Königsbriefe - Kay Ganahl - E-Book

Königsbriefe E-Book

Kay Ganahl

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Beschreibung

Zentrales Thema des Romans "Königsbriefe" sind die Konflikte eines Schriftstellers mit der gesellschaftlichen und politischen Realität. Gut ist es ja, diese Realität sowohl zu erfassen als auch sinnstiftend zu verarbeiten: Schriftsteller gegen Königsherrschaft. Nicht zuletzt geht es im Roman darum, wie sich Kultur mit originellen, systemkritischen Schöpfungen gegen ein Staatswesen behaupten kann.

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Kay Ganahl

Königsbriefe

Roman

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Inhalt

A Drei Freunde und der König

Die Bilderbücher (1)

Brief an den König (2)

Verfasseridentität (der zweite Brief) (3)

 

B Ich verfasse nur

Klärungsversuch (1)

Arbeitszimmer (2)

Keine Ideen - der Königsbesuch (3)

Mein politisches Ich (4)

Begegnung mit Jo. Unpolitische (5)

 

C Zeit der Brieflosigkeit

Der Staat, das Irrenhaus (1)

Ich und ein neues Jahr der Königsherrschaft (2)

Gescheiterter (a)

Ich, Jo und die Vermieterin (b)

Die Würde des Menschen (c)

Eigene Fluchtbewegungen (3)

Etwas zur Überwachung (4)

 

D Ein letzter Brief?

Gründung des Bundes? (1)

Neuer Staat, neue Gesellschaft? (2)

Irgendwo untergebracht (3)

Der letzte Brief Teil A (4)

Der letzte Brief Teil B (5)

 

E Königsherrschaft in Phase X

Der König beim Bund (1)

Die Arbeit am letzten Brief (2)

Das Vorlesen (3)

 

Eine Art Nachwort des Autors

       

 

 

A Drei Freunde und der König

 Die Bilderbücher (1)

 

Im Vorhinein war das kaum anzunehmen gewesen. Bestimmt nicht!

Es war einfach so: sie lagen auf der Couch und lasen in einem Bilderbuch für kleine Jungs. Ja, wirklich! In diesem Bilderbuch waren einige Autos und Flattermänner, ganz originell, abgebildet. Außerdem befanden sich als gedruckte Farbzeichnungen im Buch ein kunstvoll behauener kleiner Bimsstein und eine rote Rose, eine hübsche rote Rose, die man an der Jacke, welche man im Alltag trägt, befestigen kann.

In einem jugendlichen Alter waren sie, eigentlich waren sie dem Bilderbuch schon entwachsen. Egal! Oder auch nicht egal!

 

Aber irgendwie gefiel es ihnen. Versenken konnten sie sich darin, ein bisschen zu träumen vermochten sie auch.

Gerade in diesen Tagen hing ihnen alles mit der Schule Zusammenhängende ganz fürchterlich zum Hals heraus. Sie wurden in der Schule von den Lehrern seelisch härter als sonst üblich rangenommen - durften mehrere, aus ihrer Sicht dumme Aufsätze kritzeln; im Fach Mathematik kam es zu unsinnigen Aktionen; das Fach Geschichte lag ihnen noch einigermaßen: über den Franzosen namens Napoleon Bonaparte, später Kaiser der Franzosen, wurde ihnen einiges erzählt. Dessen heroisches Auftreten, wie es aus den historischen Vorträgen des Lehrers entnommen werden konnte, ließ sie tief durchatmen.

Dieser Napoleon war wohl, so dachten sie, ein ziemlich seltenes Exemplar. Jedenfalls stieß er auf ihr Interesse, was unzweifelhaft vorhanden war.

Benno-Jan missfiel die Schule besonders. Seine Leistungen waren nämlich mäßig.

 

Durchaus gefielen sie sich darin, zu denken, was sie wollten. Jede beliebige Annahme erlaubten sie sich – jedenfalls in Gedanken. Jede! Das war sogar unterhaltsam. Persönliche Anteilnahme vonseiten anderer Menschen erwarteten sie keineswegs! Verschwiegenheit bezüglich dessen, was sie dachten und sagten hielten sie für selbstverständlich.

 

Natürlich waren sie kritische Schüler. Klar, warum sollten sie nicht dies und das annehmen dürfen? Dafür gab es keinen Grund.

Ach, die Gefühlswelten, in denen sie sich so tummelten. Manchmal uferte es etwas aus.

Zu den vielen verschiedenen, oft auch negativen Empfindungen bezüglich des Alltags in der Schule kamen diverse familiäre Probleme, die hier nur zurückhaltend ausgebreitet werden können.

 

Benno-Jan und sein Freund waren zusammen. Das war mehr als nur okay! Es war prima! Und sie waren ein Herz und eine Seele, ... und: Pech und Schwefel! Für die, die sie kannten, sahen sie wie zwei enge Freunde aus. Immer. Wenn sie die beiden sahen, dann dürfte es unvorstellbar gewesen sein, dass sie einmal nicht zusammen sein könnten. Ganz einfach.

Besonders in der Schule waren sie sehr oft zusammen. An Alternativen mangelte es. Sonst war da nämlich kaum einer, für den sie sich hätten begeistern können.

Nur Napoleon, so alt wie sie, ein kleiner quirliger Klassenkamerad, der eine große Klappe hatte, schwarzhaarig, schon mit ein bisschen Bartwuchs und mit einem schwarzen Handschuh über der rechten Hand war interessant. Die Faust im Handschuh schwang er bisweilen zwecks Drohung hoch.

Er riss sie manchmal mit; ließ die Schatten der unerträglichen Langeweile weit hinter sich, die Benno-Jan und sein Freund so oft zählen konnten. Wahrhaftig, er begeisterte sie an manchen Schultagen vollends. Begeisterung peitschte hoch!

Das waren aber doch bloß kurze Momente der Begeisterung. Immer ging es schnell vorüber. Viel zu wenig ...

... viel zu viel Unbill des Alltags! Erwähnt werden muss unbedingt: die Schule war nach ihrem eigenen täglichen Erfahren, reflexiven Denken und Tun viel zu oft widerwärtig. Schule (aber auch Familie), ekelerregend!

 

Und dies musste mal ein Ende haben. Was gab es außer Schule? Billige Vergnügungen? Die gab es allerdings auch.

Daneben gab es inhaltsreiche Beschäftigungen, die sinnvoll waren. Es war immerhin so, nicht nur nach ihrem eigenen Urteil, dass sie sich was Gutes antaten, wenn sie Zeitungen, Zeitschriften oder sogar Bücher intensiv studierten; überhaupt: wenn sie ans Lesen kamen, konnten sie träumen. Besseres schien ihnen kaum möglich zu sein, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Das wenige Geld, über das sie verfügten, setzte ihnen selbstverständlich praktisch Grenzen.

Übrigens, vom intellektuellen Niveau her waren sie noch nicht allzu weit gekommen. Sehr gern hätten sie sich nämlich eine Napoleon-Biographie reingezogen, aber deren Inhalt hätten sie wohl nicht verstanden. Unheimlich begriffsstutzig waren sie während der Lektüre der verschiedensten Stoffe, doch bald darauf schon wieder nicht mehr.

Weil sie als Schüler mäßig, eben auch und gerade mit ziemlich geringem Erfolg lernten, war ihnen der direkte Zugang zum „Reich der totalen sozialen Normalität“ nicht gewährt. Mithin entzog sich ihnen dieses Reich, in dessen Volk sie aufgenommen werden wollten. Vielleicht waren sie nur zu jung, um Zugang gewährt zu bekommen. Das wussten sie ja leider nicht genau.

Keiner hatte ihnen Auskunft über die Zugangsvoraussetzungen geben wollen, was sie bedauerlich fanden. Allerdings hatten sie sich nicht sonderlich um diese Auskunft bemüht.

 

Auf der Couch lagen sie jetzt. Der blonde Benno-Jan, schlank und rank und eher temperamentvoll (in grünen abgewetzten Jeanshosen; er trug braune Sandalen aus Leder; seine Fingernägel waren wieder mal abgekaut; sein Oberhemd, grau-kariert, wies einen roten Fleck auf), sah kurz auf. Und er richtete sich halb auf.

Rechts das Fenster zur Straße. Ein Flachdach gegenüber. Irgendein Mann hatte sich auf dieses Dach begeben, um etwas zu tun. Benno-Jan übte sich im Beobachten, sein Freund schien ganz eingeschlafen zu sein. Dieser Mann verrichtete eine mysteriöse Tätigkeit. Benno-Jan verzweifelte daran, zu viel rätseln zu müssen; die Gedankenarbeit forderte ihn stark.

Dies würde ihn eventuell deprimieren. Folglich ließ er die Gedankenarbeit sein!

Benno-Jans Freund Mathias, der jetzt zu schnarchen anfing, war ein Mensch, der immer mitreden wollte. Jetzt konnte er nicht. Er wurde von Benno-Jan nicht für hundertprozentig voll genommen. Mathias´ Schlaf war nicht tief; mit dem kleinsten Geräusch würde Mathias aus dem Schlaf auffahren.

Er war kleinwüchsig und ungelenk, - an den Schläfen ergrauten seine Haare, was für sein Alter natürlich sehr ungewöhnlich war. Keinem gegenüber wollte er bekennen, dass die Schläfen gefärbt waren. Und seine Kleidung war auch heute wieder so schlampig, dass er, wäre ein Lehrer in seiner Nähe, garantiert eine ermahnende Äußerung vernehmen würde.

 

- Was geht da bloß ab? fragte sich halblaut Benno-Jan. Er fluchte schließlich auch noch. Dann stand er ganz auf und ging zu dem Fenster. Ihm war kalt. Mit seinen Armen schlug er weit ausholend gegen seine Brust. Mathias schlug die Augen auf. Gleich wandte er sich in Richtung Benno-Jan um.

Der schüttelte mächtig seinen Kopf, während er zu dem Tischchen nahe der Couch ging.  

- Keinen Schimmer ...! entfleuchte es ihm. Die Lampe auf diesem Tischchen wurde von ihm ausgeschaltet, dafür aber kurz darauf die Deckenlampe angeschaltet. Auf dem Tischchen lag noch ein zweites Bilderbuch. Benno-Jan berührte es nun sanft mit seinem Zeigefinger der rechten Hand.

- Schön, sagte er gelassen. Er grunzte zufrieden, als er es in Händen hielt.

- Willst du mal, Mathias? fragte er seinen Freund, der müde dreinschaute. Mathias regte sich nicht.

- Kommst du??? fragte er schließlich Benno-Jan schüchtern.

 

Dann lagen sie gemeinsam auf der Couch. Sie streckten sich aus, quasselten noch ein bisschen, - natürlich fühlten sie sich alles andere als schlecht.

Auch das zweite Bilderbuch unterhielt sie trefflich. Mitunter sinnierten sie, ja klügelten leichtsinnig herum, nämlich dann, wenn sie auf Bilder mit Texten trafen, die sie schlecht verstehen konnten!

Das war doch ganz normal, oder? Auf den Seiten dieses zweiten Bilderbuchs, welche sie zügig umblätterten, befanden sich keinerlei belehrende und erbauliche Inhalte, für die man sie hätte gewinnen können. Für sachliche Belehrung und sittliche Erbauung wurde nichts getan! Das fehlte Benno-Jan und Mathias aber nicht.

Ein wenig kamen sie sich während dieses müde-fröhlichen Lesens ungebildet, ungelehrig, ja sogar dumm vor, dabei aber wahnsinnig froh, noch Jugendliche zu sein, die sich Fehlleistungen leisten konnten, ohne Geld zu verlieren.

Das zweite Bilderbuch unterhielt sie so gut, dass sie nicht mehr von ihm lassen wollten. Fortwährend lagen die beiden auf der Couch. Es konnte ihnen nicht viel Übles widerfahren, vielleicht würde gleich Benno-Jans Schwester Siglinde anklopfen. Aber warum denn auch nicht? Beide mochten sie schließlich.

 

Alsbald pennten sie über den Bilderbüchern ein. Die Nacht war ganz ruhig. Sie schliefen ohne Unterbrechung. Das hatten sie aber mal nötig!

Am frühen Morgen klopfte es an der Zimmertür und Siglinde betrat das Zimmer mit einem sehr freundlichen Gesicht.

 

- Und? Aufgestanden ihr beiden! Aber los, sofort!

- Wie? Uaaa! so kam es von Benno-Jan, der sich nach dem Erwachen gerade mal zu einem leichten Aufrichten aus der Liegeposition auf der Couch durchringen konnte. Mathias schlief erst einmal geruhsam weiter. Das konnte natürlich nicht angehen!

- Ihr müsst raus!  schrie Siglinde jetzt. Sie war ganz außer sich, Benno-Jan stand schon neben ihr. Er kleidete sich hastig an. Mathias hingegen schien nicht aufwachen zu können (oder zu wollen). Siglinde trat an die Liegestatt. Sie schüttelte Mathias wach, aber der starrte sie nur böse an. - Raus!!

- Nee! entfuhr es ihm gequält. Er verzog sein Gesicht. Und seine Augen blieben geschlossen. Siglinde verließ wütend das Zimmer, während Benno-Jan das letzte Kleidungsstück, seine Hose, mit einem Gürtel verschloss.

- Du solltest aber ... auch wenn's schwer fällt, Junge!

- Ich doch ... nicht!!

 

Nach etwa einer halben Stunde saßen alle drei zusammen am Frühstückstisch im Erdgeschoss des Einfamilienhauses. Spiegeleier. Schinkenscheiben. Knoblauchzehen. Gedärme von der Kuh. Roh! Iieeh! Aber keiner beschwerte sich darüber bei Siglinde, die eine ausgesprochene Liebe zur rohen Fleischkost hegte. 

Sie war zuständig heute morgen. Die Eltern waren schon aus dem Haus. Mathias Eltern würden vermutlich gleich versuchen, ihn telefonisch zu erreichen. Es war nun schon fast halb acht Uhr morgens.

Siglinde ging dann in das Zimmer, holte die Bilderbücher. Sie blätterte flüchtig in ihnen herum, als sie wieder am Frühstückstisch Platz nahm. Es dämmerte ihr, dass ihr Bruder und Mathias ein bisschen verrückt waren.

- Nirgendwo lese ich einen vernünftigen Erwachsenengedanken, den man nachdenken sollte! ... ach ja ... so ist das ... Mist ... Mist ...! sagte Siglinde.

- Wir müssen heute zur Schule, es ist ein übler Jugendlichengedanke. Ja! sagte Benno-Jan und stand auf.

- Warte mal! sagte Siglinde, legte die Bilderbücher auf den Tisch. Und strebte in eine Ecke der Küche, in der sie saßen. Dort befand sich ein Abfallbehälter, der proppevoll war. Oberhalb des Abfalls sah sie etwas, das aussah, als wäre es ein Brief oder ein Formular. Das war interessant, ... an einem ganz ungewöhnlichen Ort. Büroabfall gehörte hier nicht hin.

- Da hat jemand was geschrieben! Äh! Interessant! Das wäre was für eure Scheißbildung, ... oder nicht!?

Benno-Jan: - Na, vielleicht! Vielleicht! Lass' doch den Fetzen drin!

- Nein! rief sie aus. Sie nahm ihn heraus und transportierte ihn. Leicht angeekelt von sich weghaltend brachte sie ihn zu Mathias, dem sie den Fetzen vor die Nase hielt. Sie lächelte Mathias an.

- Was soll ich damit? fragte dieser verdrossen. Er war noch schläfrig, dabei ganz und gar lustlos. Die Schule: bloß nicht! Die Menschen: noch weniger! Einen Brief: was soll der Unsinn!??

Wieder er: - ... noch vor den Paukern ... so einen Fetzen! Ich glaub's ja nicht!!!

- Lesen!!! schmetterte Siglinde. Benno-Jan verschwand zur Tür hinaus.

 

Schließlich entfaltete Mathias den Brief, um ihn wenigstens zu überfliegen. Als er merkte, dass er einen Inhalt hatte, der jede Aufmerksamkeit lohnte, begann er laut zu lesen:

 

 

Brief an den König (2)

 

Lieber König,

 

mithin bin ich unzufrieden mit mir und den dümmlichen Handlungen derer, die glauben, dass sie sich was erdreisten können, dürfen, sollen. Du Arsch, ... (wie siehst du wirklich aus heute, in diesen Tagen der Verwirrung der Menschen ringsherum?) - hast nichts zu suchen auf dieser verschissenen Welt, die vorwiegend aus Ärschen besteht, deshalb aber noch kein Recht hat, zu existieren. Ärsche müssen liquidiert werden, darauf kommt es an. Blödsinn!?

 

Lieber König (bist du wirklich ein König? Ich weiß es natürlich nicht genau!); ich bin Dein Autor, und ich befehle Dir: mach‘ Dich fort!

Aus Dir heraus kommt nichts an die Oberfläche Deines Seienden, persönlichen Seienden, was Du kreiert zu haben glaubst! Nicht mal das ist der Fall. Denn hier ist der Acker unbebaut, keiner wird sich um Dich sorgen machen. Schlechte Laune, Quatsch!!??

 

Nun denn, jetzt hebe ich zu einem kurzen Bericht darüber an, ... ja ... zugegeben ... etwas außer Atem und ziemlich zerschunden, ... von der Front der Untugenden, welche sich im Töten äußern. Diese Front verläuft überall und nirgendwo in der Gesellschaft, in welcher ich, in welcher wir alle leben müssen.

Es werden nicht weit von der Front entfernt die Leichen gestapelt; das produziert gute, gute Laune. Und das scheint allgemein aus unbekannten Gründen akzeptiert zu sein! Natürlich kann ich dergleichen nicht akzeptieren.

Für mich ist klar, dass überall Menschen schrecklich zu leiden haben. Die Gesellschaft lässt ja doch so viele Einzelschicksale enden.

Ich überfliege das Gelände. Es ist so: der nunmehr ganz sichtbare Acker des gesellschaftlichen Daseins im Heute ist tatsächlich über und über mit Leichen, vielen verschieden hohen Leichenbergen übersät. Grässlich anzusehen! Und sensationell ist das nicht, aber wir lassen es laufen.

 

Wahrlich denke ich jetzt nicht nur an mich, sondern an viele andere Menschen, mit denen ich solidarisch sein will. Ich denke im Wir.

Sind wir heute schon programmierte Leichen? Es könnte sein. Wunderschön sind wir ausgestattet, nach innen hin verkleidet mit  zersetzenden Zeichen des Unsinnigen; sie verbreiten sich nach innen kontinuierlich, weiten sich nach außen hin aus;  das ist das, was vieles sozial Marode erfasst und zerstört. Das sozial Marode ist unsinnig, und zwar so unsinnig, dass es auf jeden Fall als überflüssig zu bewerten ist. 

 

Menschen werden umgebracht, so scheint es nicht selten vorzukommen, sobald sie denen, von denen sie abhängig sind, den Gehorsam verweigern. Ja, doch ... Menschen werden auf Linie gebracht, indem man sie gewissenlos unter Druck setzt, auch übel einschüchtert, als Menschen herabsetzt, sozial gezielt ausgrenzt und mobbt. Ihr Leben somit zu einer Farce macht.

Üblich ist dies allemal in dieser Gesellschaft; so manchen erfreut es gar.

 

Lieber König, Du bist einer von denen, die aus dem Kunst machen wollen, was ich hasse. Ich hasse Euch alle, Dich und Deine Leute!

Ihr seid die Menschheitsverderber! Ihr seid Künstler in eigener Sache, einer Sache des Todes, die sich wie von selbst fortpflanzt, in Wirklichkeit von oben gesteuert wird. Und von oben scheinst Du herzustammen! Von dort aus scheint man nämlich ganz schlecht zu regieren.

Ach, ... Schauspieler, die regieren, sind ganz köstlich! Schauspieler, die regieren, haben die verschiedensten als negativ zu bewertenden „bösen“ Zwecke für sich entdeckt. Schauspieler, die sogar andere Schauspieler dirigieren und finanzieren und organisieren, haben den Lebenssinn in diese einzupflanzen versucht und sich der Öffentlichkeit mit ihrer Erfolgsstory angebiedert.

 

Lieber König, ich finde Dich zum Kotzen! Ohne Dich wäre die Welt viel viel ärmer, doch auch reicher an sozialer und politischer Moral sowie einem inhaltsreichen tiefgründigen Wissen für die Wenigen, die noch den Durchblick anstreben wollen, immerhin, die das wenigstens wollen und  ... denen anzusehen ist, wie sie Dich hassen, jedoch fortfahren im Text, der sich in die Normalität ihres Lebensganges einfrisst.

Hallo, aber hallo!? Ist das nicht phantastisch planlos!?? ---

 

Nehmen Sie das, was ich hier mitgeteilt habe und noch mitteilen werde, gefälligst tief in sich auf! Ich fordere sie dazu auf, jeden Widerstand, inneren als auch äußeren, sofort aufzugeben!

 

MATHIAS HÖRTE AUF VORZULESEN.

 

SIGLINDE: - Das, was ich hören kann, ist ziemlich ... na ja: geistreich; Mathias, liegt das an dir?

- Nee!

- Weitermachen, Mat ...!!

- Klar doch! Ich ... mache weiter ... Benno-Jan? ... wo ist der denn jetzt? fragte Mathias und wurde nervös.

- Ich stehe an der Tür und höre mit! rief Benno-Jan in die Küche.

 

MATHIAS SETZTE DIE LESUNG FORT.

 

Kürzlich habe ich vernommen ... es sei hier genannt, ausdrücklich genannt: h i e r  (aber leider auch woanders) werden Menschen physisch umgebracht, obschon sie nichts oder nur sehr wenig verbrochen haben. Ihre angeblichen Verbrechen haben meistens lediglich darin bestanden, de facto nichts verbrochen zu haben, und das ist schrecklich.

Sehr schrecklich, unverzeihlich! Ein Verbrechen. Das obiges einfach als gegeben anzusehen ist, liegt daran, dass es Dich und andere Könige gibt. Ihr entscheidet und handelt menschenverachtend, seid Ihr doch hauptsächlich auf die Erhaltung Eurer Macht aus. Das weiß ich.

Andere wissen es genauso gut, teilen es jedoch den Menschen nicht mit, was ein Fehler ist.

Du, lieber König, gehörst zu denen, die leider allzu machtbewusst und sogar grausam über Staat und Gesellschaft herrschen. Ich lehne dies ab.

Du gehörst zu denen, die politisches Theater zu spielen belieben (ich bezeichne die Bühne der Öffentlichkeit, auf der Du stehst, als den Ort, wo du Dich angelegentlich und bestimmt gern produzierst).

 

Die Opfer sind ehrliche Menschen. Allermeist sind es solche ehrlichen Menschen, die Opfer von Euch Königen werden. Es darf nicht so weitergehen. Mitmenschlichkeit und die kluge Einsicht sollten endlich walten.

Aber gerade du hast bisher verstärkt dem Übel Vorschub geleistet! Deine „Urteile“ haben Unschuldigen den Kopf gekostet. Mit Dir würde ich nicht abends durch den Park bis zu den Geschäftsstraßen schlendern, um einzukaufen, ... einzukaufen, was möglich wäre, wenn man sich anstrengt.

Ich denke und schreibe am heutigen Tage und auch sonst öfters mit der eigenen Hand, was befriedigend sein kann, wenn man es richtig anfängt. Du darfst mich als Dein persönliches Vorbild denken!

Denke an Dich selbst und auch an mich, liebster König (auch: der Darsteller) ... Sobald ich perfekt realisiert hätte, dass dem so wäre, so würde ich alles, was ich von dir erkennen könnte, zusätzlich herabsetzen. Das Handwerk der Macht, welches Du ausübst, widert mich, wie klar geworden sein müsste, sehr an.

Weißt du, ... vielleicht kapierst du es nicht, aber ... aber wirklich ... Du machst diesem in der Welt weit verbreiteten Handwerk keine Ehre!

 

Nun ja, die Frage stellt sich, ob es moralisch hinzunehmen wäre, dass ein Herrscher Repräsentationsgebäude im eigenen Staat oder in anderen abbrennen lässt, auf offener Strecke voll besetzte Passagierzüge explodieren lässt, irgendwo irgendwelche  Staatsbürger, aber eben auch staatliche Würdenträger skrupellos ermorden lässt, Computerviren im Word Wide Web verbreitet, den Staat des Feindes und viele seiner gesellschaftlichen Gruppen geheimdienstlich unterwandert. Und was es sonst noch so gibt.

Du bist ein Angeber an der Spitze des Staates, der zudem gelegentlich mit seiner Bosheit kokettiert, wenn man so Deine Äußerungen rezipiert und über sie urteilt. Es sei hier mitzuteilen: weiter so!? Du erschreckst auch meine Leser tödlich!!!

 

Was anderes: und was ist jetzt eigentlich mit Deinem „Schüler“?

Du nanntest diese Person einmal so, als wir zusammen vor dem Kamin im großen Saal Deines Regierungspalastes in der Hauptstadt saßen und plauderten. Außer uns beiden war keiner zugegen. Der Personenschutz, mit der neuesten Waffentechnik ausgestattet, befand sich rings um diesen Saal herum. Es war angenehm. Meine Stimmung war hervorragend. Ich hatte vorher nicht annehmen können, dass Du so ein freundlicher und offener Gesprächspartner sein würdest.

Im Kamin loderte wild das Feuer, unsere Geister schienen sich zeitweilig sogar gegenseitig zu befruchten. Die Gedanken tanzten nur so in meinem Kopf; ich meinte sie nicht mehr gut lenken zu können. Und Deine? Ich wagte nicht, Dich danach zu fragen.

Ich gehe davon aus, dass diese Person einmal Dein Nachfolger in allen Staatsfunktionen sein soll, wenn du nicht mehr lebst.

Gebe ich jetzt unser damaliges Gespräch wider?

 

MATHIAS UNTERBRACH SICH.

 

- Ist das alles verständlich? Ich kapiere nicht alles! sagte Mathias zu Siglinde.

SIGLINDE: - Lies schon weiter, Mathias!!!

- Ja, sofort!! tönte Benno-Jan von draußen.

 

MATHIAS SETZTE DIE LESUNG FORT.

 

Ich gebe dieses Gespräch ziemlich genau wider! Gewiss! ... dieser Schüler war Dir lieb, er galt Dir als ein guter, fähiger Mensch einer Zeit der Jugend, da man einen Menschen formen kann.

Die Gelegenheit zur Praktizierung von Erziehung wolltest Du erfolgreich nutzen! Hast ... Du ...? Nein!? Das ist die Wahrheit! Musstest Du eigentlich mit diesem Schüler so umspringen? Was ich hören musste, spricht von Fehlern, tragischen Fehlern. Ich bedaure dies.

Konntest Du Dich diesem jungen Menschen nicht wenigstens mal ein wenig mehr persönlich annähern? Wie wäre es damit gewesen?

Deine Erziehung misslang völlig. Das ist mir bekannt. Deine speziellen Methoden waren gründlich falsch. Es muss so gewesen sein!

Nun, meine heutige Befürchtung, dass Du mehr und mehr keine Lust hattest, Erzieher zu sein, ist sicherlich zutreffend. Als völlig gesichert kann sie natürlich nicht gelten. Das gestehe ich hiermit.

 

MATHIAS UNTERBRACH DIE LESUNG, BLICKTE AUF.

 

Mathias: - Ist das komisch! Der Kerl, ein König ... oder was er war ... ist ... äh, der wollte einen jungen Burschen fertigmachen! Was für ein Idiot! Gut, dass der junge Bursche ...

SIGLINDE: - Weiter! Wir werden hören, was geschehen ist!

 

MATHIAS SETZTE DIE LESUNG FORT.

 

Ich möchte auf naive Schüler und ihren Drang zur Freundschaft mit anderen Menschen, außerdem einen großen Drang, ältere Menschen offen zu bewundern, nicht näher eingehen, weil es mir dumm erscheinen würde.

Sie werden, König, etwas lernen, tatsächlich noch kapieren, dass nationale Größen wie Könige, Größen wie Stars sich mit kleinen Leuten nicht abgeben. Das überhöhte Selbstbewusstsein bezüglich der sozialen Rolle in der Gesellschaft erzeugt bei diesen Größen eine überzogene Selbstwertschätzung. Arroganz ist notwendigerweise gegeben. Sie kann so schnell keiner leicht wegdiskutieren. Ich behaupte, dass sie sehr scheußlich ist, dumm sowieso, aber jeder gräbt sich seine Grube alleine. Alldieweil bemühe ich mich um Zurückhaltung in der Beurteilung der jungen Menschen als auch der Größen.

 

MATHIAS UNTERBRACH SICH. SEINE AUGEN SUCHTEN NACH ETWAS.

 

- Größen, die sind nicht groß?, ... sondern nur arrogant!!!! rief er dann.

 

MATHIAS SETZTE DIE LESUNG FORT.

 

- Also, ich lese weiter Kinder ..., verkündete Mathias.

 

... sollen sie doch, auch Du, so viele Fehler machen, sollen sie doch!! Es wird ihr Schaden mit Gewissheit sein! Was als Distanzierung bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit die größtmögliche Arroganz, denn warum sollte jemand mit viel Macht, ein Herrscher womöglich, ... mit Geld und Einfluss und künstlerischer Anerkennung nicht einmal mit einem harmlosen Schüler erquickliche Gespräche führen? Tja. Diese Frage muss zu einer Erkenntnis werden. Allerdings könnte die Wendung zum Besseren noch auf sich warten lassen. Bei Dir, mein lieber König!!!

Manche Menschen sind unbelehrbar, doch trotzdem hängen sie in höchsten Positionen und sonnen sich in einem Ruhm, jedenfalls einem hohen Bekanntheitsgrad, der ihnen Anerkennung bei den Massen und anderen, einen entscheidenden Machtzuwachs in Politik und Wirtschaft sowie mehr und mehr materiellen Reichtum verspricht. Daher lassen sie sich zu Eitelkeiten verführen, machen Fehleinschätzungen, kommen zu krassen Fehlurteilen besonders auf Feldern der Wissenschaft und der Praxis, auf denen sie gewöhnlich nicht zu Hause sind, ... will ich mal annehmen. Mehr ist es hoffentlich nicht. ... wahrscheinlich ist es viel mehr ...

Aber wer weiß? ... sie sind auch nur Menschen, sagen sie selber leichthin. Aber: der Leichtsinn wird sie so schnell nicht packen; dieser gewisse Leichtsinn, der als der "leichte Sinn" zu bezeichnen wäre. Nur mittels des leichten Sinns könnten sie ihr Leben beschweren.

 

Der mich bisweilen heimsuchende Stress, Dich und einige andere Menschen mit meiner kritischen Aufmerksamkeit zu bedenken und darauf ablehnende Reaktionen zu erhalten, ist alles andere als gering zu nennen. Ganz besonders dann, wenn ich an die Gesellschaft denke. Es ist doch offensichtlich scheußlich, was sich auf Grund Deines politischen, angeblich auch kreativen Wirkens innerhalb „unserer“ Gesellschaft entwickelt hat!

Du stehst im Fokus, in meinem ganz persönlichen. Unablässig!

 

Kein Zweifel, Du wirst mit der Zeit – und das scheint rasant zu gehen - zu einem Menschen, ... D a r s t e l l e r k ö n i g, der die Schatten der Vergangenheit nicht mehr abstreifen kann. Dies ist für Dich schlimm.

Hoffentlich musst Du darunter leiden. Ich fürchte, Du leidest zu wenig darunter. Zugeben würdest Du jegliches eigenes Leid sowieso nicht.

Ich werde Deinen Weg so gut es geht verfolgen, wenngleich ich nicht annehme, dass ich viel ändern werde. Du gehst diesen Weg stur weiter ohne auf die menschlichen Bedürfnisse viel zu achten. Sie sind Dir höchstwahrscheinlich ganz gleichgültig! Ich muss davon ausgehen, dass dem so ist. Bestrafen kann ich Dich nicht dafür. Anderen ist dies mit Sicherheit auch nicht möglich.

Du stehst einsam an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide und herrschst. Wer strahlt Dich an? Wer liebt Dich?

 

Du stehst an dieser Spitze, doch Du wirst niemals ein wahrhaftiger Mensch werden können. Ich muss sagen, viele Menschen beneiden Dich um diese Einsamkeit der Herrschaft. Dein Leiden ist ihnen gleichgültig.

Gern würden sie Dein Leben kopieren, wenn es irgend möglich wäre. Es ist unmöglich. Es ändert sich nichts, wie es aussieht.

 

Leben. Sterben. Herrschen! Lieben? Ich sehe: da sind die vielen kleinen Lichtketten in der Welt der Vorstellung, die die vom einzelnen Menschen realisierte Gegenwärtigkeit produziert. Diese sind ganz grell, übergrell und somit wirklich Lichtketten des sehr oberflächlichen Belanglosen und ganz tief hohlen Bedeutungslosen. Vorboten einer schon als zerstört geschauten Zukunft! Wie jämmerlich das ist.

Die Lichtketten können nicht herabgelassen und zertreten werden. Sie strahlen viele, sehr viele Menschen an, so dass es mannigfach Bilder von angestrahlten Menschen zu sehen gibt. Das ist ohne Bedeutung.

Die Menschen sehen sich selbst.

Das muss hier gedanklich nicht vertieft werden, auch nicht in meiner Vorstellung! Ich lasse es einfach mal so stehen.

 

Etwas anderes an dieser Stelle: was bedeutet Dir der Erfolg des Herrschens an sich? Irgendwann kannst Du mir diese Frage mal beantworten. Das dauerhafte Herrschen ist doch nicht schwierig, denke ich. Herrschen ist aber durchaus eine Zumutung für die Beherrschten. Oder etwa nicht?

Es ist das Schicksal, welches Du tragen musst: Herrscher sein!

 

... tragen dieses ... Schicksal des eigenen Herrschererfolges unter den Menschen, die Dir lediglich Untergeordnete sind, weshalb dieses gelebte Schicksal, Deines, im Grunde eine schamlose Story ist, auf die die Welt verzichten könnte! Bestens sogar! Das sollte Dir etwas ausmachen.

Bist Du tatsächlich dermaßen oberflächlich-machtbesessen, wie Du Dich von mir hast erschließen lassen?

Eigentlich hoffe ich auf Details, die ich bisher übersehen habe – die ich zu Deinen Gunsten positiv werten könnte. Wo sind sie? Ja, wo?

Am liebsten würde ich Dir das Herz herausreißen wie Weiland Monster Frankenstein einem Nachtwächter, mit ganzer Wucht und voller besteig-naivem Erstaunen über die Körperkräfte. ... alles ergibt sich nicht von selbst. Man muss zulangen und töten können, wie? Hast Du schon Menschen umgebracht, höchstpersönlich und ohne Zurückhaltung? Auch diese Fragen wirst Du mir wohl niemals beantworten.

 

Ach, jetzt denke ich viel zu viel, es wird mir warm ums Herz, denke ja ziemlich human und menschlich interessiert.

Das darf doch nicht wahr sein! Es kann doch nicht angehen! Ich habe jetzt Zurückhaltung zu üben! Liest Du diese Zeilen auch sorgfältig, König? Das hoffe ich mit der Sympathie, die ich noch übrig habe. Dich will ich retten. Jeder könnte einmal einsichtig sein.

Ach. Da war vielleicht mal der gewaltsame Tod von Menschenhand, den Du begangen hast. Ein Mord. Nur im Theaterspiel? Sei ehrlich!

Dies wird mir später keiner glauben. Die werden mich brandmarken, wenn sie sich das später anhören müssen. Glaube mir, König, Du König der Narren, von Dir wird die Welt nichts mehr hören wollen, sobald ich mich und mein Selbst selbsttätig, selbstverantwortlich regiere.

 

Du solltest mal an mich denken, König! Ich stelle mich Dir vor: ich lasse mich nicht gehen, werde sicher bald viel klarer sehen, wenn ich klarer sehen will. Mein starker Wille ist zweifellos sehr entscheidend. Nur wer ständig entschlossen vorgeht, hat noch eine Chance, weil der Leistungsstress hinab zieht. In den Schlund der Zeit. Derselbe ist ziemlich weit offen, innen verzweigt und hat lange scharfe Zähne, die jeden Nerv zerschneiden. Weil ich mich selbst in einem bestimmten Stil regiere, habe ich eine Chance.

Das wirkt sich auf das Dramatische im Leben des Theaters auf der Straße aus. Kapiert?

Noch was, Dich direkt betreffend, nämlich: der König, also Du, bist ein König des Theaterlebens, welches sich ins Unendliche des persönlichen und beruflichen Wirkens hin verteilt, verbiegt und Verbote an die Normalen erteilt, die glauben, gegen allzu Anstößiges, Ungewöhnliches protestieren zu können.

 

Auch der Erfolgreiche, einer wie Du, lieber König muss sich was sagen lassen, sonst wird er frühzeitig in Rente (oder ganz woanders hin) geschickt werden. Denke mal an! Ist das nicht komisch? Der König ist auf eine spezielle Art abhängig von denen, die er regiert. Das ist sehr interessant. Ich meine, das sollte man festhalten.

Dass es so ist, dafür sorgt die politische Anhängerschaft, falls es sie gibt. Sie will nämlich etwas haben für die Zustimmung, die sie artikuliert. Sie will mitreden. (Anhängerschaft gibt es immerhin!)

Aber, nicht zu vergessen, all die harschen Kritiker Deiner Herrschaft sind immer dann anwesend, wenn sie das Wort meinen erheben zu müssen. Mit ihnen musst Du unbedingt rechnen. Sie agieren negativ. Das ist noch nicht alles. Denn daneben: allzu gern streichen Geldgeber die Förderung. Ohne finanzielle Einnahmen in ausreichendem Maße bist Du, das sei offen gesagt, aufgeschmissen!

Was noch? Das Volk, gewissermaßen Dein Publikum, verliert eventuell rasch das Interesse daran, von Dir regiert zu werden. Es braucht schließlich das Minimum an Interesse, um ein „Straßentheater“ zu Deiner Huldigung am Leben zu erhalten. Auf den Straßen werden sich vermutlich schnell nicht mehr massenweise Gaffer einfinden.

 

Mein Gott, der Mord! Du liebst den Mord? Musst Du ihn begehen? Wann und wo? Ich glaube, dies wäre nicht nötig.

Aber der reale Mord, der angeblich von Dir bisweilen begangen werden muss, ist ... wohl wichtig. Er gehört zum großen Auftritt auf der Bühne des Lebens, auf welche der Herrscher, also Du, tritt. Du gehst aber auch und gerade öfters auf die Straße unter die Menschen, unter die, die Dir „unter“ sind. Der Mord auf der Bühne, dem irrealen Ort, ist allerdings ein „großer“ Mord, der die Phantasie der Zuschauer anregt, immer wieder anregen wird. Sie werden sogar die Nachahmung versuchen, weil sie diesen Mord für einen wertvollen Mord halten.

DIE BÜHNE IST DIE STRAßE, DIE STRAßE IST DAS LEBEN.

 

Man zollt Deiner Mordgier eventuell Bewunderung. Vielleicht wird man Dich trotzdem im Stich lassen. Natürlich ist das im vorhinein nicht zu sagen. Die Nachahmung wird höchstwahrscheinlich Dein Problem werden, lieber König, denn alle möglichen verrückten Nachahmer werden es sich nicht nehmen lassen, häufiger und erfolgreicher zu agieren. Sie werden Dich erdrücken wollen mit ihren Nachahmungen.

 

 

Grün, Dein schärfster Kritiker

 

 

MATHIAS BEENDETE SEINE LESUNG GENUSSVOLL. ER LÄCHELTE.

 

- Das ist was! sagte er. Und er schnaufte zufrieden. Den Brief legte er ab. Er setzte sich auf den Zimmerboden und ging in sich. Da war viel innere Zufriedenheit, denn er hatte etwas Geistreiches vorgelesen, wenn er es auch nicht ganz verstand. Aber es war für ihn durchaus eine Herausforderung. Die anderen ... die anderen beiden?

- Wie meinst du das, Mathias? fragte der ins Zimmer zurückgekehrte Benno-Jan, der den Kopf schüttelte. Er setzte sich auf den Boden und stierte Mathias entrückt an.

Weiter: - Das ist sinnlos. Was ist das für ein geistloses Zeug? Ich bin zwar erst vierzehn Jahre alt, aber das weiß? ich doch: Blödsinn! Blödsinn!

- Ach! Lies den Brief doch noch einmal, Mathias! warf Siglinde dazwischen. Ganz unwirsch war sie, weil Benno-Jan so ablehnend gegenüber diesem originellen Brief war. Wer war der Verfasser und Absender?

- Wer hat den geschrieben? fragte Siglinde. Mathias guckte mit leeren Augen ins Zimmer und äußerte sich nicht.

- Wer den geschrieben hat ...? sprach er leise und wandte sich in Richtung Tür. Nun setzte sich Siglinde eng neben Mathias. Sie wurde plötzlich laut:

- Das will ich, ... das muss ich wissen! Kann das ein Mensch von Klugheit und Weitsicht, Menschlichkeit und ...

- Ja ... ja ... ja! Du hast viel drauf. Die Wörter schießen nur so aus dir heraus. Genial! Genial! höhnte Benno-Jan. Er lief im Gesicht rot an.

- Du Hohnarsch!!! fluchte sie. Benno-Jan stürzte dann aus dem Zimmer heraus und ließ Siglinde mit ihren Fragen allein.

Er rief noch: - Die Schule ... die Schule!!!     Dieser Brief war ihm egal. Gründe für das Verfassen von irgendwelchen unverständlichen Briefen waren ihm scheißegal. Hingegen blieb Mathias ruhig sitzen.

Heute wollten die beiden nicht mehr zur Schule gehen?

 

- Und was jetzt? fragte die müde Siglinde. Sie umarmte Mathias und streichelte ihn mit Hingabe.

Er, leise: - Der Brief könnte von einem Menschen stammen, der die Politik seines Landes, seinen König auch, genau kannte.

- Das würde ich auch denken! sagte sie.

- Die Menschen als Regierte werden vom Verfasser geschätzt, vom König verachtet. Und der Verfasser kritisiert den König sehr scharf! In der Tat! äußerte sich Mathias engagiert. Er stand auf der Seite des Verfassers.

- In der Tat! Das ist allerdings leicht hinein zu interpretieren. Die, ... was soll das sein ... Herrschaft!? ... die wird vom Verfasser sehr gering geschätzt. Sie wird von ihm verachtet, würde ich sagen, sagte Siglinde.

- Durchaus möglich. Das scheint natürlich stark durch! Das Regierungssystem zu der Zeit, als der Verfasser lebte, wird für schlecht gehalten, weil ein schrecklicher König als Herrscher mit viel Lust an der Machtausübung regiert.

- Ein rücksichtsloser Herrscher, ein gnadenloser Herrscher! Einer, der nur an seinen eigenen Vorteil denkt, nicht an den derer, die er zu regieren hat! stieß Siglinde aus. Sie gähnte.

- Ein rücksichtsloser, durchaus böser Mensch, stellte Mathias sachlich fest.

- Menschen wie er ... sind im persönlichen Umgang zu meiden, da bin ich sicher! Heute gewiss! sagte sie.

- Aber ja doch! Gewiss! Gar keine Frage! Ihn gibt es am besten nicht, sagte Mathias.

 

Siglinde schien heute wirklich – angesichts dieser Unterhaltung! - keine Absichten mit der Schule zu haben. Sie ging im Zimmer hin- und her. Lächelte innig. Mathias schaute ihr nach. Auch Mathias machte keine Anstalten zu gehen. Das Zimmer verließen sie einfach nicht! Sie wollten es einfach nicht verlassen, so tief waren sie in der „Sache“ drin.

Das Verlassen dieses Raumes und der Gang zur Schule, eigentlich bloß ganz normal, hätten sie von dieser sehr wichtigen, weltbewegenden Sache entfernt. Ihre Gedanken begannen nämlich an Tiefgang zu gewinnen. Sie fanden es sehr schön, in diesen Gedanken geradezu zu baden. Mathias lächelte fröhlich und setzte sich auf einen Eckschrank im gleichen Zimmer. Er beobachtete Siglindes Weg durch das Zimmer. Dann sprach er voller Gelassenheit weiter.

 

- Ich sollte noch einen Brief wie diesen, vielleicht einen ähnlichen, finden. Das wäre toll! Wir hätten noch viel mehr zu reden. Endlich. Endlich! Unsere Gedanken ... und das in unserem Alter! Sie ...

Siglinde ergänzte ihn einfallend: - Sie verlaufen sich nicht! Wir sind so klug. Wir sind sehr sehr klug, Mathias! Was brauchen wir die Schule!? Wirklich! Auf keinen Fall brauchen wir die ... Schule, diese ekelhafte Penne, in der wir vor Langeweile einpennen und mit Lehrern zu tun haben, die wir wie die Pest ha ...

Mathias fuhr lachend dazwischen: - ... sag' es nicht, Siggi!!!

- Ich sag' es aber: ... hassss!

- Ach so! meinte Mathias prustend vor Lachen. Er sprang von dem Eckschrank herunter und spazierte lässig zu ihr hin, während sie sich auf einen nahe stehenden Schemel setzte.

- Dieser König aus dem Brief und sein schärfster Kritiker. Wer der wohl ist? fragte er Siglinde, die in Gedanken versunken dasaß. Er stand neben ihr, schaute auf sie herab.

- Was? Bitte?

- Die Identität des Briefverfassers?

- Keine Ahnung, Mathias! Ich weißes nicht, ich ahne es auch nicht! gab sie zur Antwort.

- Ich werde sie herausfinden. Außerdem werde ich bestimmt noch einen zweiten Brief finden! kündigte Mathias stolz an.

- Dann findest du eben noch einen Brief, Mathias! meinte Siglinde ziemlich gleichgültig. Sie schien fast dem Einschlafen nahe zu sein.

Den ganzen Morgen über blieben Siglinde und Mathias in diesem Zimmer. Was in diesen Stunden noch geschah und besprochen wurde, das kann hier nicht mitgeteilt werden.

 

 

Verfasseridentität (Der zweite Brief) (3)

 

Mathias war sehr engagiert. Der Königsbrief hatte ihn gefesselt! Und Mathias suchte am nächsten Tag im gleichen Zimmer nach einem weiteren Brief. Er fand ihn auch. Darüber informierte er Siglinde per Telefon. Die würde aber nicht kommen.

Dann las er ihn sich, gegen Mittag nach der Schule, selbst laut vor, ohne einen Zuhörer zu haben.

 

Guten Abend! Wer ich bin? ... jedenfalls verfasse ich gerade diesen Brief, der Ihnen meine Identität, die eines „Verfassers“, offenlegen soll. Das ist keine schwere Arbeit für mich, im Gegenteil! Es ist eine kleine vergnügliche, erhellende Betätigung, die dem momentanen Briefleser fröhliche Kullertränen schenken könnte. Sie lesen ja. Dieselben zu erzeugen beabsichtige ich jetzt. Sie lesen ja! Und: Bitte!!! Tränen? ... endlich?