machen kann. Was Sie, verehrte Zuhörer, daraus machen können!

Wer auf der Bühne des Tötens auftritt, wird von der schönen Realität hoch erfreut sein, wurde mir vor Tagen gemailt. Ein Journalistenfreund konnte nicht anders: Er wurde aktiv. Sein Zitat einer Äußerung eines Jägers betrübte mich sehr.

Und auch las ich als Zitat: Das Glück des erlebten Tötens und Sterbens: eben Todesnähe und Lebensnähe!

Er heißt Hans – was ist mit ihm los?

Ein, zwei Stunden. Ist schon so viel Zeit vergangen im Hier und Jetzt? Laute Schreie habe ich gehört. Und wie ich vorhin auch noch gehört habe, heißt er Hans. Er wird gerade behandelt, wie ich beobachten kann. An den Kopf fassen wird er sich vor Erleichterung ...!? Unsinn! Mordsunsinn!

Einige Körperteile, die ich jetzt sehen kann, mein Entsetzen ist groß, sind gewiss von ihm! Ja, und ich sehe genau, dass er sehen kann, wie seine eigenen Körperteile aufgesammelt werden. Dabei wirkt er auf mich unbeteiligt. Er nimmt vielleicht in Wirklichkeit nichts oder fast nichts wahr. Und seine Schmerzen?

Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann, um meine Gefühle auszudrücken!

Einige Jäger stehen dort herum, sie unterhalten sich auch. Ich bin ganz Ohr: Wissenschaftlerjargon. Sie tragen sich gegenseitig etwas vor. Die Arroganz ist genau erfassbar. Allgemein bekannt ist, der Tod fasziniert Wissenschaftler! Es sind anscheinend Wissenschaftler und Jäger anwesend, die sich an verschiedenen Körperteilen bedienen. Sind die Jäger die Wissenschaftler, die Wissenschaftler die Jäger?

Keine Ahnung. Ich kann nicht nähertreten, sonst wäre mein Leben gefährdet.

Von Journalistenkollegen hatte ich mich auch darüber informieren lassen, dass die deutschen universitären Fakultäten aufgrund des weitreichenden medizinischen Interesses mehr Nachschub von Körperteilen benötigen. Das ist sehr interessant! Wir müssen dem unbedingt folgen! Es geht ja vielleicht nicht allein um den Verzehr von Menschen, sondern um die Ausbeutung, die wirtschaftliche Verwertung ihrer Körperteile. Jedenfalls auch darum.

Noch steht Hans wie in den Boden gerammt dort. Er zeigt in diesen Minuten – jedenfalls kann ich es nicht wahrnehmen – keine Fluchtabsichten. Vielleicht wird das Grauen sein Bewusstsein noch erreichen, sodass Schmerzen und Angst ihn überwältigen werden … es könnte ihn zum Flüchten bringen.

Gerade sehe ich, dass er sich ein wenig bewegt, vielleicht findet jetzt in ihm etwas statt … weg muss er, weg! Aber es ist wohl längst zu spät.

Sein Leidensschicksal kann nur in der Zwischenzone nebelhaften Grauens wahrnehmbar sein.

Meine Zeugenschaft ist echt und wahrhaftig. Niemals könnte ich ignorieren, leugnen oder vergessen, was ich hier mitbekomme. Und was mir jemand mitgeteilt hat.

Ich nähere mich jetzt dem Ende meiner Reportage, kann sagen, dass ich dabei gewesen bin. Und sie sind es ebenso! Menschen sind Verbrechen zum Opfer gefallen. Es ist auf diese Art und Weise gewiss schon öfter geschehen. Und ich hoffe sehr, dass ich jetzt die nötige Öffentlichkeit hergestellt habe. Nichts von dem, was sie gehört haben, darf unbeachtet oder gar geheim bleiben!

Und: Was müssen wir jetzt tun? Ich finde, dass es an der Zeit wäre, entschlossen Maßnahmen gegen die zu ergreifen, die in unserer Gesellschaft ihr Unwesen treiben …

*

„Vampire in der S-Bahn!“

Wir haben das in der Internetzeitung gelesen:

Ah, wirklich, das geschah ...

Acht oder neun Kinder, kleine Kinder, haben sich in einer S-Bahn

Vor einer Gruppe entkleidet.

Alle sahen vampirisch aus. Es waren fünf groß Gewachsene in Schwarz.

Diese reagierten so, wie es keiner wirklich

Erwarten konnte: sie griffen an, griffen zu ...!

Sie waren ganz vergnügt.

Die Bahngäste, die nicht weit entfernt

saßen oder standen, sagten nichts.

Keiner wagte auch nur hinzusehen!

Die Vampire schlugen ihre Gebisse in die jungen Körper:

Es war etwas sehr Gruseliges, Grauenhaftes, was sich abspielte, ...

Wie aus einem Vampirroman!

Dies mitten am Tag, gegen 11 Uhr,

Und die Kinder litten unsäglich. Ihre Schreie.

Ihre schreckverzerrten Gesichter.

Hilfe ließ auf sich warten …

Ein zwei Bahngäste zuckten ihre Handys, alarmierten die Polizei.

Doch die S-Bahn war gekapert worden, der Fahrer ermordet

Ein Vampir steuerte.

Und dieser Vampir steuert wohl noch heute.

Wir haben gelesen, dass alles am Laufen ist. Immer weiter.

Bis auf Weiteres.

Auch Touristen kommen, um die Vampir-Bahn zu erleben!

Big Event! Die S-Bahn ist die große Attraktion unserer Stadt.

Die Internetzeitung meldet täglich Neues von ihr,

Die Kinder müssten ja eigentlich auch längst als Vampire agieren,

Aber sie scheinen weiterhin Opfer zu sein …

*

Unsere Oma

Wir fuhren oft zu ihr, manchmal sogar dreimal jährlich. Immer in den Schulferien. Meine beiden Kinder, Katrin und Tom, wollten diese Zeit nie missen. Und ich konnte auch deswegen gar nicht auf die Besuche bei Oma verzichten. Wochen vor jeder Reise wurde groß diskutiert und geplant, was denn Neues an den Urlaubstagen getan werden sollte. Wenn unsere Großstadt-Oma rief ...! Vor jeder Reise erkundigte sie sich meist nach unseren Planungsfortschritten. Gern gaben wir ihr die aktuellsten Infos! Stets freuten wir uns sehr auf unsere nette, sehr menschliche Oma Sabrina, die mit ihren 70 Lenzen bis kurz vor ihrem Tod noch ganz im Leben stand! Die 700 Fahrkilometer bis zu ihr nach Hause waren für uns ein Klacks!

Als Familienvater wusste ich um die Wichtigkeit des Familienzusammenhalts und der menschlichen Bindungen, die uns auch und immer wieder dahin führen, wo enge Verwandte beheimatet sind.

Meine Frau trauert jetzt sehr um ihre Mutter, die sie über alles liebte, – zu der sie trotz der Entfernung der beiden Haushalte über Jahrzehnte einen engen Kontakt pflegte.

Es ist Frühling. Gerade haben wir vor ihrem Wohnhaus geparkt. Die Bäume in der Allee winken uns wieder zu, aber heute ist alles ganz anders.

Omas Hauswirtin Frau Deutsch ist ans vordere Eingangstor gekommen, um persönlich zu öffnen. Sie kondoliert mit Tränen in den Augen.

„Danke!“, so meine Frau Ute, die darauf verzichtet hat, schwarz zu tragen, weil Oma eine Aversion gegen jegliche Trauerkleidung hatte, denn sie liebte das Bunte und die Heiterkeit. Trotzdem halten wir uns weitgehend an das, was in unserem Land üblich ist. Für die Bestattung hat meine Frau die Verantwortung, obwohl ihr Bruder Niklas vor Ort alles viel besser regeln könnte, doch er hat sich geweigert, noch etwas zu tun.

Als wir Omas alte, gemütlich eingerichtete, uns sehr vertraute Wohnung betreten, finden wir halb ausgeräumte Zimmer vor. Das stimmt uns wütend gegen Niklas, welcher eben dies zu verantworten hat!

„Willst du bei Niklas anrufen …!?“, meint mein Sohn Tom, der das Ausräumen von Omas Wohnung sehr unverschämt findet, denn das war ja eben gar nicht vereinbart gewesen. Für die Wut gegen Niklas haben wir kaum Zeit zur Verfügung, alles muss recht schnell gehen. Mit Erfolg kann ich Tom beruhigen. Alles Weitere wird würdevoll vor sich gehen.

Das hat unsere Oma mehr als verdient. Um alle Bestattungsformalitäten kümmert sich meine Frau.

Drei Tage später … wir sind tätig gewesen, wollen auch weiterhin, dass Omas Leben und auch ihre Lebensleistung als Hausfrau und Mutter voll gewürdigt werden. Oma war natürlich viel mehr als das, was sie an Gütern besaß, sehr viel mehr! Nichts geht über das Leben selbst, gerade wenn es zu Ende gegangen ist!

Dass Niklas es auf Streit angelegt hat, ist offensichtlich, aber wir sind bestrebt, von seinen Absichten keine weitere Notiz zu nehmen. Ja, er ist für uns jetzt gestorben, nicht Oma. Sie lebt in unseren Erinnerungen weiter.

*

Altes macht Neues oder: „Geschichtsperspektive“

Das Alte macht das Neue!

Nichts entsteht allein aus sich selbst heraus

und für alles gibt es Gründe

Ursachen.

Auf 1 folgt 2 …

Mathematisch ist das meiste erklärbar.

In Zusammenhängen

existiert die Welt mit ihren Tatsachen –

und immer führen Wege weiter:

keine Zeit verlieren!

Denn groß Gewesenes lebt noch ein wenig,

es ist zu erkennen und kann verstanden werden;

alles Kleine und Unwichtige

gehoben aus der Erinnerung –

wird entledigt der bösen Schatten, wenn es nur geht

geht es denn?!

Unser Weg führt uns vorwärts …

oder vielleicht nur rückwärts …

Von hoher Warte aus Gesehenes

erweist sich als winzig und bedeutungslos am Boden.

Elend sind die, die nicht fragen und erkennen wollen!

Gibt es überhaupt Wege

oder bilden wir sie uns nur ein?

Werden Ziele nur zum Schein ausformuliert?

Bilden wir uns nur ein, dass alles einen Sinn hat?

Sind wir vielleicht schon tot, ohne es zu merken?

*

Ich bin ein Troll

Heute schreibe ich endlich mal auf, was mich sehr bewegt. Ihr wisst schon: seltsame Sachen, vielleicht die eine oder andere Sorge.

Das Aufschreiben klappt fast immer. Ich denke, heute auch! Meine Freunde beneiden mich darum, vermute ich. Sie können aber anderes besser als ich! Jedenfalls muss ich mir manchmal echt viele Gedanken machen und sie dann aufschreiben. Heute ist eben so ein wichtiger Tag. Es kommen mir viele gute Gedanken, über die ich mich freue! Die können immer wieder kommen.

Weiter geht’s. Ich sitze hier, weiß nicht genau wo. Aber es geht mir prima. Irgendwie fühlt es sich nass an, wo ich sitze. So ein bisschen heiß ist es! Das macht mir aber nichts aus. Viele sitzen ja, wie ich gehört habe, manchmal in solchen komischen Dingern. Was ist denn das hier?

Schon seit vielen, vielen Jahren soll das so sein! Es ist unglaublich. Aber wo ich genau sitze, das weiß ich eben wirklich nicht – noch nicht! Ich muss es herauskriegen. So schnell wie möglich. Nein, eigentlich nicht so schnell wie möglich, denn eine Menge Zeit habe ich! Aber die Zeit vergeht ziemlich schnell.

Ihr müsst wissen, dass ich kein Mensch bin, sondern ein Troll! Das ist die Wahrheit. Ich kann nichts dafür. Auf der Erde bin ich zuhause, obwohl ich so ein kleiner Mann bin. Seit einigen Jahrzehnten habe ich auf der Erde meinen Aufenthalt. Den hat mir mein Großer König erlaubt. Das finde ich heute noch ganz toll! Er erlaubt das nicht jedem Troll. Ich freue mich, dass es meinen König gibt! Er soll hochleben!

So ein Troll – klein, rot, sehr schnell und ebenso gelenkig – bin ich von Geburt an! Keine Fee oder Hexe hat mich verzaubert. Ich bin einfach so ein urkomischer, quirliger kleiner Bursche! Und auch super klug! Ich habe ein paar Schulen besucht. Auf meinem Heimatplaneten Exxus. Ihr müsst auch wissen, Trolle gibt es viele auf der Erde, aber einen wie mich nur ein einziges Mal! Das steht jedenfalls fest.

Ich bin ein besonderer Troll, weil ich angefangen habe, die Menschen auf der Erde zu mögen. Ganz ehrlich! Alle meine anderen Trolle haben darüber gestaunt. Ich will immer alles von den Menschen lernen. Und der Große König vom Troll-Planeten Exxus meinte kürzlich per Strahlen-Post zu mir, dass ich noch viele Jahre auf der Erde bleiben müsse, was mich gefreut hat. Ja, ich habe sogar gejubelt! Glaubt mir, Leute!

Wir Trolle werden auf Exxus geboren, können dort bleiben. Der eine oder andere von uns will jedoch mal auf einen anderen Planeten, zum Beispiel die Erde. Hier können wir, was ich eben sehr wichtig finde, von den Menschen lernen. Die haben nämlich viel gearbeitet, viel aufgebaut. Ich finde sie ziemlich toll, ich Troll!

Hier sitze ich momentan ganz ruhig, natürlich halte ich meinen Stift ... Wie wohl ich mich dabei fühle! Noch viel länger möchte ich in diesem länglichen Ding bleiben! Ich schreibe so gern, in dem länglichen Ding macht es mehr noch mehr Spaß als sonst.

Aber ich habe in den letzten Minuten ein paar Mal geglaubt, dass ich spinne. Draußen vor dem Fenster – ich kann gerade so rausschauen – laufen irgendwelche Menschen herum. Keine Ahnung, warum sie das tun. Übrigens befinden sich draußen auch Häuser – ich habe gehört, dass diese Menschen die Dinger so nennen! Ich kann’s kaum fassen. Laufen, laufen ... laufen!? Was soll das blöde Laufen?

„Bleibt doch mal stehen, guckt euch in Ruhe um, Menschen!“, habe ich vorhin nach draußen gerufen. Ob mich einer gehört hat? Ich weiß es nicht. Keiner hat auf mich reagiert.

Manches bei den Menschen verstehe ich einfach nicht, obwohl ich so klug bin. Es kann mir auch keiner helfen, sie besser zu verstehen. Ich kenne nämlich keinen einzigen Menschen persönlich. Schade. Vermutlich brauche ich viel mehr Zeit und noch viele Gelegenheiten, um welche kennenzulernen.

Vor ein paar Augenblicken hat wieder jemand für mich Wasser in das längliche Ding eingelassen, in dem ich sitze. Ich habe nicht gesehen, wer es gewesen ist. Es ist jetzt ganz heiß. Vielleicht hat mir Troll Sebastian, der mein bester Freund von den Trollen auf der Erde ist, was Gutes tun wollen. Den kenne ich schon ewig lang. „He Sebbi!“, habe ich gerufen. Ich kann das jetzt noch hören.

Es ist mir gerade eingefallen, wie das längliche Ding heißt, in dem ich immer noch sitze: Badewanne. Das klingt interessant. Es ist eine tolle Erfindung der Menschen oder etwa der Trolle? Derartiges können eigentlich nur die Trolle erfinden, glaube ich!

Wozu ist die Badewanne da? Zum darin Sitzen oder Liegen. Das ist klar. Weil es so schön ist, darin zu sitzen – oder zu liegen! Und sonst? Ich glaube, es geht auch darum, dass Menschen sich gerne sauber machen. Wer in der Badewanne sitzt oder liegt, der wäscht sich einfach mit einem Lappen den Körper sauber.